Vortrag, Bayerischer Landtag München, 21. Mai 2007 Alkoholkonsum und alkoholbezogene Probleme bei Kindern und Jugendlichen Dr. Dilek Sonntag IF T Institut für Therapie Forschung _____________________________________________________ __________ Institut für Therapieforschung (IFT), München
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Vortrag, Bayerischer Landtag München, 21. Mai 2007 Alkoholkonsum und alkoholbezogene Probleme bei Kindern und Jugendlichen Dr. Dilek Sonntag IFT Institut.
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Vortrag, Bayerischer LandtagMünchen, 21. Mai 2007
Alkoholkonsum und alkoholbezogene Probleme bei Kindern und
• Epidemiologischer Suchtsurvey 18-59 Jahre seit 1980
• Europäische Schülerstudie 15-16 Jahre 2003
Längsschnittstudien
• Early Developmenal Stages of Psychopythology (EDSP)
Raum München 14-24 Jahre 1994-98
IFT
WHO: Global Burden of Disease
IFT
• Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) kommt in ihrer „Global Burden of Disease“ Studie zu dem Ergebnis, dass in industrialisierten Ländern Alkohol nach Tabak und Bluthochdruck die dritthäufigste Ursache für verlorene Lebensjahre darstellt (Ezzati, Lopez, Rogders, Vander & Murray, 2002)
• Ursächlicher Zusammenhang mit einer Reihe von Krebserkrankungen
wie Mund-, Pharynx-, Larynx-, Ösophagus- und Leberkrebs
(International Agency for Research on Cancer, 1988)
• Alkohol mitverantwortlich für etwa 3% aller Krebserkrankungen in den USA (Rothman, 1980)
• Alkohol erhöht das Risiko für
- hohen Blutdruck
- Schlaganfall (Anderson et al., 1993) und
- Leberzirrhose (Smart & Mann, 1992)
• In Ländern mit hohem Alkoholkonsum gehen mehr als 80% der Todesfälle infolge von Leberzirrhose auf Alkohol zurück (Edwards et al., 1997)
• Alkohol steigert das Risiko für Herzerkrankungen (Anderson et al., 1993)
• Ausnahme ist die koronare Herzkrankheit, auf die Alkohol eine protektive Wirkung hat (Rehm et al., 2001)
WHO: Global Burden of Disease
IFT
• Weltweit gehen 5% aller Todesfälle bei 15-29-Jährigen auf Alkohol zurück
• In Europa steht jeder vierte Todesfall bei männlichen 15-29-Jährigen im Zusammenhang mit Alkohol
• In Osteuropa jeder Dritte Todesfall
• 1999 starben in Europa 55.000 junge Erwachsene im Zusammenhang mit Alkohol
• Alkopops sind die bei Mädchen beliebtesten Getränke
• 50% tranken Alkohol mindestens einmal pro Woche
• Die Häfte der Rauscherfahrenen war bis zum Alter von 13/14 Jahren das erste Mal betrunken
• Mehr als jeder Dritte war im letzten Monat betrunken
• Einkauf von Alkopops wurde von knapp 40% berichtet
Alkoholbezogene Probleme IFTInstitut fürTherapieForschung
Alkoholbezogene Probleme
Gesamt Jungen Mädchen
Beschädigung eigener Sachen 11,1 13,3 9,1
Unfall/Verletzung 7,8 9,4 6,3
Verlust von Geld 7,0 7,9 6,1
Zank und Streit 8,7 10,3 7,3
Balgerei/Kampf 4,6 7,4 2,1
sex. Verkehr mit Reue 7,1 6,7 7,4
sex. Verkehr ohne Kondom 4,0 3,8 4,2
Probleme mit Eltern 5,6 6,0 5,3
Probleme mit Freunden 3,8 3,4 4,1
Probleme mit Polizei 2,9 4,5 1,4
Leistungen in der Schule 2,0 2,3 1,7
Probleme mit Lehrern 0,7 1,0 0,4
Einweisung Krankenhaus 1,8 2,3 1,3
Opfer eine Raubs 0,6 0,8 0,4
2. Was ist zuviel? Alkohol: risikoarmer Konsum bei Jugendlichen?
1. Es gibt generell keinen risikolosen Alkoholkonsum für Jugendliche und Erwachsene, nur einen risikoarmen Konsum
2. Je früher der Alkoholkonsum bei Jugendlichen beginnt, desto größer sind die negativen Folgen für die organische Entwicklung (Gehirn), des Lernens und in sozialen Beziehungen:• Verhaltensstörungen • Probleme in Schule, Beruf, Familie und sonstigem Umfeld
sein
Kein regelmäßiger Alkoholkonsum unter 16 Jahren Kein Rauschtrinken
Definition
Bei einer Konsummenge bzw. einem Konsummuster einer Person
mit akuten oder chronischen schädlichen Auswirkungen
auf der somatischen, psychischen oder sozialen Ebene bei sich selbst
oder bei Dritten,
ohne dass sich eine Abhängigkeit entwickelt hat.
2. Was ist zuviel?Schädlicher Gebrauch von Alkohol
Zentrales Merkmal
• Unfähigkeit / mangelnde Bereitschaft der Kontrolle über Ort, Zeit, und Menge des Alkoholkonsums trotz wahrgenommener negativer Folgen
Körperliche Abhängigkeit
• Entzugssymptome
• Toleranz
Psychische Abhängigkeit
• Unwiderstehliches Verlangen nach Alkohol
2. Was ist zuviel? Abhängigkeit
Prävalenz zu T0 und kumulierte Inzidenz zu T3 (N = 3021)
97.9
13.7
24.7
6.211.0
94.5
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Prozent
Alkohol
Konsum Missbrauch Abhängigkeit T0 T3 T0 T3 T0 T3
Alkoholmissbrauch und -abhängigkeitRegionale Studien
Holly et al., Eur Add Res, 1998, 50-57
IFT
Alkoholmissbrauch und -abhängigkeitRegionale Studien
Holly et al., Eur Add Res, 1998, 50-57
IFT
Alkoholbezogene Diagnosen bei Jugendlichen in ambulanten Suchthilfeeinrichtungen in
Deutschland (Sonntag et al., in Vorbereitung)
0
200
400
600
800
1000
1200
Ges M F Ges M F Ges M F Ges M F Ges M F
Hauptdiagnose
Einzeldiagnose
2002 2003 2004 2005 2006*
Bezugsgruppe: Zugänge.
*vorläufige Daten
Alkoholbezogene Diagnosen bei Jugendlichen in stationären Suchthilfeeinrichtungen in
Deutschland (Sonntag et al., in Vorbereitung)
0
10
20
30
40
50
60
70
Ges M F Ges M F Ges M F Ges M F Ges M F
Hauptdiagnose
Einzeldiagnose
2002 2003 2004 2005 2006*
Bezugsgruppe: Beender.
*vorläufige Daten
Alkoholbezogene Diagnosen bei Jugendlichen in ambulanten Suchthilfeeinrichtungen in Bayern
2. Reduktion regelmäßiger Konsumenten unter 16 Jahren
3. Reduktion öffentlichen Konsums
4. Reduktion der Notfallaufnahmen in Krankenhäuser
5. Reduktion des Anteils der Jugendlichen mit „Binge Drinking“
6. Reduktion der Unfallrate unter Alkohol
Bevölkerungsbezogene Ziele
Erwachsene Konsumenten7. Erhöhung des Anteils risikoarmer Konsumenten8. Senkung des Anteils hochriskanter Konsumenten9. Stärkere Beachtung der Punktnüchternheit (u. a. Betrieb,
Verkehr, Schwangerschaft, Sport)
Indirekt Betroffene (Opfer)10. Senkung der Straftaten unter Alkohol mit Beteiligung
Dritter sowie der Folgeerkrankungen, Todesfälle, psychische Störungen und sozialen Problemen bei Dritten
• Lebenskompetenzprogramme weniger effektiv als bisher angenommen
• Kommunale Interventionsprogramme sind vielversprechend (Strukturelle Prävention)
IFTInstitut fürTherapieForschung
Das Präventionsparadoxon
Populationsansatz
versus
Hoch-Risikogruppen-Ansatz
IFT
Das Präventionsparadoxon
IFT
A. Einschränkung der Verfügbarkeit
(1) Gesetzliches Mindestalter für den Kauf und Konsum von Alkohol
(2) Begrenzung der Öffnungszeiten von Lokalen und Geschäften
(3) Beschränkung der Verkaufsdichte von Lokalen und Geschäften
(4) Staatliches Einzelhandelsmonopol auf alkoholische Getränke
B. Alkohol im Straßenverkehr (5) Senkung der Grenzwerte der Blutalkoholkonzentration
(6) Zufällige und verdachtsfreie Blutalkoholkontrollen
(7) Führerscheinentzug bei Verstößen gegen Alkoholbestimmungen im Straßenverkehr
(8) Stufenfahrerlaubnis für Fahranfänger
C. Steuern (9) Besteuerung alkoholischer Getränke
E. Kurzinterventionen (10) bei Personen mit riskantem Alkoholkonsum
Babor et al., 2003
• Eine Bündelung von Maßnahmen erzielt die größtmögliche Wirkung in der Bevölkerung
• Nur mehrdimensionale Strategien haben Erfolg (vgl. Befragung).
• Eine informierte Öffentlichkeit kann ein Klima erzeugen, das die Durchsetzung alkoholpolitischer Maßnahmen erleichtert (Information, Aufklärung, Gemeindemobilisierung).
• Eine Kombination aus einer Einschränkung der Alkoholverfügbarkeit für die Gesamtbevölkerung, Maßnahmen gegen Alkohol am Steuer sowie Kurzinterventionen bei Personen mit problematischen Alkoholkonsum versprechen die besten Ergebnisse.
SchlussfolgerungenInstitut fürTherapieForschung
IFT
Schlussfolgerungen
Integrativer Ansatz aus– Aufklärungs- und Erziehungsprogrammen
• Schulbasiert• Familienbasiert
– Strukturelle Maßnahmen• Einschränkung der Verfügbarkeit
– Mindestalter
– Verkaufsbeschränkung
– Sperrstundenregelung
• Preise und Steuern• Situative Maßnahmen (Ausschank, Haftung)• Alkohol im Straßenverkehr (Null-Alkohol-Grenze)• Einschränkung der Werbung
– Frühinterventionen
IFTInstitut fürTherapieForschung
Verhaltensprävention – Beispiel Alkohol
Ausgangspunkt
Rezeption des Babor-Buchs• „Verhaltensprävention ist nicht effektiv, deshalb
sollte man sich auf Verhältnisprävention konzentrieren.
• Dies gilt für alle Substanzbereiche.“
Schlussfolgerungen der Expertise BZgA(Bühler & Kröger, 2006)
• Alcohol education in schools– May increase knowledge and change attitudes but has no
sustained effect on drinking.
• College student education• Public service messages• Warning labels
Prävention mit universeller Zielgruppe• Foxcroft et al., 2003
– Systematischer Review– Vielfalt an Maßnahmen,
insgesamt beurteilt– 15 von 43 Maßnahmen
kurzfristig effektiv– 12 von 33 mittelfristig
effektiv– 3 von 8 Maßnahmen
langfristige Effekte
• Tobler et al., 1998 und 2000– Meta-Analyse mit 207
schulbasierten Programmen– interaktive und non-interaktive
Programme getrennt beurteilt– Effektstärke von .14, sig.
Unterschied beim Vergleich qualitativ hochwertiger Studien
– Langfristig effektiv
0
0,05
0,1
0,15
0,2
0,25
Effe
ct s
ize
interaktiv non-interaktiv
Expertise BZgA
• „Psychosoziale Interventionen haben als Gesamtgruppe beurteilt inkonsistente präventive Effekte auf den Alkoholkonsum.“ (Foxcroft et al., 2003)
• „Interaktive schulbasierte Programme (Konzept Soziale Einflussnahme und Lebenskompetenzansatz) haben präventive Effekte auf den Alkoholkonsum.“ (Tobler et al., 2000)
Prävention mit Risikogruppen
-0,05
0
0,05
0,1
0,15
0,2
0,25
Effe
ct s
ize
• Springer et al., 2004– Risikogruppen: Meta-Analyse mit gleichartigen, hochwertigen Studien
von 48 Maßnahmen– Merkmale der Effektivität: Life Skills, Intensity, Connection-Building,
Instrospection, Coherence
Sehr gute andere
Programme
„Sonderfall“ Alkohol
• Verhaltensbezogene Alkoholprävention mit Kindern und Jugendlichen ist effektiv!
• Mit guten Maßnahmen und mittels guter Studien kann evidenzbasiert von präventiven Effekten ausgegangen werden!
Auf die Art und Qualität der Maßnahme kommt es an
und dies nicht nur bei Alkoholprävention, aber dort besonders!
Verhaltens- vs. Verhältnispräventionevidenz-basierte Antwort?
• Keine randomisierte Studie, die Strategien gegeneinander testet
• Vergleichbarkeit zwischen Studien kritisch– Störgrößen, die kausale Interpretation unmöglich machen, in Evaluation
von Verhältnisprävention viel weniger kontrolliert als in
Verhaltensprävention
Verhaltens- vs. VerhältnispräventionZitat und Fazit
• „Die Fokussierung dieses Beitrags auf Ansätze zur Angebots- und Konsumsteuerung impliziert nicht, dass beispielsweise schulische Präventionsprogramme in Zukunft vernachlässigt werden sollten.
• ...• Unter dem Gesichtspunkt der Einstellungs- und
Meinungsbildung sollte daher weder auf Maßnahmen der schulischen Prävention noch auf Maßnahmen zur Einschränkung der Alkoholwerbung verzichtet werden.
• Wichtig ist aber, dass sie nicht wie bisher im Vordergrund stehen, sondern im Rahmen einer evidenzbasierten Alkoholpolitik als Bestandteil einer umfassenden Strategie zur Angebots- und Nachfragereduktion eingesetzt werden.“
Kraus et al., 2005 im Kapitel zur deutschen Situation Übersetzung von Babor et al., 2003
Kriterien nach DSM-IV für Mißbrauch und Abhängigkeit
DSM-IV Mißbrauch DSM-IV Abhängigkeit
(1) Erhebliche Probleme in Haushalt, Familie oder Schule wegen Substanzgebrauch
(1) Toleranzentwicklung
(2) Substanzgebrauch in gefährlichen Situationen
(2) Entzugssymptome oder Substanzgebrauch zur Abschwächung oder Vermeidung der Symptome
(3) Probleme mit dem Gesetz wegen Substanz-gebrauch
(3) Substanzgebrauch länger oder in größeren Mengen als beabsichtigt
(4) Soziale und zwischenmenschliche Pobleme wegen Substanzgebrauch
(4) Anhaltender Wunsch/erfolglose Versuche, Substanzgebrauch zu kontrollieren
(5) Hoher Zeitaufwand für Beschaffung, Gebrauch und Erholung
(6) Aufgabe/Einschränkung von sozialen, beruflichen und Freizeitaktivitäten