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73 Kapitel 6.Gewiheit durch Konvergenz
Als Voraussetzungen der exakten Wissenschaften haben sich
imvorigen Kapitel ergeben: Das reale Dasein der Krperwelt,
dieZuverlssigkeit der Erinnerung, die Mglichkeit sprachlicher
Verstndigungund einer Gewiheit aufgrund der Aussagen anderer
Menschen, die Geltungder Induktion, die Mglichkeit geschichtlichen
Wissens. Alle dieseVoraussetzungen lassen sich durch die Methoden,
die der Positivismus alsallein rechtmig anerkennt, nicht begrnden.
Lassen sie sich berhauptbegrnden, und wenn ja, wie?1. Frage nach
den Kriterien der Wahrheit.
Wir stehen hier vor der Notwendigkeit, die Reexion ber
dieMglichkeit, wie berhaupt die Wahrheit von Aussagen begrndet
werdenkann, weiterzufhren. Die Frage, um die es sich handelt, wird
vor allem seitdem vorigen Jahrhundert unter dem Titel des
Kriteriums der Wahrheitbehandelt. Wir haben das Problem schon im 2.
Kapitel, wenn auch nichtunter diesem Titel, berhrt.1 Schon dort
sahen wir, da man im Alltag unterWahrheit die bereinstimmung der
Aussage mit dem Sein, mit demrealen Sachverhalt2, versteht, und wir
haben uns auf diesen Sinn desWortes Wahrheit festgelegt. Wir haben
uns auch Rechenschaft darbergegeben, da diese bereinstimmung des
Denkinhaltes mit dem realenSachverhalt nur dann fr uns erkennbar
ist, wenn eine Mglichkeit besteht,beides, Denkinhalt und realen
Sachverhalt, miteinander zu vergleichen.Dies wiederum scheint
vorauszusetzen, da sich uns der Sachverhalt ansich selbst zeigt, so
da wir ihn sehen knnen. Dieses Sich-Zeigen muklar sein in dem Sinn,
da der wahrgenommene Gegenstand von jedemanderen unterschieden
werden kann, so da keine Gefahr einerVerwechslung besteht. Wenn wir
nun dieses klare Sich-Zeigen desSachverhaltes Evidenz nennen, so
verstehen wir den Sinn derherkmmlichen These, die Evidenz des
Sachverhaltes sei das Kriterium derWahrheit. Ihr Sinn ist: Die
Aussage wird dadurch als wahr erkannt, da derin ihr ausgedrckte
Sachverhalt sich uns klar zeigt, so da wir die Aussagedurch
Vergleich mit ihm als mit dem Sein bereinstimmend, das heit
alswahr, feststellen knnen.
Dieses Sich-Zeigen des Sachverhaltes verwirklicht sich am
einfachstendadurch, da der Sachverhalt an sich selbst und durch
sich selbst demerkennenden Subjekt (nicht rumlich, sondern eben
erkenntnishaft)gegenwrtig ist, so wie uns im Bewutsein unsere
eigenen Aktegegenwrtig sind.
74 Bei diesem Gegenwrtig-Sein handelt es sich um eine weiter
nichtzurckfhrbare oder denierbare ursprngliche Gegebenheit, die uns
ebendurch die Selbstgegenwart des Geistes, durch das Bei-sich-Sein
desGeistes bekannt ist. Es ist gewi kein Widerspruch, da auch
anderes, vomeigenen Ich und seinen Akten verschiedenes Seiendes
sich in dieser Weisean sich selbst zeigt. berall da, wo ein
Sachverhalt sich uns an sich selbstzeigt, sprechen wir von
unmittelbarer Evidenz. Eine solche unmittelbareEvidenz liegt aber
bei den genannten Voraussetzungen der exakten
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J. de Vries: Grundfragen der Erkenntnis, Kapitel 6...
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Wissenschaften nicht vor. Bezglich des An-sich-Seins des
sinnlichGegebenen haben wir das schon im 2. Kapitel gezeigt.3 Das
in derErinnerung Sich-Zeigende wird gewi als vergangen vorgestellt
und alsvergangene Wirklichkeit gedacht, aber ebenso gewi zeigt sich
dasVergangene, das ja jetzt nicht mehr wirklich besteht, nicht
jetzt durch sichselbst in seinem (nicht mehr bestehenden)
An-sich-Sein. Ebensowenig istuns der Sinn, den der Mitmensch mit
seinen Worten verbindet, das heitdas, was er sich bei diesen Worten
denkt, unmittelbar gegeben; wenn wirdie Gedanken des anderen
unmittelbar sehen knnten, bedrfte es keinerWorte. Erst recht ist
uns die Realitt dessen, worber der Mitmenschspricht, nicht in
unmittelbarer Evidenz gegenwrtig. Auch die in deninduktiv
gewonnenen Gesetzen ausgesprochenen Sachverhalte sind unsnicht
unmittelbar gegeben. Wir mten ja sonst alle Flle, fr die dasGesetz
gilt, auch die lngst vergangenen und sogar die zuknftigen, in
derWahrnehmung gegenwrtig haben.
Allerdings ist die Gewiheit von vielen der genannten
Sachverhalteeine spontane, sich unmittelbar aufdrngende. Das
bezweifelt niemand.Aber unmittelbare Gewiheit in diesem Sinn darf
nicht verwechseltwerden mit einer unmittelbaren Gewiheit, die auf
unmittelbarer Evidenz,das heit auf der Selbstgegebenheit des
ausgesagten Sachverhaltesberuht. Sonst mte man annehmen, da auch
das Vergangene, das nichtmehr ist, sich in seinem nicht mehr
bestehenden Sein jetzt an sich zeigt.Das eine ist allerdings wahr:
Je mehr die genannten Gewiheiten sich demspontanen Denken
aufdrngen, um so mehr drngt sich dererkenntnistheoretischen Reexion
die Frage auf, worauf diese soselbstverstndliche Gewiheit
beruhe.
Es scheint von vornherein wenig wahrscheinlich, da sie auf
einemSchlu beruht, wenn wir unter Schlu die Methoden der
Ableitungverstehen, wie sie Aristoteles in der Ersten Analytik
theoretisch dargelegthat und wie sie in der modernen Logik weiter
ausgefhrt und formalisiertworden sind. Es scheint, da wir uns an
einen solchen Schlu, wenn wir ihnje vollzogen htten, erinnern
mten.
75 Das ist aber nicht der Fall. Wie sollte ein solcher Schlu
auch aussehen? Einformaler Schlu verlangt einen allgemeinen
Obersatz, der, wenn die Fragenicht immer wiederkehren soll,
letztlich ein unmittelbar einsichtigesPrinzip sein mu. Mit Hilfe
welchen Prinzips soll aber z. B. von derTatsache der Erinnerung auf
die vergangene Realitt, an die wir unserinnern, geschlossen werden?
Etwa mit dem Satz, da die Erinnerung stetswahr ist? Aber kann
dieser Satz auf unmittelbare Evidenz Anspruchmachen? Ja, ist er
nicht sogar falsch, da es doch oft genugErinnerungstuschungen gibt?
In der Tat scheint es eine aussichtsloseSache zu sein, den Versuch
zu machen, die genannten Voraussetzungen derexakten Wissenschaften
durch formale Schlsse zu beweisen.
Das gibt brigens Aristoteles selbst zu. Vom konkreten Einzelnen,
dasuns durch die Sinne gegeben ist, gibt es nach seiner Auassung
keinenBeweis, sondern nur Meinung (dxa)4. Ist aber damit nicht
zugegeben,da die so kunstvoll ausgearbeitete Syllogistik fr die
Realwissenschaften,wie sie wirklich sind, wenig Bedeutung hat? Denn
bei ihren Grundlagenhandelt es sich zumeist um konkrete
Einzeltatsachen, die wederunmittelbar evident noch syllogistisch
beweisbar sind. Und dasselbe giltauch von der Mehrzahl unserer
alltglichen Gewiheiten.
Wie klar es also auch sein mag, da ein formaler Schlu, der
vonevident gegebenen Tatsachen ausgeht, zu einer logisch
unangreifbaren mittelbaren Evidenz der Folgerung fhrt, so scheint
diese Methode dochpraktisch fr die Gewinnung neuer Erkenntnisse in
den Realwissenschaftenwenig brauchbar zu sein. So ist es kein
Zufall, da sie von den Theoretikernder empirischen Wissenschaften
durchweg ziemlich geringschtzig beurteiltwird. Das unbestreitbare
Versagen des syllogistischen Denkens im Bereichdes Konkreten ist
auch der Grund dafr, da man sich nach anderen, vonder Evidenz
verschiedenen, Kriterien umgesehen hat, die im konkretenDenken die
Wahrheit sichern sollen.
Ein erster Lsungsversuch besteht darin, da man sich auf eine
Art
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geistigen Instinktes beruft. So wollte Thomas Reid (1710-1796)
dadurch denSkeptizismus Humes berwinden, da er die Annahme der
Realitt derKrperwelt, des Vergangenen (Erinnerung), des
regelmigenKausalzusammenhanges (Induktion) auf einen naturhaften
Glauben desgesunden Menschenverstandes (common sense) sttzte;
76 eine rationale Begrndung fr diese berzeugungen ist nicht
mglich, sieberuhen auch nicht auf unmittelbarer Evidenz, aber sie
sind trotzdemnaturhaft gewi. Eine hnliche Lsung ndet sich bei Jaime
Balmes. Erspricht von einem intellektuellen Instinkt (instinto
intelectual), der uns zurzweifelsfreien Zustimmung ntigt.5 Man knne
diesen Instinkt auchGemeinsinn (sentido comn) nennen. Er sichert
den Verstand gegenseine eigenen Spitzndigkeiten. Als Beispiele, bei
denen sich dieserintellektuelle Instinkt bettigt, nennt Balmes die
berzeugung von derRealitt der sinnlich wahrgenommenen Dinge, den
Glauben aufmenschliches Zeugnis hin, die berzeugung, da durch
Zufall keineOrdnung entsteht. Er weist eigens daraufhin, da dieser
intellektuelleInstinkt nicht mit einem irrationalen Instinkt
verwechselt werden darf.6Eine Erklrung aber, warum er vernunftgem
ist, vermissen wir auch beiihm.
In diesen Auassungen ist richtig gesehen, da die
genanntenberzeugungen weder auf unmittelbarer Evidenz noch auf
rationalerBegrndung beruhen, wenn unter rationaler Begrndung ein
formalerSchlu verstanden wird. Auch das ist richtig, da diese
berzeugungentrotzdem sich dem spontanen Denken aufdrngen. Aber wenn
es sich hierwirklich um einen Drang der Vernunft handelt, ist es
dann glaubhaft, dadie Vernunft, wie die genannten Auassungen
nahelegen knnten, nurdurch einen unerklrlichen subjektiven Drang
geleitet, ohne objektiveGrnde zu diesen berzeugungen gentigt wird?
Wird die Vernunft aberdurch Grnde zur Zustimmung gedrngt, dann ist
es Sache derErkenntnistheorie, diese zumeist unbeachteten Grnde zu
reexemBewutsein zu bringen.
Einen Schritt weiter fhren jene Denker des 19. und 20.
Jahrhunderts,die auf die Erkenntnis begrndende Kraft der
Erfahrungen desmenschlichen Wollens und Tuns hinweisen. So ist nach
Francois Maine deBiran (1766-1824)7 die Willensanstrengung das
Urerlebnis des bewutenIch. In dieser Erfahrung ist zugleich das Ich
als wirkende Kraft wie auch dasNicht-Ich der Auenwelt, das unserem
Bemhen Widerstandentgegensetzt, gegeben.
77 hnliche Gedanken hat in der neueren deutschen Philosophie
WilhelmDilthey vertreten. In seinen Beitrgen zur Lsung der Frage
vom Ursprungunseres Glaubens an die Realitt der Auenwelt (1890)
fhrt auch er unterZurckweisung jedes Kausalschlusses diesen Glauben
auf das Erlebnisdes Widerstandes zurck. Die Hemmung unseres Willens
imWiderstandserlebnis erschliet uns die kernhafte lebendige Realitt
desvon uns Unabhngigen. Diese Realitt erscheint darum auch selbst
alseine dynamische Einheit, eine Willenseinheit.
Die erwhnte Abhandlung Diltheys nennt Max Scheler wenn manvon
Maine de Birans tiefen Einsichten absehe trotz einiger
Ausstellungenimmer noch das Beste, das wir in dieser Frage
besitzen8. Im Anschlu anDilthey entwickelt er, besonders in seiner
Sptzeit, einen emotionalenRealismus: Der Geist erkennt nur die
Ordnung der reinen Wesenheiten. DasDasein dagegen ist allem, was
wir unser intellektuelles, vorstellendes,denkendes Verhalten
nennen;... so unerreichbar wie die Farbe dem Hren9.Es ist nicht dem
Denken, sondern dem triebhaften Leben zugeordnet: Wasuns das Dasein
gibt, das ist... das Erlebnis des Widerstandes,... undWiderstand
gibt es eben nur fr unser strebendes, fr unser triebhaftesLeben, fr
unseren zentralen Lebensdrang10.
Unter dem Einu Schelers, aber in kritischer Auseinandersetzung
mitihm, hat schlielich Nicolai Hartmann die Lehre von
derRealittsgegebenheit in emotional-transzendenten Akten
amsystematischsten entfaltet, zuerst in seinem Vortrag Zum Problem
der
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Realtittsgegebenheit (1931), dann ausfhrlicher in seinem Werk
ZurGrundlegung der Ontotogie (1935). Gegen Scheler wendet er ein,
diesermache das Widerstandserlebnis zu einseitig geltend. In
Wirklichkeit sei eineviel grere Mannigfaltigkeit emotionaler Akte
am Realittszeugnisbeteiligt11 . Im einzelnen unterscheidet Hartmann
drei Arten solcher Akte:Emotional-rezeptive, emotional-prospektive
und emotional-spontane Akte.In den ersteren widerfhrt dem Subjekt
etwas, es fhlt sich von dersiegenden, bedrckenden oder tragenden
Kraft des Realen betroen; sowird das Reale unmittelbar erfahren, es
bedarf keines Schlusses12. Beiden emotional- prospektiven Akten
handelt es sich um Erlebnisse wie dasErwarten, das Vorgefhl, die
Bereitschaft, das Gefatsein. In ihm ist derMensch von dem
Anrckenden vorbetroen. Die Unmglichkeit desEntrinnens, des
Ausweichens,... gibt dem Anrckenden als solchem seinungeheures
Realittsgewicht, noch ehe es wirklich geworden ist.13
78 Bei den emotional-spontanen Akten schlielich handelt es sich
um denaktiven Vorgri in die Zukunft: Das Wollen und Tun. Wille und
Handlung sindzugleich ein Wissen um ihre Einreihung in den
Realzusammenhang derGeschehnisse. Das handelnde Subjekt kann sich
nicht einbilden, da eskeine Welt htte, auf die es einwirkt.14
hnliche Gedanken nden sich auch bei Martin Heidegger. Fr
ihnerschliet sich das Sein der Welt ursprnglich nicht im reinen
Erkennen (inder Rede, im Logos), sondern in der Bendlichkeit bzw.
Stimmungund im Verstehen, wobei das Verstehen nicht eine
theoretischeErkenntnis, sondern das Sich-auf-etwas-Verstehen, das
Tunknnenbedeutet.15 Es ist die Sicht, die dem
gebrauchend-hantierenden Umgangmit den Dingen eigen ist. So
entdeckt z. B. das Hmmern selbst diespezische Handlichkeit des
Hammers.16
Unabhngig von diesen brgerlichen Philosophen hat dermarxistische
dialektische Materialismus die Lehre von der Praxis alsKriterium
der Wahrheit ausgebildet.17 Man beruft sich dafr immer wiederauf
die zweite These ber Feuerbach, in der Karl Marx schreibt: Die
Frage,ob dem menschlichen Denken gegenstndliche Wahrheit zukomme,
istkeine Frage der Theorie, sondern eine praktische Frage. In der
Praxis muder Mensch die Wahrheit, das heit die Wirklichkeit und
Macht, dieDiesseitigkeit seines Denkens beweisen.18 Gerade in der
Aufdeckung derRolle der Praxis fr die Erkenntnis sieht M. N.
Rutkewitsch das Wesen, denzentralen Punkt der revolutionren
Umwlzung der Erkenntnistheorie, dieder Marxismus vollzog und durch
die die Erkenntnistheorie zu einerWissenschaft wurde.19
Das Gemeinsame in all diesen so verschiedenartigenDenkbemhungen
scheint die Einsicht zu sein, da die menschlicheErkenntnis nicht
abgeschnitten von allen Lebenszusammenhngenbetrachtet werden darf,
wenn die Realgeltung sowohl der alltglichen wieder
wissenschaftlichen berzeugungen begrndet werden soll. Doch
scheintdas Verhltnis, das hier zwischen Erkennen und Tun besteht,
einergenaueren Bestimmung fhig und bedrftig zu sein.
79 2. Die verborgenen Grnde der spontanen Gewiheit.Sicher lassen
sich diese Fragen nicht durch eine apriorische, von der
Erfahrung des Denkens unabhngige berlegung lsen. Wir
mssenvielmehr versuchen, durch eine Reexion auf die einzelnen Arten
derspontanen Gewiheit, um die es sich handelt, die zunchst
verborgenenGrnde aufzudecken, auf denen sie beruhen. Bei diesem
Aufsuchen derverborgenen Grnde, denen die fr das spontane Denken
soselbstverstndlichen Voraussetzungen ihre Gewiheit verdanken,
beginnenwir nicht mit den einfachsten Fllen (wie etwa mit der
berzeugung vomrealen Dasein eines sinnlich wahrgenommenen
Einzeldinges), sondern ehermit zunchst verwickelter erscheinenden
Fllen, die gerade wegen ihreroenbaren Zusammengesetztheit fr die
Analyse leichter sichtbareAnsatzpunkte bieten. Es wird sich zeigen,
da die Struktur all derGewiheiten, um die es sich hier handelt,
trotz aller Unterschiede im
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einzelnen im wesentlichen die gleiche ist. Aber wir wollen nicht
vorgreifen.a) Geschichtliche Gewiheit.
Wir beginnen mit der Analyse der geschichtlichen Gewiheit.
Woraufberuht z. B. unser Wissen von der steinzeitlichen Kultur der
Menschheit?Schriftliche Nachrichten aus dieser Zeit gibt es nicht.
Wir sind ganz auf dieberreste dieser Kultur, wie etwa aus Stein
gefertigte Faustkeile undKlingen, oder etwa auf Feuerstellen,
angewiesen. Aber der einzelne Fundermglicht dabei gewi keinen
sicheren Schlu. Woher wissen wir denn, dadieser Stein nicht ein
bloes Naturprodukt ist, sondern da seine FormErgebnis menschlicher
Bearbeitung ist? Und selbst wenn wir dies wten,was gibt uns die
Gewhr, da dieses Werkzeug von einem Menschenstammt, der vor 200 000
oder 300 000 Jahren gelebt hat? Wenn manantwortet, dies werde aus
der Tatsache geschlossen, da es in einergeologischen Schicht
gefunden wurde, deren Alter auf so viele Jahrtausendeangesetzt
werden msse: Woher wissen wir wieder dies, da diese Schichtauf so
viele Jahrtausende zurckgeht?
All diese Erkenntnisse lassen sich oenbar nur durch eine
hundert- undtausendfltige Erfahrung erklren. Ein einziger Fund
eines eigenartiggeformten Steines wrde uns nie die Gewiheit geben,
da es sich um einmenschliches Kunstprodukt und zwar um ein Werkzeug
handelt. Aber diesystematische Erforschung der Fundstellen hat eine
Menge derartigerGebilde ans Licht gefrdert, und angesichts dieser
Vielzahl der Funde glaubtkein Forscher mehr, da diese Gebilde durch
ein Spiel des Zufalls gerade andieser Stelle in solcher Menge
entstanden sind, sondern jeder ist berzeugt,Reste menschlicher
Kultur vor sich zu haben. Die Altersbestimmung dieserKultur setzt
erst recht eine Unzahl von Einzelerfahrungen voraus. Dieeinzelne
Erfahrung ist dabei oft kaum von Bedeutung, erst ihreWiederholung
ergibt eine gewisse Wahrscheinlichkeit, und die
Konvergenzzahlreicher derartiger Wahrscheinlichkeiten lt schlielich
den Zweifelverstummen. Auf syllogistische Form lt sich eine solche
Begrndungallerdings nicht bringen.
80 Ganz hnliches gilt brigens auch fr unser geschichtliches
Wissen,das sich auf schriftliche Zeugnisse sttzt. Auch hier ist es
sehr oft so, daein einzelnes Zeugnis keine Gewiheit gibt. Knnte es
nicht eine Flschungaus spterer Zeit sein, die zu Unrecht einem
Schriftsteller aus lterer Zeitzugeschrieben wird? Und auch wenn
dies nicht der Fall ist, knnte sich derSchriftsteller nicht durch
seine Gewhrsmnner haben tuschen lassen, istes nicht mglich, da er
seine Quellen falsch verstanden hat, undschlielich: Wre es nicht
sogar denkbar, da er aus irgendwelchenpersnlichen oder
Partei-Interessen die Wahrheit entstellt hat? So mag estatschlich
oft vorkommen, da kein einzelnes Zeugnis fr sich
alleinunbestreitbare Beweiskraft hat. Das einzelne Zeugnis gibt
nurWahrscheinlichkeit. Aber die Gesamtheit der Zeugnisse
konvergiert sodeutlich auf ein einheitliches Gesamtbild hin, da
jeder, der noch zweifelt,als ein nicht ernst zu nehmender
berkritiker angesehen wrde.
Der Einwand liegt nahe: Oft wird ein geschichtliches Ereignis
durcheine einzige Aussage eines glaubwrdigen Zeugen hinreichend
erwiesen;hier beruht die Gewiheit also nicht auf Konvergenz
vonWahrscheinlichkeiten, sondern auf dem streng formalen Schlu:
Wenn einglaubwrdiger Zeuge ein Ereignis berichtet, so steht damit
dessenTatschlichkeit fest; nun ist dieses Ereignis von dem
glaubwrdigen ZeugenA berichtet worden; also ... Aber dieser
Syllogismus ist ziemlichnichtssagend; seine ganze Beweiskraft
beruht darauf, wie der Untersatzerwiesen wird. Dieser enthlt zwei
Aussagen: Erstens der Zeuge A hatdieses Ereignis berichtet;
zweitens der Zeuge A ist glaubwrdig. Die ersteAussage ist, wo es
sich um ein schriftlich niedergelegtes Zeugnis
handelt,gleichbedeutend mit der Aussage: Dieses Zeugnis ist echt,
das heit, esstammt wirklich von dem Autor, dem es zugeschrieben
wird. Wie aber solldiese Echtheit bewiesen werden, wenn sie nicht
durch ein bereits als echtund glaubwrdig bekanntes anderes Zeugnis
bewiesen wird, bei dem
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dieselbe Frage zurckkehrt? Der ursprngliche Nachweis der
Echtheit kanngewhnlich nicht anders geschehen als durch einen
Konvergenz-Beweis: Soviele Zeugnisse oder Anzeichen sprechen fr die
Echtheit, da manvernnftigerweise nicht annehmen kann, dieses
Zusammentreen seiZufall. Nur dann sind wir nicht auf einen solchen
Konvergenz-Beweisangewiesen, wenn der Schreiber selbst gegenwrtig
ist und mndlichbezeugt, da dieses Schriftstck von ihm stammt. Aber
abgesehen davon,da in einem solchen Fall das schriftliche Zeugnis
ziemlich berssig wird,bleibt auch dann die Frage der Glaubwrdigkeit
des Zeugen. Die Frage derZuverlssigkeit menschlicher Aussagen
betrit aber nicht nur das eigentlichgeschichtlichem Wissen, sondern
wir sind auf die Aussagen anderer auchim Alltag auf Schritt und
Tritt angewiesen. Auch der Naturwissenschaftlersieht sich, wie wir
schon erwhnten, immer wieder auf die Zuverlssigkeitder Aussagen
anderer angewiesen. Wir behandeln diese Frage darumeigens.
81 b) Glaubwrdigkeit von Zeugen.Woher also wissen wir, da wir
mit Recht annehmen knnen, der
andere sage die Wahrheit? Wir knnen nicht in sein Inneres
hineinschauen,sondern mssen uns aus ueren Anzeichen ein Urteil ber
seineZuverlssigkeit bilden. Dazu gengt aber, jedenfalls im
allgemeinen, nichteine einzige Erfahrung. Um einen Mitmenschen als
glaubwrdig, das heit,1. als fhig zu richtiger Beobachtung und
zuverlssiger Erinnerung, und 2.als wahrhaftig zu kennen, dazu
bedarf es gewhnlich eines lngerenUmgangs mit ihm. Erst die
Konvergenz vieler Einzelerfahrungen ermglichtuns ein Urteil ber
seinen Charakter.
Oft kann die Zuverlssigkeit einer Aussage, wenigstens soweit sie
denAusschlu der Lge besagt, im Einzelfall auch dadurch
hinreichendgesichert werden, da sich zeigen lt, der Zeuge habe von
der Lgekeinen Vorteil oder im Gegenteil nur Nachteil zu erwarten,
nach dem altenErfahrungssatz: Nemo gratis mendax, das heit: Niemand
lgt, wenn er sichnicht von der Lge einen Vorteil verspricht. Aber
erstens ist auch dieserErfahrungssatz Ergebnis vieler
konvergierender Einzelerfahrungen.Zweitens setzt der Satz einen
normalen Menschen voraus, und einenMenschen als normal zu
beurteilen, setzt wiederum eine Vielzahl vonEinzelerfahrungen
voraus. Schlielich kann auch die Tatsache, da einMensch von einer
Lge keinen Vorteil erwarten kann, nicht ohne Kenntnisseiner
persnlichen Verhltnisse, das heit nicht ohne vielfltige
Erfahrungfestgestellt werden.c) Verstehen von Sprache.
Auch der zuverlssigste Zeuge wrde uns nichts ntzen, wenn
wirseine Sprache nicht verstehen. Da hier ein Problem vorliegt,
kommt unsgewhnlich nur dann zum Bewutsein, wenn die Sprechenden
keinegemeinsame Sprache oder keinen gemeinsamen Dialekt sprechen,
oderwenn jemand ein Wort gebraucht, das dem anderen unbekannt ist.
Aber,wie wir schon im 3. Kapitel sahen, ist das Verstehen der
Sprache an sich garnicht so selbstverstndlich. Zunchst verbindet
der Sprechende mit demLaut des Wortes (oder sonst mit einem
Zeichen) einen bestimmten Sinn.Der andere hrt zunchst nur den Laut,
den Sinn aber, den der Sprecherdurch seinen Gedanken mit dem Wort
verbindet, vermag er nichtunmittelbar wahrzunehmen, da ihm das
Innere des anderen verborgen ist.Wie kommt es nun, da der Hrer
denselben Sinn wie der Sprecher mit demLaut verbindet, und da auch
der Sprecher wieder merkt, da der andereihn richtig verstanden hat?
Da dies alles nicht so selbstverstndlich ist,zeigen immer wieder
vorkommende Miverstndnisse. Man wird vielleichtantworten, der Sinn
werde nicht von einem Einzelnen mit dem Lautverbunden, sondern dies
geschehe durch ein bereinkommen vieler.
82 Das ist gewi richtig, aber es ist keine Lsung des Problems.
Denn dasbereinkommen geschieht ja wieder durch die Sprache, setzt
derenKenntnis also bereits voraus.
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Im 3. Kapitel20 haben wir bereits gezeigt, wie die Gewiheit, die
Worteeines anderen richtig verstanden zu haben, durch
denGesamtzusammenhang des Gesprches, der nicht
zuflligZustandekommen kann, begrndet ist. Ein einzelnes Wort gibt
dieseGewiheit noch nicht, oder doch nur auf dem Hintergrund
derKonvergenz, die sich im Ganzen des Gesprchs geltend macht.
Nur kurz sei daraufhingewiesen, da auch die Gewiheit vom
Bestehenanderer menschlicher Personen aufs engste mit dem Verstehen
der Sprachezusammenhngt. Die ueren Sinne zeigen uns nur die
Gestalt, dieBewegungen usw. anderer Menschen. Aber da sie Menschen
sind, diedenken, fhlen, wollen wie wir selbst, das ist uns nicht
unmittelbarwahrnehmbar. Einzelne Handlungen oder Worte von Menschen
knnen auchTiere, wie etwa Aen oder Papageien, nachahmen. Was uns
die Gewiheitgibt, da ein Wesen ein Mensch ist wie wir, das ist die
immer wiederbesttigte Erfahrung der Mglichkeit eines geordneten
Gesprches odersonst einer vernunftgeleiteten Begegnung mit ihnen
(z. B. planvollesZusammenarbeiten an einem Werk). Das heit also:
Auch hier ist es dieKonvergenz vieler konkreter Einzelerfahrungen,
die uns Gewiheit gibt.d) Induktion.
Die bisherigen Beispiele beziehen sich auf unsere Kenntnis
derMenschen und ihres Tuns. Aber auch unsere Kenntnis der Natur
undberhaupt unser naturhaft bestimmtes Wissen erlangt seine
Gewiheitweithin durch Konvergenzargumente. Das gilt zunchst von
unseremWissen um die gesetzmigen Vorgnge in der Krperwelt, das
heit, umdie Naturgesetze, die durch die sogenannte Induktion
gewonnen werden.Etwas hnliches wurde schon bezglich des
Erfahrungssatzes Nemo gratismendax bemerkt. Auch derartige
moralische Gesetze (nicht im Sinn vonSollensstzen, sondern im Sinn
von Erfahrungsstzen ber das gewhnlicheHandeln des Menschen) beruhen
auf Induktion.
Alle unsere Technik, ja alles planmige Benutzen krperlicher
Dingeund Werkzeuge zu unseren Zwecken beruht auf einer
wenigstensalltglichen Kenntnis von Naturgesetzen. Wenn wir nicht
wten, wasdabei herauskommt, wenn wir z. B. Holz ins Feuer werfen,
dann geschhealles menschliche Handeln auf gut Glck, oder im besten
Fall instinktiv wiebei den Tieren.
83 Nur insofern aber knnen wir wissen, was herauskommt, als wir
dasregelmige, notwendige Wirken der Natur kennen. Diese
Notwendigkeitknnen wir jedoch weder mit den Sinnen wahrnehmen noch
a priorieinsehen, sondern nur durch Induktion gewinnen. Was heit
das? DurchBeobachtung stellen wir die oftmalige Wiederholung des
gleichartigenVorgangs unter gleichen Bedingungen fest. Diese
ausnahmsloseWiederholung des gleichartigen Vorgangs unter gleichen
Bedingungenbetrachten wir als sicheres Anzeichen fr ein
zugrundeliegendes Gesetz,das heit eine den Dingen innewohnende
Notwendigkeit, so und nichtanders zu wirken. So gehen wir von der
oftmals beobachtetenGleichartigkeit des Geschehens zu der
Behauptung ber, da dieseGleichartigkeit des Geschehens stets, also
auch in Zukunft, sich zeigen wird.Gerade diesen bergang vom Oft zum
Immer nennen wir Induktion.Es ist ohne weiteres ersichtlich, da bei
ihr die Konvergenz der vielengleichartigen Flle fr die Begrndung
des Gesetzes entscheidend ist.e) Intersubjektive Welt.
Bei aller Induktion wird die Existenz einer intersubjektiven
Weltoenbar bereits vorausgesetzt, und zwar in einem viel
bestimmteren Sinnals etwa nur die Existenz irgendeiner Ursache, die
wohl durch strengformale Folgerung mit unbedingter Gewiheit aus der
Kontingenz unsererWahrnehmungen erschlossen werden mu. Diese
Ursache unsererWahrnehmungen knnte aber auch etwas sein, was
ausschlielich zuunserer eigenen (uns unbewuten) Natur gehrt,
konkret: Es knnten
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irgendwelche Dispositionen und Vorgnge in unserem Gehirn sein,
wie esbei manchen ohne unser bewutes Zutun entstehenden
Phantasiebildernder Fall ist.
Warum nehmen wir das gleiche nicht auch bei unseren
Wahrnehmungen an? Gewi gibt es mehr als einen Unterschied
zwischenWahrnehmung und bloer Vorstellung. Was uns aber den
Gedanken, dieWahrnehmungswelt sei hnlich wie die Vorstellungswelt
nur eine Welt frmich persnlich, aufs entschiedenste ablehnen lt,
das ist die Tatsache,da wir ber das Gesehene, Gehrte usw. mit
anderen ohne weiteres, d. h.ohne vorhergehende Beschreibung dessen,
was uns in der Wahrnehmunggegeben ist, sprechen knnen. Das scheint
uns ein unbezweifelbarer Beweisdafr zu sein, da die Welt, die uns
in den Wahrnehmungen erscheint, eineWelt ist, die alle wahrnehmen,
eine intersubjektive Welt, die unabhngigvon den einzelnen
Beobachtern besteht. Auch hier ist es also wieder dieKonvergenz der
stets neu zustandekommenden Verstndigung, die uns dieberzeugung
einer intersubjektiven, das heit allen gemeinsamen, realenWelt
aufdrngt.f) Erinnerungsgewiheit.
Die Gewiheit der Erinnerung wird bei all dem vorausgesetzt. Ohne
siewren wir allein auf die gegenwrtigen Erlebnisse angewiesen.
84 Die konkreten Tatsachen, von deren Konvergenz wir ausgehen,
sind aberzum grten Teil vergangene Tatsachen, die uns nur durch die
Erinnerunggegeben sind. Die Erinnerungsgewiheit ist also fr alle
anderenKonvergenz-Argumente grundlegend. Gerade sie aber beruht
ebenfalls nichtauf unmittelbarer Evidenz. Das, was vergangen ist,
kann sich, eben weil esvergangen ist, jetzt nicht mehr an sich
selbst und durch sich selbst zeigen,sondern nur in einem
Erinnerungsbild. Es ist aber auch nicht mglich, ineinem formalen
Schlu von der einzelnen Erinnerung auf die geweseneExistenz des
Ereignisses zu schlieen, an das wir uns erinnern.
Vielmehr beruht auch die Erinnerungsgewiheit auf einer
ersten,grundlegenden Konvergenz. Es ist dies die erlebte
bereinstimmung deraufgrund der Erinnerung gefaten Erwartung und der
in der Wahrnehmungerfolgenden Besttigung der Erwartung, und das
nicht blo in einerEinzelheit, sondern in vielen Einzelheiten. Die
Konvergenz, auf die esankommt, ist hier gerade die bereinstimmung
in vielen Einzelheiten; diebereinstimmung in einem einzelnen Punkt
ist im besten Fall einWahrscheinlichkeitsgrund. Ein Beispiel: Die
Erinnerung lt mich erwarten,da ich beim Blick aus dem Fenster viele
Einzelheiten sehen werde: Huser,Bume, Strae usw. in ganz bestimmter
Anordnung; und wenn ich den Blicknun wirklich durch das Fenster
werfe, sehe ich tatschlich das alles, so wieich es erwarte; ich
erlebe die Besttigung der Erwartung. Das ist mirzugleich eine
Besttigung der Zuverlssigkeit der Erinnerung, auch fr dieFlle, in
denen im Augenblick eine solche Besttigung nicht mglich ist(etwa,
weil ich mich zu weit entfernt von dem Ort bende, an dem
diebetreenden Dinge zu sehen wren).3. Konvergenz als tatschliche
Grundlage der Gewiheit.
Eine Zusammenfassung der Einzelanalysen fhrt zu
folgendemErgebnis: In all den verschiedenen untersuchten Fllen
beruht die Gewiheitauf der Konvergenz vieler Grnde, die einzeln
meist nur Wahrscheinlichkeitgeben, aber in ihrer Konvergenz, das
heit im Zusammenwirken vielerAnzeichen, die alle in dieselbe
Richtung weisen, tatschlich den Zweifelausschlieen. Diese Anzeichen
sind nicht nur einzelne Empndungen,Wahrnehmungen oder
Vorstellungen, sondern es ist zumeist ein
geordneterGesamtzusammenhang von Erfahrungen, und zwar nicht nur
vonErkenntnisakten, sondern auch von emotionalen Akten (wie
etwaErwartungen), Willenshandlungen und uerem Tun. Dieser
geordneteZusammenhang ist es auch, durch den sich das Wachbewutsein
vomTraumbewutsein unterscheidet. Dieser Zusammenhang in unserem
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bewuten Leben erscheint nicht aus sich selbst allein begreiich,
sondernwird erst begreiich, wenn er in einen noch weiteren
Zusammenhang mitanderem, im Bewutsein nicht unmittelbar Gegebenem
gestellt wird (z. B.in den Zusammenhang mit den vergangenen
Erlebnissen, an die ich micherinnere, die aber jetzt nicht bewut
gegenwrtig sind).
85 Das eigene Bewutsein ist eben nicht eine fensterlose Monade,
sondernsteht in bestndigem Austausch, bestndiger Wechselwirkung mit
derauerbewuten Realitt. Auf solche Realitt weist es immer wieder
invielfacher, konvergierender Weise hin. So werden die
gegenwrtigenErlebnisse in einen umfassenderen Zusammenhang mit
anderengegenwrtigen, vergangenen und zuknftigen Ereignissen
hineingestellt.Und diese Geschehnisse wiederum weisen noch weiter
ber sich hinaus aufnoch umfassendere Zusammenhnge, aus denen sie
erst begreiichwerden. Aus alledem ergibt sich, da auch der
Gegenstand, dessen Realittaufgrund der Konvergenz angenommen wird,
zumeist nicht blo irgendeineEinzelheit ist, sondern ein grerer oder
kleinerer Gesamtzusammenhang;die Gewiheit des einzelnen hngt dabei
von der Gewiheit des Ganzen ab,nicht umgekehrt: Die Gewiheit des
Ganzen setzt sich nicht aus derGewiheit der Einzelheiten
zusammen.
Unter diesen Gesamtzusammenhngen ist der fr uns bedeutendsteder
Zusammenhang unseres eigenen Lebens. In vielfach
konvergierenderWeise setzen die gegenwrtigen Erlebnisse es voraus,
ohne Einordnung indiesen Gesamtzusammenhang bleiben sie isoliert
und unbegreiich.Zugleich ist dieses unser Leben durch tausend Fden
verbunden mit seinernaturhaften und geschichtlichen Umwelt. Diese
umfassendenZusammenhnge sind der Hintergrund, der Horizont, der uns
in all unseremTun irgendwie gegenwrtig ist und von dem aus alles
erst seinen Sinnerhlt. Mit je mehr Fden eine Einzelheit in diesen
Gesamtzusammenhangverwoben ist, desto unbezweifelbarer ist sie. Und
umgekehrt, je isoliertereine Einzelheit ist, je weniger sie in den
Gesamtzusammenhang hineinpatund von ihm gefordert wird, desto
weniger gesichert erscheint sie. Zumeistist es dabei, wie schon
gesagt, zuerst ein grerer Zusammenhang, derdurch die Konvergenz der
Grnde gesichert erscheint; die Einzelheitenwerden eher durch dieses
Ganze getragen, als da sie es wren, aus denendas Ganze fr unsere
Erkenntnis sich aufbaut, obwohl auch dieses letzterevorkommen kann.
Versucht man aber, immer und berall allein von denEinzelheiten her
die Gewiheit unserer Welt aufzubauen, so sieht man sichbald vor
unlsbare Probleme gestellt. Oft kann erst, nachdem ein
grererZusammenhang als gesichert vorausgesetzt wird, die Frage
gelst werden,ob diese oder jene Einzelheit in diesen Zusammenhang
hineingehrt.Darum ist es methodisch unrichtig, wegen Dunkelheiten
im einzelnen gleichdas Ganze, in das die Einzelheiten hineingehren,
in Zweifel zu ziehen.Manche erkenntnistheoretischen Versuche waren
vielleicht deshalb sowenig fruchtbar, weil sie diese methodischen
Prinzipien zu wenig beachtethaben.
Im Bereich des geschichtlichen Wissens wiederholen sich
dieseZusammenhnge auf hherer Ebene. Auch hier sind es gewhnlich
zuerstgrere Gesamtzusammenhnge, deren Hauptlinien durch die
Konvergenzder zur Verfgung stehenden Quellen gesichert sind. Die
Gewiheit derEinzelheiten hngt zumeist von der Gewiheit dieses
grerenZusammenhangs ab.
86 Die Folgerung, die sich aus alledem ergibt, kann so
formuliert werden:Unsere alltglichen wie auch unsere
wissenschaftlichen berzeugungen,sowohl jene, die das
Naturgeschehen, wie jene, die das geistige Leben unddie Geschichte
der Menschen betreen, beruhen tatschlich ob auch zuRecht, bleibt
noch zu fragen auf der Konvergenz vieler Grnde, dieeinzeln genommen
nur Wahrscheinlichkeit ergeben wrden.4. Newmans Lehre vom
Folgerungssinn.
Die Bedeutung dieser Begrndungsart gegenber der
einseitigenBetonung des syllogistischen Denkens hat vor allem John
Henry Newman
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erkannt und in seinem Essay in aid of a Grammar of Assent21
dargelegt. Ernennt diese Art des Schlieens formloses Schlieen
(informal inference)oder natrliches Schlieen (natural inference)
und das entsprechendeVermgen der Vernunft Folgerungssinn (illative
sense)22. Gelegentlichbraucht auch er fr den Folgerungssinn den
Ausdruck Instinkt23. DerFolgerungssinn ist die Fhigkeit, von
Konkretem zu Konkretemfortzuschreiten.24 Wenn mehr als einmal
betont wird, dieser Proze knnenicht vllig analysiert werden, so
soll das wohl nicht heien, da wir uns derGrnde, die uns bestimmen,
berhaupt nicht bewut werden, sondern nur,da die Gewiheit hier von
Beweisen abhngt, die formlos und persnlichsind ... und nicht unter
eine logische Regel gebracht werden knnen25,da es sich um eine
Ttigkeit des Geistes handelt, die feiner und reicheran Inhalt ist
als die bloe Beurteilung eines syllogistischen Schlusses26.Es
leuchtet ein, da formale logische Anordnung tatschlich nicht
dieMethode ist, durch die wir instandgesetzt werden, des Konkreten
gewi zuwerden27.
Die Methode, die hier angewendet wird, ist die Hufung
vonWahrscheinlichkeiten, unabhngig voneinander, entspringend der
Natur undden Umstnden des einzelnen Falles, der gerade untersucht
wird;Wahrscheinlichkeiten, zu fein, um einzeln von Nutzen zu sein,
zu subtil undumstndlich, um in Syllogismen umwandelbar zu sein, zu
zahlreich undverschiedenartig fr eine solche Umwandlung, selbst
wenn sieumwandelbar wren28.
87 Es ist eine Flle von Wahrscheinlichkeiten, die sich in ihrer
Wirksamkeitgegenseitig korrigieren und besttigen29, eine Vielheit
von Grnden ausverschiedenen Prinzipien, die zusammen auf einen
Beweis hinauslaufen,der den Geist zufriedenstellt30 . Der
Folgerungssinn bestimmt hier, wasdie Wissenschaft nicht bestimmen
kann, nmlich den Zielpunkt, auf den hindie Wahrscheinlichkeiten
konvergieren, und welche Grnde fr einen Beweishinreichend sind31.
Eines ist dabei freilich vorausgesetzt, da nicht etwaein
Gegenargument vorliegt, das einen vernnftigen Anspruch
darauferheben kann, wahrscheinlich genannt zu werden32. Aber in
einemsolchen Fall bestnde ja auch keine Konvergenz der Grnde
mehr.
Anwendungsgebiete des Folgerungssinnes sind nach Newman
dieKlugheit (phrnesis) in der Beurteilung sittlicher Fragen33,
diegeschichtliche Gewiheit34, der menschliche Glaube35, die
Induktion36. Erschliet abenteuerliche Voraussetzungen und Theorien,
willkrlicheHypothesen, falsche Folgerungen, grundlose Behauptungen
undunglaubliche (Annahmen von) Tatsachen aus, die sonst unseren
Wegeinfach blockieren wrden37. Die einzelnen Wahrnehmungen
undErinnerungen als Bereiche des formlosen Schlieens erwhnt
Newmanallerdings nicht. So setzt er z. B. bei der Begrndung der
berzeugung, daGrobritannien eine Insel ist, die Zuverlssigkeit der
Wahrnehmungen undErinnerungen ohne weiteres voraus.38
Sehr gut arbeitet Newmann die Eigenart der Gewiheit
auskonvergierenden Wahrscheinlichkeiten und ihren wesentlichen
Unterschiedvom formalen Schlu heraus. Beim formlosen Schlieen sind
wir uns oft dereinzelnen Grnde kaum bewut, aber wir spren, da ihre
Gesamtheitjeden vernnftigen Zweifel ausschliet.
88 Die Gewiheit erscheint darum oft als eine unmittelbare, nicht
als ob sichder Sachverhalt unvermittelt an sich selbst zeigen wrde,
sondern im Sinnvon spontaner, ohne reexe berlegung sich
einstellender Gewiheit.Gegenber einer solchen Gewiheit ist es
allerdings Aufgabe derErkenntnistheorie, soweit wie mglich die
zumeist nicht reex bewuteBegrndung zu reexem Bewutsein zu bringen.
Dieser Aufgabe wendenwir uns nunmehr zu.5. Begri der hypothetischen
Gewiheit undRechtfertigung des Konvergenzdenkens,
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a) Die Problematik des Konvergenzbeweises ist
folgende:Voraussetzungsgem beruht der Konvergenzbeweis auf
einer
Mehrheit von Grnden, die einzeln nur Wahrscheinlichkeit
ergeben.39 Dasheit also: Der einzelne Grund schliet das Gegenteil
dessen, was (aus derKonvergenz der Grnde) geschlossen wird, nicht
aus, sondern ist mit demGegenteil vereinbar. Daraus entsteht
folgende Schwierigkeit: Wenn jedereinzelne Grund mit dem Gegenteil
vereinbar ist, dann auch zwei dieserGrnde zusammengenommen, und
wenn zwei, dann auch drei, wenn drei,dann auch vier und so fort
ohne Ende; also schliet auch die Konvergenzvon, sagen wir, tausend
Grnden, die einzeln nur Wahrscheinlichkeit geben,das Gegenteil
nicht aus. Das heit aber: Die Konvergenz gibt keine Evidenz,es
besteht kein notwendiger Zusammenhang zwischen der Konvergenz
unddem Sachverhalt, auf den die konvergierenden Grnde hinweisen.
Dasklassische Beispiel ist das des Wrfels: Wenn der Wrfel zufllig
zweimalnacheinander auf die gleiche Zahl fallen kann, dann auch
dreimal, da frden dritten Wurf ja wiederum alle sechs Mglichkeiten
bestehen; dasselbegilt auch wieder fr den vierten Wurf und jeden
folgenden. Also knnte derWrfel auch tausendmal hintereinander
zufllig auf die gleiche Zahl fallen.Die Konvergenz beweist also
nicht den Ausschlu des Zufalls.
Das Beispiel zeigt, da es die Denkbarkeit des Zufalls ist, die
derBeweiskraft der Konvergenz entgegensteht. Zufall besagt
dabeikeineswegs ein Geschehen ohne jede Ursache. Da z. B. der
Wrfelzufllig auf sechs fllt, besagt nicht, da er ohne Ursache auf
sechs fllt,sondern da er durch ein Zusammenspiel mehrerer Ursachen,
das sich nichtvorausberechnen lt (etwa durch die ursprngliche Lage
des Wrfels in derHand, durch die besondere Art der Bewegung der
wrfelnden Hand, dieHhe, aus der der Wrfel fllt usw.), dazu bestimmt
wird, in einer Lage zurRuhe zu kommen, bei der die Sechs oben
liegt. Durch die Vielzahl derUmstnde ist es notwendig bestimmt, da
der Wrfel in dieser Lage zurRuhe kommt, aber diese Umstnde sind
untereinander nicht gesetzmigverbunden, und sie sind auch nicht
durch die planmig geleiteteGeschicklichkeit des Wrers
ausgewhlt.
89 Wenn ein Wrer tatschlich durch seine Geschicklichkeit alle
Bewegungenso regeln knnte, da der Wrfel auf sechs fallen mu, so wre
das ebennicht mehr Zufall. Der Zufall, als Wirkung betrachtet, ist
also eineWirkung durch eine nicht zu einer Einheit zusammengefate
Vielheit vonUrsachen, was lateinisch durch den Ausdruck eectus per
accidensbezeichnet wird; das heit zu einer ersten Ursache fllt
wenigstens einezweite Ursache hinzu (ac-cidit); dem Ausdruck eectus
per accidensentspricht also genau unser deutsches Wort Zufall; das
Fallenbezeichnet dabei das Gesetz- und Planlose des Geschehens.
Zufall alsUrsache ist entsprechend eine Mehrheit von Ursachen, die
weder durch einNaturgesetz noch durch planvolle Anordnung zu einer
Einheitzusammengefat ist, aber doch tatschlich eine gemeinsame
Wirkunghervorbringt: Causa per accidens.
Aus dem Gesagten ergibt sich zugleich, da der Zufall nicht der
einzigeEinwand gegen den Konvergenzbeweis ist. Es wre auch denkbar,
da dieKonvergenz weder durch Zufall noch durch die gemeinsame
Ursachezustandekme, auf welche die konvergierenden Grnde
hinzuweisenscheinen, sondern durch ein planvolles Wirken einer
geistigen Ursache, dieauf diese oder jene Weise den bloen Schein
jener gemeinsamen Ursachehervorbrchte. Das ist die Hypothese einer
bewuten Tuschung. Auf dieseHypothese weist Descartes hin, wenn er
die denkbare Mglichkeit erwhnt,da irgendein bser Geist (genius
malignus), der zugleich hchst mchtigund verschlagen ist, allen
seinen Flei daran gewandt habe, mich (durch dieSinnesbilder) zu
tuschen.40 Auf etwas hnliches luft die AuassungGeorge Berkeleys
hinaus, der zufolge die Sinnes- wahrnehmungen in unsvon Gott allein
hervorgerufen werden, obwohl es Berkeley fern liegt, dabeian eine
Tuschungsabsicht von seiten Gottes zu denken; nur der trichteMensch
tuscht sich selbst.41
Es fragt sich also, ob und wie die Hypothesen des Zufalls und
der
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Tuschung sich ausschlieen lassen. Bezglich dieser Frage gibt es
dreiverschiedene Auassungen:
Der Konvergenz-Beweis ergibt nur Wahrscheinlichkeit; die
anderenHypothesen lassen sich also nicht mit Gewiheit
ausschlieen.
1. Der Konvergenz-Beweis ergibt (wenigstens in gewissen
Fllen)
unbedingte (absolute) Gewiheit.2.
Der Konvergenz-Beweis ergibt zwar echte Gewiheit, aber diese
istwesentlich verschieden von absoluter Gewiheit; sie erhlt
denNamen hypothetische Gewiheit.
3.
90 Da der Konvergenz-Beweis nur Wahrscheinlichkeit gibt, ist
dieAuassung des Positivismus. Wenn eine Hypothese auch durch noch
soviele aus ihr gezogene und durch die Erfahrung besttigte
Folgerungenveriziert< wird, so wird sie dadurch doch nie
endgltig veriziert
-
Begrndung durch Konvergenz scheint als erster Newman gesehen
zuhaben. Tatschlich macht gerade dies den wesentlichen
Unterschiedzwischen absoluter und hypothetischer Gewiheit aus, da
die erstere, fallssie mittelbar ist, stets auf einem formalen Schlu
beruht, die letzteredagegen stets auf der formlosen Folgerung bzw.
dem Konvergenz-Denken.Und es ist sicher ein bedeutsamer Vorteil
dieser Einsicht, da durch sie eineVielzahl von Problemen auf ein
einziges Grundproblem zurckgefhrt wird.b) Hypothetische
Gewiheit.
Bevor wir zur Begrndung des Konvergenz- Schlusses bergehen,
seizunchst der Begri der hypothetischen Gewiheit genauer
erklrt.Gewiheit in vollem Sinn schliet zweierlei ein:
die zweifelsfreie feste Zustimmung;1. die Evidenz des
behaupteten Sachverhaltes, die diese Zustimmung
begrndet und somit zu einer vernunftgemen Zustimmungmacht.
2.
Beide Momente zusammen knnen in die Denition gefat
werden:Gewiheit ist eine feste, durch Evidenz begrndete Zustimmung.
Die festeZustimmung ist dabei die subjektive Seite der Gewiheit,
die Begrndungdurch Evidenz ihre objektive Seite.
92 Der wesentliche Unterschied zwischen absoluter und
hypothetischerGewiheit besteht nicht in der Festigkeit der
Zustimmung. Denn diese ltkeine wesentlichen Grade zu, wenigstens
soweit sie im Ausschlu desZweifels und in der mit diesem Ausschlu
gegebenen Endgltigkeit derZustimmung besteht. Solange noch
irgendein Zweifel besteht, kann vonfester Zustimmung nicht die Rede
sein; der gnzliche Ausschlu desZweifels lt aber kein wesentliches
Mehr oder Weniger zu. Und selbst wasdie akzidentellen Grade der
Festigkeit (etwa in der mehr oder wenigerentschiedenen Zurckweisung
des Zweifels) angeht, zeigt die Erfahrung,da die Festigkeit der
hypothetischen Gewiheit die der absolutenGewiheit oft nicht nur
erreicht, sondern sogar bertrit. Was man mitAugen sieht, daran zu
zweifeln ist man weniger geneigt als an einermetaphysischen
Ableitung.
Der wesentliche Unterschied zwischen absoluter und
hypothetischerGewiheit kann also nur in der Evidenz liegen.
Unmittelbare Evidenz istallerdings, wo sie wirklich besteht, stets
absolute Evidenz: Der an sichselbst sich klar zeigende Sachverhalt
schliet das Nichtbestehen seinerselbst unbedingt aus. Wenn nun aber
jede mittelbare Evidenz sich aufunmittelbare Evidenzen zurckfhren
lassen mu, so scheint auch diemittelbare Evidenz nur eine absolute
Evidenz sein zu knnen, so da eseine nicht-absolute Evidenz gar
nicht geben knnte. Das ist richtig, soweitsich die mittelbare
Evidenz in einem formalen Schlu, einem Syllogismus,ausdrcken lt.
Wenn in einem Syllogismus die Prmissen absolut gewisind, dann folgt
der durch den Syllogismus vermittelte Schlusatz mitabsoluter
Notwendigkeit; es wre ein Widerspruch, die Prmissenanzunehmen und
den Schlusatz zu leugnen, wie wir schon im vorigenKapitel
zeigten.
Die Frage ist aber: Ist jeder Schlu ein formaler Schlu,
einSyllogismus? Wir werden sehen, da die Begrndung durch
Konvergenzvieler Grnde eine vom Syllogismus wesentlich verschiedene
Evidenzergibt, bei der zwischen den Erkenntnismitteln (der
Gesamtheit derkonvergierenden Grnde) und dem zu erkennenden
Gegenstand zwar keinunbedingt notwendiger, aber doch ein irgendwie
notwendigerZusammenhang besteht. Ja, der Unterschied zwischen
unbedingt (absolut)notwendiger und nicht unbedingt notwendiger
mittelbarer Begrndung flltursprnglich50 genau zusammen mit dem
Unterschied zwischenBegrndung durch formalen Schlu oder durch
formlosen, auf derKonvergenz vieler Grnde beruhenden Schlu. Damit
ist bezglich desKonvergenz-Schlusses zweierlei gesagt:
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da er keine unbedingte Gewiheit ergibt,1. da er trotzdem
Gewiheit ergibt.2.
Beides ist nunmehr zu zeigen.93 Da die Konvergenz als solche
keine unbedingte Gewiheit gibt, folgt
schon aus der Darlegung ihrer Problematik. Die dort
vorgebrachtenEinwnde beweisen in der Tat, da durch die Konvergenz
allein eineabsolute Gewiheit nicht erzielt werden kann. Es mten
schonandersartige Beweisgrnde hinzukommen, wenn im Einzelfall
unbedingtGewiheit erreicht werden sollte. Das heit: Diese kommt nur
peraccidens, das heit durch einen hinzukommenden andersartigen
Grundzustande.
Das gleiche ergibt sich auch aus der Erfahrungstatsache, da
aufgrundder Konvergenz angenommene Sachverhalte sich zuweilen, wenn
auchselten, nachtrglich als falsche Annahmen herausstellen. Man
denke etwaan Gedchtnis- tuschungen, Trugwahrnehmungen, falsche
Folgerungenbezglich von Naturgesetzen oder geschichtlichen
Tatsachen. Gewi magman in solchen Fllen vielleicht nachtrglich
feststellen, da die Konvergenzder Grnde unzureichend war. Aber im
Augenblick selbst sah man keinenernst zu nehmenden Grund zum
Zweifel. Und wenn auch vielleicht bei mehrberlegung sich
Zweifelsgrnde htten zeigen knnen, so kann man doch wenigstens in
vielen Fllen denen, die diese berlegungen nichtangestellt haben,
daraus keinen Vorwurf machen. Man wird also zugebenmssen, da auch
in Fllen, in denen man vernnftigerweise aufgrundder Konvergenz eine
feste Zustimmung gibt, der Irrtum nicht unbedingtausgeschlossen
ist.
Dies wird der kritische Denker ohne weiteres zugeben. Wie aber
ltsich ein reexes Wissen darber gewinnen, da die Konvergenz
trotzdemechte Gewiheit begrnden kann? Newman selbst scheint zu
meinen, zumBeweis der Gltigkeit dieser Gewiheit knne man nicht mehr
tun als andie gemeinsame Stimme der Menschheit zu appellieren und
so dieGewiheit als eine normale Wirksamkeit unserer Natur zu
erklren.51 Frden Beweis des Wertes und der Autoritt jeglicher
Funktion, die zu mirgehrt, gengt es, sagen zu knnen, da sie
naturgem ist.52 Letztlich istdiese berzeugung vom Vertrauen auf die
gttliche Vorsehung getragen: Wie die Struktur des Universums zu uns
spricht von dem, der es schuf, sosind die Gesetze des Geistes der
Ausdruck nicht blo feststehenderOrdnung, sondern seines
Willens.53
94 Gegen diese berlegung scheinen sich aber Bedenken zu
erheben.Gewi ist der Konvergenzschlu der menschlichen Vernunft
naturgem,aber doch wohl nur deshalb, weil er durch die objektiven
Grnde, die erenthlt, die Annahme des betreenden Sachverhaltes
hinreichend sichert.Es entspricht nicht der Natur der Vernunft,
sich durch einen blinden Drangntigen zu lassen, sondern auf
objektive Grnde hin zuzustimmen. Esscheint auch nicht anzugehen,
diese Begrndung allein in dem Glauben andie gttliche Weltordnung
und die damit gegebene Zielsicherheit der Naturdes menschlichen
Geistes zu sehen. Denn dann mte zuvor dieHinneigung der Vernunft
zur Zustimmung als ein rein naturhafter, nichtdurch objektive Grnde
veranlater Drang erfahren werden, um dann erstdurch Zurckfhrung
dieses Dranges auf den allweisen Schpfer dessenAusrichtung auf die
Wahrheit zu begreifen. Dieses ganze Verfahrenerscheint sehr wenig
naturgem.c) Begrndung des Konvergenzschlusses.
So werden wir uns zur Begrndung des Konvergenzschlusses um
diereexe Herausarbeitung der Grnde bemhen mssen, die in ihm
selbstverborgen sind. Dabei sei von vornherein daraufhingewiesen,
da diehypothetische Gewiheit, zu der diese Grnde fhren, nicht in
einemeindeutigen (univoken), sondern nur in einem analogen Begri
mit derabsoluten Gewiheit zusammenkommt. Die Leugner der
hypothetischen
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Gewiheit bleiben bei einem eindeutigen Begri der Gewiheit stehen
undlehnen deshalb die hypothetische Gewiheit ab. Der Sache nach
kommensie nicht selten ganz nahe an das heran, was wir im folgenden
darlegenwerden.
Wir gehen von der Denition der Gewiheit aus und versuchen
zuzeigen, da sie mit Recht in einem analogen Sinn auf die feste
Zustimmungangewandt wird, die wir immer wieder auf Grund der
Konvergenz vonWahrscheinlichkeiten geben. Gewiheit ist eine feste,
durch Evidenzbegrndete Zustimmung. Die feste Zustimmung wird
tatschlich aufgrundder Konvergenz immer wieder gegeben. Die
entscheidende Frage ist: Kanndie Konvergenz der Grnde, obwohl sie
das Gegenteil des betreendenSachverhaltes nicht unbedingt
ausschliet, mit Recht in einem analogenSinn Evidenz genannt werden?
Die Bezeichnung ist berechtigt, wenn dieKonvergenz der Grnde das
Gegenteil des anzunehmenden Sachverhaltes(zwar nicht unbedingt),
aber doch so hinreichend ausschliet, da einefeste Zustimmung nicht
willkrlich, sondern begrndet und vor der Vernunftgerechtfertigt
(vernnftig) ist. Wenn dem so ist, dann stimmt dieKonvergenz darin
mit der absoluten Evidenz berein, da sie die festeZustimmung
vernnftig macht; darin aber weicht sie von ihr ab, da sie
dasGegenteil nicht absolut ausschliet. In beiden Fllen zeigt sich
derSachverhalt hinreichend klar (Evidenz!), und doch ist dieses
klareSichzeigen auch wesentlich verschieden: Analogie!
95 Die Tatsache der Konvergenz fordert eine hinreichende
Ursache. Das istunbedingt gewi.54 Die Frage ist: Welches ist diese
Ursache? Konvergenzsagt auf jeden Fall eine Vielheit von
Geschehnissen, deren Zusammenspielmindestens den Eindruck eines
zusammenhngenden Ganzen macht. Istdieser Eindruck bloer Schein,
ohne da eine einheitliche Ursache dahintersteht, welche die vielen
Einzelheiten auf das eine Ergebnis hinzusammenwirken lt, so haben
wir die Hypothese des Zufalls. Steht abereine einheitliche Ursache
dahinter, die alles auf den Anschein eineszusammenhngenden Ganzen
hinordnet, ohne da ein solches Ganzeswirklich besteht, so haben wir
die Hypothese bewuter Tuschung. Wennweder die eine noch die andere
Hypothese zutrit, so mu das Ganze, andas die Konvergenz so vieler
Einzelheiten unwillkrlich denken lt,mindestens als Mitursache
wirklich bestehen. Wie wir sagten, knnen diebeiden ersten
Hypothesen nicht absolut ausgeschlossen werden. Mudarum ernstlich
mit ihrer Mglichkeit gerechnet werden? Oder drfen siedoch in einem
wahren Sinn als ausgeschlossen betrachtet werden?
Jeder normale Mensch entscheidet sich spontan fr das
zweite,namentlich insofern er den Zufall als mgliche Erklrung
ablehnt. Er wird z.B. nie annehmen, da ein Wrfel zufllig hundertmal
hintereinander aufdieselbe Zahl fllt; er wird sagen: Das ist
ausgeschlossen. Ist diesesspontane Urteil berechtigt? Zufall ist
seinem Begri nach ungeordnetes,zielloses Wirken. Ein solches Wirken
wird sich darin kundtun, da vonmehreren an sich (das heit ohne
Voraussetzung einer bevorzugendenUrsache) gleich wahrscheinlichen
Mglichkeiten, bald die eine, bald eineandere sich verwirklicht. Da
dagegen bestndig die gleiche Mglichkeitunter Ausschlu jeder anderen
verwirklicht wird, wie es im Fall derKonvergenz geschieht, ist in
keiner Weise zu erwarten. Es wre alsodurchaus unvernnftig, den
Zufall als die hinreichende Ursache fr dieKonvergenz anzunehmen, ja
auch nur die Mglichkeit des Zufalls ernstlichin Betracht zu ziehen,
das heit sie fr wahrscheinlich zu halten. Denn esbesteht keinerlei
Wahrschein- lichkeitsgrund fr die Annahme des Zufalls.Ein solcher
Wahrscheinlichkeits- grund wre nur eine Unregelmigkeit
desbeobachteten Geschehens, das heit aber: Ein Durchbrechen
derKonvergenz!
Gilt dasselbe auch fr den Ausschlu der Tuschungshypothese?
Nachunserer Voraussetzung ist zu sagen: Ja. Denn wenn irgendein
Grund fr dieMglichkeit einer Tuschung sprche, dann bestnde eben
keineKonvergenz mehr fr die Annahme des Sachverhaltes, dessen
Annahmedurch die konvergierenden Grnde nahegelegt wird. Auch hier
gilt also:Alles (und zwar nicht weniges!) spricht gegen die
Tuschungshypothese,
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nichts dafr.96 Darum wre es unvernnftig, mit der Mglichkeit der
Tuschung ernstlich zu
rechnen. Allerdings ist zuzugeben, da diese Folgerung nicht den
gleichenGrad der Gewiheit hat wie die entsprechende Folgerung
bezglich desZufalls. Der Grund ist klar: Wer andere tuschen will,
bemht sich natrlich,alle Spuren, aus denen man die Tuschung
entdecken knnte, mglichstauszuschalten, whrend dem Zufall solche
Machenschaften unmglichsind. Trotzdem wre es unbegrndet, mit der
Tuschungshypotheseernstlich zu rechnen, wenn gar keine
Anhaltspunkte fr sie vorliegen.Besonders gilt das in all den Fllen,
wo das Geschehen seiner Natur nachnicht durch menschliche Eingrie
beeinut werden kann.
Der Einwand liegt nahe: Gewi folgt aus dem Gesagten, da
esunvernnftig wre, die Hypothese des Zufalls bzw. der Tuschung fr
wahroder auch nur fr wahrscheinlich zu halten; aber ist darum schon
die festeZustimmung zum Gegenteil berechtigt? Zur Gewiheit gengt
nicht derAusschlu der Wahrscheinlichkeit des Gegenteils, sondern es
ist derAusschlu der Mglichkeit des Gegenteils erforderlich.
Der Einwand trit den entscheidenden Punkt. Zugeben mu man
auch,da die Konvergenz die absolute Mglichkeit des Gegenteils
nichtausschliet. Trotzdem nimmt jedermann spontan an, da sie das
Gegenteil(Zufall oder Tuschung) insoweit hinreichend ausschliet, da
auch positiveine feste Zustimmung zu dem durch die Konvergenz
angezeigtenSachverhalt vor der Vernunft zu rechtfertigen ist. Und
diese Auassungscheint uns berechtigt.
Dafr zunchst ein mehr praktischer Grund: Wer die feste
Zustimmungnicht blo mit Worten, sondern ernsthaft ablehnt, der wrde
folgerichtig anallen nur durch Konvergenz begrndeten Annahmen
ernsthaft zweifeln;denn ein Sich- enthalten von jeder Stellungnahme
ist in vielen Fllenunmglich, da es sich keineswegs um gleichgltige
Dinge handelt, die manunbeachtet liegen lassen kann. Der ernsthafte
Zweifel aber z. B. anunserem ganzen vergangenen Leben, an der
krperlichen Auenwelt, ander Existenz der Mitmenschen usw. wrde das
menschliche Lebenunmglich machen, ja sogar ohne Zweifel ber kurz
oder lang den Zweierins Irrenhaus bringen. Kann es vernnftig sein,
sich dieser Gefahrauszusetzen? Mu nicht ein Verlangen nach
theoretischer Gewiheit, das zusolchen Folgerungen fhrt, als
Gewiheitsfanatismus beurteilt werden?Fanatismus ist aber gewi nicht
vernunftgem.
Vielleicht wird man einwenden: Sicher, die Erkenntnisse, um die
es sichhier handelt, sind praktisch gewi, aber darum doch noch
nichttheoretisch gewi, sondern theoretisch nur wahrscheinlich. -
Die Frage ist:Was ist hier mit theoretischer Gewiheit gemeint? Wenn
siedenitionsmig der absoluten Gewiheit gleichgesetzt wird, dann
handeltes sich nur um eine Frage der Terminologie.
97 Dann mte man aber auch allen Ergebnissen der
Naturwissenschafttheoretische Gewiheit absprechen, da diese
Ergebnisse alle, wie imvorigen Kapitel gezeigt wurde, in
mannigfacher Weise Erkenntnissevoraussetzen, die nur durch die
Konvergenz der Grnde gerechtfertigtwerden knnen. Wenn aber, wie es
dem Wortsinn sicher mehr entspricht,jede Gewiheit theoretisch heien
soll, die sich durch Vernunftgrnde alsrechtmig erweisen lt, dann
luft die Leugnung der theoretischenGewiheit darauf hinaus, da alle
auf Konvergenz beruhende, nurpraktische Gewiheit wenigstens als
feste Zustimmung ohnerationale Begrndung ist, also nur den
Charakter eines Postulates hat,das auf blo irrationale Beweggrnde
hin angenommen wird. Ist das abernicht eine geradezu skeptische
These? Wird so nicht um eines unmglichenIdeals absoluter Exaktheit
willen die Gewiheit, die uns Menschengeschenkt ist, abgewiesen?
Werden so nicht a priori aufgestellte angeblicheForderungen der
Wissenschaft ber die Forderungen gestellt, die sich ausder
menschlichen Natur ergeben? Wir sind aber, lange bevor
wirWissenschaftler sind, Menschen. Und diese menschlichen
Forderungen zuvertreten, ist Sache der Philosophie.
Sie vertritt damit auch die Sache des Wissenschaftlers
selbst,
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wenigstens insoweit er von den Erkenntnissen seiner Wissenschaft
her zueinem Tun fortschreitet, das auch menschlich bedeutsam ist.
Darf z. B. einTechniker den Menschen ein Werk anbieten, etwa eine
Brcke, wenn erernsthaft daran zweifelt, ob ihre Bentzung gefahrlos
ist? Gewi wird ersagen, er knne zwar die absolute Mglichkeit eines
Unglcks nichtausschlieen, aber doch mit gutem Gewissen die Brcke
dem Verkehrbergeben. Er zweifelt also nicht an ihrer Haltbarkeit
undVerkehrssicherheit, die durch die wissenschaftlichen
Berechnungenfeststehen. Das heit: Er hat die feste, zweifelsfreie
berzeugung, da diewissenschaftlichen Berechnungen stimmen. Diese
beruhen aber weithinnur auf der Konvergenz unzhliger Erfahrungen.
Er gibt also tatschlichaufgrund der Konvergenz eine feste
Zustimmung und ist berzeugt, dadiese vernnftig begrndet ist. Nichts
anderes meinen wir, wenn wir vonder Gewiheit auf Grund der
Konvergenz sprechen.
Man wird fragen: Wie ist diese feste Zustimmung theoretisch
zurechtfertigen? Warum ist es vernnftig, das ohne Zweifel
anzunehmen, wasohne beachtlichen Gegengrund durch das bergewicht
konvergierenderGrnde so nahegelegt wird, da ein Zweifel kaum mehr
mglich ist? Warumgilt der Satz: Wenn einerseits zahllose
Einzelphnomene durch Annahmeeiner einzigen Ursache zwanglos erklrt
werden, andererseits sich fr keineandere Erklrung irgend ein
positiver Grund zeigt, dann ist es vernnftig,die erste Erklrung
ohne zu zweifeln anzunehmen. Man kann diesen Satzden Grundsatz der
Konvergenz nennen. Er scheint hinreichendgerechtfertigt zu sein
durch ein verstndiges Abwgen a) der Grnde fr dieAnnahme und b) der
Bedeutung, die eine feste berzeugung in vielen nichtanders zu
rechtfertigenden Dingen fr das menschliche Leben hat.
98 Natrlich kann man niemand zwingen, ihn anzunehmen, sondern
nur, wiestets, wenn es sich um eine personale Entscheidung handelt,
zuvorurteilsloser Prfung auordern. Ein mathematischer Beweis ist
hiernatrlich unmglich. Wer einen solchen fordert, verschliet sich
selbst denWeg zur Einsicht. Aber kann man mathematisch beweisen, da
nur einmathematischer Beweis Gewiheit gibt?
Es wurde gesagt: Ein verstndiges Abwgen der Grnde
rechtfertigtden Konvergenzschlu. Vorausgesetzt wird jedenfalls eine
groe Anzahl vonPhnomenen (a, b, c, d ...), die unter sich nicht
notwendigzusammenhngen (a erklrt nicht b, b nicht c usw. denn
insoweit diePhnomene in dieser Weise zusammenhngen, ist b, c usw.
ja erklrt); dasZusammensein der Phnomene hat aber etwas Aulliges,
was unsunwillkrlich nach einer Erklrung fragen lt; aullig ist etwa
diebereinstimmung einer Wahrnehmung mit der durch eine
Erinnerunggeweckten Erwartung, und das in vielen Einzelheiten; oder
dieRegelmigkeit, mit der unter gleichen Umstnden immer wieder
dergleiche Vorgang eintritt. Wenn eine nicht gegebene gemeinsame
Ursacheangenommen wird (etwa die Wirklichkeit des vergangenen
Erlebnisses, andas ich mich erinnere, bzw. eine Naturnotwendigkeit,
die sich in denwiederholten Vorgngen auswirkt), dann lassen sich
die auallendenPhnomene zwanglos erklren, d. h. sie lassen sich aus
der Annahmedieser Ursache als notwendig oder doch zu erwarten
ableiten.
Daraus folgt allerdings nach den Regeln der formalen Logik
nicht, dadiese Ursache wirklich besteht. Man kann nicht logisch
schlieen: Wenn p,dann q; nun aber q; also p. Die Folgerung ist nur
dann logisch richtig, wenngilt: Nur wenn p, dann q, d. h. wenn alle
anderen Ursachen ausgeschlossensind, wenn z. B. feststeht, da die
beobachtete Regelmigkeit nur dannmglich ist, wenn die
Naturnotwendigkeit besteht. Wir muten aberzugeben, da sich eine
andere Mglichkeit der Erklrung, z. B. der Zufall,nicht absolut
ausschlieen lt. Mit welchem Recht wird also eine andereErklrung
trotzdem ausgeschlossen oder, besser gesagt, ernsthaft nicht
inBetracht gezogen?
Nach unserer Voraussetzung besteht fr die Annahme einer
anderenUrsache, etwa Zufall oder bewute Tuschung, kein
Anhaltspunkt, der sieals wahrscheinlich erscheinen lt. Wrden die
aulligen Phnomene aufeiner der genannten anderen Ursachen beruhen,
so wrde man erwarten,
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da sich dafr irgendwelche Anzeichen bemerkbar machen. Der
Zufallmte sich etwa durch Unregelmigkeiten anzeigen. Tuschung
durchMenschen ist von vornherein da ausgeschlossen, wo das
Geschehen, wieetwa das Entstehen von Erinnerungen, ohne Vermittlung
durch freiesmenschliches Handeln rein naturhaft bestimmt ist. Ganz
allgemein ist eineTuschungsabsicht vernnftigerweise da nicht
anzunehmen, wo sich keinverstndlicher Beweggrund fr eine Tuschung
vermuten lt. EineTuschung durch Gott selbst widerspricht einem
geluterten Gottesbegri.(Dasselbe gilt auch von der Auassung
Berkeleys.)
99 Man mte schon an einen bsen Geist (malus genius
sagtDescartes)denken. Ein Materialist bzw. Atheist wird allerdings
nicht aufsolche Gedanken verfallen; fr den Glubigen aber ist
jedenfalls eineregelmige Tuschung durch bse Geister durch die
berzeugung von dergttlichen Vorsehung ausgeschlossen. Im brigen
gehrt dies alles zu denabenteuerlichen Voraussetzungen, gegen die,
wie Newman sagt, derFolgerungssinn uns sichert. Denn obwohl solche
Voraussetzungen nicht mitstreng syllogistischen Schlssen widerlegt
werden knnen, werden sie dochmit Recht als willkrlich beiseite
geschoben. Da dies die einzigsachgeme Haltung gegenber solchen
berspanntheiten ist, das geradeist die Einsicht, die wir hier
vertreten.
Aber wenn nun einmal, wie zugegeben werden mute,
dieseabenteuerlichen Annahmen sich nicht mit absoluter
Gewiheitausschlieen lassen, wre es dann nicht zur Vermeidung des
Irrtumssicherer und ehrlicher, sich jeder festen Zustimmung zu
enthalten und sichmit der Annahme eines sehr hohen Grades von
Wahrscheinlichkeit zubegngen? Man wird hier eine Frage der
Terminologie und die eigentlicheFrage, um die es sich handelt,
unterscheiden mssen. Die erste Fragebetrit die sprachliche
Bezeichnung der Art der Grnde, die bei derKonvergenz vorliegen. Man
mag diese als an Gewiheit (bzw. Evidenz)grenzende
Wahrscheinlichkeit bezeichnen. Fr die eigentliche Frageentscheidend
ist, ob man diese Wahrscheinlichkeit als fr eine feste, d.
h.zweifelsfreie Zustimmung (wie sie zur Gewiheit im vollen Sinn des
Wortesgehrt) fr hinreichend hlt oder nicht. Ist sie nicht
hinreichend, so heitdas mit anderen Worten: Eine feste, d. h.
zweifelsfreie Zustimmung ist vonder Sache her nicht begrndet und
darum vor der Vernunft nicht zurechtfertigen. Gerade wegen der
Lebensbedeutung einer zweifelsfreienGewiheit in vielen Dingen mssen
hier bersteigerte Anforderungen einereinseitigen
Wissenschaftstheorie zurcktreten. Die Sorge um den
absolutenAusschlu jeder Zweifelsmglichkeit kann nicht das hchste
Prinzipmenschlichen Wahrheitsstrebens sein. Sonst wrde schlielich
folgen, es seidas beste, nach dem Rat des alten Skeptikers Pyrrhon
sich jeder festenBehauptung zu enthalten. Es gengt eben fr das
menschliche Leben nicht,nur negativ nichts Irriges zu behaupten,
sondern es ist auch positiv einenicht durch Zweifel gestrte
Gewiheit ber viele Dinge lebensnotwendig.Wer nicht blo vorgibt, an
allem zu zweifeln, sondern wirklich ernsthaft anallem zweifelt,
wrde in seinem Handeln bestndig gehemmt sein. In
reintheoretisch-wissenschaftlichen Fragen mag es oft angehen,
jeunvermeidlich sein, bei der bloen Feststellung einer
Wahrscheinlichkeitstehen zu bleiben, ohne eine bestimmte Aussage
ber die Sache selbst. Woes sich aber um entscheidende Lebensfragen
handelt, knnen und drfenwir nicht wegen der Unmglichkeit,
spitzndige Einwnde exakt zuwiderlegen, auf die sich uns anbietende
menschenmgliche Gewiheitverzichten. Nicht die feste Zustimmung,
sondern der Zweifel wre hierunvernnftig.
100 Das Ergebnis dieser berlegungen lt sich in den
Satzzusammenfassen: Die Konvergenz vieler Grnde, die einzeln
nurWahrscheinlichkeit ergeben, kann hinreichender Grund fr eine
festeZustimmung sein, die sich von einer beliebigen Meinung
wesentlichunterscheidet und darum mit Recht Gewiheit heit, auch
wenn sie nichtden Anspruch erheben kann, absolute Gewiheit zu sein.
Diese Gewiheitwurde vielfach hypothetische Gewiheit genannt.
Entsprechender scheintder Name menschliche Gewiheit zu sein, nicht
nur im Gegensatz zu der
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unter jeder Rcksicht absoluten Gewiheit des gttlichen
Wissens,sondern auch im Gegensatz zu der dem Menschen als
Geistwesengegebenen, den Irrtum an sich unbedingt ausschlieenden
und insofernabsoluten Gewiheit, obwohl auch diese durch
menschlicheMiverstndnisse und Fehleinstellungen zeitweise
verdunkelt werden kann.In der Tat wre es eine unmgliche Annahme,
alle menschliche Gewiheitsei nur Gewiheit aufgrund von Konvergenz;
denn alle Erkenntnis derKonvergenz setzt die Erkenntnis der
einzelnen konvergierenden Grndevoraus. Diese Grnde sind nur
wahrscheinlich bezglich der nichtgegebenen Wirklichkeit, nicht aber
bezglich ihrer selbst als dieseseinzelnen Phnomens.
Die Frage liegt nahe: Wie viele Grnde mssen zusammenwirken,damit
eine feste Zustimmung berechtigt ist? Es ist klar, da sich
keinebestimmte Zahl angeben lt, vor allem nicht allgemein fr alle
Flle. Eskommt hier mehr auf die Qualitt der Grnde als auf die bloe
Zahl an. EinKriterium kann z. B. sein: Je verschiedenartiger die
konvergierenden Grndesind, um so unwahrscheinlicher wird der Zufall
oder die bewuteTuschung. Gleichartige Zeugnisse ber ein angebliches
geschichtlichesEreignis in grerer Zahl knnen weniger Beweiskraft
haben als ganzverschiedenartige Zeugnisse bzw. Anzeichen in
geringerer Anzahl, aufderen Verfertigung ein Flscher kaum verfallen
wre. Manches kann da aufgewisse Regeln gebracht werden, wie es etwa
in der historischen Kritikgeschieht, aber alles lt sich gewi nicht
auf Regeln bringen, und auch diebesten Regeln verlangen eine
verstndige Anwendung (vgl. S. 18, Anm. 27).6. Physische und
moralische Gewiheit.
Gegenber diesem gemeinsamen Wesen der hypothetischen Gewiheitist
die Unterscheidung zwischen physischer und moralischer
Gewiheituntergeordnet. Sie beruht darauf, ob der Zusammenhang
zwischen denkonvergierenden Grnden und dem als Ursache
angenommenenGegenstand durch ein physisches, d. h. naturhaftes
Wirken von Sachenoder durch das gewohnheitsmige (moralis von
mores!) Handeln vonPersonen hergestellt wird.
101 So sind von den genannten Gewiheiten die der Induktion,
derSinneswahrnehmung und der Erinnerung physische
Gewiheiten,dagegen die geschichtliche Gewiheit, die Zuverlssigkeit
menschlicherAussagen, die Gewiheit der sprachlichen Verstndigung
moralischeGewiheiten. Bei der Gewiheit von menschlichen
Personen(Du-Gewiheit), aber auch bei der Weitergabe von
physischenGewiheiten durch Sprache oder Schrift wirken physische
und moralischeGrnde zusammen. Zum Schlu sei noch bemerkt, da die
physische(naturbedingte) Gewiheit keineswegs immer der moralischen
(personalbedingten) Gewiheit berlegen ist.
Anmerkungen Kapitel 61 Vgl. S. 21 f. 12 Unter Sachverhalt,
realer Sachverhalt, verstehen
wir nicht das logische Gebilde des Urteils selbst
(denUrteilsinhalt, die Aussage), sondern den vom Urteilunabhngigen
Gegenstand des Urteils, den das Urteilmeint, intendiert.
2
3 Vgl. S. 22 f. 34 Metaphysik 7, 15: 1039b 27 1040a 5. Ob
die
bliche bersetzung von doxa mit Meinung richtigist, soll
dahingestellt bleiben. Aristoteles begrndetseine Auassung, da es
vom sinnlich gegebenenEinzelding kein Wissen (epistm) sondern nur
doxagebe, mit der Vernderlichkeit des materiellenEinzelnen: Es ist
mglich, da es sich ndert, sobald es
4
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nicht mehr wahrgenommen wird. Durch dieseBegrndung wird nicht
ausgeschlossen, da der Satz,sobald er mit einer Zeitbestimmung
versehen wird (Ahatte zur Zeit t diese Beschaenheit), unbedingt
gewiwre. An diese Mglichkeit scheint Aristoteles nichtgedacht zu
haben.
5 Filosoa fundamental, libro 1, cap. 15 u. 32: Obrascompletas,
hrsg. v. P. Casanovas S. J., Bd. 2 (Madrid1948) S. 87-95,
189-197.
5
6 Ebd. S. 95, Nota. 67 Essai sur les fondements de la
Psychologie, 1812
verfat, zum ersten Mal hrsg. v. E. Naville 1859.Neudruck in:
Oeuvres choisies de Maine de Biran, hrsg.v. H. Gouhier, Paris 1942,
S. 67-153.
7
8 Die Wissensformen und die Gesellschaft, Leipzig 1926,S. 472.
8
9 Ebd. S. 462. 910 Die Stellung des Menschen im Kosmos,
Darmstadt
1928, S. 63 f. 1011 N. Hartmann, Zur Grundlegung der Ontologie,
Berlin
1935, S. 184. 1112 Ebd., S. 178 f. 1213 Ebd. S. 189. 1314 Ebd.
S. 198-200. 1415 Vgl. Sein und Zeit. Halle 1927, S. 134-153. 1516
Ebd. S. 69. 1617 Vgl. dazu: J. de Vries, Die Erkenntnistheorie
des
dialektischen Materialismus, Mnchen 1958, S. 39-46.102-109.
17
18 Marx-Engels, Ausgewhlte Schriften, Bd. 2, Berlin 1953,S. 376.
18
19 M. N. Rutkewitsch. Die Praxis als Grundlage derErkenntnis und
als Kriterium der Wahrheit Berlin 1957.S. 43.
19
20 Vgl. S. 36 f. 2021 Zuerst 1870 erschienen. Wir zitieren nach
der Londoner
Ausgabe von 1917 und der deutschen bersetzung vonTheodor
Haecker, Neuausgabe Mainz 1961 unter demTitel: Entwurf einer
Zustimmungslehre.
21
22 Grammar of assent, chapt. 8 2-3, chapt. 9. 2223 Grammar S.
334, dt. bers. S. 234. 2324 Grammar S. 303 u. 338; dt. bers. S. 213
u. 237. 2425 Grammar S. 301; dt. bers. S. 211. 2526 Grammar S. 317,
dt. bers. S. 222 (gegenber Haecker
vom Verf. gendert). 2627 Grammar S. 288. dt. bers. S. 202. 2728
Ebd. 2829 Grammar S. 292, dt. bers. S. 205. 2930 Grammar S. 319,
dt. bers. S. 224. 3031 Grammar S. 360, dt. bers, (gendert) S. 253;
die
bersetzung von Haecker Grenzfall
konvergierenderWahrscheinlichkeit (limit of converging
probabilities)meint wohl die untere Grenze der zur
Gewiheithinreichenden Wahrscheinlichkeitsgrnde; auch dieseDeutung
ist mglich.
31
32 Grammar S. 324, dt. bers. S. 227. 3233 Grammar S. 355, dt.
bers. S. 248. 33
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34 Grammar S. 296 u. 363, dt. bers. S. 207 f. u. 255. 3435
Grammar S. 294 f., dt. bers. S. 206 f. 3536 Grammar S. 298 f. u.
322 f., dt. bers. S. 209 f. u. 226 f. 3637 Grammar S. 376, dt.
bers. S. 264 (vom Verf.
gendert). 3738 Grammar S. 294-296, dt. bers. S. 206 f. 3839 Auf
die Problematik der Wahrscheinlichkeit gehen wir
hier noch nicht ein. Vgl. dazu S. 4.65. 3940 Meditationes de
prima philosophia, med. 1, gegen
Schlu: Oeuvres, ed. Adam-Tannery, Bd. 7, S. 22. 4041 The
Principles of Human Knowledge, Part 1, 29, 30,
72: Works, ed. T. E. Jessop, Bd. 2, S. 53 f., 72. 4142 Viktor
Kraft, Erkenntnislehre, Wien 1960, S. 244 f. 4243 Ebd. S. 253. 4344
Franz Brentano. Die Lehre vom richtigen Urteil. Bern
1956. S. 161 f.. 293 f. 4445 So z. B. C. Frick, Logica, 7. Au..
Freiburg 1931, S. 283 f.
Vgl. auch: Juan Roig Gironella, El problema de lostres grados de
certeza, in: Pensamientol3 (1957) S.203-222, 297-346.
45
46 C. Frick, Logica. 7. Au., S. 284. 4647 H. Beck,
Erkenntnistheoretische Voraussetzungen der
induktiven Methode, in: Salzburger Jahrbuch frPhilosophie 9
(1965) S. 59-64.
47
48 Sylvester Maurus, Opus theologicum, Rom 1687, tom.2, S. 404.
48
49 Leibniz, Nouveaux Essais, IV, ch. 6, 13:
PhilosophischeSchriften, hrsg. v. C. J. Gerhardt, 5. Bd., S. 387.
49
50 Ursprnglich, das will sagen: wo die beiden Formen
derBegrndung rein auftreten; denn es gibt auchMischformen, so wenn
aus einer Voraussetzung, dieselbst auf formlosem Schlu beruht,
durch formalenSchlu eine Folgerung abgeleitet wird. Obwohl dann
dieAbleitung als solche unbedingt gewi ist, ist doch dersich
ergebende Schlusatz nur hypothetisch gewi,nach der bekannten
Schluregel : Peiorem sequitursemper conclusio partem.
50
51 Grammar of assent (vgl. Anm. 21) S. 344; dt. bers. S.241.
51
52 Gr. 9. Kap. 1, S. 347; dt. bers. S. 244. 5253 Ebd. S. 351;
dt. bers. S. 246. 5354 Den Satz vom zureichenden Grund bzw. das
metaphysische Kausalprinzip, das wir hiervoraussetzen, werden
wir in einem spteren Kapiteluntersuchen. Vgl. Kap. 8.
54
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