Gisela Zifonun Vorlesung: Sprachtypologie und Sprachvergleich Universität Mannheim Sommersemester 2003 Literatur Es gibt zwei gute englischsprachige Übersichtsarbeiten, die ich empfehlen möchte und auf die ich mich in vieler Hinsicht, aber nicht ausschließlich, stütze: Croft, William (1990): Typology and Universals. Cambridge: Cambridge University Press. (Cambridge Textbooks in Linguistics) Whaley, Lindsay J. (1997): Introduction to Typology. The Unity and Diversity of Language. Thousand Oaks/London/New Delhi: Sage. 1. Einführender Teil Warum eigentlich sprechen wir nicht eine Sprache? Wie Sie wissen, bietet die Bibel uns einen Mythos an, der die Vielzahl menschlicher Sprachen erklärt: die babylonische Sprachverwir- rung. Nach 1. Moses 11 war dies die Strafe Gottes für die Hybris des Menschen, die sich in der Absicht einen himmelhohen Turm zu bauen äußerte. Dort heißt es: Zum Zitat auf Folie 1 Nicht nur die "Erfinder" dieses Mythos, auch wir mögen uns, mit unserem anders gelagerten Wissen, mit unserer anders gelagerten Mentalität fragen, warum Menschenstämme, -ethnien, - gruppen trotz identischer genetischer Ausstattung, trotz gemeinsamen Ursprungs in den Step- pen Afrikas (wie man heute vermutet), trotz gleicher kognitiver Fähigkeiten zu so unter- schiedlichen Kommunikationsinstrumenten gelangen. Sicher werden wir keine mythische Erklärung suchen, sondern eher eine "evolutionäre".
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Gisela Zifonun
Vorlesung: Sprachtypologie und Sprachvergleich
Universität Mannheim Sommersemester 2003 Literatur Es gibt zwei gute englischsprachige Übersichtsarbeiten, die ich empfehlen möchte und auf die
ich mich in vieler Hinsicht, aber nicht ausschließlich, stütze:
Croft, William (1990): Typology and Universals. Cambridge: Cambridge University Press.
(Cambridge Textbooks in Linguistics)
Whaley, Lindsay J. (1997): Introduction to Typology. The Unity and Diversity of Language.
Thousand Oaks/London/New Delhi: Sage.
1. Einführender Teil
Warum eigentlich sprechen wir nicht eine Sprache? Wie Sie wissen, bietet die Bibel uns einen
Mythos an, der die Vielzahl menschlicher Sprachen erklärt: die babylonische Sprachverwir-
rung. Nach 1. Moses 11 war dies die Strafe Gottes für die Hybris des Menschen, die sich in
der Absicht einen himmelhohen Turm zu bauen äußerte. Dort heißt es:
Zum Zitat auf Folie 1
Nicht nur die "Erfinder" dieses Mythos, auch wir mögen uns, mit unserem anders gelagerten
Wissen, mit unserer anders gelagerten Mentalität fragen, warum Menschenstämme, -ethnien, -
gruppen trotz identischer genetischer Ausstattung, trotz gemeinsamen Ursprungs in den Step-
pen Afrikas (wie man heute vermutet), trotz gleicher kognitiver Fähigkeiten zu so unter-
schiedlichen Kommunikationsinstrumenten gelangen. Sicher werden wir keine mythische
Erklärung suchen, sondern eher eine "evolutionäre".
Christian Lehmann, Günter Brettschneider, Ulrike Mosel: Universalienforschung, kon-zeptuell-deduktiver Ansatz
− EUROTYP-Projekt (Typology of Languages in Europe, gefördert von der ESF, Projekt-
zeitraum 1990-1994): Paradebeispiel einer übergreifenden Forschungsanstrengung. Ge-plante EUROTYP-Veröffentlichungen zu insgesamt neun Bereichen: Diskurspragmatik, Konstituentenordnung (erschienen), Komplementsätze, Aktanz und Valenz (ersch.), Ad-verbialkonstruktionen, Tempus und Aspekt, NP-Struktur (ersch.), Syntax der Klitika (ersch.), Wortprosodische Struktur.
Alle drei hier beispielhaft genannten Schulen sind im weiteren Sinne funktional, sie sind alle
der Vorstellung verpflichtet, Sprache sei in erster Linie ein Instrument der Kommunikation
und der sozialen Interaktion und dieser ihr Zweck bestimme auch ihre Form. Damit finden sie
sich in einem gewissen Gegensatz zur Chomsky-Schule, wo Sprache vor allem unter der bio-
logischen Perspektive eines genetischen Programms gesehen wird. Allerdings, so denke ich,
ist im Augenblick – zumindest in den USA – eine Annäherung zwischen dem Chomsky-
Paradigma und typologischer Interessenrichtung zu beobachten. In der konkreten Theoriebil-
dung und in der Methodologie gibt es durchaus Unterschiede. Die amerikanische Schule -
zumindest in der Darstellung von Croft, auf die ich mich berufe, betrachtet -entsprechend ei-
nem weitverbreiteten neodarwinistischen Wissenschaftstrend - Sprache als ein adaptives evo-
lutionäres Phänomen. Sie werde durch die evolutionären Kräfte der Umwelt geprägt. Die
Aufgabe, Information, Emotion und soziale Rollen sprachlich zu übermitteln, erzwinge ent-
sprechend adaptive Formen der Sprachgestalt. Dabei erhalten dann diejenigen Lösungen den
Vorzug, die einen evolutionären Vorteil bieten, also Lösungen die im Mitteleinsatz ökono-
misch sind oder auch Lösungen, die mit bereits bestehenden kognitiven Verfahren in wesent-
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lichen Punkten übereinstimmen, z.B. deren Struktur abbilden, ikonisch sind. Diese bringen
eine Reduktion von Komplexität, also einen adaptiven Effizienzgewinn.
Die Leningrader Schule zeichnet sich durch eine besonders sorgfältige Methodologie aus. Sie
arbeitet mit empirisch orientierten Experten für einzelne Sprachen oder Sprachgruppen, die
unabhängig von den theoretischen Typologen die Daten erheben und beschreiben. Besonderer
Wert wird auf die Datenerhebung mittels Fragebögen und eine explizit induktive Methodolo-
gie gelegt. Es wird also nicht von zugrundegelegten begrifflichen Kategorien ausgegangen
wie etwa ‘Kausativität’, sondern es werden Manifestationen und Merkmale von übereinzel-
sprachlicher Gültigkeit zusammengetragen, die insgesamt eine komplexes taxonomisches
Raster möglicher Merkmalskombinationen im Skopus einer Kategorie wie Kausativität erge-
ben.
Bekannte Arbeiten:
Nedjalkov (Hg.) (1988): Typology of Resultative Constructions. Amsterdam/Phil. Benjamins.
Geniušienè (1987): The Typology of Reflexives. Berlin etc. Mouton de Gruyter.
Das Kölner UNITYP-Projekt ist am stärksten universal-konzeptuell ausgelegt. Es wird davon
ausgegangen, dass abstrakte konzeptuelle Muster existieren, die in den Sprachen der Welt
instatiiert werden, etwa das Muster der direkten und der indirekten Partizipation, also Teilha-
be an Sachverhalten. Man unterscheidet (1) eine kognitive Ebene der allen Menschen verfüg-
baren Konzepte, (2) eine interlinguale Ebene als eigentlich typologischer Gegenstand, und
(3) eine einzelsprachliche Ebene.
3. Systematischer Teil: Theorie und Methodik
3.1. Die Sprachen der Welt in Übersicht. Wie sind sie eingeteilt?
Ich möchte Ihnen jetzt eine ganz grobe Übersicht darüber geben, wie man die über 6000
Sprachen der Welt genetisch einteilt, also nach gemeinsamer Herkunft oder Abstammung.
Dabei muss ganz klar sein, dass diese genetische Einteilung keine typologische Einteilung ist.
Dazu ein Beispiel:
Deutsch und Englisch sind genetisch nah verwandt. Es sind germanische Sprachen innerhalb
der größeren Gruppe der indoeuropäischen Sprachen. Typologisch sind sie aber (zumindest in
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gewissen Hinsichten) nicht so nah bei einander: Wir haben schon gehört, dass Englisch stär-
ker isolierend als synthetisch ist, während das Deutsche eher zum synthetischen Typ gehört.
Wir halten also fest: Typologische Zusammengehörigkeit ist im Prinzip unabhängig von gene-
tischer Zusammengehörigkeit.
Andererseits wird bei der typologischen Arbeit immer von der genetischen Klassifikation
ausgegangen. D. h. die genetische Klassifikation ist eine Art Input für die typologische Klas-
sifikation.
Die Vorstellung, die hinter einer “genetischen” Klassifikation steckt, ist die, dass Sprachen
untereinander verwandt sein können. Man spricht dann von Sprachfamilie. Was wiederum
heißt, dass sie auf eine gemeinsame “Ursprache“ zurückgehen müssen, so wie Familienmit-
glieder (Blutsverwandte) einen gemeinsamen Vorfahren haben müssen. Diese Ursprachen
sind uns in der Regel nicht überliefert. Vielmehr versucht man, aufgrund von Ähnlichkeiten
zwischen und bekannten Entwicklungen in den verwandten Sprachen eine hypothetische Ur-
sprache (in bestimmten Teilen) zu rekonstruieren. Wie Sie sicher wissen, ist die bekannteste
solche Rekonstruktion die des „Indogermanischen/Indoeuropäischen“, die letztlich auf das
Jahr 1786 zurückgeht, als Sir William Jones, britischer Richter in Kalkutta, die Verwandt-
schaftsbeziehungen zwischen Sanskrit, Lateinisch, Gotisch und Persisch zum ersten Mal klar
erkannte und formulierte. Der Rekonstruktion der Ursprache (Protosprache) mit wissenschaft-
lichen Methoden (u.a. mithilfe so genannter Lautgesetze) ist eine ganze heute noch intensiv
betriebene sprachwiss. Teildisziplin, die Indogermanistik, gewidmet.
Heute ist die Existenz einer ganzen Reihe von Sprachfamilien unbestritten, neben der indoeu-
ropäischen: die afroasiatische (früher: hamito-semitische: semitische Sprachen und weitere
(zu-Def.2) Ein typologischer Ansatz beinhaltet die Klassifikation von a) Komponen-
ten von Sprachen oder b) von Sprachen selbst.
Whaley demonstriert a) anhand einer Untersuchung der oralen Verschlusslaute wie [p] und
[g]. Erstes sprachvergleichendes Ergebnis ist, dass alle Sprachen mindestens einen solchen
Laut haben. Diese Erkenntnis führe zu einer „ontologischen“ Frage, nämlich der nach dem
„Warum“. Weiterhin könne festgestellt werden, dass etwa 50 verschiedene orale Verschluss-
laute existierten, Sprachen aber nur jeweils einen Teil davon besäßen. Die am weitesten ver-
breiteten seien [p], [t] und [k]. Außerdem gäbe es „gaps“: Verschlusslaute, die man durch
Kontaktierung der unteren Zahnreihe mit der Oberlippe zustandebringen könnte, gäbe es –
obwohl physiologisch möglich – nicht. Nun kurz zur Warum-Frage. Letztendlich gehe es in
der Typologie natürlich um eine Erklärung dafür, warum Sprachen so sind, wie sie sind. Bei
Lauten sei die menschliche Anatomie ein guter Ansatzpunkt für Erklärungen. So seien [p], [t]
und [k] möglicherweise deshalb so verbreitet, weil sie „aerodynamisch effizient“ seien, und
weniger artikulatorischen Aufwand erforderten als bei der Produktion anderer Verschlusslau-
te. Whaley warnt aber auch vor allzu schnellen effizienzorientierten Erklärungen. Wenn Effi-
zienz der einzige leitende Faktor bei der Evolution von Lautsystemen wäre, könne nicht er-
klärt werden, wie und warum überhaupt ineffiziente Laute, die es unbestreitbar gibt, in die
Sprachen kämen und sich dort auch hielten.
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Nach der entwickelten Vorgabe kann man nun auch Sprachen klassifizieren.
Whaley, S. 11:
Folie 16c
(zu-Def.3): Typologie befasst sich mit der Klassifikation auf der Basis formaler
Merkmale von Sprachen.
Whaley will damit den Gegenstand der Typologie abgrenzen gegenüber anderen Klassifikati-
onsmöglichkeiten: der genetischen (kennen wir bereits) und der arealen. Die Beziehungen
zwischen genetischer und typologischer Klassifikation seien in der Regel klar erkennbar:
„The typological similarity of the two languages (of Spanish and French) is a function of their
genetic association.“ Dagegen sei die Verbindung zwischen arealer und typologischer Klassi-
fikation weniger klar. Es werde noch untersucht, wie stark die Grammatiken von Sprachen
von denen ihrer Umgebungssprachen beeinflussbar seien. Bekanntes Beispiel ist der so ge-
nannte Balkan-Sprachbund (Albanisch, Bulgarisch, Rumänisch). Diese stammen aus ganz
verschiedenen Zweigen des Indoeuropäischen, haben aber viele gemeinsame Züge, z.B. Defi-
nitheitssuffixe.
Folie 17
Albanisch mik-u ‚Freund-der’
Bulgarisch trup-at ‚Körper-der’
Rumänisch om-ul ‚Mann-der’
Diese Strategie ist in keiner der Sprachfamilien sonst verbreitet. Ihr Ursprung bleibt mysteri-
ös.
Schließlich können auch demografische Faktoren zur Klassifikation herangezogen werden;
etwa nach der Anzahl der Sprecher, nach der Homogenität oder nach Mehrsprachigkeit. Dabei
spielt vor allem der Mehrsprachigkeitsfaktor eine große Rolle: Unbestreitbar beeinflussen sich
die Grammatiken von Sprachen wechselseitig, wenn in einer Gesellschaft ein hoher Grad von
Mehrsprachigkeit herrscht.
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Noch ein Kommentar zu „formale Merkmale“: Das ist etwas problematisch. Vielleicht sollte
man besser sagen: nach innersprachlichen Merkmalen. Denn häufig wird in der Sprachtypo-
logie als Ausgangspunkt der sprachübergreifenden Untersuchung kein im engeren Sinne for-
males Merkmal gewählt, sondern ein semantisches bzw. funktionales. Dies ist das tertium
comparationis, das überhaupt Vergleichbarkeit garantieren soll. Wir kommen darauf zurück.
Abschließend noch eine Folie zur Definition von ‚Sprachtypologie’ von Stromsdör-
fer/Vennemann 1995. Sie greift ganz ähnliche Gesichtspunkte auf wie die beiden bisher erör-
terten.
Zur Folie 18
Wie steht es nun mit Sprachvergleich im Gegensatz zu ‚Sprachtypologie’?
Sprachvergleich ist zunächst ein unspezifischer Terminus. Sprachvergleich kann Bestandteil
unterschiedlicher linguistischer Teildisziplinen und unterschiedlicher theoretischer und me-
thodischer Ansätze sein. Sprachvergleich geschieht selbstverständlich auch im Rahmen typo-
logischer Forschung; dies haben wir gesehen. Sprachvergleich war und ist auch die Basis der
Indogermanistik (historisch-vergleichende Sprachwissenschaft). Im engeren Sinne versteht
man unter ‚Sprachvergleich’ auch die so genannte kontrastive Linguistik bzw. kontrastive
Grammatik. Diese Teildisziplin entstand in den 60er Jahren des vergangenen Jhs. aus dem
Bestreben heraus, eine bessere Grundlage für den Fremdsprachenunterricht zu schaffen. Man
wollte einen systematischen Vergleich zwischen Muttersprache (L1) und zu erlernender
Fremdsprache (L2) anstellen. Die Grundidee war, dass L2 auf der Basis von L1 erlernt wird
und dass deshalb Gemeinsamkeiten das Erlernen erleichtern (positiver Transfer), Unterschie-
de aber das Lernen erschweren (Interferenz). Die hoch gesteckten Erwartungen in eine ver-
besserte Praxis des Fremdsprachenunterrichts haben sich nicht unbedingt erfüllt. Es gab eine
sehr intensive Kontroverse zwischen den Anhängern und den Kritikern dieser Konzeption von
kontrastiver Linguistik. Als Fazit schlägt E. König
König, Ekkehard (1990): Kontrastive Linguistik als Komplement zur Typologie. In: Gnutz-mann, Claus (Hg.) (1990): Kontrastive Linguistik. Frankfurt am Main u.a.: Lang. 117-131. (= Forum Angewandte Linguistik 19)
König, Ekkehard (1996): Kontrastive Grammatik und Typologie. In: Lang, Ewald/Zifonun, Gisela (Hg.) (1996): Deutsch - typologisch. Jahrbuch 1995 des Instituts für Deutsche Sprache. Berlin/New York: de Gruyter. S. 31-54.
vor, die kontrastive Linguistik aus ihrem engen Bezug auf den Fremdsprachenunterricht zu
lösen. Wir kommen gleich darauf zurück. Zunächst noch einige Hinweise zu kontrastiven
Bei spezifischer indefiniter Referenz setzt der Sprecher die Existenz und Identifizierbarkeit des Referenten voraus; in Fall [1] ist die Identität des Referenten dem Sprecher auch bekannt.
[2] spezifisch, Referent ist dem Sprecher nicht bekannt
I heard something, but I couldn' t tell what kind of sound it was.
Das als existent und identifizierbar vorausgesetzte Referenzobjekt ist dem Sprecher nicht be-kannt.
[3] nicht-spezifisch, Irrealis-Kontext
Please try somewhere else. He wants to marry someone nice.
Fälle [3] - [9]: Die Existenz und Identifizierbarkeit eines Referenten wird nicht vorausgesetzt.
[4] Entscheidungsfrage
Did anybody tell you anything about it?
[5] Konditionalsatz (Antezedens)
If you see anything, tell me immediately.
[6] indirekte Negation
I don't think that anybody knows the answer.
[7] direkte Negation
Nobody knows the answer.
[8] Vergleichsstandard
In Freiburg the weather is nicer than anywhere in Germany.
[9] Zufallswahl
Anybody can solve this simple problem.
Die Implikationsstruktur formuliert implikative Universalien über die Indefinitpronomina in
Form einer geometrischen Figur: Sie besagt, dass ein Indefinitpronomen, das die Funktionen a
und b, z.B. Funktion [1] und Funktion [4], hat, auch alle Funktionen, die in der Struktur zwi-
schen a und b liegen, haben muss, also im Beispiel die Funktionen [2] und [3]. Indefinitpro-
nomina einer bestimmten Gruppe ("Serie", vgl. unten) decken demzufolge immer einen zu-
sammenhängenden Bereich der Implikationsstruktur ab, nicht etwa inkohärente Bereiche. So
deckt die morphologisch manifesteste deutsche Indefinitserie, die irgend-Serie, den kohären-
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ten Bereich der Funktionen [2] bis [8] ab, die englische any-Serie den kohärenten Bereich der
Funktionen [4] bis [9] usw.
3.5. Markiertheit Das Konzept der Markiertheit stammt aus der Prager Schule (Trubetzkoy schon in 30er Jah-
ren: Phonologie Jakobson: Morphosyntax). Sowohl generative als auch typologische Ansätze
bauen in ganz unterschiedlicher Weise darauf auf. Bei dem typologischen Konzept handelt es
sich um eine paarweise asymmetrische Beziehung zwischen Kategorien, die in paradigmati-
scher Beziehung zueinander stehen (Kategorien zu einer Kategorisierung). Allgemein kann
man sagen: Die unmarkierte Kategorie ist die allgemeine, die markierte Kategorie die beson-
dere. Diese Asymmetrie verbindet Markiertheit mit den Universalien (vgl. Dominanz versus
Rezessivität) und auch mit den Hierarchien.
Folie 34
Beispiel die Numeruskategorien Singular und Plural. Formulierung als implikatives U-
niversale:
• Wenn in einer Sprache der Singular durch (mindestens) ein spezifisches Morphem ausge-
drückt wird, wird auch der Plural durch (mindestens) ein spezifisches Morphem ausgedrückt.
(Version a)
oder:
• Wenn in einer Sprache der Plural durch das Nicht-Vorhandensein eines spezifischen Mor-
phems ausgedrückt wird, wird auch der Singular durch das Nicht-Vorhandensein eines spezi-
fischen Morphems ausgedrückt. (Version b)
Resultat: Plural ist die markierte Kategorie zur Kategorisierung Numerus, Singular ist
die unmarkierte.
tetrachorische Tafel:
Singularmorphem nicht vorhanden
Singularmorphem vorhan-den
Pluralmorphem vorhanden x (Englisch) x (Litauisch)
Pluralmorphem nicht vor-handen
x (Mandarin) –
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Generelle Formulierung der Markiertheitsverhältnisse grammatischer Kategorien durch ein
implikatives Universale:
• Wenn die markierte Kategorie durch das Nicht-Vorhandensein eines Morphems ausge-
drückt wird, wird auch die unmarkierte Kategorie so ausgedrückt.
Folie 35
Kriterien für Markiertheit (nach Croft 1990, zurückgehend auf Greenberg):
• strukturelles Kriterium: Die markierte Kategorie einer grammatischen Kategorisierung wird durch mindestens ebenso viele Morpheme ausgedrückt wie die unmarkierte.
Singular unmarkierte Numeruskategorie, Plural markierte, Aktiv unmarkierte Genus-verbi-Kategorie, Passiv markierte
• Flexionsverhalten: Wenn die markierte Kategorie eine bestimmte Anzahl unterschiedlicher Formen in einem Flexionsparadigma hat, hat die unmarkierte mindestens ebenso viele.
Plural der Personalpronomina 3. Person häufig (in germanischen und slavischen Sprachen) keine Genusunterscheidung, weniger Formen, also Plural markierter
• distributionelles Verhalten: Wenn die markierte Kategorie in einer bestimmten Anzahl un-terschiedlicher grammatischer Kontexte (Konstruktionstypen) vorkommt, kommt die unmarkierte in mindestens eben diesen Kontexten vor.
• sprachübergreifendes Verhalten: Wenn die markierte Kategorie in einer bestimmten An-zahl unterschiedlicher Sprachtypen vorkommt, kommt die unmarkierte Kategorie in mindestens eben diesen Sprachtypen vor.
Plural gegenüber Dual unmarkiert
• Frequenz (sprachvergleichend und textbezogen): Die unmarkierte Kategorie kommt mindes-tens ebenso häufig vor wie die markierte.
sprachvergleichend: Die unmarkierte Kategorie kommt in mindestens ebenso vielen
Sprachen (in einem gegebenen sample) vor wie die markierte.
DemN ist dominant, d.h. unmarkiert gegenüber NDem. Dem N ist insgesamt (auch in
sehr großen samples) häufiger als Ndem.
textbezogen: Die unmarkierte Kategorie kommt mindestens ebenso häufig in einem ge-
gebenen Textkorpus vor wie die markierte.
Welches Textkorpus: informeller Stil, am besten mündliche Erzählungen: Passiv ein-