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1 Daniel Gaus Von der Kritik liberaler Demokratie zur Analyse deliberativer Systeme: Reflexionen zur gegenwärtigen Diskussionslage der Theorie deliberativer Demokratie In der Betrachtung des Diskurses der Theorie deliberativer Demokratie wird ein „Erwachsenwerden“ derselben festgestellt (Bohman 1998). Während es demnach in einer frühen Phase in den 1980er Jahren darum ging, ein „theoretical statement“ in die demokratietheoretische Auseinandersetzung einzuführen, hat sich die Theorie deliberativer Demokratie bis heute zu einer „working theory“ weiterentwickelt, die eine Fülle von empirischen Studien zur Überprüfung und Weiterentwicklung ihrer Annahmen hervorgebracht hat (Chambers 2003). Im Unterschied zu dieser eher forschungspraktischen Systematisierung und anderen informativen Literaturüberblicken 1 zielt die hier vorgeschlagene Rekonstruktion des Diskurses deliberativer Demokratie darauf, wesentliche inhaltliche Entwicklungslinien und Wendepunkte der Debatte nachzuzeichnen, um das Potential genauer spezifizieren zu können, das die Theorie deliberativer Demokratie insbesondere zur Reflexion über die Bedingungen transnationaler Demokratie anbieten kann. Folgende These soll begründet werden. Die Theorie deliberativer Demokratie kennzeichnet in erster Linie zwei Annahmen. Erstens gründet die Legitimität moderner Demokratie auf einem epistemischen Sinn, der politischen Entscheidungen über ihr Zustandekommen in einem demokratischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozess verliehen wird. Für diesen demokratischen Prozess ist öffentliche Deliberation eine notwendige, wenn auch nicht hinreichende Bedingung. Zweitens ist für die Erzeugung dieses epistemischen Sinns demokratischer Entscheidungen eine parlamentarisch organisierte Legislative von hervorgehobener Bedeutung. Ein Parlament bildet zwar nur eines von mehreren Elementen im deliberativen System Demokratie, jedoch ein unverzichtbares. Eine Engführung des Diskurses deliberativer Demokratietheorie hat nun Interpretationen dieser beiden Annahmen hervorgebracht, die die demokratietheoretische Auseinandersetzung allgemein sowie – in zugespitzter Form – die Debatte über transnationale Demokratie belasten. Diese Engführung besteht darin, deliberative Demokratie als ein vom Konzept des idealen Diskurses abgeleitetes normatives Idealmodell der Demokratie zu betrachten. Eine Folge davon ist, die Theorie als eine unrealistische erscheinen zu lassen, die an der Diversität und Pluralität der Lebensformen in komplexen Gesellschaften scheitert. Einerseits wird der epistemische Sinn demokratischer Entscheidungen mit einem über Deliberation herbeigeführten rationalen Konsens gleichgesetzt. So verstanden muss deliberative Demokratie als eine Utopie erscheinen, die an der Konflikthaftigkeit von Politik in realen Gesellschaften vorbei geht. Andererseits wird die hervorgehobene Bedeutung des Parlaments als eine unzeitgemäße Fixiertheit auf die Institutionen des nationalen demokratischen Rechtsstaats begriffen, die dem Kontext transnationaler Politik – insbesondere in der EU – nicht angemessen erscheint. Beide Interpretationen werden jedoch der Theorie deliberativer Demokratie nicht gerecht. Über eine genauere Betrachtung des Begriffs des epistemischen Sinns sowie der Bedeutung des Parlaments in der deliberativen Demokratie lässt sich vielmehr begründen, dass gerade die Theorie deliberativer Demokratie ein Modell zur Verfügung stellt, das Demokratie unter den agonalen Bedingungen gesellschaftlicher Diversität sowie unter den Bedingungen transnationaler Politik jenseits des Nationalstaats möglich erscheinen lässt. 1 Vgl. Dryzek 2010: 3-18; Gutmann/Thompson 2004: 1-63; Schaal/Ritzi 2010; Thompson 2008.
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Von der Kritik liberaler Demokratie zur Analyse deliberativer Systeme: Reflexionen zur gegenwärtigen Diskussionslage der Theorie deliberativer Demokratie

Feb 02, 2023

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Page 1: Von der Kritik liberaler Demokratie zur Analyse deliberativer Systeme: Reflexionen zur gegenwärtigen Diskussionslage der Theorie deliberativer Demokratie

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Daniel Gaus

Von der Kritik liberaler Demokratie zur Analyse deliberativer Systeme: Reflexionen zur

gegenwärtigen Diskussionslage der Theorie deliberativer Demokratie

In der Betrachtung des Diskurses der Theorie deliberativer Demokratie wird ein „Erwachsenwerden“

derselben festgestellt (Bohman 1998). Während es demnach in einer frühen Phase in den 1980er

Jahren darum ging, ein „theoretical statement“ in die demokratietheoretische Auseinandersetzung

einzuführen, hat sich die Theorie deliberativer Demokratie bis heute zu einer „working theory“

weiterentwickelt, die eine Fülle von empirischen Studien zur Überprüfung und Weiterentwicklung

ihrer Annahmen hervorgebracht hat (Chambers 2003). Im Unterschied zu dieser eher

forschungspraktischen Systematisierung und anderen informativen Literaturüberblicken1 zielt die

hier vorgeschlagene Rekonstruktion des Diskurses deliberativer Demokratie darauf, wesentliche

inhaltliche Entwicklungslinien und Wendepunkte der Debatte nachzuzeichnen, um das Potential

genauer spezifizieren zu können, das die Theorie deliberativer Demokratie insbesondere zur

Reflexion über die Bedingungen transnationaler Demokratie anbieten kann.

Folgende These soll begründet werden. Die Theorie deliberativer Demokratie kennzeichnet in erster

Linie zwei Annahmen. Erstens gründet die Legitimität moderner Demokratie auf einem

epistemischen Sinn, der politischen Entscheidungen über ihr Zustandekommen in einem

demokratischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozess verliehen wird. Für diesen

demokratischen Prozess ist öffentliche Deliberation eine notwendige, wenn auch nicht hinreichende

Bedingung. Zweitens ist für die Erzeugung dieses epistemischen Sinns demokratischer

Entscheidungen eine parlamentarisch organisierte Legislative von hervorgehobener Bedeutung. Ein

Parlament bildet zwar nur eines von mehreren Elementen im deliberativen System Demokratie,

jedoch ein unverzichtbares. Eine Engführung des Diskurses deliberativer Demokratietheorie hat nun

Interpretationen dieser beiden Annahmen hervorgebracht, die die demokratietheoretische

Auseinandersetzung allgemein sowie – in zugespitzter Form – die Debatte über transnationale

Demokratie belasten. Diese Engführung besteht darin, deliberative Demokratie als ein vom Konzept

des idealen Diskurses abgeleitetes normatives Idealmodell der Demokratie zu betrachten. Eine Folge

davon ist, die Theorie als eine unrealistische erscheinen zu lassen, die an der Diversität und Pluralität

der Lebensformen in komplexen Gesellschaften scheitert. Einerseits wird der epistemische Sinn

demokratischer Entscheidungen mit einem über Deliberation herbeigeführten rationalen Konsens

gleichgesetzt. So verstanden muss deliberative Demokratie als eine Utopie erscheinen, die an der

Konflikthaftigkeit von Politik in realen Gesellschaften vorbei geht. Andererseits wird die

hervorgehobene Bedeutung des Parlaments als eine unzeitgemäße Fixiertheit auf die Institutionen

des nationalen demokratischen Rechtsstaats begriffen, die dem Kontext transnationaler Politik –

insbesondere in der EU – nicht angemessen erscheint. Beide Interpretationen werden jedoch der

Theorie deliberativer Demokratie nicht gerecht. Über eine genauere Betrachtung des Begriffs des

epistemischen Sinns sowie der Bedeutung des Parlaments in der deliberativen Demokratie lässt sich

vielmehr begründen, dass gerade die Theorie deliberativer Demokratie ein Modell zur Verfügung

stellt, das Demokratie unter den agonalen Bedingungen gesellschaftlicher Diversität sowie unter den

Bedingungen transnationaler Politik jenseits des Nationalstaats möglich erscheinen lässt.

1 Vgl. Dryzek 2010: 3-18; Gutmann/Thompson 2004: 1-63; Schaal/Ritzi 2010; Thompson 2008.

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Um diese These zu erläutern soll in einem ersten Schritt der Diskurs über deliberative Demokratie

von einer Kritik an der liberalen Demokratietheorie bis hin zur jüngst geforderten Hinwendung zu

einem systemschen Ansatz nachgezeichnet werden (1). Danach werden die Umstellungen, die die

Systemperspektive am gegenwärtigen Diskurs deliberativer Demokratie anstrebt, diskutiert (2). Mit

der Systemperspektive werden wichtige Korrekturen in der Debatte um deliberative Demokratie

vorgeschlagen. Diese Korrekturen können jedoch nur erfolgreich sein, wenn die Systemperspektive

zugleich die Engführung im Diskurs deliberativer Demokratie überwindet und sich rekonstruktiven

Ansätzen deliberativer Demokratietheorie zuwendet. Um deren Potential für die Debatte um

transnationale Demokratie freizulegen, soll in einem letzten Schritt der Status des Konzepts des

idealen Diskurses in der rekonstruktiven Theorie deliberativer Demokratie und ihre Beschreibung des

epistemischen Sinns demokratischer Praxis sowie der Funktion des Parlaments im deliberativen

System der Demokratie erläutert werden (3).

1. Von der Kritik liberaler Demokratie zur Perspektive auf deliberative Systeme: Der Diskurs über

deliberative Demokratie

Im Diskurs deliberativer Demokratie lassen sich fünf Wegmarken ausmachen: eine Kritik an damals

vorherrschenden liberalen Interpretationen der Demokratie (1.1), die Entwicklung einer

eigenständigen Theorie (1.2), eine kritische Rückwendung auf die deliberative Demokratietheorie

(1.3), die empirische Überprüfung ihrer Annahmen (1.4) sowie – heute – die Forderung nach einer

systemischen Perspektive auf deliberative Demokratie (2).

1.1 Die deliberative Kritik an liberalen Interpretationen der Demokratie

Deliberative Demokratietheorie tritt zu Beginn der 1980er Jahre zunächst als ein „theoretical

statement“ (Chambers 2003) auf, das darauf abzielt, blinde Flecken in der damals vorherrschenden

liberalen Interpretation der Demokratie aufzuzeigen. Liberale Theorien erklären die Legitimität der

Demokratie darüber, dass sie Verfahren der Herrschaftsausübung auf der Basis der

Gerechtigkeitsprinzipien individueller Freiheit und Gleichheit etabliert. Sie begreifen den

individuellen Willen als normative Grundkategorie und die ungestörte Verfolgung des eigenen Glücks

ohne die willkürliche Einschränkung anderer und durch andere als Inbegriff des guten Lebens. Daraus

leitet sich die liberale Deutung politischer Legitimität ab. Zum einen folgt aus dem Primat

individueller Autonomie die Zustimmung aller Betroffenen, der Konsens, als Basis der Legitimität

politischer Entscheidungen. Zum anderen übersetzt sich die ungestörte Verfolgung individueller

Interessen in die Annahme, die Legitimität des politischen Verfahrens ruhe auf dessen Fairness, allen

individuellen Interessen gleichen Einfluss am Zustandekommen politischer Entscheidungen zu

gewähren.

In diesem Sinn deutet die bis in die 1980er Jahre einflussreiche ökonomische Theorie der Demokratie

(Downs 1968, Schumpeter 1946) den demokratischen Prozess in Analogie zum Markt (Elster 1986).

Das Zusammenspiel der Verfahren der allgemeinen Wahl und der Mehrheitsentscheidung erscheinen

hier als der Weg, einerseits Entscheidungen effektiv herbeizuführen und dabei andererseits das

Prinzip der Fairness zu wahren. Wahlen werden nicht als gemeinsame öffentliche Praxis begriffen,

sondern als eine Summe je privater Wahlentscheidungen, die auf der Basis je individueller

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Präferenzen getroffen werden. Die Legitimität politischer Entscheidungen resultiert demnach nicht

aus einem Konsens bezüglich des Inhalts politischer Entscheidungen, sondern aus einem

vorgängigen, prozeduralen Konsens, der das Entscheidungsverfahren anerkennt, weil es den gleichen

Einfluss individueller Interessen sicherstellt.

Auch die deliberative Demokratietheorie geht von einem normativen Primat gleicher individueller

Autonomie aus. Gegen das liberale Demokratieverständnis wendet sie jedoch ein, dass die Verfahren

allgemeiner Wahlen und Mehrheitsentscheidungen nicht für sich genommen demokratische

Legitimität begründen können. Ihre legitimierende Kraft erwächst daraus, dass sie in den Kontext

politischer Deliberation eingebettet sind. Die Kritik der deliberativen Demokratietheorie hat zwei

Stoßrichtungen, eine empirische und eine normative. Erstens hält sie die liberale Beschreibung der

Wahlentscheidung als privaten Akt empirisch für nicht zutreffend. Handelte es sich bei der Wahl um

eine Summe privater Entscheidungen, müssten Wähler – gleich Konsumenten auf dem Markt – über

eine je privat gebildete, vorgeformte individuelle Präferenzordnung verfügen, in deren Lichte sie das

politische Angebot je für sich beurteilen und sich entscheiden. Angesichts der Komplexität politischer

Fragen in modernen Demokratien ist das aber unrealistisch. Weil Individuen stets nur über

unvollständige und fragmentarische Information verfügen, ist die öffentliche politische Deliberation

selbst das wesentliche Informationsverfahren, durch das „individuals acquire new perspectives not

only with respect to possible solutions, but also with respect to their own preferences” (Manin 1987:

350). Bereits die Ausbildung individueller Präferenzen, so der Kritikpunkt, erfolgt durch öffentliche

Deliberation vermittelt.

Der zweite Einwand wendet sich gegen eine Kluft zwischen der liberalen Deutung des normativen

Sinns des demokratischen Prozesses einerseits und den politische Legitimität begründenden liberalen

Werten andererseits aus. Im liberalen Verständnis beschränkt sich der normative Sinn der

Demokratie darauf, das Ideal der fairen Gleichbehandlung individueller Willen dadurch zu realisieren,

dass diese über allgemeine Wahlen gleichberechtigt eingespeist und anschließend aggregiert

werden. Weil aber in der Politik die Verfolgung der Interessen der Mehrheit meist die Interessen der

Minderheit einschränkt, verstoßen Mehrheitsentscheidungen, die allein über mechanische

Stimmenaggregation erzeugt werden, eklatant gegen das zweite liberale Legitimitätserfordernis, den

allgemeinen Konsens als Garanten gleicher individueller Autonomie. Diese Kluft zwischen

prozeduraler Fairness einerseits und der willkürlichen, weil ungerechtfertigten Verletzung der

Minderheitsinteressen andererseits kann die liberale Demokratietheorie nicht schließen. An dieser

Stelle zeigt sich eine zweite Funktion öffentlicher Deliberation, die für demokratische Legitimität

entscheidend ist. Erst über den öffentlichen Austausch von Pro und Contra findet eine Vermittlung

zwischen konfligierenden Interessen statt, die eine Mehrheitsentscheidung vom Charakter einer

willkürlichen Missachtung der Minderheitsinteressen befreit und die die Annahme zulässt, dass im

demokratischen Prozess allen individuellen Interessen der gleiche Respekt entgegengebracht wird

(Cohen 1986).

Der Nachvollzug dieses Entstehungszusammenhangs deliberativer Demokratietheorie ist wichtig,

weil er zwei Aspekte in Erinnerung ruft. Erstens teilt die Theorie deliberativer Demokratie die liberale

Prämisse gleicher individueller Autonomie als Grundwert, auf den demokratische Legitimität

zurückzuführen ist. Sie setzt sich aber vom liberalen Demokratiebegriff insofern ab, als sie die

Verwirklichung dieses Grundwerts in der Realität politischer Praxis moderner Gesellschaften

untrennbar mit öffentlicher Deliberation verbunden sieht. Zweitens wendet sich deliberative

Demokratietheorie nicht gegen Mehrheitsentscheidungen, sondern begreift sie als notwendigen

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Bestandteil demokratischer Praxis. Sie weist aber darauf hin, dass die Legitimität von Machtausübung

durch Mehrheitsentscheidung nicht allein über prozedurale Fairness (one man, one vote) hergestellt

wird, sondern von ihrer Einbettung in den Kontext öffentlicher politischer Deliberation abhängt. Weil

sie in den Kontext politischer Deliberation eingebettet ist, fußt eine demokratische Entscheidung

weniger auf der zu Mehrheitsverhältnissen aggregierten Summe aller individuellen Willen, als auf

einem Urteil, das aus der gleichberechtigten Vermittlung individueller Perspektiven über öffentliche

Deliberation resultiert: „a legitimate decision does not represent the will of all, but is one that results

from the deliberation of all. It is the process by which everyone’s will is formed that confers its

legitimacy on the outcome, rather than the sum of already formed wills.” (Manin 1987: 352; Herv.

orig.)

1.2. Die Entwicklung einer eigenständigen Theorie deliberativer Demokratie

Parallel zu den beiden Hauptpunkten der Kritik am liberalen Demokratieverständnis verläuft die

Entwicklung einer eigenständigen Theorie deliberativer Demokratie zunächst in zwei Richtungen: der

philosophischen Explikation und Rechtfertigung eines Ideals deliberativer Politik einerseits (1.2.1)

sowie dem Versuch aufzuzeigen, dass moderne Demokratien als deliberative Demokratien angelegt

worden sind, um rein voluntaristische Demokratien und damit die Gefahr der Tyrannei der Mehrheit

zu umgehen (1.2.2). Beide Stränge werden schließlich in umfassenden Theorieansätzen

zusammengeführt (1.2.3).

1.2.1 Philosophische Explikation und Rechtfertigung des normativen Ideals deliberativer Demokratie

In der deliberativen Demokratietheorie besteht weitgehender Konsens, dass nicht jede Art der Rede

Deliberation ist. Deliberation hat einen praktischen Bezug und tritt immer dann auf, wenn sich die

Frage nach dem ‚was soll ich bzw. was sollen wir tun‘ stellt (Chambers 2012: 58). Deliberation ist der

Prozess des sorgfältigen Abwägens von Gründen und Gegengründen im Lichte einer Situation, die

eine Entscheidung erfordert, und mit der Absicht verbunden, die Entscheidung auf der Basis dieser

rationalen Beurteilung zu treffen (Cohen 2007: 219). Deliberation ist also nicht an Demokratie

gebunden. Auch Individuen können in foro interno darüber deliberieren, was am besten zu tun ist

(Goodin 2000). Demokratie wiederum ist einerseits der Name für eine bestimmte Art der

Gesellschaft, einer Gesellschaft von Gleichen (Tocqueville 1976) und andererseits – hier relevanter –

der Name für ein Verfahren der Herbeiführung kollektiv verbindlicher Entscheidungen, das die

Entscheidungsunterworfenen in die Entscheidungsfindung gleichberechtigt einbezieht. „Deliberative

democracy, then, combines these two elements, neither reducible to the other. It is about making

collective decisions and exercising power in ways that trace to the reasoning of the equals who are

subject to the decisions: not only to their preferences, interests, and choices, but to their reasoning."

(Cohen 2007: 220)

Vor diesem Hintergrund überträgt Joshua Cohen (1989: 21ff.) das in der Habermas’schen

Kommunikationstheorie entwickelte Konzept des idealen Diskurses in ein Modell idealer

deliberativer Demokratie. Cohen expliziert auf diese Weise die Eigenschaften einer „ideal

deliberative procedure“ als einem normativen Ideal, dem ein politisches Entscheidungsverfahren

genügen müsste, wenn es eine reine deliberative Demokratie begründen sollte. Entscheidungen sind

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demnach demokratisch legitim, „if and only if they could be the object of free and reasoned

agreement among equals“ (Cohen 1989: 22). Voraussetzung dafür ist erstens, dass demokratische

Entscheidungen über freie Deliberation herbeigeführt werden. Das bedeutet, die Teilnehmer sehen

sich ausschließlich durch die Ergebnisse ihrer Deliberation gebunden und werden durch diese

Ergebnisse zum entsprechenden Handeln motiviert. Zweitens muss demokratische Deliberation

vernünftig sein, das heißt, sie vollzieht sich über den Austausch nachvollziehbarer Gründe und

Gegengründe für vorgebrachte Vorschläge zum politischen Handeln. Drittens sind die Beteiligten in

der Deliberation gleichberechtigt. Viertens zielt ideale Deliberation auf die Herbeiführung eines

rational motivierten Konsenses.

1.2.2 Rekonstruktion der repräsentativen Demokratie als deliberative Demokratie

Losgelöst von der Reflexion auf das normative Ideal deliberativer Demokratie zielt ein zweiter

Forschungsstrang darauf aufzuzeigen, dass sich moderne repräsentative Demokratien als deliberative

Demokratien verstehen lassen. Hierbei geht es nicht darum, bestehende Demokratien zu affirmieren

und als ideal auszuzeichnen. Es geht darum nachzuweisen, dass die moderne parlamentarische

Demokratie durch die Anordnung ihrer institutionalisierten Verfahren (auch) darauf angelegt ist,

Entscheidungen an vorgängige öffentliche politische Deliberation rückzubinden.

In diesem Sinn erklärt Joseph M. Bessete (1980, 1994) die institutionelle Ordnung der US-

amerikanischen Demokratie über die Absicht der Verfassungsväter, eine Demokratie einzurichten, in

der statt der Herrschaft eines spontanen und tyrannischen Mehrheitswillens Gesetzgebung auf der

Grundlage einer reflektierten „deliberativen Mehrheit“ erfolgt. Vor dem Hintergrund schlechter

Erfahrungen mit direkteren Formen der Demokratie in den amerikanischen Kolonien ging es den

Verfassungsvätern Bessette zufolge darum, „to fashion a set of institutions that would strike just the

right balance between responsiveness and restraint, that would foster the rule of the deliberative

majority by protecting it against the dangers of unreflective popular sentiments.” (Bessette 1980:

106) Unter Rückgriff auf empirische Studien über Beschlüsse in der US-Innenpolitik zeigt Bessette

auf, dass die Gesetzgebung im US-Kongress nicht allein über Interessenverfolgung und bargaining

erklärt werden kann, sondern gleichfalls ein effektives System politischer Deliberation durchläuft

(Bessette 1994: 67-105 und 150-181).

Während einerseits das System der checks-and-balances zwischen Regierungsinstanzen

institutionelle Zwänge zur Reflexion und Begründung in die amerikanische Gesetzgebung einbaut, ist

für Manin (1997), wie für Bessette, der entscheidende Motor demokratischer Deliberation jedoch

das Prinzip repräsentativer Regierung. Demnach ist die Entstehung repräsentativer Demokratie nicht

allein darauf zurückzuführen, dass die Beteiligung der Bürger in modernen Massengesellschaften

aufgrund von Bevölkerungszahl und territorialer Ausdehnung nur noch indirekt über die Wahl von

Repräsentanten herstellbar ist. Vielmehr erzeugt die Wahl von Repräsentanten, die für einen

bestimmten Zeitraum mit der Gesetzgebung betraut werden, eine andere Art von Demokratie.

Manin führt das auf den ambivalenten Status demokratischer Repräsentation zurück: Indem

Repräsentanten einerseits durch die Bürger (wieder-)gewählt werden wollen, werden sie zur

Orientierung an den Interessen ihrer Wähler in der Gesetzgebung angehalten. Da sie aber

andererseits keinem imperativen Mandat unterliegen, sind sie in ihrer legislativen Tätigkeit vom

Bürgerwillen ein Stück weit unabhängig. Durch diese Ambivalenz entfaltet das Zusammenspiel von

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parlamentarischer Repräsentation, allgemeiner Wahl und Mehrheitsprinzip eine Dynamik der

Deliberation. Gerade weil die Repräsentanten nicht formal an den Bürgerwillen gebunden sind, sind

parlamentarische Mehrheitsverhältnisse keine in Stein gemeißelte Abbildung gesellschaftlicher

Machtverhältnisse, die die Minderheit für die Legislaturperiode per se als einflusslose Verlierer

zurücklassen würde. Das Repräsentationsprinzip legt vielmehr als erste Option der

Entscheidungsfindung den langfristige Stabilität sichernden Weg der Formierung parlamentarischer

Mehrheiten durch „trial by discussion“ (Manin 1997: 183ff.) nahe, in dem eingespeiste

Bürgerperspektiven im Idealfall in eine zwischen Mehrheit und Minderheit vermittelnde Position

integriert (und dadurch teilweise transformiert) werden. So herrscht in der repräsentativen

Demokratie nicht der sprunghafte Wille, sondern das gerechtfertigte Urteil der Mehrheit: „it is thus

the concept of passing judgment that best describes the role assigned to the community, whether to

the people itself or to its representatives. Representative democracy is not a system in which the

community governs itself, but a system in which public policies and decisions are made subject to the

verdict of the people.” (Manin 1997: 192).

1.2.3 Die Integration philosophischer und rekonstruktiver Argumentation in umfassenden

Theorieansätzen

Obwohl umfassende Theorien deliberativer Demokratie beide Stränge zusammenführen, bleibt ihr

Erkenntnisinteresse jeweils von einem der beiden bestimmt. So präsentieren auf der einen Seite

Amy Gutmann und Dennis F. Thompson (1996) eine Theorie in der Absicht, das Ideal deliberativer

Demokratie nicht mehr nur als formale Konzeption, sondern unter realen Bedingungen zu skizzieren.

Sie diskutieren sowohl, in welcher Hinsicht die Prinzipien deliberativer Demokratie mit anderen

fundamentalen Werten moderner Gesellschaften im Einklang stehen bzw. von diesen abhängen, als

auch, inwiefern demokratische Deliberation zur Überwindung tiefer moralischer Konflikte beitragen

kann. Die Motivation solcher Ansätze besteht letztlich darin, deliberative Demokratie als einen

normativen Maßstab zu rechtfertigen, aus dem sich Wege zur weitergehenden Demokratisierung

bestehender repräsentativer Demokratien ableiten lassen.

Auf der anderen Seite zielt die Demokratietheorie von Jürgen Habermas (1992) darauf, den

epistemischen Sinn moderner Demokratie rational zu rekonstruieren. Die Motivation besteht hier

nicht im Entwurf einer idealen deliberativen Demokratie unter realen Bedingungen, sondern darin,

zwei stärker soziologische Thesen zu entfalten (dazu Gaus 2009, 2013b). Zum einen argumentiert

Habermas, dass das Ideal der Deliberation2 nicht als philosophisch konstruierte Utopie zu begreifen

ist, sondern als „Idealisierungen, die sprach- und handlungsfähige Subjekte vornehmen“ (Habermas

2005: 38) und die die alltägliche, über Sprache vermittelte menschliche Kooperations- und

Problemlösungspraxis ermöglichen. Zum anderen wird die These entwickelt, Demokratie könne

deshalb moderne pluralistische Gesellschaften erfolgreich sozial integrieren, weil die sie (trotz

bestehender Schwächen) einen Modus der Entscheidungsfindung institutionalisiert, der die

wesentlichen Eigenschaften alltäglicher sprachvermittelter kooperativer Problemlösung spiegelt.

2 Habermas spricht nicht von Deliberation, sondern verwendet dafür den Begriff des Diskurses. Im Hinblick auf

die hier diskutierten Aspekte können jedoch beide Begriffe synonym gebraucht werden. Aus Gründen der Übersichtlichkeit spreche ich daher nachfolgend zunächst auch in Bezug auf Habermas‘ Überlegungen von Deliberation statt von Diskurs.

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1.3 Kritik an der deliberativen Demokratietheorie

Die deliberative Demokratietheorie hat eine Vielzahl von Kritiken hervorgerufen. In unserem

Zusammenhang ist es wichtig zu bemerken, dass den wesentlichen, den weiteren Verlauf der

Debatte prägenden Kritiken, eine ganz bestimmte Interpretation deliberativer Demokratietheorie

zugrunde liegt. Anstatt zwischen den beiden geschilderten Argumentationszielen zu differenzieren,

wird deliberative Demokratietheorie (von Befürwortern wie Kritikern) meist als Versuch verstanden,

ein normatives Ideal demokratisch legitimer Politik philosophisch zu rechtfertigen und seine

Realitätstauglichkeit auszuweisen, um reale Demokratien Schritt für Schritt in Richtung der von

Cohen explizierten ‚ideal deliberative procedure‘ weiterzuentwickeln. Darin besteht eine

folgenreiche Engführung in der Rezeption deliberativer Demokratietheorie. Grob vereinfacht lässt

sich die Kritik an der deliberativen Demokratietheorie in drei Bereiche zusammenfassen.

1.3.1 Deliberative Demokratie verfehlt Politik als über Wahlen vermittelter Interessenkampf

Erstens wird eingewendet, dass Deliberation im Gegensatz zum interessegeleiteten, strategischen

Handeln und Entscheiden in demokratischer Politik eine untergeordnete Rolle spielt (Shapiro 1999).

Weil Deliberation an sich kein Mechanismus zur Herbeiführung von Entscheidung ist, sei Demokratie

auf den Mechanismus der Aggregation durch Wahl angewiesen. Der zentrale Einwand dieser Kritik

ist, dass „deliberation theorists [...] wish away the vulgar fact that under democracy deliberation

ends in voting”, sodass „it is the result of voting, not of discussion, that authorizes governments to

govern, to compel” (Przeworski 1998: 141 und 142). An dieser Kritik zeigt sich die angesprochene

Engführung des Verständnisses deliberativer Demokratie. Sie beruht auf der Annahme, deliberative

Demokratietheorie präsentiere ein Modell der Demokratie als einer ‚ideal deliberative procedure‘,

die Bedingungen demokratischer Legitimität vorgibt. Vor diesem Hintergrund erst macht es Sinn, die

Realitätstauglichkeit dieses Ideals dafür anzuzweifeln, dass es keinen Entscheidungsmechanismus

bereitstellt, der für reale Politik unabdingbar ist. Während Mehrheitsentscheidungen im Rahmen der

Explikation einer ‚ideal deliberative procedure‘ tatsächlich keine Rolle spielen (und keine Rolle

spielen müssen), zielt der zweite Diskussionsstrang deliberativer Demokratie gerade darauf, die

Bedeutung öffentlicher Deliberation für die Legitimitation von Mehrheitsentscheidungen in

repräsentativen Demokratien nachzuvollziehen. Hier läuft der Vorwurf, Selbstinteresse und Macht

würden in der Theorie deliberativer Demokratie ausgeblendet, ins Leere (Mansbridge et al. 2010).

1.3.2 Deliberative Demokratie verfehlt eine differenzempfindliche Politik

Dieselbe Engführung liegt einer zweiten Kritik zugrunde, die für den weiteren Verlauf der Debatte

bedeutsamer ist. Hier wird eingewendet, das von der deliberativen Demokratietheorie

vorgeschlagene Modell führe im Kontext pluralistischer Gesellschaften nicht zu legitimer, sondern im

Gegenteil zu illegitimer Politik, die eine Exklusion und Unterdrückung bestimmter gesellschaftlicher

Gruppen zur Folge habe (Dryzek 2002: 57ff.). Erneut wenden sich die Einwände gegen Annahmen,

die mit der ‚ideal deliberative procedure‘ im Zusammenhang stehen.

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Erstens wird die Annahme, demokratische Deliberation ziele auf die Herbeiführung rationaler

Konsense, in denen sich das Allgemeinwohl manifestiere, in zwei Hinsichten zurückgewiesen. Zum

einen kann es nach Mouffe (1999) in demokratischer Politik gar keinen Konsens geben, weil Konsens

allgemeine Zustimmung voraussetzt und das dem Wesensmerkmal des Politischen als einem

endlosen gesellschaftlichen Konflikt widerspricht. Konsens bedeutet in dieser Lesart die Aufhebung

des Politischen schlechthin. Da das unmöglich ist, komme der Versuch, Demokratie als zwanglose

Herbeiführung von Konsensen zu verstehen, einer Ideologie gleich, die sich bloß als Vertreter des

Allgemeinwohls ausgibt und dadurch ihr gesellschaftliches Anderes unterdrückt. Tatsächlich ziele

demokratische Politik stets lediglich darauf, den ständigen gesellschaftlichen Konflikt in friedliche,

legitime Bahnen zu lenken: „politics aims at the creation of unity in a context of conflict and

diversity“ (Mouffe 1999: 755). Zum anderen wird argumentiert, die Festlegung auf Konsens als Ziel

von Deliberation erlege der Teilnahme an demokratischen Auseinandersetzungen Bedingungen auf,

die in verschiedener Hinsicht exkludierend wirken. Das vorgegebene Ziel eines Konsenses übt

demnach einen Konformitätsdruck auf Stellungnahmen aus, die in die politische Auseinandersetzung

eingebracht werden und führt so zur Verleugnung bzw. Marginalisierung diverser Identitäten im

politischen Diskurs (Gould 1996). Weil die Herbeiführung eines Konsenses die Überwindung der je

eigenen partikularen Sichtweise oder Identität voraussetze, werde gesellschaftliche Pluralität als

möglicher Zustand des Allgemeinwohls entwertet.

Zweitens handele es sich bei der Praxis vernünftiger Argumentation nicht um eine kulturell neutrale

Praxis. Vielmehr werde dadurch eine bestimmte, in institutionellen Kontexten westlicher

Gesellschaften – Wissenschaft, Parlament, Gerichte – verbreitete Kommunikationsform als

Erfolgsbedingung der politischen Auseinandersetzung festgelegt, die in verschiedener Hinsicht

exkludierend wirkt (Young 1996: 122ff.). Die formale, von Emotionen befreite und auf schlüssige

Konklusionen angelegte Sprache kommt demnach nicht nur der männlichen Art zu kommunizieren

näher als der weiblichen, sondern entwertet zudem die Sprache kulturell anderer

Bevölkerungsgruppen. Darüber hinaus seien diese Normen sprachlicher Artikuliertheit Kennzeichen

sozial privilegierter Bevölkerungsgruppen, was zur Benachteiligung sozial Schwacher führe.

1.3.3 Deliberative Demokratie fokussiert auf die parlamentarische Legislative im demokratischen

Rechtsstaat

Eine dritte Kritik richtet sich direkt gegen die Habermassche Demokratietheorie (Dryzek 2002: 20-24),

die im Diskurs deliberativer Demokratie zweifellos die größte Wirkung entfaltet hat. Habermas‘

Diskurstheorie des demokratischen Rechtsstaats wird hier als Versuch gedeutet, Cohen’s ‚ideal

deliberative procedure‘ auf eine Weise dem Kontext gegenwärtiger Demokratien anzupassen, die

den beiden erhobenen Einwänden (1.3.1 und 1.3.2) Stand halten kann (Dryzek 2002: 24). Dabei, so

der Einwand, ziehe Habermas jedoch der deliberativen Demokratietheorie den kritischen Stachel,

indem er den institutionalisierten Verfahren des demokratischen Rechtsstaats, insbesondere der

parlamentarischen Legislative, zu viel Bedeutung beimesse und so bestehende repräsentativ-

demokratische Systeme affirmiere. Prozesse politischer Kommunikation werden demnach nur noch

unter dem Gesichtspunkt betrachtet, inwiefern sie auf den staatlichen Gesetzgebungsprozess

einwirken können. „There is no sense that the administrative state, or economy, should be

democratized further. All that matters is that they be steered by law, itself democratically

influenced.” (Dryzek 2002: 26)

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1.4 Empirische Deliberationsforschung

Auch wenn sich ein kausaler Zusammenhang schwer überprüfen lässt, so ist doch auffällig, dass die

mittlerweile zahlreichen empirischen Studien zur Überprüfung von Annahmen der deliberativen

Demokratietheorie sich thematisch an den oben angesprochenen Schwerpunkten der Kritik zu

orientieren scheinen. Die Engführung der Perspektive deliberativer Demokratietheorie setzt sich in

den empirischen Ansätzen insofern fort, als diese sich vornehmlich der Überprüfung der Annahmen

der ‚ideal deliberative procedure‘ und ihrer Realitätstauglichkeit widmen. Ihr Fokus richtet sich dabei

einerseits auf die Analyse von Deliberation in kleineren Gruppen, entweder in experimentellen

Settings oder unter ‚realen‘ Bedingungen („deliberative polls“, „citizens‘ juries“,

Bürgerversammlungen etc.), um die Rahmenbedingungen erfolgreicher Deliberation sowie die

Annahmen im Hinblick auf die Effekte von Deliberation zu überprüfen. Führt Deliberation tatsächlich

zur Transformation individueller Präferenzen, zu inklusiveren Perspektiven in politischen Streitfragen,

zu mehr Toleranz und Verständnis unter den Beteiligten, zu einem höheren Informationsgrad und zu

Entscheidungen, die sich einem Konsens annähern? Oder bringt Deliberation im Gegenteil die

Gegensätze zwischen Parteien klarer zum Vorschein und polarisiert? Der zweite Schwerpunkt liegt in

der empirischen Erforschung des Ausmaßes und des „Reinheitsgrades“, in dem Deliberation in

politischen Institutionen, in erster Linie in Parlamentsdebatten, tatsächlich vorkommt.3 Weil der für

deliberative Demokratie entscheidende Zusammenhang der Wirkung öffentlicher Deliberation auf

die Legitimität politischer Entscheidungen bislang kaum eine Rolle spielt, scheint es vertretbar, von

empirischer Deliberationsforschung zu sprechen.4 Dieser Umstand ist wiederum einer der Gründe für

die jüngste Forderung nach einer Neuausrichtung des Diskurses deliberativer Demokratie – hin zu

einer holistischen Perspektive auf Demokratien als „deliberative Systeme“.

2. Deliberative Demokratietheorie als Analyse deliberativer Systeme

Eine Vielzahl prominenter Vertreter der Theorie deliberativer Demokratie hat jüngst gemeinsam zu

einer Neuausrichtung des Diskurses hin zu einer systemischen Perspektive auf deliberative

Demokratie aufgerufen (Mansbridge et al. 2012). Sie fordern dazu auf, nun, nachdem die Explikation

und Rechtfertigung des Ideals deliberativer Demokratie sowie dessen empirischer Erforschung in

isolierten deliberativen Arenen im Mittelpunkt stand, politische Deliberation in der gesellschaftlichen

Makroperspektive zu analysieren. „To understand the larger goal of deliberation, we suggest that it is

necessary to go beyond the study of individual institutions and processes to examine their

interaction in the system as a whole” (Mansbridge et al. 2012: 1-2). Mit der Einnahme einer

systemischen Perspektive verbindet sich für die Autoren mehr als ein bloßer Wechsel der

3 Anstelle der Vielzahl einzelner empirischer Studien sei an dieser Stelle auf die informativen Überblicke zur

empirischen Deliberationsforschung von Bächtiger/Wyss (2013), Chambers (2003), Delli Carpini et a. (2004), Schaal/Ritzi (2008) und Ryfe (2005) verwiesen. Zur Diskussion des Verhältnisses von normativer und empirischer Forschung in der deliberativen Demokratietheorie vgl. Mutz (2008) sowie Thompson (2008). 4 Das ist nicht als Vorwurf an die empirische Deliberationsforschung zu verstehen. Zum einen ist es unklar, wie

eine empirische Überprüfung der Wirkung öffentlicher Deliberation auf die Legitimität politischer Entscheidungen aussehen könnte (Peters 2001). Zum anderen kann die Überprüfung der Bedingungen und Wirkung von Deliberationsprozesse wertvolle Erkenntnisse darüber liefern, wann eine gezielte Ergänzung repräsentativer Demokratien um zusätzliche deliberative Verfahren sinnvoll sein kann (dazu Mutz 2008).

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10

Analyseebene. Vielmehr, so der Anspruch, können dadurch zugleich verschiedene Annahmen

korrigiert werden, die im Mittelpunkt des bisherigen Diskurses deliberativer Demokratie standen und

Kritik hervorgerufen haben. Bevor die Systemperspektive in die hier vorgeschlagene Rekonstruktion

des Diskurses deliberativer Demokratie eingeordnet wird (2.3), soll kurz erläutert werden, was damit

genau gemeint ist (2.1) und welche Korrekturen sich mit ihr verbinden (2.2).

2.1 Was ist ein systemischer Ansatz deliberativer Demokratie?

Eine Demokratie als deliberatives System zu betrachten erweitert den Blickwinkel über das (ideale)

Funktionieren politischer Deliberation innerhalb einer Gruppe oder Institution hinaus auf die Frage,

unter welchen Bedingungen ein Zusammenspiel politischer Institutionen und gesellschaftlicher

Diskurse in informellen Öffentlichkeiten als ein Prozess deliberativer Entscheidungsfindung begriffen

werden kann. Mansbridge et al. (2012: 4-5) definieren ein deliberatives System wie folgt:

„A system here means a set of distinguishable, differentiated, but to some degree

interdependent parts, often with distributed functions and a division of labour, connected in

such a way as to form a complex whole. It requires both differentiation and integration

among the parts. It requires some functional division of labour, so that some parts do work

that others cannot do as well. And it requires some relational interdependence, so that a

change in one component will bring about changes in some others.

A deliberative system is one that encompasses a talk-based approach to political conflict and

problem-solving – through arguing, demonstrating, expressing, and persuading. In a good

deliberative system, persuasion that raises relevant considerations should replace

suppression, oppression, and thoughtless neglect. Normatively, a systemic approach means

that the system should be judged as a whole in addition to the parts being judged

independently. We need to ask not only what good deliberation would be both in general

and in particular settings, but also what a good deliberative system would entail.”

Das deliberative System der Demokratie hat demzufolge drei Funktionen (Mansbridge et al. 2012:

10-13): seine epistemische Funktion besteht darin, informierte Präferenzen, Meinungen und

politische Entscheidungen als Ergebnis reflektierter Berücksichtigung relevanter Aspekte

hervorzubringen; seine ethische Funktion besteht vor allem darin, gegenseitigen Respekt unter den

Bürgern zu erzeugen; seine demokratische Funktion besteht darin, politische Gleichheit über einen

inklusiven politischen Prozess herzustellen. Die wesentliche Annahme des systemischen Ansatzes ist,

dass die Erfüllung dieser drei Funktionen nicht allein über Deliberationsprozesse in der

parlamentarischen Legislative einer Demokratie erfüllt werden können:

“Deliberative systems include, roughly speaking, four main arenas: the binding decisions of

the state (both in the law itself and its implementation); activities directly related to

preparing for those binding decisions; informal talk related to those binding decisions; and

arenas of formal or informal talk related to decisions on issues of common concern that are

not intended for binding decisions by the state.”(Mansbridge 2012 et al.: 9)

Für die Legitimität des Entscheidungsoutputs in einem deliberativen System spielt demnach jede

Kommunikation eine Rolle, die gesellschaftliche Sichtweisen darüber beeinflusst, was wie und warum

Page 11: Von der Kritik liberaler Demokratie zur Analyse deliberativer Systeme: Reflexionen zur gegenwärtigen Diskussionslage der Theorie deliberativer Demokratie

11

politisch geregelt werden sollte oder nicht. Damit wird die schleichende Transformation

gesellschaftlicher Diskurse durch „everyday talk“ (Mansbridge 1999) für die Analyse deliberativer

Demokratie ebenso relevant wie die Frage nach formellen und informellen Kanälen des Einflusses

solcher gesellschaftlicher Sichtweisen auf den institutionalisierten demokratischen

Entscheidungsprozess (Chambers 2012: 62-71).

2.2 Welche Korrekturen ergeben sich aus der Systemperspektive am Diskurs deliberativer

Demokratie?

Eine auf die Makroebene politischer Praxis in Demokratien gerichtete Systemperspektive führt dazu,

verschiedene Aspekte, die bislang eine untergeordnete Rolle spielten oder gar als im Widerspruch

zum Ideal deliberativer Demokratie aufgefasst worden sind, als für ein deliberatives System relevant

einzustufen. Das liegt vor allem daran, dass sich die Beurteilungsgrundlage politischer Deliberation

ändert. Es steht nicht mehr die Beurteilung von Deliberation in einzelnen Arenen für sich genommen

im Vordergrund. Stattdessen wird zur Leitfrage, welche Funktion und Wirkung deliberative wie nicht-

deliberative Kommunikation an einzelnen Orten für das Funktionieren des Gesamtsystems, also die

Erzeugung demokratisch legitimer Entscheidungen, hat.

“What might be considered low quality or undemocratic deliberation in an individual

instance might from a systems perspective contribute to an overall healthy

deliberation…Judging the quality of the whole system on the basis of the functions and goals

one specifies for the system does not require that those functions be fully realized in all the

parts.” (Mansbridge et al. 2012: 12 und 13)

Unter dieser Maßgabe kommt vor allem drei Elementen eine wichtige Rolle für die Erfüllung der

Funktionen eines deliberativen Systems zu, die üblicherweise nicht als Bestandteil deliberativer

Demokratie gesehen werden (Mansbridge et al.: 13-22). So ist erstens die Einbeziehung von Experten

für die epistemische Funktion des demokratischen Entscheidungsprozesses unerlässlich, weil über sie

diverses Fachwissen eingebracht wird, das für die Ermittlung sachlich adäquater Entscheidungen

wichtig ist. Die damit einher gehenden Gefährdungen für die ethische und demokratische Funktion

politischer Willensbildung muss durch entsprechende Verfahren der Selektion und Delegation sowie

der retrospektiven Beurteilung ausbalanciert werden, die die Bedingung politischer Gleichheit

erfüllen. Zweitens kommt dem von Protestgruppen ausgeübten Druck, obwohl er in der Regel

deliberativen Standards zuwiderläuft, eine wichtige Rolle zu, weil er Informationen Geltung sowie

den Anliegen Betroffener Gehör verschaffen kann, die im politischen Prozess bislang keine oder

kaum Beachtung fanden. Schließlich sind Medien selbst dann für ein deliberatives System

unverzichtbar, wenn sie parteiisch agieren, weil sie zwischen den verschiedenen Elementen des

deliberativen Systems eine Verbindung herstellen, den Bürgern Informationen vermitteln,

Interpretationen der Vorgänge im politischen Prozess anbieten und als „watchdogs, critics, and

investigators“ (Mansbridge et al. 2012: 20) fungieren.

Vor diesem Hintergrund ergibt sich für die Befürworter eines systemischen Ansatzes eine

Neueinschätzung von drei zentralen Streitpunkten, die den Diskurs deliberativer Demokratie bis

heute wesentlich geprägt haben:

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12

Erstens kann die Herbeiführung eines rationalen Konsenses nicht mehr als das vorrangige

Qualitätsmerkmal demokratischer Deliberation angesehen werden. „Deliberative theory has moved

away from a consensus-centered teleology—contestation and indeed the agonistic side of

democracy now have their place—and it is more sensitive to pluralism.” (Chambers 2003: 321)

Jenseits von Konsens entfaltet politische Deliberation auch dadurch eine legitimierende Wirkung,

dass sie unterschiedlichen gesellschaftlichen Sichtweisen und Identitäten im politischen Prozess eine

Stimme gibt und sie als gleichberechtigt anerkennt.

Zweitens, und damit zusammenhängend, setzt politische Deliberation nicht voraus, Beiträge in Form

rationaler Argumente vorzutragen. Stattdessen können alle Formen der Kommunikation unter zwei

Bedingungen einen wertvollen Beitrag zur Erfüllung der Funktionen deliberativer Systeme leisten

(Dryzek 2000: 68-71): sie dürfen keinen Zwang ausüben oder androhen und sie müssen in der Lage

sein, zur Verbindung des Partikularen mit dem Allgemeinen beizutragen. Allerdings bedarf jede

politische Deliberation der Argumentation, um die Einhaltung dieser Bedingungen zu überprüfen,

denn nur Argumentation ist in der Lage, auch in anderen Kommunikationsformen Versäumnisse in

diesen beiden Hinsichten aufzudecken.

Drittens verliert das Parlament seinen hervorgehobenen Status für die Erzeugung legitimer

Entscheidungen in der Demokratie. Es ist vielmehr eines von vielen Elementen, die für das

deliberative System relevant sind. „We take the state and its legislatures as the ultimate decision-

makers in a polity, but not as the centre to which everything is aimed in the polity's deliberative

system.” (Mansbridge et al. 2012: 9-10) Das betrifft auch die Funktion des Parlaments für

demokratische Repräsentation: „some of the functions of representation are no longer tied to the

standard legislative model, particularly in the wider public role in opinion formation and in creating

the access to political influence against powerful interests.” (Bohman 2012: 75)

2.3 Die Systemperspektive aus der Sicht rekonstruktiver deliberativer Demokratie

Die Hinwendung zur Perspektive auf deliberative Systeme ist wichtig, weil sie zur Überwindung der

Engführung des Diskurses deliberativer Demokratie beitragen kann. Es geht ihr darum, die mit der

‚ideal deliberative procedure‘ verbundenen Annahmen in den Kontext pluralistischer Gesellschaften

einzubetten und damit zugleich den Blick über den Tellerrand von Deliberation in einzelnen

Institutionen bzw. Gruppen hinaus zu erweitern. Das ermöglicht es ihr, auf zentrale Einwände zu

antworten, die gegen die deliberative Demokratietheorie erhoben worden sind. Es stellt sich jedoch

die Frage, wie dieser Vorgang der Kontextualisierung demokratietheoretisch begründet werden

kann. Hält man an der Vorstellung fest, deliberativer Demokratietheore gehe es darum, ein ideales

Demokratiemodell auf der Basis einer ‚ideal deliberative procedure‘ zu entwerfen und in den Kontext

pluralistischer Gesellschaften einzubetten, lässt sich das schwer rechtfertigen. Dann erschienen die

mit der Systemperspektive verbundenen Umstellungen als Abstriche, die die ideale Theorie

zugunsten ihrer Realisierung in komplexen Gesellschaften zu machen hätte – also als ein „second-

best“, das deliberative Demokratie zwar realitätstauglicher macht, dafür aber Widersprüche zu den

eigenen Annahmen in Kauf nimmt (oder diese zumindest erheblich einschränkt).

Die Bedeutung des systemischen Ansatzes lässt sich dagegen besser fassen, wenn man ihn nicht als

eine nachträgliche Anpassung eines Ideals an den gesellschaftlichen Kontext, sondern im Sinne einer

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13

rekonstruktiven Theorie deliberativer Demokratie versteht. Die Diskurstheorie der Demokratie

(Habermas 1992, 2009) analysiert Demokratie im Nationalstaat in der Perspektive eines deliberativen

Systems und fragt, welche Rolle die demokratischen Institutionen und ihr Zusammenspiel im

formalen Gesetzgebungsprozess einerseits sowie ihre Wechselwirkung mit der anarchischen

politischen Öffentlichkeit andererseits für die legitime Regelung gesellschaftlicher Konflikte spielen.

Entsprechend ist ihre Motivation nicht, eine möglichst ideale deliberative Demokratie unter realen

Bedingungen zu entwerfen.5 Vielmehr geht es der Diskurstheorie darum, die Funktionslogik von

Demokratie als einem deliberativen System nachzuvollziehen. Sie geht der Frage nach, warum

moderne Demokratie nach dem Zusammenbruch einer festen religiösen Weltordnung in

pluralistischen, von Dissens und potentiellem Konflikt geprägten Gesellschaften stabile soziale

Integration sichern kann. Ihre Antwort darauf lautet: weil das deliberative System Demokratie die

gesamtgesellschaftliche Willensbildung und Entscheidungsfindung routinemäßig in Bahnen lenkt, die

starke Parallelen zu den Eigenschaften der sprachvermittelten Problemlösung aufweisen, welche für

menschliche welterschließende Praxis grundlegend ist, erklärt es sich, dass demokratische

Entscheidungen regelmäßig als legitim aufgefasst werden, Gefolgschaft erzeugen können und so

soziale Integration sichern. Um das Potential zu erfassen, dass eine rekonstruktive systemische

Theorie deliberativer Demokratie für die Auseinandersetzungen um die Bedingungen und

Möglichkeit transnationaler Demokratie anbietet, ist es wichtig, die Folgen zu berücksichtigen, die

mit dieser Umstellung des Erkenntnisinteresses einher gehen.

3. Idealer Diskurs, epistemischer Sinn von Demokratie und Funktion des Parlaments in einer

rekonstruktiven Theorie der Demokratie als deliberatives System

Verbindet man die Systemperspektive mit der Umstellung auf ein rekonstruktives

Erkenntnisinteresse und überwindet so die Engführung im Diskurs deliberativer Demokratie, geht

damit vor allem eine Revision der Rolle einher, die das Konzept des idealen Diskurses in der

deliberativen Demokratietheorie spielt. Das Konzept des idealen Diskurses hat nicht den Zweck, ein

Ideal zwangloser Verständigung zu explizieren, das als normative Blaupause zum Design

demokratisch legitimer politischer Ordnung dienen könnte. In der Diskurstheorie ist es vielmehr

Bestandteil einer Beschreibung der Praxis welterschließender kooperativer Problemlösung durch

kommunikatives Handeln in modernen Gesellschaften (3.1). In Analogie zu diesem Begriff

kommunikativen Handelns entwickelt die Diskurstheorie der Demokratie einen pragmatistisch

orientierten Begriff demokratischer Legitimität. Demokratische Legitimität ruht demnach darauf,

dass der Prozess demokratischer Willensbildung und Entscheidung eine epistemische Dimension hat,

die der epistemischen Dimension des kommunikativen Handelns entspricht: demokratische

Entscheidungen können als gerechtfertigte Lösungen eines gemeinsamen Handlungsproblems

begriffen werden. Diese diskurstheoretische Deutung des epistemischen Sinns von Demokratie

unterscheidet sich einerseits von Theorien epistemischer Demokratie, ohne andererseits einen

idealen deliberativen Prozess anzunehmen, der auf der Basis ausschließlich vernünftiger Argumente

einen rationalen Konsens unter den Beteiligten herbeiführt – wie beispielsweise die Kritik der

agonalen an der deliberativen Demokratietheorie voraussetzt (vgl. Westphal in diesem Band) (3.2).

5 Insofern läuft der Einwand, die Diskurstheorie der Demokratie affirmiere bestehende repräsentativ-

demokratische Systeme, ins Leere (siehe oben 1.3.3 und Dryzek 2000: 20-27).

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14

Aus dieser Interpretation des epistemischen Sinns demokratischer Praxis ergibt sich die Bedeutung

einer parlamentarischen Legislative für das deliberative System Demokratie. Die Vertreter eines

systemischen Ansatzes weisen zu Recht darauf hin, dass das Parlament nicht die einzig relevante

Größe im deliberativen System ist. Man darf aber umgekehrt nicht übersehen, dass das Parlament

für die Erzeugung des Legitimität begründenden epistemischen Sinns in einem deliberativen System

eine entscheidende Rolle spielt – und zwar nicht nur im Nationalstaat, sondern gleichermaßen im

Kontext des Regierens jenseits des Staates (3.3).

3.1 Der Status des Konzepts der idealen Sprechsituation in der deliberativen Demokratietheorie

Das Konzept des idealen Diskurses6 bezeichnet eine Reihe von idealisierenden Unterstellungen, die

Akteure unweigerlich vornehmen, wenn sie sich zur kooperativen Lösung eines gemeinsamen

Problems einander zuwenden, um eine Verständigung zu erzielen. Es ist Bestandteil einer Theorie

sozialer Interaktion – der Theorie des kommunikativen Handelns (Habermas 1981) –, die von der

pragmatistischen Grundannahme ausgeht, dass menschliche Interaktion als eine kooperative und

kreative Problemlösungspraxis zu begreifen ist. Grob gesagt verläuft menschliches Handeln demnach

solange im ‚Routinemodus‘ des unreflektierten Deutens stets neuer Handlungssituationen, die von

den Interaktionsbeteiligten in bestehende Muster materiellen Wissens und normativer

Überzeugungen eingeordnet werden, bis eine Situation auftritt, die sich einer solchen Einordnung

sperrt. Dann sehen sich die Beteiligten mit der Frage konfrontiert, wie sie das vorliegende Problem

im Umgang mit der materiellen Welt effizient und/oder den zwischen ihnen auftretenden Konflikt

legitim lösen können.7 Um den damit einher gehenden Einstellungswechsel bei den Beteiligten zu

beschreiben, bezeichnet Habermas den Übergang vom unreflektierten Routinemodus des Handelns

zum reflektierten Modus der gemeinsamen Problembearbeitung als Übergang vom Handeln zum

Diskurs. Diese Beschreibung ist insofern nicht ganz glücklich, als sie suggerieren könnte, Diskurs sei

etwas vom Handeln Abgekoppeltes. Tatsächlich ist jedoch – das ist für unsere Überlegungen zentral –

der Diskurs als Bestandteil derselben Interaktionspraxis zu begreifen. Er zielt auf nichts anderes, als

ein wahrgenommenes Handlungsproblem dadurch zu bewältigen, dass die Beteiligten zu einer

gemeinsamen Beurteilung des Problems gelangen und auf dieser Basis Wege zu dessen Überwindung

6 Der theoretische Status des Konzepts des idealen Diskurses im Zusammenhang mit der Theorie des

kommunikativen Handels, wie er hier erläutert wird, darf nicht mit dem Status des Konzepts der ‚idealen Sprechsituation‘ verwechselt werden, das Habermas in frühen Schriften zur Wahrheitstheorie benutzt hat (Habermas 1972: 174ff.). Dort wurde Wahrheit im Sinne idealer Rechtfertigbarkeit in einer idealen Sprechsituation, die rationalen Konsens erzeugt, verstanden. Diese Überlegungen liegen jedoch noch vor dem, was man als ‚pragmatische‘ oder ‚rekonstruktive‘ Wende der Habermasschen Theorie (Habermas 1973: 411-417) nennen könnte, welche zur Entwicklung der Theorie des kommunikativen Handels geführt hat. Damit einher ging die handlungstheoretische Unterscheidung zwischen einem Routinemodus unreflektierten Handelns und einem reflexivem Modus des Diskurses, die für unsere Zwecke entscheidend ist und gleich näher erläutert wird. In der Folge hat Habermas seinen konsenstheoretischen Wahrheitsbegriff durch eine pragmatistische Interpretation des Diskursbegriffs der Wahrheit ersetzt (Habermas 1999a; 1999c: 286ff.; 1999d: 261ff.). Demnach unterstellen die Interaktionsbeteiligten zwar im reflexiven Modus der Problembearbeitung („Diskurs“) einen Begriff von Wahrheit als idealer Rechtfertigbarkeit. Sobald jedoch eine Annahme als hinreichend gerechtfertigt erscheint und die Beteiligten den Diskurs „verlassen“, legen sie in ihrem „vorreflexive[n] ‚Zurechtkommen mit der Welt‘“ (Habermas 1999d: 263) wieder eine realistische Auffassung von Wahrheit zugrunde. 7 Vorausgesetzt, sie ziehen nicht aus egoistischen Motiven eine gewaltsame Bearbeitung oder ‚strategisches

Handeln‘ vor.

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finden. Dementsprechend findet Diskurs nicht müßig, sondern unter Zeitdruck statt: es muss eine

Lösung herbeigeführt werden.8

Zur theoretischen Beschreibung der Einstellung, in der die Interaktionsbeteiligten sich nun, beim

Übergang vom Handeln zum Diskurs, einander zuwenden, um über eine Lösung zu beraten,

entwickelt Habermas das Konzept des idealen Diskurses. Die Eigenschaften des idealen Diskurses

bezeichnen jene Annahmen, die die Interaktionsbeteiligten mehr oder weniger unwissentlich in

dieser (und jeder) Situation unterstellen, in denen ihnen zur Bewältigung eines Problems kein

anderes Mittel übrig bleibt, als der Versuch, mit den anderen Beteiligten eine Verständigung über die

Situation herbeizuführen. Diese idealisierenden Unterstellungen9 im Hinblick auf die aktuelle

Verständigungssituation sind kontrafaktisch insofern, als die Beteiligten sie auch dann vornehmen,

wenn sie wissen, dass sich diese Annahmen gar nicht vollständig realisieren lassen, sie in der

Vergangenheit schon unzählige Male unerfüllt geblieben sind und sie sich auch stets wieder im

Nachhinein als unerfüllt herausstellen können. Tritt dieser letzte Fall ein, kann das zur Folge haben,

dass das in dem betreffenden Diskurs erzielte Ergebnis seine Gültigkeit verliert. Dennoch werden die

idealisierenden Unterstellungen in der nächsten Situation wieder und immer wieder vorgenommen.

Den Grund dafür sieht die Diskurstheorie darin, dass den Beteiligten zur Bewältigung von

Handlungsproblemen letzten Endes kein anderes Mittel zur Verfügung steht, um zu sachadäquatem

Wissen bzw. einer gerechten Regelung ihrer Beziehung zu gelangen, als eine

verständigungsorientierte Haltung einzunehmen und in einen Diskurs einzutreten. Die wechselseitige

Unterstellung, dass die Bedingungen eines idealen Diskurses gegeben sind, hat den praktischen Sinn,

den Beteiligten eine vorbehaltlose Prüfperspektive auf den jeweils problematischen Gegenstand zu

eröffnen, in der alle Aspekte thematisierbar sind und alle thematischen Aspekte dem größtmöglichen

Bewährungsdruck ausgesetzt werden. In diesem Sinn sind die Beteiligten im problembewältigenden

Umgang mit der materialen und der sozialen Welt in letzter Instanz „an die Ebene der Argumentation

und der Reflexion als Bewährungsinstanz verwiesen“ (Habermas 1999b, S. 130; Herv. orig.). Somit

wird mit dem idealen Diskurs zwar ein utopisches Ideal beschrieben. Bei diesem Ideal handelt es sich

aber nicht um eine Blaupause für das Design einer perfekten Demokratie. Vielmehr handelt es sich

um ein utopisches Ideal, das jeder stillschweigend als mehr oder weniger geltend in dem Moment

unterstellt, in dem er sich an dem alltäglichen Prozess der Verständigung mit anderen beteiligt. Der

ideale Diskurs ist eine im Alltag wirksame Utopie, die verständigungsorientiertes Handeln erst

ermöglicht. Die mit den im Konzept des idealen Diskurses zusammengefassten kontrafaktischen

Einstellungen sind daher keine Ideale in einem moralischen Sinn.10 Der theoretische Begriff der

Deliberation bzw. des Diskurses ist weiter gefasst und beschreibt die Bedingungen der Möglichkeit

welterschließender Praxis.

8 Das trifft auf alle Formen politischer Deliberation zu. Nicht alle Diskurse sind aber praktisch in diesem Sinne.

So zielt beispielsweise die Institution der Wissenschaft genau darauf, Diskurse weitest möglich dem praktischen Problemlösungsdruck zu entziehen. 9 Vgl. zu den idealisierenden Unterstellungen, die Diskursbeteiligte vornehmen Habermas (2005: 27-57) sowie

zu damit implizierten Bedingungen einer idealen Sprechsituation Habermas (2005: 54f.). 10

Vgl. Habermas (1999b: 133). Obwohl beide Ansätze ansonsten starke Parallelen aufweisen, unterscheidet sich an diesem theoriearchitektonisch tiefliegenden Punkt der Habermassche Grundbegriff des Diskurses von Rainer Forsts Grundbegriff eines „Rechts auf Rechtfertigung”. Vgl. zu dieser Auseinandersetzung Forst (2011) und Habermas (2012, S. 294-298).

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3.2 Der epistemische Sinn demokratischer Praxis

Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen interpretiert die Diskurstheorie Demokratie als eine über

Institutionen auf Dauer gestellte und damit erwartbare Praxis kollektiver Problemlösung. Sie sieht die

Rationalität demokratischer Praxis in Analogie zu dem epistemischen Sinn, den die diskursive

Bearbeitung von Handlungsproblemen in welterschließender Praxis hat. Dieses Verständnis

unterscheidet sich in wichtigen Hinsichten von zwei in der Literatur gängigen Deutungen des

epistemischen Sinns des demokratischen Prozesses.

Dem ersten Verständnis zufolge liegt die Legitimität der Demokratie darin begründet, dass ihre

Verfahren nicht nur den Wert der prozeduralen Fairness und politischen Gleichheit über die

allgemeine Wahl realisieren, sondern darüber hinaus – und davon unabhängig – ein effektives Mittel

darstellen, aus vorhandenen Entscheidungsoptionen die beste zu selektieren (Estlund 2008). Hierbei

liegt die Prämisse zugrunde, dass es vom demokratischen Verfahren unabhängige, objektive Kriterien

zur Beurteilung dafür gibt, was die für alle beste politische Entscheidung ist. Der epistemische Sinn

der Demokratie besteht demnach darin, mit ihren Entscheidungen eine unabhängig existierende

politische Wahrheit aufzuspüren: Demokratie hat die Fähigkeit „to ‘track the truth‘“ (List/Goodin

2001: 277).11 Die prominenteste Begründung für diese epistemische Leistung demokratischer

Verfahren liefert das Condorcet Jury Theorem, welches die Treffsicherheit der demokratischen

Mehrheitswahl grob gesprochen wie folgt erklärt: Nimmt man an, dass jeder einzelne Wähler in

seiner Beurteilung dessen, was die für alle beste Entscheidung ist, eher richtig als falsch liegt, liegt die

aggregierte Mehrheit ebenfalls eher richtig als falsch und zwar mit umso höherer Wahrscheinlichkeit,

je größer die Gruppe der Wähler ist (Grofman/Feld 1988; List/Goodin 2001).

Die Schwierigkeit dieses Ansatzes besteht darin, dass sich die Annahme, die für die Legitimität

politischer Entscheidungen relevanten Qualitätsstandards seien vom demokratischen Verfahren

unabhängig, kaum aufrechterhalten lässt. Zweifellos kann man argumentieren, jede politische

Entscheidung betreffe auch Fakten, die verfahrensunabhängig beurteilt werden können und müssen

(Goodin/List 2012: 306). Es gilt aber gleichermaßen, dass die angemessene Regelung einer

politischen Materie nicht allein auf der Grundlage objektiv beurteilbarer Fakten ermittelt werden

kann. Das für die Legitimität demokratischer Entscheidungen relevante Wissen schließt immer die

Frage mit ein, welche Bürger auf welche Weise von einer möglichen Entscheidung wie betroffen sein

würden. Dieses zerstreute Wissen, das nur die jeweiligen Bürger selbst haben können (Anderson

2006: 11), kann aber nur dann zur Beurteilungsgrundlage für alle anderen werden, wenn es vorher in

den Willensbildungsprozess eingespeist worden ist. Anders gesagt, weil Bürger einer Demokratie

„self-originating sources of valid claims“ (Rawls 1980: 543) sind, ist ihre gleichberechtigte

Partizipation am Zustandekommen von politischen Entscheidungen nicht nur aus dem moralischen

Prinzip der Fairness geboten, sondern zudem aus epistemischen Gründen erforderlich.

Das wiederum legt eine Schlussfolgerung nahe, die zu einem zweiten Verständnis des epistemischen

Sinns von Demokratie führt. Diese Interpretation wird häufig mit dem oben beschriebenen ersten

11

Wie gleich gezeigt wird unterscheidet sich das diskurstheoretische Verständnis des epistemischen Sinns des demokratischen Prozesses deutlich von dem hier angenommen ‚Auffinden‘ unabhängig existierender politischer Wahrheiten. Dieser Unterschied ist zu beachten, wenn Habermas die kontrafaktische Einstellung der Teilnehmer an einer demokratischen Wahl (in dieser Hinsicht unscharf) damit beschreibt, die Wähler unterstellten der Wahlpraxis ein „truth-tracking potential“ (Habermas 2009: 99).

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Strang deliberativer Demokratietheorie in Verbindung gebracht. Inklusive demokratische

Partizipation ist demnach Mittel zum Legitimität begründenden epistemischen Zweck der

Generierung rationaler Konsense, in denen sich das Allgemeinwohl im Hinblick auf eine politische

Entscheidungsmaterie manifestiert. Das demokratische Verfahren hat in dieser Sichtweise keinen die

politische Wahrheit aufspürenden, sondern konstruierenden Charakter: die beste Entscheidung

manifestiert sich in Form eines argumentativ herbeigeführten Konsenses, in dem die Bürger ihre je

unterschiedlichen Sichtweisen aufgeben und zu einem Allgemeinwillen verschmelzen. Der

wesentliche Schwachpunkt dieser Interpretation ist es, wie schon erwähnt, den pluralistischen

Charakter moderner Gesellschaften zu verkennen. Erstens lässt sich in dieser Sichtweise die

Legitimität von Mehrheitsentscheidungen, die unter Bedingungen gesellschaftlicher Pluralität

unumgänglich sind, nicht begründen. Das Mehrheitsprinzip erscheint zwar aus pragmatischen

Gründen notwendig, steht aber im Widerspruch zum Legitimität erzeugenden epistemischen Sinn der

Demokratie. Zweitens wird Politik hier als Prozess ausgezeichnet, in dem Einheitsbildung und die

Überwindung von Pluralität wünschenswert erscheint. Auch diese Lesart des epistemischen Sinns der

Demokratie verstößt also gegen das Grundprinzip individueller Autonomie, wonach Bürger

gleichermaßen als „self-originating sources of valid claims“ anzuerkennen sind, deren Willen nicht

ohne Weiteres hinter einem Allgemeinwohl zurücktreten darf.

Die diskurstheoretische Interpretation des epistemischen Sinns von Demokratie unterscheidet sich

von beiden Lesarten. Sie legt ein pragmatistisches Konzept demokratischer Legitimität zugrunde,

wonach die epistemische Funktion des demokratischen Prozesses zwar konstruktiv ist, aber nicht von

der Erzielung rationaler Konsense abhängt. Die Erklärung dafür liegt in einer Parallele demokratischer

zur alltäglichen welterschließenden Praxis. Die alltägliche Problemlösungspraxis beruht auf einer

Spannung zwischen der kontrafaktischen Unterstellung einer idealen Diskurssituation einerseits, die

den Beteiligten eine Prüfperspektive auf den problematischen Gegenstand eröffnet, und dem hinter

diesem Ideal notwendig zurückbleibenden tatsächlich geführten Diskurs, in dem (nicht perfekte)

Lösungen generiert werden. Dass die so gefundenen Lösungen für die Beteiligten akzeptabel sein

können, obwohl sie wissen (können), dass ihr geführter Diskurs das Ideal verfehlt hat, hat zwei

Gründe. Erstens handelt es sich um praktische Diskurse, die im Hier und Jetzt unter Zeitdruck geführt

werden. Das heißt, den Beteiligten ist klar, dass eine Entscheidung zur Problembewältigung

herbeigeführt werden muss, obwohl die Informationslage möglicherweise (und wahrscheinlich)

unvollständig ist. Das gilt aber, zweitens, nur, sofern der tatsächlich geführte Diskurs nicht gegen

Bedingungen des idealen Diskurses auf eine Weise verstoßen hat, die realistischerweise vermeidbar

gewesen wäre. Wenn offensichtlich Stimmen kein Gehör bekamen, obwohl das möglich gewesen

wäre, ist das Ergebnis inakzeptabel, auch wenn den Beteiligten klar sein sollte, dass auch nach der

Einbeziehung dieser Stimmen noch keine ideale Inklusion aller möglichen Stimmen vorliegen kann.

Der Diskurstheorie zufolge ist es für die Analyse der Demokratie ist es wichtig, sich dieser Spannung

in der welterschließenden Praxis zu vergewissern, weil sich über sie die Konstitution der sozialen

Welt „zwischen Faktizität und Geltung“ (Habermas 1992) vollzieht. „So wandern Ideen auf dem Wege

über unvermeidliche idealisierende Voraussetzungen in die Alltagspraxis ein und nehmen hier

unauffällig die Qualität harter sozialer Tatsachen an.“ (Habermas 2009: 98; Herv. orig.) Das gilt auch

für politische Praxis. Politische Institutionen sind in diesem Sinne als „harte soziale Tatsachen“ zu

verstehen, die kontrafaktisch einen idealen Sollwert richtiger Politik festlegen, der den Vollzug

politischer Praxis orientiert. Anders gesagt: in politischen Institutionen verkörpert sich ein kognitiver

Gehalt, der für alle Mitglieder der Gemeinschaft als richtungsweisend gilt.

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Diese Parallelen zwischen der alltäglichen sprachlichen Verständigungspraxis und der

demokratischen Praxis können begründen, warum die Akzeptabilität politischer Entscheidungen

nicht davon abhängt, dass sie im Konsens getroffen werden, sondern im Gegenteil, fehlender

Konsens im Ergebnis einen für alle erwartbaren Normalzustand darstellt – auch wenn umgekehrt

daraus nicht folgt, dass Mehrheitsentscheidungen ohne Weiteres gerechtfertigt sind. Die deliberative

Demokratietheorie sieht das Erfordernis eines Konsenses in der Demokratie nicht im Hinblick auf den

Inhalt politischer Entscheidungen, sondern auf den kognitiven Sinn, den die Beteiligten der

politischen Praxis unterstellen. Das bedeutet, es bedarf des geteilten Einverständnisses darüber, a)

dass es Probleme gibt, die sich nur durch Kooperation gemeinsam bewältigen lassen, b) diese Praxis

gemeinschaftlicher Problemlösung über eine rechtlich institutionalisierte politische Ordnung auf

Dauer gestellt werden soll und c) diese Institutionen den Sinn haben, alle möglicherweise

auftretenden Konflikte und Probleme für alle gleichermaßen legitim zu regeln.

Die These der Diskurstheorie der Demokratie ist nun, dass das Institutionensystem

nationalstaatlicher Demokratien im Zusammenspiel mit der anarchischen Öffentlichkeit ein

deliberatives System etabliert, das diesen Anforderungen entspricht – und deshalb soziale

Integration in pluralistischen, von potentiellem Konflikt geprägten modernen Gesellschaften sichert.

Der kognitive Gehalt, den der demokratische Willensbildungs- und Entscheidungsprozess verkörpert,

und der den Sollwert legitimer politischer Entscheidungen als für die demokratische Gemeinschaft

geltend festlegt, etabliert einen epistemischen Sinn der Demokratie, der an fünf Bedingungen

geknüpft ist:

- erstens muss der politische Prozess so offen sein, dass alle möglichen gesellschaftlichen

Probleme thematisierbar und zum Gegenstand gemeinsamer politischer Entscheidung werden

können;

- zweitens müssen in einem Entscheidungsprozess alle relevanten Fragestellungen thematisiert

und alle relevanten sachlichen Aspekte und Fakten zugrunde gelegt werden, um das

Qualitätskriterium sachlicher Angemessenheit zu bedienen;

- drittens müssen die Perspektiven (Bohman 2009) und Ansprüche aller möglicherweise

Betroffenen gleichermaßen berücksichtigt werden, um das Qualitätskriterium politischer

Gleichheit zu erfüllen. Hierbei handelt es sich um ein prozedurales Kriterium, das einen

epistemischen Sinn hat, den nicht-deliberative Entscheidungsprozeduren (etwa ein Münzwurf

oder die mechanische Aggregation abgegebener Stimmen) verfehlen. Politische Gleichheit

erfordert die Anerkennung eines jeden Bürgers als einer „self-originating source of valid claims“.

Individuelle Sichtweisen, Ansprüche und Ziele als gültig anzuerkennen, setzt voraus, dass diese

im politischen Prozess nicht willkürlich, das heißt ohne die Angabe von Gründen, hinter einem

gemeinsamen Beschluss zurücktreten dürfen (Forst 2007: insbesondere 248-269). Diese Art von

Vermittlung zwischen individuellen Ansprüchen macht öffentliche politische Deliberation

erforderlich.

Für sich betrachtet könnten diese Kriterien nahelegen, die Legitimität demokratischer

Entscheidungen hinge von konsensualen Beschlüssen ab. Allerdings handelt es sich bei ihnen

offensichtlich um Ideale, die im demokratischen Prozess stets zu einem gewissen Grade unterlaufen

werden. Die Frage ist also, warum demokratische (Mehrheits-)Entscheidungen dann nicht per se

illegitim bleiben müssen. Die Antwort darauf liegt für die Diskurstheorie in folgenden zwei

Umständen. Erstens haben Bürger moderner Gesellschaften ein reflexives Bewusstsein entwickelt.

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19

Das heißt, sie wissen einerseits um die gesellschaftliche Pluralität und Komplexität (Habermas 1992:

42ff.) und haben andererseits einen Sinn für die Fallibilität ihres Wissens und ihrer normativen

Überzeugungen (Habermas 1999c: 291-295). Ihnen ist aus eigener Erfahrung ersichtlich, dass

Konsens im Lichte der Pluralität von Sicht- und Lebensweisen nicht nur unwahrscheinlich ist, sondern

auch dann, wenn er erzielt wurde, stets unter Vorbehalt steht, weil neue Erfahrungen regelmäßig

neue Erkenntnisse und Deutungen mit sich bringen, die eine Revision erforderlich machen. Zweitens

realisieren Bürger, dass trotz dieser unvermeidlich unvollständigen Bedingungen Entscheidungen

zum kollektiven Handeln herbeigeführt werden müssen, wenn politische Probleme gemeinsam

bewältigt werden sollen. So gesehen ist der Legitimitätssinn in modernen Demokratien durch eine

Ambivalenz gekennzeichnet, die durch die Spannung zwischen den Anforderungen der ersten drei

Ideale inklusiver Deliberation einerseits und der Notwendigkeit der Entscheidungsfindung unter

Zeitdruck andererseits erzeugt wird. Entsprechend hängt die Legitimität politischer Entscheidungen

- viertens davon ab, dass Entscheidungen zu einem angemessenen Zeitpunkt getroffen werden.

Allerdings darf in einem demokratischen Prozess das Pendel nicht unkontrolliert zugunsten der

Notwendigkeit der Entscheidung ausschlagen und dabei die Norm inklusiver Deliberation verletzen.

Die Einschränkung dieser Norm zugunsten der Ermöglichung einer Entscheidung ist nur zulässig

unter der Bedingung, dass

- fünftens die tatsächlich erfolgte Willensbildung nicht auf eine Weise gegen das Ideal verstößt,

die sich realistisch hätte vermeiden lassen. Bürger müssen unterstellen können, dass der

faktische Prozess den idealisierenden Bedingungen jeweils bestmöglich entspricht.

Die besondere Herausforderung für jede Demokratie besteht darin, dass die Frage, wie weit die

ersten drei Kriterien von Fall zu Fall erfüllt werden können und sollen und wann Ergebnisse

hinreichend gerechtfertigt sind, nicht (theoretisch) vorab bestimmt werden kann. Die Frage bedarf

selbst der demokratischen Bearbeitung.12

Mit dieser Interpretation bietet die Diskurstheorie einen Begriff der epistemischen Qualität

demokratischer Entscheidungen an, ohne dabei auf die Annahme objektiv existierender politischer

Wahrheiten oder die Notwendigkeit rationaler Konsense zurückgreifen zu müssen. Dadurch eröffnet

sich ein begrifflicher Raum zur Erfassung einer demokratisch legitimen Mehrheitsentscheidung als

einem öffentlich gerechtfertigten Kompromiss, der zwischen den Polen einer willkürlichen,

mechanisch aggregierten Mehrheitsentscheidung einerseits sowie andererseits einem rationalen

Konsens, der keine abweichende individuelle Haltung zulässt, liegt. In diesem Sinn schlägt Henry S.

Richardson (1997) vor, den gemeinsamen Willen, der aus demokratischer Willensbildung hervorgeht,

nicht als rationalen Konsens zu verstehen, sondern als eine „democratic intention“: eine gemeinsame

Intention, zur Lösung eines gemeinsamen Problems eine bestimmte kollektive Handlung zu

12

Gleiches gilt für die Beurteilung des institutionalisierten Willensbildungs- und Entscheidungsprozesses in einer Demokratie. Auch dessen Angemessenheit im Hinblick auf die gleichzeitige Erfüllung der drei Bedingungen muss selbst zum Gegenstand demokratischer Willensbildung und Entscheidungsfindung werden können (Bohman 2007). Demokratische Legitimität bedarf insofern der Einrichtung einer „reflexiven Demokratie“ (Schmalz-Bruns 1995).

Page 20: Von der Kritik liberaler Demokratie zur Analyse deliberativer Systeme: Reflexionen zur gegenwärtigen Diskussionslage der Theorie deliberativer Demokratie

20

vollziehen, auch wenn diese Handlung gegen das, was „ich persönlich“ als beste politische Lösung

betrachte, verstoßen sollte.

3.3 Das Parlament im deliberativen System Demokratie

Die Befürworter eines systemischen Ansatzes deliberativer Demokratie sprechen sich dagegen aus,

das Parlament als Zentrum zu begreifen, auf das öffentliche politische Kommunikation in einer

Demokratie zuläuft. Diese Haltung entspricht der von Rosanvallons (2010) angemahnten Vorsicht vor

einer in der gegenwärtigen Demokratietheorie verbreiteten Überhöhung der Bedeutung des

Parlaments. Rosanvallon zufolge wird – im Gegensatz zur Praxis demokratischer Gesellschaften – das

theoretische Nachdenken über Demokratie noch heute von einem Gründungsmythos moderner

Demokratie gefangen gehalten, von dem es sich zu verabschieden gelte. Dieser bestehe in der

Einheitsvorstellung eines Volkes, dessen Wille sich in den Mehrheitsentscheidungen des Parlaments

manifestiert. In diesem Sinne werde die parlamentarische Praxis der Mehrheitsentscheidung

demokratietheoretisch nach wie vor als die einzige Quelle demokratischer Legitimität aufgefasst.

Demgegenüber, so Rosanvallon weiter, hat sich in demokratischen Gesellschaften die Ökonomie

demokratischer Legitimität über die Ausbildung nicht-majoritärer „Gegeninstitutionen“

(Beamtentum, Verfassungsgerichte, Regulierungsagenturen etc.), welche die normativen

Dysfunktionalitäten elektoral-majoritärer Demokratie ausgleichen, faktisch verschoben. In der

Sprache der systemischen Ansätze deliberativer Demokratie könnte man sagen, dass das

parlamentarische elektoral-majoritäre Verfahren der Willensbildung einerseits mit der „counter

democracy“ (Rosanvallon 2008) nicht-majoritärer Institutionen und einer wachsamen und

kontrollierenden Öffentlichkeit andererseits in einer spannungsreichen Wechselwirkung steht, über

die sich Demokratie als ein deliberatives System etabliert.

Eine rekonstruktive deliberative Demokratietheorie teilt die Überzeugung, dass parlamentarische

Praxis für sich genommen den Legitimität begründenden epistemischen Sinn politischer

Entscheidungen nicht erzeugen kann. Ebensowenig ist es jedoch umgekehrt der Fall, Demokratie

ließe sich als ein deliberatives System auch ohne starke parlamentarische Legislative einrichten. Dass

aber genau diese Sichtweise in der Auseinandersetzung über die Bedingungen der Demokratisierung

der Europäischen Union fest verankert ist, spricht für Rosanvallons Beobachtung über die

Wirkmächtigkeit des demokratischen Gründungsmythos. Die unterschiedlichen Versuche,

deliberative europäische Entscheidungsfindung auch ohne demokratische Inklusion als legitim

auszuzeichnen (so beispielsweise Joerges/Neyer 2014; kritisch dazu Niesen 2008), ruhen auf der

Annahme, eine weitere Stärkung des Europäischen Parlaments verbände sich mit einem

„essentialism“ bzw. einem „pull of oneness“, der dem transnationalen Charakter der EU zuwider läuft

(Nicolaïdis 2012: 270 und 274): weil parlamentarische Repräsentation im Sinne der spiegelbildlichen

Abbildung einer vorpolitisch existierenden Gemeinschaft verstanden wird und es in der EU einen

solchen euro-nationalen Demos weder gebe noch geben solle, muss die über allgemeine Wahlen zu

einer parlamentarischen Legislative hergestellte Form demokratischer Repräsentation abgelehnt

werden.

Insbesondere an diesem Punkt zeigt sich das Potential des diskurstheoretischen Konzepts

demokratischer Legitimität für die Auseinandersetzung um Möglichkeit und Bedingungen

transnationaler Demokratie. Die epistemische Dimension der Demokratie impliziert demokratische

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21

Repräsentation nicht im Sinne der Spiegelung einer vorpolitischen nationalen Gemeinschaft, sondern

als konstruktive und dynamische politische Beziehung. Sie legt nahe, demokratische Repräsentation

als einen dynamischen Prozess zu verstehen, in dem politische Repräsentationsbeziehungen über

claims-making stets umkämpft bleiben und fortlaufend neu ausgehandelt werden (Saward 2006;

Urbinati 2006). Die Einrichtung und Erhaltung dieses dynamischen Prozesses demokratischer

Repräsentation in einem deliberativen System (gleich ob national oder transnational) ist jedoch in

dreifacher Hinsicht von dem kognitiven Sinn abhängig, der sich mit der Institution eines über

allgemeine Wahlen autorisierten parlamentarischen Gesetzgebers verbindet:

Erstens hat die Einrichtung einer parlamentarischen Legislative mittels allgemeiner und gleicher

Wahlen eine für den epistemischen Sinn demokratischer Praxis konstitutive Funktion. Über sie wird

erst der Sinn von Politik als einer kooperativen Problemlösungspraxis unter Gleichen etabliert (vgl.

dazu Gaus 2014). Über die Wahl als gemeinsamer Akt der Institutionalisierung der obersten

gesetzgebenden Autorität erneuern die Bürger regelmäßig und öffentlich ihr gegenseitiges

Versprechen, ihr Zusammenleben über die kooperative und gleichberechtigte Ermittlung

angemessener politischer Entscheidungen legitim zu regeln. In diesem Sinn bildet die Wahl zu einem

demokratischen Parlament keine bestehende Gemeinschaft ab, sondern konstituiert eine politische

Gemeinschaft jedes Mal aufs Neue (Lefort/Gauchet 1990). Sie etabliert dadurch einen als gemeinsam

wahrgenommenen öffentlichen Raum und legt jenen Sinn für Angemessenheit fest, wonach das

demokratische Prinzip diejenige Metanorm bildet, die die Beteiligten in der Beurteilung politischer

Praxis zugrunde legen (Schmalz-Bruns 2010: 100).

Zweitens richtet ein Parlament als oberste gesetzgebende Autorität eine für Demokratie

unverzichtbare Verbindung von administrativem Entscheidungsprozess einerseits und einer nicht

exklusiven öffentlichen Deliberation andererseits ein (Brunkhorst 2002). Zwar finden relevante

Prozesse der Deliberation nicht nur innerhalb des institutionalisierten Entscheidungsprozesses,

sondern auch außerhalb, in der nicht-regulierten Öffentlichkeit statt. Es bedarf aber einer

institutionalisierten Schnittstelle, um die Legitimitätsbedingung zu erfüllen, dass in dem

entscheidungsvorbereitenden Deliberationsprozess keine Perspektive ignoriert und nur unter der

Angabe von Gründen zurückgewiesen wird. Das Zusammenspiel der Funktion als oberster

gesetzgebender Autorität einerseits sowie des Verfahrens der allgemeinen Wahl zur Einrichtung

dieser Autorität andererseits macht das Parlament zum einzigen Ort im deliberativen System, an dem

die allgemeine politische Öffentlichkeit Entscheidungswirksamkeit erlangt. Es bildet einen

unverzichtbaren Knotenpunkt im Netz verstreuter Teilöffentlichkeiten, den alle Stimmen der

nichtinstitutionalisierten Öffentlichkeit adressieren können, um ihre Positionen gleichberechtigt in

den demokratischen Entscheidungsprozess ‚einzuschleusen‘ (Gaus 2013: 15f.).

Drittens wird über das Verfahren parlamentarischer Mehrheitsentscheidung eine oppositionelle

Logik etabliert, die die deliberative Vermittlung zwischen konfligierenden Interessen in Gang setzt

und öffentlich nachvollziehbar macht und so eine Voraussetzung dafür bildet, allen Sichtweisen im

demokratischen Prozess die gleiche Anerkennung zuteil werden zu lassen. Der politische

Wettbewerb um die Mehrheit strukturiert öffentliche politische Deliberation in räumlicher und

zeitlicher Hinsicht (Rummens 2012). Insbesondere in mediatisierten Gesellschaften wirkt die

parlamentarische Praxis in räumlicher Hinsicht wie eine Bühne der öffentlichen Auseinandersetzung,

die politische Konflikte für die große Menge der Bürger zugänglich und nachvollziehbar macht. Der

reiterative (also an regelmäßige Wahlen gebundene) Wettbewerb entfaltet eine Deliberation

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22

fördernde Wirkung, indem er die politischen Akteure nötigt, jeweils überzeugende

Rechtfertigungsnarrative zu entfalten, um ihren Positionen zum Gewinn der Mehrheit zu verhelfen

(Manin 1997: 161-192). Darüber eröffnet sich gemeinsamer öffentlicher Raum, in dem politische

Sichtweisen und Handlungsoptionen bestimmten Akteuren zugeschrieben werden können. In

zeitlicher Hinsicht sorgt die oppositionelle Logik dafür, dass der Prozess politischer Deliberation als

ein endloser Vorgang der kritischen öffentlichen Auseinandersetzung aufrechterhalten und offen

gehalten wird. Echte politische Konsense sind nicht nur unwahrscheinlich, sie bringen auch mögliche

epistemische Folgekosten mit sich, die einer demokratischen Willensbildung abträglich sind. Ein

Konsens suggeriert Endgültigkeit insofern, als er nahe legt, dass alle relevanten Aspekte tatsächlich

zum Zuge gekommen sind, sich die beste Alternative durchgesetzt hat und öffentliche Deliberation

mit dem politischen Beschluss abgeschlossen sei (Anderson 2006: 15ff.). Dagegen wird durch die

parlamentarische Praxis der Mehrheitsentscheidung stets daran erinnert, dass politische Diskurse

unter realen Bedingungen unvollständige Diskurse sind. Sie gibt der politischen Deliberation den

Charakter eines endlosen Streitgesprächs, in dem die Minderheitspositionen als nicht zu tilgende und

anerkannte Einwände gegenüber gefassten Beschlüssen öffentlich sichtbar bleiben. Die kritischen

Einwände der Minderheit lösen sich nicht mit der Beschlussfassung in Luft auf, sondern bleiben im

kollektiven Gedächtnis präsent und werden so zum Maßstab, an dem sich künftige Politik messen

muss. Dadurch wirkt die repräsentative parlamentarische Praxis unabhängig von vorpolitischen

Bindungen darauf hin, zu „overcoming disaffection and sustaining ongoing commitment to the

democratic project.” (Rummens 2012: 36)

Schluss

Die Systemperspektive im Diskurs deliberativer Demokratie ist als eine Reaktion auf Einwände zu

verstehen, die gegenüber einem bestimmten Verständnis deliberativer Demokratie erhoben worden

sind. Deliberative Demokratie wird meist im Sinn eines normativen Ideals von Demokratie nach dem

Modell einer ‚ideal deliberative procedure‘ verstanden, das mit der Realität pluralistischer

Gesellschaften schwer zu vereinbaren ist. Die systemische Perspektive zielt auf die Überwindung

einiger damit verbundener Schwierigkeiten, indem sie vorschlägt, deliberative Demokratie im

Kontext von Massengesellschaften zu diskutieren. Die vorangehenden Überlegungen sollten zeigen,

dass die mit der Systemperspektive vorgeschlagenen Korrekturen nur dann keine Inkonsistenzen in

der Theorie deliberativer Demokratie nach sich ziehen, wenn damit zugleich eine rekonstruktive

Perspektive eingenommen wird. Eine rekonstruktive Perspektive auf Demokratie als einem

deliberativen System legt zwei Schlussfolgerungen nahe. Erstens zeigt sie in methodologischer

Hinsicht die Bedeutung kognitiver Gehalte politischer Institutionen auf, die politische Praxis im

Hintergrund strukturieren, aber als Untersuchungsgegenstand empirischer Studien bislang kaum

beachtet werden. Im Hinblick auf transnationale Demokratie legt ihre Deutung des epistemischen

Sinns von Demokratie zweitens nahe, die Bedeutung des Parlaments für demokratische Praxis zu

überdenken. Wenn der epistemische Sinn demokratischer Praxis darin besteht, eine

Problemlösungsgemeinschaft unter Gleichen einzurichten, setzt ein demokratisches Parlament als

oberste gesetzgebende Autorität weder die Existenz einer Nation voraus noch impliziert sie einen

Essentialismus, der eine Nationenbildung anstieße. Stattdessen bildet eine parlamentarische

Legislative eine notwendige Bedingung jeder deliberativen Demokratie – ob national oder

transnational.

Page 23: Von der Kritik liberaler Demokratie zur Analyse deliberativer Systeme: Reflexionen zur gegenwärtigen Diskussionslage der Theorie deliberativer Demokratie

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