Wahrnehmungsstörungen in der Adoleszenz Fortbildung der psychosomatischen Abteilung Kinderkliniken Darmstadt am 12.11.2016 Dr. Norbert Kohl
Wahrnehmungsstörungen in der Adoleszenz
Fortbildung der psychosomatischen Abteilung Kinderkliniken Darmstadt am 12.11.2016
Dr. Norbert Kohl
Buchstabensalat
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Wichtige Aspekte der Wahrnehmung
n Wahrnehmung dient evolutionär dem Überleben
n Wahrnehmung ist abhängig von Aufmerksamkeit
n Wahrnehmung ist abhängig von Reizstärke und der Bedeutung des Reizes
WahrnehmungsstörungenBegriffe und Definition
n Halluzination, Trugwahrnehmungn Pseudo-Halluzinationn Hypnagoge/hypnopompe Halluzinationen n Photomen Visionenn Illusionäre Verkennungen n Pareidolien/eidetische Bildern Positive spontane visuelle Phänomene PSVPn Delir, Psychose
Halluzinationen
n Ident: Sinnestäuschungen/Trugwahrnehmungenn Wahrnehmung ohne externe Reizgrundlage, wird für
real gehalten (ansonsten Pseudo-Halluzination)DD Wahnwahrnehmung (reale Wahrnehmung bekommt besondere, wahnhafte Bedeutung)
n Halluzination kann alle Sinne betreffen:akustische, optische, olfaktorische, gustatorische, taktile, haptische, zoenaesthetische/Leib-Halluzinationen
n Unterschiede im Wahrnehm.charakter, in Intensität, Klarheit, Realitätsurteil
Halluzinationen 2n Physiologische Halluzinationen
hypnagoge H. beim Einschlafen, hypnopompe H. beim Aufwachen, meist mit stark gefühlsbestimmten Inhalten
n Pseudohalluzinationenohne Wirklichkeitscharakter, „nicht v. anderen gemacht“,„nicht wirklich“, „eingebildet“; bei spezieller Gemütslagefliess. Übergang zu H., auch bei medik. Behandlg. von H.
n Illusionäre VerkennungenFehldeutungen von tatsächlichen Sinneseindrücken, z.B. Schatten als Gestalt, Übergänge zu echten H. und Wahn, Vorkommen bei Übermüdung, Fieber, st. Gefühlen u.a.
Sonstige Wahrnehmungsstörungen
n PareidolienHineinsehen in unklar strukturierte optische Erlebnisfelder,z.B. Wolken, Tapeten. Nebeneinander von Gegenstand und Phantasiegebilde
n Eidetische Bilder (bildhafte Vorstellungen)n Photome
Blitze, Funken, geometr. Figuren, Farben b. Migräne/Epil.n Visionen
szenisch ausgestaltete, detaillierte Bilder/Szenen/Gestalten,Allegorisch od. mytholog. i.R. religiöser Ekstase, Meditation
Einflussfaktoren für Störungen der Wahrnehmung
n Deprivationn starke Gefühle, bes. Angstn Schlafentzugn Drogen, Alkoholentzug n Delir, Fieber, Migräne n Psycho-Traumatan Migration, Entwurzelungn Meditation
Neurobiologie und Wahrnehmungsstörung
n Späte Reifung des präfrontalen Cortex und Umbau in der Vernetzungsarchitektur des Gehirns
n Verminderung hemmender Einflüsse (GABA-erges System)n Einfluss Sexualhormone auf Neurotransmitter u. Subcortex n Reizfilterschwäche (als genetische oder erworbene TL-Störung)n Bei weiblichen Ratten verstärkte Apoptose im visuellen Cortex in
der Adoleszenzn Wahrnehmunsstörungen und Derealisation/Depersonalisation
provozierbar bei elektr. Stimmulation bestimmter Hirnregionen
Wahrnehmungsstörungen bei Erkrankungen
n Organ. Krankheiten (Demenz, Epilepsie, SHT)n Störungen der Sinnesorganen Drogen und Alkoholn Adoleszenzkrisen n Dissoziative Störungenn Postraumat. Belastungsstörung n Borderline Persönlichkeitsstörungn Psychosen (Schizophrenie u.a.)
Schizophrenien Tiefgreifende Störung des Realitätsbezuges
n Am Anfang oft: Leistungsknick, sozialer Rückzugn Im Verlauf u. bei Hebephrenie oft Minussymptomatik
(kognitive Defizite bezügl. Konzentration u- Leistungsfähigkeit, Antriebsarmut, Interesselosigkeit, Affektverflachung)
n Unspezifische Prodromi im Jug.alter (Sinnestäuschungen Fremdheitsgefühl, Identitätsdiffusion, Depression, Rückzug, Gedankenfülle, Leeregefühl, Derealisation, Depersonalisation)
Leitsymptome: n Formale Denkstörungen (Zerfahrenheit, Verlangsamung,
Hemmung, Gedankenabreissen)n Inhaltliche Denkstörungen (Wahnvorstellungen)n Störungen der Wahrnehmung (z.B. kommentierende
und/oder dialogisierende Stimmen) n Störungen der Affekte und des Antriebs (Parathymie,
Affektverflachung, Interesseverlust, soz. Rückzug) n Ich-Störungen (Gefühl, im Denken, Handeln und Fühlen von
Außenkräften beeinflusst und gesteuert zu werden)n Störung der Psychomotorik (Kat. Stupor, Erregungssturm)
DD borderline-Störungn Seltener Psychosen in Familienanamnesen Selten Reduktion des energet. Potentialsn Selten formale Denkstörungenn Selten sozialer Rückzug
n Seltener Cannabis-Konsumn Seltener kognitive Besonderheitenn Seltener Entwickl.verzögerung u. neurolog. soft signsn Seltener formale Denk- und schwere Ich-Störungen
borderline-Störung n Oft Traumatisierung (v.a. sex. Missbrauch) in der
Vorgeschichte n Typisch: emotionale Instabilität und Impulsivitätn Spezif. Gegenübertragung (projektive Identifikation)
n Häufig Wahrnehmungsstörungen, aber nicht so langdauernd und konsistent wie bei Psychosen, v.a. visuelle Pseudo-Halluzinationen, die Angst machen, von denen sich der Pat. kann aber distanzieren kann
Frankfurter Beschwerdefragebogen
n Manchmal läuft alles wie im Film…n Manchmal das Gefühl, der Boden würde sich heben
oder Wände/Gegenstände kämen auf mich zu ....n Im Spiegel sah ich so fremd für mich aus…..n Es sind zuviele Gedanken gleichzeitig da….. n Zeitweilig ist mein Gehirn wie leergefegt….n Ich kann mich nicht mehr richtig freuen….n Alles Ungewohnte beunruhigt mich…..n Manchmal sehe ich was und bin nicht sicher, ob ich
es mir nur vorstelle ……..
Depersonalisations-und Derealisations-Syndrom
n ICD 10: Andere neurotische Störungen F 48.1
n Selbst- und Objekterleben als verändert, fremd, unwirklich, fern, leblos, unwirklich
n Emotionsverlust, Entfremdungsgefühl, Loslösung von eig. Denken, vom Körper, von der Umwelt
n evtl. Veränderung Gedächtnis (blass, undeutlich, fern) und visuelle Wahrnehmung (neben sich stehen) und Zeitgefühl
n unterschiedliche Dauer: Sekunden bis Tage/Wochen/Monaten führt zu Beunruhigung und Ängsten, Realitätsprüfung intakt
Depersonalisations-und Derealisations-Syndrom
Differentialdiagnose: n Dissoziative Identitätsstörungn borderline-Persönlichkeitsstörungn PTBS und Angststörungn Praepsychose
Auftreten u.a. auch bei Depression, Zwangsstörung, burn-out, schizotyper Störung, Epilepsie, Migräne, Multiple Sklerose
Bei Gesunden unter Stress, Müdigkeit, Meditation, Drogenkonsum
Wahrnehmungsstörungenin der Adoleszenz
n Hauptursache: dissoziative Identitätsstörung Fast jede adoleszenztypische Depersonalisation geht mit Wahrnehmungsstörungen, subjektiven Denkstörungen u. Störungen d. Körperwahrnehmung einher. (Resch, 1998)
n Häufige Einflussfaktoren in Adoleszenz: n Cannabis und Amphetamin-Konsum n Schlafmangel und exzessiver Bildschirmkonsumn Angst, Einsamkeit/Deprivation, Entwurzelungn Trauma-Erleben (auch transgenerational)
Wann medik. Therapie
n Bei Verdacht auf Prodromalstadium einer Psychosen Bei ausgeprägten Basisstörungen bzw. bei
Wahrnehmungs- + zusätzlichen Denkstörungen
n Bei akuter Symptomatik i.R. einer PTBS n Bei schwerer Störung der Körperwahrnehmung und
Einengung des Denkens bei Anorexia nervosan Als „ex juvantibus-Therapie“
Welche medik. Therapie
Neuroleptika (zustimmungspflichtig, da off-label-use)n Quetiapin (25 – 100 mg/d)n Aripiprazol (5 -10 mg/d)
n bei addit. Stimmungslabilität: Sulpirid (50 -100mg/d)n bei Anorexie ggfs.: Olanzapin (2,5 -10 mg/d)
PS: Unter Neuroleptika werden Halluzinationen oft zu Pseudo-Halluzin.
Ausblickn Wahrnehmungsstörungen in der Adoleszenz sind
häufig, Psychosen selten (Prävalenz ínsges. 1% -unter 18 J. 0,25 %), aber häufig Beginn in Post-A.
n Wichtige Diff.diagnosen müssen abgeklärt werden, insbes. Drogenkonsum, Dissoziation und PTBS
n Früherkennung von Psychosen ist wichtig, da Vorteile durch frühe medik. Behandlung
n Medik. Behandlg. bei Prodromalstadien umstrittenn Psychosen und BPS sind noch immer Verlaufs- und
keine Querschnittsdiagnosen
Literatur
n Fegert et al: Kompendium Adoleszenzpsychiatrie, Schattauer 2011, darin v.a.: Spitzer, Neurobiologie der Adoleszenz
n Mehler-Wex/Schriml: Schizophrenie – Erste Sympt. bei Kindern u. Jugendl., Neurotransmitter, 1/2013
n Damman/Walter; Zur Diff.diagnose psychotischer Symptome bei Jugendlichen u. jungen Erwachsenen mit BPS, Psychiatr. Praxis 2003
n Uhlhass/Konrad, Das adoleszente Gehirn, Kohlhammer 2011n E. Kasten, Die irreale Welt in unserem Kopf, München 2008