Historisch-materialistische Auseinandersetzung mit der Religion
und der Befreiung des Menschen von der Religion
Hassan Maarfi Poor
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InhaltsverzeichnisI. Ein kritisches Gedicht von Bertolt
Brecht11. Einleitung22. Die Geschichte der Unterdrückung der
Jüdinnen und Juden52.1. Eine theoretische Darstellung der
Judenfrage73. Die Debatte der Nationalität und Religion204. Fazit
und Zusammenfassung265. Literaturverzeichnis28
I. Ein kritisches Gedicht von Bertolt Brecht
“Der Jude, ein Unglück für das Volk”
„Wie die Lautsprecher des Regimes verkündenSind in unserm Land
an allem Unglück die Juden schuld.Die sich immerfort mehrenden
MissständeKönnen, da die Führung sehr weise istWie sie oft betont
hatNur von den sich immerfort vermindernden Juden kommen.Nur die
Juden sind schuld, dass im Volk Hunger herrschtObwohl die großen
Grundbesitzer sich auf den Feldern zu Tode arbeitenUnd obwohl die
Ruhrkapitäne nur die Brosamen essen, die von den Arbeitern Tisch
fallen.Und nur der Jude kann dahinterstecken, wennFür das Brot der
Weizen fehlt, weilDas Militär für seine Übungsplätze und KasernenSo
viel Boden beschlagnahmt hat, dass eran Umfang einer ganzen Provinz
gleichkommt. Da alsoDer Jude für das Volk ein Unglück istkann es
hiermit für das Volk nicht schwer seinEinen Juden zu erkennen. Es
braucht dazuWeder Geburtsregister noch äußere Merkmale- Alles dies
kann ja täuschen – es braucht nur zu fragen:Ist der oder jener
Mensch ein Unglück für uns? DannIst er ein Jude. Ein Unglück
erkennt manNicht an der Nase, sondern daran, dassMan einen Schaden
hat dadurch. Es sind nicht die NasenDie das Unglück sind, sondern
die Taten. Es braucht einerDa doch keine besondere Nase, umDas Volk
berauben zu können, er braucht doch nurZum Regime zu gehören! Jeder
weiß,Dass das Regime für das Volk ein Unglück ist, wenn alsoAlles
Unglück vom Juden kommt, mussDas Regime vom Juden kommen. Das ist
doch einleuchtend!“ (Brecht 1967, 713/14)
1. Einleitung
In dieser Arbeit wird versucht, eine historisch-materialistische
Auseinandersetzung mit der Religion darzustellen. Gleichzeitig
werde ich in Bezug auf unterschiedliche Diskurse in der Geschichte
des historischen Materialismus, der heute Marxismus genannt wird,
die Debatte um die Religion als eine illusorische Weltanschauung
und Hoffnung der Menschen herausarbeiten. Außerdem wird die Debatte
um Nationalität und Nationalismus in Verbindung mit Religion sowie
ihre Gemeinsamkeiten und Kontroversen angerissen. Der historische
Materialismus von Marx soll eine befreiende, emanzipatorische Rolle
in der Auseinandersetzung mit der Gesellschaft spielen und muss den
Menschen vor Augen führen, dass die Befreiung von Identität nicht
mit der Schaffung neuer Identität vollzogen werden kann. Eines der
zentralen Themen in dieser Auseinandersetzung ist das Judentum als
Religion und Juden als eine Gruppe von Menschen, aus deren Religion
nicht nur eine Nation, sondern auch „Race“ gemacht wird. Warum darf
eine Religion zur „Race“ und Nationalität sowie die Konstrukte, die
in der Realität nicht existieren, eine Realität werden? Diese Frage
wir in dieser Arbeit mit Bezug auf das Judentum bearbeitet.
Es wird in dieser Arbeit auch die Verwirrung über
Antisemitismus, rechte und linke Analysen und Kritik an der
Religion aufgegriffen und gezeigt, wie die rechten Kräften Religion
bekämpft haben und bekämpfen wollen und was im Gegensatz dazu
radikale linke Kritik an Religion ist. Deshalb beschäftige ich mich
in dieser Arbeit mit dem Antisemitismus als eine brutal
unmenschliche Form des Rassismus, der sich in der Geschichte in den
letzten Jahrhunderten immer wieder auf unterschiedliche Weisen
reproduziert hat. Die Geschichte des Antisemitismus ist, wie viele
Autoren wie Marx, Engels und Lukacs bestätigen, mit der Geschichte
des Christentums eng verbunden. Daher sage ich wie Engels, dass der
Antisemitismus „Merkzeichen einer zurückgebliebenen Kultur“ ist und
insbesondere in deutschsprachigen Ländern existiert (Engels 1972,
S. 49). Der Antisemitismus nach Engels ist nicht mehr „als eine
Reaktion mittelalterlicher untergehender Gesellschaftsschichten
gegen die moderne Gesellschaft“ und gehört daher zum feudalen
Sozialismus (Engels 1972, S. 50–51) als eine reaktionäre
modernefeindliche Ideologie des Kleinbürgertums mit konservativer
Ideologie und christlichen Werten. Er gehört nicht in die „moderne“
Gesellschaft, aber wie Marx beschreibt, ist die „moderne“ Welt eine
verkehrte Welt, in der Antisemitismus, Rassismus, Judenhass,
Muslimphobie, Religion und verkehrte Ideologie durch die
herrschende Klasse nicht nur propagiert, sondern auch sehr stark
durch die Indoktrinierung der Bevölkerung restauriert und
reproduziert wird. Wenn wir die Religiosität des Staates als
Überbau der vorkapitalistischen und der feudalen Herrschaft
betrachten, müssen wir davon ausgehen, dass die bürgerlichen
Revolutionen wie die Französische Revolution eine antireligöse Form
des Widerstandes umsetzten, die Religiosität des Staates in Frage
stellten, um die Hegemonie der herrschenden Klassen in der Zeit des
revolutionären Umbruches zu bekämpften und den Säkularismus
zumindest in den Westen zu bringen. Es ist aber eine Illusion, wenn
wir davon ausgehen, dass der Kapitalismus als eine Form der
Herrschaft, in der eine bestimmte Klasse Macht über die
Gesellschaft und damit die anderen Klassen ausübte, ausübt und
ausüben wird und Religion als ein Mittel das Aufrechterhalten
dieser Macht und für das Zufriedenhalten der Unterdrückten braucht,
säkular und religionskritisch wird und bleibt. (Lenin, 404ff) USA
wurde als das Land der Religiosität bezeichnet, was schon Marx in
Bezug auf die Reiseberichte von Tocqueville Über die Demokratie in
Amerika von 1835/40 beschrieb, dass die USA trotz der formalen
Säkularisierung des Staates seit der dortigen Revolution die
Religionsfrage in der realen Lebenswelt nicht lösen konnten. Diese
Frage der Religiosität in den USA spielt bis heute eine große Rolle
in der Realpolitik. Auf diese Untersuchungen von Tocqueville
berufen sich sowohl Marx als auch Weber (Rehmann 2013, S. 44). Die
Kontrarevolution im Kapitalismus als eine konservative Kraft war
und ist immer eine Tatsache innerhalb dieses Systems. Die
bonapartistischen Regime in Frankreich und Deutschland waren
kontrarevolutionäre Kräfte, die den Säkularismus bekämpften und
bekämpfen wollen, um die Herrschaft des Kapitals durch die Religion
zu rechtfertigen.
Der Antisemitismus ist nur eine Art des Rassismus, der nicht
unbedingt mit heutigem Rassismus direkt verbunden ist. Die
Geschichte der Diskriminierung und Unterdrückung der Juden und
Jüdinnen ist eine lange Geschichte, die in dieser Arbeit nicht
ausführlich dargestellt werden kann. Diese Aufgabe ist die der
Historiker und Historikerinnen. Was ich aber hier darstellen
möchte, ist eine Herangehensweise. In dieser Arbeit werden
soziologische und theoretische Perspektiven klargemacht und es wird
gezeigt, inwiefern diese Argumentation sowohl wissenschaftlich als
auch marxistisch vernünftig ist. Deshalb werden anstelle einer rein
geschichtlichen Untersuchung des Antisemitismus die theoretischen
und wissenschaftlichen Hintergründe erwähnt mit unterschiedlichen
Theorien aus marxistisch kritischer Perspektive verbunden.
Die Judenfrage ist eine Frage, die häufig in Bezug auf
Religionskritik, Nationalismus und Identität des Menschen gestellt
und aus zahlreichen Perspektiven beantwortet wurde. Sie war, ist
und wird eine Frage der einer Minderheit sein, die damals sehr
stark diskriminiert wurde. Mit der Entstehung des deutschen
Faschismus und mit dem Holocaust wurde die Judenfrage auf eine
andere, absolut menschenverachtende und -vernichtende Ebene
gebracht. Was Marx jedoch mit der Judenfrage ansprach, war
Religionskritik im allgemeinen Sinne am spezifischen Beispiel und
die Frage nach der Emanzipation der Juden des Judentums, der
Menschen von der Religion.
In dieser Arbeit geht es auch darum,
Verschwörungstheoretikerinnen und Verschwörungstheoretikern
darzulegen, dass Antizionismus nicht das gleiche wie Antisemitismus
sein darf und wer Antizionismus mit Antisemitismus gleichsetzt
nicht als Wissenschaftlerin oder Wissenschaftler anerkannt werden
sollte. Zurzeit erleben wir sowohl in Deutschland als auch in den
USA und anderen westlichen Ländern, dass die konservativsten
christlichen, imperialistischen Parteien als rechter Flügel der
bürgerlichen Politik und die linken, zionistischen Gruppierungen in
der Gleichsetzung von Antisemitismus und Antizionismus
zusammenkommen und jede wissenschaftliche und sachliche Diskussion
um die Kritik des Judentums und des Zionismus als konservative,
rassistischen, menschenverachtende Ideologie blockieren.
Die Geschichte des Antisemitismus ist wie bereits erwähnt eine
lange Geschichte und der deutsche Faschismus war die
menschenverachtendste Form des Antisemitismus weltweit. In dieser
Arbeit wird gleichzeitig mit Bezug auf die marxistische Theorie
gezeigt, dass der Zionismus als eine imperialistische Bewegung ihre
faschistische Ideologie gegenüber Palästinenserinnen und
Palästinenser durch militärische Ansätze, Assimilationspolitik,
Vertreibung der Palästinenserinnen und Palästinenser sowie
Siedlungspolitik ihre faschistischen Angriffe und
menschenverachtende Politik als Reparation des Holocausts
legitimieren will. Die Geschichte des Zionismus als eine Form des
Imperialismus wird kurz dargestellt und anhand der „Kritik der
politischen Ökonomie“ von Marx, Engels und Lenin wird die
imperialistische Bewegung, besonders die neue kolonialistische
Politik der USA und westlichen Politik, im Bereich Zionismus
kritisiert.
Antisemitismus ist heutzutage zu einem Vorwurf geworden, mit dem
jegliche Art der Kritik an der israelischen Politik und am Judentum
blockiert wird. Nach den Terroranschlägen der vergangenen Jahre in
Europa offenbarten Regierungen und bürgerliche Parteien ihre
grotesken bis rassistischen Positionierungen: Auf einer Seite
wurden täglich hunderte von Menschen in Palästina, in Afghanistan,
im Irak, im Iran, in Syrien, in Pakistan und in afrikanischen
Ländern von islamistischen Terrorgruppen und islamistischen Staaten
ermordet, erschossen oder erhängt, wogegen es in Europa keinen
sichtbaren Protest durch herrschende Politiker gab. Auf der anderen
Seite werden islamistische Terroristen teilweise direkt, aber
zumindest indirekt mit Waffen aus westlichen Ländern beliefert und
damit radikale Bewegungen aus ökonomischen und politischen
Interessen ausgenutzt. Zu sehen war, dass der französische Komiker
„Dieudonné“ wegen „antisemitischer Äußerungen“ zwei Tage vor dem
Anschlag an „Charlie Hebdo“ von französischen Polizist*innen in
seiner Wohnung festgenommen wurde. Die Frage steht im Raum: Weshalb
darf man die Religion „Islam“ kritisieren und sich daraus die
Bewegung „Je suis Charlie“ formieren, während ein Komiker aufgrund
der Kritik an einer anderen Religion festgenommen wird. (Vgl.
Kalagh Magazine, 4. Ausgabe, S. 5, aus dem Persischen) Dieser
Widerspruch ist die Heuchelei der Doppelmoral im Kapitalismus, in
der bürgerlichen Demokratie und im Parlamentarismus. Im
Kapitalismus können Menschen mit der Kritik an Flüchtlingen
Zuspruch erhalten, aber Menschen werden Antisemitinnen und
Antisemiten genannt, wenn sie Israel oder das Judentum kritisieren
oder über Juden und Jüdinnen satirisch behandeln.
Bei Antizionismus handelt es sich um eine linke, radikale
Bewegung und Kommunistinnen und Kommunisten, die nach dem Fall der
Berliner Mauer und nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, nach dem
Neoliberalismus und nach dem Postmodernismus, Positivismus und der
Philosophie von Heidegger, ihre kommunistische Position behalten
haben. Sie Antisemitinnen und Antisemiten zu nennen, ist in meinen
Augen eine Verschwörungstheorie. Die Analyse, die Antideutsche
gegen ihre Feinde benutzen, ist teilweise rassistisch oder viel
rechter als die „Analyse“, die von der rechten Szene auf
Kommunistinnen und Kommunisten angewandt wird. Obwohl die
Antideutschen sich in der linken Szene verorten, gehören sie
praktisch zu Verschwörungstheoretikerinnen und
Verschwörungstheoretikern und passen sie nicht ins linke
Spektrum.
2. Die Geschichte der Unterdrückung der Jüdinnen und Juden
Bevor ich mit der Geschichte der Unterdrückung der Jüdinnen und
Juden fortfahre, möchte ich einige wichtige Themen kurz klären.
Erstens möchte ich meinen Standpunkt formulieren, dass das Judentum
keine Nationalität ist, sondern eine Religion. Zweitens kann man
sagen, dass der Imperialismus aus imperialistischen Gründen heraus
Israel gegründet hat. Drittens: Jüdinnen und Juden als Menschen mit
einer Religion mussten nicht unbedingt einen Nationalstaat
aufbauen, um sich zu schützen. Viertens sollten wir immer die Frage
stellen, weshalb die Jüdinnen und Juden nicht inmitten Europas
einen Nationalstaat gründen konnten, und weswegen sie sich dazu
gezwungen sahen, das Land anderer Menschen - der Palästinenserinnen
und Palästinenser - wegzunehmen, um sich schützen zu können.
Fünftens sollte man sich fragen, weswegen die Palästinenserinnen
und Palästinenser den Preis dafür zahlen müssen, während es die
deutschen Faschisten waren, die das Verbrechen an den europäischen
Juden und Jüdinnen begangen haben. Letztlich sollten die Menschen
auf der Seite der Minderheiten stehen und hinterfragen, warum
Minderheiten wie Kommunisten und Kommunistinnen, Kurden und
Kurdinnen, Roma und Romnija und andere Bevölkerungsgruppen und
Religionsminderheiten nicht in der Gegenwart einen Nationalstaat
mit Monopolegewalt in Europa oder irgendwo anders gründen dürfen.
Auch wenn diese Gruppen nicht einmal einen Nationalstaat im Westen
gründen wollen, sondern als Flüchtlinge und Immigranten Europa oder
in den USA um Aufnahme in die bestehenden Staaten bitten, wird
trotzdem gegen sie gehetzt. Dieser Hass wird von der
Mehrheitsgesellschaft sogar als „legitimer“ Hass betrachtet. Wenn
jedoch faschistischer Zionismus kritisiert wird, wird dieser sofort
als Antisemitismus bezeichnet. Diese Arbeit beschäftigt sich sowohl
mit der Kritik der Religion, also Religion als „Opium des Volkes“,
als auch mit der Kritik am Faschismus und der Verschwörungstheorie,
die heutzutage jede Kritik an der faschistischen israelischen
Außenpolitik verbietet und Kritik des Zionismus mit Antisemitismus
gleichsetzen. Faschismus verstehe ich als eine Form der
bürgerlichen Herrschaft und kapitalistischen Produktionsweise.
Faschismus ist die Ideologie des Kapitalismus in Zeiten der
Wirtschaftskrise, die die Schuld für gesellschaftliche Probleme den
gesellschaftlich Schwächsten zuweist und mit einer umfassenden,
ultranationalistischen Verachtung unterdrückter Bevölkerungsgruppen
einhergeht. (Kühnl 1990)
Die Unterdrückung der Juden und Jüdinnen wurde geschichtlich
betrachtet immer von Christen praktiziert. Die Christen, bei denen
Geld im Mittelalter als schmutzig galt, betrachteten die Juden
immer als Sekte, die Geld investieren will, und als Feind. Georg
Simmel spricht von Ghettos der Juden im Mittelalter und beschreibt
sie in ihrer ambivalenten Funktion zwischen Schutzes und
Verteidigungskraft einerseits sowie Einschränkung andererseits.
(Simmel 1983)
Marx sprach in seinem Buch von der Unterdrückung der Juden und
Jüdinnen und schrieb über Bruno Bauers Analyse der jüdischen
Frage:
Der christliche Staat kennt nur Privilegien. Der Jude besitzt in
ihm das Privilegium, Jude zu sein. Er hat als Jude Rechte, welche
die Christen nicht haben. Warum begehrt er Rechte, welche er nicht
hat und welche die Christen genießen! Wenn der Jude vom
christlichen Staat emanzipiert sein will, so verlangt er, dass der
christliche Staat sein religiöses Vorurteil aufgebe. Gibt er, der
Jude, sein religiöses Vorurteil auf? Hat er also das Recht, von
einem andern diese Abdankung der Religion zu verlangen? Der
christliche Staat kann seinem Wesen nach den Juden nicht
emanzipieren; aber, setzt Bauer hinzu, der Jude kann seinem Wesen
nach nicht emanzipiert werden. Solange der Staat christlich und der
Jude jüdisch ist, sind beide ebenso wenig fähig, die Emanzipation
zu verleihen als zu empfangen. (Marx 1976a, S. 348)
Das Christentum und Jesus haben sich von der Macht und
Herrschaft am Anfang entfernt und es wurde sehr selten im
Christentum von Herrschaft und politischer Macht gesprochen. Das
Christentum war eine moralische Argumentation und Jesus und sein
Gefolge haben am Anfang nie die politische Macht ergriffen, aber
das Christentum sollte sich mit seiner Entwicklung auch der
Gesellschaft anpassen. Deswegen hat das Christentum seinen
politischen Indifferentismus beseitigt und die politische Macht
ergriffen, wodurch die Christen im Mittelalter in ganz Europa an
die Macht kamen.
Der Meister predigte den Indifferentismus auf ökonomischem
Gebiet, um die Freiheit oder bürgerliche Konkurrenz, unsere einzige
Garantie, zu beschützen; die Schüler predigen den Indifferentismus
auf politischem Gebiet, um die bürgerliche Freiheit, ihre einzige
Garantie, zu beschützen. Wenn die ersten Christen, die ebenfalls
den politischen Indifferentismus predigten, der starken Hand eines
Kaisers bedurften, um sich aus Unterdrückten in Unterdrücker zu
verwandeln, so glauben die modernen Apostel des politischen
Indifferentismus gar nicht daran, dass ihre ewigen Prinzipien ihnen
die Enthaltung von weltlichen Genüssen und vergänglichen
Privilegien der bürgerlichen Gesellschaft auferlegen. Wir müssen
nichtsdestoweniger anerkennen, dass sie die 14 oder 16
Arbeitsstunden, die auf den Fabrikarbeitern lasten, mit einem
Stoizismus ertragen, der der christlichen Märtyrer würdig ist.
(Marx 1973a, S. 304)
2.1. Eine theoretische Darstellung der Judenfrage
Marxistisch gesehen werden Diskurse nur entwickelt, wenn ein
reales Ereignis stattgefunden hat. Mit anderen Worten: Theorien
entstehen nur aus der Betrachtung der Realität und der Analyse der
Welt sowie der darin zu beobachtenden Phänomene. Erst wenn Juden
und Jüdinnen diskriminiert werden, kommt also ihre Diskriminierung
zur Sprache. Die Analyse von Marx ist eine materialistische und
dialektische über alle Phänomene und steht im Gegensatz zur
Betrachtungsweise von Idealisten und dem mechanischen, primitiven
Materialismus von Hegel und Feuerbach. Marxismus fängt bei der
Betrachtung der Realität an und versucht, sie darzustellen, wie sie
ist, um sie besser verändern zu können. Marxismus ist im Gegensatz
zum Idealismus und allen anderen Weltanschauungen eine radikale,
emanzipatorische und revolutionäre Theorie, die sich auf die
Bewegung der Unterdrückten in der modernen kapitalistischen Welt
beruft. Marx hört nicht bei der Frage der Interpretation der Welt
auf. Als die Kernfrage des Marxismus bezeichnet er die Emanzipation
der Menschheit. Nach Marx kann die Emanzipation der Menschheit nur
stattfinden, wenn die anderen Klassen das Interesse der
Arbeiterklasse verfolgen und ihr eigenes Interesse mit dem
Interesse der Arbeiterklasse verbinden. Marxismus ist daher eine
radikale Bewegung und hat einen radikalen philosophischen
Hintergrund.
Im Gegensatz zu allen anderen theoretischen Auseinandersetzungen
vor und nach Marx ist die Auseinandersetzung des Marxismus mit der
Religion eine historisch-materialistische und dialektische Analyse,
die die Problematik der Religion und der religiösen Minderheiten
materialistisch löst. Auf diese Art und Weise setzt Marx sich auch
mit dem Judentum und Juden auseinander. Juden wurden in der
Geschichte der Menschheit aus unterschiedlichen Gründen unterdrückt
und diese Unterdrückung brachte die Diskurse des „Antisemitismus“
mit sich. Jeder Mensch, der vom Antisemitismus sprach, sprach
zugleich von Alternativen. Wie löst Bruno Bauer die „Judenfrage“?
Wie lösen die Kommunisten die Judenfrage? In diesem Kapitel
versuche ich, mit geschichtlichen, theoretischen
Auseinandersetzungen die „Judenfrage“ zu bearbeiten und nach der
bürgerlichen und sozialistischen Antwort zu suchen.
An dieser Stelle sollen daher einige Theoretikerinnen und
Theoretiker zitiert werden, die sich mit dem Thema
auseinandersetzten.
Die Emanzipationsfrage ist eine allgemeine: Juden wie Christen
wollen emanzipiert werden. Wenigstens muss und wird die Geschichte,
deren Endzweck die Freiheit ist, darauf hinarbeiten, dass beide,
sowohl Juden und Christen, in dem Verlangen und Streben nach
Emanzipation zusammentreffen, da zwischen beiden kein Unterschied
vorhanden ist und vor dem wahren Wesen des Menschen, vor der
Freiheit, beide in gleicher Weise sich als Sklaven bekennen müssen.
Der Jude wird dazu beschnitten und der Christ getauft, damit sie
beide ihr Wesen nicht in der Menschheit sehen sollen, vielmehr der
Menschheit entsagen und sich als Leibeigene eines fremden Wesens
bekennen und zeitlebens, in allen Angelegenheiten ihres Lebens,
aufführen. (Bauer 1834, S. 56)
Im Zitat wird nicht nur von der Emanzipation der Juden und
Jüdinnen gesprochen, sondern sowohl von der Emanzipation der
Christinnen und Christen als auch von der Emanzipation der Menschen
allgemein.
Berufen sich die Juden auf die Trefflichkeit ihrer religiösen
Sittenlehre, d. h. ihres geoffenbarten Gesetzes, um zu beweisen,
dass sie fähig seien, gute Bürger zu werden, und ein Recht auf die
Teilnahme an allen öffentlichen Staatsangelegenheiten hätten, so
hat für den Kritiker dieses ihr Verlangen nach Freiheit keine
andere Bedeutung als das Verlangen des Mohren, weiß zu werden, oder
noch weniger Bedeutung: es ist das Verlangen, unfrei zu bleiben.
Wer den Juden als Juden emanzipiert wissen will, nimmt sich nicht
nur dieselbe unnütze Mühe, als wenn er einen Mohren weißwaschen
wollte, sondern er täuscht sich selbst bei seiner unnützen
Quälerei: indem er den Mohren einzuseifen meint, wäscht er ihn mit
einem trockenen Schwamm. Er macht ihn nicht einmal nass. (Ebd.
S.349)
Bruno Bauer war der Meinung, dass das Judentum und Juden den
Säkularismus akzeptieren und sich, anstatt in die Synagoge zu gehen
für Politik interessieren sollten. Aber Marx stellt die Frage, ob
die Emanzipation der Menschen und Juden und Jüdinnen durch die
Teilnahme an der Politik und im christlichen Staat stattfinden kann
und verwirklicht wird! Ein Staat, der Menschen wie Bauer, Marx und
andere Kritiker verfolgt, kann weder Juden noch die Menschheit
emanzipieren. Deswegen ist die Vorstellung von Bauer von der
Emanzipation absolut widersprüchlich. Auf der einen Seite spricht
Bauer von der Emanzipation im allgemeinen Sinne und auf der anderen
Seite von der Emanzipation der Juden im „christlichem Staat“
Deutschland sowie von der Aufklärung im Christentum durch Luther
und die Reformation, die in dieser Form im Judentum nicht
stattfand. Das widerlegt auch Marx nicht. Marx hat die Aufgabe von
Luther im Christentum mit der Aufgabe von Hegel in der Philosophie
verglichen und war der Meinung, dass Luther das Christentum
restaurierte, so wie Hegel den „Deutschen Idealismus“. (Marx 1976b,
386ff)
Luther hat allerdings die Knechtschaft aus Devotion besiegt,
weil er die Knechtschaft aus Überzeugung an ihre Stelle gesetzt
hat. Er hat den Glauben an die Autorität gebrochen, weil er die
Autorität des Glaubens restauriert hat. Er hat die Pfaffen in Laien
verwandelt, weil er die Laien in Pfaffen verwandelt hat. Er hat den
Menschen von der äußeren Religiosität befreit, weil er die
Religiosität zum inneren Menschen gemacht hat. Er hat den Leib von
der Kette emanzipiert, weil er das Herz an die Kette gelegt. (Marx
1976b, S. 386)
Bauer spricht von der Auflösung der Religionen und des Judentums
im Allgemeinen, aber er vergisst, eine Lösung vorzuschlagen und
kann nicht weitergehen als bis zur bürgerlichen Form der
Emanzipation. (Bauer 1834)
Diese Aufklärung war auch deshalb nicht entscheidend, weil sie
nicht einmal die bestimmte, noch unvollkommene Religion in der Art
auflösen konnte, dass sie die Illusion, den Ursprung und die
menschliche Entstehung derselben richtig erklärte. Nur die
Aufklärung, welche die Illusion überhaupt, die Religion schlechthin
erklärt und auflöst, wird auch die Illusion und den Ursprung der
untergeordneten Religionsformen richtig erklären. (Bauer 1834)
Bauer ist der Meinung, dass Religion in sich widersprüchlich
ist. Religionen sprechen einerseits von Freiheit und Gleichheit,
fördern andererseits real aber Ungleichheit und Unfreiheit.
Religion ist für Bauer Heuchelei, die untergehen muss. (Bauer
1834)
Das Christentum ist diejenige Religion, die der Menschheit das
meiste, nämlich alles, verheißen, aber auch das meiste, nämlich
wiederum alles, versagt hat. Es ist demnach die Geburtsstätte der
höchsten Freiheit, wie es die Macht der größten Knechtschaft war.
Seine Auflösung durch die Kritik, d. h. die Auflösung seiner
Widersprüche ist die Geburt der Freiheit und selbst der erste Akt
dieser höchsten Freiheit, die sich die Menschheit erobert, erobern
musste und nur im Kampfe gegen die Vollendung der Religion erobern
konnte. (Bauer 1834)
Am Ende spricht Bauer von einer Revolution, durch welche
Religionen abgeschafft und aufgelöst werden.
Wenn sie frei werden wollen, so dürfen sich die Juden nicht zum
Christentum bekennen, sondern zum aufgelösten Christentum, zur
aufgelösten Religion überhaupt, d. h. zur Aufklärung, Kritik und
ihre Resultate, der freien Menschlichkeit. (Bauer 1834)
Nach Bauer haben die Christen bessere Voraussetzungen, um sich
von der Religion zu befreien, deswegen sollten Juden ihre
„Nationalität“ und ihre Religion aufgeben, um befreit zu werden.
(Bauer 1834)
Marx widerspricht Bruno Bauer in vielen Punkten und versucht mit
vielen Beispielen, die politische Freiheit von Religionsfreiheit
und der Freiheit der Juden zu trennen. Marx Analyse der Judenfrage
ist eine Kritik an Bauers Herangehensweise, sowohl seiner Analyse
der „Judenfrage“ als auch seiner bürgerlichen Ideologie und seinem
bürgerlichen Verständnis von Menschenrechten. Marx ist der Meinung,
dass Bauer viele wichtige Fragen aufwarf, aber die Fragestellung
alleine an sich keine Antwort auf diese Fragen sein kann. Deshalb
widerlegt Marx Bauer durch die Frage, was zu tun sei, damit die
Juden als religiöse Minderheit emanzipiert werden können. Er zeigt
die Widersprüche von Bauers Weltanschauung auf und zeigt, wie die
Bourgeoisie nicht in der Lage ist, die Freiheit und die
Menschenrechte zu verwirklichen. Insofern bleibt Bauer in einem
Teufelskreis gefangen.
Bauer sagt, dass die Juden und Jüdinnen ihre Emanzipation vom
christlichem Staat verlangten, aber die „Deutschen“ unter dem
christlichen Staat selbst nicht emanzipiert wurden: Wie kann ein
Staat, der „seine Bevölkerung“ unterdrückt, andere Minderheiten
befreien und emanzipieren?
Die deutschen Juden begehren die Emanzipation. Welche
Emanzipation begehren sie? Die staatsbürgerliche, die politische
Emanzipation.
Bruno Bauer antwortet ihnen: Niemand in Deutschland ist
politisch emanzipiert. Wir selbst sind unfrei. Wie sollen wir euch
befreien? Ihr Juden seid Egoisten, wenn ihr eine besondere
Emanzipation für euch als Juden verlangt. Ihr müsstet als Deutsche
an der politischen Emanzipation Deutschlands, als Menschen an der
menschlichen Emanzipation arbeiten und die besondere Art eures
Drucks und eurer Schmach nicht als Ausnahme von der Regel, sondern
vielmehr als Bestätigung der Regel empfinden. (Marx 1976a, S.
347)
Bauer hat keine richtige Vorstellung von der Emanzipation und
von der Form des Staates. Er benutzt Frankreich als ein Beispiel,
in dem die Religion vom Staat getrennt wurde, aber die Juden und
Jüdinnen noch nicht befreit wurden. Für Bauer ist Emanzipation
widersprüchlich. Auf der einen Seite sagt er, dass die Juden und
Jüdinnen ihre Religion beseitigen müssen und nicht mehr Juden und
Jüdinnen bleiben dürfen, um Bürgerinnen und Bürger zu werden und um
emanzipiert werden zu können, auf der anderen Seite zeigt sein
Beispiel über Frankreich und das Beispiel von Marx über die
Vereinigten Staaten, dass die Trennung von Religion und Staat weder
die Emanzipation der Juden und Jüdinnen noch anderer Bürgerinnen
und Bürger sein kann.
Oder verlangen die Juden Gleichstellung mit den christlichen
Untertanen? So erkennen sie den christlichen Staat als berechtigt
an, so erkennen sie das Regiment der allgemeinen Unterjochung an.
Warm missfällt ihnen ihr spezielles Joch, wenn ihnen das allgemeine
Joch gefällt! Warum soll der Deutsche sich für die Befreiung des
Juden interessieren, wenn der Jude sich nicht für die Befreiung des
Deutschen interessiert? (Marx 1976a, S. 347)
Die Trennung von Juden und Jüdinnen von anderen Bürgerinnen und
Bürgern, die immer wieder von Bauer vollzogen wird, ist in sich
auch sehr problematisch und diskriminierend. Bauer kann Juden und
Jüdinnen nicht als Bürgerinnen und Bürger akzeptieren, weil seine
politische Perspektive nicht über die kapitalistischen
Vorstellungen hinausgeht. Er ist nicht in der Lage, diejenigen als
Bürgerinnen und Bürger Deutschlands zu akzeptieren, die
gleichzeitig Juden und Jüdinnen sind und spricht dennoch von der
Emanzipation der „Juden“.
Letztlich ist die Kritik Bauers eine Kritik am christlichen
Staat und nicht an Staaten allgemein. Es stellt sich jedoch die
Frage, ob die Menschen in einem Staat, in dem die Religion keine
Rolle spielt, emanzipiert werden. Die Geschichte antwortet hierauf
mit einem klaren Nein. Die politische Befreiung kann nie als
Emanzipation betrachtet werden. Für Bauer aber ist die politische
Befreiung das Ziel und sobald der Staat nicht mehr religiös ist,
werden die Menschen ihm nach emanzipiert.
In Frankreich, in dem konstitutionellen Staat, ist die
Judenfrage die Frage des Konstitutionalismus, die Frage von der
Halbheit der politischen Emanzipation. Da hier der Schein einer
Staatsreligion, wenn auch in einer nichtssagenden und sich selbst
widersprechenden Formel, in der Formel einer Religion der Mehrheit
beibehalten ist, so behält das Verhältnis der Juden zum Staat den
Schein eines religiösen, theologischen Gegensatzes. (Marx 1976a, S.
351)
Die Kritik von Bauer am Judentum ist keine politische Kritik,
sondern eine Kritik auf der theologischen Seite des Judentums. Für
Marx hingegen ist jede Kritik politisch und die Kritik am Judentum
und an Religionen allgemeinen wird stets mit politischem
Hintergrund zur Sprache gebracht. Marx nennt die freien Staaten in
Nordamerika als Beispiel und legt dar, dass die Bevölkerung in
Nordamerika viel religiöser ist als in anderen Staaten, obwohl die
Religion dort teilweise vom Staat getrennt wurde.
Dennoch ist Nordamerika vorzugsweise das Land der Religiosität,
wie Beaumont, Tocqueville und der Engländer Hamilton aus einem
Munde versichern. Die nordamerikanischen Staaten gelten uns indes
nur als Beispiel. Die Frage ist: Wie verhält sich die vollendete
politische Emanzipation zur Religion? Finden wir selbst im Lande
der vollendeten politischen Emanzipation nicht nur die Existenz,
sondern die lebensfrische, die lebenskräftige Existenz der
Religion, so ist der Beweis geführt, dass das Dasein der Religion
der Vollendung des Staats nicht widerspricht. Da aber das Dasein
der Religion das Dasein eines Mangels ist, so kann die Quelle
dieses Mangels nur noch im Wesen des Staats selbst gesucht werden.
Die Religion gilt uns nicht mehr als der Grund, sondern nur noch
als das Phänomen der weltlichen Beschränktheit. Wir erklären daher
die religiöse Befangenheit der freien Staatsbürger aus ihrer
weltlichen Befangenheit. Wir behaupten nicht, dass sie ihre
religiöse Beschränktheit aufheben müssen, um ihre weltlichen
Schranken aufzuheben. Wir behaupten, dass sie ihre religiöse
Beschränktheit aufheben, sobald sie ihre weltliche Schranke
aufheben. Wir verwandeln nicht die weltlichen Fragen in
theologische. Wir verwandeln die theologischen Fragen in weltliche.
Nachdem die Geschichte lange genug in Aberglauben aufgelöst worden
ist, lösen wir den Aberglauben in Geschichte auf. (Marx 1976a, S.
350)
Sowohl Marx als auch Weber beziehen sich auf das Reisebricht von
Tocqueville und zeigen wie Nordamerikanischen Staaten trotz des
Säkularismus, das Land der Religiosität sind. Die Beziehung
zwischen der Religion und dem Geschäft bei Weber wie gesagt
beziehen sich auf Reisebricht von Tocqueville von 1833 und andere
Untersuchung von ihm Über Demokratie in Amerika und weitere
amerikanische Literatur. Was Weber als spezifische Verbindung
zwischen Religion und dem Geschäftsleben erwähnt, wurde von Marx
als Dislokation der Religion aus dem Staate in die bürgerliche
Gesellschaft dargestellt. (Rehmann 2013, 44ff)
Die Frage von den Verhältnissen der politischen Emanzipation zur
Religion wird für uns die Frage von dem Verhältnis der politischen
Emanzipation zur menschlichen Emanzipation. Wir kritisieren die
religiöse Schwäche des politischen Staats, indem wir den
politischen Staat, abgesehen von den religiösen Schwächen, in
seiner weltlichen Konstruktion kritisieren. Den Widerspruch des
Staats mit einer bestimmten Religion, etwa dem Judentum,
vermenschlichen wir in den Widerspruch des Staats mit bestimmten
weltlichen Elementen, den Widerspruch des Staats mit der Religion
überhaupt, in den Widerspruch des Staats mit seinen Voraussetzungen
überhaupt. (Marx 1976a, S. 350)
Der Schwerpunkt der Religionsanalyse bei Marx ist im Gegensatz
zu Bauer ökonomisch und politisch. Deshalb versucht Marx, seine
Kritik auf die materialistische Ebene zu stellen und Religion nicht
als ein illusorisches Gefühl zu bezeichnen, sondern als eine
ökonomische und politische Bewegung, die damals die deutschen
Staaten in ihren Händen monopolisierte. Deswegen ist zu sagen, dass
die Kritik von Bauer an dem deutschen christlichen Staat sich nicht
auf einer materialistischen Ebene befinden kann.
Die Religion ist eben die Anerkennung des Menschen auf einem
Umweg. Durch einen Mittler. Der Staat ist der Mittler zwischen dem
Menschen und der Freiheit des Menschen. Wie Christus der Mittler
ist, dem der Mensch seine ganze Göttlichkeit, seine ganze religiöse
Befangenheit aufbürdet, so ist der Staat der Mittler, in den er
seine ganze Göttlichkeit, seine ganze menschliche Unbefangenheit
verlegt. (Marx 1976a, S. 353)
Marx ist der Meinung, dass in den sogenannten demokratischen
Staaten, Menschen nicht von der Religion befreit werden, sondern
Religionsfreiheit erhalten, die Religionsfreiheit für Marx ist aber
keine Menschenrechte in idealem Sinne, sondern eine Form der
Entfremdung der Menschen durch die Religion. Nach Marx können
Menschenrechte nur existieren in de dem jede Form der Herrschaft
des Menschen über Menschen aufhört und nicht dadurch, dass Menschen
Freiheit haben Opium der Religion zu konsumieren. Die
Verwirklichung der Menschenrechte bei Marx ist keine abstrakte
Forderung, sondern ist sie mit der Wirklichkeit verbunden. Die
Menschen befreien sich von ausbeuterischen Verhältnissen in dem sie
das private Eigentum an Produktion anzugreifen und eine
Gesellschaft verwirklichen in der, Antagonismus zwischen den
Unterdrücken und Unterdrückten aufhört. Um dieses Ziel zu erreichen
muss die Gesellschaft ihr Interesse mit dem Interesse der
Arbeiterklasse als letzte revolutionäre Kraft und zu verbinden. Die
liberale Vorstellung von der Gleichheit und Emanzipation
beschäftigt sich auf dem Überbau der Gesellschaft mit den
Menschenrechten und rechtfertigt die ökonomischen Ungleichheiten
und stellt sie als etwas Natürliches dar (Marx 1976b, S. 364).
Wir sagen also nicht mit Bauer den Juden: Ihr könnt nicht
politisch emanzipiert werden, ohne euch radikal vom Judentum zu
emanzipieren. Wir sagen ihnen vielmehr: Weil ihr politisch
emanzipiert werden könnt, ohne euch vollständig und widerspruchslos
vom Judentum loszusagen, darum ist die politische Emanzipation
selbst nicht die menschliche Emanzipation. Wenn ihr Juden politisch
emanzipiert werden wollt, ohne euch selbst menschlich zu
emanzipieren, so liegt die Halbheit und der Widerspruch nicht nur
in euch, sie liegt, in dem Wesen und der Kategorie der politischen
Emanzipation. Wenn ihr in dieser Kategorie befangen seid, so teilt
ihr eine allgemeine Befangenheit. Wie der Staat evangelisiert, wenn
er, obschon Staat, sich christlich zu dem Juden verhält, so
politisiert der Jude, wenn er, obschon Jude, Staatsbürgerrechte
verlangt. (Marx 1976a, S. 361)
Die Emanzipation der Juden und Jüdinnen ist für Marx nicht nur
die politische Emanzipation, sondern auch die Emanzipation der
Juden und Jüdinnen als Menschen, zweitens die Emanzipation der
Juden und Jüdinnen als Minderheit und viel wichtiger: die
Emanzipation der Menschheit von Religion an sich sowie jeder
Unterdrückung im Kapitalismus. Sie ist für Marx die Emanzipation
der Juden und Jüdinnen vom Judentum und die Abschaffung der
Religion als Instrument für die Identifizierung und Verdummung der
Menschheit. Religion ist für Marx ein verkehrtes Weltbewusstsein in
einer verkehrten Welt. Die Religion als ein Mittel will Menschen
Hoffnung zu geben, dass sie sich in beruhigen und erholen und ihre
Unterdrückung als Schicksal betrachten. Marx und Marxismus
widerlegen diese Vorstellungen, die in der Gesellschaft in Bezug
auf die Religion existieren.
Mit anderen Worten können wir sagen, dass die Religion dann
vollkommen beseitigt wird, wenn sie als „Geschäft“ keinen Profit
mehr für Intuitionen und private Personen einbringt. In Deutschland
haben die evangelische wie die katholische Kirche mit ihren
Verbänden wie Caritas und Diakonie Millionen von Euro im Jahr an
Steuergeldern erhalten und die Organisationen, die abhängig von
diesen Kirchen sind, sind bundesweit mitunter die größten
Arbeitgeber. In einem Land, in dem es eigentlich ein Trennungsgebot
zwischen Staat und Kirche geben sollte, erwirtschaften die Kirchen
durch staatliche Mithilfe (staatlicher Einzug der Kirchensteuer)
Unsummen an Geldern. Bei Caritas und Diakonie als zwei größte
Einrichtungen im Bereich soziale Arbeit sind über zwei Millionen
tätig und diese Zahl wurde im Jahr 2015 wegen sogenannten
Flüchtlingskriese gestiegen. Es wird immer dargestellt, dass diese
Verbänden sich für Menschenrechte interagieren und den Menschen
helfen, aber im Gegensatz zu allgemeiner Vorstellung der
Gesellschaft über diese Verbände muss man wissen, dass sie in der
größten Unternehmern in Deutschland sind, die durch Investition des
Geldes im Bereich soziale Arbeit, diese Arbeit in ihren Händen
monopolisieret haben und damit jährlich große Gewinne machen.
(Lengsfeld 2017)
Die Caritas ist der Wohlfahrtsverband der Katholischen Kirche.
Es gibt in Deutschland sechs Wohlfahrtsverbände: Der Deutsche
Caritasverband, das diakonische Werk der Evangelischen Kirche in
Deutschland, das Deutsche Rote Kreuz, die Arbeiterwohlfahrt, der
paritätische Gesamtverband und die Zentralwohlfahrtsstelle der
Juden in Deutschland. Gemeinsam sorgen sie für das soziale Netz in
Deutschland. Viele Aufgaben übernehmen sie im Auftrag des Staates,
erledigen sie jedoch in eigener Verantwortung. Diese Verbände sind
keine Verbände, die nur Menschlichkeit schützen wollen, sondern
sind wie jeden anderen Unternehmer in der Marktwirtschaft
integriert und durch ihre Arbeit ihren Profit maximieren wollen.
Sie haben auch teilweise ausgrenzende, repressive und
missionarische Funktionen.
Repressive Hilfe ist eine paternalistische Form der Hilfe. Den
Menschen wird in einer Situation gezielt geholfen, damit bestimmte
Organisationen ihre Macht akkumulieren können. Hilfe ist in diesen
Fällen fragwürdig und heuchlerisch. Die Hilfe ist nicht das Ziel,
sondern die Hilfe wird angeboten, um andere Ziele erreichen zu
können. Deshalb sage ich, dass diese Art der Hilfe keine
Menschenrechte schützt, sondern mit Menschenrechten Geschäfte
macht. Staatliche Organisationen wie das Sozialamt, die NGOs wie
Amnesty International, UN, Diakonie, Caritas usw. helfen den
Menschen, um Kapitalakkumulation und Ausbeutung zu reproduzieren
und zu legitimieren. Im PHV funktioniert repressive Hilfe sehr
stark. Diakonie, Caritas und Deutsches Rotes Kreuz sind die NGOs,
die dort trotz ihrer Arbeit gewissermaßen repressive Hilfe anbieten
und sich gleichzeitig als unabhängig von Staat und
Menschenrechtsorganisationen darstellen. Diese Organisationen
wollen ihre Existenz innerhalb des kapitalistischen Staates
schützen und zwischen Armut und Akkumulation von Kapital leben. Wie
ich am Anfang der Arbeit beschrieben habe, existieren diese
Organisationen aus unterschiedlichen Gründen. 1. Weil die Armut
existiert, 2. weil Staaten nicht ihre Aufgaben ausführen, wie sie
es sollten und 3. weil die Kirchen und religiösen Verbände ihre
Hegemonie innerhalb des kapitalistischen Systems und der
demokratischen Strukturen suchen und aus der Ungleichheit in der
Gesellschaft Kapital akkumulieren können. Diese Organisationen sind
nicht direkt abhängig vom Staat, aber sie schützen das Interesse
des Staates und des Kapitals. Als Arbeitnehmer*in bei der Diakonie
und Caritas darf man sich nicht politisch gegen Staat und
Kapitalismus engagieren und muss die Austerität des Staates in
Deutschland und das Interesse des Kapitalismus schützen oder nicht
in Frage stellen, mindestens muss man neutral bleiben. Die
Arbeitnehmer*innen bei diesen Organisationen sollen unterschreiben,
dass sie nicht aktiv gegen das Interesse des deutschen Staates
kämpfen. Man muss aber bestimmte individuelle Personen mit
emanzipatorischen Positionen, die sich für die Emanzipation der
Gesellschaft und Unterdrückten engagieren, von Institutionen
unterscheiden und diese Menschen unterstützen. Durch die
Monopolisierung der Sozialarbeit durch die Kirche aber sind
diejenigen, die menschliche Arbeit leisten wollen, ebenfalls stark
von diesen Instituten geprägt. Aus Mangel an „nichtabhängigen“ NGOs
in Deutschland sind linke radikale Menschen gezwungen, mit
kirchlichen Organisationen und NGOs zusammen zu arbeiten und die
Arbeitnehmer*innen mit einer kritischen Perspektive müssen entweder
die Autorität der Organisation schriftlich akzeptieren oder werden
entlassen, wenn sie aktiv etwas gegen staatliche Repression
unternehmen wollen. Die Neoliberalisierung der Arbeit bei diesen
Organisationen und die Repression von Oben gegen Arbeitnehmer*innen
durch Lohndruck zeigt, dass diese Organisationen die Rechte ihrer
Arbeitnehmer*innen nicht schützen wollen oder können. Insofern kann
ich sagen, dass die repressive Hilfe von NGOs und
Menschenrechtsorganisationen unterstützt wird. Sie dürfen und
können nicht von den Menschenrechten sprechen, wenn sie die
Menschenrechte ihrer Arbeitnehmer*innen tagtäglich bedrohen und
verletzen. Die bürgerlichen Menschenrechtsorganisationen sind ein
Geschäft und eine Industrie, die wir in unserer Gesellschaft
erleben. Sie werden von den großen Mächtigen wie Staaten, Firmen,
Banken unterstützt, damit diese ihre Macht legitimieren können.
Weil sie Geld bekommen, sollen sie loyal bleiben und Treue
erwidern.
Religion, Kirche und deren Institutionen sind für das
Aufrechterhalten der Ungleichheit und können nur aus der
Ungleichheit und Unterdrückung der Menschen ihre parasitäre
Funktion als „Menschenrechte“ bezeichnen. Deshalb werde ich sagen,
dass die Kommunisten und Kommunistinnen im Gegensatz zur Rechten
und Konservativen nicht gegen die Schatten der Religion kämpfen
wollen und die Religionsverbot und staatliche Gewalt gegen
religiösen Menschen aus anderen Religionen absolut ablehnen und für
die Bekämpfung der Religion als ein Instrument der herrschenden
Klasse sind, die ihre Funktion in der Ökonomie und Politik auf
unterschiedlichen Arten produzieret und reproduziert.
Wir haben also gezeigt: Die politische Emanzipation von der
Religion lässt die Religion bestehen, wenn auch keine privilegierte
Religion. Der Widerspruch, in welchem sich der Anhänger einer
besonderen Religion mit seinem Staatsbürgertum befindet, ist nur
ein Teil des allgemeinen weltlichen Widerspruchs zwischen dem
politischen Staat und der bürgerlichen Gesellschaft. Die Vollendung
des christlichen Staats ist der Staat, der sich als Staat bekennt
und von der Religion seiner Glieder abstrahiert. Die Emanzipation
des Staats von der Religion ist nicht die Emanzipation des
wirklichen Menschen der Religion. (Marx, Ebd. S 361)
In einer anderen Schrift spricht Marx über die Abschaffung der
Religion:
Die Aufhebung der Religion als des illusorischen Glücks des
Volkes ist die Forderung seines wirklichen Glücks. Die Forderung,
die Illusionen über seinen Zustand aufzugeben, ist die Forderung,
einen Zustand aufzugeben, der der Illusionen bedarf. Die Kritik der
Religion ist also im Keim die Kritik des Jammertales, dessen
Heiligenschein die Religion ist. (Marx 1976b, S. 370)
Marx geht weiter und stellt es genauer dar:
Die Kritik hat die imaginären Blumen an der Kette zerpflückt,
nicht damit der Mensch die phantasielose, trostlose Kette trage,
sondern damit er die Kette abwerfe und die lebendige Blume breche.
Die Kritik der Religion enttäuscht den Menschen, damit er denke,
handle, seine Wirklichkeit gestalte wie ein enttäuschter, zu
Verstand gekommener Mensch, damit er sich um sich selbst und damit
um seine wirkliche Sonne bewege. Die Religion ist nur die
illusorische Sonne, die sich um den Menschen bewegt, solange er
sich nicht um sich selbst bewegt. (Marx 1976b, S. 370)
Mit den vorliegenden Zitaten soll verdeutlicht werden, dass Marx
davon ausgeht, dass Religionen Menschen ein falsches Gefühl
vermitteln, das nichts mit der Wirklichkeit zu tun hat. Die
Selbstentfremdung des Menschen durch Religion wurde auch bei
Feuerbach angesprochen, was von Marx weiterentwickelt wurde. In
einer Gesellschaft, in der die meisten Menschen in sozial prekären
Verhältnissen leben, ist Religion immer ein Mittel, das von
Herrschenden für die weitere Selbstentfremdung des Menschen genutzt
wird, damit sie ihre illegitime Herrschaft weiter reproduzieren
können. Religiöse Menschen lassen sich von Staaten besser
beherrschen, vor allem wenn sie sich nicht ihrer Rechte bewusst
sind, vom Paradies im Jenseits träumen und die Widersprüche ihres
eigentlichen Lebens für die Verheißungen nach dem Tod ausblenden.
Religionen sind Illusionen über Glück, bedeuten für viele Menschen
viel glauben, aber wenig Wissen und sind für einige, die davon
leben, mitunter großer Business.
Lenin beschreibt die Religionsfrage, Freiheit und Emanzipation
in einem kurzen Artikel:
Die ökonomische Unterdrückung der Arbeiter verursacht und
erzeugt unvermeidlich alle möglichen Arten der politischen
Unterdrückung und sozialen Erniedrigung, der Verrohung und
Verkümmerung des geistigen und sittlichen Lebens der Massen. Die
Arbeiter können sich mehr oder weniger politische Freiheit für den
Kampf um ihre ökonomische Befreiung erringen, aber keinerlei
Freiheit wird sie von Elend, Arbeitslosigkeit und Unterdrückung
erlösen, solange die Macht des Kapitals nicht gestürzt ist. Die
Religion ist eine von verschiedenen Arten geistigen Joches, das
überall und allenthalben auf den durch ewige Arbeit für andere,
durch Not und Vereinsamung niedergedrückten Volksmassen lastet. Die
Ohnmacht der ausgebeuteten Klassen im Kampf gegen die Ausbeuter
erzeugt ebenso unvermeidlich den Glauben an ein besseres Leben im
Jenseits, wie die Ohnmacht des Wilden im Kampf mit der Natur den
Glauben an Götter, Teufel, Wunder usw. (Lenin 2008)
Die positive Seite des Marxismus im Vergleich zu anderen
Theorien ist, dass er die moralische Kritik, die durch damaligen
Denker geübt wurden, ablehnt und den Kapitalismus und die
Verhältnisse radikal und strukturell in Frage stellt. Es bedeutet
aber nicht, dass andere Theoretiker/innen alles Falsch sagen oder
interpretieren, sondern sie keine Harmonie in der Argumentation
haben. Wenn man tausend richtige Argumente benutzt, aber in der
Schlussfolgerung zu einer reaktionären, kontrarevolutionären,
bürgerlichen und antiemanzipatorischen Lösung kommt, kann ich
persönlich seine Theorie nicht in allgemeinem Sinne als sinnvoll
akzeptieren und verteidigen. Das zweite Problem der bürgerlichen
Theorien ist, dass sie konservativ sind und die Ungleichheit nur
innerhalb der Bourgeoisie kritisieren und nicht davon ausgehen
können oder wollen, dass die Welt anderes gestallten werden kann.
Für Marx ist aber die kapitalistischen Produktionsverhältnisse eine
vorübergehende Phase der Entwicklung der Geschichte der Menschheit
und nicht das Ende dieser Entwicklung. Deshalb sagen wir, dass
marxistische Theorie radikale Theorie ist, radikal bedeutet nach
Wurzel der Sachen zu suchen, anstatt auf der Oberfläche der
Gesellschaft und der Auseinandersetzung zu bleiben. Emanzipatorisch
zu sein in diesem Sinne bedeutet, dass der Marxismus und
Kommunismus sowohl als gesellschaftliche Bewegung für die
Veränderung der Gesellschaft als auch als Theorie die Befreiung der
Menschheit aus kapitalistischen Verhältnissen folgt und versucht
die Menschen, die durch diesen Verhältnissen von ihren Gattung, von
ihren Produkten, von der Gesellschaft usw. entfremdet sind zu
befreien und die Menschheit zu Menschen zurück zu bringen.
Menschheit zu Menschen zurückzubringen meint Marx nicht, dass wie
wieder zur Ackerbau zurückzukehren, sondern mit einer radikaleren
Revolution ungerechte Verhältnisse des Kapitalismus
zusammenzubrechen und Sozialismus und Kommunismus verwirklichen.
Der Unterschied zwischen Marx und allen andern Sozialisten und
Utopisten wird insofern klar, dass Marx strukturell und
systematisch Kapitalismus und Ungleichheit in Frage stellt und die
anderen moralisch und mit primitiven Vorstellung von der Befreiung
und Emanzipation. Marx will die Gesellschaft nach vorne schieben
und unsere Moralisten träumen von Ackerbau und vorkapitalistischen
Gesellschaften. Die marxistische Analyse ist eine dialektische und
fängt bei der Kritik der Realität und Wirklichkeit an. Anders
gesagt ist der Marxismus eine Bewegung, die aus der Realität heraus
als eine Theorie entwickelt wird. Diese Bewegung ist in der
Gesellschaft eine Bewegung, die die Interessen der Unterdrückten
und besonders der letzten revolutionären Klasse (der
Arbeiterklasse) schützt. (Marx 1973b, 20ff)
Wenn das Proletariat die Auflösung der bisherigen Weltordnung
verkündet, so spricht es nur das Geheimnis seines eigenen Daseins
aus, denn es ist die faktische Auflösung dieser Weltordnung. Wenn
das Proletariat die Negation des Privateigentums verlangt, so
erhebt es nur zum Prinzip der Gesellschaft, was die Gesellschaft zu
seinem Prinzip erhoben hat, was in ihm als negatives Resultat der
Gesellschaft schon ohne sein Zutun verkörpert ist. Der Proletarier
befindet sich dann in Bezug auf die werdende Welt in demselben
Recht, in welchem der deutsche König in Bezug auf die gewordene
Welt sich befindet, wenn er das Volk sein Volk wie das Pferd sein
Pferd nennt. Der König, indem er das Volk für sein Privateigentum
erklärt, spricht es nur aus, dass der Privateigentümer König
ist.
Wie die Philosophie im Proletariat ihre materiellen, so findet
das Proletariat in der Philosophie seine geistigen Waffen, und
sobald der Blitz des Gedankens gründlich in diesen naiven
Volksboden eingeschlagen ist, wird sich die Emanzipation der
Deutschen zu Menschen vollziehen. (Marx. Ebd. S 391)
Für Marx ist gesellschaftliche Emanzipation die Emanzipation der
Minderheiten unter Einbezug der Bedingungen, aus denen sich die
Arbeiterklasse emanzipieren muss. Das heißt, dass die Emanzipation
der Menschheit bei Marx den zentralen Punkt darstellt. Er geht
davon aus, dass diese Emanzipation nur stattfinden kann, wenn die
Arbeiterklasse die Revolution in Angriff nimmt und Staat,
Kapitalismus sowie Ausbeutungsmechanismen abschafft. Die Debatten
der Minderheiten und ihrer Emanzipation sind so lange wichtig,
solang sie die Emanzipation der Menschheit nicht widerlegen. Daher
ist es für Marx sehr wichtig, dass die Minderheiten sich von
religiösen und nationalistischen Gedanken befreien können.
Weil das reale Wesen des Juden in der bürgerlichen Gesellschaft
sich allgemein verwirklicht, verweltlicht hat, darum konnte die
bürgerliche Gesellschaft den Juden nicht von der Unwirklichkeit
seines religiösen Wesens, welches eben nur die ideale Anschauung
des praktischen Bedürfnisses ist, überzeugen. Also nicht nur im
Pentateuch oder im Talmud, in der jetzigen Gesellschaft finden wir
das Wesen des heutigen Juden, nicht als ein abstraktes, sondern als
ein höchst empirisches Wesen, nicht nur als Beschränktheit des
Juden, sondern als die jüdische Beschränktheit der
Gesellschaft.
Sobald es der Gesellschaft gelingt, das empirische Wesen des
Judentums, den Schacher und seine Voraussetzungen aufzuheben, ist
der Jude unmöglich geworden, weil sein Bewusstsein keinen
Gegenstand mehr hat, weil die subjektive Basis des Judentums, das
praktische Bedürfnis vermenschlicht, weil der Konflikt der
individuell-sinnlichen Existenz mit der Gattungsexistenz des
Menschen aufgehoben ist.
Die gesellschaftliche Emanzipation des Juden ist die
Emanzipation der Gesellschaft von Judentum. (Marx 1976a, S.
377)
Karl Kautsky schreibt über die Judenfrage:
Wodurch kann diese Feindseligkeit überwunden werden? Am
radikalsten dadurch, dass die den fremdartigen Charakter tragenden
Bevölkerungsteile aufhören, Fremde zu sein, dass sie sich mit der
Masse der Bevölkerung vermischen. Das ist schließlich die einzig
mögliche Lösung der Judenfrage, und alles, was das Aufhören der
jüdischen Abschließung fördern kann, ist zu unterstützen. (Kautsky
1903)
Kautsky war der Auffassung, dass die Überwindung des
Antisemitismus nur mit der „Aufklärung“ und durch revolutionäres
Denken stattfinden kann.
Aber die Eigenart des Judentums ist ein Produkt Jahrtausende
langer Entwicklung, es lässt sich nicht mit einem Male der Masse
der übrigen Bevölkerung assimilieren. Solange dies aber nicht
geschehen, gibt es nur ein Mittel, der Abneigung gegen die jüdische
Eigenart entgegenzuwirken: die Aufklärung der Volksmasse. Diese
Aufklärung ist jedoch nicht in dem Sinne zu verstehen, dass man die
Volksmasse mit Ergüssen moralischer Entrüstung über den
Antisemitismus überschüttet, worin dieser als Schmach des
Jahrhunderts gebrandmarkt wird und dergleichen. Das
Empfindungsleben der Menschen bleibt von Sprüchlein und Ermahnungen
völlig unberührt (…) Wenn den primitiven Menschen von dem
fremdartigen Nachbarn keine tiefgehenden Klassengegensätze trennen,
dann schwindet seine Unduldsamkeit gegen diesen leicht, sobald sein
Horizont sich erweitert, sobald in seiner eigenen Brust Bedürfnisse
und Anschauungen auftauchen, die ihm fremd waren, sobald er
aufhört, das Überkommene als das Natürliche zu betrachten, sobald
er anfängt, es als ein Hindernis seines Aufsteigens von sich zu
weisen. Mit einem Worte, sobald aus dem primitiven, gedankenlos in
den überkommenen Formen fühlenden Menschen ein denkender
Revolutionär wird. Das revolutionäre Denken macht tolerant
gegenüber dem Fremden, der kein Feind ist, und nur eine Aufklärung,
die imstande ist, ein revolutionäres Denken in der Volksmasse zu
entzünden, ist imstande, in dieser den Antisemitismus zu
überwinden, soweit er bloß der instinktiven Abneigung, der
primitiven Beschränktheit gegen den fremdartigen Nachbar
entspricht. (Kautsky 1903)
Nach Kautsky ist revolutionäres Denken neben der Auflösung des
Judentums das beste Gegengift des Antisemitismus. Er schrieb auch
über die jüdische Arbeiterklasse in Russland, die am 1. Mai
protestierte:
An der Infamie von Kischinew ist mitschuldig die
Skrupellosigkeit des internationalen jüdischen und christlichen
Kapitals und seiner Werkzeuge. Die jüdische Solidarität, die
Solidarität der Juden aller Klassen, ist eine leere Redensart
geworden, sobald es sich um mehr handelt, als um ein paar
Bettelpfennige; sobald es gilt, gemeinsam einem mächtigen Gegner
entgegenzutreten. Wahrheit und Wirklichkeit aber ist die
Solidarität der Proletarier aller Zungen, aller Rassen. Im
Klassenkampf des sozialistischen Proletariats verschwindet der so
tiefgewurzelte Gegensatz zwischen dem Neger und dem Weißen in
Amerika, verschwindet in Europa der zwischen dem Juden und dem
„Arier“. Nur in dieser Solidarität findet der jüdische Proletarier
die Kraft, sich seiner Dränger zu erwehren. Je stärker aber die
sozialistische Bewegung, desto sicherer ist auch das gesamte
Judentum davor, dass die irregeleitete Wut verzweifelnder
Volksmassen sich auf das Ghetto ergießt, statt gegen den Zarismus
sich zu wenden, den Hort aller Barbarei. (Kautsky 1903)
Es ist für Minderheiten und Menschen, die gesellschaftlichen
Repressionen ausgesetzt sind, allerdings nicht einfach, sich in
eine Gesellschaft zu „integrieren“, von der sie als „fremd“
bezeichnet und betrachtet werden: Wenn eine Gesellschaft eine
bestimmte Bevölkerungsgruppe über Jahrtausende hinweg als „fremd“
betrachtet, führt das dazu, dass man selbst das Bild akzeptiert,
welches jene Gesellschaft von der Minderheit zeichnet. Der Spruch
„einmal Jude, immer Jude“ untermauert diese permanente,
automatische Unterdrückung. Dies bekräftigte Hannah Arendt einst in
einem Interview: „Wenn du als Jude angegriffen wirst, musst du dich
als Jude verteidigen“. (Arendt 2013)
Wir müssen auch das Recht der Palästinenser/innen nach Hannah
Arendt, die von der Assimilation durch zionistischen Staat
betroffen sind anerkennen und sie aufrufen, dass sie als
Palästinenser/innen und Araber sich gegen den faschistoide Genozid
durch imperialistische Herrschaft des Israels verteidigen, weil sie
wegen Palästinenser und Araber zu sein angegriffen werden.
3. Die Debatte der Nationalität und Religion
Die Definition von Nation und Nationalität ist eine der
komplexeren weltweiten politischen Debatten. Max Weber definiert
Nationen als Menschengruppen, die ein spezifisches
Solidaritätsempfinden anderen gegenüber haben, die zur Wertsphäre
gehören und nicht quantitativ zu beweisen sei. Nation sei sehr
schwierig zu definieren, weil man Nation nicht mit der Rede von
einer bestimmten Gruppe von Menschen verwechseln darf. Weber
versucht, in „Wirtschaft und Gesellschaft“ trotz dieser Problematik
und Widersprüche Nation zu definieren. Zur Definition von Nation
nach Max Weber muss ein Gemeinschaftsgefühl bestimmter Menschen auf
einer Seite und territoriale, bürokratische Aufteilung auf der
anderen Seite zusammengebracht werden. (Baumgarten 1964, S.
156–160) Joseph Stalins Analyse der Nation ist m.E. weit
treffender als jene von Weber:
Was ist eine Nation?
Eine Nation ist vor allem eine Gemeinschaft, eine bestimmte
Gemeinschaft von Menschen.
Diese Gemeinschaft ist keine Rassen- und keine
Stammesgemeinschaft. Die heutige italienische Nation hat sich aus
Römern, Germanen, Etruskern, Griechen, Arabern usw. gebildet. Die
französische Nation ist aus Galliern, Römern, Briten, Germanen usw.
entstanden. Dasselbe muss von den Engländern, Deutschen usw. gesagt
werden, die sich aus Menschen verschiedener Rassen und Stämme zu
Nationen formierten. (Stalin 2004)
Wie Stalin beschrieben hat, ist die Nation keine Rassen- und
keine Stammesgemeinschaft, sondern eine historisch entstandene
Gemeinschaft von Menschen mit bestimmten territorialen und
rechtlichen Besonderheiten. Dennoch sind weder Webers noch Stalins
Darstellung der Nation vollends zutreffend. Der Widerspruch bei
Weber liegt darin, dass man aus Solidarität und vermeintlichen
gemeinsamen Gefühlen eines Volkes nicht die Nation herleiten kann,
da es in jeder Gesellschaft, seien Sprache, religiöse und
ethnologische Zugehörigkeit noch so „homogen“, die Menschen in ihr
gravierende unterschiedliche individuelle Probleme und Interessen
haben. Es liegt auf der Hand, dass lohnabhängig Beschäftigte (wenn
man so will „die Arbeiterklasse“) andere Interessen haben als der
Firmenvorstand, woraus sich also ein nationales Interesse nicht
ableiten lässt. Nach Marx und Engels sollte die Arbeiterklasse viel
mehr das grenzübergreifende Interesse der Emanzipation aus den
ökonomischen Zwängen anstreben, was sie in der Formel „das
Proletariat hat kein Vaterland“ zusammenfassten (Marx und Engels
1972). Auch gibt es Bevölkerungsgruppen, die keine gemeinsame
Sprache, kein (gemeinsames) Territorium, etc. zuerkannt bekommen
haben, die sich als Nation begreifen, aber als Nation international
nicht anerkannt werden, was auf Kurden und Kurdinnen und
Palästinenser und Palästinenserinnen zutrifft.
Nation und Nationalstaat sind eine Erfindung des Kapitalismus
und schaffen Identität, wo keine identitätsstiftende,
gemeinschaftliche Grundlage besteht. Nation wurde mit der
Zerschlagung des Feudalismus im Kapitalismus entwickelt und wird
mit der Auflösung des Kapitalismus verschwinden. Die sozialistische
Revolution vertritt das Interesse der arbeitende Klasse weltweit
und bezieht sich nicht ausschließlich oder positiv auf nationale
Bewegungen, was aber nicht bedeutet, dass die sozialistische
Bewegung das Recht auf die Selbstbestimmung des Menschen und der
Nation widerlegt. Das Recht auf die Selbstbestimmung einer
bestimmten Ethnie oder „Nation“ kann von Marxisten und Marxistinnen
nicht als Emanzipation betrachtet werden. Die Kommunistinnen und
Kommunisten akzeptierten diese demokratische Forderung, aber sie
betrachten sie unter der Voraussetzung allgemeiner Emanzipation vom
Kapitalismus. (Hekmat 1997)
Die Selbstbestimmung der Nationen ist vergleichbar mit der
Selbstbestimmung religiöser Gruppen. Als kritische und radikale
Analyse kann und darf die marxistische den gesellschaftlichen
Fortschritt nicht aufhalten, sondern muss ihn voranbringen. Das
Recht von Menschen auf Religionsfreiheit darf nicht mit der
Selbstbestimmung religiöser Gruppen, die m.E. als
antiemanzipatorisch zu betrachten sind, verwechselt werden. Der
Marxismus entreißt den Menschen nicht mit Zwang die Religion, kann
aber als emanzipatorische Weltanschauung nicht religiöse,
fundamentalistische Selbstbestimmung unterstützen. Deshalb sind die
Kommunisten und Kommunistinnen, die marxistisch die Welt
betrachten, der Auffassung, dass die Entstehung Israels aus
religiösen Gründen nicht hinnehmbar ist, besonders wenn dies durch
Landraub geschieht und Zionismus eine Ideologie der extrem
konservativen und Linksradikalen-feindliche Bewegung der jüdischen
Arbeiterklasse war. Diese Bewegung wurde von großen
imperialistischen Mächten wie Großbritannien gegen den Kommunismus
und die sozialistische Revolution in Russland unterstützt und
Zionismus als eine faschistoide Ideologie mit rassistischen und
religiösen Zügen wurde als zentrale Ansicht der Juden und Jüdinnen
dargestellt. Obwohl der Zionismus durch seine kontrarevolutionäre
Bewegung die Lage der jüdischen Arbeiterklasse, die in Polen und
anderen westeuropäischen Ländern aktiv waren, nicht verbessern
konnte, solidarisieren sich leider immer noch viele sogenannte
Linke in Deutschland mit einem faschistoiden Staat wie Israel, der
als Satellit der USA und Imperium im Nahen Osten funktioniert und
täglich die Rechte von Menschen in Palästina brutal zerschlägt. Wie
Taut darstellt, wurde die jüdische Nation und Diaspora als ein
Mythos erst im 20. Jahrhundert durch den Zionismus erfunden und die
Befreiung der Juden und Jüdinnen vom Faschismus in Deutschland
durch die Gründung eines neuen Nationalstaates befreite weder die
unterdrückten Juden und Jüdinnen, noch brachte er die Emanzipation
der Juden als eine unterdrückte religiöse Gemeinschaft, die
weltweit verteilt war und verschiedenen Nationen angehörte. (Taut
1986) Taut selbst war als Berliner jüdischer Junge nach dem zweiten
Weltkrieg nach Israel geflohen, von wo er später wegen seiner
kommunistischen Einstellung wieder vertrieben wurde. So kam er als
Flüchtling nach Deutschland zurück.
Eine weitere Person mit jüdischen Wurzeln, die aus Israel
vertrieben wurde, war Tony Cliff, einer der einflussreichsten
Marxisten des späten 20. Jahrhunderts. Er schreibt: „Meine Eltern
waren radikale Zionisten. So meinte mein Vater zu mir: ‚einem
Araber kann man nur über Kimme und Korn eines Gewehrs ins Gesicht
blicken‘“. (Cliff 1982)
Einer der größten Fehler in der Debatte um das Judentums ist,
dass es häufig mit einer Nation gleichgesetzt wurde. Kritik daran
wird häufig als Antisemitismus diffamiert, aber wie in der
Einleitung auch erwähnt wurde, ist diese Form des Umgangs nur für
Juden gültig. Mit anderen Worten: Wenn jemand für unterdrückte
Christen oder Muslime einen Nationalstaat fordert, wird er oder sie
gesellschaftlich an den Rand gedrängt. Dieser Umstand hat diverse
Gründe, die in der kurzen Arbeit nicht alle aufgegriffen werden
können, aber mit Bezug auf marxistische Theorie wurde
veranschaulicht, dass die Religion nicht mit Nation verwechselt
werden darf.
Religion und Nation haben viele verschiedene Gemeinsamkeiten,
aber sie sind nicht dasselbe. Religion wird häufig vererbt, Nation
auch. Wer durch Zufall in Deutschland geboren wird, wird
wahrscheinlich die ersten 16 Jahre des Lebens Christ oder Christin
sein und wer aus einer „biodeutschen“ Familie ohne
Migrationshintergrund kommt, trägt auch die deutsche Nationalität.
Es kann sein, dass man seine Religion wechselt, aber es ist sehr
schwer die Nationalität nicht auf dem Papier, sondern in der
gesellschaftlichen Etikettierung zu ändern. Nationalität ist
insofern wie ein Käfig, aus dem Menschen sehr schwer ausbrechen und
sich befreien können. Die Problematik der Nationalität ist
teilweise komplexer als die Problematik der Religion. Religion und
Nationalität haben beide eine entfremdende Funktion für die
Menschen. Wenn Menschen sich neben anderen
Identitätskonstruktionen, die zur Realität geworden sind, mit einer
Nation identifizieren, werden sie von sich als Mensch, von anderen
Menschen und der Gesellschaft entfremdet. (Hekmat 1997)
Nach Jan Rehmann kann in Bezug auf den Doppelcharakter der
Religionskritik von Marx und seine Analyse über Fetischismus, die
Ideologiekritik von Gramsci und die Analyse von Benjamin vom
Kapitalismus als Religion der Begriff der Entfremdung und des
Fetischismus für „Marxisten“ verwendet werden, die aus Marxismus
eine Religion machen wollen. Diese mystifizierende Funktion der
Ideologie gilt für die Marxisten, die Marx und den Marxismus wie
heilig betrachten und damit unkritisch umgehen. (Rehmann 2015,
30ff)
Karl Kautsky schreibt in einem Buch über die Debatte von
Religion und Nation sowie über die Judenfrage:
Diese Eigenart ist kein Schein, sondern Wirklichkeit, ob sie
aber dem Charakter der jüdischen Rasse entspringt, könnte man erst
dann entscheiden, wenn man sicher wüsste, was eine Rasse eigentlich
ist. Wir brauchen aber gar nicht diesen Begriff, der keine
wirkliche Antwort gibt, sondern nur neue Fragen aufrollt. Es
genügt, die Geschichte des Judentums zu verfolgen, um über die
Ursachen seines Charakters klar zu werden. Wir finden die Juden in
Palästina, als Besitzer eines Berglandes, das von einem gegebenen
Moment an nicht mehr ausreichte, seinen Bewohnern eine ebenso
behagliche Existenz zu gewähren, wie sie ihre Nachbarn hatten.
(Kautsky 1903)
Die Debatte über Nation ist ein „moderner“ Diskurs, der mit der
Entstehung der Nationalstaaten verknüpft ist, aber die jüdische
Religion ist eine Religion, die tausende Jahre Geschichte hinter
sich hat, weswegen niemand Juden als eine Nation, aber auf der
anderen Seite Zugehörige anderer Religionen mit unterschiedlichen
Nationen bezeichnen kann. Wenn man aus der Religion Nation schaffen
will, muss man bei den Anhängern aller Religionen akzeptieren, eine
Nation zu gründen. Ist der bürgerliche Staat in einem Land wie
Deutschland in der Lage, das Recht der Muslime als eine Nation zu
akzeptieren und innerhalb von Deutschland einen islamischen Staat
für sie zu gründen? Wenn der bürgerliche Staat in Deutschland das
Recht aller Minderheiten auf Selbstbestimmung in der Praxis
akzeptieren würde, müssten wir Israel nicht mehr als kolonialen
Apartheidstaat darstellen. Die Zahl der sogenannten Muslime beläuft
sich weltweit auf bis zu eineinhalb Milliarden
Menschen[footnoteRef:1], obwohl viele von ihnen selber nicht
wissen, dass sie ohne ihre Zustimmung für die Statistik ausgenutzt
werden. Der Islam versuchte von Anfang an, die Menschen ideologisch
zu assimilieren und die ganze Welt zum Islam zu konvertieren.
Deswegen wurden in seiner Geschichte immer auch andere Länder durch
islamische Herrscher angegriffen, sowohl im Zeitalter Mohammeds als
auch danach. Menschen, die nicht in der Lage waren, eine Kopfsteuer
zu bezahlen oder sich weigerten, Muslime zu werden, wurden von
Islamisten geköpft. [1: Anzahl der Muslime weltweit von 1992 bis
2004 (in Millionen):
https://de.statista.com/statistik/daten/studie/159012/umfrage/anzahl-der-muslime-weltweit/]
Die Geschichte des Judentums, Christentums, Buddhismus und
anderer Religionen sind nicht schöner als die Geschichte des Islam,
aber ich werde an dieser Stelle nicht auf die Geschichte aller
Weltreligionen eingehen, sondern herausstellen, dass die
Verwechslung von Staat und Nation teilweise faschistische Züge
annimmt. Der Islamische Staat, der der islamischen Macht im
Zeitalter des sogenannten Propheten Mohammed folgt, sucht auch nach
einer neuen „Nationalität“: Durch den islamischen „Umma“ (Nation
oder Volk) wird versucht, die Welt zu „islamisieren“. Wenn die
imperialistischen Mächte im Namen des Schutzes der Juden deren
Recht auf einen eigenen Staat anerkennen, müssen sie dies für alle
anderen religiösen Minderheiten auch. Sie tun dies aber trotz ihrer
formalen Forderungen in ihren Gesetzen in Bezug auf
Religionsfreiheit und Meinungsfreiheit nicht.
Meinungsfreiheit existiert im bürgerlichen Staat für diejenigen,
welche die Möglichkeit haben, Kapital zu akkumulieren. Für die
Mehrheit der Arbeiterklasse gibt es nur zwei „Freiheiten“: Sie sind
„frei“, zwischen dem Hungertod und dem langsamen Tod als moderne
Sklaven zu wählen. Was in der Ideologie der herrschenden Klasse als
Demokratie und Freiheit bezeichnet wird, ist für uns Marxisten
nicht mehr als die Modernisierung der Sklaverei. Demokratie darf
nicht mit Freiheit verwechselt werden. (Hekmat 1993)
Der Krieg der islamischen und der christlichen Welt im
Mittelalter war von beiden Seiten durch den Versuch geprägt, die
eigene Ideologie zu verbreiten und die Menschen zu assimilieren:
Während das Christentum darauf aus war, die Welt zu beherrschen,
wollten Muslime andere Volksgruppen zum Islam konvertieren. Dies
deckt sich nicht mit dem Diskurs von Nationalität, weil
Nationalität mit der Entstehung des Nationalstaats verbunden ist.
Was aber heutzutage mit Bezug auf Nationalität und Nation mit
Menschen gemacht wird, wurde damals durch die Religion, den
Kolonialismus, die Ausbeutung der anderen Völker verwirklicht.
Das Selbstbestimmungsrecht der „Nationen“, wenn wir eine
bestimmte Gruppe der Bevölkerung als „Nation“ bezeichnen und die
Widersprüche der „Nation“ zuerst außenvorlassen wollen, ist ein
Menschenrecht, das sowohl von anderen Bevölkerungsgruppen als auch
von den Nationalstaaten akzeptiert werden muss.
Das Selbstbestimmungsrecht der Nationen bedeutet ausschließlich
das Recht auf Unabhängigkeit im politischen Sinne, auf die Freiheit
der politischen Abtrennung von der unterdrückenden Nation. Konkret
bedeutet diese Forderung der politischen Demokratie die volle
Freiheit der Agitation für die Abtrennung und die Lösung der Frage
über die Abtrennung durch das Referendum der betreffenden, d.h. der
unterdrückten Nation, so dass diese Forderung nicht der Forderung
der Abtrennung, der Zerstückelung, der Bildung kleiner Staaten
gleich ist. Sie ist nur ein folgerichtiger Ausdruck für den Kampf
gegen jegliche nationale Unterjochung. (Lenin 1960)
Lenin als einer der wichtigsten Charaktere der kommunistischen
Bewegung und Theorie weltweit sprach sich für die Selbstbestimmung
der Nationen bis zur Trennung von der unterdrückenden Nation aus.
Die Oktoberrevolution hat in der Praxis die Rechte aller Nationen
zur Gründung eines neuen Nationalstaates unterstützt, wobei
Finnland das einzige Land war, dass sich in einer demokratischen
Abstimmung hierfür entschied. Gleichzeitig forderte er, dass die
Kommunisten und Kommunistinnen jeden Kampf gegen den Imperialismus
nutzen sollten, um die sozialistische Revolution zu verbreiten. Er
ging davon aus, dass der Kampf für die Befreiung der Nationen als
antiimperialistische Kämpfe den Weg für den Sozialismus und die
internationale Revolution ebnen kann. Die Praxis zeigte in den
meisten Fällen, dass seine Analyse über die nationale Befreiung der
unterdrückten Nation als Vorbereitung des Sozialismus nicht
zutrifft. Beispiele hierfür sind Länder wie Indien, Türkei, Iran,
Irak, Ägypten und viele Länder Südamerikas. Dies muss nicht
bedeuten, dass seine These von Grund auf falsch war. Auf
theoretischer Ebene sollten Kommunisten und Kommunistinnen das
Recht auf Selbstbestimmung der Nationen und Minderheiten
akzeptieren und absolut demokratisch damit umgehen, auf
realpolitischer Ebene müssen sie sich an Rosa Luxemburgs Umgang mit
der Debatte orientieren. Luxemburg sprach sich gegen die
Selbstbestimmung der Nationen in Polen aus, weil diese von einer
rechten Partei mit faschistischem Flügel vertreten wurde. Von ihrer
Position versuchte sie, Lenin zu überzeugen. (Plener 2009, S.
46)
Der Kampf für die Befreiung der Nationen kann nicht immer
progressiv und links seien. Es gibt oft auch kontrarevolutionäre
Kräfte, die die Forderung einer bestimmten nationalen Minderheit
vertreten wollen und das Potential einer Bewegung ausnutzen. Die
Kommunisten werden nicht ihre Feinde selber füttern. (Draper
1969)
Das Ziel des Sozialismus ist nicht nur Aufhebung der
Kleinstaaterei und jeder Absonderung von Nationen, nicht nur
Annäherung der Nationen, sondern auch ihre Verschmelzung. Und eben,
um dieses Ziel zu erreichen, müssen wir einerseits die Massen über
den reaktionären Charakter der Idee von Renner und Bauer
(sogenannte „national-kulturelle Autonomie“) aufklären, anderseits
aber die Befreiung der unterdrückten Nationen nicht in allgemeinen
weitschweifigen Phrasen, nicht in nichtssagenden Deklamationen,
nicht in der Form der Vertröstung auf den Sozialismus, sondern in
einem klar und präzis formulierten politischen Programm fordern,
und zwar in spezieller Bezugnahme auf die Feigheit und Heuchelei
der „Sozialisten“ der unterdrückenden Nationen. Wie die Menschheit
zur Abschaffung der Klassen nur durch die Übergangsperiode der
Diktatur der unterdrückten Klasse kommen kann, so kann sie zur
unvermeidlichen Verschmelzung der Nationen nur durch die
Übergangsperiode der völligen Befreiung, das heißt
Abtrennungsfreiheit aller unterdrückten Nationen kommen. (Lenin
1960)
4. Fazit und Zusammenfassung
Eine so komplexe Arbeit mit komplexen Konstruktionen
zusammenzufassen ist sehr schwer, weshalb ich versuche, neben der
Zusammenfassung meine persönlichen Vorstellungen von der
Emanzipation von der Religion, Nationalität und Identität zu
beschreiben und mit meiner persönlichen und politischen Erfahrungen
als ein Aktivist mit vielen Identitäten (Kommunist, Atheist, Kurde,
Flüchtling, Student, Autor, Übersetzer, Nichtbürger usw.)
zusammenzubringen. Für viele dieser Identitäten habe ich nicht
entschieden in einer verkehrten Welt, in der die Ideologie der
Mehrheit der Bevölkerung verkehrt und mystifizierend ist. In einer
Welt, in der für Menschen tausend unterschiedliche Identitäten und
Konstrukte geschaffen werden und die Entfremdung des Menschen von
der Welt produziert und reproduziert wird, kann man sich als ein
Mensch mit zu Realität gewordenen Konstrukten nur schwer befreien.
Nach Marx braucht die verkehrte Welt, der Kapitalismus, aber eben
diese Konstruktionen von Identität für ihr fortbestehen. An der
Frage der Religion und spezifischer des Judentums wurde dies
exemplarisch in dieser Arbeit versucht nachzuvollziehen.
Die Auseinandersetzung mit der Religionskritik von Marx ist eine
komplexe Auseinandersetzung mit einer Welt, die die Religion für
das Aufrechterhalten von sich und bestimmten Strukturen braucht,
die diese verkehrte Welt schützen wollen. Marx versucht zu zeigen,
dass die theologische Auseinandersetzung mit der Religion im Sinne
von Feuerbach und Linkshegelianern für ihn zum Ende gekommen ist
und er stellt heraus, dass er Religion materialistisch und
dialektisch widerlegt, was bei Feuerbach oder Bauer fehlte. Marx
schreibt in seinem Aufsatz „Zur Judenfrage“: „Nachdem die
Geschichte lange genug in Aberglauben aufgelöst worden ist, lösen
wir den Aberglauben in Geschichte auf.“ (Marx 1976a, S. 352)
Marxistische Religionskritik ist insofern keine theologische
Auseinandersetzung mit der Frage, ob Jesus existierte, bestimmte
Zitate wörtlich oder sinngemäß von Gott stammen oder dergleichen.
Der Marxismus versucht, die Kritik am Himmel zur Kritik an der Erde
(der Politik, dem Recht, dem Staat, den Verhältnissen) zu
entwickeln, weil Marx davon ausgeht, dass die Menschen Religion
schaffen und nicht umgekehrt die Religion die Menschen. (Rehmann
2015, 34ff)
Bertolt Brecht schreibt in seinen Gedichten über Herr
Keuner:
Frage, ob es einen Gott gibt
Einer fragte Herrn K., ob es einen Gott gäbe. Herr K. sagte:
"Ich rate dir, nachzudenken, ob dein Verhalten je nach der Antwort
auf diese Frage sich ändern würde. Würde es sich nichtändern, dann
können wir die Frage fallenlassen. Würde es sichändern, dann kann
ich dir wenigstens noch so weit behilflich sein, daß ich dir sage,
du hast dich schon entschieden: Du brauchst einen Gott. (Brecht
1971)
Brecht als einer der größten Denker seiner Zeit, ein Marxist und
wichtige Persönlichkeit im Theater, ein internationaler
Schriftsteller, der sich mit der Religion und insbesondere dem
Christentum beschäftigte, stellt die Frage nach der Existenz Gottes
materialistisch dar und zeigt genau, dass die Veränderung unseres
Verhaltens und unserer Praxis in Bezug auf die Auseinandersetzung
mit der Religion sehr wichtig ist, weswegen W.F. Haug Brecht als
Vertreter der Philosophie der Praxis bezeichnet. (Haug 2006)
Marx und Engels sind der Meinung, dass die bürgerliche
Emanzipation keine Emanzipation für die Unterdrückten sein kann,
weil die Bourgeoisie die Form der Unterdrückung restauriert hat,
anstatt sie abzuschaffen. Der bürgerliche Staat und der
Kapitalismus sind die Modernisierung der Sklaverei unter dem
Begriff der Freiheit und Demokratie. Die Arbeiter sind keine
Sklaven im klassischen Sinne. Sie sind formal frei, Verträge
abzuschließen, aber diese „Freiheit“ ist an den Zwang des
Überlebens gebunden. Sie sind mit anderen Worten gezwungen, diese
Verträge abzuschließen, um ihr Weiterleben zu sichern. Deshalb
können sie die bürgerliche Freiheit, oder besser gesagt die
Freiheit für die Ausbeuter, nicht als Emanzipation und Freiheit
darstellen, sondern bezeichnen sie zurecht als Modernisierung der
Sklaverei. Kapitalismus ist insofern nach Marx und Marxisten wie
Lenin und Benjamin nicht nur eine Form der Produktionsweise, die
gegen die Freiheit der Mehrheit der Gesellschaft in der Praxis
funktioniert, sondern eine Religion, die Ungleichheit und moderne
Sklaverei durch die Kulturindustrie als Natürliches darstellt. Wenn
sich die Religion in vorkapitalistischen Gesellschaften als Lehre
und Herrschaft Gottes auf der Erde im Körper des Königs
manifestierte, ist sie in heutigen kapitalistischen Gesellschaften
eine staatlich unterstützte, mafiöse Institution, die durch die
Verdummung der Unterdrückten das Kapital aufrechterhalten und die
barbarischen Verhältnisse reproduzieren will. Das Paradoxe hieran
ist die Selbstdarstellung der westlichen Staaten als säkular,
während Christentum und Politik personell wie materiell untrennbar
miteinander verwoben sind. Als Quelle des Antisemitismus schreiben
sich christliche Akteure die Bekämpfung des Antisemitismus groß auf
die Fahne und nutzen diese Debatte gegen geflüchtete Menschen als
die Unterdrücktesten der Unterdrückten in dieser Gesellschaft.
Die Emanzipation der Menschheit ist für Marx wie bereits erwähnt
eng mit der Philosophie der Praxis verbunden. Der Kopf der
Emanzipation der Menschen ist die praxisorientierte Philosophie,
das Herz dieser Emanzipation ist das Proletariat, eine Klasse, die
außer ihren Ketten nichts zu verlieren hat, aber eine emanzipierte
Welt für sich und für die Menschheit mit ihrer Praxis verwirklichen
kann. Daher muss man die marxsche und die marxistische Theorie
verstehen und aus dieser Perspektive die Emanzipation der
religiösen Minderheiten, unterdrückten Nationen und alle
marginalisierten Menschen betrachten. Jede Kritik und
Auseinandersetzung mit der Emanzipation ohne die Philosophie der
Praxis bleibt blind und zurückgeblieben und kann keine Lösung für
die Befreiung der Menschheit herbeibringen.
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