19.09.18 1 Warum der Mensch bewusst wurde Die Sicht des Neurowissenschaftlers C. W. Hess Neurologie Bern 18. September 2018 ¶ „qualitativ“: Bewusstseinsstörungen: stark vereinfacht Grosshirnrinde Zwischen- & Mittelhirn Delirium = verwirrt und wach (evtl. sogar erregt) Wachkoma = bewusstlos und wach „quantitativ“: somnolent (pathologische Schläfrigkeit) soporös (nur für kurze Zeit «weckbar») komatös (pathologische Bewusstlosigkeit) ≈ Zustand totaler Demenz
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Transcript
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Warum der Mensch bewusst wurdeDie Sicht des Neurowissenschaftlers
bewusst – unterbewusst – unbewusst(Begriffe werden uneinheitlich gebraucht)
unterbewusst (engl. subconscious, franz. subconscient):Grundsätzlich bewusstseinsfähige oder bewusstseinsnahe Inhalte unterhalb der Bewusstseinsschwelle, die durch Reflexion bewusst gemacht werden können. Unbewusste Inhalte stehen ausserhalb des Fokus der Aufmerksamkeit.
unbewusst (engl. unconscious, franz. inconscient):Überbegriff, der auch Inhalte (Information) umfasst, welche dem Bewusstsein grundsätzlich nicht zugänglich sind. Darunter kann theoretisch sogar die Erbinformation (genetische Codes) des jeweiligen Menschen subsummiert werden. (letzteres liegt aber natürlich klar ausserhalb der Psyche!)
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1846
Carl Gustav Carus (1789 -1869)Mediziner, Universalgelehrter, Kunstmaler
„Entdecker“ des Unbewussten
bewusste und unterbewusste Verarbeitung dargebotener Stimuliam Beispiel eines akustischen Reizes
Dehaene S. & Changeux J-P. Neuron 2011; 70: 200-227
bewusst wahrgenommen
fMRI
Hörrinde
Schläfenlappen
Hirnrinde(rechte Hirnhälfte)
hörbarer Laut knapp unhörbarer Laut
nur unterbewusst wahrgenommen(beeinflusst z.B. nachweislich unmittelbar nachfolgende mentale Vorgänge!)
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Dehaene S. Neuron 2011; 70: 200-227
von der unterbewussten zur bewussten Verarbeitung
schematisch dargestellt am Bsp. eines visuellen Reizes
(subconscious processing)
kon$nuierliches Emporarbeiten entlang der hierarchischen Gliederung der sensorischen Areale - aber nicht weiter
zusätzlicher Einbezug höherer Zentren im Scheitel- und Vorderlappen über lange, reziproke Verbindungen→ kohärente Repräsentation im Bewusstsein
Hirnrinde(rechte Hirnhälfte)
nur unterbewusst wahrgenommen bewusst wahrgenommen
Bereitschaftspotential Bewegung der rechten Hand
Kornhuber H.H. & Deeke L. Pflügers Archiv für die gesamte Physiologie 1965;284:1-17
EEG = Hirnströme
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B
Benjamin Libets Experiment (1983)
-
-550 ms -200 ms -100 ms 0 ms
Beginn desBereitschaftspotentials
W
„bewussterWillensakt“
B
Bewegungbeginnt
LIBET, B. et al. Brain 1983;106:623-42
EEG = Hirnströme
Max Planck Institute for Human Cognitive and Brain Sciences, Stephanstrasse 1A,
04103 Leipzig, Germany
Libet-Experiment weiter entwickelt:
Mittels fMRI –Aktivität den bewussten Entscheid „in Voraus“ entziffern
Soon C S et al. Nature Neuroscience 2008; 1:543-545
L oder R
Dekodierung des Ergebnisses von Entscheidungen,bevor sie bewusst werden. Farbcodierte Hirnareale zeigen Regionen, in denen das spezifische Ergebnis einer motorischen Entscheidung dekodiert werden konnte, bevor sie scheinbar getroffen wurde (grün auf der nächsten Folie). Das Diagramm (Folie unten) stellt für jeden Zeitpunkt separat die Genauigkeit dar, mit der die freie Wahl des Probanden, den linken oder rechten Knopf zu drücken, aus dem räumlichen Muster der Gehirnaktivität in diesem Bereich entschlüsselt werden konnte. Die vertikale rote Linie zeigt den frühesten Zeitpunkt, zu dem die Probanden subjektiv die Wahl bewusst getroffen hat.
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Beobachter (“von aussen“) kann die getroffene Wahl entziffern bevor der Proband subjektiv bewusst entschieden hat!Technik der multivarianten
Mustererkennnung im fMRI
Soon, Ch S et al. Nature Neuroscience 2008; 11:543-545
Bewusstwerdendes Entscheides
ob links oder rechts
Knopfdruck
frühester Vorhersagezeitpunkt
Time (s)
Konsequenzen aus Benjamin Libets Experiment
- zuerst viel Skepsis & v.a. methodologische Kritik
- Befürchtungen bezüglich des „freien Willens“ etc. (Libet selbst sah den freien Willen durch seine Experimente nicht in Frage gestellt)
- Experimente seither mit besserer Methodik reproduziert & Resultate bestätigt
inzwischen weitgehend akzeptierte Erkenntnisse:
- viele, wenn nicht alle, selbst initiierten Handlungen entstehen unbewusst (reflexive Handlungen als unmittelbare Reaktion auf äusseren Reiz ohnehin)
- introspektiv erhobene Erkenntnisse sind oft verzerrt & trügerisch(sog. „Erst-Person-Priorität“ ist eine Illusion,engl. „first hand knowledge“ der Introspektion ist nicht zuverlässig!)
Funktion / biologischer Sinn des begrifflichen Bewusstseins?
notwendig für:
➜ ungewohnte Situationen, schwierige Problemewenn wir nicht wissen, was uns erwartet
grosse Palette kritischer Informationen muss „aktiv gehalten werden“ werden oder rasch aus dem Langzeit-Gedächtnis abrufbar sein ➜ Lösung finden
➜ komplexe & abstrakte Inhalte & deren verbale Kommunikation das begriffliche Bewusstsein ermöglicht die Ausbildung von Ideen, theoretischen Konzepten, Werten, Normen, übergeordneten Idealen, religiösen Vorstellungen etc.
➜ Entwicklung menschlicher Kulturen
für was braucht es überhaupt ein Bewusstsein ?
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„kogni&ve Revolu&on“ des Homo sapiens vor etwa 70‘000 Jahren(Y N Harari)
stark erweiterte kognitive Fähigkeiten des Bewusstseins :
- erstmals abstraktes & symbolisches Denken: hierarchische Konzepte mit Bezeichnungen für KategorienAnalyse der Vergangenheit – Planung in die ZukunftBezeichnung für immaterielle & imaginäre (vorgestellte, nicht existente) Dinge Legenden, Mythen, Götter – religiöse Überzeugungen (Grabbeigaben!)Werte, Normen, übergeordnete Ideale (für die man zu kämpfen bereit war)
- parallele Entwicklung der Sprache (ikonisch ➜ symbolisch)
- ermöglichte die Bildung grosser kohärenter Menschengruppen und menschlicher Kulturen (➜ Völker, Nationen, Staaten)
Yuval Noah Harari: Sapiens: A Brief History of Humankind, Vintage London 2011
Präfrontaler Kortexsteht im Dienste der differenzierten kognitiven, Handlungs-bezogenenund emotionellen Funktionen inklusive Persönlichkeit / Charakter
Sulcus c
entralis
motorischprämotorisch
prä-frontal
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Der präfrontale Kortex (vereinfacht)
steht im Dienste der differenzierten kognitiven, Handlungs-bezogenen
und emotionellen Funktionen inklusive Persönlichkeit / Charakter
Neugierde, Willen,
entscheiden, handeln
Gefühlskontrolle
Antrieb
Konfliktmanagement
soziale Wahrnehmung
Motivation, Emotionen
Humor (re > li)
Selbstkontrolle, Urteilsvermögen
Ethik, Empathie, EinfühlungsvermögenProf. Ch. W. Hess
bewegen
Kleinhirn
linke Hirnhälfte
rechte
Hirnhälfte
10-12 Tage
3-4 Monate
8 Monate
2 Jahre
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Einige Meilensteine bei der Bewusstseinsentwicklung des Säuglings und des Kindes
Ähnlich könnte sich das Bewusstsein in der Evolutionsgeschichte des Menschenentwickelt haben, nach dem Prinzip Ontogenese ≈ Phylogenese.(biogenetsche Grundregel nach Ernst Haeckel)