Vorwort - bilder.buecher.de · Manteldentin: Schicht mindermineralisierten Dentins unterhalb des Schmelzes, erleichtert die unterminierende Kariesausbreitung an der Schmelz-Dentin-Grenze
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Wer ein Buch mit dem Titel „Checkliste“ er-wirbt, erwartet unter Umständen eine Anei-nanderreihung von Tabellen, Listen und Grafi-ken, die schrittweise abgehakt werden können,um so das erwünschte Ziel zu erreichen – imFall der „Endodontie-Checkliste“ eine erfolgrei-che Wurzelkanalbehandlung mit Präventionoder Heilung einer Parodontitis apicalis.Ein derartiges „Kochbuch“ mit Rezepten für allemöglichen Fälle soll dieses Buch nicht darstel-len – dafür ist die Endodontie zu vielschichtig,zu komplex und zu kompliziert. Unter „Check-liste soll im vorliegenden Kompendium viel-mehr eine komprimierte Darstellung vongrundlegenden Fakten der endodontischen Be-handlung verstanden werden, die ein fallbezo-gen adäquates, aber immer individuell zu be-stimmendes Vorgehen ermöglicht. Nicht dieAufzählung bestimmter Feilensequenzen oderein mechanisch-mathematisches Vorgehen,sondern die Kenntnis und das Verständnis derkomplexen Wurzelkanalanatomie, der mikro-biellen Interaktionen und der pathophysiologi-schen Grundlagen sowie die Bedeutung derDesinfektion in der Endodontie stehen im Zen-trum der Ausführungen.Dem entspricht die gewählte Vierteilung: Auf-bauend auf dem initialen allgemeinen Teil wer-den im zweiten Teil endodontische Techniken,Methoden und Instrumente zur Diagnostik vor-gestellt und bewertet. Darauf aufbauend wer-den im dritten Teil des Werkes die Möglichkei-
ten einer individuellen Therapie aufgezeigt. Derabschließende vierte Teil gibt einen Überblicküber spezielle Aspekte der Endodontologie,wie Traumatologie, Milchzahnbehandlung undRevision.Es ist nicht das Ziel, den Leserinnen und Leserneine bestimmte klinische Vorgehensweise vor-zuschreiben (Gurudontie), sondern ihre Mög-lichkeiten zu verbessern, ein fundiertes, mehrin Fakten als in Vermutungen, Empirie undÜberlieferungen begründetes Therapiekonzeptzu entwickeln.Natürlich kann es das vorliegende Buch in sei-ner Komprimiertheit nicht leisten, unterschied-liche Studienergebnisse und Schulmeinungeneindeutig und zufriedenstellend mit einem kla-ren „Da geht’s lang!“ aufzuklären. Ebenso ist esnicht seine Aufgabe, den kontinuierlichen im-mensen Wissenszuwachs in der Endodontolo-gie in seiner Vollständigkeit aufzufangen –
denn diese Aktualität kann nur von Publikatio-nen in Fachzeitschriften getragen werden. Die-ses Buch kann und soll jedoch den Leserinnenund Lesern auf der Basis der gebotenen Datenund Fakten die Möglichkeit bieten, auch instru-mentelle Neuheiten und eventuell auftretendeKontroversen einzuordnen, zu verstehen unddas eigene Behandlungskonzept kritisch zuüberprüfen und zu verbessern.
on einer von Ameloblasten sezernierten Ma-trix. Er wird nur während der Zahnentwick-lung gebildet und ist die äußerste koronaleZahnschicht, die aus Hydroxylapatit mit Git-terstruktur besteht. EntwicklungsbedingteDefekte und Mikroporen sind möglich. Zu-sammengesetzt ist der Schmelz überwiegendaus anorganischer Substanz (Kalzium, Phos-phor, Magnesium, Karbonat, Natrium, Spu-renelemente).Physikalische Eigenschaften des Zahn-schmelzes (nach Klimm 2003):
Verletzungen des Schmelzes mit einer Un-terbrechung der Kontinuität des Schmelz-mantels und einer Dentinexposition bedeu-ten automatisch eine Gefährdung des Pulpa-Dentin-Komplexes.
Dentin
Dentin besteht zu 70 Gewichtsprozent ausWasser, zu 20 Gewichtsprozent aus organi-schen Bestandteilen. Es wird während dergesamten Lebensdauer der Pulpa von Odon-toblasten der Zahnpulpa gebildet.
● Primärdentin wird bis zum Abschluss derWurzelbildung gebildet.
● Sekundärdentin wird nach Abschluss derWurzelbildung lebenslang an der Pulpa-Dentin-Grenzfläche gebildet (physiologisch-reguläres Sekundärdentin).
● Tertiärdentin (irreguläres Sekundärdentin,Reizdentin) entsteht als Reaktion auf externeReize (Karies, Erosion, Abrasion, Präparation).Es wird von Pulpazellen gebildet, die sichnach Absterben der Odontoblasten in einembegrenzten Bereich der Pulpa in Reiznäheaus Mesenchymzellen zu Hartgewebe bil-denden Zellen umdifferenzieren. Es ist we-niger mineralisiert und enthält mehr organi-sches Material als Primärdentin.
● An der Grenzfläche zwischen physiologi-schem Sekundärdentin und Tertiärdentinfindet sich Grenzflächendentin („InterfaceDentin“), das oft atubulär ist.
MERKEDie Bildung von Tertiärdentin bis zur voll-ständigen Obliteration endodontischer Hohl-räume ist Ausdruck eines Abwehrverhaltensder Pulpa gegen exogene Reize. Die Bildungvon Reizdentin ist nur möglich bei (noch)erhaltener Vitalität der Pulpa.
Eigenschaften und Formendes DentinsDas Dentin ist von einer semipermeablenMembran umgeben, dem Schmelz, der denPulpa-Dentin-Komplex vor schädigendenEinflüssen aus der Mundhöhle schützt, aberden Durchtritt von Flüssigkeiten, Atomenund kleinen Molekülen erlaubt. In der Pulpaherrscht ein hoher interstitieller Flüssig-keitsdruck.Schmelz ist kein vitales Gewebe, es findet nurein Ionen- und Flüssigkeitsaustausch statt.Dentin ist dagegen ein vitales Gewebe, es isthochelastisch und verformbar und liegt wieein Puffer unter dem härteren und wenigerelastischen Schmelzmantel.Man unterscheidet folgende Dentinformen:
● Manteldentin: Schicht mindermineralisiertenDentins unterhalb des Schmelzes, erleichtertdie unterminierende Kariesausbreitung ander Schmelz-Dentin-Grenze
● intertubuläres Dentin: dichte Kollagenma-trix, weniger stark mineralisiert als peritu-buläres Dentin
● Prädentin: noch nicht vollständig ausgereifteund weniger mineralisierte Dentinschicht ander Grenze zum PulpagewebePhysikalische Eigenschaften von Dentin(nach Klimm 2003):
DentintubuliDas Dentin ist von Tubuli mit einem Durch-messer von 1–2 μm durchzogen, die sich vonder Schmelz-Dentin-Grenze bis zur Pulpa er-strecken (Länge 2,5–3,5mm; Abb. 2.2–Abb. 2.3; Tab. 2.1).Die Dentintubuli enthalten den Odontoblas-tenfortsatz und sind mit Dentinliquor gefüllt.Bewegungen des Dentinliquors sind ein
wichtiger Faktor der Schmerzätiologie (hy-drodynamische Theorie, s. u.).Die Dentintubuli der beiden angrenzendenDentinschichten kommunizieren nicht mit-einander, die Kontinuität der äußeren Den-tintubuli zur Pulpa ist unterbrochen. Diesstellt eine Barriere gegen das Einströmen vonAgenzien in das Pulpagewebe dar.Dentintubuli sind von hochmineralisiertemperitubulären Dentin mit wenig Kollagenan-teil umgeben. In frisch durchgebrochenenZähnen findet sich dieses mineralisierte pe-ritubuläre Dentin noch nicht, d. h. der Bodeneiner Kavität kann bei jugendlichen Zähnenzu einem großen Anteil aus Tubuliöffnungenbestehen.Durchmesser und Volumen der Tubuli vari-ieren je nach Alter und Abstand von derPulpa. Bei Jugendlichen und in Pulpanähe istdie Dichte der Tubuli und ihr Durchmesseram größten (pulpanah bis zu 4–5 μm;Tab. 2.1). Die pulpanahe Querschnittsfläche
2 GRUNDLAGEN DER ENDODONTIE
Anatomie und Physiologie des Pulpa-Dentin-Systems
Abb. 2.2 Schematische Darstel-lung der Dentinstruktur.
Abb. 2.3 Rasterelektronenmikroskopische Aufnah-me der Dentintubuli, die das Dentin durchziehenund von der Schmelz-Dentin-Grenze bis zur Pulpareichen.
Tab. 2.1 Zahl der Dentintubuli pro Quadratmillimeter (nach Mjör 2002).
des Dentins besteht dann zu etwa 80 % ausden Lumina der Dentintubuli, die pulpaferneQuerschnittsfläche zu etwa 40 %.
MERKEAufgrund der direkten Verbindung der Den-tintubuli zur Pulpa spricht man bei Dentin-freilegung von einer Dentinwunde.Die Größe der Dentinwunde, d. h. die Mengeund die Querschnittsfläche der exponiertenDentintubuli und damit auch die Mengeaustretenden Dentinliquors sind für die res-taurative Zahnheilkunde von großer Bedeu-tung (z. B. Adhäsion neuer adhäsiver Mate-rialien, Gefährdung durch nicht biokompati-ble Füllungsbestandteile, Risiko der bakte-riellen Kontamination).
DentinveränderungenDie Dentinpermeabilität ist abhängig vomZahnalter, dem Ausmaß der Mineralisationund Gewebeveränderungen im Dentin. Sol-che Veränderungen spielen sich vor allem impulpanahen Drittel ab. Im mittleren und ko-ronalen Drittel kann es zur Einlagerung vonMineralsalzen und zum Wachstum des peri-tubulären Dentins kommen.Altersbedingte Veränderungen des Pulpa-Dentin-Systems sind:
● physiologische Einengung der Pulpakammerdurch Sekundärdentin
● Einengung der Pulpakammer durch reizin-duziertes Tertiärdentin
● Einengung des Wurzelkanallumens● Abnahme der Zahl der Pulpazellen● Zunahme des Faseranteils in der Pulpa● Reduzierung der Gefäßdichte● Reduzierung der Dichte des koronalen Ner-
venplexus● Zementapposition an der Wurzelspitze● Dentikelbildung
Reizleitung im DentinDer Mechanismus der Reizleitung im Dentinwird mit der hydrodynamischen Theorie er-klärt (Brännström 1966, 1986). Ältere Theo-rien wie die Konduktionstheorie (Reizungfreier Nervenendigungen im peripherenDentin) oder die Transduktionstheorie(Übertragung des Reizes durch Odontoblas-ten an die Nerven) sind obsolet. Eine direkteVerbindung zwischen Nervenfasern undOdontoblasten besteht vermutlich nicht.Die hydrodynamische Theorie (Abb. 2.4) be-sagt, dass durch eine externe StimulationFlüssigkeitsbewegungen in den Dentintubuliausgelöst werden, die von Nervenfasern imDentin und in der Pulpa als Signale aufge-nommen und mit der Intensität der Stimula-tion entsprechenden Reaktionen beantwor-tet werden.
thermische oder osmotische Reize– zahnärztliche Maßnahmen, z. B. Präparation,
Sondieren des Dentins, Kältetest, Wärmetest,Aussprühen, Auswaschen und Trocknen vonDentinflächen, Pumpbewegungen von Adhä-sivfüllungen, Applikation von Füllungs- oderUnterfüllungsmaterialien
● Die Reaktion kann bestehen aus:– Überempfindlichkeit– Schmerz– Entzündung– Anlagerung von Reizdentin
Kronenpulpa
Lage und Ausdehnung der Pulpahörner ent-sprechen in etwa derjenigen der Höcker.
Der Pulpakammerboden ist die untere Be-grenzung des Pulpakavums. Über Furkati-onskanäle besteht eine Verbindung zum in-terradikulären Knochen. Vom Pulpakammer-boden zweigen alle Wurzelkanäle ab. DerPulpakammerboden unterliegt lebenslangenUmbau- und Anpassungsvorgängen, die sichvorwiegend in der Anlagerung von Sekun-där- und Reizdentin äußern.Nach Auswertung von 500 Pulpakammernextrahierter Zähne formulierten Krasner u.Rankow (2004) die folgenden Symmetriere-geln zur Anatomie des Pulpakammerbodens(Abb. 2.5):
● Lagebeziehung zwischen Pulpakammer undklinischer Krone:
– Zentralitätsregel: Der Boden der Pulpakam-mer liegt in Höhe der Schmelz-Zement-Grenze immer zentral innerhalb des Zahnes.
– Konzentrizitätsregel: Die Wände der Pulpa-kammer verlaufen in Höhe der Schmelz-Ze-ment-Grenze konzentrisch zur Zahnaußen-seite.
– Regel der Schmelz-Zement-Grenze: DieSchmelz-Zement-Grenze ist die konsisten-teste Orientierungshilfe zur Lokalisierung derPulpakammer.
2 GRUNDLAGEN DER ENDODONTIE
Anatomie und Physiologie des Pulpa-Dentin-Systems
Abb. 2.4 Reizleitung nach der hydrodynamischenTheorie. Reizleitung in Dentin und Pulpa (nachHeyeraas et al. 2003). Stimuli im Dentin können dieNerven um die Odontoblastenfortsätze direkt sti-mulieren und damit Schmerzen auslösen. Anderer-seits können die Stimuli auch zur Freisetzung vonNeuropeptiden wie CGRP oder SP führen, welcheeine Gefäßerweiterung und damit einen verstärk-ten Auswärtsstrom in den Tubuli bewirken. Somitwird die Gefahr vermindert, dass Stoffe von vonaußen durch die Tubuli in die Pulpa eindringen.
Abb. 2.5 Die Übersicht über den Pulpakammerbo-den eines OK-Molaren zeigt die Farb- und Struktur-unterschiede und die die Wurzelkanaleingängeverbindenden Entwicklungslinien.
● Lagebeziehungen am Pulpakammerboden(gelten nicht für OK-Molaren):
– Farbregel: Der Pulpakammerboden ist immerdunkler gefärbt als die Kammerwände.
– Symmetrieregel 1: Die Wurzelkanaleingängeliegen in gleichem Abstand zu einer in mesi-al-distaler Richtung durch den Pulpakam-merboden verlaufenden (virtuellen) Linie.
– Symmetrieregel 2: Die Wurzelkanaleingängeliegen auf einer rechtwinklig zu dieser vir-tuellen in mesial-distaler Richtung durch denPulpakammerboden verlaufenden Linie.
– Lage der Wurzelkanaleingänge, Regel 1: DieWurzelkanaleingänge liegen immer amÜbergang des Pulpakammerbodens in diePulpakammerwände.
– Lage der Wurzelkanaleingänge, Regel 2: DieWurzelkanaleingänge liegen immer in denAußenwinkeln des Übergangs des Pulpa-kammerbodens in die Pulpakammerwände.
– Lage der Wurzelkanaleingänge, Regel 3: DieWurzelkanaleingänge liegen immer am Endeder Entwicklungslinien auf dem Boden derPulpakammer.
Apikales Parodont
Das apikale Parodont besteht aus dem Wur-zelzement, dem parodontalen Ligament unddem Alveolarknochen (Abb. 2.6).
● Das apikale Parodont verfügt über eine sehrgute Gefäßversorgung und eine hohe Rege-nerationskraft.
● Bereits frühzeitige Abwehrreaktionen imapikalen Parodont bei Pulpaerkrankungen.Als Antwort auf freigesetzte Bakterientoxineund denaturierte Proteine kommt es zur pe-riapikalen Entzündungsreaktion.
Wurzelzement● Das avaskuläre und asensible Wurzelzement
bedeckt die Wurzeloberflächen und einenkleinen Bereich der apikalen Wurzelkanalin-nenwand.
● Wurzelzement wird unter Beteiligung derHertwig-Epithelscheide von Zementoblastengebildet.
● Der Mineralisationsgrad beträgt ca. 50 %.● Zement wird im Gegensatz zum Schmelz
permanent neu gebildet und angelagert. Diesführt u. a. zu einer zunehmenden Einengungdes Foramen apicale und einem zunehmen-den Abstand des Foramen physiologicumvom anatomischen und röntgenologischenApex.
● Zement kann azellulär-afibrillär, zellulär-fibrillär oder azellulär-fibrillär zusammenge-setzt sein:
– zelluläres Eigenfaserzement: primär durchZementoblasten gebildet, Kollagenfasern pa-rallel zur Wurzeloberfläche, keine Sharpey-Fasern, Reparaturzement
– azelluläres Fremdfaserzement: kollageneSharpey-Fasern, vorwiegend im mittlerenund zervikalen Wurzeldrittel
Sondierung Taschen nur bei gleichzeitigerParodontalerkrankung
stets Taschen
Sensibilität immer negativ meist positiv
Fistel evtl. vorhanden keine Fistel
Röntgenbefund initial nur geringe Verbreiterungdes Parodontalspalts,später immer apikale Läsion
periradikuläre oderinterradikuläre Läsion(en)
Abb. 5.12 Typische röntgenologische Darstellungeiner Wurzelquerfraktur. Trotz der scheinbar dop-pelten Frakturlinie handelt es sich um eine einfacheFraktur.
Abb. 5.13 Infrakturen am Kavitätenboden nach An-färben mit Kariesdetektor.
– Pulpanekrose und parodontale Veränderun-gen haben sich isoliert entwickelt, sind dannaber konfluiert
– Sensibilität negativ– röntgenologisch meist ausgedehnte Läsionen,
die sich vom Apex bis zur Furkation erstre-cken können
– ausgeprägte Sondierungstiefen– evtl. Furkationsbefall und erhöhte Mobilität
– Therapie: Parodontalbehandlung und WKB– Prognose schlecht
Diagnostik bei bereitswurzelkanalbehandelten Zähnen
Die Diagnostik wurzelkanalbehandelterZähne entspricht weitgehend derjenigen fürnoch nicht endodontisch behandelte Zähne.Anstelle des Zustands der Pulpa muss indiesen Fällen versucht werden, die Qualitätder WKB zu beurteilen.
Diagnostik in Überweisungsfällen
Bei Patienten, die nach initialer Schmerzthe-rapie alio loco zur Weiterbehandlung über-wiesen werden, ist eine retrospektive Diag-nostik nicht immer in ausreichendem Aus-maß möglich. Die über den Patienten oder
3 KLINISCHE ENDODONTIE –DIAGNOSTIK
Diagnostik und Differenzialdiagnostik
a b
Abb. 3.14 Interradikuläre Läsion.a Zahn mit interradikulärer Läsion.b Nach ausschließlich endodontischer BehandlungRückbildung der Läsion.
a b
Abb. 3.15 Endodontal und parodontal verursachteKnocheneinbrüche. Die Schemazeichnungen ver-deutlichen die Unterschiede zwischen endodontal(a) und parodontal (b) verursachten Knochenein-brüchen.
● Stropko-Luftbläser:– gute Trocknungswirkung auch in der Tiefe
des Wurzelkanals– einfacher und effektiver als Papierspitzen● Ultraschallinstrumente:– reguläre Ultraschallfeilen– Ultraschallspitzen aus Titan– Ultraschallspitzen müssen ohne Spülung
eingesetzt werden, um die Arbeit permanentoptisch kontrollieren zu können.
– Um eine übermäßige Hitzeentwicklung zuvermeiden, ist tupfendes Arbeiten notwen-dig._ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _CAVEWird das Ultraschallinstrument nur von ko-ronal auf das Fragment gehalten, lockert essich in der Regel nicht.
● Instrumenten-Entfernungssysteme:– Masseran-Kit (Micro-Mega)– Ruddle Instrument Removal System (Dent-
sply, Konstanz):– Mit Trepanhohlbohren wird das Fragment
umschnitten und anschließend mit hohlenGreifinstrumenten gefasst und herausge-zogen.
– Hoher Substanzverlust, unhandlich.– Anwendung innerhalb des Wurzelkanals
schwer zu kontrollieren.– Perforationsrisiko, nur in geraden Wurzel-
kanalabschnitten anwendbar.
● Chirurgische Maßnahmen:– Apikal-chirurgische Eingriffe (Resektion mit
retrogradem Verschluss) sind indiziert, wennsich ein Fragment an einem Zahn mit klini-schen Symptomen und/oder Parodontitisapicalis von orthograd nicht entfernen lässtoder ein solcher Versuch als zu risikobehaftet(Perforation, übermäßige Schwächung) er-scheint.
– Ist der Zahn symptomfrei, kann das Abwar-ten mit regelmäßigen Verlaufskontrollenauch dann verantwortet werden, wenn dasFragment in den Periapex ragt.
– Eine Extraktion mit anschließender implan-tologischer oder prothetischer Versorgung istim Regelfall nicht indiziert.
● Prognose:– in vivo:
– Entfernung und Umgehung bei 68 %(Hülsmann u. Schinkel 1999)
– vollständige Entfernung bei 66 % (Ward etal. 2003b), 87 % (Suter et al. 2005), 95 %(Cujé 2007)
– in vitro:– 67–79 % (extrahierte Zähne, Ultraschall;
Nagai et al. 1986)– 75 % (simulierte Kanäle)– 87 % (extrahierte Zähne; Ward et al. 2003a)
– Unterschiede in der Erfolgsquote (vollständi-ge und unvollständige Heilung) zwischenZähnen mit und ohne verbliebene Instru-mentenfragmente konnten nicht gefundenwerden, in beiden Gruppen war das präope-rative Vorliegen einer Parodontitis apicalisder einzige identifizierbare negative Ein-flussfaktor.
4 KLINISCHE ENDODONTIE –THERAPIE
Revisionen endodontischer Misserfolge
Abb. 5.85 Einsatz des Dentalmikroskops.a Präoperatives Bild eines frakturierten Instru-ments, dessen koronales Ende aber im Mikroskopzu sehen ist.b Röntgenkontrolle nach Entfernung des Frag-ments und Revision der WKB.
Einer der kritischsten Punkte komplexer Re-visionsbehandlungen ist häufig die Entschei-dung über den „Cut-off“-Punkt, d. h. die Fra-ge, wann man die orthograden Revisionsbe-mühungen beendet und die Therapiestrate-gie in Richtung eines kombinierten oder reinchirurgischen Vorgehens modifiziert. DieEntscheidung fällt individuell auf einemKontinuum mit den Endpunkten „zu frühesAufgeben“ und „so spät aufhören, dass derZahn nicht mehr zu erhalten ist“.
Nichterreichen der Arbeitslängewährend der Revision
● Bestimmen der Arbeitslänge:– Die Arbeitslänge sollte wie bei der Primär-
behandlung bis zum Foramen physiologicumreichen. In jedem Fall muss man das gesamteFüllungsmaterial entfernen, sodass das ge-samte Endodont neu präpariert und desinfi-ziert werden kann.
– Die Eindringtiefe der Instrumente wird be-reits während der Entfernung des alten Füll-materials elektrisch kontrolliert. Solange derZugang zum periradikulären Gewebe nochdurch Füllmaterial blockiert ist, liefert dasEndometriegerät keine Anzeige. Sobald dasGerät anzeigt, ist der Stromkreis wieder ge-schlossen, d. h. das Instrument hat das Füll-material passiert.
– Die elektrisch angezeigte Arbeitslänge sollteröntgenologisch verifiziert werden, da in ei-nigen Studien eine geringere Messgenauig-keit für Revisionsfälle beschrieben wurde.
– Die Röntgenaufnahme dient auch der Kont-rolle, ob das Füllmaterial vollständig entferntist und evtl. noch nicht instrumentierte Ka-nalsysteme vorhanden sind. Diese Aufnahmesollte daher mit einem nicht zu dicken In-strument im Wurzelkanal angefertigt wer-den, sodass Füllungsreste nicht überdecktwerden.
● Solange das Endometriegerät bei der elektri-schen Längenmessung eine reproduzierbareund plausible Anzeige liefert, der Stromkreisalso geschlossen ist, kann der Wurzelkanalnicht vollständig obliteriert sein. In diesenFällen hängt das weitere Vorgehen von derAusgangsdiagnose ab:
– Zähne mit Parodontitis apicalis:– Es muss einen Verbindungsweg geben, derdie apikale Läsion mit dem Endodont ver-bindet.– Wenn es auch in wiederholten Versuchenmit dünnen Instrumenten und intensivsterSpülung mit gewebeauflösenden Lösungen(NaOCl) nicht möglich ist, bis zum physiolo-gischen Foramen vorzudringen (Perforati-onsrisiko!), kann man zunächst versuchen,die Keimzahl im Endodont durch ausge-dehnte Spülung mit antibakteriell wirksamenSpüllösungen (NaOCl, Chlorhexidin) undmedikamentöse Einlage so zu reduzieren,dass dennoch eine Heilung eintritt.– Alternativ ist eine WSR in Erwägung zuziehen.
MERKEDas Nichterreichen der erwünschten Ar-beitslänge ist nicht automatisch eine Indika-tion zur WSR.
● Zähne ohne Parodontitis apicalis, bei denendie Revisionen aufgrund von Mängeln derWurzelkanalfüllung oder Speichelexpositionindiziert ist:
– Wenn die Arbeitslänge nicht erreicht werdenkann und auch das Endometriegerät keineAnzeige liefert, kann tatsächlich eine Oblite-ration vorliegen.
– In diesen Fällen ist das Risiko, dass es zueiner Läsion kommt, relativ gering.
Erfolgsquote orthograder Revisionen● Die Erfolgsquote endodontischer Revisionen
beträgt 60–80 %.● Besteht präoperativ eine Parodontitis apica-
lis, sind die Erfolgsaussichten etwas geringer.● Bei Revisionen insuffizienter Wurzelkanal-
füllungen ohne Parodontitis apicalis ist diePrognose sehr gut.
● Faktoren, die die Erfolgswahrscheinlichkeitnegativ beeinflussen, sind gravierende Än-derungen der Wurzelkanalanatomie (z. B.Verlagerung des Foramens, Begradigung)während der Primärbehandlung oder Perfo-rationen.
● Der Dens invaginatus (syn.: Dens in dente;Abb. 5.1) ist eine seltene strukturelle Fehlbil-dung der Zähne, deren Ätiologie nicht voll-ständig geklärt ist.
● Vermutet wird ein Defekt im Schmelzorganoder eine Invagination des Schmelzorganswährend der Amelogenese. Neuere Theoriengehen davon aus, dass durch eine Verdrehungdes Schmelzorgans während der Zahnbildungein schmelzbegrenzter Kanal entsteht, der bistief in den Zahn hineinreichen kann.
● Schmelz und Dentin am Boden dieser Ein-ziehung sind oft von minderer Qualität undirregulär strukturiert.
● Möglicherweise gibt es eine genetische De-termination.
● Am häufigsten betroffen sind obere seitlicheSchneidezähne, ein beidseitiger Befall istnicht ungewöhnlich.
● Von verschiedenen Klassifikationen des Densinvaginatus hat sich die von Oehlers vorge-schlagene Einteilung weitgehend durchge-setzt:
– Typ I: Die Invagination reicht nicht weiterapikalwärts als bis zur Schmelz-Zement-Grenze.
– Typ II: Die Invagination reicht apikalwärtsüber die Schmelz-Zement-Grenze hinaus undendet als blinder Sack innerhalb der Wurzel.Eine direkte Verbindung zwischen Invagina-tion und Pulpa ist möglich.
– Typ III: Die Invagination besitzt apikal oderlateral eine direkte Verbindung zum Par-odont, es liegt aber keine Verbindung zurPulpa vor.
– Ergänzend wird die Form des „incipient densin dente“ genannt. Hierbei handelt es sichum eine tiefe, schmelzbegrenzte palatinaleoder linguale Grube, deren Boden vollständigmit Schmelz ausgekleidet ist und die keineVerbindung zur Pulpa besitzt.
● Die Entdeckung eines Dens invaginatus istmeist ein Zufallsbefund. UngewöhnlicheKronenformen (z. B. fassförmige Kontur deroberen seitlichen Schneidezähne) oder tiefeEinziehungen am Foramen coecum könnenerste Anhaltspunkte liefern (Abb. 5.2).
● Die definitive Diagnose wird röntgenologischgestellt.
● Die tiefe Einziehung und schlechte Zugäng-lichkeit zur Mundhygiene machen die Inva-gination zur einer Kariesprädilektionsstelle.
5 SPEZIELLE ENDODONTIE
Anatomische Besonderheiten
Abb. 5.1 Histologisches Bild eines Dens invaginatus.Die unvollständige Schmelzauskleidung am Bodender Invagination ist gut zu erkennen.
a b
Abb. 5.2 Foramen coecum.a Ein tiefes Foramen coecumkann Hinweis auf eine Invagina-tion sein.b Die Einziehung erstreckt sichbis in die Pulpa des Zahnes underklärt die Pulpanekrose.
Ist der Schmelz am Boden der Invaginationschlecht mineralisiert oder besteht eine Ver-bindung zwischen Invagination und Pulpa,kann es zur Pulpanekrose und Entwicklungeiner Parodontitis apicalis kommen.
● Da diese Entwicklung häufig bereits kurznach dem Zahndurchbruch beginnt, findensich in der Literatur viele Falldarstellungenvon jugendlichen Patienten mit nicht abge-schlossenem Wurzelwachstum.
● Bei rechtzeitiger Diagnostik kann die Invagi-nation sorgfältig gereinigt und durch eineFissurenversiegelung oder Füllung geschütztwerden
● Wenn keine Verbindung zwischen Invagina-tion und Pulpa, aber eine Verbindung zumParodont besteht (Typ III) und der Zahn auf
den Sensibilitätstest positiv reagiert, genügteine endodontische Versorgung der Invagi-nation.
● Kombinierte endodontisch-chirurgischeMaßnahmen sind nur erforderlich in Fällenmit sehr breitbasiger Öffnung am Apex, beidenen eine Apexifikation wenig erfolgver-sprechend erscheint, und bei Zähnen, beidenen anatomische Probleme die orthogradeAufbereitung und Füllung des komplexenWurzelkanalsystems verhindern.
● Die enorme morphologische Vielfalt desDens invaginatus lässt die Erstellung einesTherapieschemas, das alle Varianten sowohlin morphologischer als auch in pathologi-scher Hinsicht ausreichend berücksichtigt,nicht zu. Das in Abb. 5.3 dargestellte Thera-pieschema erfasst den Großteil der Fälle.
5 SPEZIELLE ENDODONTIE
Anatomische Besonderheiten
Prävention:ZahnreinigungVersiegelungFüllungstherapieregelmäßige Kontrolle(Typ I, II und III)
bei Bedarf:WF nur Invagination
WF: regulärer Kanalund Invagination
Apexifikation:bei nicht abgeschlossenemWurzelwachstum
WF und WSR:bei anatomischenProblemen und endo-dontischem Misserfolg