Von der Separation zur Inklusion Ringvorlesung „Theorien pädagogischer Handlungsfelder“ Univ. Prof. in Dr. in Barbara Gasteiger Klicpera Arbeitsbereich Integrationspädagogik und Heilpädagogische Psychologie Institut für Erziehungs- und Bildungswissenschaft
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Von der Separation zur Inklusion · PDF file27.11.2014 3 Theorien pädagogischer Handlungsfelder - Inklusion Medizinisch Interaktionistisch/ Situationsabhängig Systemisch Ein...
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Von der Separation zur Inklusion Ringvorlesung „Theorien pädagogischer Handlungsfelder“
Univ. Prof.in Dr.in Barbara Gasteiger Klicpera
Arbeitsbereich Integrationspädagogik und Heilpädagogische Psychologie
Der Rollstuhlfahrer hat eine Tetraplegie. Kritik: Defizitorientiert
Wie kann ein Unterstützungssystem aufgebaut werden ? Fördermaßnahmen, Menschen mit
Sehschwierigkeiten Braille-Zeile, Blindenschule
Theoretischer Zugang Beispiel
Behinderungsbegriff
„Zu den Menschen mit Behinderungen zählen Menschen, die langfristige körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, welche sie in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren an der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern können.“ Schwerbehindertengesetz §3 „Behinderung… ist die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden
Funktionsbeeinträchtigung, die auf einem regelwidrigen körperlichen, geistigen oder seelischen Zustand beruht. Regelwidrig ist der Zustand, der von dem für das Lebensalter typischen abweicht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als 6 Monaten.“
4 von 100 Kindern eines Jahrgangs als behindert diagnostiziert
Bundesgesetzblatt III, Nr. 155 (2008). Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Verfügbar unter
• Normalisierung ist der Einsatz möglichst kulturell normaler Mittel, um möglichst kulturell normale Verhaltensweisen und Eigenschaften aufzubauen und zu erhalten
• Aufwertung der sozialen Rolle, „Social Role Valorization“: Bereitstellung, Unterstützung und Verteidigung positiv bewerteter sozialer Rollen
• Normale Erfahrungen im Verlauf des Lebensrhythmus
• Normaler Respekt vor Individuum, Recht auf Selbstbestimmung
• Normale sexuelle Lebensmuster ihrer Kultur
• Normale ökonomische Lebensmuster und Rechte im Rahmen gesellschaftlicher Gegebenheiten
• Normale Umweltmuster und –standards innerhalb der Gemeinschaft
27.11.2014
• Behinderung als normaler Bestandteil menschlichen Lebens
− Behinderte Menschen sollen selbstverständlich mit allen anderen leben
− „Die Achtung vor der Unterschiedlichkeit von Menschen mit Behinderungen und die Akzeptanz dieser Menschen als Teil der menschlichen Vielfalt und der Menschheit“
• Ungefähr 80 Millionen Europäer leben mit einer Behinderung zwischen den Graden leicht bis schwer
• Menschen mit Behinderung sind weiterhin überproportional vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen
• 50% der Menschen mit Behinderung haben Arbeit, unter den nicht behinderten Menschen sind das 68%. Unter der Gruppe der Menschen über 55 sind das 15% gegenüber 45%
Zusammenhang zwischen Behinderung und Armut:
• 70% mehr Menschen mit Behinderung sind arm gegenüber dem Durchschnitt der Europäischen Bevölkerung
• Sonderpädagogischer Förderbedarf (SPF) � Kind kann aufgrund physischer oder psychischer Behinderung dem Unterricht ohne sonderpädagogische Förderung nicht folgen, ist aber dennoch schulfähig (§8 des Schulpflichtgesetzes, 1985)
• Nicht jede Behinderung (z. B. Körper- oder Sinnesbehinderung) erfordert SPF
• Feststellung im Kindergarten, bei der Einschulung oder im Laufe der Grundschulzeit
Weiter Protest gegen Sonderschul-Schließung (ORF 23.11.2011)
Die geplante Schließung der Gutenberg-Sonderschule für Schwerstbehinderte in Klagenfurt sorgt weiter für Proteste: Am Donnerstag wollen die Eltern der 63 betroffenen Kinder 5.000 Protestunterschriften an den Landtag übergeben. Die Kinder sollen an andere Schulen aufgeteilt werden, die SPÖ ortet einen „fahrlässigen Feldversuch“. Die 63 Schüler der Sonderschule Gutenberg in Klagenfurt (Behindertenförderungszentrum – Anm.) sollen in den kommenden Jahren in „Inklusionszentren“ mit Hort und Therapieangebot für beeinträchtigte Kinder im ganzen Land unterrichtet werden. Die „Inclusivzentren“ sind Kleinklassen, die an Regelschulen in den Bezirken angeschlossen werden. Diese Zentren müssen erst eingerichtet werden, Erfahrungen fehlen. Die Eltern fürchten um die Betreuungsqualität ihrer Kinder, sie wollen deswegen im Landtag 5.000 Protestunterschriften gegen die Schulschließung übergeben. Bis 2016 bundesweit keine Sonderschulen mehr Laut Sozialreferent Christian Ragger (FPK) führt längerfristig ohnehin kein Weg an der Schließung vorbei. Laut Ragger setze Kärnten damit als erstes Bundesland die UN-Behindertenkonvention um. EU und Bund würden in Anlehnung daran vorschreiben, dass es bis 2016 keine Sonderschulen mehr geben soll. Eine endgültige Schließung der Schule in der Gutenbergstraße sei bis 2013/2014 geplant.
Ende der 70er Jahre erste Schulversuche - Integrierte Grundschule - differenzierende Sonderschule → Jedoch kein Lösungsansatz Schulversuche wurden wieder eingestellt. Anderorts in Europa: Zur gleichen Zeit schaffte Italien die Sonderschulen
Anfang der 80er formierten sich in Wien, im Burgenland und in der Steiermark Elterninitiativen und Integrationsarbeitskreise.
1984 entstand im Burgenland die erste Integrationsklasse
1985 in Kalsdorf (Stmk) und in Reutte (Tirol)
1986 „Miteinander Klasse“ in Wien
1985 und 1986 erste Integrationssymposien
1986 Entschließung des Bundesrates, Integration zu ermöglichen
Entwicklung in Österreich
Entwicklung startete in den 80ern von der Basis aus
- engagierte LehrerInnen und betroffene Eltern
„Ich bin Mutter einer behinderten Tochter, die mittlerweile 44 Jahre alt ist, sie ist Spastikerin. Und ich hab natürlich diesen Leidensweg ganz genau persönlich miterlebt. Zuerst hat es geheißen, naja, Sondervorschule, Sonderschule,... Ohne noch bewusst zu empfinden, was Integration ist, haben wir sie herausgerissen aus der Sonderschule, weil wir gemerkt haben, die Entwicklung ist immer schlechter geworden. Das Kind hat vorher tadellos gesprochen und hat dort Sprachfehler angenommen - das war reine Intuition damals”.(Aussage eines betroffenen Elternteils)
Entwicklungen in Österreich
Auch SonderschullehrerInnen engagierten sich in den 1980er Jahren für die Einführung einer integrativen Beschulung.
Zitat einer damaligen Sonderschullehrerin:
„Dort ist mir der Knopf aufgegangen. Plötzlich hab ich erkannt, dass
ich die beste Lehrerin der Welt sein kann, dass ich aber den Kindern mit Behinderung nie die Kinder ohne Behinderung ersetzen kann. Ich bin zwar ein gutes Modell, aber sie haben keine anderen Modelle und sie sind letztlich isoliert, am schönen Rosenhain, in der teuersten Gegend, schon abseits von der Welt, von den anderen Menschen.“
Entwicklung in Österreich
- Anfangs war die Integrationsbewegung eine reine Graswurzelbewegung, die sich vor allem aus betroffenen LehrerInnen und Eltern zusammensetzten.
- Politik und Landeschulverwaltung wurden erst zeitverzögert aktiv.
Entwicklung in Österreich
Ab den 90ern weitere Entwicklungen auf formaljuristischer Ebene
- 1992 erklärte Minister Scholten vor der Schulreformkommission:
„ In Abkehr von der bisher erfolgten Zielsetzung, in gesonderten Bildungseinrichtungen die bestmögliche Schule für behinderte Kinder zu entwickeln, sieht das Unterrichtsministerium die Entwicklung einer Schule unter Einschluss aller Kinder als zentrale Notwendigkeit zur Wahrung des Wohles behinderter und nicht-
behinderter Kinder“ (Scholten, 1992, p. 23).
1993 wurde dies in der 15. Schulgesetznovelle umgesetzt.
Entwicklung in Österreich
- Elternwahlrecht: Ob Kinder mit einer Behinderung integrativ oder nicht integrativ beschult werden.
Kritische Anmerkung:
- Umsetzung obliegt den Bundesländern
- lediglich emanzipierte Eltern können davon Gebrauch machen, da es in einigen Bundesländern noch immer eine negative Haltung gegenüber der Integration vorherrscht.
Entwicklungen in Österreich
1994 „World conference on Special Needs Education“ in Salamanca. Plädiert ebenfalls für die Integration behinderter Kinder.
- Wurde von Österreich ratifiziert
- 1996 17. Schulgesetznovelle: Integration wurde auch in der Sekundarstufe ermöglicht, aber nicht gefördert.
– Gliederung in verschiedene Sparten (allgemeine SO, SO für körperbehinderte, sprachgestörte, schwerhörige und gehörlose, sehbehinderte und blinde, erziehungsschwierige Kinder; SO für schwerstbehinderte Kinder; SO für mehrfach behinderte Kinder; Heilstättenschulen)
– geringe Anzahl an SchülerInnen in Klassem (maximal 15)
– stundenweise bis dauerhafte Anwesenheit einer zweiten Person während des Unterrichts
Institutionelle Mängel Fehlende Kooperation zwischen Sonderschule und Regelschule � Sonderschulverband hält an Sonderschulwesen fest und will eigenen Verantwortungsbereich bzw. Kompetenzbereich nicht verlieren Schulgesetz zur integrativen Beschulung bietet auch Möglichkeit, diese zu torpedieren Möglichkeiten der Verwaltung, Integration zu verhindern
Schulspezifische Schwierigkeiten LehrerInnen können sonderpädagogische Bedürfnisse des beeinträchtigten Kindes übersehen Allg. wird der Unterrichtsstoff für nicht behinderte Kinder konzipiert Negative Auswirkung auf die Leistungsentwicklung, falls eine mangelnde Nachbearbeitung des Lerninhalts der Fall ist Isolation oder Gefahr der „Verinselung“
• Kinder mit SPF in Integrationsklassen entwickeln sich in ihren Schulleistungen besser als Kinder in Sonderklassen (Baker et al., 1995; Carlberg & Kavele, 1980; Feyerer, 1998; Haeberlin, Bless, Moser & Klaghofer, 1991; Hinz et al., 1998; Merk,1982;
Myklebust, 2002; Tent et al.,1991; Wang & Baker, 1986)
• Auswirkungen auf die soziale Kompetenz, das Selbstkonzept, das Sozialverhalten (Bear, Minke &
Manning, 2002; Haeberlin et al., 1991; Rossmann et. al., 2011; Sauer, Ide & Borchert, 2007)
• SchülerInnen mit SPF fühlen sich im Vergleich zu SchülerInnen ohne SPF weniger sozial integriert (Frostad & Pijl, 2007; Huber, 2008; Klicpera & Gasteiger-Klicpera, 2003; Ochoa & Palmer, 1995; Pijl, Frostad & Flem, 2008; Pijl & Frostad, 2010; Ruijs & Peetsma, 2009;
Swanson & Malone, 1992)
– Aber: problematisches Sozialverhalten wie insbesondere aggressives Verhalten wurde nicht kontrolliert
(Rossmann et. al., 2011)
– Außenseiterstellungen von Kindern mit Lernbehinderung resultieren insbesondere durch zurückgezogenes
und wenig kooperatives Verhalten (Nabuzoka & Smith, 1993)
– positiver Zusammenhang zwischen prosozialem Verhalten und sozialer Akzeptanz (Newcomb, Bukowski & Pattee,
Einstellung von LehrerInnen zur schulischen Integration
EIS (Reanalyse): N = Befragungen von insgesamt 578 LehrerInnen in der Grundschulstufe in Österreich aus den Jahren 1987, 1998 und 2009 − Mittelwert � vorsichtige positive Zustimmung (knapp über theoretischem Mittelwert) − LehrerInnen stehen der Integration von SchülerInnen mit Behinderung tendenziell
positiver gegenüber als zur Zeit der Einführung des Schulversuches von integrativer Beschulung
− Integration von Kinder mit GB wird schwerer eingeschätzt als jene von Kindern mit KB oder LB
− LehrerInnen in integrativen Arbeitsfeldern gaben in Bezug auf jede Art der Behinderung eine positivere Einstellung zur schulischen Integration an als LehrerInnen in nicht-integrativen Settings, keine Unterschiede zwischen SonderschullehrerInnen und GrundschullehrerInnen
Einschätzung zu den Auswirkungen der Integration auf Kinder ohne Behinderung − Grundsätzlich: ambivalente bis positive Haltung, verbesserte sich seit 1987 stetig; − auch abhängig von der Behinderungsart der integrierten Kinder (Integration von
Kindern mit Verhaltensauffälligkeiten am ungünstigsten) − berufliche Hintergrund der Lehrpersonen (Sonderschule, Volksschule ohne Integration,
Volksschule mit LehrerInnen in Integrationsklassen, Integrationsklassen/Stützklassen) hat keinen Einfluss auf die Einschätzungen