547 aufgegeben wird, wenn das Einheitspatentgericht seine Arbeit aufnimmt. Gemȩß Art. 32, 1 i) ist nȩmlich das Ein- heitspatentgericht zustȩndig fȱr Klagen gegen Entscheidungen, die das Europȩische Pa- tentamt in Ausȱbung der in Artikel 9 der Verordnung (EU) Nr. 1257/2012 genannten Aufgaben getroffen hat. Vor dem Einheitspatentgericht wird es somit also erst- mals mȰglich sei, das EPA wirksam zu verklagen. Zwar nur in Zusammenhang mit Entscheidungen, die das Ein- heitspatent 12 betreffen, die Entscheidungen kȰnnen aber indirekt relativ weitreichende Folgen auch fȱr die interne Handhabung des EPA haben. Lt. dem zitierten Art. 9 der Verordnung fȱhrt das EPA nȩmlich u.a. folgende Hand- lungen in Bezug auf das Einheitspatent durch: – Es verwaltet die „Validierungsantrȩge“ der Inhaber (genauer: Antrȩge auf einheitliche Wirkung) und „ge- wȩhrleistet“, dass die Frist zur Stellung des Antrags ein Monat ab VerȰffentlichung der Erteilung betrȩgt. – Es verwaltet das Register der Einheitspatente – Es nimmt Lizenzzusagen der Inhaber entgegen und lȰscht diese auch wieder; dies betrifft auch Lizenzzusa- gen im Zusammenhang mit industriellen Standards – Es nimmt die nach VO 1260/2012 notwendigen șber- setzungen entgegen und verȰffentlicht diese – Es nimmt die Jahresgebȱhrenzahlungen fȱr Einheits- patente entgegen Die daraus resultierenden KlagemȰglichkeiten fȱr An- melder sind unmittelbar ersichtlich und betreffen weite Teile des formalen Rechts des Europȩischen Patentamts. Wenn – was zur Zeit, als dieser Artikel verfasst wurde (Ja- nuar 2014) noch nicht feststeht – das Europȩische Patent- amt Weiterbehandlung und/oder WiedereinsetzungsmȰg- lichkeiten fȱr die oben genannten Handlungen vorsieht, wird auch das gesamte Wiedereinsetzungsrecht grund- sȩtzlich einer șberprȱfung durch das Einheitspatentge- richt offenstehen. Natȱrlich betreffen die Urteile des Einheitspatentge- richts nur die Fȩlle, wo (z.B.) der Anmelder die Zahlung einer Jahresgebȱhr eines Einheitspatents versȩumt hat und nun auf eine Wiedereinsetzung angewiesen ist. Aber es ist wohl schwer vorstellbar, dass das EPA dann eine Art „zweierlei Recht“ einfȱhren wird, nȩmlich einmal fȱr Jah- resgebȱhren vor der Erteilung und einmal fȱr Jahresge- bȱhren auf Einheitspatente nach der Erteilung. Wie sich auf lange Sicht die Rechtsprechung des Ein- heitspatentgerichts auf die Amtspraxis des Europȩischen Patentamts auswirken wird, ist naturgemȩß jetzt noch nicht abzusehen, zu einem Zeitpunkt, wo das Einheitspa- tentgericht noch nicht einmal besteht. Dass es aber mit Sicherheit irgendwann einmal zu ent- sprechenden Klageverfahren kommen wird und somit zum ersten Mal in der Geschichte des Europȩischen Pa- tentamts die interne Gerichtsbarkeit (wenn auch indirekt) der Kontrolle einer externen Gerichtsbarkeit ausgesetzt sein wird, steht wohl ausser Zweifel. Vom „Einschieben in die fremde Serie“ – das Ende einer Doktrin Bertram Rapp * Der nachfolgende Beitrag befasst sich mit der Entwicklung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zur wettbe- werbsrechtlichen Zulȩssigkeit des Vertriebs von Ersatz- oder Ergȩnzungsprodukten, welche technisch oder optisch an die Serie eines Wettbewerbers angepasst sind, ohne dass dieser hierfȱr ȱber eingetragene Schutzrechte verfȱgt. șber Jahrzehnte hat der Bundesgerichtshof zu dem er- gȩnzenden wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutz ge- mȩß § 4 Nr. 9 UWG (ehe- mals §1 UWG) eine ge- festigte Rechtsprechung hinsichtlich des sogenann- ten „Einschiebens in die fremde Serie“ entwickelt. Anlass war das Bausteinsys- tem der Firma Lego, dem in der Entscheidung „Klemm- bausteine I“ 1 ein Denkmal gesetzt wurde, welches der Bundesgerichtshof erst im Jah- re 2005 in der Entscheidung „Klemmbausteine III“ 2 selbst einriss, und zwar mit der – verkȱrzt dargestellten – Be- grȱndung, nach 50 Jahren sei es nun aber auch genug. Da- bei war bereits die ursprȱngliche Begrȱndung des Bundes- gerichtshofes aus dem Jahre 1964 durchaus fragwȱrdig. Es wurde argumentiert, der wettbewerbliche Erfolg erschȰp- fe sich bei solchen Klemmbausteinen nicht in der ersten Lieferung, sondern erfasse automatisch auch den sich er- gebenden Ergȩnzungsbe- darf. Wer also einmal ein er- folgreiches Produkt plat- ziert hat, durfte nach dieser Entscheidung damit rech- nen, fȱr alle Zukunft und unabhȩngig von den zeitli- chen Schutzschranken der gewerblichen Schutzrechte, ein Monopol auf die Liefe- Kernthesen: – Der Bundesgerichtshof hat dem automatischen Verbot des „Einschiebens in die fremde Serie“ ein Ende bereitet. – Der Verkauf technisch und/oder optisch kompatibler Er- satz- oder Erweiterungsteile ist jedenfalls dann zulȩssig, wenn die Abnehmer ein Interesse an der Verfȱgbarkeit kompatibler Konkurrenzprodukte haben. – Der Schutz ȱber das eingetragene Design gewinnt vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung an Bedeutung. 12 Auch dieser Term wurde aus Zweckmȩßigkeits bzw. Lesbarkeitsgrȱnden gewȩhlt, genau heisst das Patent „Europȩisches Patent mit einheitlicher Wirkung“. * Patentanwalt Dr. Bertram Rapp, Augsburg. 1 BGH, Urt. vom 6.11.1963, I b ZR 37/62, GRUR 1964, 621. 2 BGH, Urt. vom 2.12.2004, I ZR 30/02, Mitt. 2005, 177; GRUR 2005, 349. Mitt. Heft 12/2014 Rapp, Vom „Einschieben in die fremde Serie“ – das Ende einer Doktrin