1 Bipolare Störungen: Wie sieht gute Versorgung aus? Prof. Dr. Peter Brieger Ärztlicher Direktor kbo-Isar-Amper-Klinikum [email protected]Versorgung: Emil Kraepelin 1900 „Die Kliniken in Strassburg, Tübingen, Halle, Giessen, Würzburg haben wesentlich das Recht, nicht aber eine Verpflichtung zur Aufnahme und geniessen dabei zum Teil ausserordentliche Vergünstigungen“ Karl Jaspers zur Universitätspsychiatrie „Sie verlor sich in endlose Einzelheiten, Messungen, Zählungen, Befunde, verlor das Bildhafte und gestaltete.“ Allgemeine Psychopathologie, 9. Auflage, S. 705 Jaco Pastorius (1951-1987) • Diagnose Bipolar • „Spezialbehandlung“? • Bipolar als Paradigma • Diagnose Bipolar • „Spezialbehandlung“? • Bipolar als Paradigma
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Bipolare Störungen: Wie sieht gute Versorgung aus?
„Die Kliniken in Strassburg, Tübingen, Halle, Giessen, Würzburg haben wesentlich das Recht, nicht aber eine Verpflichtung zur Aufnahme und geniessen dabei zum Teil ausserordentliche Vergünstigungen“
Karl Jaspers zur Universitätspsychiatrie
„Sie verlor sich in endlose Einzelheiten, Messungen, Zählungen, Befunde, verlor das Bildhafte und gestaltete.“
Allgemeine Psychopathologie, 9. Auflage, S. 705
Jaco Pastorius(1951-1987)
• Diagnose Bipolar• „Spezialbehandlung“?• Bipolar als Paradigma
• Diagnose Bipolar• „Spezialbehandlung“?• Bipolar als Paradigma
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Veränderung der Diagnosen 1972 vs. 1989: Daten aus 6 US-Zentren
0%
20%
40%
60%
80%
100%
1972 1989
% d
er
Auf
nahm
en
AndereAffektive StörungSchizophrenie
Stoll et al. (1993) Am J Psychiatry150: 1668-73
Jules AngstZur Ätiologie und Nosologie endogener depressiver Psychosen
1966
Unipolar > Bipolar
Angst et al. J Aff Disord 2005
Frühberentung, Ausfallszeiten!
Alter (Jahre)
6050403020100
Nic
ht b
eren
tet
1,0
,5
0,0
Gruppe
bipolar
(n=61)
unipolar
(n=116)
Brieger et al. Psychiatr Prax 2004
Verlorene Arbeitstagepro Jahr (USA):
Bipolare Störungen: 66 Unipolare Depression: 22
Kessler et al. Am J Psychiatry 2006
Der 15-Jahres-Verlauf: Bipolar vs. unipolar
Golderg & Harrow Bipolar Disord 2011
Kognitive Defizite bei bipolaren Erkrankungen
(Clark et al., 2001; Murphy et al., 2001;
Olley et al., 2005)
In euthymen Erkrankungsphasen:
•Aufmerksamkeitsleistungen
•Exekutivfunktionen
•Gedächtnis
•Verarbeitungsgeschwindigkeit
� kognitive Defizite persistieren in symptomatische
Remission
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Diagnosen: Emil Kraepelin 1920
„Wir werden uns somit an den Gedanken gewöhnen müssen, dass die von uns bisher verwerteten Krankheitszeichen nicht ausreichen, um uns die zuverlässige Abgrenzung des manisch-depressiven Irreseins von der Schizophrenie unter allen Umständen zu ermöglichen.“
Je besser wir einen Patienten kennen und je mehr Informationen verfügbar sind, es umso schwieriger wird, die richtige diagnostische Kategorie für ihn oder sie zu finden: Es geht also um individuelle, biographische, subjektorientierte Sichtweisen
• Diagnose Bipolar• „Spezialbehandlung“?• Bipolar als Paradigma
„Die Verfügbarkeit guter medizinischer Versorgung steht invers zum Bedarf in der Bevölkerung.“oder: Je kränker ein Mensch ist, desto weniger Hilfen kann er erwarten.
Sektorisierung
• Pro– Keine Ausgrenzung
von schwer Kranken– Gemeindenähe– Klare Kooperations-
strukturen
• Contra– Wahlfreiheit?– Fachkompetenz bei
schwierigen oder seltenen Erkrankungen?
– Verlust eines Teils der Patienten
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Spezialisierung
• Pro– Höhere Fachkompetenz– Spezialisierung ist in
einigen Bereichen bewährte Realität (Forensik, KJP, Psychosomatik, Sucht, Gerontopsychiatrie, Gender)
– Bessere Behandlungsqualität?
– Stärkere Position im Wettbewerb
• Contra– Höhere Kosten?– Soziale Gerechtigkeit?
– Geringere Zufriedenheit des Personals?
– Eine höhere Effizienz ist für die meisten Störungen nicht belegt
Training der Helfer hilft!
Lobban et al. Enhanced relapse prevention for bipolar disorder by community mental health temas: cluster feasibility randomised trial. Br J Psych 2010
• 23 Versorgungssysteme wurden Cluster-randomisiert (GB, NHS)
• 12 Stunden Training der Mitarbeiter des CMHT vs. TAU
• 48 Wochen follow-up der betroffenen Pat. (N=96)
• Wiedererkrankung als Outcome
Lobban et al. Enhanced relapse prevention for bipolar disorder by community mental health temas: cluster feasibility randomised trial. Br J Psych 2010
Inhalte der Schulung (Profis!)
• Psychoedukation
• Monitoring
• Trigger
• Früherkennung
• Copingstrategien
• Notfallplan
• Einbindung in das Versorgungssystem
Lobban et al. Br J Psychiatry 2010
Lobban et al. Br J Psychiatry 2010
Stadien der Behandlung
Langzeitbehandlung
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• Syndromal– akute Episode
• Symptomatisch– einzelne Symptome
• Funktional– Erfüllung bestimmter Rollen und
Funktionen
Prognose und Verlauf
• Konzepte• Behandlung • Versorgung
Recovery
• Recovery und Resilienz als Gegenteil der Chronifizierung
• Recovery als Entwicklung aus den Beschränkungen der Patientenrolle hin zu einem selbstbestimmten sinnerfüllten Leben
Definition z.B.
• Überwindung der Auswirkungen Patient im psychiatrischen Versorgungssystem zu sein, Kontrolle über das eigene Leben zu behalten oder wieder zu erlangen
Davidson et al. 2005
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Peer support wirkt bei bipolaren Patienten
• Rat aus eigener Erfahrung (“advice grounded in experiential knowledge”)
• Angehörige und Patienten wurden prä- und post-Intervention standardisiert untersucht
Perlick DA, Miklowitz DJ et al. Family-focused treatment for caregivers of patients with bipolar disorder. Bipolar Disorder 2010
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Inhalte der FFT-HPI
• Psychoedukation und Zielformulierung (1-4)
• Analyse von Hindernissen, die Krankheit des Pat. zu „managen“ (5)
• CBT basiertes Management der Krankheit des Betroffenen (6-15)
Perlick et al. Bipol Disord 2010
Wirkung auf Angehörige: Depression
0
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FFT Video
QIDS präQIDS post
Perlick et al. Bipol Disord 2010
Wirkung auf Angehörige: Belastung
0
0,1
0,2
0,3
0,4
0,5
0,6
0,7
0,8
FFT Video
SBAS präSBAS post
Perlick et al. Bipol Disord 2010
Wirkung auf Patienten: Depression
0
2
4
6
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FFT Video
HAM-D präHAM-D post
Perlick et al. Bipol Disord 2010
Wirkung auf Patienten: Manie
0123456789
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FFT Video
YMRS präYMRS post
Perlick et al. Bipol Disord 2010
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„Ich habe mich oft gefragt, ob ich, vor die Wahl gestellt, es mir aussuchen würde, manisch-depressiv zu sein. Wenn ich nicht die Möglichkeit hätte, Lithium zu nehmen, oder nicht darauf ansprechen würde, wäre die Antwort ein einfaches Nein – und es wäre eine mit Grauen erfüllte Antwort.“
K.R. Jamison: Meine ruhelose Seele. München 1997
„Die unzähligen Hypomanien und die Manie selbst haben noch eine andere Ebene des Wahrnehmens, Fühlens und Denkens in mein Leben gebracht...“
K.R. Jamison: Meine ruhelose Seele. München 1997
17. JahrestagungMünchen & Haar b. München
7.-9. September 2017
Bipolar im 21. Jahrhundert: Forschung und Therapie in Zeiten des Trialogs