15.01.2016 Vorlesung Polizei- und Ordnungsrecht 1 Prof. Dr. Martin Kment, LL.M. Wintersemester 2015/16 Vorlesung Polizei- und Sicherheitsrecht Prof. Dr. Martin Kment, LL.M. (Cambridge) Wintersemester 2015/16 Donnerstags 12:15 – 13:45 Uhr, Raum 1009 Prof. Dr. Martin Kment, LL.M. Wintersemester 2015/16 Gliederung der Vorlesung 1. Teil (Std. 1) • Überblick über den Vorlesungsinhalt • Strukturen des Polizeirechts • Rechtsquellen: StPO, PAG, POG, LStVG I. Überblick und Organisatorisches
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Vorlesung Polizei- und Sicherheitsrecht 3 ... · 15.01.2016 Vorlesung Polizei- und Ordnungsrecht 2 Prof. Dr. Martin Kment, LL.M. Wintersemester 2015/16 2. Teil Aufgaben der Polizei
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15.01.2016
Vorlesung Polizei- und Ordnungsrecht 1
Prof. Dr. Martin Kment, LL.M.Wintersemester 2015/16
Vorlesung
Polizei- und SicherheitsrechtProf. Dr. Martin Kment, LL.M. (Cambridge)
Zu den Vorlesungen sollten die Hörer bitte mitbringen:
Gesetz über die Aufgaben und Befugnisse der Bayerischen Staatlichen Polizei (Polizeiaufgabengesetz - PAG)
Gesetz über die Organisation der Bayerischen Staatlichen Polizei (Polizeiorganisationsgesetz - POG)
Gesetz über das Landesstrafrecht und das Verordnungsrecht auf dem Gebiet der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (Landesstraf- und Verordnungsgesetz -LStVG)
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Aufbau der Fortsetzungsfeststellungsklage
I. Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs, § 40 I VwGO Sonderzuweisungen, etwa § 23 EGGVG, Art. 18 Abs. 2 S. 2 PAG
II. Zulässigkeit
1. Klageart Fortsetzungsfeststellungsklage Problem: VA-Charakter der jeweiligen Maßnahme
2. Klagebefugnis, § 42 Abs. 2 VwGO analog
II. Allgemeiner TeilTeil 2 Aufgaben der Polizei
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3. Vorverfahren (-)
4. Fortsetzungsfeststellungsinteresse, § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO Wiederholungsgefahr Schwerwiegender Grundrechtseingriff Rehabilitationsinteresse Achtung bei einer Klage zur Vorbereitung eines Amtshaftungsprozesses
5. Klagefrist, § 74 Abs. 1 S. 2 VwGO analog (str.)
III. Begründetheit
Passivlegitimation Grds. Art. 1 Abs. 2 POG
II. Allgemeiner TeilTeil 2 Aufgaben der Polizei
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Überprüfung der Rechtmäßigkeit der polizeirechtlichen Maßnahme
I. Ermächtigungsgrundlage1. Spezialgesetzliches Gefahrenabwehrrecht (Art. 11 III 1 PAG i.V.m.)2. Standardbefugnisnorm nach dem PAG3. Oder/und polizeiliche Generalklausel (Art. 11 PAG)
II. Formelle Rechtmäßigkeit1. Zuständigkeit (Art. 2, 3 PAG, 3 I POG)2. Verfahren3. Form
II. Allgemeiner TeilTeil 3 Spezialbefugnisse der Polizei: Standardmaßnahmen
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II. Allgemeiner TeilTeil 2 Aufgaben der Polizei
Aufgabenabgrenzung nach Art. 3 PAG
„Die Polizei wird tätig, soweit ihr die Abwehr der Gefahrdurch eine andere Behörde nicht oder nicht rechtzeitigmöglich erscheint.“
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Generalklausel, Art. 11 PAG
„Die Polizei kann die notwendigen Maßnahmen treffen, um eine imeinzelnen Fall bestehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oderOrdnung (Gefahr) abzuwehren, soweit nicht die Art. 12 bis 48 dieBefugnisse der Polizei besonders regeln.“
II. Allgemeiner TeilTeil 2 Aufgaben der Polizei
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Subsidiarität der Generalklausel
Die Befugnisgeneralklausel des Art. 11 PAG gilt nur, soweit nicht spezialgesetzliche Befugnisnormen vorhanden sind.
Welche Ermächtigungsgrundlage hat das polizei- und ordnungsbehördliche Handeln?
1. Liegt eine spezielle Befugnisnorm in besonderen Gesetzen vor? Bsp.: VersG, PaßG, AufenthG oder
2. Gibt es eine spezielle Befugnisnorm aus dem PAG, Standardmaßnahmen nach Art. 12 ff. PAG
3. Polizeirechtliche Generalklausel nach Art. 11 PAG als
Ermächtigungsgrundlage
II. Allgemeiner TeilTeil 2 Aufgaben der Polizei
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Schutzgüter
Für eine Gefahrenabwehrmaßnahme nach Art. 11 PAG muss einer der Schutzbereiche betroffen sein:
* Def. nach dem PrOVG
Öffentliche Sicherheit
„Unverletzlichkeit der objektiven Rechtsordnung, der subjektiven Rechte oder Rechtsgüter des Einzelnen sowie Einrichtungen des Staates oder sonstiger Träger der Hoheitsgewalt.“*
Öffentliche Ordnung
„Gesamtheit jener ungeschriebenen Regeln für das Verhalten des Einzelnen in der Öffentlichkeit, deren Beobachtung nach den jeweils herrschenden Anschauungen als unerlässliche Vorrausetzung eines geordneten staatsbürgerlichen Gemeinschaftslebens betrachtet wird.“*
II. Allgemeiner TeilTeil 2 Aufgaben der Polizei
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Beispiele Anwendungsfälle
1. „Warnung vor polizeilicher Geschwindigkeitskontrolle“
Rentner R stellt am Straßenrand ein Schild mit der Aufschrift „Vorsicht! Radarkontrolle!“ auf. Eine vorbeikommende Polizeistreife will das Schild sicherstellen. Zu Recht?
2. „Unterbringung von schutzbedürftigen Personen“
Obdachloser O und seine Familie, darunter 2 Kleinkinder, werden in einer sehr kalten Winternacht von der Polizei in ein Obdachlosenheim untergebracht. Ist das Eingreifen der Polizei begründet?Variante: Die Polizei bringt O und seine Familie in einer Wohnung des Eigentümers A unter. Darf sie das?
II. Allgemeiner TeilTeil 2 Aufgaben der Polizei
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3. „Hausbesetzung“ (hierzu auch Götz, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, 2013, S. 22 Rn. 13)
Eine Gruppe junger Leute hat ein nicht bewohntes Haus besetzt und zerstört dort Fensterscheiben und beschmiert die Wände. Der Hauseigentümer hat bereits Strafantrag gestellt. Darf auch die Polizei eingreifen?
4. „Alkoholkonsum“ (hierzu auch Götz, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, 2013, S. 36 Rn. 17 ff.)
A betrinkt sich in der Fußgängerzone und wirft leere Bierdosen auf die Straße. Darf die Polizei einschreiten?
II. Allgemeiner TeilTeil 2 Aufgaben der Polizei
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Gefahrenbegriff
BVerwGE 45, 51 (57):
„Nach allgemeiner Auffassung liegt eine ‚Gefahr‘ vor, wenneine Sachlage oder ein Verhalten bei ungehindertem Ablaufdes objektiv zu erwartenden Geschehens mitWahrscheinlichkeit ein polizeilich geschütztes Rechtsgutschädigen wird […].“
II. Allgemeiner TeilTeil 2 Aufgaben der Polizei
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• Konkrete Gefahr: „Im einzelnen Fall“; relevant für Befugnis
• Abstrakte Gefahr: Wenn nach der Lebenserfahrung in gedachten, typischen Fällen mit dem Eintritt eines Schadens zu rechnen ist; wichtig für Aufgabeneröffnung
• Gegenwärtige Gefahr: Besondere zeitliche Nähe zum Schaden
• Gefahrenverdacht: Polizei ist sich der Unsicherheit ihres Kenntnisstandes bewusst -> Gefahrerforschungseingriffe
<-> Anscheinsgefahr: ex ante Sicht!<-> Putativgefahr: schuldhafte Falschprognose
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Beispiele Anwendungsfälle
1. Ein Teilabschnitt des Rheins ist beliebtes Ausflugsziel von Badegästen. Aufgrund der dort herrschenden starken Strömungen ist es in der Vergangenheit jedoch vermehrt zu Badeunfällen gekommen. Dies hält die Menschen jedoch nicht davon ab, weiter dort zu baden. Dürfen die Behörden einschreiten und das Baden an diesem Abschnitt verbieten?
2. Auf dem Parkplatz eines Einkaufszentrums entdeckt der Polizist P den in der Mittagssonne stehenden Jeep. Im Kofferraum des Fahrzeugs befindet sich ein Hund. Trotz Außentemperaturen über 35 Grad sind die Fenster des Pkw verschlossen. P sorgt sich um den Gesundheitszustand des ersichtlich erschöpften Hundes. Darf die Polizei eingreifen?
3. Ein Mann nimmt auf offener Straße eine Frau als Geisel. Der hinzukommende Polizist greift ein. Dabei konnte er nicht erkennen, dass es sich lediglich um eine Filmszene handelte.Abwandlung: Der Beamte hätte bei genauerem Hinsehen erkennen können, dass auf der anderen Straßenseite ein Kamerateam filmt.
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Übersicht Störerbegriff
Wer kann als Verantwortlicher für die Polizei- und ordnungsbehördliche Gefahrenabwehr in Anspruch genommen werden?
Bei mehreren „Störern“/ Verantwortlichen: Auswahlermessen
Verhaltensstörer (Art. 7 PAG)
unmittelbar:
durch eigenes Handeln
• durch Aufsichtspflicht
• als Geschäftsherr
• als Zweck-
veranlasser
Zustandsstörer(Art. 8 PAG)
Eigentümer Inhaber der tatsächlichen Gewalt
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Pflichtigkeit im Einzelnen:
• Handlungsstörer durch Tun oder Unterlassen
• Juristische Personen
• Anscheins- und Verdachtsstörer
• Zweckveranlasser
• Zustandsverantwortlicher für Sachen und Tiere
• Verantwortlichkeit über derelinquierte Sachen
• Verantwortlichkeit bei Rechtsnachfolge
• Inanspruchnahme nichtverantwortlicher Dritter
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Fallbeispiel zur Störereigenschaft „Das Schaufenster“ (nach PrOVGE 85, 270)
Der Geschäftsmann G hat sich auf den Verkauf von Dessous spezialisiert. Neuerdings lässt er diese durch echte Models in den Schaufenstern seines Geschäfts präsentieren. Die neue Geschäftsidee des G scheint aufzugehen. Zumindest bilden sich große Ansammlungen vorbeikommender Passanten, die zum Teil auf dem Gehweg, der vor dem Geschäft des G verläuft, nicht genug Platz finden und daher auch auf die vorbeiführende Straße ausweichen. Es kommt zu einer Verkehrsbehinderung.
Ist G Störer im polizeirechtlichen Sinne?
II. Allgemeiner TeilTeil 2 Aufgaben der Polizei
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Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, Art. 4 PAG:
„Von mehreren möglichen und geeigneten Maßnahmen hat die Polizei diejenige zu treffen, die den einzelnen und die Allgemeinheit am wenigsten beeinträchtigt.“
Ist die polizeiliche Maßnahme
1. zur Erreichung des Zwecks geeignet? (Mittel einsetzbar, tatsächlich und rechtlich möglich?)
Beispiele: Gegenüber einem Rollstuhlfahrer wird eine Platzverweisung ausgesprochen, der er mangels Rampe nicht nachkommen kann.
Teilnehmern einer Demonstration wird zur Auflage gemacht, jede Beeinträchtigung des Fußgänger- und Straßenverkehrs zu vermeiden.
II. Allgemeiner TeilTeil 2 Aufgaben der Polizei
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2. zur Erreichung des Zwecks erforderlich? (am wenigsten beeinträchtigend? Gibt es eine gleich geeignete, aberweniger beeinträchtigende Maßnahme?)
Beispiele:Individualverfügung statt Allgemeinverfügung; VA mit Befristung statt mit Dauerwirkung;Auflagen statt Nutzungsverbot; Teilabbruch statt vollständiger Beseitigung
3. zur Erreichung des Zwecks angemessen? Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne(Güterabwägung; Maßnahme darf keinen Schaden nach sich ziehen, der zum angestrebten Erfolg außer Verhältnis steht)
Beispiel:Abschleppen eines Fahrzeuges, das zwar verkehrswidrig parkt, aber niemandenbehindert.
II. Allgemeiner TeilTeil 2 Aufgaben der Polizei
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Grundrechte als Abwehrrechte
Da das polizei- und ordnungsbehördliche Handeln einen Eingriff in die Grundrechte des Einzelnen darstellen kann, muss das Handeln verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein.
• Bei Grundrechten mit Gesetzesvorbehalt ist die Verfassungsmäßigkeit der in Betracht kommenden Norm des Polizei- und Sicherheitsrechts zu prüfen.
• Bei Grundrechten ohne Gesetzesvorbehalt können Eingriffe in Grundrechte gerechtfertigt sein, wenn sie zum Schutze anderer Verfassungsgüter erforderlich sind.
Grundrechte als Schutzrechte
• Anspruch auf polizeiliches Einschreiten aus Grundrechten?
II. Allgemeiner TeilTeil 2 Aufgaben der Polizei
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Ermessen, Art. 5 PAG
„Die Polizei trifft ihre Maßnahmen nach pflichtgemäßem Ermessen. “
Polizei- und ordnungsbehördliches Ermessen umfasst:
•Entschließungsermessen: Frage, „ob“ die Polizei- oder Ordnungsbehörde tätig wird•Auswahlermessen: Frage des „Wie“ des Handelns
Ermessensreduktion auf Null: Pflicht zum Einschreiten
II. Allgemeiner TeilTeil 2 Aufgaben der Polizei
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Spezialbefugnisse
Polizeirechtliche Spezialbefugnisse in Bayern:Geregelt in Art. 12 ff. PAG
Sie ermächtigen zu bestimmten Maßnahmen zur Abwehr bestimmter Gefahren und sind vorrangig gegenüber der polizeilichen Generalklausel.
II. Allgemeiner TeilTeil 3 Spezialbefugnisse der Polizei: Standardmaßnahmen
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Identitätsfeststellung, Art. 13 PAG
• Mittel zum Zweck, andere polizeiliche Maßnahmen zu ermöglichen
• Unterschiedliche Voraussetzungen des Art. 13 Abs. 1:
o Nr. 1: Konkrete Gefahro Nr. 2-5: Anknüpfung an einen bestimmten OrtProblem „Schleierfahndung“o Nr. 6 PAG: Schutz privater Rechte
• Erlaubte Maßnahmen insb. anhalten, festhalten nur „wenn die Identität auf andere Weise nicht oder nur unter erheblichen Schwierigkeiten festgestellt werden kann“
II. Allgemeiner TeilTeil 3 Spezialbefugnisse der Polizei: Standardmaßnahmen
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Fallbeispiel zur Identitätsfeststellung (nach OVG Lüneburg, Beschl. v. 19.06.2013 – 11 LA 1/13 –, NVwZ 2013, 1498)
A wendet sich gegen eine Identitätsüberprüfung durch die Polizei in M am Rande einer dort stattfindenden Versammlung. Das Verhalten des A und seiner Begleiterin, die durch „Buttons“ an ihrer Kleidung als Angehörige der Interessengemeinschaft „BürgerInnenbeobachten Polizei und Justiz“ zu erkennen waren, erweckte den Eindruck, Nahaufnahmen von den Polizeibeamten zu erstellen.
War die Maßnahme rechtmäßig?
II. Allgemeiner TeilTeil 3 Spezialbefugnisse der Polizei: Standardmaßnahmen
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Lösungsskizze
• Rechtsgrundlage: Art. 13 Abs. 1 Nr. 1 PAG
• Gemäß Art. 13 Abs. 2 S. 1, 2 PAG kann die Polizei zur Feststellung der Identität die erforderlichen Maßnahmen treffen und den Betroffenen insbesondere anhalten, ihn nach seinen Personalien befragen und verlangen, dass er mitgeführte Ausweispapiere zur Prüfung aushändigt.
• Hier: Gefahr der Begehung von Straftaten nach §§ 22, 23 KunstUrhG i.V.m. §§ 33 KunstUrhG
II. Allgemeiner TeilTeil 3 Spezialbefugnisse der Polizei: Standardmaßnahmen
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Platzverweisung, Art. 16 PAG
• Vorübergehende Verweisung von einem Ort oder vorübergehendes Betretungsverbot eines Orts
Beispiele:Die Polizei wird zu einer Schlägerei gerufen und bringt die Beteiligtendurch Platzverweisung auseinander.
Bewohner eines Hauses werden aus dem Haus verwiesen, weil auf dem Grundstück ein Blindgänger gefunden wurde.
II. Allgemeiner TeilTeil 3 Spezialbefugnisse der Polizei: Standardmaßnahmen
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Fallbeispiel zur Platzverweisung bzw. zum Aufenthaltsverbot(nach VGH München, Beschl. v. 18.02.1999 – 24 CS 98.3198 –, NVwZ 2000, 454)
D hält sich in M auf und ist bereits mehrfach wegen Verstößen gegen das BtMG in Erscheinung getreten. Nach einer Anhörung erlässt die Stadt M gegen den D einen Bescheid, indem diesem untersagt wird, sich, für die Dauer von 12 Monaten ab Zustellung des Bescheides, auf allen öffentlichen Straßen, Wegen und Plätzen in den Bereichen der näheren Umgebung des Hauptbahnhofes einschließlich des Alten Botanischen Gartens, der Gebiete um die Bereiche der U-Bahnhöfe U- und G-Straße einschließlich L-Park, der M-Freiheit mit angrenzenden nördlichen Bereich, des Ostbahnhofs und des O-Platzes einschließlich der O-Straße und der P-Wiese gemäß den schraffierten Flächen in den anliegenden Lageplänen aufzuhalten. Unerlaubter Drogenkonsum und -besitz sowie der Handel gefährde die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Aufgrund polizeilicher Erkenntnisse steht fest, dass sich in den genannten Gebieten eine sogenannte Drogenszene gebildet und verfestigt hat. Unbenommen blieben alle persönlichen Verrichtungen des täglichen Lebens, wie etwa das Einkaufen oder der Besuch von Verwandten.
Ist die Verweisung des D aus den aufgeführten Gebieten rechtmäßig?
II. Allgemeiner TeilTeil 3 Spezialbefugnisse der Polizei: Standardmaßnahmen
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Lösungsskizze
I. Ermächtigungsgrundlage1. VersG2. Art. 16 PAG3. Aufenthaltsverbot – Verfassungsmäßigkeit, Art 73 I Nr. 3 GG
II. Formelle Rechtmäßigkeit des Aufenthaltsverbotes1. Zuständigkeit2. Verfahren – Anhörung des D3. Form
II. Materielle Rechtmäßigkeit des Aufenthaltsverbotes
1. Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 7 Abs. 2 Nrn. 1 und 3 LStVG (+)
II. Allgemeiner TeilTeil 3 Spezialbefugnisse der Polizei: Standardmaßnahmen
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2. Problem: Art. 7 Abs. 4 LStVGGrundrecht des D aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG, Art. 102 Abs. 1 BV eingeschränkt?
Rspr. des BVerfG und h.L.:Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG: Garantie der körperlichen Bewegungsfreiheit; nicht:Befugnis sich unbegrenzt überall aufhalten und überall hin bewegen zu dürfen
3. Störereigenschaft des D
4. Verhältnismäßigkeit, insb. Geeignetheit
5. Bestimmtheit
II. Allgemeiner TeilTeil 3 Spezialbefugnisse der Polizei: Standardmaßnahmen
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Gewahrsam, Art. 17 PAG
• Schutzgewahrsam, Art. 17 I Nr. 1 PAG• Sicherheitsgewahrsam, Art. 17 I Nr. 2 PAG• Gewahrsam zur Durchsetzung einer Platzverweisung, Art. 17 I Nr. 3 PAG• Ingewahrsamnahme von Minderjährigen, Art. 17 II PAG• Gewahrsamnahme Entwichener, Art. 17 III PAG
Vorrausetzungen der Freiheitsentziehung (Richtervorbehalt), Rechte des Festgehaltenen, Dauer des Freiheitsentzuges
Beispiel:Polizei umringt Demonstranten und schließt sie derart auf engem Raum ein, dass sie gehindert sind, sich weg zu bewegen (Polizeikessel).
II. Allgemeiner TeilTeil 3 Spezialbefugnisse der Polizei: Standardmaßnahmen
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Durchsuchung, Art. 21 PAG
• Abgrenzung Durchsuchung – Untersuchung
• Wichtig: Verfassungskonforme Auslegung, Erfordernis einer erhöhten abstrakten Gefahr, vgl. VGH München vom 07.02.2006 – Vf. 69-VI-04 –, BayVBl 2006, 339
II. Allgemeiner TeilTeil 3 Spezialbefugnisse der Polizei: Standardmaßnahmen
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Vorlesung Polizei- und Ordnungsrecht 21
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Sicherstellung, Art. 25 PAG
• Rahmen (Berührung des Grundrechts auf Eigentum, Art. 14 GG)
• Spezialität bei Sicherstellung von Waffen, Munition, Pässen (nach WaffG und PaßG)
• Problem: Abschleppfall
II. Allgemeiner TeilTeil 3 Spezialbefugnisse der Polizei: Standardmaßnahmen
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(P) Abschleppen eines Kraftfahrzeugs
I. Rechtsgrundlage?
1. Abhängig davon, wie die Maßnahme rechtlich zu qualifizieren ist
Sicherstellung nach Art. 25 PAG:
-> entscheidend: wie das Abschleppen durchgeführt wird• Bloßes Versetzen => kein Gewahrsam => atypische Maßnahme, Art. 11 PAG• Verbringen des Fahrzeugs auf den Polizei- oder Abschlepphof => Sicherstellung,
Art. 25 PAG
II. Allgemeiner TeilTeil 3 Spezialbefugnisse der Polizei: Standardmaßnahmen
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Vorlesung Polizei- und Ordnungsrecht 22
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II. Problem in Bayern bei Abschleppen eines Pkws ohne vorheriges Wegfahrgebot aufgrund Doppelnormierung Abgrenzungsschwierigkeiten unmittelbare Ausführung – Sofortvollzug
• Grds.: Vorrang der unmittelbaren Ausführung gegenüber dem Sofortvollzug• Abgrenzungskriterium: Willensrichtung des Betroffenen
o Zustellung des Leistungsbescheides, Art. 23 I Nr. 1 VwZVGo fällige Forderung, Art. 23 I Nr.2 VwZVGo Mahnung, Art. 23 I Nr. 3 VwZVGo Vollstreckungsanordnung, Art. 24 VwZVG
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Vorlesung Polizei- und Ordnungsrecht 26
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o Wahl des richtigen Zwangsmittelso angemessene Frist, Art. 36 I 2 VwZVGo Androhung eines bestimmten Zwangsmittels, Art. 36 III-V VwZVGo fehlerfreie Ermessensausübung, Art. 29 I, III VwZVG
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Gestrecktes Vollstreckungsverfahren – Mittel: Die Ersatzvornahme imPolizeirecht
Vornahme d. Hdlg.(Duldungspflicht)
Grund-VA
nichtGeld
fordern -der
GrundVA
Ersatz-vornahmeArt. 55 PAG
AndrohungArt. 59 PAG
nur bei vertretbaren Handlungen Selbst- oder Fremdvornahme
Beachte: Androhung kann bzw. (bei Ausschluss des Suspensiveffekts)
soll mit dem Grund-VA verbunden werden, Art. 59 II PAG Keine Anhörung nötig wg. § 28 II Nr. 5 VwVfG
Priv. Untern.
Pflichtiger
Behörde
Priv-r. VertragKostenerstattung
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Vorlesung Polizei- und Ordnungsrecht 27
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Gestrecktes Vollstreckungsverfahren – Verhältnis zum Grund-VA
nichtGeld
fordern-der
GrundVA
Ersatz-vornahmeArt. 55 PAG
AndrohungArt. 59 PAG
nur bei vertretbaren Handlungen Selbst- oder Fremdvornahme
Beachte das vollstreckungsrechtlicheAbstraktionsprinzip!!
Grund-VA muss nur wirksam, nicht aber rechtmäßig sein (str.!) a.A. (Konnexitätsthese): Rechtswidrigk. beachtlich, solange nicht bestandskräftig
aber: Grund-VA muss unanfechtbar oder sofort vollziehbar sein Beachte insb. analoge Anwendung von § 80 II 1 Nr. 2 VwGO auf Verkehrszeichen
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II. Allgemeiner TeilTeil 4 Anwendung von Zwang
Fallbeispiel Ersatzvornahme:
Ein Fahrzeugführer weigert sich, sein ordnungswidrig geparktes und den Verkehr behinderndes Fahrzeug wegzufahren. Dies erfolgt daraufhin durch einen von Polizeibeamten beauftragten Abschleppunternehmer.
Fallbeispiel Zwangsgeld:
A weigert sich, einer polizeilichen Vorladung zur Durchführung erkennungsdienstlicher Maßnahmen nachzukommen. Die Vorladung kann zwangsweise durchgesetzt werden, Art. 15 III Nr. 2 PAG.
Fallbeispiel unmittelbarer Zwang:
Der Nachbar N hört Hilferufe aus der Wohnung seines Nachbarn B. Nach mehrfachem Klingeln und Klopfen an der Tür seines Nachbarn bricht die hinzugerufene Polizei das Türschloss auf.
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Schusswaffengebrauch, insb. der finale Rettungsschuss
• Problematik: Eingriff des Grundrechts auf Leben gemäß Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG
• In Bayern: Art. 66 II S. 2 PAG zulässig als ultima ratio: Es darf keine andere Möglichkeit bestehen, die Gefahr abzuwenden
• Präventiv: zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben
II. Allgemeiner TeilTeil 4 Anwendung von Zwang
15.01.2016
Vorlesung Polizei- und Ordnungsrecht 33
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Fallbeispiel:
A und B haben ein Bank ausgeraubt und befinden sich auf der Flucht. Sie haben schon mehrere Personen getötet und einen Bankangestellten als Geisel genommen, den sie ebenfalls mit dem Tode bedrohen. Die Einsatzleitung ordnet, als die Scharfschützen der Polizei freie Sicht haben, die Erschießung der bewaffneten Geiselnehmer an, da eine alternative Möglichkeit, das Leben des Geisels zu retten, nicht bestand.
Die Maßnahme ist nach Art. 66 II i.V.m. Art. 67 I Nr. 1 und 2 PAG gerechtfertigt.
II. Allgemeiner TeilTeil 4 Anwendung von Zwang
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Grundsatz: Rechtmäßige Maßnahmen sind vom Störer entschädigungslos hinzunehmen
1. Schadensausgleich zugunsten nichtverantwortlicher Personen, Art. 70 I PAG
• Inanspruchnahme muss ursächlich für den entstandenen Schaden sein
• Kein Schadenausgleich zugunsten „Jedermann“, sondern zugunsten
Nichtverantwortlicher iSv. Art. 10 PAG
• Subsidiarität
• Umfang ist angelehnt an den Aufopferungsgedanken des BGH: „angemessener“ Ausgleich (= Kompensation der erlittenen Nachteile)
• Aber kein voller Schadenersatzanspruch wie im Falle einer Amtspflichtverletzung
• Problem: Anscheinsstörer
II. Allgemeiner TeilTeil 5 Entschädigungs-, Erstattungs- und Ersatzansprüche
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Vorlesung Polizei- und Ordnungsrecht 34
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2. Schadensausgleich bei rechtswidrigen Maßnahmen
• Amtshaftung, enteignungs- und aufopferungsgleicher Eingriff
II. Allgemeiner TeilTeil 5 Entschädigungs-, Erstattungs- und Ersatzansprüche
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Ausgangspunkt
• Staatshaftung als Sekundärrechtsschutz
• Ausgleich von „Schäden“ aus Verwaltungshandeln
• demgegenüber insb. AK und VK als Primärrechtsschutz zur Abwehr rechtswidrigen Verwaltungshandelns
• Fehlende Systematik des deutschen Staatshaftungsrechts
• keine einheitliche Normierung
• Staatshaftungsgesetz 1981 wegen fehlender Bundeskompetenz verfassungswidrig
• heutige Bundeskompetenz des Art. 74 I Nr. 25 GG bislang nicht genutzt
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Zielsetzung der staatshaftungsrechtlichen Einzelansprüche
Kälbermäster B hatte einen Bestand von etwa 300 Kälbern von einem Betrieb übernommen, bei dem die Verwendung verbotener hormoneller Masthilfsmittel festgestellt wurde. Die zuständige Behörde ordnete die Schlachtung von fünf Kälbern des B zum Zwecke der Untersuchung an, ob diese – möglicherweise vor dem Verkauf an B - mit Hormonen behandelt worden sind. Weder die Stichproben noch der später bei der Schlachtung ebenfalls untersuchte Restbestand wiesen Hinweise auf den Einsatz verbotener Mastmittel auf.
Kann B Schadensausgleich verlangen?
II. Allgemeiner TeilTeil 5 Entschädigungs-, Erstattungs- und Ersatzansprüche
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Verordnung als Form der Gefahrenabwehr, Art. 16 ff. LStVG
• Rechtsnorm für eine unbestimmte Anzahl von Fällen an eine unbestimmte Anzahl von Personen gerichtet
• Abgrenzung zu Gefahrenabwehrverfügung (konkreter Einzelfall)
• Voraussetzungen:
• 1. Regelung zur Gefahrenabwehr
2. Erforderlich zur Abwehr einer Gefahr für öffentliche Sicherheit und Ordnung
(abstrakte Gefahr ausreichend)
3. Verhältnismäßigkeit
4. Adressaten sind Verantwortliche i.S.v. Art. 9 LStVG
5. Ordnungsgemäße Verkündung: Kenntnisnahme der Öffentlichkeit muss möglich sein
6. Rückwirkungsverbot
Beispiel: HundeVO zur Regelung des Haltens gefährlicher Hunde
II. Allgemeiner TeilTeil 6 Gefahrenabwehrverordnungen
15.01.2016
Vorlesung Polizei- und Ordnungsrecht 37
Prof. Dr. Martin Kment, LL.M.Wintersemester 2015/16
Prüfschema zur Überprüfung einer Verordnung
I. Ermächtigungsgrundlage
II. Formelle Rechtmäßigkeit
1. Zuständigkeit, insb. Art. 42 LStVG
2. Verfahren, insb. Art. 51 LStVG
III. Materielle Rechtmäßigkeit, insb. Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht
II. Allgemeiner TeilTeil 6 Gefahrenabwehrverordnungen
Prof. Dr. Martin Kment, LL.M.Wintersemester 2015/16
Fallbeispiel „Gefährliche Hunde“
Die Gemeinde M erlässt durch Verordnung eine Maulkorbpflicht für Kampfhunde i.S.d. Art. 37 I 2 LStVG in öffentlichen Anlagen sowie auf öffentlichen Wegen, Straßen und Plätzen. A ist Besitzer eines Kampfhundes i.S.d. sicherheitsrechtlichen Vorschrift und ist der Meinung, sein Hund sei völlig harmlos. Er verzichtet daher bewusst auf das Anlegen eines Maulkorbes. Im Übrigen ist er der Ansicht, die Verordnung sei ungültig; die Ermächtigungsgrundlage lasse eine solche Maßnahme nicht zu. Die Gemeinde hingegen verweist auf Art. 18 LStVG.
Wie ist die Rechtslage?
II. Allgemeiner TeilTeil 6 Gefahrenabwehrverordnungen
15.01.2016
Vorlesung Polizei- und Ordnungsrecht 38
Prof. Dr. Martin Kment, LL.M.Wintersemester 2015/16
Lösungsskizze• Ermächtigungsgrundlage: Art. 18 I 1 LStVG
• Formelle Rechtmäßigkeito Zuständigkeit
• Materielle Rechtmäßigkeit
Gem. Art. 18 I 2 LStVG können die Gemeinden nur „das freie Umherlaufen“ von Kampfhunden i.S.d. Art. 37 I 2 LStVG einschränken. Nicht von der Ermächtigung umfasst ist die Verhängung einer Maulkorbpflicht, sodass die Verordnung jedenfalls aus diesem Grund ungültig ist. Zulässig wäre bspw. die Anordnung einer Leinenpflicht.
Exkurs: Unberührt bleibt die Möglichkeit einer Benutzungssatzung nach Art. 24 I Nr. 1 GO
II. Allgemeiner TeilTeil 6 Gefahrenabwehrverordnungen
Prof. Dr. Martin Kment, LL.M.Wintersemester 2015/16
Versammlungsrecht als SonderordnungsrechtI. Zweck
Abwehr von Gefahren durch die Ansammlung vieler Menschen. Schutz der
Versammlungsfreiheit, aber auch Schutz vor Beeinträchtigung der Grundrechte durch
eine Versammlung
II. Begriff der Versammlung iSd. Art. 8 GG
• In Bayern: Art. 2 I BayVersG
• Örtliche Zusammenkunft mehrerer Personen (Absicht)
• zu einem gemeinsamen Zweck
• Ziel: Kundgebung und Erörterung zur Teilhabe an öff. Meinungsbildung
III. Arten der Versammlungen
1. öffentliche / nicht öffentliche Versammlung
2. Versammlung unter freiem Himmel und in geschlossenen Räumen
3. stationäre Versammlung (bleibt an einem Ort) und Aufzüge (bewegt sich)
II. Allgemeiner TeilTeil 7 Versammlungsrecht
15.01.2016
Vorlesung Polizei- und Ordnungsrecht 39
Prof. Dr. Martin Kment, LL.M.Wintersemester 2015/16
Verhältnis Versammlungsrecht - Polizeirecht
• „Polizeifestigkeit“ des VersR= Vorrang des VersG vor dem „allgemeinen“ POR
• Bei jeder Spezialermächtigung im VersG ist zu prüfen, ob sie abschließend ist oder daneben das POR zur Anwendung kommt
• Grundsatz: Abwehr versammlungstypischer Gefahren aus dem Zusammenkommen vieler Menschen? Dann VersG abschließend!
II. Allgemeiner TeilTeil 7 Versammlungsrecht
Prof. Dr. Martin Kment, LL.M.Wintersemester 2015/16
Vorschriften des Versammlungsgesetzes
1. Erlaubnisfreiheit und Anmeldepflicht
2. Pflichten der Veranstalter im Vorfeld
3. Rechte/Pflichten während der Veranstaltung
4. Teilnehmerpflichten
5. Präventive Eingriffsbefugnisse
II. Allgemeiner TeilTeil 7 Versammlungsrecht
15.01.2016
Vorlesung Polizei- und Ordnungsrecht 40
Fallbeispiel Versammlungsrecht (angelehnt an Schoch, Übungen im ÖffentlichenRecht II, 1992, Fall 5)
Im Januar mietete der Verein V im Konferenzzentrum D in der bayerischen Stadt A einen Raum für eine geschlossene Veranstaltung für den 15.04.2015. Der gebuchte Raum befindet sich im Erdgeschoss des Gebäudes und ist aufgrund seiner großflächigen Verglasung auch von außen fast vollständig einsehbar. Für die Veranstaltung haben sich hundert Teilnehmer angemeldet.Der Verein ist nicht zuletzt wegen Äußerungen seines Vorsitzenden zu Fragen der Einwanderungspolitik in der Öffentlichkeit nicht unumstritten. In der Vergangenheit kam es schon zu diversen Protestbewegungen gegen Veranstaltungen des Vereins, welche nicht selten Personen- und Sachschäden zur Folge hatten.Nachdem bekannt wurde, dass der Verein am 15.04.2015 eine Veranstaltung in Aplant, wurden Gegendemonstrationen bei den Ordnungsbehörden angemeldet.Darüber hinaus gingen anonymisierte Schreiben ein, in welchen erheblicheProteste angekündigt wurden. Des Weiteren liegen den Behörden auch Hinweiseaus sicheren Quellen vor, dass bereits einige Vereinigungen umfangreicheVorbereitungen für ein militantes Vorgehen getroffen haben.
Prof. Dr. Martin Kment, LL.M.Sommersemester 2015
II. Allgemeiner TeilTeil 7 Versammlungsrecht
Nach Besichtigung der Lage vor Ort wurde am 14.04.2015 wegen nichtauszuschließender gewalttätiger Gegendemonstrationen und nach vorherigerInformation des Vereins, die Durchführung der Veranstaltung durch die zuständigeSicherheitsbehörde durch einen mit einer entsprechenden Begründungversehenen Bescheid untersagt.Die geplante Veranstaltung am 15.04.2015 fand daher nicht statt.Da der Verein in den nächsten Wochen und Monaten vergleichbareVeranstaltungen plant, erhebt er Klage am 20.04.2015 beim zuständigenVerwaltungsgericht.Er begehrt die Feststellung, dass die Verfügung vom 14.04.2015 rechtswidriggewesen ist.
Bearbeitervermerk:Prüfen Sie die Erfolgsaussichten der Klage des Vereins.
Prof. Dr. Martin Kment, LL.M.Sommersemester 2015
II. Allgemeiner TeilTeil 7 Versammlungsrecht
15.01.2016
Vorlesung Polizei- und Ordnungsrecht 41
Lösungshinweise
ObersatzDie Klage des Vereins hat Aussicht auf Erfolg, wenn und soweit sie zulässig und begründet ist.
A. Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs, § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO
(+), berechtigtes Interesse des Betroffenen an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Maßnahme auch bei einem bereits vor Klageerhebung erledigten VA
II. Berechtigtes Interesse, § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO
- jedes aufgrund vernünftiger Erwägungen nach Lage des Falles anzuerkennende schutzwürdige Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art- Hier: Wiederholungsgefahr?- Vors.: hinreichend konkrete Wiederholungsgefahr(+), laut Sachverhalt sind weitere, vergleichbare Veranstaltungen geplant
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II. Allgemeiner TeilTeil 7 Versammlungsrecht
15.01.2016
Vorlesung Polizei- und Ordnungsrecht 43
III. Beteiligten- und Prozessfähigkeit, §§ 61, 62 VwGO
1. Beteiligtenfähigkeit
a) Verein als jur. Person des Privatrechts, § 61 Nr. 1 2. Alt. VwGO i.V.m. § 21 BGBb) Sicherheitsbehörde, § 61 Nr. 1 2. Alt. VwGO
2. Prozessfähigkeit
a) Verein (-), wird aber vertreten durch seinen Vorstand, § 62 Abs. 3 VwGO i.V.m. §26 Abs. 1 S. 2 1. Hs. BGBb) Sicherheitsbehörde (-), wird aber ebenfalls vertreten, § 62 Abs. 3 VwGO
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II. Allgemeiner TeilTeil 7 Versammlungsrecht
IV. Klagebefugnis, § 42 Abs. 2 VwGO analog
- Ausschluss von Popularklagen- Möglichkeitstheorie(+), mögliche Verletzung der Versammlungsfreiheit, Art. 8 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 19 Abs. 3 GG sowie der allgemeinen Handlungsfreiheit, Art. 2 Abs. 1 GG
V. Zuständiges Gericht, §§ 45, 52 VwGO
- laut Sachverhalt (+)
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II. Allgemeiner TeilTeil 7 Versammlungsrecht
15.01.2016
Vorlesung Polizei- und Ordnungsrecht 44
(P) Weitere Sachurteilsvoraussetzungen (Vorverfahren, Klagefrist)?
(-), systematische Stellung im Gesetz („Besondere Vorschriften für Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen“)(+), systematische Stellung des § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO(+), Rechtssicherheit durch Fristenerfordernis infolge Bestandskraft(-), fehlende Bestandskraftfähigkeit eines erledigten VA
- jedenfalls: fristgerechte Erhebung sowie Entfallen des Vorverfahrens gem. § 68 Abs. 1 S. 2 VwGO i.V.m. Art. 15 Abs. 2 AGVwGO
Zwischenergebnis
Die Klage ist zulässig.
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II. Allgemeiner TeilTeil 7 Versammlungsrecht
C. Begründetheit
ObersatzDie Klage des Vereins ist begründet, wenn die Verbotsverfügung rechtswidrig gewesen und der Verein dadurch in seinen Rechten verletzt worden ist.
I. Passivlegitimation
II. Rechtmäßigkeit der Verbotsverfügung
1. Rechtsgrundlage
BayVersG?
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II. Allgemeiner TeilTeil 7 Versammlungsrecht
15.01.2016
Vorlesung Polizei- und Ordnungsrecht 45
- Anwendungsbereich des BayVersG (-), da nichtöffentliche Versammlung, Art. 2 Abs. 3 BayVersG- Eröffnung des Anwendungsbereichs des VersG?(-), Art. 1 Abs. 1 VersG
(P) Analogie?
(-), keine Regelungslücke aufgrund Generalklausel des Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 BayLStVG
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II. Allgemeiner TeilTeil 7 Versammlungsrecht
2. Formelle Rechtmäßigkeit
a) Zuständigkeit(+), SV
b) Verfahren(+), insbesondere Anhörung i.S. v. Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG
c) Form(+), schriftlich und mit Begründung
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II. Allgemeiner TeilTeil 7 Versammlungsrecht
15.01.2016
Vorlesung Polizei- und Ordnungsrecht 46
3. Materielle Rechtmäßigkeit
a) konkrete Gefahr?
- hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass bei ungehindertem Ablauf des Geschehens in absehbarer Zeit ein Schaden für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung eintreten wird
- Hier:- gewalttätige Gegendemonstrationen- Personen- und Sachschäden in der Vergangenheit- Schutzgüter mit Verfassungsrang, Art. 2 Abs. 2 S. 1, 14 Abs. 1 S. 1 GG- Androhung in anonymisierten Schreiben
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II. Allgemeiner TeilTeil 7 Versammlungsrecht
b) Ermessen, insb. Auswahl des richtigen Adressaten
aa) Verhaltensstörer(-), Gegendemonstranten als unmittelbare Verursacher