Veränderungen des neuronalen Schaltkreises des optokinetischen Reflexes und optokinetische Verhaltensdefizite bei albinotischen Frettchen Dissertation zur Erlangung des Grades eines Doktors der Naturwissenschaften der Fakultät für Biologie an der Ruhr-Universität Bochum angefertigt am Lehrstuhl für Allgemeine Zoologie und Neurobiologie vorgelegt von Nikolaos Garipis aus Serres (Griechenland) Bochum 2001
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Veränderungen des neuronalen Schaltkreises des ... · Solange die horizontale optokinetische Reizung binokular erfolgt, zeigen alle bis jetzt untersuchten, visuell intakten adulten
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Veränderungen des neuronalen Schaltkreises
des optokinetischen Reflexes und
optokinetische Verhaltensdefizite
bei albinotischen Frettchen
Dissertation
zur Erlangung des Grades
eines Doktors der Naturwissenschaften
der Fakultät für Biologie
an der Ruhr-Universität Bochum
angefertigt am
Lehrstuhl für Allgemeine Zoologie und Neurobiologie
vorgelegt von
Nikolaos Garipis
aus Serres (Griechenland)
Bochum 2001
Dissertation eingereicht am: 02. November 2001 Betreuer: Prof. Dr. K.-P. Hoffmann (Lehrstuhl Allgemeine Zoologie und Neurobiologie, Fakultät Biologie) Koreferent: Prof. Dr. R. Necker (Lehrstuhl Tierphysiologie, Fakultät Biologie) Dekan: Prof. Dr. Dr. H. Hatt (Lehrstuhl Zellphysiologie, Fakultät Biologie)
1988; Ratte: Hess et al., 1985; Reber et al., 1991). Die Güte der Augenfolgebewegung ist in
temporonasaler Richtung höher als in nasotemporaler Richtung. Der Grund für diese
Einleitung 3
Asymmetrie liegt darin, daß von einem Auge nur der kontralaterale NOT aktiviert wird, der
die langsame Folgephase des hOKN nur in der temporonasalen Richtung des gereizten
Auges auslösen kann.
Mit zunehmender evolutiver Entwicklung des Kortex, Foveation und Frontalstellung der
Augen treten immer mehr ungekreuzte retinofugale Ganglienzellfasern auf. Damit
einhergehend findet eine Erweiterung des neuronalen Schaltkreises des hOKN statt. Der
NOT bekommt zusätzlich zu seinem direkten Eingang von der kontralateralen Retina auch
einen schwächeren Eingang von der ipsilateralen Retina und einen immer stärker werdenden
binokularen Eingang vom ipsilateralen visuellen Kortex (VC) (Katze: Hoffmann &
Schoppmann, 1975; Berman, 1977; Ventre, 1985; Primaten: Lui et al., 1995).
Parallel zu der Erweiterung des hOKN-Schaltkreises nimmt die Symmetrie des monokularen
hOKN zu (Tauber & Atkin, 1968). Bei Katzen (Markner & Hoffmann, 1985) findet man
einen nahezu symmetrischen und bei Primaten (Affe: Koerner & Schiller, 1972; Mensch:
Van den Berg & Collewijn, 1988) schließlich einen völlig symmetrischen monokularen
hOKN. Der Grund für die Symmetriezunahme liegt darin, daß durch die Erweiterung des
hOKN-Schaltkreises beide Retinae mit jedem NOT verbunden werden und damit die
Aktivierung beider NOTs von einem Auge möglich wird (vgl. Abb. 1A). Beispielsweise
aktiviert das linke Auge den rechten NOT bei Reizbewegung nach rechts (über die direkte
Projektion) und den linken NOT bei Reizbewegung nach links (über die direkte ipsilatrale
Projektion und insbesondere über die indirekte binokulare Projektion vom ipsilateralen VC).
Folglich kann der hOKN über jedes Auge allein in beiden horizontalen Richtungen ausgelöst
werden.
Aus diesen anatomischen und verhaltensphysiologischen Befunden stellt sich die Frage, wie
der Symmetriegrad des monokularen hOKN bei einer Spezies verändert wird, bei der die
Anzahl der ipsilateral verlaufenden retinalen Ganglienzellfasern infolge einer genetischen
Mutation reduziert ist (vgl. Abb. 1B). Solche Mutanten sind Albinos.
III. Albinismus bei Säugetieren
Albinotische Säuger zeigen eine Vielzahl von Fehlbildungen und -funktionen, insbesondere
in ihrem visuellen System. Anatomisch findet man das Fehlen von Pigment in der Haut und /
oder im retinalen Pigmentepithel, was mit einer Hypoplasie der Retina und abnormen
retinofugalen Projektionen einhergeht. Am optischen Chiasma der Albinos kreuzen mehr
Ganglienzellaxone als bei normal-pigmentierten Individuen derselben Art (Jeffery et al.,
Einleitung 4
1997; Ilia & Jeffery 1999; Morgan et al., 1987; Stone et al., 1978b). Die Folge dieser
abnormen Überkreuzung ist eine partiell falsche Abbildung des Gesichtsfeldes auf das
Corpus geniculatum laterale (CGL), die sich bis zum visuellen Kortex fortsetzt. Der visuelle
Kortex versucht zwar die Störung seiner retinotopischen Organisation durch Reorganisation
zu korrigieren, trotzdem bleibt die kortikale Repräsentation der visuellen Umwelt partiell
abnorm (Guillery 1971, 1974, 1990; Apkarian et al., 1991; Sanderson et al., 1974). Die
retinoprätectale Projektion ist ebenfalls von
der Reduktion der ipsilateralen retinofugalen
Fasern betroffen (Maus: Balkema et al., 1981;
Pak et al., 1987; Kaninchen: Klooster et al.,
1983; Frettchen: Morgan et al., 1987; Zhang
& Hoffmann, 1993; Siamesiche Katze:
Guillery, 1974; Ault et al. 1995; Albinokatze:
Creel et al., 1982; Ault et al., 1995; Tiger:
Guillery & Kaas, 1973; Mensch: Guillery et
al., 1975; Apkarian et al., 1991).
IV. Neuronaler hOKN-Schaltkreis des
Frettchens
Der hOKN-Schaltkreis des Iltisses (MUSTELA
PUTORIUS FURO, pigmentiertes Frettchen) ist
hinsichtlich seiner sensorischen NOT-
Eingänge zwischen dem der Ratte und dem
der Katze einzuordnen. Der Frettchen-NOT
erhält einen direkten, starken Eingang vom
kontralateralen Auge, einen direkten,
schwachen Eingang vom ipsilateralen Auge
und einen binokularen Eingang vom
ipsilateralen visuellen Kortex (Abb. 1A)
(Klauer et al., 1990; Zhang & Hoffmann,
1993). Entsprechend zeigt das pigmentierte
Frettchen einen monokularen hOKN, der
wesentlich symmetrischer ist als der
Abb. 1: Vereinfachtes Schema des neuronalen hOKN-Schaltkreises des pigmentierten (A) und albinotischen (B) Frettchens. Die gepunkteten grauen Pfeile in A zeigen den zusätz-lichen indirekten NOT-Eingang, der im Verlaufe der Evolution hinzugekom-men ist und beim Albinofrettchen (B) infolge der Reduktion der ipsilateralen retinofugalen Fasern weggefallen ist. Der Übersichtlichkeit halber sind nur die Projektionen vom linken Auge ein-gezeichnet und die dem NOT nachge-schalteten visuomotorischen Struktu-ren wurden weggelassen.
A pigmentiertes Frettchen
NOT NOT
VC VC
CGL CGL
?
NOT NOT
VC VC
CGL
B albinotisches Frettchen
Einleitung 5
monokulare hOKN der Ratte und in dieser Hinsicht dem monokularen hOKN der Katze
nahekommt (Hein et al., 1990).
Bei der albinotischen Form des Iltisses, dem Albinofrettchen, ist der direkte retinale NOT-
Eingang vom ipsilateralen Auge reduziert (Abb. 1B) (Zhang & Hoffmann, 1993). Diese
Reduktion ist eine Folge der allgemeinen Reduktion der ipsilateral projizierenden zugunsten
der kontralateral projizierenden retinofugalen Fasern, die bei allen höheren albinotischen
Säugern beobachtet wird (Frettchen: Guillery 1971; Huang & Guillery, 1985; Morgan
et al., 1987).
V. Zielsetzungen und Hypothesen
Die vorliegende Arbeit wird methodisch in einen Verhaltensteil und einen
elektrophysiologischen Teil gegliedert. Beide Teile werden getrennt dargestellt und
diskutiert. Es werden folge Fragestellungen bearbeitet:
Teil I: Verhalten
Aufgrund der eingangs beschriebenen Anatomie des neuronalen hOKN-Schaltkreises und
des entsprechenden optokinetischen Verhaltens des pigmentierten Frettchens unter
monokularer Bedingung, scheint das Albinofrettchen ein geeigneter Kandidat zu sein für
Untersuchungen bezüglich der Symmetrie des monokularen hOKN.
• Die erste Hypothese ist, daß die Binokularität des kortikalen NOT-Eingangs beim
Albinofrettchen infolge der Reduktion der ipsilateralen retinofugalen Projektionen
schwächer als beim pigmentierten Frettchen ausgebildet ist. Deshalb müßte der
monokulare hOKN des albinotischen Frettchens asymmetrischer sein als der des
pigmentierten Frettchens. Zur Überprüfung dieser Hypothese werden Augenbewegungs-
messungen unter monokularer Bedingung während optokinetischer Ganzfeldreizung
durchgeführt.
Die Augenbewegungsmessungen entdecken überraschenderweise einen schweren
okulomotorischen Defekt bei den Albinofrettchen. Dieser Befund wirft weitere Fragen auf,
deren Klärung den Ursprung des Verhaltensdefizites funktionell eingrenzen soll:
• Liegt der Grund für das okulomotorische Verhaltensdefizit in einem neuronalen Defekt,
der dem NOT nachgeschaltet ist?
Die Hypothese ist, daß das Verhaltensdefizit der Albinos durch einen motorischen Defekt
verursacht ist. Zur Klärung dieser Frage wird der NOT von Albinofrettchen mit Hilfe von
Muscimol einseitig und reversibel chemisch inaktiviert. Damit wird getestet, ob das
Einleitung 6
künstlich erzwungene Aktivitätsungleichgewicht zwischen dem NOT der injizierten und
dem NOT der nicht-injizierten Hirnseite zu einem Spontannystagmus führt. Das
Auftreten eines Spontannystagmus wird gegen einen dem NOT nachgeschalteten Defekt
sprechen und diese Hypothese widerlegen. Zur Kontrolle wird das Muscimol-Experiment
auch mit einem pigmentierten Frettchen durchgeführt.
• Ist das Albinofrettchen überhaupt in der Lage sich visuell zu orientieren?
Die Hypothese ist, daß das Albinofrettchen aufgrund eines defekten optischen Apparates
oder eines allgemeinen neuronalen Defektes gänzlich blind ist und seine Blindheit
unbemerkt geblieben ist, da es sich besonders gut olfaktorisch orientieren kann
(Apfelbach, 1973; Apfelbach & Wester, 1977) und es immer nur in seiner gewohnten
Umgebung beobachtet wurde. In diesem Zusammenhang wird die Frage gestellt,
inwiefern das zentrale Gesichtsfeld noch funktionell ist, welches auf die temporale
Hemiretina projiziert wird, deren Ausgangsfasern abnormerweise am optischen Chiasma
kreuzen. Zur Beantwortung dieser Fragestellungen werden albinotische und pigmentierte
Frettchen einem Sehtest unterzogen, der dem Perimetrietest von Sherman (1973)
angelehnt ist.
Teil II: Neurophysiologie
Aus der Entdeckung des hOKN-Ausfalls beim Albinofrettchen resultieren folgende Frage-
stellungen, die im elektrophysiologischen Teil der vorliegenden Arbeit bearbeitet werden:
• Findet sich in der Aktivität der NOT-Ausgangsneuronen ein Korrelat zum optokineti-
schen Verhaltensdefizit der Albinofrettchen?
Zur Beantwortung dieser Frage werden an narkotisierten albinotischen und pigmentierten
Frettchen NOT-Neuronen hinsichtlich ihrer Richtungsspezifität elektrophysiologisch
charakterisiert und miteinander verglichen.
Diese Experimente decken ein abnormes physiologisches Verhalten im NOT des
Albinofrettchens auf. Hieraus ergeben sich folgende Fragen und Hypothesen:
• Inwiefern sind der retinale und / oder der kortikale NOT-Eingang für die abnorme
Physiologie des NOTs des Albinofrettchens verantwortlich?
Diese Frage basiert auf der Hypothese, daß beim pigmentierten Frettchen die Retina und
/ oder der Kortex über ihre Projektionen zum NOT die Richtungsspezifität der NOT-
Ausgangsneuronen determinieren und folglich auch für den Verlust der
Richtungsspezifität beim Albinofrettchen verantwortlich sein könnten. Zur Überprüfung
dieser Hypothese wurden beide NOT-Eingänge mit Hilfe antidromer und orthodromer
Einleitung 7
elektrischer Reizung bei albinotischen und pigmentierten Frettchen untersucht und
miteinander verglichen.
• Eine weitere Hypothese ist, daß die Unterentwicklung der Retina des Albinofrettchens
eine Veränderung des relativen Vorkommens an ON-Ganglienzellen und somit auch an
ON-Zellen im superioren Colliculus (SC) bedingt. Deshalb wird das relative
Vorkommen von ON-, ON-OFF und OFF-Neuronen im SC ermittelt und zwischen
albinotischen und pigmentierten Frettchen verglichen. Ein Unterschied im relativen
Anteil dieser Ganglienzelltypen zwischen dem Albinofrettchen und dem pigmentierten
Frettchen würde indirekt einen abnormen retinalen NOT-Eingang beim Albinofrettchen
anzeigen, weil der direkte retinale Eingang des NOTs von ON-Ganglienzellen gebildet
wird.
Material und Methoden 8
Material und Methoden
I. Teil I: Verhalten
A. Versuchstiere
Es wurden insgesamt 36 albinotische und 16 pigmentierte Frettchen (MUSTELA PUTORIUS
FURO) beiderlei Geschlechts im Alter von fünf bis zwölf Monaten verwendet. Die Tiere
stammten aus der Zucht des Instituts für Allgemeine Zoologie und Neurobiologie der Ruhr-
Universität Bochum und wogen zwischen 450 und 1500 g. Die Albinofrettchen besaßen ein
gelblich-weißes Fell und rosa-rot leuchtende Augen, während die pigmentierten Tiere ein
schwarz-braun gemustertes Fell und dunkle, schwarze Augen hatten. Die Tiere waren agil
und zeigten weder Verhaltensstörungen noch irgendwelche augenfälligen Defizite. Alle
Versuche waren von den lokalen Behörden und der Ethikkommission genehmigt und ihre
Durchführung erfolgte nach dem deutschen Tierschutzgesetz und den internationalen
Richtlinien für Tierversuche „Principles and Policies of Animal Use at NIH“ (Investigator´s
Handbook „Using Animal in Intramural Research: Guidelines for Investigators“, NIH,
1985).
B. Fixierung der Versuchstiere
Um die Augenbewegungsmessungen durchführen zu können, war es notwendig die
Frettchen möglichst in eine unbewegliche Körperhaltung zu bringen. Dazu kamen sie in eine
Röhre, deren vorderes Ende einen verengten Durchmesser besaß (vgl. Abb. 2). Für die
unterschiedlich großen Tiere standen drei unterschiedlich große Röhren zur Verfügung, so
daß die Tiere bequem eingespannt werden konnten. Die in der Institutswerkstatt der
Allgemeinen Zoologie und Neurobiologie gebauten Röhren bestanden aus Hartplastik und
hatten die Maße (Länge / Durchmesser) 45 cm / 9 cm, 45 cm / 7,5 cm und 32 cm / 3,0 cm.
Der verengte Durchmesser am vorderen Ende betrug entsprechend 4 cm, 3,5 cm und 3,0 cm,
so daß das Tier seinen außerhalb der Röhre ragenden Kopf nicht durchziehen konnte. Der
Material und Methoden 9
Kopf konnte zusätzlich mit Hilfe eines passend gebauten Kopfgeschirrs an einer
Haltevorrichtung in horizontaler Lage befestigt werden.
C. Horizontale optokinetische Reizung
Die horizontale optokinetische Ganzfeldreizung erfolgte in einer optokinetischen
Reiztrommel (∅ 90 cm, Höhe 100 cm), in die die Röhre mit dem Versuchstier gestellt
wurde. Der Abstand zwischen den Augen des Tiers und der inneren Wand betrug ca. 25 cm.
Die innere Wand der Trommel war mit einem schwarz-weißen Zufallspunktemuster
ausgekleidet, dessen Punktgröße entweder ca. 2,3° (feines Reizmuster) oder ca. 10,7°
Sehwinkel (grobes Reizmuster) betrug. Die Trommel hing an einem Seil senkrecht von der
Decke des Raumes. Mittels eines Elektromotors konnte sie kontinuierlich mit verschiedenen
Winkelgeschwindigkeiten um ihre senkrechte Längsachse im Uhrzeiger- (cw) und gegen den
Uhrzeigersinn (ccw) rotiert werden. Der Innenraum der Trommel war beleuchtet, so daß der
Helligkeitskontrast (K) zwischen den weißen und den schwarzen Punkten ca. 87% betrug
(berechnet nach der Formel [K=(a–b)/(a+b)]×100; a = Leuchtdichte der weißen und b =
Leuchtdichte der schwarzen Punkte). Dabei betrug die Leuchtdichte der schwarzen Punkte
2 cd/m2 und die der weißen Punkte 30 cd/m2 (gemessen mit dem Luminanzmeßgerät Minolta
luminance meter). Durch Klopfen auf die Trommel konnten die Tiere auch akustisch gereizt
und dadurch in einem besonders aufmerksamen Zustand gehalten werden.
Vorrichtung für die Befestigung des Geschirrs: Grundfläche der Stifte: 1,5 cm × 1,5 cm Höhe der beiden Stifte: 3 cm Abstand der beiden Stifte: 5,5 cm
Röhre
optokinetische Trommel
Vorrichtung zur Befestigung des Geschirrs
Abb. 2 skizziert die Röhre, in die die Versuchstiere während der optokinetischen Reizung in die Trommel gebracht wurden. Der Umriß der optokinetischen Trommel ist ebenfalls gezeigt (nicht maßstabsgetreu); der Drehpfeil symbolisiert die Rotationsrichtung im Uhrzeigersinn (cw).
Material und Methoden 10
In dieser Weise wurden die Versuchstiere binokular und / oder monokular (nur linkes Auge
sehend, nur rechtes Auge sehend) mit einem oder mit beiden Reizmustern optokinetisch
gereizt. Der Einsatz von zwei Reizmustern mit unterschiedlichen Punktgrößen war
notwendig, da bekannt ist, daß die Auslösbarkeit des hOKN (insbesondere bei Albinos) von
der Punktgröße des Reizmusters abhängen kann (Sirkin et al., 1985). Die Reizgeschwindig-
keiten betrugen 5, 10, 20, 50 und 100°/s jeweils in cw- und in ccw-Richtung. Dieser
Geschwindigkeitsbereich wurde gewählt, weil aus Hein et al. (1990) bekannt ist, daß die
pigmentierten Frettchen solche Reizgeschwindigkeiten mit einer relativ hohen Folgegüte
beantworten können. Für die monokularen Tests wurde eines der beiden Augen mit einer
lichtundurchlässigen Kappe verdeckt. Die Kappe hatte die Form einer hohlen Halbkugel mit
einem Durchmesser von 1,5 cm und wurde am Kopf des Tiers angebracht.
Ein Versuchstier wurde ein Mal pro Tag in einer Sitzung von ca. je einer Stunde getestet. Die
Punktgröße des Reizmusters wurde nur zwischen verschiedenen Sitzungen geändert.
Innerhalb einer Sitzung wurden mehrere Reizperioden (im Falle der spontanen
Augenbewegungen „Aufnahmeperiode“) von 30 s oder 60 s Dauer durchgeführt. Die
Testbedingungen (Okularität, Reizgeschwindigkeit und Reizrichtung) blieben während einer
Reizperiode konstant und wurden immer nur zwischen den Reizperioden geändert.
Nicht alle Versuchstiere wurden unter allen möglichen Testbedingungen untersucht, so daß
die Anzahl der Tiere, die unter einer bestimmten Bedingung getestet wurde, in vielen Fällen
unter der Gesamtanzahl (33 Albino- und zwölf pigmentierte Frettchen) liegt. Tabelle 1 zeigt
die Anzahl (N) der Tiere, die jeweils mit einem der beiden Muster unter den verschiedenen
Okularitätsbedingungen getestet wurden.
Tab. 1: Anzahl der Versuchstiere, bei denen der hOKN durch Reizung in der Trommel jeweils mit den verschiedenen Reizparametern (Punktgröße des schwarz-weißen Zufallspunktemusters, binokular / monokular) getestet wurde. N = Anzahl der Individuen, die unter den verschiedenen Bedingungen horizontal optokinetisch getestet wurden; X = bei einigen Tieren probeweise getestet, jedoch hier nicht gezeigt, — = nicht getestet.
Reizmuster Okularitätsbedingung N (Albinos) N (Pigm.)
rechts sehend 20 — monokular links sehend 20 —
fein (Punktgröße: 2,3° Sehwinkel) binokular 20 12
rechts sehend X — monokular links sehend X —
grob (Punktgröße: 10,7° Sehwinkel) binokular 33 X
Material und Methoden 11
Albinofrettchen: Insgesamt wurden 33 Albinofrettchen optokinetisch getestet. Von diesen
wurden zunächst 20 Tiere mit dem feinen Reizmuster unter allen drei Okularitäts-
bedingungen (binokular, nur rechtes oder nur linkes Auge sehend) gereizt. Anschließend
wurden alle 33 Albinos mit dem groben Reizmuster binokular und einige auch monokular
gereizt. Die wenigen monokularen Messungen mit dem groben Reizmuster werden hier nicht
vorgestellt, da sie sich in ihrem Ergebnis nicht von den binokularen oder den monokularen
Messungen mit dem feinen Muster unterschieden.
Pigmentierte Frettchen: Insgesamt wurden zwölf pigmentierte Frettchen binokular mit dem
feinen Reizmuster optokinetisch getestet. Monokulare Messungen wurden nicht
durchgeführt.
Kontrollmessungen: Als Kontrolle dienten die spontanten Augenbewegungen in Helligkeit
und in Dunkelheit. Für die Aufnahmen in Helligkeit befanden sich die Tiere in der
stehenden, von innen beleuchteten Trommel und konnten auf das Reizmuster blicken. Die
Augenbewegungen der Albinofrettchen wurden auf diese Weise sowohl binokular als auch
monokular bei eingesetztem feinen Muster und nur binokular bei eingesetztem groben
Muster gemessen. Die Messungen mit den pigmentierten Frettchen erfolgten nur binokular
bei eingesetztem feinen Reizmuster. Während der Aufnahmen in völliger Dunkelheit befand
sich die Röhre mit dem Tier in einem durch eine Holzwand abgetrennten, völlig dunklen (0
cd/m2) Raumabschnitt. Die Kontrollmessungen sollten erstens Referenzwerte liefern und
zweitens bei den Albinofrettchen eventuelle okulomotorische Instabilitäten aufdecken, zumal
bei albinotischen Säugern oft ein Spontannystagmus beobachtet wurde (Collewijn et al,
1978, 1985; Precht & Cazin, 1979).
Planetarium: Einige visuelle Stimulationen mit Albinofrettchen erfolgten nicht mit dem
Zufallspunktemuster in der Trommel, sondern mit einem Muster aus unterschiedlich großen,
zufällig im Raum verteilten projizierten Lichtpunkten („Planetarium“). Die Lichtpunkte
wurden mit Hilfe einer hohlen Metallkugel erzeugt, in derem Inneren sich eine Glühbirne
befand. Die Wand der Kugel war randomisiert durchlöchert, so daß durch das Einschalten
der Glühbirne Lichtpunkte in das gesamte abgedunkelte Labor projiziert wurden. Die Kugel
konnte mit Hilfe eines Motors mit verschiedenen Geschwindigkeiten horizontal in cw- und
ccw-Richtung rotiert werden. Das Ergebnis dieser Reizungen unterschied sich nicht von dem
Ergebnis der Reizungen mit den beiden Zufallspunktemustern und wird im Ergebnisteil nicht
dargestellt, sondern nur in der Diskussion erwähnt.
Material und Methoden 12
D. Registrierung der Augenbewegungen
Die Messungen der horizontalen Augenbewegungen während der optokinetischen Reizung
erfolgte mit Hilfe des Elektrookulogramms (EOG). Als EOG-Ableitelektroden dienten feine
(∅ 0,1 mm), ca. 15 cm lange, lackisolierte Silberdrähte, deren chloriertes 0,5 cm langes Ende
mit Hilfe einer Injektionskanüle unter die Haut an den beiden äußeren Augenwinkeln
eingestochen wurde. Dieses sogenannte bitemporale Abgreifen der corneoretinalen
Potentialdifferenz eignet sich bei Registrierungen von konjugierten Augenbewegungen am
besten (Collewijn, 1999).
Das abgegriffene Potential wurde mit Hilfe eines Verstärkers (Eigenbau) 2000-fach
verstärkt, auf einem Oszillographen dargestellt und gleichzeitig zu einem PC (Deskpro 286,
Compaq) geleitet. Der PC stellte es online in Abhängigkeit von der Zeit mit einer zeitlichen
Auflösung von 100 Hz als EOG-Spur auf dem Monitor dar. Am Ende einer Reizperiode
(Aufnahmeperiode), deren Dauer mit Hilfe des Aufnahmeprogramms auf 30 s oder 60 s
eingestellt war, wurde die EOG-Spur zwecks späterer Offline-Analyse als Datei
abgespeichert.
Es handelt sich hierbei um ein unkalibriertes EOG, welches keine Aussage über die
Amplitude der Augenbewegungen in Grad Sehwinkel erlaubt. Deshalb stellt die y-Achse der
Augenspuren das abgegriffene EOG-Potential in mV dar.
E. Analyse und Auswertung des EOGs
1. Bearbeitung und graphische Darstellung der EOG-Spuren
Die Offline-Analyse der EOG-Spuren bestand zunächst aus dem Zuschneiden. Dabei wurden
diejenigen Teile der EOG-Spur herausgeschnitten, die keinen optokinetisch ausgelösten
Augenbewegungen entsprachen. Solche Abschnitte wurden nicht in die weitere Auswertung
einbezogen. Abbildung 3 zeigt beispielhaft eine EOG-Spur vor (A) und nach (B) dem
Zuschneiden. Anschließend erfolgte die Berechnung der Steigungen, die jeweils zwischen
zwei 10 ms entfernten benachbarten Punkten entlang der übriggebliebenen Spur bestanden.
Die berechneten Steigungen mit der Einheit mV/s entsprechen der relativen Geschwindigkeit
der Augenbewegungen während der EOG-Registrierung. Der Medianwert dieser Steigungen
(Steigungsmedian) ist ein relativer Wert, welcher über den Differentialquotienten der EOG-
Spur ein relatives Maß für die Augengeschwindigkeit ergab.
Material und Methoden 13
Im Falle der Kontrollmessungen wurden nahezu konstante EOG-Potentiale aufgenommen
und infolge dessen haben die allermeisten Steigungsmediane den Wert Null oder einen Wert
nahe bei Null (Steigungsmedian = 0). Im Gegensatz dazu liefern die für den hOKN typischen
Sägezahn-förmigen EOG-Spuren Steigungsmediane ungleich Null. Denn da die langsamen
Folgephasen des hOKN wesentlich mehr Zeit in Anspruch nehmen als die schnellen
Rückstellsakkaden, stammen die meisten Steigungen einer Augenspur von diesen langsamen
Folgephasen und bestimmen somit den Medianwert der Gesamtheit aller Steigungen. Das
Vorzeichen des Steigungsmedians einer EOG-Spur wird definitionsgemäß von der Richtung
des hOKN bestimmt, wobei ein hOKN nach rechts (cw) einen positiven (positive Steigung
der langsamen Phasen) und ein hOKN nach links (ccw) einen negativen Steigungsmedian
(negative Steigung der langsamen Phasen) liefert. Die Tatsache, daß die Rückstellsakkaden
in ihrer Richtung den langsamen Folgephasen entgegengesetzt sind und somit Steigungen
mit entgegengesetztem Vorzeichen liefern, wirkt sich auf das Vorzeichen des Medianwertes
nicht aus.
Von jedem Tier wurde ein Steigungsmedian für jeden getesteten Reizparameter berechnet.
Wenn mehrere EOG-Spuren unter demselben Reizparameter aufgenommen wurden, wurde
das arithmetische Mittel der Steigungsmediane der einzelnen Spuren verwendet.
Anschließend wurde die Häufigkeitsverteilung der Steigungsmediane der verschiedenen
Tiere für jeden Reizparameter (verschiedene Reizgeschwindigkeiten, Kontrollmessungen in
Abb. 3: Beispiele für das Zuschneiden einer EOG-Spur eines pigmentierten Frettchens. A:Vollständige 30-s-lange EOG-Spur vor dem Zuschneiden. Die Aufnahme erfolgte während binokularer optokinetischer Reizung im cw-Richtung mit dem feinen Reizmuster. Die Reizgeschwindigkeit betrug 50°/s. B: Die EOG-Spur aus A nach dem Zuschneiden. In diesem Falle wurde der Spurabschnitt ab 13,8 s herausgeschnitten, weil er nicht optokinetisch ausgelösten Augenbewegungen entspricht. Die ersten 13,8 s zeigen die typische Sägezahn-Form des hOKN und wurden für die Berechnung des Medians zugrunde gelegt, der in diesem Falle +4,15 mV/s beträgt. Abszisse: Zeit; Ordinate: bitemporal abgegriffene corneoretinale Potentialdifferenz.
Zeit [ms]
0 5000 10000 15000 20000 25000 30000
1 mV
A
B
Material und Methoden 14
Helligkeit und in Dunkelheit) berechnet und graphisch dargestellt. Da die errechneten
Steigungsmediane innerhalb des Bereichs ±6 mV/s liegen, zeigen die x-Achsen aller
Histogramme den entsprechenden Achsenabschnitt [–6; +6], wobei er in 0,25 breite Klassen
unterteilt ist. Die y-Achse gibt die absolute Anzahl der Medianwerte, die in die jeweiligen
Klassen fallen. Da für jede Versuchsbedingung ein Medianwert von jedem Tier errechnet
wurde, entspricht die Anzahl der Medianwerte innerhalb einer Graphik der Anzahl der Tiere,
die unter der jeweiligen Bedingung getestet wurden.
2. Statistik
Es wurden verteilungsfreie Tests angewandt. Zum Vergleich der Steigungsmediane, die von
derselben Tiergruppe für verschiedene Reizbedingungen errechnet wurden, wurde der
WILCOXON SIGNED RANK TEST angewandt, dessen Nullhypothese („zwei unterschiedliche
Reizbedingungen haben keinen unterschiedlichen Effekt auf die optokinetischen Augen-
bewegungen derselben Tiergruppe“) bei einem P < 0,05 abgelehnt wurde. Zum Vergleich der
Steigungsmediane der beiden unterschiedlichen, ungleich großen Tiergruppen (albinotische
und pigmentierte Tiere) wurde der MANN-WHITNEY RANK SUM TEST angewandt. Die Null-
hypothese („die Medianwerte der einen Gruppe unterscheiden sich nicht von den Median-
werten der anderen Gruppe“) wurde auch in diesem Falle bei einem P < 0,05 abgelehnt. Ein
P > 0,05 zeigt in beiden Tests, daß kein signifikanter Unterschied zwischen den beiden
miteinander verglichenen Gruppen von Steigungsmedianen existiert.
Zum Vergleich zweier Gruppen von Steigungsmedianen hinsichtlich ihrer Varianz wurde der
LEVENE S HOMOGENEITY OF VARIANCE TEST gerechnet, der bei einem P < 0,05 einen
signifikanten Unterschied anzeigt.
F. Inaktivierung des Prätektums
Im Anschluß an den oben beschriebenen hOKN-Test wurden drei albinotische und ein
pigmentiertes Tier für die NOT-Inaktivierungsstudie mit Muscimol verwendet. Diese Tiere
stellen eine Teilgruppe der im hOKN-Test untersuchten Tiere dar.
1. Injektionsmethode und Vorbereitung der Versuchstiere
Um das Muscimol mehrmals, d.h. an verschiedenen Tagen, an derselben Stelle injizieren zu
können, wurde senkrecht über einem Prätektum eine rostfreie Kanüle (Sterican 26 G x 1",
Zur Definition des ONF-I wurden nur die transienten (phasischen) ON- und OFF-Antworten
auf das Erscheinen und Verschwinden des Lichtpunktes und die Spontanraten während
andauernder Beleuchtung und Nicht-Beleuchtung des RF auf dem Tangentialschirm
berücksichtigt. Der Faktor 100 dient lediglich zur Umrechnung des ONF-I in Prozent. Damit
gibt der ONF-I an, wieviel Prozent die phasische ON-Antwort an der phasischen Gesamt-
antwort (Summe aus phasischer ON- und phasischer OFF-Antwort) ausmacht. Ein ONF-I >
50 % bedeutet, daß die ON-Antwort größer als die OFF-Antwort ist. Ein ONF-I < 50 % zeigt
eine stärkere OFF-Antwort und ein ONF-I = 50 % zeigt gleichstarke phasiche ON- und OFF-
Antworten an. Zur graphischen Darstellung der ONF-Indizes wurde ihre Häufigkeits-
verteilung mit einer Bin-Breite von 5 % gewählt.
Definitionsgemäß werden Zellen mit einem ONF-I < 0,33% als OFF-Zellen und mit einem
ONF-I ≥ 0,66% als ON-Zellen klassifiziert. Wenn 0,33% ≤ ONF-I < 0,66% gilt, werden die
Zellen als ON-OFF-Zellen klassifiziert.
3. Statistik
Da in einigen Fällen aus statistischer Sicht relativ wenige Werte vorhanden sind und / oder
extreme „Ausreißer“ auftreten und / oder asymmetrische Verteilungen vorliegen, wurde als
Mittelwert der DS-Indizes und der Reizlatenzen der Median und als Streuungsparameter das
untere (Q0,25) und obere (Q0,75) Quartil angegeben. Entsprechend wurde zum statistischen
Vergleich zweier Gruppen von DS-Indizes oder Reizlatenzen der nicht-parametrische RANG-
SUMMEN-TEST nach Mann und Whitney angewandt. Die Nullhypothese dieses Testes ist, daß
die Mediane der beiden zu vergleichenden Wertegruppen sich nicht signifikant voneinander
unterscheiden. Sie wurde bei einem P < 0,05 abgelehnt. Zur Überprüfung, ob eine
Normalverteilung vorliegt, wurde der nach Lilliefors modifizierte KOLMOGOROV-SMIRNOV-
TEST angewandt, der bei einem P ≥ 0,05 eine Normalverteilung anzeigt. Um zwei absolute
Häufigkeitsverteilungen miteinander zu vergleichen wurde der χ2-Test angewandt, der bei
einem P < 0,05 einen signifikanten Unterschied anzeigt. Alle Tests wurden mit der
Windows-Version der Statistik-Software SigmaStat 2.0 (SPSS Inc.) berechnet.
F. Histologie
Die Verifikation der richtigen Position der Ableitorte im NOT und der IO-Reizelektroden
war bei den albinotischen Frettchen von besonderer Wichtigkeit, da die NOT-Zellen nur
Material und Methoden 36
anhand ihrer antidromen Reizbarkeit von der IO eindeutig identifiziert werden konnten. Das
Auffinden der NOT-Ableitorte wurde bei einigen albinotischen und pigmentierten Frettchen
durch elektrolytische Läsionen erleichtert, die am letzten NOT-Ableitort durch Applikation
eines Stroms von ±10 µA für die Dauer von jeweils 10 s gesetzt wurden. Die Position der
IO- und VC-Reizelektroden wurde durch ihre dicken Einstichspuren dokumentiert. Die
Position der vom NOT antidrom identifizierten VC-Zellen wurde ebenfalls mit
elektrolytischen Läsionen markiert. In diesem Falle sollte beim Frettchen überprüft werden,
ob sich die gereizten VC-Zellen wie bei der Katze (Schoppmann, 1981) in der kortikalen
Lamina V befinden.
Am Ende der Experimente wurde das Versuchstier eingeschläfert und durch den linken
Herzventrikel mit 1 Liter 0,9%-iger NaCl-Lösung gefolgt von 1,5 Liter 4%-igem Paraform-
aldehyd in 0,1 M Phosphatpuffer (pH 7,4) und Succrose (57,6 g pro Liter Fixierlösung)
perfundiert. Nach erneuter Einspannung des Kopfes in die Stereotaxie, Öffnung des Schädels
und Entfernung der Dura mater wurde das Hirn stereotaktisch geblockt und über Nacht in
derselben Fixierlösung nachfixiert. In den folgenden Tagen wurde es zur Entwässerung für
mindestens 12 Stunden jeweils in einer 10, 20 und 30%-igen Succrose-Lösung bis zum
Absinken aufbewahrt und dann in kaltem Alkohol (Isopentan, –70° C) schockgefroren.
Anschließend wurden mit einem Gefriermikrotom (Microm HM 500 OM) 50 µm dicke
Hirnschnitte angefertigt, auf gelatinierte Objektgläser aufgezogen und für einige Tage in
einem Trockenschrank aufbewahrt. Nachdem die Schnitte trocken genug waren, wurden sie
Klüver-Barrera- und / oder Nissl-gefärbt, in Depex eingedeckelt und unter dem
Lichtmikroskop (Zeiss Axiolab) untersucht.
Folgende Serien von Hirnschnitten wurden angefertigt: a) Frontalschnitte vom Mittelhirn
und dem darüberliegenden Kortex zur Dokumentation der Ableit- und Reizorte im Prätektum
und b) Frontalschnitte vom Occipitalkortex zur Dokumentation der Position der VC-Reiz-
elektroden oder der Ableitorte, an denen zuvor VC-Neuronen vom NOT antidrom gereizt
wurden. c) Von drei Frettchen aus IO-Reizexperimenten wurden auch Sagittalschnitte vom
Hirnstamm zur Dokumentation der Position der IO-Reizelektroden angefertigt. In diesen drei
Fällen wurden die Hirnstämme ungefroren auf eine Metallplatte geklebt und mit einem
Vibratom (Micro-Cut H1200, Bio-Rad) in 100 µm dicke Scheiben geschnitten.
Die Perfusion wurde frühestens 30 Minuten nach der letzten elektrolytischen Läsion
gestartet, damit genügend Zeit für die Bildung einer erkennbaren Gliosis verstreichen
konnte, die das Wiederfinden der Läsionen ermöglichte.
Ergebnisse 37
Ergebnisse
I. Teil I: Verhalten
Als erstes werden die Ergebnisse aus den hOKN-Tests vorgestellt, die vor den Muscimol-
Anwendungen durchgeführt wurden. Beginnend mit der Häufigkeitsverteilung der
Steigungsmediane aus den Kontrollaufnahmen (spontane Augenbewegungen) in
Abbildung 6 folgen die Häufigkeitsverteilungen aus den hOKN-Tests, die unter den
verschiedenen Parametern durchgeführt wurden. Da ursprünglich bei Albinofrettchen ein
asymmetrischerer monokularer hOKN als bei pigmentierten Frettchen postuliert wurde,
erfolgten zuerst die monokularen Reizungen. Deshalb werden zuerst die Ergebnisse der
monokularen Reizungen im einzelnen beschrieben.
Anschließend folgen die Ergebnisse aus der Inaktivierungsstudie (Muscimol-Experimente)
und dem Perimetrietest.
A. Spontane Augenbewegungen (vor Muscimol-Injektion)
Die Registrierung der spontanen Augenbewegungen diente als Kontrolle. Alle EOG-Spuren
der spontanen Augenbewegungen haben eine glatte Form, wenn man von den gelegentlichen
Sakkaden und Kopfbewegungen absieht, die in diesem Zusammenhang nicht von Interesse
sind und deshalb herausgeschnitten wurden. Einige EOG-Spuren verlaufen genau horizontal,
d.h. sie besitzen einen Steigungsmedian von Null. Die meisten EOG-Spuren haben
abschnittsweise Steigungen, die von Null etwas abweichen. Da sie aber während einer
Aufnahmeperiode ihr Vorzeichen zufällig ändern, werden im Durchschnitt gleichlange
Abschnitte mit einer konstanten positiven und einer konstanten negativen Steigung
aufgezeichnet. Dieser zufällige Vorzeichenwechsel führt dazu, daß die Steigungsmediane der
Spuren Null sind oder zumindest sehr nahe um den Wert Null liegen. Eine konstante
Steigung der EOG-Spur bzw. eines Spurabschnitts ist als konstante Augendrift (oder Drift
des EOG-Signals) in horizontaler Richtung zu verstehen.
In Abbildung 6 sind die Häufigkeitsverteilungen der Steigungsmediane der EOG-Spuren der
untersuchten Tiere gezeigt, die unter den verschiedenen Bedingungen der Kontrollmessun-
Ergebnisse 38
gen registriert wurden. In der linken Spalte befinden sich die Ergebnisse der Aufnahmen in
Helligkeit, d.h. die Tiere befanden sich in der stehenden, beleuchteten Trommel und konnten
auf das stationäre Zufallspunktemuster blicken. In der rechten Spalte befinden sich die
entsprechenden Ergebnisse der EOG-Aufnahmen, die in völliger Dunkelheit durchgeführt
wurden. Die oberen vier Zeilen der Abbildung 6 zeigen die Befunde der Albinofrettchen, die
unter den vier Bedingungen („binokular“, „nur rechtes sehend“ und „nur linkes Auge
sehend“ jeweils mit dem feinen Reizmuster und „binokular mit dem groben Reizmuster“)
getestet wurden. In der letzten Zeile der Abbildung 6 befindet sich das Ergebnis der
pigmentierten Tiere, die in Helligkeit nur binokular mit dem feinen Muster gemessen
wurden.
Im Falle der völligen Dunkelheit (rechte Spalte) ist es unerheblich, ob die Aufnahmen
binokular oder monokular durchgeführt wurden. Trotzdem sind auch monokulare
Aufnahmen registriert worden, um einen eventuellen Einfluß der Augenkappe auf die
Okulomotorik aufzudecken.
Die einzelnen Häufigkeitsverteilungen in Abbildung 6 zeigen in allen Fällen, daß sich die
Steigungsmediane der allermeisten Tiere zwischen –0,25 und +0,25 befinden. Der Median
dieser Steigungsmediane ist erwartungsgemäß in jeder Häufigkeitsverteilung Null. Folglich
zeigen die verteilungsfreien Tests (WILCOXON SIGNED RANK TEST und MANN-WHITNEY
RANK SUM TEST) keinen signifikanten Unterschied zwischen jeweils zwei beliebigen
Verteilungen der Abbildung 6 (in allen Fällen P > 0,05).
Vergleicht man jedoch die Steigungsmediane aus den verschiedenen Häufigkeitsverteilungen
hinsichtlich ihrer Varianzen, so stellt man bei den Albinos eine größere Varianz fest als bei
den pigmentierten Tieren. Entsprechend ergibt der LEVENE S HOMOGENEITY OF VARIANCE
TEST einen hoch signifikanten Unterschied (P < 0,0001). Dies gilt sowohl für die Aufnahmen
in Helligkeit (Vergleich der Häufigkeitsverteilungen oben-links und unten-links in Abb. 6),
als auch für die Aufnahmen in Dunkelheit (Häufigkeitsverteilungen oben-rechts und unten-
rechts in Abb. 6).
Die größere Varianz der Albinos zeigt, daß die Steigungsmediane ihrer EOG-Spuren dem
Betrag nach größere Schwankungen aufweisen. Dies bedeutet, daß ihre Augen betragsmäßig
mit signifikant größeren Geschwindigkeiten in horizontaler Richtung abdriften als die Augen
der pigmentierten Frettchen. Damit wird bei den Albinofrettchen eine okulomotorische
Instabilität dokumentiert.
Ergebnisse 39
bei Helligkeit
-6 -5 -4 -3 -2 -1 0 1 2 3 4 5 6
0
4
8
12
16
20
24
bei Dunkelheit
-6 -5 -4 -3 -2 -1 0 1 2 3 4 5 6
0
4
8
12
16
20
24
-6 -5 -4 -3 -2 -1 0 1 2 3 4 5 6
0
4
8
12
16
20
24
-6 -5 -4 -3 -2 -1 0 1 2 3 4 5 6
0
4
8
12
16
20
24
-6 -5 -4 -3 -2 -1 0 1 2 3 4 5 6
0
4
8
12
16
20
24
-6 -5 -4 -3 -2 -1 0 1 2 3 4 5 6
0
4
8
12
16
20
24
-6 -5 -4 -3 -2 -1 0 1 2 3 4 5 6
0
4
8
12
16
20
24
-6 -5 -4 -3 -2 -1 0 1 2 3 4 5 6
0
4
8
12
16
20
24
Steigungsmedian [ mV / s ]
-6 -5 -4 -3 -2 -1 0 1 2 3 4 5 6
0
4
8
12
16
20
24
Steigungsmedian [ mV / s ]
-6 -5 -4 -3 -2 -1 0 1 2 3 4 5 6
0
4
8
12
16
20
24
alb
alb
alb
alb
pigm
N
N
N
N
N
N
N
N
N
N
Abb. 6: Häufigkeitsverteilung der Steigungsmediane von EOG-Spuren albinotischer und pigmentierter Frettchen, die in völliger Dunkelheit (rechte Spalte) oder in Helligkeit bei stehender Trommel (linke Spalte) registriert wurden (Messung spontaner Augenbewegungen). In allen Fällen sind die Steigungsmediane um Null verteilt und unterschei-den sich hinsichtlich ihrer Mediane nicht signifikant voneinander. Die Werte der Albinofrettchen variieren jedoch signifikant stärker als die Werte der pigmentierten Tiere. Dieser Befund zeigt die okulo-motorische Instabilität der Albinofrettchen an. Die nebenstehende Legende erläutert die Symbole. N = Anzahl der Medianwerte (entspricht der Anzahl der Tiere).
Feines Reizmuster: Alle EOG-Spuren der Albinofrettchen aus den monokularen Reizungen
mit dem feinen Reizmuster weisen überraschenderweise eine glatte Form und einen nahezu
waagerechten Verlauf auf. Hinsichtlich Form und Verlauf unterscheiden sie sich nicht von
den EOG-Spuren der spontanen Augenbewegungen.
Die Häufigkeitsverteilungen der Steigungsmediane der EOG-Spuren aus diesen monokularen
hOKN-Tests der Albinofrettchen sind in Abbildung 7 (linkes Auge sehend, rechtes verdeckt)
und Abbildung 8 (rechtes Auge sehend, linkes verdeckt) gezeigt. Innerhalb einer Abbildung
zeigen die Graphiken in der linken Spalte das Ergebnis der cw-Reizung und die Graphiken in
der rechten Spalte das Ergebnis der ccw-Reizung (jeweils für die Reizgeschwindigkeiten 5,
10, 20, 50 und 100°/s). Die temporonasale (nasotemporale) Reizung ist für das linke Auge
die cw-Reizung (ccw-Reizung) und für das rechte Auge die ccw-Reizung (cw-Reizung).
Folglich entspricht die Stimulation in der linken Spalte der Abbildung 7 der Stimulation in
der rechten Spalte der Abbildung 8 und vice versa.
Wie Form und Verlauf der EOG-Spuren erwarten lassen, sind ihre Steigungmediane in allen
Fällen Null oder nah um Null verteilt. Für jede Häufigkeitsverteilung in Abbildung 7 und 8
gilt, daß sie sich weder von dem Spontanverhalten unter monokularer Bedingung (vgl. Abb.
6), noch von Null signifikant unterscheidet (WILCOXON SIGNED RANK TEST, in allen Fällen
P > 0,05).
Auch der Vergleich von jeweils zwei nebeneinander liegenden Graphiken in Abbildung 7
oder Abbildung 8 ergibt keinen signifikanten Unterschied (WILCOXON SIGNED RANK TEST,
in allen Fällen P > 0,05). Dies bedeutet, daß es keinen Unterschied zwischen der
monokularen cw- und ccw-Reizung des sehenden Auges gibt.
Damit kann festgehalten werden, daß die erwartete Asymmetrie des hOKN bei monokularer
Reizung mit dem feinen Muster ausbleibt. Nachdem die Funktion der EOG-Meßanordnung
nochmals gründlich überprüft und als funktionstüchtig befunden wurde, zwang sich die
Schlußfolgerung auf, daß die Albinofrettchen unter den getesteten Bedingungen nicht in der
Lage waren, einen monokular ausgelösten hOKN zu generieren.
Ergebnisse 41
100°/s cw
-6 -5 -4 -3 -2 -1 0 1 2 3 4 5 6
0
4
8
12
16
20
24100°/s ccw
-6 -5 -4 -3 -2 -1 0 1 2 3 4 5 6
0
4
8
12
16
20
24
50°/s cw
-6 -5 -4 -3 -2 -1 0 1 2 3 4 5 60
4
8
12
16
20
24
20°/s cw
-6 -5 -4 -3 -2 -1 0 1 2 3 4 5 60
4
8
12
16
20
24
10°/s cw
-6 -5 -4 -3 -2 -1 0 1 2 3 4 5 6
0
4
8
12
16
20
24
5°/s cw
Steigungsmedian [ mV / s ]
-6 -5 -4 -3 -2 -1 0 1 2 3 4 5 60
4
8
12
16
20
24
50°/s ccw
-6 -5 -4 -3 -2 -1 0 1 2 3 4 5 60
4
8
12
16
20
24
20°/s ccw
-6 -5 -4 -3 -2 -1 0 1 2 3 4 5 60
4
8
12
16
20
24
10°/s ccw
-6 -5 -4 -3 -2 -1 0 1 2 3 4 5 6
0
4
8
12
16
20
24
5°/s ccw
Steigungsmedian [ mV / s ]
-6 -5 -4 -3 -2 -1 0 1 2 3 4 5 60
4
8
12
16
20
24
N
N
N
N
N
N
N
N
N
N
Abb. 7: Häufigkeitsverteilung der Steigungsmediane der EOG-Spuren der Albinofrettchen, die während monokularer (nur linkes Auge sehend) optokinetischer Ganzfeldreizung registriert wurden. Die Reizung erfolgte mit dem feinen Reizmuster und mit den Reizgeschwindigkeiten 100, 50, 20, 10 und 5°/s. Linke Spalte: Reizung in cw-Richtung, rechte Spalte: Reizung in ccw-Richtung. In allen Fällen unterscheiden sich die Steigungsmediane aus den einzelnen Häufigkeitsverteilungen nicht signifikant von Null oder von den Steigungsmedianen der einzelnen Häufigkeitsverteilungen in Abbildung 6 (Spontane Augenbewegungen derselben Tiere). Es existiert auch kein signifikanter Unterschied zwischen der cw- und ccw-Reizung. Weitere Erläuterungen im Text. Zur Bedeutung der Symbole siehe Legende in Abbildung 6. N = Anzahl der Steigungsmediane (entspricht der Anzahl der getesteten Tiere).
Ergebnisse 42
100°/s cw
-6 -5 -4 -3 -2 -1 0 1 2 3 4 5 6
0
4
8
12
16
20
24100°/s ccw
-6 -5 -4 -3 -2 -1 0 1 2 3 4 5 6
0
4
8
12
16
20
24
50°/s cw
-6 -5 -4 -3 -2 -1 0 1 2 3 4 5 6
0
4
8
12
16
20
24
20°/s cw
-6 -5 -4 -3 -2 -1 0 1 2 3 4 5 6
0
4
8
12
16
20
24
10°/s cw
-6 -5 -4 -3 -2 -1 0 1 2 3 4 5 6
0
4
8
12
16
20
24
5°/s cw
Steigungsmedian [ mV / s ]
-6 -5 -4 -3 -2 -1 0 1 2 3 4 5 6
0
4
8
12
16
20
24
50°/s ccw
-6 -5 -4 -3 -2 -1 0 1 2 3 4 5 6
0
4
8
12
16
20
24
20°/s ccw
-6 -5 -4 -3 -2 -1 0 1 2 3 4 5 6
0
4
8
12
16
20
24
10°/s ccw
-6 -5 -4 -3 -2 -1 0 1 2 3 4 5 6
0
4
8
12
16
20
24
5°/s ccw
Steigungsmedian [ mV / s ]
-6 -5 -4 -3 -2 -1 0 1 2 3 4 5 6
0
4
8
12
16
20
24
N
N
N
N
N
N
N
N
N
N
Abb. 8: Häufigkeitsverteilung der Steigungsmediane der EOG-Spuren der Albinofrettchen, die während monokularer (nur rechtes Auge sehend) optokinetischer Ganzfeldreizung mit dem feinen Reizmuster registriert wurden. Das Ergebnis unterscheidet sich nicht signifikant vom dem Ergebnis in Abbildung 7, weshalb für beide Abbildungen dieselbe Kommentierung gilt. Weitere Erläuterungen im Text. Zur Bedeutung der Symbole siehe Legende in Abbildung 6.
Ergebnisse 43
b) Binokulare Ganzfeldreizung
Feines Reizmuster: Der Befund aus den monokularen Messungen führte notwendigerweise
zu der Frage, ob die Albinofrettchen auch unter binokularer Ganzfeldreizung einen hOKN-
Ausfall zeigen würden. Deshalb wurden mit denselben Albinofrettechen und demselben
feinen Reizmuster auch binokulare Messungen durchgeführt.
Wie die EOG-Spuren aus der monokularen Reizung, weisen auch alle EOG-Spuren aus der
binokularen Reizung mit dem feinen Reizmuster eine glatte Form und einen nahezu
waagerechten Verlauf auf. Hinsichtlich Form und Verlauf unterscheiden sie sich nicht von
den EOG-Spuren der spontanen Augenbewegungen.
Das Ergebnis dieser Messungen ist in Abbildung 9 präsentiert und zeigt, daß auch bei
binokularer Reizung mit dem feinen Zufallspunktemuster die EOG-Spuren der
Albinofrettchen Steigungsmediane liefern, die alle um den Wert Null liegen. Dies gilt für
alle getesteten Reizgeschwindigkeiten (100, 50, 20, 10 und 5°/s) und Reizrichtungen (cw und
ccw). Alle Steigungsmediane befinden sich im Bereich –0,5 bis +0,5, wobei aber die
allermeisten Werte zwischen –0,25 und +0,25 liegen und damit nah bei Null. Der Median der
Steigungsmediane in der jeder Häufigkeitsverteilung ist Null (vgl. auch Abb. 11A weiter
unten). Vergleicht man die beiden Reizrichtungen miteinander (linke und rechte Spalte der
Abb. 9), so findet man aufgrund der Binokularität erwartungsgemäß keinen Unterschied
(WILCOXON SIGNED RANK TEST, in allen Fällen P > 0,05).
Vergleicht man die Steigungsmediane der Teilabbildungen aus Abb. 9 mit den Steigungs-
medianen aus den binokularen Kontrollmessungen bei Licht oder bei Dunkelheit (Abb. 6), so
findet man ebenfalls keinen signifikanten Unterschied (WILCOXON SIGNED RANK TEST, in
allen Fällen P > 0,05). Das bedeutet, daß sich die EOG-Spuren der binokularen Ganzfeld-
reizung mit dem feinen Reizmuster nicht signifikant von den EOG-Spuren unterscheiden, die
bei stehender Trommel oder in völliger Dunkelheit binokular aufgezeichnet wurden. Auch
unterscheiden sich die einzelnen Häufigkeitsverteilungen nicht signifikant von Null (in allen
Fällen P > 0,05). Deshalb kann festgehalten werden, daß die Albinofrettchen auch bei bino-
kularer optokinetischer Reizung mit dem feinen Reizmuster einen hOKN-Ausfall zeigen.
Nach diesem Befund wurde der Entschluß gefaßt, die binokulare Ganzfeldreizung auch mit
dem groben Zufallspunktemuster durchzuführen, bei sonst konstanten Bedingungen.
Ergebnisse 44
100°/s cw
-6 -5 -4 -3 -2 -1 0 1 2 3 4 5 6
0
4
8
12
16
20
24100°/s ccw
-6 -5 -4 -3 -2 -1 0 1 2 3 4 5 6
0
4
8
12
16
20
24
50°/s cw
-6 -5 -4 -3 -2 -1 0 1 2 3 4 5 6
0
4
8
12
16
20
24
20°/s cw
-6 -5 -4 -3 -2 -1 0 1 2 3 4 5 6
0
4
8
12
16
20
24
10°/s cw
-6 -5 -4 -3 -2 -1 0 1 2 3 4 5 6
0
4
8
12
16
20
24
5°/s cw
Steigungsmedian [ mV / s ]
-6 -5 -4 -3 -2 -1 0 1 2 3 4 5 6
0
4
8
12
16
20
24
50°/s ccw
-6 -5 -4 -3 -2 -1 0 1 2 3 4 5 6
0
4
8
12
16
20
24
20°/s ccw
-6 -5 -4 -3 -2 -1 0 1 2 3 4 5 6
0
4
8
12
16
20
24
10°/s ccw
-6 -5 -4 -3 -2 -1 0 1 2 3 4 5 6
0
4
8
12
16
20
24
5°/s ccw
Steigungsmedian [ mV / s ]
-6 -5 -4 -3 -2 -1 0 1 2 3 4 5 6
0
4
8
12
16
20
24
N
N
N
N
N
N
N
N
N
N
Abb. 9: Häufigkeitsverteilung der Steigungsmediane von EOG-Spuren der Albinofrettchen, die während binokularer optokinetischer Ganzfeldreizung registriert wurden. Die Reizung erfolgte mit dem feinen Reizmuster und den Reizgeschwindig-keiten 100, 50, 20, 10 und 5°/s. Linke Spalte: Reizung in cw-Richtung, rechte Spalte: Reizung in ccw-Richtung. Unter allen Reizbedingungen sind die Werte um Null verteilt. In keinem Fall findet man einen signifikanten Unterschied zu den spontanen Augenbewegungen (vgl. Abb. 6). Weitere Erläuterungen im Text. Zur Bedeutung der Symbole siehe Legende in Abbildung 6. N = Anzahl der Steigungsmediane (entspricht der Anzahl der unter der jeweiligen Reizbedingung getesteten Tiere).
Ergebnisse 45
Grobes Reizmuster: Die EOG-Spuren der Albinofrettchen aus den binokularen Reizungen
mit dem groben Reizmuster unterscheiden sich hinsichtlich ihrer glatten Form weder von den
Spuren aus den binokularen Reizungen mit dem feinen Reizmuster, noch von den Spuren der
spontanen Augenbewegungen. Hinsichtlich ihrer Seigung findet man jedoch zum Teil einen
signifikanten Unterschied zu den Spuren aus der Reizung mit dem feinen Muster. Die EOG-
Spuren aus der Reizung mit dem groben Muster haben größere Steigungsmediane, d.h. die
Reizung mit dem groben Muster hat eine höhere Augengeschwindigkeit ausgelöst. Dieser
Befund wird im weiteren bei der Erläuterung der Abbildung 10 und Abbildung 11
eingehender beschrieben.
In Abbildung 10 werden die Häufigkeitsverteilungen der Steigungsmediane aus den hOKN-
Tests mit dem groben Muster für die verschiedenen Reizgeschwindigkeiten und
Reizrichtungen dargestellt. Mit Ausnahme der Steigungsmediane aus der ccw-Reizung mit
100°/s (Median = –0,05), haben die Steigungsmediane in allen anderen Verteilungen in
Abbildung 10 einen Median von Null. Infolge dessen detektiert der WILCOXON SIGNED
RANK TEST nur bei der ccw-Reizung mit 100°/s einen signifikanten Unterschied zwischen
den Steigungsmedianen aus der Reizung mit dem groben (Abb. 10) und denen aus der
Reizung mit dem feinen (Abb. 9) Reizmuster (P = 0,027). Bei allen anderen
Reizgeschwindigkeiten und Reizrichtungen wird kein signifikanter Unterschied entdeckt (in
allen Fällen P > 0,05).
Es ist jedoch auffällig, daß die Steigungsmediane bei Reizung mit dem groben Muster
(Abb. 10) stärker um Null streuen als bei Reizung mit dem feinen Muster (Abb. 9). Dies
resultiert aus dem oben erwähnten Befund, daß die EOG-Spuren zu größeren
Steigungsmedianen tendieren, wenn die Albinofrettchen mit dem groben Reizmuster gereizt
werden. Außerdem fällt bei Reizung mit dem groben Muster (Abb. 10) auf, daß die
Steigungsmediane — im Gegensatz zu den Steigungsmedianen aus der Reizung mit dem
feinen Muster (Abb. 9) — bei cw-Reizung zu positiven und bei ccw-Reizung zu negativen
Werten tendieren. Der statistische Vergleich (WILCOXON SIGNED RANK TEST) zwischen den
beiden Reizrichtungen (linke und rechte Spalte in Abb. 10) ergibt einen signifikanten
Unterschied bei den Reizgeschwindigkeiten 10, 20 und 100°/s (in allen drei Fällen P < 0,05).
Bei 5 und 50°/s existiert kein signifikanter Unterschied (P = 0,249 und 0,082).
Ergebnisse 46
100°/s cw
-6 -5 -4 -3 -2 -1 0 1 2 3 4 5 6
0
4
8
12
16
20
24100°/s ccw
-6 -5 -4 -3 -2 -1 0 1 2 3 4 5 6
0
4
8
12
16
20
24
50°/s cw
-6 -5 -4 -3 -2 -1 0 1 2 3 4 5 60
4
8
12
16
20
24
20°/s cw
-6 -5 -4 -3 -2 -1 0 1 2 3 4 5 6
0
4
8
12
16
20
24
10°/s cw
-6 -5 -4 -3 -2 -1 0 1 2 3 4 5 6
0
4
8
12
16
20
24
5°/s cw
Steigungsmedian [ mV / s ]
-6 -5 -4 -3 -2 -1 0 1 2 3 4 5 6
0
4
8
12
16
20
24
50°/s ccw
-6 -5 -4 -3 -2 -1 0 1 2 3 4 5 6
0
4
8
12
16
20
24
20°/s ccw
-6 -5 -4 -3 -2 -1 0 1 2 3 4 5 6
0
4
8
12
16
20
24
10°/s ccw
-6 -5 -4 -3 -2 -1 0 1 2 3 4 5 6
0
4
8
12
16
20
24
5°/s ccw
Steigungsmedian [ mV / s ]
-6 -5 -4 -3 -2 -1 0 1 2 3 4 5 6
0
4
8
12
16
20
24
N
N
N
N
N
N
N
N
N
N
Abb. 10: Häufigkeitsverteilung der Steigungsmediane von EOG-Spuren der Albino-frettchen, die während binokularer optokinetischer Ganzfeldreizung registriert wurden. Die Reizung erfolgte in diesem Falle mit dem groben Reizmuster. Unter allen Reiz-bedingungen sind die Steigungsmediane um Null verteilt. Die Steigungsmediane der Häufigkeitsverteilung oben rechts (ccw-Reizung mit 100°/s) unterscheiden sich signifikant von den Steigungsmedianen der entsprechenden Häufigkeitsverteilung in Abbildung 9. In allen anderen Fällen findet man keinen signifikanten Unterschied. Weitere Erläuterungen im Text. Zur Bedeutung der Symbole siehe Legende in Abbildung 6. N = Anzahl der Steigungsmediane (entspricht der Anzahl der unter der jeweiligen Bedingung getesteten Tiere).
Ergebnisse 47
In Abbildung 11 werden der Median, das 10%-, 25%-, 75%- und 90%-Perzentil der
Steigungsmediane aus den binokularen Reizungen mit dem feinen (Abb. 11A, entspricht der
Abb. 9) und groben (Abb. 11B, entspricht der Abb. 10) Reizmuster für jede
Reizgeschwindigkeit und Reizrichtung dargestellt. Der Vergleich zwischen Abbildung 11A
und 11B zeigt und fasst die Befunde besonders deutlich zusammen:
• Die Steigungsmediane in fast allen Häufigkeitsverteilungen in den beiden Abbildungen 9
und 10 haben einen Median von Null. Folglich unterscheiden sich die entsprechenden
Reizungen nicht hinsichtlich ihrer Steigungsmediane (mit Ausnahme der beiden ccw-
Reizungen mit 100°/s).
• Die Mediane der Steigungsmediane streuen mehr bei Reizung mit dem groben Muster.
• Die Mediane der Steigungsmediane tendieren zu positiven Werten bei cw- und zu
negativen Werten bei ccw-Reizung mit dem groben Muster. Diese Tendenz ist bei 10, 20
und 100°/s signifikant und belegt, daß die Albinofrettchen eine sehr schwache Reaktion
auf das grobe Muster zeigen: Die rein zufällige Richtungsänderung der horizontalen
Augendrift, die zuvor bei stehendem Reizmuster (spontane Augenbewegungen)
festgestellt wurde, erfolgt bei Reizung mit dem groben Muster in Abhängigkeit von der
Reizrichtung. Die Augen der Albinos tendieren bei Reizung mit dem groben Muster
dazu, in Reizrichtung abzudriften.
2. Optokinetische Reizung der pigmentierten Frettchen
a) Monokulare Ganzfeldreizung
Zur Erprobung der Methode wurden einige wenige pigmentierte Frettchen mit beiden
Reizmustern monokular getestet. Erwartungsgemäß konnte der monokulare hOKN ausgelöst
werden (vgl. Hein et al., 1990).
b) Binokulare Ganzfeldreizung
Feines Reizmuster: Abbildung 12 zeigt für die Gruppe der pigmentierten Tiere das Ergebnis
aus den binokularen Ganzfeldreizungen mit dem feinen Muster und den verschiedenen Reiz-
geschwindigkeiten. Die EOG-Spuren der pigmentierten Tiere waren Sägezahn-förmig.
Folglich ergaben sich in allen Fällen erwartungsgemäß Steigungsmediane, die je nach
hOKN-Richtung (bzw. Reizrichtung) wesentlich von Null abwichen.
Ergebnisse 48
Die Steigungsmediane in jeder Häufigkeitsverteilung in Abbildung 12 unterscheiden sich
statistisch signifikant sowohl von dem Wert Null als auch von den Steigungsmedianen der
Albinofrettchen aus binokularen Reizungen (Abb. 9 und 10) und auch von den
Steigungsmedianen aus den Messungen der spontanen Augenbewegungen der pigmentierten
Frettchen (vgl. letzte Zeile in Abb. 6; MANN-WHITNEY RANK SUM TEST, in allen Fällen P <
0,05). Vergleicht man die übereinanderstehenden Graphiken innerhalb der linken oder der
rechten Spalte, so fällt auf, daß die Steigungsmediane mit fallender Reizgeschwindigkeit zu
kleineren Beträgen tendieren. Dies zeigt eine Abhängigkeit der Augengeschwindigkeit von
der Reizgeschwindigkeit, die in Abbildung 13 deutlicher dargestellt wird. Die verschiedenen
Abb. 11: Mediane, 10%-, 25%-, 75%- und 90%-Perzentile der Steigungsmediane der Albinofrettchen aus den binokularen Reizungen. Die Häufigkeitsverteilungen dieser Steigungsmediane sind in den Abbildungen 6, 9 und 10 gezeigt. A: Reizung mit dem feinen Muster (entspricht der Abb. 9). B: Reizung mit dem groben Muster (entspricht der Abb. 10). Zusätzlich sind die entsprechenden Werte für die Spontanrate (Abb. 6) bei Licht (L) und bei Dunkelheit (D) angegeben. Mit Ausnahme eines Medians von –0,05 (grobes Reizmuster, 100ccw) sind alle anderen Mediane Null. Die Reizung mit dem groben Reizmuster führte zu einer größeren Streuung der Steigungsmediane (größere 10, 25, 75 und 90%-Perzentile) als die Reizung mit dem feinen Muster. Ein waagerechter Balken unter einer cw- und ccw-Reizung zeigt einen signifikanten Unterschied zwischen den Steigungsmedianen der beiden Reizungen an (WILCOXON SIGNED RANK TEST, P > 0,05). Die nebenstehende Legende erläutert die Position des Medians und der verschiedenen Perzentile.
Reizgeschwindigkeiten sind auf der x-Achse aufgetragen. Die y-Achse zeigt den Median,
das 10%-, 25%-, 75%- und 90%-Perzentil der Steigungsmediane von allen pigmentierten
Tieren für die cw- und ccw-Reizrichtung an.
Aus diesen Befunden lassen sich folgende Schlußfolgerungen ziehen: 1. Die Methode zur
Messung der Augenbewegungen ist in der Lage beim pigmentierten Frettchen einen hOKN
zu detektieren. 2. Die Methode ist auch in der Lage zwischen unterschiedlichen
Antwortstärken (d.h. Geschwindigkeiten der langsamen hOKN-Phasen) zu unterscheiden,
was durch die Geschwindigkeitsabhängigkeit der Steigungsmediane gezeigt ist.
Grobes Reizmuster: Mit dem groben Reizmuster wurden probeweise nur einige wenige
pigmentierte Frettchen getestet. Die Reizwirkung des groben Musters hatte sich nicht von
der des feinen Reizmusters unterschieden, so daß diese Messungen nicht weiter fortgesetzt
wurden und hier nicht dargestellt werden.
C. Inaktivierungsstudie und histologische Auswertung
1. hOKN-Test nach Muscimol-Injektion
Vor den Muscimol-Injektionen zeigten weder die pigmentierten noch die albinotischen
Frettchen einen Spontannystagmus (vgl. Abb. 6), wenngleich bei den albinotischen Frettchen
im Gegensatz zu den pigmentierten Frettchen eine okulomotorische Instabilität gefunden
wurde. Nach den Muscimol-Injektionen wurde bei zwei der drei albinotischen und bei dem
einen pigmentierten Frettchen ein Spontannystagmus beobachtet. In allen Fällen war der
Spontannystagmus schon bei der ersten registrierten EOG-Spur auffällig, die frühestens ca.
zwei Minuten aber spätestens ca. vier Minuten nach der Muscimol-Injektion aufgenommen
wurde. Der Spontannystagmus hatte eine langsame Phase in Richtung auf die nicht-injizierte
Seite, trat sowohl in Dunkelheit als auch bei Helligkeit auf und konnte durch mono- oder
binokulare Ganzfeldreizung in der optokinetischen Trommel nicht sichtbar beeinflußt
werden. Er dauerte mindestens zwei Stunden, war aber am nächsten Tag immer vollständig
verschwunden. Nach dreimaliger Anwendung von Muscimol, meistens an aufeinander-
folgenden Tagen, wurden die Tiere eingeschläfert und perfundiert. Ihre Gehirne wurden
gefärbt und histologisch untersucht. Bei dem dritten albinotischen Tier hatte die Muscimol-
Injektion keinen Effekt auf die okulomotorische Stabilität. Die anschließende histologische
Untersuchung der Schnitte liefert eine mögliche Erklärung dieses Befundes (siehe unten).
Ergebnisse 50
100°/s cw
-6 -5 -4 -3 -2 -1 0 1 2 3 4 5 6
0
4
8
12
16
20
24100°/s ccw
-6 -5 -4 -3 -2 -1 0 1 2 3 4 5 6
0
4
8
12
16
20
24
50°/s cw
-6 -5 -4 -3 -2 -1 0 1 2 3 4 5 6
0
4
8
12
16
20
24
20°/s cw
-6 -5 -4 -3 -2 -1 0 1 2 3 4 5 60
4
8
12
16
20
24
10°/s cw
-6 -5 -4 -3 -2 -1 0 1 2 3 4 5 6
0
4
8
12
16
20
24
5°/s cw
Steigungsmedian [ mV / s ]
-6 -5 -4 -3 -2 -1 0 1 2 3 4 5 6
0
4
8
12
16
20
24
50°/s ccw
-6 -5 -4 -3 -2 -1 0 1 2 3 4 5 6
0
4
8
12
16
20
24
20°/s ccw
-6 -5 -4 -3 -2 -1 0 1 2 3 4 5 60
4
8
12
16
20
24
10°/s ccw
-6 -5 -4 -3 -2 -1 0 1 2 3 4 5 60
4
8
1216
20
24
5°/s ccw
Steigungsmedian [ mV / s ]
-6 -5 -4 -3 -2 -1 0 1 2 3 4 5 6
0
4
8
12
16
20
24
N
N
N
N
N
N
N
N
N
N
Abb. 12: Häufigkeitsverteilung der Steigungsmediane von EOG-Spuren pigmentierter Frettchen, die während binokularer optokinetischer Ganzfeldreizung mit dem feinen Reizmuster registriert wurden. Unter allen Reizbedingungen sind die Steigungsmediane nicht um Null verteilt, sondern signifikant größer (bei cw-Reizung) oder signifikant kleiner (bei ccw-Reizung) als Null. Sie unterscheiden sich ebenfalls signifikant von allen anderen Steigungsmedianen, die in den Abbildungen 6 bis 10 dargestellt sind. Außerdem ist eine Tendenz auffällig, nach der der Betrag der Steigungsmediane mit fallender Reizgeschwindigkeit kleiner wird. Zur Bedeutung der Symbole siehe Legende in Abbildung 6. N = Anzahl der Steigungsmediane (entspricht der Anzahl der unter der jeweiligen Bedingung getesteten Tiere).
Ergebnisse 51
In Abbildung 14 ist der Muscimol-Effekt exemplarisch für ein albinotisches (linke Spalte)
und für das pigmentierte Frettchen (rechte Spalte) dargestellt (Albinofrettchen #1 und
pigmentiertes Frettchen aus Tab. 2). Die einzelnen Teilabbildungen zeigen 5-s-lange
Ausschnitte der EOG-Spuren, die vor und nach der Applikation von Muscimol
aufgenommen wurden. Die binokulare optokinetische Reizung erfolgte in der beleuchteten
Trommel mit dem groben Reizmuster mit einer Reizgeschwindigkeit von 50°/s in
horizontaler cw- und ccw-Richtung. Die Aufnahmen in Dunkelheit erfolgten außerhalb der
Trommel in einem völlig abgedunkelten Raum. Beim Albinofrettchen wurde auf der linken
Seite injiziert, weshalb der Spontannystagmus eine langsame Folgephase nach rechts hat,
während beim pigmentierten Tier die rechte Seite injiziert wurde und der ausgelöste
Spontannystagmus eine langsame Phase nach links zeigt. Bei beiden Tieren wurde der
Spontannystagmus nicht durch die optokinetische Reizung beeinflusst. Einen Tag nach der
Muscimol-Injektion zeigten beide Tiere das gleiche Verhalten wie vor der Inaktivierung,
woraus abgeleitet werden kann, daß die Wirkung des Muscimols abgeklungen und keine
permanente Schädigung entstanden war. Die Farbstoff-Injektion beim Albinofrettchen zeigte
keinen Effekt (Kontrolle).
Abb. 13: Abhängigkeit der Augengeschwindigkeit von der Reizgeschwindigkeit bei den pigmentierten Frettchen während binokularer Ganzfeldreizung mit dem feinen Muster. Definitionsgemäß sind die Steigungsmediane positiv bei Reizung in cw-Richtung und negativ bei Reizung in ccw-Richtung. Entsprechend verhält sich das Vorzeichen ihres Medians. x-Achse: verschiedene Reizgeschwindigkeiten (5, 10, 20, 50, 20 und 100°/s) und Spontanrate bei Dunkelheit [(0°/s (D)] und Licht [(0°/s (D)]. y-Achse: EOG-Median, 10%-, 25%-, 75%- und 90%-Perzentil (vgl. Legende der Abb. 11).
: EOG-Aufnahme bei Helligkeit : EOG-Aufnahme bei Dunkelheit : Reizung in cw-Richtung : Reizung in ccw-Richtung
5 s 5 s
1 mV
vor Muscimol
vor Muscimol
nach Muscimolspontan
Licht
nach Muscimolspontan
Dunkelheit
nach Muscimol
nach Muscimol
nächster Tag
nächster Tag
nach Farbstoffspontan
Licht
nach Farbstoffspontan
Dunkelheit
nach FarbstoffLicht
nach Farbstoff
Licht
0,0
0,10
3,40
-5,00
-4,25
-3,15
4,25
3,80
4,90 -2,70
2,95
0,0
0,0 -4,05
5,60
-3,30
0,10
0,0
-0,10
-0,25
Abb. 14: EOG-Spuren aufgenommen vor und nach einseitiger Inaktivierung des NOT mit Muscimol. Die Zahl oben rechts in jeder Teilabbildung gibt den Steigungsmedian der abgebildeten EOG-Spur an.
Ergebnisse 53
2. Histologische Dokumentation der Injektionsorte
Die implantierten Injektionskanülen hinterließen im Kortex Einstichspuren, die auf den
Hirnschnitten mit bloßen Augen sichtbar waren. Bei den zwei albinotischen und dem einen
pigmentierten Frettchen, die infolge der Muscimol-Injektion einen Spontannystagmus
gezeigt hatten, wurde unter dem Lichtmikroskop sichtbar, daß die Spitzen der Injektions-
kanülen zwar in der Nähe des Prätektums plaziert gewesen waren, das Prätektum selbst aber
nicht berührt bzw. mechanisch zerstört hatten. Dieser Befund spricht für die Reversibilität
des Muscimol-Effekts.
Tabelle 2 listet die implantierten Tiere und das jeweilige Ergebnis der Muscimol- und der
Farb-Injektionen auf. Die Entfernung ∆x gibt in rostrocaudaler (anterior-posterior)
Richtung den Abstand zwischen dem Injektionsort (Spitze der Injektionskanüle) und dem
rostralen Rand des SC (bzw. rostralem Ende des NOT) an. Ein positives (negatives) ∆x
bedeutet, daß der Injektionsort rostral (caudal) des vorderen SC-Rands liegt (vgl. Abb. 5). In
mediolateraler Richtung kann die Entferung zwischen NOT und Injektionsort weniger
genau angegeben werden, da die laterale NOT-Grenze auf den Nissl- und/oder Klüver-
Barrera gefärbten Schnitten nicht erkennbar ist (vgl. Material und Methoden). Unter Zuhilfe-
nahme der Hirnschnitt-Abbildungen aus Zhang & Hoffmann, 1993 läßt sich jedoch
schlußfolgern, daß die Injektionsorte zwischen 0 und maximal 300 µm vom NOT entfernt
waren.
Tab. 2: Ergebnis der Inaktivierungsstudie. Die Muscimol-Injektionen haben bei den Albinos #1 und #2 und dem pigmentierten Frettchen einen Effekt (Spontannystagmus) gezeigt. Bei Albino #3 haben die Muscimol-Injektionen keinen Spontannystagmus ausgelöst. Keine der Farbstoff-Injektionen hat einen Effekt auf die Okulomotorik gehabt. Tier implantierte
Hirnseite Muscimol-
Effekt ∆x Farb-Injektion Effekt der Farb-
Injektion Albino #1 links ja +200 µm roter Marker nein
Albino #2 links ja +50 µm Granular Blue nein
Albino #3 links nein +600 µm roter Marker nein
Pigm. rechts ja –250 µm Granular Blue nein
Ergebnisse 54
Abb. 15: Position der implantierten Injektionskanüle. Es werden zwei schwarz-weiße Fotografien von Nissl-gefärbten frontalen Hirnschnitten eines Albinofrettchens gezeigt. A: Die Schnittebene verläuft durch das rostrale Ende des linken (l-SC) und rechten superioren Colliculus (r-SC). Auf der linken Seite sieht man die Zerstörung des Kortexgewebes, die durch die Kanüle verursacht wurde (umrandet durch die weiße, gestrichelte Linie). B: Mittelpunkt der Kanüle (ca. 450 µm weiter rostral als die Schnittebene in A). Die Zerstörung des Kortex ist auf dieser Schnittebene wesentlich größer und vollständiger. In dieser Schnittebene ist der SC und das NOT-Areal nicht mehr zu sehen. Abkürzungen: l-SC = linker SC, r-SC = rechter SC, HC = Hypocampus, CC = Corpus callosum, NOT = rostrales Ende des NOT-Areals, d = dorsal, v = ventral.
Foto-Nr. 3.15 22.07.1999.aF Schnitt-Nr. 2-26-2
Foto-Nr. 3.7 22.07.1998.aF Schnitt-Nr. 2-25-1
l-SC r-SC
A
B
CC
CC
HC
Kortex
NOT
Kortex
d
v
v
d
HC
1 mm
1 mm
CGL
CGL
Ergebnisse 55
In der Abbildung 15 werden beispielhaft zwei Fotografien von 50 µm dicken Frontalschnit-
ten des Albinofrettchens #2 gezeigt, aus denen sich die Position der implantierten Injektions-
kanüle rekonstruieren läßt. Die Injektionskanüle war 13 Tage in der linken Hirnseite in senk-
rechter Stellung implantiert. Der Hirnschnitt in Abbildung 15A verläuft durch das Mittelhirn
und den darüberliegenden Kortex, in dem sich die Kanüle befand. Die Schnittebene geht
durch den rostralen Bereich des SC, der unten rechts auf dem Foto zu sehen ist. Auf der dor-
salen Seite sind die beiden Hemisphären des Kortex cerebri sichtbar, die durch das Corpus
callosum miteinander verbunden sind. Der helle Pfeil zeigt auf die Position des zu inaktivie-
renden NOT, welcher sich lateral des linken SC befindet. Im Kortex darüber ist kortikales
Gewebe sichtbar, das durch die Injektionskanüle zerstört wurde (weiß gestrichelt umrissener
Bereich). Der Mittelpunkt der Kanüle (bzw. Injektionszentrum) befand sich allerdings nicht
genau in dieser Position, sondern ca. 450 µm weiter rostral, wo die Zerstörung des Kortex
am größten ist (Abb. 15B). Die in Abbildung 15B gezeigte Schnittebene liegt 50 µm (∆x +50
µm) vor der rostralen SC-Grenze, so daß der SC hier nicht mehr zu sehen ist. Der
Injektionsort befindet sich auf der Oberfläche des Mittelhirns direkt unter der Einstichspur.
3. Farb-Injektionen
Aus Tabelle 2 geht hervor, welcher Fluoreszenz-Farbstoff bei welchem Tier injiziert wurde.
Keine der Farb-Injektionen hatte einen Effekt auf die okulomotorische Stabilität. Insofern
sind diese Injektionen auch als Kontrollinjektionen aufzufassen. In der anschließenden
Untersuchung der Hirnschnitte unter dem Fluoreszenz-Mikroskop konnten die Injektionsorte
relativ leicht bestimmt werden, da sie sehr viel stärker gefärbt waren als das umliegende
Gewebe. Dadurch wurde die Lage der Injektionsorte (∆x-Werte) bestätigt, die schon anhand
der Einstichspuren ermittelt wurden.
Granular Blue ist besonders gut vom Gewebe aufgenommen worden, so daß die Injektionen
zu einer weit verbreiteten Färbung des gesamten Mittelhirns geführt haben. Dabei findet man
auch das Prätektum der nicht-injizierten Seite gefärbt. Allerdings ist das Prätektum der
injizierten Seite stärker gefärbt als das der nicht-injizierten Seite. Insgesamt ist die
Fluoreszenz auf der injizierten Seite sehr viel stärker als auf der nicht-injizierten Hirnseite.
Außerdem befindet sich auf der prätektalen Oberfläche der injizierten Seite sehr viel mehr
Granular Blue als auf der gegenüberliegenden Seite. Unter der Annahme, daß sich das
Muscimol in ähnlicher Weise ausgebreitet hat, kann davon ausgegangen werden, daß das
Prätektum der injizierten Seite stärker mit Muscimol durchdrungen und somit auch stärker
inaktiviert wurde als auf der gegenüberliegenden Seite.
Ergebnisse 56
Die Injektionen von roter Textmarkertinte haben zu einer sehr schwachen Färbung der Zellen
des Mittelhirns und speziell des Prätektums geführt. Der meiste Farbstoff befindet auf der
prätektalen Oberfläche und nicht im Gewebe. Das deutet auf eine schlechte Aufnahme des
Farbstoffs durch das Gewebe hin. Bei Albino #1 findet man eine schwache Färbung des Prä-
tektums der injizierten Seite, während bei Albino #3 überhaupt keine Färbung zu sehen ist.
Das völlige Ausbleiben einer Färbung bei Albino #3 zeigt, daß die Injektion der roten
Textmarkertinte gänzlich mißglückt war. Dies könnte auf eine Verstopfung des
Führungsröhrchens zurückzuführen sein, was auch das Ausbleiben des Muscimol-Effektes
bei diesem Tier erklären könnte. Der wahrscheinlichste Grund jedoch für die Wirkungslosig-
keit des Muscimols bei diesem Albino ist die sehr viel größere Entfernung zwischen dem
Injektionsort und dem NOT (∆x = 600 µm).
D. Ergebnis des Perimetrietests
Insgesamt wurden fünf albinotische (Tier #10, #16, #39, #40 und #41) und vier pigmentierte
Frettchen (Tier #33, #35, #37 und #38) unter binokularer und monokularer Bedingung im
Perimetrietest untersucht. Die Ergebnisse werden als Fallbeispiele in den Abbildungen
16 - 20 graphisch dargestellt. Ein horizontaler Balken unter der x-Achse symbolisiert bei
monokularer Bedingung die Abdeckung des entsprechenden Auges. Die genauen Prozent-
sätze positiv beantworteter Durchläufe können den Tabellen 3 und 4 entnommen werden. Da
sich die Daten aus den beiden Testvarianten (mit und ohne Plexiglasröhre, vgl. Material und
Methoden) nicht unterschieden haben, wurden sie zusammengefaßt.
Die beiden Albinofrettchen #10 und #16 (Abb. 16 und Tab. 3) wurden nur mit dem linken
Auge ohne Unterteilung des R60°-Sektors monokular getestet. Alle anderen Frettchen
wurden mit beiden Augen monokular getestet, wobei der 60°-Sektor kontralateral zum
sehenden Auge in die beiden Teilsektoren 30-45° und 45-60° unterteilt wurde.
Alle neun Tiere wurden auch im hOKN-Test eingesetzt. Die fünf Albinos zeigten einen
hOKN-Ausfall. Bei den vier pigmentierten Tieren konnte der hOKN ausgelöst werden.
Bei den verschiedenen Versuchstieren wurde eine ungleich starke Motivation beobachtet,
was sich in den unterschiedlich hohen Trefferquoten in 0°-Richtung (randomisierte Durch-
läufe ohne Reizpräsentation zwischen den Durchläufen mit Reizpräsentation) widerspiegelt.
Die Unterschiede zwischen den verschiedenen Individuen hinsichtlich Kooperationsbereit-
schaft und Lernfähigkeit waren in der Regel schon zu Beginn der Trainingsphasen auffällig.
Ergebnisse 57
1. Binokulare Messungen
Unter binokularen Bedingungen haben beide Tiergruppen in den allermeisten Sektoren 80%,
in einigen Fällen sogar weit über 90% der Durchläufe positiv beantwortet (Tab. 3 und 4 und
obere Reihen der Abb. 16 - 20). Ausnahmen stellen die beiden Albinofrettchen #39 und #41
dar, die im 60°- und 90°-Sektor der rechten Gesichtsfeldhälfte geringere Trefferquoten
erzielten [Tier #39: 72% im R60°- und 52% im R90°-Sektor (vgl. Abb. 17 und Tab. 3); Tier
#41: 65% im R60°- und 69% im R90°-Sektor (vgl. Abb. 18 und Tab. 3)]. Offensichtlich sind
diese beiden Albinofrettchen in ihrer Sehfähigkeit innerhalb des R30°- und R90°-Sektors
gestört. Bei Zusammenbetrachtung aller neun Fallbeispiele (fünf albinotische und vier
pigmentierte Frettchen) ist jedoch die Schlussfolgerung zulässig, daß sich die beiden Tier-
gruppen unter binokularer Bedingung im Perimetrietest nicht voneinander unterscheiden.
Damit kann festgestellt werden, daß sich die Albinofrettchen unter binokularen Bedingungen
genauso gut visuell orientieren können wie ihre pigmentierten Artgenossen.
0 20 40 60 80 100020406080100R 90°
R 60°
R 30°
0°
L 30°
L 60°
L 90°
0 20 40 60 80 100020406080100R 90°
R 60°
R 30°
0°
L 30°
L 60°
L 90°0 20 40 60 80 100020406080100
R 90°
R 60°
R 30°
0°
L 30°
L 60°
L 90°
0 20 40 60 80 100020406080100R 90°
R 60°
R 30°
0°
L 30°
L 60°
L 90°
Albino #10 Albino #16
Abb. 16: Trefferquoten der Albinofrettchen #10 und #16 im Perimetrietest. Unter binokularer Bedingung (obere Reihe) erreichen beide Tiere in allen sechs Gesichtsfeldsektoren eine relativ hohe positive Trefferquote. Unter monokularer Bedingung erreichen sie in den Sektoren innerhalb der Gesichtsfeldhälfte des sehenden Auges eine ähnlich hohe Trefferquote wie in den binokularen Messungen, während die Trefferquoten innerhalb der Sektoren kontralateral zum sehenden Auge unter 5% liegen. Die dunklen Punkte in den Sektoren, auf die die Pfeil-spitzen zeigen, geben die Anteile der positiv beantworteten Durchläufe in % an (vgl. Tabelle 3). Die schwarzen Balken in der unteren Reihe symbolisieren die Abdeckung des rechten Auges. Die Bedeutung der anderen Symbole kann der Legende in Abbildung 6 entnommen werden.
Ergebnisse 58
2. Monokulare Messungen
Unter monokularer Bedingung unterscheiden sich die beiden Tiergruppen ebenfalls nicht,
wenn der visuelle Reiz innerhalb der ipsilateralen Gesichtsfeldhälfte des sehenden Auges
präsentiert wird. Sowohl die Albinos als auch die pigmentierten Frettchen erzielten in diesen
Fällen ähnlich hohe Trefferquoten von über 80%, in vielen Sektoren sogar 100%.
Albino #39 Albino #40
0 20 40 60 80 100020406080100R 90°
R 60°
R 30°
0°
L 30°
L 60°
L 90°
0 20 40 60 80 100020406080100R 90°
R 60°
R 30°
0°
L 30°
L 60°
L 90°
0 20 40 60 80 100020406080100R 90°
R 60°
R 30°
0°
L 30°
L 60°
L 90°
0 20 40 60 80 100020406080100R 90°
R 60°
R 30°
0°
L 30°
L 60°
L 90°
0 20 40 60 80 100020406080100R 90°
R 60°
R 30°
0°
L 30°
L 60°
L 90°
0 20 40 60 80 100020406080100R 90°
R 60°
R 30°
0°
L 30°
L 60°
L 90°
Abb. 17: Trefferquoten der Albinofrettchen #39 und #40 im Perimetrietest. Unter binokularer Bedingung erreichen beide Tiere eine relativ hohe positive Trefferquote. Das Tier #39 fällt auf, da es mit dem rechten Auge innerhalb des rechten 60°- und 90°-Sektors besonders niedrige Trefferquoten erzielt. Unter monokularer Bedingung wird in allen Sektoren innerhalb der Gesichtsfeldhälfte des sehenden Auges eine ähnlich hohe Trefferquote erreicht wie in den binokularen Messungen, wobei der Defekt des rechtes Auges des Tieres #39 wieder sichtbar wird. Kontralateral zum sehenden Auge wird eine Trefferquote von maximal 14% erreicht (Tier #40 mit dem rechten Auge im R30°-Sektor). Die einzelnen Trefferquoten können der Tabelle 3 entnommen werden.
Ergebnisse 59
Die Beeinträchtigung im R60°- und R90°-Sektor bei den beiden Albinofrettchen #39 und
#41 (vgl. Abb. 17 und Abb. 18) macht sich auch unter monokularer Bedingung bemerkbar.
Das Albinofrettchen #39 erzielt hier mit dem rechten Auge eine niedrigere Trefferquote als
unter binokularer Bedingung. Im Gegensatz dazu beobachtet man beim Albinofrettchen #41
eine Verbesserung des rechten Auges, wenn das linke Auge abgedeckt ist.
Bei Reizpräsentation im 30°- und 60°-Sektor (bzw. in den beiden Teilsektoren 30-45° und
45-60°) innerhalb der Gesichtsfeldhälfte kontralateral zum sehenden Auge werden
erhebliche Unterschiede zwischen den beiden Tiergruppen sichtbar.
Die höchste Trefferquote in einem 30°-Sektor kontralateral zum sehenden Auge hat unter
den Albinos das Tier #41 (18% mit dem rechten Auge im L30°-Sektor, vgl. Abb. 18). Alle
anderen Albinos erzielten unter monokularer Bedingung in den 30°-Sektoren kontralateral
zum sehenden Auge Trefferquoten von unter 18%, in vielen Fällen von 0%. Die
pigmentierten Frettchen erzielten dagegen eine Trefferquote von mindestens 44% im 30°-
Sektor kontralateral zum sehenden Auge (Tier #33, L30°-Sektor, vgl. Abb. 19). In vielen
Fällen wurde sogar eine wesentlich höhere Trefferquote erreicht, die zwischen 78% (Tier
#37 mit dem linken Auge im R30°-Sektor) und 100% (Tier #38 mit dem rechten Auge im
L30°-Sektor) liegt. Aus diesen Befunden ergibt sich die Schlußfolgerung, daß das frontale
Gesichtsfeld, welches auf die temporale Hemiretina projiziert wird, bei den Albinofrettchen
funktionell unterdrückt ist.
Bei den monokularen Messungen mit den drei Albinofrettchen #39, #40 und #41 und allen
vier pigmentierten Frettchen wurde der 60°-Sektor kontralateral zum sehenden Auge in die
Teilsektoren 30-45° und 45-60° unterteilt. Die Albinofrettchen antworteten, wenn überhaupt,
im 30-45°-Teilsektor positiv [Albino #40 im linken 30-45°-Sektor mit dem rechten Auge
(Abb. 17) und Albino #41 im rechten 30-45°-Teilsektor mit dem linken Auge, Abb. 18]. Im
45-60°-Sektor hat keiner der Albinos auf den visuellen Reiz reagiert. Die pigmentierten
Frettchen zeigten in diesen beiden Teilsektoren folgendes Sehvermögen: Im 30-45°-
Teilsektor wurden immer mehr Duchläufe positiv beantwortet als im 45-60°-Teilsektor.
Dieser Unterschied zwischen den beiden Teilsektoren ist bei den beiden Tieren #35 und #37
besonders groß, bei denen die Trefferquote von mehr als 60% im rechten 30-45°-Teilsektor
steil auf weit unter 50% im rechten 45-60°-Teilsektor fällt. Dieser Befund bestätigt die
Erwartungen, die sich auf elektrophysiologischen Befunden stützen, nach denen sich das
binokulare Gesichtsfeld des Frettchens um ca. 38° in jeder Gesichtsfeldhälfte (Law et al.,
1988; Quevedo et al., 1996) erstreckt (vgl. Abb. 4C). Folglich gehört ungefähr die Hälfte des
30-45°-Sektors zum binokularen Gesichtsfeld und deshalb sollten die pigmentierten
Ergebnisse 60
Frettchen eine höhere Trefferquote in diesem Teilsektor erreichen als im 45-60°-Teilsektor,
der außerhalb des binokularen Gesichtsfeldes liegt und deshalb theoretisch überhaupt nicht
mit dem kontralateralen Auge gesehen werden sollte.
Tab. 3: Ergebnis des Perimetrietests für die Albinofrettchen: Anteil positiv beantworteter Durchläufe in Prozent unter bino- und monokularer Testbedingung. Die Albinos #10 und #16 wurden nur mit dem linken Auge sehend monokular getestet. Die graphische Darstellung der einzelnen Ergebnisse ist in den Abb. 16 - 18 gezeigt. Abkürzungen: bino = binokular, mono = monokular, l = nur linkes Auge sehend, r = nur rechtes Auge sehend.
Tab. 4: Ergebnis des Perimetrietests für die pigmentierten Frettchen: Anteil positiv beantworteter Durchläufe in Prozent unter bino- und monokularer Testbedingung mit jedem Auge. Die graphische Darstellung der einzelnen Ergebnisse ist in den Abbildungen 19 und 20 gezeigt. Abkürzungen wie in Tabelle 3.
Pigm. #33 Pigm. #35 Pigm. #37 Pigm. #38
mono mono mono mono bino
l r bino
l r bino
l r bino
l r
L90° 94 100 4 99 92 4 96 94 0 92 100 5
45-60° 31 25 37 42 L60°
30-45° 97 100
44 99 96
61 100 100
75 94 100
78
L30° 98 92 44 100 100 89 100 100 86 99 100 100
0° 98 89 79 97 100 96 100 82 91 98 94 90
R30° 99 49 100 95 80 99 100 78 98 100 88 100
30-45° 15 48 37 43 R60°
45-60° 96
7 100 100
14 100 100
21 100 100
3 100
R90° 90 0 96 99 5 97 82 0 95 100 4 85
Ergebnisse 61
Albino #41
0 20 40 60 80 100020406080100R 90°
R 60°
R 30°
0°
L 30°
L 60°
L 90°
0 20 40 60 80 100020406080100R 90°
R 60°
R 30°
0°
L 30°
L 60°
L 90°
0 20 40 60 80 100020406080100R 90°
R 60°
R 30°
0°
L 30°
L 60°
L 90°
Abb. 18: Trefferquoten des Albinofrettchens #41 im Perimetrietest: Dieses Tier zeigt ein ähnliches Verhalten wie die Albinofrettchen #39 und #40. Unter monokularer Bedingung erzielt es mit dem rechten Auge eine maximale Trefferquote von 18% im L30°-Sektor. Die einzelnen Quoten können der Tabelle 3 entnommen werden.
Ergebnisse 62
Pigm. #33
0 20 40 60 80 100020406080100R 90°
R 60°
R 30°
0°
L 30°
L 60°
L 90°
0 20 40 60 80 100020406080100R 90°
R 60°
R 30°
0°
L 30°
L 60°
L 90°
0 20 40 60 80 100020406080100R 90°
R 60°
R 30°
0°
L 30°
L 60°
L 90°
Pigm. #35
0 20 40 60 80 100020406080100R 90°
R 60°
R 30°
0°
L 30°
L 60°
L 90°
0 20 40 60 80 100020406080100R 90°
R 60°
R 30°
0°
L 30°
L 60°
L 90°
0 20 40 60 80 100020406080100R 90°
R 60°
R 30°
0°
L 30°
L 60°
L 90°
Abb. 19: Trefferquoten der pigmentierten Frettchen #33 und #35 im Perimetrietest: Unter binokularer Bedingung erreichen beide Tiere eine relativ hohe positive Trefferquote. Unter monokularer Bedingung erzielen sie, im Vergleich zu den Albinofrettchen, eine wesentlich höhere Trefferquote innerhalb des 30°- und 60°-Sektors kontralateral zum sehenden Auge. Ihre Sehfähigkeit fällt zwischen dem 30-45°- und dem 45-60°-Teilsektor kontralateral zum sehenden Auge relativ schnell ab. Die einzelnen Quoten können der Tabelle 4 entnommen werden.
Ergebnisse 63
Pigm. #38 Pigm. #37
0 20 40 60 80 100020406080100R 90°
R 60°
R 30°
0°
L 30°
L 60°
L 90°
0 20 40 60 80 100020406080100R 90°
R 60°
R 30°
0°
L 30°
L 60°
L 90°
0 20 40 60 80 100020406080100R 90°
R 60°
R 30°
0°
L 30°
L 60°
L 90°
0 20 40 60 80 100020406080100R 90°
R 60°
R 30°
0°
L 30°
L 60°
L 90°
0 20 40 60 80 100020406080100R 90°
R 60°
R 30°
0°
L 30°
L 60°
L 90°
0 20 40 60 80 100020406080100R 90°
R 60°
R 30°
0°
L 30°
L 60°
L 90°
Abb. 20: Trefferquoten der pigmentierten Frettchen #37 und #38 im Perimetrietest: Beide Tiere zeigen qualitativ das gleiche Verhalten wie die pigmentierten Frettchen #33 und #35 (vgl. Abb. 19). Die einzelnen Trefferquoten können der Tabelle 4 entnommen werden.
Ergebnisse 64
II. Teil II: Neurophysiologie
A. Histologische Verifikation
Insgesamt wurden die Gehirne von 10 albinotischen und 5 pigmentierten Frettchen
histologisch aufgearbeitet. Das Ziel der histologischen Auswertung war die Bestätigung der
richtigen Position der verschiedenen Ableit- und Reizorte. Alle elektrophysiologischen
Daten von Tieren, bei denen dieses Ziel nicht erreicht wurde, wurden in der Auswertung
nicht berücksichtigt.
Für alle Experimente kann festgestellt werden, daß die anschließende Auswertung der
Histologie immer das zuvor im elektrophysiologischen Experiment dokumentierte Ergebnis
bestätigte. Dies bedeutet, daß immer die richtige Position des Ableit- und / oder des
Reizortes gefunden werden konnte, wenn zuvor die erwünschten, hier vorgestellten elektro-
physiologischen Daten erhoben werden konnten. In den Fällen, in denen die richtige Position
des Ableit- und / oder Reizortes nicht bestätigt wurde, konnten auch im vorausgegangenen
elektrophysiologischen Experiment keine spezifischen Daten erhoben werden. Im konkreten
Fall bedeutet dies, daß beispielsweise immer dann prätektale Zellen des Albinos von der IO
antidrom gereizt werden konnten, wenn die anschließende Histologie bestätigte, daß
mindestens eine der beiden IO-Reizelektroden auch tatsächlich in der IO plaziert war. In
Bezug auf die NOT-Läsionen kann entsprechend festgestellt werden, daß immer dann von
der IO antidrom reizbare Zellen gefunden werden konnten, wenn anschließend die NOT-
Läsionen tatsächlich im NOT-Areal lokalisiert wurden. Zeigte aber die Histologie, daß beide
Reizelektroden die IO verfehlt hatten oder daß die NOT-Läsion nicht im NOT-Areal plaziert
war, so konnten zuvor auch keine prätektalen Zellen antidrom gereizt werden.
Ein Teil der elektrophysiologischen Daten stammt von Tieren, bei denen keine elektrolyti-
schen NOT-Läsionen gesetzt wurden. In diesen Fällen konnten auf den Hirnschnitten nur
solche Penetrationsspuren identifiziert werden, die in das NOT-Areal führten, jedoch keine
Penetrationsspuren in größerer Entfernung vom NOT-Areal außerhalb des benachbarten SC.
Ein weiterer, kleiner Teil der elektrophysiologischen Daten stammt von Tieren, deren Hirne
nicht histologisch untersucht wurden. In diesen Fällen wird jedoch aufgrund der wieder-
holten Erfahrung mit den histologisch untersuchten Tieren unterstellt, daß die Ableit- und
Reizorte richtig gewesen sein müssen, sonst hätten die entsprechenden elektrophysiolo-
gischen Daten nicht erhoben werden können.
Ergebnisse 65
1. NOT-Ableitorte, IO- und VC-Reizorte
In Tabelle 5 ist die Anzahl der histologisch aufgearbeiteten Gehirne aufgelistet, in denen die
richtige Position der Ableit- und Reizorte dokumentiert wurde. Die Tiere stammten aus der
Experimentenreihe, in der die NOT-Zellen von der ipsilateralen IO antidrom und vom
ipsilateralen VC und kontralateralen ON orthodrom elektrisch gereizt wurden.
Es wurden insgesamt acht Gehirne untersucht. Sechs stammen von albinotischen und zwei
von pigmentierten Frettchen. Bei einem Albinofrettchen wurde die Position des NOT-
Ableitortes durch eine Läsion und bei einem zweiten Albinofrettchen sowohl durch eine
Läsion als auch durch Penetrationsspuren bestätigt. Bei einem anderen Albinofrettchen
wurde keine NOT-Läsion gesetzt und die Identifizierung des NOT-Ableitortes erfolgte nur
durch Penetrationsspuren, die ins NOT-Areal ziehen. Von einem weiteren Albinofrettchen
wurde nur der Hirnstamm histologisch untersucht und die Position der IO-Reizelektroden
bestätigt. Bei den letzten 2 Albinofrettchen wurden Penetrationsspuren entdeckt, die ins
NOT-Areal ziehen. Außerdem wurden bei diesen beiden Tieren die richtige Position der IO-
Reizelektroden und die Position der VC-Reizelektroden dokumentiert. Bei beiden
pigmentierten Frettchen wurde die richtige Position des NOT-Ableitortes durch
elektrolytische Läsionen bestätigt.
Tab. 5: Histologische Untersuchung der Frettchenhirne. Im NOT gefundene elektrolytische Läsionen und Penetrationsspuren verifizieren post mortem die richtige Position der NOT-Ableitorte, d.h. der Orte, an denen prätektale Zellen von der IO antidrom und vom VC und ON orthodrom gereizt wurden. Bei einigen Albinofrettchen wurden keine Läsionen gesetzt. In diesen Fällen konnten Penetrationsspuren entdeckt werden, die in das NOT-Areal ziehen. Albino = albinotische Frettchen, pigm. = pigmentierte Frettchen, N = Anzahl der histologisch untersuchten Hirne albinotischer und pigmentierter Frettchen, Pen-Spuren = Penetrationsspuren, IO = Oliva inferior, VC = visueller Kortex, Σ = Gesamtanzahl der untersuchten Hirne, — = Bestätigung nicht möglich, weil entweder nicht histologisch untersucht oder keine Läsionen gesetzt. Tier N Bestätigung des NOT-Ableitortes Bestätigung der IO-Reizorte
Albino 1 Läsion im NOT —
Albino 1 Läsion und Pen-Spuren im NOT —
Albino 1 Pen-Spuren im NOT —
Albino 1 — Pen-Spuren in der IO
Albino 2 Pen-Spuren im NOT Pen-Spuren in der IO
pigm. 2 Läsion im NOT —
Σ 8 7 3
Ergebnisse 66
Abbildung 21A zeigt die schwarz-weiße Fotografie eines Formol-fixierten Frettchengehirns.
Der rostrale Bereich des Gehirns ist direkt vor dem medialen Ansatz des cruciaten Sulcus
(CRS) abgeschnitten. Die Pfeile zeigen auf die Orte, wo die Penetrationen zur Ableitung des
NOT (a) gesetzt wurden, und wo die VC- (b) und IO-Reizelektroden (c) plaziert waren. Das
Kleinhirn wurde entfernt, um die Einstichorte der IO-Reizelektroden sichtbar werden zu
lassen. Die VC-Reizelektroden waren auf der linken Hirnseite im caudalen Bereich des
lateralen Gyrus plaziert. Gemäß Law et al. (1988) befinden sie sich in Area 17 in der Nähe
der Area 18. Orientiert man sich an den Abbildungen von Redies et al. (1990), so befinden
sie sich genau auf der Grenze der Areae 17 und 18. Bevor die VC-Reizelektroden ca. 2500
µm tief in den Kortex eingefahren wurden, konnte an dieser Stelle die visuelle Aktivität
mehrerer Neuronen abgeleitet werden. Diese VC-Neuronen befanden sich in verschiedenen
Tiefen zwischen 250 und 2500 µm und hatten rezeptive Felder im zentralen Bereich des
Gesichtsfeldes. Die elektrische Reizung an dieser Stelle konnte prätektale Zellen orthodrom
reizen, die auch von der IO antidrom und / oder vom ON orthodrom reizbar waren.
Abbildung 21B ist eine Umrißzeichnung des Frettchengehirns aus der Perspektive von oben
und soll die Lokalisierung der Penetrationsorte aus Abbildung 21A erleichtern.
NOT-Ableitorte: In Abbildung 22 wird die schwarz-weiße Fotografie eines Nissl-gefärbten
Frontalschnittes eines Albinofrettchens gezeigt. Der Schnitt verläuft durch den rostralen SC.
Die Fotografie dokumentiert die Position einer NOT-Läsion, die sich in der „Kerbe“
zwischen dem linken SC (l-SC) und dem linken lateralen Genikulatum (CGL) befindet. Am
Läsionsort wurden NOT-Zellen von der ipsilateralen IO antidrom identifiziert.
Abbildung 23 zeigt die Rekonstruktion des Mittelhirns eines Frettchens. Das Hirn wurde in
diesem Falle von caudal (posterior) nach rostral (anterior) in 50 µm dicke Frontalschnitte
geschnitten. Es sind die Umrisse jedes vierten Schnittes hintereinander angeordnet. Der SC
erstreckt sich auf beiden Hirnseiten in rostrocaudaler Richtung über ca. 3,6 mm und ist als
Hügel erkennbar (Umriß-Nr. 2 bis 18). Auf dem 15. Umriß beginnt seitlich des SC das
Genikulatum, welches nach anterior hin an Volumen gewinnt. Die Sternchen, die sich
seitlich des vorderen SC-Abschnitts in der „Kerbe“ zwischen SC und Genikulatum befinden
(Schnitt-Nr. 14 bis 17), markieren den prätektalen Bereich, in dem die NOT-Läsionen und
NOT-Penetrationsspuren bei den verschiedenen Versuchstieren aus Tabelle 5 gefunden
wurden. Dieser Bereich stimmt mit der in der Literatur angegebenen Position des NOT
eindeutig überein (Zhang & Hoffmann, 1993).
Ergebnisse 67
Abb. 21: A: Fotografie eines Formol-fixierten Frettchenhirns (Draufsicht). Der vordere Hirnabschnitt ist rostral des cruciaten Sulcus abgeschnitten (vgl. gestrichelte Linie in B). Der linke Pfeil (a) zeigt auf eine große oberflächliche Verletzung des Kortex, die durch das mehrmalige Penetrieren zur Ableitung des NOT verursacht wurde. Der mittlere Pfeil (b) zeigt auf die zwei Einstichorte (relativ große, nebeneinanderliegende dunkle Punkte im linken lateralen Gyrus) der beiden VC-Reizelektroden und der rechte Pfeil (c) auf die zwei Einstichorte der beiden IO-Reizelektroden (dunkle Punkte auf der Oberfläche des Hirnstamms). B: Umrisszeichnung eines Frettchenhirns (Draufsicht). Abkürzungen: AS = ansinater Sulcus, ASG = anteriorer sygmoider Gyrus, CB = Kleinhirn, CNG = coronaler Gyrus, CNS = coronaler Sulcus, CRS = cruciater Sulcus, LG = lateraler Gyrus, LS = lateraler Sulcus, MD = Medulla, PEG = posteriorer ectosylvischer Gyrus, PSG = posteriorer sygmoider Gyrus, SSG = suprasylvischer Gyrus, SSS = suprasylvischer Sulcus.
Foto-Nr. 28 05-03-1999.aF
1 cm
a
b
c
A
CRS
ASLS
SSS
ASG
PSG
CNG SSG PEG
MD
CB LG
CNS
B
Ergebnisse 68
Abb. 23: Rekonstruktion des Frettchen-Mittelhirns. Es ist der Umriß jedes viertenHirnschnitts einer 50 µm-Frontalschnitt-Serie dargestellt, so dass der Abstand zwischen zwei Umrissen 200 µm beträgt. Insgesamt sind 4,4 mm in anterior-posterior-Richtung rekonstruiert. Jeder zweite Umriß ist numeriert. Die Sternchen ( ) seitlich des rechten und linken rostralen SC-Abschnitts (SC) markieren den prätektalen Bereich, in dem die NOT-Läsionen (NOT-Ableit- und NOT-Reizorte) bei den verschiedenen Versuchstieren gefunden wurden. Die Position der SC-Läsionen wird durch die schwarzen Punkte ( ) angezeigt. Die gepunkteten Linien markieren die ungefähre Abgrenzung des lateralen Genikulatums (CGL). Der Maßstab bezieht sich nur auf die mediolaterale Ausdehnung der Rekonstruktion.
rostral
caudal
1 mm
SC SC
2
4
6
8
10
12 14
16 18
20
22
CGL CGL
Abb. 22: Schwarz-weiße Fotografie eines 50 µm dicken, Nissl-gefärbten Frontalschnitts durch den rostralen SC-Abschnitt und das linke NOT-Areal eines Albinofrettchens. Zu sehen sind der linke (l-SC) und der rechte SC (r-SC), der darüberliegende Kortex und das caudale Ende des linken lateralen Genikulatums (CGL). Lateral des l-SC wurde eine NOT-Läsion (NOT) gesetzt, die sich in der „Kerbe“ zwischen l-SC und dem linken Genikulatum befindet. Im Kortex über dem NOT-Areal ist ein heller Bereich sichtbar (Pfeil), der durch das wiederholte Penetrieren mit der NOT-Ableitelektrode verursacht wurde. d = dorsal, v = ventral.
Foto-Nr. 2-36 25-07-2000.aF 2,5x-Objektiv
Kortex
l-SC r-SC
NOT
CGL
A
1 mm V
d
Ergebnisse 69
IO-Reizorte: Aus Abbildung 24 geht die Position der IO-Reizelektroden hervor bei einem
Albinofrettchen. Gezeigt wird die schwarz-weiße Fotografie eines 100 µm dicken, Nissl-
gefärbten Sagittalschnittes durch den linken Hirnstamm. Beide IO-Reizelektroden haben
Einstichspuren im Gewebe hinterlassen, die sich makroskopisch erkennen lassen. Die Spuren
erstrecken sich von dorsal nach rostroventral (entsprechend der 45°-Neigung der
Reizelektroden, vgl. Material und Methoden). Die IO erscheint aufgrund ihrer hohen
Zelldichte besonders dunkel. Der Umriß der IO ist gepunktet hervorgehoben. Die rostrale
Penetrationsspur zieht sich durch den rostralen Abschnitt der IO, während die caudale Spur
die IO verfehlt. Bei diesem Tier konnten durch die elektrische Reizung prätektale Zellen
antidrom gereizt und damit als zur IO projizierende NOT-Zellen identifiziert werden.
2. NOT- und SC-Reizorte und VC-Ableitorte
In der Tabelle 6 sind alle Versuchstiere aufgelistet, bei denen die NOT- und SC-Reizorte
durch elektrolytische Läsionen im NOT-Areal und im rostralen Bereich des SC verifiziert
wurden. Die Läsionen im VC dokumentieren die Position der richtungsspezifischen VC-
Abb. 24: Fotografie eines Nissl-gefärbten Sagittalschnitts durch den linken Hirnstamm eines Albinofrettchens. Die beiden Pfeile zeigen auf die Penetrationsspuren (Pfeile) der beiden IO-Reizelektroden (∅ 0,3 mm). Die IO befindet sich im ventralen Abschnitt des Hirnstamms und ist als dunkle, sehr dicht gepackte Zellansammlung mit ovaler Form zu erkennen (gepunkteter Umriß). Abkürzungen: d = dorsal, v = ventral, c = caudal und r = rostral.
Foto-Nr. 5.24 24.02.1999.aF
Hirnschnitt-Nr. 1-8-2 (IO und zwei Einstichspuren)
d
c
v
r
1 mm
Ergebnisse 70
Zellen, die vom NOT antidrom und mit dem Zufallspunktemuster visuell reizbar waren.
Insgesamt wurden sieben Hirne untersucht, die von vier albinotischen und drei pigmentierten
Frettchen stammten.
Tab. 6: Anzahl der histologisch untersuchten Frettchengehirne aus den Reizexperimenten, in denen der NOT und der SC elektrisch gereizt wurden. In allen Fällen befinden sich die „NOT-Läsionen“ im NOT-Areal. Die Läsionen im SC wurden im rostralen Abschnitt des SC lokalisiert und markieren die Repräsentation des zentralen Gesichtsfeldes. Die Läsionen im VC markieren die Position der VC-Zellen, die vom NOT antidrom reizbar waren, und dokumentieren, daß sich diese Neuronen in der Lamina V befinden. Abkürzungen wie in Tabelle 5. Tier N Bestätigung des
NOT-Reizortes Bestätigung des SC-Reizortes
Position der NOT-antidromen VC-Zellen
Albino 1 Läsion im NOT — 2 Läsionen in der Lamina V
pigm. 1 Läsion im NOT — —
Albino 1 Läsion im NOT — 2 Läsionen in der Lamina V
Albino 1 Läsion im NOT Läsion im SC —
Albino 1 Läsion im NOT Läsion im SC Läsion in der Lamina V
pigm. 2 Läsion im NOT Läsion im SC —
Σ 7 7 3 3
NOT- und SC-Reizorte: Die Position der NOT-Läsionen, die die NOT-Reizorte markieren,
unterscheidet sich nicht von der Position der NOT-Läsionen, die die NOT-Ableitorte
markieren (Abb. 22 und 23). Die SC-Läsionen befinden sich in Bezug auf die NOT-Läsionen
weiter medial und weiter caudal. Ihre Position ist in Abbildung 23 durch die beiden dunklen
Punkte angegeben. In diesem Bereich des SC war das frontale Gesichtsfeld repräsentiert.
VC-Ableitorte: Abbildung 25 zeigt eine Läsion im linken visuellen Kortex eines Albino-
frettchens. Zwei VC-Neuronen wurden an diesem Ort vom ipsilateralen NOT antidrom
identifiziert. Beide Neuronen reagierten auf die visuelle Reizung mit dem großflächigen
Zufallspunktemuster richtungsspezifisch. Die Läsion (dunkle Pfeile) befindet sich auf der
ventralen Seite (v) des visuellen Kortex in der Lamina V (helle Pfeile). Die Zuordnung der
Läsion zur Lamina V wurde mit Hilfe der Abbildungen von Rockland, (1985) gemacht.
Gemäß Rockland (1985) und Law et al. (1988) befindet sich die Läsion in der Area 17. Dies
stellt den Normalbefund dar und spricht dafür, daß der VC des Albinofrettchens eine intakte,
zum Mittelhirn projizierende Schicht V besitzt.
Ergebnisse 71
Abb. 25: Schwarz-weiße Fotografien eines 50 µm dicken, Nissl-gefärbten Frontalschnitts durch den linken Occipitalkortex eines Albinofrettchens. A, B und C zeigen mit zunehmender Vergrößerung unterschiedlich große Ausschnitte desselben Hirnschnittes. Die dunklen Pfeile sind auf die elektrolytische VC-Läsion gerichtet, die sich größtenteils in der kortikalen Schicht V (helle Pfeile) befindet. Abkürzungen: d = dorsale Oberfläche des VC, v = ventrale Oberfläche des VC, m = medial und l = lateral.
Foto-Nr. 2-24 25-07-2000.aF 2,5x-Objektiv
Foto-Nr. 2-26 25-07-2000.aF 10x-Objektiv
Foto-Nr. 2-25 25-07-2000.aF
5x-Objektiv
1 mm
0,5 mm
0,5 mm
A
B
C
m
v
l
d
Ergebnisse 72
B. Physiologie
1. Lokalisation des NOT-Areals und der NOT-Neuronen
Die allermeisten NOT-Zellen wurden sowohl bei den albinotischen als auch bei den pigmen-
tierten Tieren im Bereich von –1 bis –2,5 mm anterior und +2,5 bis +3,0 mm lateral
(Horsley-Clarke-Koordinaten) in einer Tiefe von 6500 bis 7500 µm unter der kortikalen
Oberfläche lokalisiert. Sie befanden sich in einem länglichen Band entlang des
rostrolateralen SC-Randes, welches sich bei den einzelnen Versuchstieren ca. 700 µm in
rostrocaudaler und ca. 200 µm in mediolateraler Richtung erstreckte. Damit wird die von
Klauer et al. (1990) angegebene Position des Frettchen-NOT bestätigt. In Bezug auf die
Oberfläche des Prätektums befanden sich die NOT-Zellen in einer relativ geringen Tiefe von
ca. 100 bis 250 µm, was mit den histologischen Befunden von Zhang & Hoffmann (1993)
und Telkes et al. (2001) übereinstimmt. Aus Abbildung 26 wird die relative Position des
NOT zum benachbarten SC und die relative Position dieser beiden Hirnstrukturen innerhalb
des Horsley-Clarke-Koordinatensystems deutlich. Die y-Achse entspricht der anterior-
posterioren Achse und die x-Achse der mediolateralen Achse des Horsley-Clarke-Systems
(Interaurallinie). Die eingezeichneten Punkte stellen das Penetrationsschema aus einem
konkreten Experiment mit einem Albinofrettchen dar. Innerhalb des NOT-Areals konnten
Zellen von der IO antidrom gereizt werden. Das Dreieckssymbol markiert die elektrolytische
Läsion, die am Ende des Experimentes gesetzt wurde.
Es kam selten vor, daß innerhalb einer Penetration mehrere NOT-Zellen gefunden werden
konnten. Bei den meisten erfolgreichen Penetrationen konnte nur eine NOT-Zelle abgeleitet
werden. Wurde eine Penetration unmittelbar neben einer erfolgreichen Penetration plaziert,
so führte diese Vorgehensweise meistens nicht zum nochmaligen Erfolg. Diese Beobachtun-
gen stehen mit den anatomischen Befunden in Einklang, nach denen die von der ipsilateralen
IO retrograd markierten NOT-Zellen keine dicht gepackten Ansammlungen bilden, sondern
vielmehr ein lockeres großmaschiges Netzwerk (Telkes et al., 2001).
Ergebnisse 73
2. Umgebung der NOT-Neuronen
Aufgrund der kleinen Ausdehnung des NOT kam es oft vor, daß er mit der Elektrode verfehlt
und in seine Umgebung eingestochen wurde. Aufgrund der Verstreuung der einzelnen NOT-
Zellen innerhalb des NOT kam sogar vor, daß keine antidromen Aktionspotentiale abgeleitet
werden konnten, obwohl sich die Elektrode innerhalb des NOT befand. Dabei wurden
zwangsläufig immer wieder Neuronen aus der prätektalen Umgebung der von der IO
reizbaren NOT-Zellen grob charakterisiert. Diese Neuronen waren nicht Gegenstand dieser
Arbeit und wurden deshalb nicht konsequent untersucht. So weit aber ihre Eigenschaften
anhand ihrer hörbar gemachten Aktivität (siehe Material und Methoden) und ihrer visuellen
Aktivierbarkeit beurteilt werden können, haben sie sich nicht zwischen albinotischen und
pigmentierten Frettchen unterschieden. Damit kann im allgemeinen und subjektiv festgestellt
werden, daß es keinen Unterschied zwischen den beiden Tiergruppen hinsichtlich der
Physiologie der unmittelbaren Umgebung der antidrom reizbaren NOT-Zellen gibt.
Ein spezieller Zelltyp in der Nähe der antidrom identifizierten NOT-Zellen sind die
sogenannten Jerk-Zellen, die bei beiden Tiergruppen gefunden wurden. Das Auffinden von
Jerk-Zellen war ein sicheres Indiz dafür, daß sich in der Nähe auch von der IO antidrom
Abb. 26: Zweidimensionales Penetrationsschema im Horsley-Clarke-Koordinatensystem bei einem Albinofrettchen. Die ausgefüllten runden Punkte sind Penetrationsorte im rostralen Abschnitt des rechten superioren Colliculus (SC). Die leeren runden Punkte markieren die Penetrationsorte, die als Prätektum charakterisiert wurden. Das NOT-Areal (ca. 700 µm lang und ca. 200 µm breit) ist gepunktet umrissen. Die Position der NOT-Läsion ist durch das Dreieckssymbol angegeben.
medial lateral
0.0 0.5 1.0 1.5 2.0 2.5 3.0 3.5 4.0ca
udal
ros
tral
-3.0
-2.5
-2.0
-1.5
-1.0
-0.5
0.0
SC-PenetrationenPrätectum / NOT-ArealNOT-Läsion
SC
NOT-Areal
Ergebnisse 74
reizbare NOT-Zellen befinden würden. Die Jerk-Zellen befanden sich gelegentlich zwischen,
meistens aber 200 bis 500 µm unterhalb der NOT-Zellen. Damit findet man beim Frettchen
die gleiche relative Position zwischen NOT- und Jerk-Zellen wie bei der Katze (Ballas &
Hoffmann, 1985; Schweigart & Hoffmann, 1992; Schmidt, 1996). Die Jerk-Zellen
beantworteten sehr schnelle ruckartige Bewegungen des Zufallspunktemusters mit einer
kurzen hochfrequenten Salve von Aktionspotentialen. Sie wurden nur in horizontaler
Richtung visuell getestet und beantworteten sowohl die Reizbewegung nach ipsiversiv als
auch nach kontraversiv. Über eine eventuelle, schwache Bevorzugung einer Richtung, die
anhand ihrer hörbaren Antwort nicht detektiert werden konnte, kann keine Aussage gemacht
werden, da ihre Aktivität nicht mit dem PC registriert wurde.
3. Allgemeine Charakterisierung der prätektalen und der NOT-Neuronen
Bei 93 Zellen wurde das Prädikat „diffus visuell“ protokolliert. Die tatsächlich abgeleitete
Anzahl solcher Zellen liegt jedoch wesentlich höher, kann aber nicht angegeben werden, da
nicht alle Zellen diesbezüglich explizit charakterisiert wurden. Solche Zellen reagierten mit
einer Aktivitätsänderung auf die Änderungen der Beleuchtung des gesamten Labors oder des
frontalen Gesichtsfeldes und insbesondere auf die Beleuchtung des kontralateralen Auges
mit Hilfe der Handlampe. Sie reagierten jedoch nicht auf eine Bewegung im Gesichtsfeld des
Tieres, weder auf die Bewegung des Reizmusters, noch auf die Bewegung von Objekten.
Aufgrund dieser Eigenschaften war es nicht möglich, die genaue Ausdehnung ihrer RF auf
dem Tangentialschirm zu bestimmen. Diese Beschreibung gilt auch für fast alle Zellen, die
aufgrund ihrer antidromen Reizbarkeit von der IO als NOT-Zellen definiert wurden.
Im Gegensatz zu den NOT-Zellen des Albinofrettchens reagierten die NOT-Zellen des
pigmentierten Frettchens auf eine großflächige horizontale Bewegung innerhalb ihres
rezeptiven Feldes. Sie wurden sowohl durch die Bewegung des Zufallspunktemusters, als
auch durch die Bewegung von großen Objekten moduliert (vgl. Abb. 28).
4. ON/OFF-Eigenschaften von Neuronen im Mittelhirn
a) ON/OFF-Eigenschaften von prätektalen und NOT-Neuronen
Die Bestimmung der ON/OFF-Eigenschaften von prätektalen Zellen wurde nur bei Albino-
frettchen durchgeführt. Mit Hilfe des Blendenverschlusses wurden zwei prätektale Zellen
charakterisiert, die nicht von der IO reizbar waren. Die ONF-Is dieser beiden Zellen waren
61% und 56%, so daß sie definitionsgemäß (vgl. Material und Methoden) als ON-OFF-
Ergebnisse 75
Zellen angesehen werden können. Durch Beleuchten des kontralateralen Auges mit der
Handlampe oder das Wegnehmen der Beleuchtung (Abdecken des Lichtstrahls) wurden
insgesamt weitere 25 Zellen (100%) des Albinofrettchens als ON-, OFF oder ON-OFF-
Zellen klassifiziert:
• 20% (fünf von 25) dieser Zellen waren ON-Zellen. Sie wurden alle auf Reizbarkeit von der
IO getestet und waren auch alle antidrom reizbar. Damit projizieren alle ON-NOT-Zellen
zur ipsilateralen IO. Eine Zelle wurde auch auf Reizbarkeit vom VC und vom ON getestet
und war in beiden Fällen orthodrom aktivierbar. Die restlichen vier Zellen wurden
diesbezüglich nicht getestet.
• 40% (zehn von 25) waren ON-OFF-Zellen. Acht von diesen wurden auf Reizbarkeit von
der IO untersucht. Sechs waren antidrom reizbar und zwei waren nicht reizbar. Die
restlichen zwei Zellen wurden weder auf Reizbarkeit von der IO, noch vom VC oder ON
untersucht. Damit projizieren die meisten ON-OFF-Zellen des NOT ebenfalls zur
ipsilateralen IO.
• Die übrigen 40% (zehn von 25) der Zellen waren OFF-Zellen. Acht von diesen wurden auf
Reizbarkeit von der IO untersucht. Von diesen acht Zellen war eine Zelle antidrom reizbar
und sieben Zellen waren nicht reizbar. Damit projizieren die meisten OFF-Zellen des NOT
nicht zur IO. Von den sieben nicht zu IO projizierenden Zellen wurden zwei Zellen auch
auf Reizbarkeit vom ON und eine Zelle sowohl auf Reizbarkeit vom ON als auch vom VC
getestet. Alle drei Zellen waren nur vom ON orthodrom reizbar. Die restlichen zwei Zellen
aus der Gruppe der zehn OFF-Zellen wurden weder auf Reizbarkeit von der IO, noch vom
VC oder ON untersucht.
b) ON/OFF-Eigenschaften von SC-Neuronen
Die Bestimmung der ON/OFF-Eigenschaften von Zellen des superioren Colliculus wurde
• sowohl qualitativ als auch quantitativ mit Hilfe des Blendenverschlusses und
• sowohl bei albinotischen als auch bei pigmentierten Frettchen durchgeführt.
Insgesamt wurden 57 SC-Zellen der Albinofrettchen und 25 SC-Zellen der pigmentierten
Frettchen hinsichtlich ihrer ON/OFF-Eigenschaften untersucht.
Von den 57 Zellen der Albinofrettchen wurden acht SC-Zellen nur qualitativ mit Hilfe der
Handlampe untersucht. Davon wurden sieben als ON-OFF-Zellen und eine Zelle wurde als
OFF-Zelle charakterisiert. Die restlichen 49 SC-Zellen der albinotischen und alle 25 SC-
Zellen der pigmentierten Frettchen wurden mit dem Blendenverschluß untersucht, so daß
Ergebnisse 76
ihre ONF-Indizes berechnet werden konnten. Gemäß den festgelegten Klassifizierungs-
kriterien wurden folgende Quoten an ON-, OFF- oder ON-OFF-Zellen gefunden:
• 2% (eine von 49) der SC-Zellen der Albinofrettchen reagierten stärker bei „Licht-An“ als
bei „Licht-Aus“ mit einem ONF-I ≥ 66%. Definitionsgemäß wird diese Zelle als ON-Zelle
klassifiziert. Bei den pigmentierten Frettchen konnte keine einzige SC-Zelle aus der
vorhandenen Stichprobe von 25 Zellen als ON-Zelle eingestuft werden. Da bei den Albino-
frettchen nur 2% ON-Zellen gefunden wurden, scheinen sich die beiden Tiergruppen kaum
voneinander zu unterscheiden.
• 80% (39 von 49) der SC-Zellen der Albinofrettchen und 84% (21von 25) der SC-Zellen der
pigmentierten Frettchen haben einen ONF-Index, der zwischen 33% und 66% liegt. Diese
Zellen werden definitionsgemäß als ON-OFF-Zellen klassifiziert. Damit wird gezeigt, daß
die ON-OFF-Zellen in beiden Tiergruppen in gleichen prozentualen Größenordnungen
vorkommen.
• 18% (neun von 49) der SC-Zellen der Albinofrettchen und 16% (vier von 25) SC-Zellen
der pigmentierten Frettchen haben stärker bei „Licht-Aus“ als bei „Licht-An“ reagiert mit
einem ONF-I < 33%. Definitionsgemäß werden sie als OFF-Zellen eingestuft. Damit findet
man bei beiden Tiergruppen in etwa gleich viele OFF-Zellen.
In Abbildung 27 wird die Häufigkeitsverteilung der 49 ONF-Indizes der Albinofrettchen und
die der 25 ONF-Indizes der pigmentierten Frettchen gezeigt. Die ONF-I der Albinofrettchen
haben einen Median von 48% (Q0,25 = 35%; Q0,75 = 51%) und die der pigmentierten
Frettchen einen Median von 43% (Q0,25 = 40%; Q0,75 = 47%). Der RANG-SUMMEN-TEST
zeigt keinen signifikanten Unterschied zwischen den ONF-Indizes der beiden Tiergruppen
(P = 0,275). Es wird festgestellt, daß die beiden Tiergruppen gleich viele ON-, OFF- und
ON-OFF-Zellen in den oberen Schichten des SC besitzen. Gleichwohl fällt beim
Albinofrettchen eine leichte Tendenz zu mehr bzw. stärkeren OFF-Antworten auf, was sich
im leicht höheren Medianwert widerspiegelt.
5. DS-Indizes und antidrome Identifizierung der NOT-Neuronen
Aufgrund der Eigenschaft „diffus visuell“ konnte an den allermeisten PSTH der NOT-Zellen
des Albinofrettchens keine Richtungspräferenz beobachtet werden. Die Abwesenheit der
Richtungsspezifität stimmte mit dem akustisch unveränderten Geräusch des Rohsignals bzw.
der unveränderten Frequenz des TTL-Signals überein.
Ergebnisse 77
Abbildung 28 zeigt das repräsentative PSTH je einer NOT-Zelle eines albinotischen und
eines pigmentierten Frettchens und veranschaulicht ihr eklatant unterschiedliches
spo ipsi kontra
Albino
Pigmentiert
A
B
Abb. 28: PSTH von jeweils einer NOT-Zelle eines albinotischen (A) und eines pigmentierten (B) Frettchens. Beide Zellen konnten elektrisch von der ipsi-lateralen IO antidrom gereizt werden. Von beiden Zellen wurden 10 Reiz-perioden aufgenommen. A: Die NOT-Zelle des Albinos wird durch die visuelle Reizung nicht moduliert, hat einen DS-Index von Null und wird als richtungs-unspezifisch klassifiziert. B: Im Gegen-satz zur Zelle des Albinofrettchens wird die NOT-Zelle des pigmentierten Frettchens stark moduliert. Sie hat einen DS-I von ca. 0,8 und bevorzugt die normale, d.h. ipsiversive Reizrichtung. y-Achse: Feuerrate in Aktionspotentiale / s; x-Achse: Zeit bzw. Dauer der Reizperioden. Eine Reizperiode dauert insgesamt 5 s [2 s kontraversive (kontra), 2 s ipsiversive Reizung (ipsi) und 1 s Aufnahme der Spontanrate bei stehendem Reizmuster (spo)].
Abb. 27: Häufigkeitsverteilung der ONF-Indizes von 49 SC-Zellen des albinotischen und 25 SC-Zellen des pigmentierten Frettchens. In beiden Tiergruppen werden mehr SC-Zellen mit stärkeren OFF-Antworten (ONF-I < 50%) gefunden. Beim Albino-frettchen beträgt der Median der ONF-Indizes 48% und beim pigmentierten Frettchen 43%. Diese Differenz ist nicht statistisch signifikant (RANG-SUMMEN-TEST, P = 0,275). Die senkrechten, gestrichelten Linien teilen das gesamte Antwortspektrum definitionsgemäß in einen OFF-, ON-OFF- und ON-Bereich.
Albinos
0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100
N
0
2
4
6
8
10
12
14
Pigm.
ONF-I [%]
0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100
N
0
2
4
6
8
10
12
14
N = 49
N = 25
OFF ON-OFF ON
N
N
Ergebnisse 78
Antwortverhalten während horizontaler optokinetischer Reizung. Beide Zellen waren von
der ipsilateralen IO antidrom reizbar. Die NOT-Zelle des Albinofrettchens (Abb. 28A) läßt
sich durch die kontra- (kontra) und ipsiversive (ipsi) Bewegung oder durch das
Stehenbleiben des Reizmusters (spo) nicht beeinflussen, d.h. sie ändert während der ganzen
Reizperiode nicht ihre Spontanrate. Im Gegensatz dazu beobachtet man eine starke
Modulation der NOT-Zelle des pigmentierten Tieres (Abb. 28B). Die Reizbewegung in
Vorzugsrichtung (ipsi) wird von dieser NOT-Zelle mit einer ca. sechsmal höheren Feuerrate
beantwortet als die entgegengesetzte Reizbewegung in Nullrichtung (kontra). Weiterhin ist
auffällig, daß bei Reizung in Nullrichtung ihre Feuerrate unter der Spontanrate liegt, d.h.
diese NOT-Zelle wird durch die kontraversive Reizbewegung inhibiert. Eine solche
Inhibition wurde jedoch nicht bei allen richtungsspezifischen NOT-Zellen des pigmentierten
Frettchens beobachtet.
a) Albinofrettchen
Es wurden insgesamt 198 prätektale Zellen von 16 Albinofrettchen abgeleitet, die aufgrund
ihrer charakteristisch hohen Spontanaktivität und ihrer relativen Lage zum SC und zu Jerk-
Zellen als potentielle NOT-Zellen angesehen werden konnten. Von den 198 Zellen waren
193 Zellen visuell aktivierbar und fünf Zellen nicht. Die Gruppe der 193 visuellen Zellen
beinhaltet die schon erwähnten, explizit als „diffus visuell“ charakterisierten 93 Zellen.
Die ersten 26 der 198 Zellen wurden in frühen Experimenten an vier Tieren abgeleitet, als
noch nicht bekannt war, daß die NOT-Zellen der Albinofrettchen richtungsunspezifisch sind.
Deshalb wurde bei diesen Experimenten noch nicht von der ipsilateralen IO antidrom
gereizt. Da die Erwartung, eine hörbare Richtungsbevorzugung zu finden, nicht erfüllt
wurde, wurden von den meisten dieser richtungsunspezifischen prätektalen Zellen keine
PSTH registriert (Ausnahme fünf Zellen). Die restlichen 172 Zellen wurden auf antidrome
Reizbarkeit von der IO getestet, wobei 58% (99 von 172) Zellen antidrom reizbar und 42%
(73 von 172) Zellen nicht reizbar waren. Von den meisten dieser 172 Zellen existieren
ebenfalls keine PSTH, da die Ableitungen instabil waren.
Von den 99 Zellen, die von der IO antidrom reizbar waren, waren 94 Zellen visuell
aktivierbar. Die übrigen 5% (fünf von 99) Zellen waren die oben erwähnten fünf nicht
visuell aktivierbaren Zellen. Ihre antidromen Latenzen waren: 2,5 ms; 5,5 ms; 1,5 ms; 1,0 ms
und 2,2 ms. Da sie durch Licht nicht gereizt werden konnten, erübrigten sich PSTH-
Aufnahmen. Folglich war auch keine DS-I-Berechnung möglich, so daß diese Zellen nicht in
der Häufigkeitsverteilung der DS-Indizes (siehe unten Abb. 29A) aufgeführt sind.
Ergebnisse 79
Aus der Gesamtgruppe der 198 prätektalen Zellen konnten 42 Zellen ausreichend lange
abgeleitet werden, so daß die Berechnung ihres DS-Indizes möglich war. Diese 42 visuellen
Zellen stammen von zwölf verschiedenen Individuen. Wie schon das PSTH der Beispielzelle
in Abbildung 28A erwarten läßt, haben die meisten dieser 42 Zellen einen DS-Index nahe bei
Null (Median 0,0; Q0,25 = -0,02; Q0,75 = 0,09), was keine oder nur eine sehr schwache
Richtungspräferenz anzeigt. In Abbildung 29A ist die Häufigkeitsverteilung ihrer DS-Indizes
gezeigt. Fünf von diesen 42 prätektalen Zellen wurden nicht auf antidrome Reizbarkeit von
der IO getestet (nt), da sie aus frühen Experimenten stammen, in denen das Kriterium
"antidrome Reizbarkeit von der IO" zur eindeutigen Identifizierung der NOT-Zellen des
Albinofrettchens noch nicht angewandt wurde. Die restlichen 37 Zellen (100%) wurden auf
antidrome Reizbarkeit von der IO getestet, von denen 19% (sieben von 37) nicht reizbar
(IO-) und 81% (30 von 37) reizbar (IO+) waren. Diese 30 Zellen können somit mit
Sicherheit als potentielle Neuronen im neuronalen Schaltkreis des hOKN betrachtet und
definitionsgemäß auch als NOT-Zellen bezeichnet werden. Die DS-Indizes dieser
antidromen NOT-Zellen haben einen Median von 0,00 (Q0,25 = -0,02; Q0,75 = 0,03) und sind
in Abbildung 29A durch die Schraffierung hervorgehoben. Ein DS-Index von Null bedeutet,
daß eine Zelle keine der beiden horizontalen Reizrichtungen bevorzugt und damit
richtungsunspezifisch ist. Die DS-Indizes der fünf nicht getesteten bzw. der sieben
getesteten aber nicht reizbaren prätektalen Zellen unterscheiden sich nicht statistisch
signifikant von den DS-Indizes der 30 antidromen NOT-Zellen (RANG-SUMMEN-TEST,
P = 0,338 bzw. P = 0,194).
Nur zwei antidrom reizbare NOT-Zellen haben einen von Null stark abweichenden DS-I, der
allerdings negativ ist (–0,62 und –0,30). Diese beiden Zellen zeigen also eine Vorzugs-
richtung, die der normalen ipsiversiven Vorzugsrichtung der NOT-Zellen des pigmentierten
Frettchens entgegengesetzt ist. Sie wurden bei demselben Individuum abgeleitet.
In Abbildung 29B ist die Häufigkeitsverteilung der 99 antidromen Latenzen des
Albinofrettchens dargestellt. Sie besitzen einen Median von 2,00 ms (Q0,25 = 1,30 ms, Q0,75 =
2,50 ms) mit einer minimalen Latenz von 0,8 ms und einer maximalen Latenz von 8,5 ms.
Die Latenzen der 30 NOT-Zellen mit DS-Index aus Abbildung 29A sind schraffiert
hervorgehoben und haben einen Median von 2,00 ms (Q0,25 = 1,20 ms, Q0,75 = 2,50 ms) mit
einer minimalen Latenz von 0,9 ms und einer maximalen Latenz von 4,5 ms. Zwischen den
schraffierten und nicht schraffierten Latenzen existiert kein signifikanter Unterschied (RANG-
SUMMEN-TEST, P = 0,351). In Abbildung 30 werden typische, von der IO ausgelöste
antidrome Aktionspotentiale von zwei NOT-Zellen des Albinofrettchens gezeigt. In
Ergebnisse 80
Abbildung 30A sind drei und in Abbildung 30B vier auf den Beginn des Reizpulses (t = 0)
ausgerichtete Potentialspuren dargestellt. Bei beiden NOT-Zellen besitzen die antidromen
Aktionspotentiale in allen Spuren den gleichen Verlauf und die gleiche Latenz (1,2 ms in
Abb. 30A und 2,1 ms in Abb. 30B).
DS-Index
-0.8 -0.6 -0.4 -0.2 0.2 0.4 0.6 0.8-1.0 0.0 1.00
2
4
6
8
10
12
14
16
18
20 24 IO+5 IO- & 8 nt
-0.8 -0.6 -0.4 -0.2 0.2 0.4 0.6 0.8-1.0 0.0 1.0
0
2
4
6
8
10
12
14
16
18
20 30 IO+7 IO- & 5 nt
0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
0
2
4
6
8
10
12
14
16
18
20 30 IO+ mit DS-I 69 IO+ ohne DS-I
Latenz [ms]0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
0
2
4
6
8
10
12
14
16
18
20 24 IO+ mit DS-IC D
A B
N N
N N
Abb. 29: Häufigkeitsverteilungen der DS-Indizes (A, C) und antidromen Reizlatenzen von der IO (B, D) von prätektalen bzw. NOT-Zellen des albinotischen (A, B) und pigmentierten (C, D) Frettchens. A: DS-Indizes von insgesamt 42 prätektalen Zellen des Albinofrettchens. Unter den antidromen Zellen fallen zwei Zellen aufgrund ihres besonders stark negativen DS-Index (-0,62 und –0,30) auf. B: 99 IO+ Reizlatenzen des Albinofrettchens. Die 30 Latenzen der Zellen mit DS-I aus A sind schraffiert. C: DS-Indizes von insgesamt 37 NOT-Zellen des pigmentierten Frettchens. D: IO+ Reizlatenzen aus C. Die DS-Indizes in A unterscheiden sich hoch signifikant von den DS-Indizes in C. Die antidromen Reizlatenzen in B unterscheiden sich nicht signifikant von den Latenzen in D. y-Achsen (N): Anzahl der DS-I in A und C, Anzahl der antidromen Latenzen in B und D. Abkürzungen: IO+ = von der IO antidrom reizbar, IO- = von der IO nicht reizbar, nt = nicht auf Reizbarkeit von der IO getestet.
Ergebnisse 81
Abb: 30: Typische antidrome Aktionspotentiale (Pfeile) von der IO, die an zwei NOT-Zellen zweier Albinofrettchen registriert wurden. Die Potentialverläufe wurden mit einem Fotoapparat vom Monitor des Speicheroszilloskops abfotografiert. Die senkrechten, gepunkteten Linien auf der linken Seite markieren den Zeitpunkt der Reizapplikation (Reizbeginn bei t = 0). A: Das antidrome Aktionspotential der ersten Zelle taucht mit einer Latenz von 1,2 ms auf. Gezeigt werden drei auf t = 0 ausgerichtete Potentialspuren. Die Zelle wurde auch auf Reizbarkeit vom kontralateralen ON und vom ipsilateralen VC getestet und war in beiden Fällen orthodrom reizbar (siehe Abb. 31 und 38B). B: Das antidrome Aktionspotential der zweiten Zelle hat eine Latenz von 2,1 ms. Gezeigt werden 4 auf t = 0 ausgerichtete Potentialspuren. Auch diese Zelle wurde auf Reizbarkeit vom kontralateralen ON und vom ipsilateralen VC getestet, war aber in beiden Fällen nicht orthodrom reizbar. Abszisse: Zeitachse; Ordinate: extrazellulär abgeleitetes Zellpotential.
I. Foto-Nr. 10
23+24.02.1999.aF
Pen-Nr. 14 Tiefe 9163
IO-antidromer Spike (2,3 ms)
1 ms
B
t = 0
II. Foto-Nr. 0
23+24.02.1999.aF
Pen-Nr. 11 Tiefe 7426
IO-antidromer Spike (1,2 ms)
1 ms
A
t = 0
Ergebnisse 82
b) Pigmentierte Frettchen
37 NOT-Zellen wurden von fünf pigmentierten Frettchen abgeleitet. Alle diese Zellen
zeigten eine Präferenz für die ipsiversive Bewegung des Zufallspunktemusters. Die
ipsiversive Reizung führte bei allen 37 NOT-Zellen zu einer Erhöhung der Entladungsrate,
während die kontraversive Reizung die meisten Zellen inhibierte oder zumindest nicht
erregte. Entsprechend haben alle NOT-Zellen des pigmentierten Frettchens einen positiven
DS-Index. Dieses Ergebnis steht im Einklang mit den Ergebnissen von Klauer et al. (1990),
die das physiologische Verhalten der NOT-Zellen des pigmentierten Frettchens eingehender
beschrieben.
Abbildung 29C zeigt die Häufigkeitsverteilung der DS-Indizes der 37 charakterisierten
NOT-Zellen. Alle DS-Indizes sind positiv und ihr Median beträgt 0,29 (Q0,25 = 0,19; Q0,75 =
0,40). Von diesen 37 Zellen wurden 29 Zellen (100%) auf antidrome Reizbarkeit von der IO
getestet. 83% (24 von 29) der Zellen waren antidrom reizbar (IO+, schraffierte Zellen) und
der Median ihrer DS-Indizes beträgt 0,28 (Q0,25 = 0,15, Q0,75 = 0,38). Ein DS-I von 0,33
bedeutet, daß die ipsiversive Reizbewegung mit doppelt so vielen Aktionspotentialen
beantwortet wird wie die kontraversive Reizbewegung. Damit kann festgehalten werden, daß
alle zur IO projizierenden NOT-Zellen der pigmentierten Frettchen eindeutig richtungs-
spezifisch sind und die ipsiversive Reizrichtung bevorzugen. Die Häufigkeitsverteilung der
24 antidromen Reizlatenzen ist in Abb. 29D gezeigt. Die Latenzen befinden sich im Bereich
von 1,0 bis 8,2 ms mit einem Median von 1,55 ms (Q0,25 = 1,05 ms, Q0,75 = 3,50 ms).
Die übrigen 17% (fünf von 29) der prätektalen Zellen waren nicht antidrom reizbar (IO-).
Ihre DS-Indizes unterscheiden sich nicht signifikant von den Indizes der 24 IO+ Zellen
(RANG-SUMMEN-TEST, P = 0,933). Die restlichen acht aus der Gruppe der 37 Zellen
stammen aus frühen Experimenten und wurden nicht getestet (nt). Ihre DS-Indizes
unterscheiden sich ebenfalls nicht von den DS-Indizes der 24 IO+ Zellen (RANG-SUMMEN-
TEST, P = 0,147).
c) Statistischer Vergleich zwischen den beiden Tiergruppen
Die 30 DS-Indizes der von der IO antidrom identifizierten NOT-Zellen der Albinofrettchen
(schraffierte Zellen in Abb. 29A) unterscheiden sich hoch signifikant (RANG-SUMMEN-TEST,
P < 0,0001) von den 24 DS-Indizes der richtungsspezifischen NOT-Zellen des pigmentierten
Frettchens, die ebenfalls von der IO antidrom identifiziert wurden (schraffierte DS-I in
Abb. 29C). Somit findet man bei den Albinofrettchen signifikant weniger (fast keine)
richtungsspezifische NOT-Zellen. Ein Vergleich zwischen der Gesamtgruppe von 42 DS-
Ergebnisse 83
Indizes der Albinofrettchen mit den entsprechenden 37 DS-Indizes der pigmentierten
Frettchen ergibt einen ähnlich hoch signifikanten Unterschied (RANG-SUMMEN-TEST, P <
0,0001). Damit wird das physiologische Korrelat zur optokinetischen Blindheit der
Albinofrettchen und zur morphologischen Unreife ihrer NOT-Zellen (Telkes et al., 2001)
nachgewiesen.
Der statistische Vergleich der 99 bzw. 30 antidromen Reizlatenzen des Albinofrettchens
(Abb. 29B) mit den entsprechenden Latenzen des pigmentierten Frettchens (Abb. 29D) zeigt
keinen signifikanten Unterschied hinsichtlich der Mediane an (RANG-SUMMEN-TEST,
P = 0,965 bzw. P 0,610). Es fällt jedoch auf, daß die NOT-Zellen des pigmentierten
Frettchens zu kürzeren Latenzen tendieren als die NOT-Zellen des Albinofrettchens.
6. Orthodrome Reizung der NOT-Neuronen vom VC
Sowohl beim albinotischen als auch beim pigmentierten Frettchen löste die elektrische
Reizung des ipsilateralen VC immer eine Mehrfachantwort der prätektalen bzw. NOT-Zellen
aus. Die Mehrfachantwort bestand in den allermeisten Fällen aus zwei bis drei orthodromen
Aktionspotentialen, wobei die Anzahl der Potentiale bei den einzelnen NOT-Zellen konstant
war. Zwischen dieser qualitativen Beschreibung und der ensprechenden Beschreibung in
Klauer et al. (1990) findet man erwartungsgemäß keinen Unterschied.
Abbildung 31 zeigt beispielhaft das Antwortverhalten einer NOT-Zelle eines
Albinofrettchens auf die elektrische Reizung des VC. Diese Zelle war auch von der IO
antidrom (siehe Abb. 30A) und vom ON orthodrom (vgl. Abb. 38B) reizbar. Gezeigt werden
insgesamt vier Antworten, d.h. vier Potentialspuren, die alle auf den Reizbeginn (t = 0)
ausgerichtet sind. Sie wurden vom Monitor des Speicheroszilloskops abfotografiert. Jede
Spur zeigt eine Mehrfachantwort, die aus 3 orthodromen Aktionspotentialen besteht, so daß
insgesamt zwölf Aktionspotentiale gezeigt werden, die innerhalb eines ca. 5 ms langen
Zeitfensters (ca. 2,2 bis 7,2 ms) auftauchen. Das dritte Aktionspotential jeder
Mehrfachantwort besitzt eine etwas längere Latenz (6,6 bis 7,2 ms) und sondert sich damit
zeitlich ab. Die jeweils ersten beiden Aktionspotentiale der Mehrfachantworten liegen
innerhalb des Zeitfensters 2,2 bis 5,2 ms.
Ergebnisse 84
a) Albinofrettchen
Insgesamt wurden 72 prätektale Zellen von sechs Albinofrettchen auf ihre orthodrome
Reizbarkeit vom VC getestet. Diese sechs Albinos sind eine Teilmenge der zwölf Tiere, von
denen die DS-Indizes in Abbildung 29A ermittelt wurden. 46 Zellen (64%) waren reizbar,
die restlichen 26 (36%) waren nicht reizbar. Die Häufigkeitsverteilung der jeweils kürzesten
Latenzen der reizbaren Zellen ist in Abbildung 32A dargestellt. Nicht alle 72 getesteten
prätektalen Zellen waren jedoch auch von der IO antidrom reizbar, so daß sie mit Sicherheit
als potentielle Neuronen im hOKN angesehen werden können. Aus 49 von der IO antidrom
reizbaren NOT-Zellen des Albinofrettchens, die auch auf orthodrome Reizbarkeit vom
ipsilateralen VC getestet wurden, waren 31 Zellen (63%) orthodrom aktivierbar. Damit ist
gezeigt, daß beim Albinofrettchen 63% der von der IO antidrom identifizierten,
richtungsunspezifischen NOT-Zellen kortikalen Eingang bekommen. Die Gegenrechnung
Abb: 31: Typische orthodrome Aktionspotentiale, die nach Reizung des VC bei demselben NOT-Neuron wie in Abbildung 30A registriert wurden. Gezeigt werden vier Potentialspuren (vier Reizpulse), die alle zeitlich auf den Reizbeginn ausgerichtet sind. Der Reizbeginn (t = 0) ist durch die senkrechte, gepunktete Linie auf der linken Seite markiert. Jeder einzelne Reizpuls löste bei dieser Zelle drei orthodrome Aktionspotentiale aus, die innerhalb eines ca. 5 ms langen Zeitfensters (von ca. 2,2 ms bis ca. 7,2 ms) registriert wurden. Die ersten beiden Aktionspotentiale jeder Mehrfachantwort bilden eine frühe Gruppe (ca. 2,2 – 5,2 ms Latenz) und das dritte Aktionspotential eine späte Gruppe (ca. 6,6 – 7,2 ms Latenz). Diese Zelle war sowohl antidrom von der IO (Abb. 30A) als auch orthodrom vom ON (Abb. 38B) reizbar. Abszisse: Zeit in ms; Ordinate: extrazellulär abgeleitetes Potential.
III. Foto-Nr. 7
23+24.02.1999.aF
Pen-Nr. 11 Tiefe 7426
VC-orthodrome Spikes
1 ms
t = 0
Ergebnisse 85
besagt, daß von den 72 prätektalen Zellen 23 Zellen nicht von der IO reizbar waren. Von
diesen 23 Zellen waren 15 Zellen ebenfalls vom VC aktivierbar. Dies bedeutet, daß 65% (15
von 23) der prätektalen, nicht zur IO projizierenden Zellen ebenfalls einen VC-Eingang
bekommen. Diese 15 Zellen befinden sich innerhalb des NOT-Areals, d.h. zwischen den
verstreuten, von der IO antidrom identifizierbaren NOT-Zellen. In Abbildung 32A sind die
jeweils kürzesten orthodromen Latenzen der 31 von der IO antidrom identifizierten NOT-
Zellen schraffiert hervorgehoben und befinden sich im Bereich von 2,0 bis 7,5 ms mit einem
Median von 3,0 ms (Q0,25 = 2,6 ms; Q0,75 = 4,0 ms).
In Abbildung 32B ist die Häufigkeitsverteilung der Latenzdifferenzen (längste Latenz minus
kürzeste Latenz) derselben NOT-Zellen dargestellt. Es zeigt sich, daß die orthodromen
Aktionspotentiale der Mehrfachantworten sich innerhalb eines maximalen Zeitfensters
befinden, dessen mediane Breite 2,0 ms (Q0,25 = 1,5 ms; Q0,75 = 4,0 ms) betrug. Die
Latenzdifferenzen der 31 von der IO antidrom identifizierten NOT-Zellen sind analog der
Abbildung 32A schraffiert hervorgehoben.
b) Pigmentierte Frettchen
Die orthodrome Reizung des NOT vom VC wurde auch bei einem pigmentierten Frettchen
durchgeführt. Dieses pigmentierte Tier gehörte zu der Gruppe der fünf Tiere, von denen die
DS-Indizes in Abbildung 29C berechnet wurden. Von diesem Tier konnten 14 vom VC
orthodrom reizbare NOT-Zellen abgeleitet werden, die alle richtungsspezifisch und von der
IO antidrom reizbar waren. Demnach sind bei diesem Tier 100% der NOT-Zellen vom VC
orthodrom reizbar. Im Gegensatz zu diesem Befund geben Klauer et al. (1990) einen
entsprechenden Prozentsatz von 65% (33 von 51) an. Dieser Unterschied wird in der
Diskussion aufgegriffen.
In Abbildung 32C sind die kürzesten orthodromen Latenzen der 14 NOT-Zellen im Bereich
von 2,0 bis 5,5 ms verteilt (Median = 3,25 ms; Q0,25 = 3,0 ms; Q0,75 = 4,0 ms; schraffierte
Latenzen). Zusätzlich zu den 14 Latenzen dieses einen pigmentierten Tieres sind weitere 33
orthodrome Latenzen nicht-schraffiert dargestellt. Diese wurden von Klauer et al. (1990)
entnommen und stammen von richtungsspezifischen NOT-Zellen, die nicht auf Reizbarkeit
von der IO getestet wurden. Ihre Häufigkeitsverteilung deckt sich mit der Häufigkeits-
verteilung der in der vorliegenden Arbeit ermittelten 14 Latenzen. Die entsprechenden
Latenzdifferenzen sind in Abbildung 32D verteilt und besitzen einen Median von 2,0 ms
(Q0,25 = 1,5 ms; Q0,75 = 4,0 ms).
Ergebnisse 86
c) Vergleich zwischen den beiden Tiergruppen
Die 31 orthodromen Latenzen vom VC, die an antidrom reizbaren NOT-Zellen des
Albinofrettchens (schraffierte Latenzen in Abb. 32A) ermittelt wurden, unterscheiden sich
nicht signifikant (RANG-SUMMEN-TEST, P = 0,844) von den entsprechenden 14 Latenzen des
pigmentierten Frettchens (schraffierte Latenzen in Abb. 32C).
Abb. 32: Häufigkeitsverteilung der orthodromen Reizlatenzen vom VC (A, C) und der entsprechenden Latenzdifferenzen (B, D) der prätektalen bzw. NOT-Zellen des albinotischen (A, B) und pigmentierten Frettchens (C, D). Die schraffiert markierten Latenzen und Latenzdifferenzen sind von NOT-Zellen, die von der IO antidrom reizbar waren. A: Vom Albinofrettchen waren 46 von 72 getesteten prätektalen Zellen orthodrom reizbar. Die schraffierten 31 Latenzen stammen von antidromen NOT-Zellen und bilden eine Teilmenge aus 49 auf Reizbarkeit von der IO getesteten prätektalen Zellen. B: Häufigkeitsverteilung der maximalen Latenzdifferenzen (längste minus kürzeste Latenz) aus A. C: Von einem pigmentierten Frettchen wurden 14 NOT-Zellen orthodrom vom VC gereizt, die alle auch von der IO antidrom reizbar (IO+) und richtungsspezifisch (DS+) waren. Die übrigen 33 Latenzen in C wurden zu Vergleichszwecken der Literatur entnommen (Klauer et al., 1990). Diese Zellen sind laut Klauer et al. (1990) richtungsspezifische (DS+) NOT-Zellen, die aber nicht auf Reizbarkeit von der IO getestet wurden. D: Häufigkeitsverteilung der maximalen Latenzdifferenzen aus B. y-Achsen: Anzahl der Latenzen in A und C, Anzahl der Latenzdifferenzen in B und D.
0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
0
2
4
6
8
10
12
14
16
31 IO+ 15 IO-
0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
0
2
4
6
8
10
12
14
1631 IO+15 IO-
Latenz [ms]0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
0
2
4
6
8
10
12
14
1614 IO+ & DS+33 DS+ (Klauer et al., 1990)
Latenzdifferenz [ms]0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
0
2
4
6
8
10
12
14
16
14 IO+ & DS+ 0 IO-
C D
A B
N N
N N
Ergebnisse 87
Betrachtet man die Verteilung aller 47 orthodromen Latenzen des pigmentierten Frettchens
(Summe aus 14 eigenen und 33 Latenzen aus Klauer et al., 1990) so befinden sie sich im
Bereich von 1 bis 6,5 ms. Ein statistischer Vergleich dieser Gesamtgruppe von 47 Latenzen
mit den 31 Latenzen des Albinofrettchens ist nur mit dem χ2-TEST möglich. Der Grund dafür
ist, daß Klauer et al. (1990) nicht die einzelnen Latenzwerte zur Verfügung stellen, sondern
die absoluten Häufigkeiten. Der χ2-TEST liefert ein P = 0,804 und zeigt damit eine fehlende
Signifikanz für einen Unterschied zwischen den beiden Häufigkeitsverteilungen (schraffierte
Verteilung in Abb. 32A und gesamte Verteilung in Abb. 32C). Somit finden wir bei beiden
Tiergruppen kortikale NOT-Eingänge, die sich hinsichtlich ihrer Leitungsgeschwindigkeit
nicht voneinander unterscheiden.
Zwischen den in Abbildung 32B schraffierten Latenzdifferenzen des albinotischen
Frettchens und den entsprechenden Differenzen des pigmentierten Frettchens in
Abbildung 32D läßt sich ebenfalls kein signifikanter Unterschied feststellen (RANG-
SUMMEN-TEST, P = 0,087).
7. Antidrome Reizung der VC-Neuronen vom NOT und / oder SC
Die rezeptiven Felder der untersuchten VC-Zellen befanden sich im zentralen Gesichtsfeld
der Versuchstiere innerhalb des Bereichs –10° bis +25° Sehwinkel Azimut und +20° bis
–15° Sehwinkel Elevation.
a) Anzahl der untersuchten VC-Neuronen
(1) Albinofrettchen
Insgesamt wurden sieben Albinofrettchen untersucht. Bei einem Albinofrettchen wurde
keine elektrische Reizung durchgeführt. Bei drei Tieren wurde der NOT elektrisch gereizt
und bei den übrigen drei Tieren wurde sowohl der NOT als auch der SC gereizt.
Insgesamt wurden 123 visuelle Zellen des VC untersucht. Von 86 Zellen wurden die DS-
Indizes berechnet (Abb. 33A). Von den restlichen 37 Zellen wurden keine DS-Indizes
berechnet, weil sie entweder nicht lange genug abgeleitet werden konnten oder durch die
Reizung mit der Handlampe eindeutig als richtungsunspezifisch identifiziert wurden.
§ Von den 123 Zellen wurden 78 Zellen auf Reizbarkeit vom NOT getestet und 45 Zellen
nicht getestet. Von den getesteten Zellen waren 30 Zellen (38% von 78) antidrom
(NOTanti+), 20 Zellen (26% von 78) orthodrom (NOTortho+) und 28 Zellen (36% von 78)
gar nicht (NOT–) reizbar.
Ergebnisse 88
§ Von den 78 auf Reizbarkeit vom NOT getesteten Zellen wurden 19 Zellen auch auf Reiz-
barkeit vom SC getestet. Keine der 19 Zellen war antidrom reizbar (SCanti+). Vier (21%
von 19) Zellen waren orthodrom (SCortho+) und 15 Zellen (79% von 19) waren überhaupt
nicht (SC–) vom SC reizbar.
§ Eine Zelle war sowohl vom NOT als auch vom SC orthodrom aktivierbar.
(2) Pigmentierte Frettchen
Insgesamt wurden 63 VC-Zellen von vier pigmentierten Frettchen untersucht (Abb. 33B).
Bei einem der vier pigmentierten Tiere wurde nur der NOT elektrisch gereizt. Von diesem
Tier konnte nur eine VC-Zelle abgeleitet werden. Bei den drei anderen Tieren wurde sowohl
der NOT, als auch der SC elektrisch gereizt. Deshalb wurden fast genau so viele VC-Zellen
auf Reizbarkeit vom NOT wie auch auf Reizbarkeit vom SC getestet. Von 16 VC-Zellen
wurden die DS-Indizes berechnet.
§ Von den 63 Zellen des VC wurden 62 Zellen auf Reizbarkeit vom NOT getestet. 14 Zellen
(23% von 62) waren NOTanti+, fünf Zellen waren (8% von 62) NOTortho+ und 43 Zellen
(69% von 62) NOT–.
§ Von den 62 auf Reizbarkeit vom NOT getesteten VC-Neuronen wurden 61 Neuronen auch
auf Reizbarkeit vom SC getestet. Davon waren elf (18% von 61) SCanti+, drei Zellen (5%
von 61) SCortho+ und 47 Zellen (77% von 61) SC–.
§ Zwei VC-Neuronen waren sowohl vom NOT als auch vom SC antidrom reizbar. Eine Zelle
war von beiden Reizorten orthodrom reizbar.
b) Richtungsspezifität und Vorzugsstärke im VC
Im Rahmen der Untersuchung des kortikalen NOT-Eingangs hinsichtlich seines
Informationsgehaltes sollten zunächst folgende Fragen beantwortet werden:
• Besitzt das Albinofrettchen richtungsspezifische Neuronen im visuellen Kortex?
• Besitzt das Albinofrettchen verhältnismäßig genau so viele richtungsspezifische VC-
Neuronen wie das pigmentierte Frettchen?
• Besitzen beide Tiergruppen relativ gleich viele vom NOT antidrom reizbare VC-Neuronen?
• Haben die richtungsspezifischen VC-Neuronen bei beiden Tiergruppen gleich hohe DS-
Indizes?
• Besitzen beide Tiergruppen richtungsspezifische VC-Neuronen, die sowohl die Bedingung
„antidrome Reizbarkeit vom NOT“ als auch die Bedingung „visuell reizbar mit dem
großflächigen Zufallspunktemuster“ erfüllen?
Ergebnisse 89
Zur Beantwortung dieser Fragen wurden die DS-Indizes der untersuchten VC-Neuronen
benötigt, jedoch nicht ihre Vorzugsrichtungen. Deshalb werden in Abbildung 33 die
Häufigkeitsverteilungen der 86 DS-Indizes des albinotischen (A) und der 16 DS-Indizes des
pigmentierten (B) Frettchens unabhängig von der Vorzugsrichtung gezeigt.
(1) Albinofrettchen
Beim Albinofrettchen sind die 86 DS-Indizes im gesamten Bereich zwischen 0 und 1 verteilt
mit einem Median von 0,36 (Q0,25 = 0,22; Q0,75 = 0,60). 55% (47 von 86) der VC-Zellen
haben einen DS-I ≥ 0,33 (Abb. 33A). Ein DS-I von 0,33 zeigt an, daß die Zelle bei Reizung
in ihrer Vorzugsrichtung um 100% stärker feuert als bei Reizung in ihrer Nullrichtung. Dies
bedeutet, daß 55% der VC-Zellen des Albinofrettchens eine Vorzugsrichtung haben, die sie
mindestens um 50% stärker beantworten als die entgegengesetzte Nullrichtung.
Damit ist die erste Frage beantwortet: Das Albinofrettchen besitzt richtungsspezifische
Zellen im visuellen Kortex.
Von diesen 86 VC-Zellen wurden 41 Zellen auf Reizbarkeit vom ipsilateralen NOT getestet.
Die DS-Indizes dieser 41 Zellen sind in Abbildung 33A grau markiert. Davon waren 32%
(13 von 41) antidrom reizbar (NOT+) und 68% (28 von 41) nicht reizbar (NOT–). Die NOT+
Zellen sind in Abbildung 33A durch die Schraffierung hervorgehoben und befinden sich in
der kortikalen Schicht V, wie die Histologie zeigte (vgl. Abb. 25). Es ist auffällig, daß unter
den NOT+ Zellen auch solche Zellen zu finden sind, die einen relativ hohen DS-I besitzen
(z.B. > 0,2) und folglich eindeutig richtungsspezifisch sind. 54 % (7 von 13) der NOT+
Zellen haben einen DS-I ≥ 0,33.
Damit wird festgestellt, daß beim Albinofrettchen die Projektion der kortikalen Schicht V
auf den NOT unter anderem von richtungsspezifischen Zellen gebildet wird.
(2) Pigmentierte Frettchen
Die 16 DS-Indizes des pigmentierten Frettchens sind zwischen 0 und 0,7 verteilt und haben
einen Median von 0,21 (Q0,25 = 0,09; Q0,75 = 0,34). Für 38% (6 von 16) der DS-Indizes gilt ≥
0,33. Dieser Prozentsatz liegt unter dem korrespondierenden Wert des Albinofrettchens
(55%). Somit findet man in der kleinen Stichprobe beim pigmentierten Frettchen relativ
weniger richtungsspezifische VC-Zellen als beim albinotischen Frettchen.
Alle 16 VC-Zellen des pigmentierten Frettchens sind auf Reizbarkeit vom ipsilateralen NOT
getestet (NOT-getestet), weshalb alle DS-Indizes in Abbildung 33B grau markiert sind.
Davon waren sechs (38% von 16) Zellen antidrom reizbar (NOT+, schraffierte DS-Indizes).
Ergebnisse 90
Somit liegt beim pigmentierten Frettchen der Prozentsatz der vom NOT antidrom reizbaren
VC-Zellen in einer ähnlichen Größenordnung wie beim Albinofrettchen (32% von 41). Aus
dieser Übereinstimmung wird die Schlussfolgerung gezogen, daß sich albinotische und
pigmentierte Frettchen hinsichtlich der Stärke ihrer kortikoprätektalen Projektion nicht
unterscheiden. Damit wird der entsprechende Befund aus der orthodromen Reizung der
NOT-Zellen vom VC bestätigt (siehe oben).
50% (3 von 6) der NOT+ VC-Zellen haben einen DS-I ≥ 0,33. Der analoge Prozentsatz des
Albinofrettchens ist 54%. Dies deutet darauf hin, daß sich die richtungsspezifischen, zum
NOT projizierenden VC-Zellen in beiden Tiergruppen hinsichtlich ihrer Vorzugsstärke nicht
unterscheiden.
(3) Statistischer Vergleich zwischen den beiden Tiergruppen
Die 86 DS-Indizes der Albinofrettchen (Abb. 33A) unterscheiden sich signifikant von den
entsprechenden 16 DS-Indizes der pigmentierten Frettchen in Abbildung 33B (RANG-
Abb. 33: Häufigkeitsverteilung der DS-Indizes von VC-Neuronen des albinotischen (A) und pigmentierten Frettchens (B). A: Die DS-Indizes der 86 VC-Neuronen des Albinofrettchens besitzen einen Median von 0,36. 41 dieser Zellen wurden auf Reizbarkeit vom ipsilateralen NOT getestet, von denen 13 antidrom reizbar waren. B: Beim pigmentierten Frettchen wurde der DS-Index von insgesamt 16 VC-Zellen berechnet (Median = 0,21). Alle 16 Zellen wurden auch auf Reizbarkeit vom NOT getestet. Sechs Zellen waren antidrom reizbar. Die DS-Indizes in A unterscheiden sich statistisch signifikant von den entsprechenden Werten in B (RANG-SUMMEN-TEST, P = 0,013). Vergleicht man nur die schraffierten DS-Indizes miteinander, so findet man beim Albinofrettchen 54% (sieben von 13) und beim pigmentierten Frettchen 50 % (drei von sechs) der DS-Indizes ≥ 0,33. y-Achsen (N): Anzahl der DS-Indizes.
gesamt auf Reizbarkeit vom NOT getestet vom NOT antidrom reizbar
SUMMEN-TEST, P = 0,013). Dieser Befund spiegelt sich auch in den unterschiedlich großen
Medianen und Quartilen (siehe oben) wider. Somit kann festgestellt werden, daß die
richtungsspezifischen VC-Zellen des Albinofrettchens stärker eine Richtung bevorzugen als
die entsprechenden Zellen des pigmentierten Frettchens.
c) Anti- und orthodrome Reizlatenzen im VC
Die elektrische Reizung des NOT konnte prinzipiell sowohl zu einer antidromen, als auch zu
einer orthodromen Aktivierung der VC-Zellen führen. Die antidrome Reizung erfolgt
definitionsgemäß über eine direkte Faserverbindung, während die orthodrome Reizung in
diesem Falle über eine Umschaltung im Thalamus erfolgen kann. Bei den einzelnen Zellen
wurde allerdings entweder eine antidrome oder eine orthodrome Aktivierung beobachtet.
Abbildung 34 zeigt beispielhaft das vom NOT antidrom ausgelöste Aktionspontial einer VC-
Zelle eines Albinofrettchens, die positiv auf den Kollisionstest reagierte. Sowohl im oberen
Teil als auch im unteren Teil der Abbildung sind jeweils vier Potentialspuren gezeigt, die
vom Monitor des Speicheroszilloskops abfotografiert wurden. Alle Spuren sind auf den
Reizbeginn (t = 0) ausgerichtet. Die oberen Spuren zeigen zunächst den Kollisionstest: Das
antidrome Aktionspotential ist nicht zu sehen, weil der Reizpuls durch ein spontanes
Aktionspotential (Auslösepotential) mit einer Verzögerung von 1 ms ausgelöst wird. Diese
Verzögerung ist kürzer als die Latenz des antidromen Aktionspotentials (1,3 ms), so daß das
spontane Auslösepotential mit dem antidromen Aktionspotential auf dem Axon kollidiert.
Infolgedessen löschen sich die beiden Aktionspontentiale aus und das antidrome Aktions-
potential kann nicht mehr rechtzeitig an der VC-Ableitelektrode bzw. auf dem Monitor
erscheinen. Als anschließend der Reizpuls extern durch den Experimentator ausgelöst wurde,
blieb die Kollision aus und das antidrome Aktionspotential erschien mit derselben Latenz
und Form wieder (Abb. 34 untere Spuren) wie vor dem Kollisionstest (hier nicht gezeigt).
(1) Albinofrettchen
Insgesamt wurden 30 VC-Zellen des Albinofrettchens vom ipsilateralen NOT antidrom
gereizt. Die Häufigkeitsverteilung der antidromen Latenzen wird in Abbildung 35A gezeigt.
Die kürzeste Latenz ist 1,0 ms und die längste Latenz 8,0 ms. Der Median beträgt 1,4 ms
(Q0,25 = 1,3 ms; Q0,75 = 2,2 ms).
Weitere 20 Neuronen des VC des Albinofrettchens waren vom NOT orthodrom reizbar. In
Abbildung 35B ist die Häufigkeitsverteilung der jeweils kürzesten orthodromen Reizlatenzen
Ergebnisse 92
gezeigt. Die kürzeste Latenz ist 1,0 ms und die längste Latenz 3,5 ms. Der Median beträgt
2,0 ms (Q0,25 = 1,5 ms; Q0,75 = 2,5 ms).
(2) Pigmentierte Frettchen
Beim pigmentierten Frettchen konnten 14 VC-Neuronen vom ipsilateralen NOT antidrom
(Abb. 35C) und 5 VC-Neuronen orthodrom (Abb. 35D) gereizt werden. Die antidromen
Reizlatenzen befinden sich im Bereich zwischen 1,2 ms (kürzeste Latenz) und 2,9 ms
(längste Latenz) mit einem Median von 1,4 ms (Q0,25 = 1,4 ms; Q0,75 = 1,6 ms). Die
orthodromen Latenzen befinden sich zwischen 1,5 und 2,6 ms mit einem Median von 2,3 ms
(Q0,25 = 2,0 ms; Q0,75 = 2,5 ms).
(3) Statistischer Vergleich zwischen den beiden Tiergruppen
Die 30 antidromen Latenzen von VC-Zellen des Albinofrettchens (Abb. 35A) unterscheiden
sich nicht signifikant von den 14 in Abbildung 35C dargestellten Latenzen des pigmentierten
Frettchens (RANG-SUMMEN-TEST, P = 0,554). Damit findet man zwischen albinotischen und
pigmentierten Frettchen keinen Unterschied hinsichtlich der Leitungsgeschwindigkeit der
Abb. 34: Typisches antidromes Aktionspotential einer VC-Zelle des Albino-frettchens nach elektrischer Reizung des NOT und positiver Kollisionstest. Obere Spuren: Der Reizpuls wird durch ein spontanes Aktionspotential (Auslösepotential, Pfeil a) mit einer Verzögerung von 1 ms ausgelöst. Das antidrome Aktionspotential ist nicht zu sehen, weil es mit dem spontanen Aktionspotential kollidiert und sich die beiden Potentiale gegenseitig auslöschen (positiver Kollisionstest). Untere Spuren: Wenn der Reizpuls extern (nicht durch ein Auslösepotential) mit 1 ms Verzögerung ausgelöst wird, kommt keine Kollision zustande und das antidrome Aktionspotential (Pfeil b) erscheint in allen vier Spuren. Abszisse: Zeit in ms; Ordinate: extrazellulär abgeleitetes Potential.
IV. Foto-Nr. 6
24+25.07.2000.aF
Pen-Nr. C1 Tiefe 6366 µm
a) Kollisionstest positiv (antidromer Spike ist weg)
A
1 ms
t = -1 t = 0
a
b
Ergebnisse 93
kortikoprätektalen Fasern. Dies bestätigt den entsprechenden Befund aus der orthodromen
Reizung der NOT-Zellen vom VC (vgl. Abb. 32A mit
Abb. 32C).
Die orthodromen Reizlatenzen vom NOT (Abb. 35B und D) unterscheiden sich ebenfalls
nicht signifikant zwischen den beiden Tiergruppen (RANG-SUMMEN-TEST, P = 0,683).
d) Antidrome Reizbarkeit der VC-Neuronen und visuelle Reize
(1) Albinofrettchen
Von den 30 vom NOT antidrom reizbaren VC-Zellen wurden fünf Zellen nur mit einem
Lichtpunkt (24 cm ∅) visuell gereizt, so daß keine Aussage darüber gemacht werden kann,
Abb. 35: Antidrome (A, C) und orthodrome (B, D) Reizlatenzen von VC-Neuronen des albinotischen (A, B) und des pigmentierten (C, D) Frettchens, die nach elektrischer Reizung des NOT registriert wurden. Als orthodrome Latenzen sind die jeweils kürzesten Latenzen aufgetragen. N = Gesamtanzahl der Latenzen bzw. der vom NOT-Areal aktivierten VC-Zellen. y-Achsen (N): Anzahl der Latenzen.
0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
0
2
4
6
8
10
12
14
16
18
20
N = 30
0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
0
2
4
6
8
10
12
14
16
18
20
N = 20
0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
0
2
4
6
8
10
12
14
16
18
20
N = 14
0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
0
2
4
6
8
10
12
14
16
18
20
N = 5
C D
A B
N N
N N
Latenz [ms] Latenz [ms]
Ergebnisse 94
ob sie auch mit dem Lichtbalken und Zufallspunktemuster reizbar waren. Weitere 24 Zellen
waren mit dem Lichtbalken und 14 von diesen auch mit dem großen Zufallspunktemuster
visuell reizbar. Von diesen 14 Zellen wurde eine Zelle als richtungsunspezifisch
charakterisiert. Von den restlichen 13 Zellen wurde der DS-Index berechnet (schraffierte DS-
Indizes in Abb. 33A).
(2) Pigmentierte Frettchen
Von den 14 vom NOT antidrom reizbaren VC-Zellen waren neun Zellen nur mit dem
Lichtbalken und fünf Zellen auch mit dem Zufallspunktemuster visuell reizbar. Die sechs in
Abbildung 33B schraffierten DS-Indizes stammen von diesen fünf Zellen und von einer der
neun Zellen.
Damit kann festgestellt werden, daß sowohl die pigmentierten als auch die albinotischen
Frettchen richtungsspezifische VC-Zellen besitzen, die sowohl das Kriterium „antidrome
Reizbarkeit vom NOT“ als auch das Kriterium „visuell reizbar mit dem großflächigen
Zufallspunktemuster“ erfüllen.
e) Vorzugsrichtungen der VC-Neuronen
Unterscheiden sich die beiden Tiergruppen hinsichtlich der Vorzugsrichtungen der zum NOT
projizierenden VC-Neuronen? Zur Beantwortung dieser Frage ist lediglich eine eindeutige
Zuordnung der Vorzugsrichtung in einen der acht Sektoren des Gesichtsfeldes notwendig,
was auch mit der Handlampe ausreichend genau vorgenommen werden konnte. Deshalb
werden hier zusätzlich zu den Vorzugsrichtungen der VC-Zellen mit DS-Index auch die
Vorzugsrichtungen der richtungsspezifischen Zellen, die nur mit der Handlampe untersucht
wurden, berücksichtigt.
(1) Albinofrettchen
In Abbildung 36A sind die 86 DS-Indizes, die in Abbildung 33A unabhängig von der
Vorzugsrichtung dargestellt wurden, nach ihrer Vorzugsrichtung gruppiert. Jede
Teilabbildung zeigt die Häufigkeitsverteilung der DS-Indizes von denjenigen VC-Zellen,
deren Vorzugsrichtung innerhalb eines der acht 45°-Sektoren fällt. Die Position einer
Teilabbildung entspricht der Position des 45°-Sektors (vgl. Material und Methoden). Die DS-
Indizes von VC-Zellen, die auf Reizbarkeit vom NOT getestet wurden, sind weiterhin grau
und die von antidromen (NOT+) Zellen weiterhin schraffiert hervorgehoben. Man findet in
jedem Sektor DS-Indizes, d.h. im VC des Albinofrettchens sind alle Vorzugsrichtungen
Ergebnisse 95
repräsentiert. Innerhalb eines jeden Sektors befinden sich sowohl niedrige als auch höhere
DS-I-Werte, d.h. alle Vorzugsrichtungen werden gleich stark bevorzugt.
0 unten
oben 0
0
0 kontra
0 1
ipsi 5
0
B Abb. 36: Vorzugsrichtungen der VC-Zellen des Albinofrettchens, die auf Reizbarkeit vom ipsilateralen NOT getestet wurden. A: Aufspaltung der 86 DS-Indizes aus Abbildung 33A in die acht Sektoren des Gesichtsfeldes (ipsi, ipsi-unten, unten, kontra-unten, kontra, kontra-oben, oben, ipsi-oben). Jede Teilabbildung stellt die Häufigkeitsverteilung der DS-Indizes von VC-Zellen dar, deren Vorzugsrichtungen innerhalb des entsprechenden Sektors fallen. B: Vorzugs-richtungen der sechs vom NOT antidrom reizbaren Zellen, die nur mit der Handlampe untersucht wurden.
A
0.0 0.1 0.2 0.3 0.4 0.5 0.6 0.7 0.8 0.9 1.00
1
2
3
4
5
N = 3 / 4 / 12
0.0 0.1 0.2 0.3 0.4 0.5 0.6 0.7 0.8 0.9 1.00
1
2
3
4
5
N = 2 / 7 / 12
0.0 0.1 0.2 0.3 0.4 0.5 0.6 0.7 0.8 0.9 1.00
1
2
3
4
5
N = 1 / 5 / 11
0.0 0.1 0.2 0.3 0.4 0.5 0.6 0.7 0.8 0.9 1.00
1
2
3
4
5
N = 1 / 3 / 3
0.0 0.1 0.2 0.3 0.4 0.5 0.6 0.7 0.8 0.9 1.00
1
2
3
4
5
N = 3 / 6 / 12
0.0 0.1 0.2 0.3 0.4 0.5 0.6 0.7 0.8 0.9 1.00
1
2
3
4
5
N = 1 / 10 / 15
0.0 0.1 0.2 0.3 0.4 0.5 0.6 0.7 0.8 0.9 1.00
1
2
3
4
5
N = 0 / 1 / 7
0.0 0.1 0.2 0.3 0.4 0.5 0.6 0.7 0.8 0.9 1.00
1
2
3
4
5
N = 2 / 5 / 14
gesamt auf Reizbarkeit vom NOT getestet vom NOT antidrom reizbar
ipsi kontra
oben
unten
Ergebnisse 96
Es ist auffällig, daß die 13 schraffierten DS-Indizes sich nicht in einem bestimmten Sektor
anhäufen. Vielmehr findet man in fast allen Sektoren schraffierte DS-Indizes (mit Ausnahme
des Sektors kontra-unten, was aber angesichts der relativ kleinen Datenmenge als Zufall
angesehen werden kann). Diese Verteilung zeigt, daß die Vorzugsrichtungen der vom NOT
antidrom reizbaren VC-Zellen gleichverteilt sind, d.h. daß alle Vorzugsrichtungen unter
diesen VC-Zellen repräsentiert sind.
Innerhalb eines Sektors können die schraffierten DS-Indizes sowohl niedrige als auch höhere
Werte haben. Dieser Befund zeigt, daß die Vorzugsstärken der vom NOT antidrom reizbaren
VC-Zellen ebenfalls gleichverteilt sind, d.h. die zum NOT projizierenden VC-Zellen können
unabhängig von der bevorzugten Richtung sowohl schwach als auch stark
richtungsspezifisch sein.
In Abbildung 36B sind die Vorzugsrichtungen von weiteren sechs vom NOT antidrom
reizbaren (NOTanti+), richtungsspezifischen VC-Zellen (DS) des Albinofrettchens
angegeben. Von diesen Zellen wurden keine DS-Indizes berechnet, so daß keine Aussage
über ihre Vorzugsstärke möglich ist. Ihre Vorzugsrichtung wurde mit der Handlampe
bestimmt. Von den sechs Zellen bevorzugten fünf die ipsiversive (ipsi) Richtung und eine
Zelle die Richtung nach ipsi-unten.
(2) Pigmentierte Frettchen
Die Verteilung der 16 DS-Indizes (vgl. Abb. 33B) der pigmentierten Frettchen in die acht
Sektoren des Gesichtsfeldes ist in Abbildung 37A gezeigt. Unter diesen 16 Zellen findet man
nicht alle Vorzugsrichtungen repräsentiert und mehr als die Häfte der VC-Zellen haben eine
horizontale Vorzugsrichtung. Dies bedeutet jedoch nicht, daß dieser Befund für die gesamte
Zellpopulation des pigmentierten Frettchens repräsentativ ist. Denn von den meisten Zellen
wurden keine Aufnahmen gemacht, wenn aus der Reizung mit der Handlampe hervorging,
daß sie keine horizontale Richtung bevorzugten. Der Grund für die Auswahl der beiden
horizontalen Richtungen lag darin, möglichst viele Zellen mit ipsi- und kontraversiver
Vorzugsrichtung auf antidrome Reizbarkeit vom NOT zu testen. Damit sollte möglichst
schnell ermittelt werden, ob alle zum NOT projizierenden VC-Zellen des pigmentierten
Frettchens nur die ipsiversive Richtung bevorzugen. Das erzielte Ergebnis in Abbildung 37A
erlaubt jedoch keine Aussage, weil die Anzahl der Zellen mit DS-I sehr klein ist.
Ergebnisse 97
1 unten
oben 0
1
2 kontra
1 0
ipsi 1
0
B Abb. 37: Vorzugsrichtungen der VC-Zellen des pigmentierten Frettchens, die auf Reizbarkeit vom ipsilateralen NOT getestet wurden. A: Aufspaltung der 16 DS-Indizes aus Abbildung 33B in die acht Sektoren des Gesichtsfeldes. B: Vorzugs-richtungen der sechs vom NOT antidrom reizbaren (NOTanti+) Zellen, die nur mit der Handlampe untersucht wurden. Darstellungsform und Abkürzungen sind die gleichen wie für das Albinofrettchen in Abbildung 36.
A
0.0 0.1 0.2 0.3 0.4 0.5 0.6 0.7 0.8 0.9 1.00
1
2
3
4
5
N = 1 / 10 / 15
0.0 0.1 0.2 0.3 0.4 0.5 0.6 0.7 0.8 0.9 1.00
1
2
3
4
5
N = 0 / 0 / 0
0.0 0.1 0.2 0.3 0.4 0.5 0.6 0.7 0.8 0.9 1.00
1
2
3
4
5
N = 0 / 0 / 0
0.0 0.1 0.2 0.3 0.4 0.5 0.6 0.7 0.8 0.9 1.00
1
2
3
4
5
N = 0 / 0 / 0
0.0 0.1 0.2 0.3 0.4 0.5 0.6 0.7 0.8 0.9 1.00
1
2
3
4
5
N = 1 / 6 / 6
0.0 0.1 0.2 0.3 0.4 0.5 0.6 0.7 0.8 0.9 1.00
1
2
3
4
5
N = 2 / 4 / 4
0.0 0.1 0.2 0.3 0.4 0.5 0.6 0.7 0.8 0.9 1.00
1
2
3
4
5
N = 1 / 2 / 2
0.0 0.1 0.2 0.3 0.4 0.5 0.6 0.7 0.8 0.9 1.00
1
2
3
4
5
N = 0 / 1 / 1
0.0 0.1 0.2 0.3 0.4 0.5 0.6 0.7 0.8 0.9 1.00
1
2
3
4
5
N = 2 / 3 / 3
ipsi kontra
oben
unten
gesamt auf Reizbarkeit vom NOT getestet vom NOT antidrom reizbar
Ergebnisse 98
Weitere 29 richtungsspezifische VC-Zellen des pigmentierten Frettchen wurden mit der
Handlampe untersucht. Von diesen wurden 28 Zellen auf Reizbarkeit vom NOT getestet.
Sechs Zellen waren NOTanti+, zwei Zellen waren NOTortho+ und 20 Zellen waren überhaupt
nicht reizbar (NOT-). Von besonderem Interesse sind in diesem Falle die Vorzugsrichtungen
der NOTanti+ Zellen, die in Abbildung 37B dargestellt werden. Von den sechs NOTanti+
Zellen bevorzugte nur eine Zelle die ipsiversive Richtung. Von den übrigen fünf Zellen
bevorzugten zwei Zellen die kontraversive Richtung und jeweils eine Zelle die Richtung
nach unten, nach kontra-oben und nach kontra-unten. Dieser Befund spricht eindeutig gegen
die Hypothese, nach der alle vom NOT antidrom reizbaren VC-Zellen des pigmentierten
Frettchens die ipsiversive Richtung bevorzugen.
Insgesamt kann aus den Abbildungen 37A und B geschlossen werden, daß die
Vorzugsrichtungen der zum NOT projizierenden VC-Zellen des pigmentierten Frettchens,
wie zuvor auch beim Albinofrettchen festgestellt, gleichverteilt sind.
f) Vom NOT und SC reizbare VC-Neuronen
(1) Albinofrettchen
Unter den 19 VC-Zellen, die bei drei Albinofrettchen auf Reizbarkeit sowohl vom SC als
auch vom NOT getestet wurden, befand sich keine einzige Zelle, die von beiden Reizorten
antidrom reizbar war. Eine Zelle war von beiden Orten orthodrom aktivierbar mit einer
Latenz von 2,5 ms nach Reizung des NOT und 3,0 ms nach Reizung des SC. Sie wurde mit
Hilfe der Handlampe als richtungsunspezifische Zelle charaktierisiert.
(2) Pigmentiertes Frettchen
Von den 61 VC-Zellen der drei pigmentierten Frettchen, die auf Reizbarkeit sowohl vom
NOT als auch vom SC getestet wurden, waren 3% (zwei von 61) in beiden Fällen antidrom
reizbar. Die erste Zelle bevorzugte die Richtung nach kontraversiv und besaß eine antidrome
Latenz von 2,7 ms nach Reizung des NOT und eine antidrome Latenz von 3,0 ms nach
Reizung des SC. Ihr DS-Index konnte nicht berechnet werden. Die zweite Zelle bevorzugte
ebenfalls die Richtung nach kontraversiv und besaß einen DS-I von 0,16. Ihre antidromen
Latenzen waren 2,6 ms (nach Reizung des NOT) und 2,7 ms (nach Reizung des SC). Es
erscheint einerseits wahrscheinlich, daß es sich bei diesen beiden VC-Zellen um Zellen
handelt, deren Axone sich aufzweigen und sowohl den NOT als auch den SC innervieren.
Andererseits aber findet man im SC viele richtungsspezifische Neuronen mit einer
kontraversiven Vorzugsrichtung und diese beiden VC-Zellen bevorzugten ebenfalls die
Ergebnisse 99
kontraversive Richtung. Deshalb erscheint es wahrscheinlicher, daß sie nur den SC
innervieren.
Eine dritte VC-Zelle war sowohl vom NOT als auch vom SC orthodrom aktivierbar. Ihre
kürzesten orthodromen Latenzen waren 2,4 ms (nach Reizung des NOT) und 2,5 ms (nach
Reizung des SC). Sie bevorzugte die ipsiversive Reizung mit einem DS-I von 0,64.
(3) Vergleich zwischen den beiden Tiergruppen
Sowohl beim albinotischen als auch beim pigmentierten Frettchen wurden relativ wenige
VC-Zellen abgeleitet, die sowohl vom NOT als auch vom SC reizbar waren. Insofern hätte
ein statistischer Vergleich der Latenzen keine Aussagekraft. Es ist jedoch auffällig, daß die
antidromen und orthodromen Latenzen vom NOT immer etwas kürzer sind als die
entsprechenden Latenzen vom SC. Dies deutet darauf hin, daß sowohl der antidrome Weg
als auch alle möglichen orthodromen Wege zwischen VC und NOT kürzer sind als die
entsprechenden Wege zwischen VC und SC.
8. Orthodrome Reizung der NOT-Neuronen vom ON
Der retinale Eingang des NOT wurde nur beim Albinofrettchen untersucht. Zum Vergleich
mit entsprechenden Daten vom pigmentierten Frettchen werden die Ergebnisse aus Klauer et
al. (1990) herangezogen.
Insgesamt wurden 66 prätektale Zellen von fünf Albinofrettchen auf Reizbarkeit vom
kontralateralen ON getestet. Diese fünf Individuen waren eine Teilmenge aus der Gruppe der
sechs Tiere, bei denen die prätektalen Zellen auch auf Reizbarkeit vom VC getestet wurden.
86% (57 von 66) der Zellen waren vom kontralateralen ON orthodrom reizbar und reagierten
typischerweise mit einer Mehrfachantwort, die aus zwei bis fünf Aktionspotentialen bestand.
Abbildung 38 zeigt beispielhaft zwei typische orthodrome Antworten von zwei NOT-Zellen,
die von unterschiedlichen Albinofrettchen registriert wurden.
In Abbildung 38A werden zwei auf den Zeitpunkt des Reizbeginns (t = 0) ausgerichtete
Spuren von Potentialverläufen gezeigt, die an der ersten Zelle registriert wurden. Beide
Potentialverläufe zeigen zwei orthodrome Aktionspotentiale vom ON mit ca. 1,8 ms und
ca. 3,3 ms Latenz. Diese Zelle wurde auf Reizbarkeit von der ipsilateralen IO getestet und
war nicht antidrom reizbar. Auf Reizbarkeit vom ipsilateralen VC wurde sie nicht getestet.
Ihre relativ kurze orthodrome Latenz ist typisch für die Gruppe prätektaler, nicht zur IO
projizierender Zellen (siehe unten).
Ergebnisse 100
Abb. 38: Typische orthodrome Aktionspotentiale von zwei prätektalen Zellen zweier Albinofrettchen, die nach Reizung des ON registriert wurden. Die senkrechten, gepunkteten Linien auf der linken Seite markieren den Zeitpunkt der Reizapplikation (Reizbeginn bei t = 0). A: Diese prätektale Zelle antwortet auf die Reizung des kontralateralen ON mit zwei Aktionspotentialen, die innerhalb eines ca. 1,5 ms langen Zeitfensters liegen. Das frühe Aktionspotential taucht mit einer Latenz von ca. 1,8 ms und das späte Aktionspotential mit einer Latenz von ca. 3,3 ms auf. Es werden zwei zeitlich übereinander gelagerte Potentialspuren (Applikation von zwei Reizpulsen) gezeigt (Reizdauer = 0,1 ms, Reizstärke = 54 µA). Diese Zelle wurde nicht auf Reizbarkeit vom VC getestet. Sie wurde auf Reizbarkeit von der ipsilateralen IO getestet und war nicht reizbar. B: Diese Zelle reagiert ebenfalls mit einer Mehrfachantwort, die aus zwei Aktionspotentialen mit einer Latenz von 6 - 8 ms besteht. Gezeigt werden drei Potentialspuren. Diese Zelle war sowohl von der IO antidrom (siehe Abb. 30A) als auch vom VC orthodrom (siehe Abb. 31) reizbar. Abszisse: Zeit in ms; Ordinate: extrazellulär abgeleitetes Potential.
V. Foto-Nr.
1 ms
t = 0
A
VI. Foto-Nr.
1 ms
t = 0
B
Ergebnisse 101
In Abbildung 38B werden drei ebenfalls auf t = 0 ausgerichtete Potentialspuren der zweiten
prätektalen Zelle des Albinofrettchens gezeigt. In diesem Falle besitzen die orthodromen
Aktionspotentiale vom ON eine Latenz von mindestens 6,0 ms. Diese Zelle war von der IO
antidrom reizbar. Ihre relativ lange orthodrome Latenz ist typisch für die zur IO
projizierenden NOT-Zellen (siehe unten).
Die Häufigkeitsverteilung der jeweils kürzesten orthodromen Latenzen der 57 reizbaren
prätektalen Zellen ist in Abbildung 39A gezeigt. Aus der Gesamtmenge der 66 auf
Reizbarkeit vom ON getesteten prätektalen Zellen wurden 60 Zellen auch auf antidrome
Reizbarkeit von der IO getestet. Von den 60 Zellen waren 24 Zellen antidrom reizbar und 36
nicht reizbar. Diese 24 antidromen Zellen, die definitionsgemäß zum hOKN-Schaltkreis
gehören, werden 100% gesetzt. Von diesen 24 Zellen konnten 92% (22) auch vom
kontralateralen ON aktiviert werden. Die entsprechenden Prozentsätze für das pigmentierte
Frettchen lassen sich aus Klauer et al. (1990) entnehmen. Klauer et al. (1990) konnten 90%
(46 von 51) der richtungsspezifischen NOT-Zellen vom optischen Chiasma orthodrom reizen
und folglich 10% nicht reizen.
Desweiteren kann an dieser Stelle festgehalten werden, daß die 24 von der IO antidrom
reizbaren und auf Reizbarkeit vom ON getesteten NOT-Zellen auch auf Reizbarkeit vom VC
getestet wurden. Zwanzig von diesen waren vom VC orthodrom reizbar. Die Schnittmenge
aus beiden orthodromen Reizungen besteht jedoch aus 19 Zellen, d.h. 79% (19 von 24) der
zur IO projizierenden NOT-Zellen des Albinofrettchens waren sowohl vom kontralateralen
ON als auch vom ipsilateralen VC orthodrom aktivierbar. Die gleichzeitige Aktivierbarkeit
einzelner NOT-Zellen vom ON und vom VC war aufgrund von vorausgegangenen
Markierungsexperimenten (Zhang, 1991; Zhang & Hoffmann, 1993) zu erwarten. Denn diese
Experimente zeigen eine beträchtliche räumliche Überlappung von retinalen und kortikalen
Terminalien innerhalb des NOT.
Die 22 Latenzen der von der IO identifizierten NOT-Zellen des Albinofrettchens befinden
sich mit einem Median von 6,0 ms (Q0,25 = 5,0 ms; Q0,75 = 6,5 ms) zwischen 5,0 ms (kürzeste
Latenz) und 8,0 ms (längste Latenz). In Abbildung 39A sind sie durch die Schraffur hervor-
gehoben. Die entsprechenden Latenzen von richtungsspezifischen NOT-Zellen des
pigmentierten Frettchens liegen im Bereich 5,5 bis 8,5 ms (Abb. 39C mit N = 15,
entnommen aus Klauer et al., 1990). Ein Vergleich der 22 Latenzen des Albinofrettchens mit
den 15 Latenzen des pigmentierten Frettchens zeigt keinen signifikanten Unterschied
zwischen den beiden Verteilungen an (χ2-TEST, P = 0,248).
Ergebnisse 102
Von den 36 nicht von der IO reizbaren Zellen waren 35 (97 %) Zellen vom ON orthodrom
reizbar.
In Abbildung 39A fällt auf, daß die 57 orthodromen Latenzen des Albinofrettchens nicht
normalverteilt sind (KOLMOGOROV-SMIRNOV-TEST, P < 0,001). Vielmehr bilden sie zwei
Gruppen. Die erste Gruppe fällt in den Bereich 2,0 bis 4,5 ms (Median = 2,25 ms; Q0,25 =
Abb. 39: Häufigkeitsverteilung der kürzesten orthodromen Reizlatenzen vom ON (A, C) und der größten Latenzdifferenzen (B) von prätektalen bzw. NOT-Zellen des albinotischen (A, B) und pigmentierten Frettchens (C). A: Von 66 auf Reizbarkeit vom ON getesteten prätektalen Zellen des Albinofrettchens waren 57 Zellen aktivierbar. Die schraffierten 22 Latenzen stammen von antidrom identifizierten (IO+) NOT-Zellen. Von den übrigen 35 Zellen waren zwei Zellen nicht von der IO antidrom reizbar (IO-) und 33 Zellen wurden nicht auf Reizbarkeit von der IO getestet (nt). B: Häufigkeitsverteilung der Latenzdifferenzen (längste Latenz minus kürzeste Latenz) derselben Zellen, deren Latenzen in A dargestellt sind. C:Orthodrome Latenzen von 15 richtungsspezifischen NOT-Zellen (DS+) des pigmentierten Frettchens, die nicht in eigenen Experimenten gemessen, sondern aus Klauer et al. (1990)entnommen wurden. Klauer et al. (1990) testeten diese Zellen nicht auf Reizbarkeit von der IO. x-Achsen (N): Latenzen (A, C) und Latenzdifferenzen (B); y-Achsen: Anzahl der Latenzen in A und C, Anzahl der Latenzdifferenzen in B.
Latenz [ms]0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
0
2
4
6
8
10
12
14
1615 DS+ (Klauer et al., 1990)
0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
0
2
4
6
8
10
12
14
1622 IO+2 IO- & 33 nt
C
A
Latenzdifferenz [ms]0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
0
24
6
810
1214
1618
20
2224
26
22 IO+ 2 IO- & 33 nt
B
N
N N
Ergebnisse 103
1,80 ms; Q0,75 = 2,50 ms) und die zweite Gruppe in den Bereich 5,0 bis 8,5 ms (Median =
6,00 ms; Q0,25 = 5,00 ms; Q0,75 = 6,50 ms). Die in Abbildung 38 gezeigten Spuren der
orthodromen Aktionspontentiale zweier prätektaler Zellen des Albinofrettchnes zeigen
Beispiele für die erste (A) und zweite (B) Latenzgruppe. Die zweite Gruppe wird
hauptsächlich von den erwähnten Latenzen der zur IO projizierenden NOT-Zellen
(schraffierte Latenzen) und einiger prätektaler Zellen gebildet, die entweder nicht zur IO
projizieren oder gar nicht auf Reizbarkeit von der IO getestet wurden. Die Gruppenbildung
läßt die Schlußfolgerung zu, daß es offensichtlich zwei Typen von retinalen
Ganglienzellfasern mit unterschiedlicher Leitungsgeschwindigkeit gibt, die auf prätektale
Neuronen projizieren. Dabei werden die zur IO projizierenden NOT-Zellen nur von Fasern
mit der niedrigeren Leitungsgeschwindigkeit kontaktiert.
Bei der Gruppe der kürzeren Latenzen fällt auf, daß keine einzige Latenz schraffiert ist
(Abb. 39A). Dies bedeutet, daß diese Latenzen an prätektalen Zellen gemessen wurden, die
nicht von der IO antidrom reizbar waren. Hieraus wird offensichtlich, daß der zweite
Ganglienzell-Typ mit den dickeren und deshalb schneller leitenden Axonen nicht auf NOT-
Zellen projiziert, die ihrerseits die IO innervieren.
In Abbildung 39B wird die Häufigkeitsverteilung der Latenzdifferenzen (längste Latenz
minus kürzeste Latenz) derselben Zellen dargestellt. So vermittelt sie einen Eindruck von der
zeitlichen Streuung der Aktionspotentiale der Mehrfachantworten der prätektalen und der
NOT-Zellen. Bei den meisten Zellen findet man eine Latenzdifferenz zwischen 1 und 1,5 ms
(Median 1,3 ms; Q0,25 = 1,0 ms; Q0,75 = 2,0 ms). Die Latenzdifferenzen der von der IO
antidrom identifizierten NOT-Zellen sind schraffiert hervorgehoben.
Diskussion 104
Diskussion
I. Teil I: Verhalten
A. Die Meßmethode
1. Wahl des EOGs und EOG-Auswertung
Die ursprüngliche Hypothese war, daß der monokulare hOKN des Albinofrettchens aufgrund
der Reduktion der ipsilateralen retinofugalen Projektionen asymmetrischer als beim
pigmentierten Frettchen ist. Diese Hypothese ging von der Annahme aus, daß das
Albinofrettchen einen deutlichen hOKN wie auch andere albinotische Säugerspezies machen
kann. Außerdem implizierte der Begriff „asymmetrisch“ einen quantitativen Unterschied.
Aufgrund der Erwartung, daß dieser Unterschied sehr augenfällig und deshalb auch ohne
exakte quantitative, d.h. ohne kalibrierte Augenbewegungsmessungen detektierbar sein
würde, fiel die Entscheidung auf das unkalibrierte EOG, zumal es relativ schnell und einfach
durchführbar ist. Es stellte sich aber sehr schnell heraus, daß Albinofrettchen überhaupt
keinen hOKN zeigen. Von diesem Augenblick an änderte sich zwangsläufig die Intention der
EOG-Messungen. Der Zweck war nicht mehr, eine Asymmetrie des monokularen hOKN zu
beobachten, sondern vielmehr die Auslösbarkeit des hOKN bei den Albinofrettchen zu
testen. Dieser Zweck konnte durch das unkalibrierte EOG erst recht schnell und einfach
erfüllt werden, weshalb die Meßmethode beibehalten wurde.
Zu den allgemeinen Problemen des EOGs (Nicht-Linearität und natürliche Fluktuationen des
zu messenden Potentials, Rauschen und Drift, vgl. Collewijn, 1999) kommt in der
vorliegenden Arbeit hinzu, daß die EOG-Elektroden nicht bei allen Tieren exakt an der
gleichen relativen Position um die Augen plaziert werden konnten. Auch das macht einen
quantitativen Vergleich zwischen den EOG-Spuren zweier Tiere unzulässig. Ein solcher
Vergleich ist selbst zwischen den EOG-Spuren eines Tieres ungenau, wenn sie in
verschiedenen Sitzungen (d.h. an verschiedenen Tagen) registriert wurden, denn die EOG-
Diskussion 105
Elektroden waren nicht permanent implantiert und mussten vor jeder Sitzung neu
eingestochen werden.
Im Bewußtsein der Problematik des unkalibrierten EOG wurde der Entschluß gefaßt, auch
pigmentierte Individuen zu testen, obwohl bekannt war, daß sie sehr wohl optokinetische
Augenbewegungen machen können (Hein et al., 1990). Durch diese Messungen wurden aber
EOG-Spuren von pigmentierten Frettchen mit derselben Methode aufgenommen wie die der
Albinofrettchen. Auf die gleiche Art und Weise konnte Hahnenberger (1977) einen
deutlichen Unterschied zwischen dem monokularen hOKN von albinotischen und dem von
pigmentierten Kaninchen dokumentieren. Dieser Unterschied äußerte sich darin, daß die
albinotischen Kaninchen monokular nur die Reizung in temporonasaler, aber überhaupt nicht
in nasotemporaler Richtung beantworteten. Die pigmentierten Kaninchen beantworteten
beide Richtungen mit unterschiedlicher Stärke. Bei den Frettchen ist der Unterschied
zwischen der albinotischen und der pigmentierten Gruppe noch augenfälliger, denn bei
Albinos bleibt der hOKN komplett aus.
2. Sensitivität des unkalibrierten EOGs
Es hat sich gezeigt, daß das eingesetzte EOG trotz fehlender Kalibrierung in der Lage ist,
auch sehr feine qualitative Unterschiede zu detektieren, wenn genügend statistisch auswert-
bares Datenmaterial zur Verfügung steht. Dies wird durch die Feststellung der okulomotori-
schen Instabilität der Albinofrettchen dokumentiert, die möglich ist, obwohl es für die
Frettchen aufgrund ihres Verhaltenshabitus unmöglich ist, ihre Augen völlig ruhig zu halten.
Infolge dessen liefern sie in den allermeisten Fällen kein völlig konstantes EOG-Potential,
was zu einer gewissen Streuung der Steigungsmediane um den Wert Null führt (vgl. Abb. 6).
Trotz dieser Streuung, die sowohl bei pigmentierten als auch bei albinotischen Tieren
unvermeidbar ist, konnte der signifikante Unterschied in der Varianzgröße festgestellt
werden und damit die okulomotorische Instabilität der Albinos belegt werden.
Darüberhinaus zeigen die Augenbewegungsmessungen der pigmentierten Frettchen, daß das
unkalibrierte EOG unterschiedliche Antwortstärken relativ zueinander in Beziehung setzen
und damit detektieren kann. Dies ist durch die Abhängigkeit der Steigungsmediane von der
Reizgeschwindigkeit in Abbildung 13 dokumentiert. Über die absolute Folgegüte des hOKN
kann aufgrund der Meßmethode keine Aussage gemacht werden. Die Reizgeschwindigkeit
von 50°/s lieferte im Falle der pigmentierten Tiere in der Regel EOG-Spuren mit einem
höheren Steigungsmedian als die Reizgeschwindigkeit von 5°/s, d.h. die Reizgeschwindig-
keit von 50°/s löste — in Übereinstimmung mit Hein et al. (1990) — eine höhere
Diskussion 106
Augengeschwindigkeit aus. Aus Hein et al. (1990) wissen wir aber auch, daß die absolute
Folgegüte des hOKN bei 5°/s Reizgeschwindigkeit wesentlich höher ist als bei 100°/s.
B. Augendrift oder Spontannystagmus beim Albinofrettchen?
Bei albinotischen Formen der Spezies Kaninchen (Collewijn et al., 1978), Ratte (Precht &
Cazin, 1979) und Mensch (Collewijn et al., 1985) wird ein Spontannystagmus beobachtet.
Dieser Spontannystagmus ist aus langsamen Folgephasen und schnellen Rückstellsakkaden
zusammengesetzt, deren Amplitude und Frequenz so hoch sind, daß seine EOG-Spuren eine
— wenn auch ziemlich ungeregelmäßig — gezackte (Sägezahn-)Form haben.
Die Untersuchung der spontanen Augenbewegungen des Frettchens (vgl. Abb. 6) hat bei den
Albinofrettchen ebenfalls eine okulomotorische Instabilität sichtbar werden lassen. Die
Detektion dieser Instabilität war nur durch einen statistischen Vergleich mit den entsprechen-
den Daten vom pigmentierten Frettchen möglich. Denn die „motorische Unruhe“ der Augen
des Albinofrettchens war in ihrer Amplitude Geschwindigkeit und Frequenz so gering, daß
sie mit bloßem Auge nicht am Verlauf der EOG-Spuren erkannt werden konnte. Optisch läßt
sich am Verlauf der EOG-Spuren sicherlich kein Unterschied zwischen dem albinotischen
und dem pigmentierten Frettchen feststellen. Ein weiterer Unterschied zum oben erwähnten
Spontannystagmus der anderen albinotischen Spezies ist, daß an der okulomotorischen
Instabilität der Albinofrettchen keine unterschiedlichen Phasen wie langsame Folgephasen
und schnelle Rückstellsakkaden unterschieden werden können. Aus diesem Grunde wurde
bei der Darstellung dieses Befundes im Ergebnisteil auf den Begriff „Spontannystagmus“
verzichtet und lediglich von einem signifikant stärkeren Abdriften der Augen beim
Albinofrettchen gesprochen.
Die Augendrift des Albinofrettchens führt zu folgender Frage: Wie sind die Informations-
signale beschaffen, die einerseits vom gestörten temporalen Retinabereich (siehe Ergebnis
des Perimetrietests) und andererseits von der vermeintlich intakten nasalen Hemiretina
gleichzeitig denselben kontralateralen NOT erreichen.
C. Optokinetische Blindheit des Albinofrettchens
Während die pigmentierten Frettchen bei optokinetischer Ganzfeldreizung einen eindeutigen
hOKN generieren, der schon in der Publikation von Hein et al. (1990) detaillierter und
quantitativ beschrieben ist, zeigten Albinofrettchen unter den gleichen Reizbedingungen und
Lichtverhältnissen kein als hOKN definierbares Verhalten. Das Kriterium für ein „als hOKN
Diskussion 107
definierbares Verhalten“ war eine reizabhängige Sägezahn-förmige EOG-Spur (bestehend
aus langsamen Folgephasen und schnellen Rückstellsakkaden) mit einem Steigungsmedian,
der wesentlich von Null abweicht, so daß sich auch die Gesamtheit der Steigungsmediane
aus den EOG-Spuren der getesteten Tiere statistisch signifikant von Null unterscheidet. Die
reizabhängige Augendrift der Albinofrettchen, die nur in den binokularen hOKN-Tests mit
dem groben Reizmuster beobachtet wurde und bei den Reizgeschwindigkeiten 10, 20 und
100°/s signifikant war (siehe Abb. 11B), kann nicht als OKN definiert werden. Auch wenn
man sie als eine langsame Folgephase mit einer extrem geringen Folgegüte verstehen will,
muß man feststellen, daß sie nicht durch schnelle Rückstellsakkaden in entgegensetzter
Richtung unterbrochen wird. Folglich erfüllt das Albinofrettchen das obige Kriterium nicht
und wird aus diesem Grunde als „optokinetisch blind“ bezeichnet.
Die unterschiedlichen Reizwirkungen der beiden Reizmuster zeigen, daß das
okulomotorische Verhalten stark von den Reizparametern abhängt. Deshalb sollen zunächst
die Reizparameter in Bezug auf ihre Effektivität diskutiert werden.
1. Reizparameter
Die optokinetische Blindheit des Albinofrettchens erinnert an das Ergebnis von Precht &
Cazin (1979), die ebenfalls einen kompletten Ausfall des hOKN bei der Albinoratte (Wistar)
feststellten. Die optokinetische Ganzfeldreizung hatten sie damals mit einem Muster aus
senkrechten, alternierenden schwarzen und weißen Streifen durchgeführt. Ihre Feststellung
wurde jedoch sechs Jahre später von der gleichen Forschergruppe revidiert (Sirkin et al.,
1985). Die Arbeitsgruppe berichtete nun, daß Ratten des selben albinotischen Stammes
(Wistar) wie auch Albinoratten des Stammes Sprague-Dawley doch einen hOKN machten,
wenn sie mit einem projizierten Lichtpunktemuster (Größe der Lichtpunkte: ca. 10°
Sehwinkel) gereizt würden. In diesem Falle zeigten die Albinoratten im Vergleich zu den
pigmentierten Ratten zwar eine abnorme, doch eindeutige optokinetische Reaktion. Insofern
konnte nicht mehr von einem kompletten Ausfall des hOKN bei Albinoratten die Rede sein.
Sirkin et al. (1985) stellten ebenfalls fest, daß die Auslösbarkeit des hOKN bei ihren
Albinoratten extrem abhängig war vom projizierten Lichtpunktemuster. Denn bei Reizung
mit einem Muster aus gemalten schwarzen Punkten (Punktgröße: 3,6° Sehwinkel) auf
weißem Hintergrund blieb der hOKN bei 13 von 14 Albinoratten im Gegensatz zu den
pigmentierten Ratten komplett aus. Die eine Albinoratte, die die Ausnahme darstellte,
reagierte auf das gemalte Muster erst, nachdem die Lichtintensität herabgesetzt worden war
(siehe unten).
Diskussion 108
Deshalb muß die Frage gestellt werden, ob in der vorliegenden Arbeit die adäquaten
Reizmuster und Lichtverhältnisse gewählt wurden, bzw. ob die Nichtauslösbarkeit des
hOKN auf eine uneffektive Reizung beruhte. Diesbezüglich ist folgendes anzumerken:
• Das uneffektive Reizmuster von Precht & Cazin (1979) war ein vertikal gestreiftes
schwarz-weißes Muster. Im Gegensatz dazu wurden die Frettchen mit Punktemustern
gereizt, die sich bei Sirkin et al. (1985) insgesamt als effektivere Reizmuster
herausgestellt hatten. Insofern sind die in der vorliegenden Arbeit eingesetzten
Reizmuster eher mit den effektiven Reizmustern von Sirkin et al. (1985) vergleichbar.
• Hinsichtlich der Punktgröße unterscheiden sich die in der vorliegenden Arbeit
eingesetzten schwarz-weißen Zufallspunktemuster nicht wesentlich von den beiden
Mustern (Lichtpunktemuster und Muster aus gemalten schwarzen Punkten) von Sirkin et
al. (1985). Die Punkte des groben Zufallspunktemusters (ca. 10,7° Sehwinkel) haben die
gleiche Größe wie die Lichtpunkte des projizierten Musters (ca. 10° Sehwinkel) von
Sirkin et al. (1985). Das feine Zufallspunktemuster (Punktgröße: ca. 2,3° Sehwinkel) ist
mit dem (weniger effektiven) gemalten Punktmuster von Sirkin et al. (1985)
(Punktgröße: ca. 3,6° Sehwinkel) ebenfalls vergleichbar.
• Ein Unterschied zwischen dem groben Reizmuster und dem sehr effektiven Lichtpunkte-
muster von Sirkin et al. (1985) besteht darin, daß das grobe Muster gemalt war und nicht
aus Lichtpunkten bestand. Dieser Unterschied scheint besonders wichtig zu sein, da erst
die Qualität „Licht“punkte das projizierte Muster von Sirkin et al. (1985) zu einem
effektiven Reizmuster machte. Insofern könnte beanstandet werden, daß die optokineti-
sche Blindheit der Albinofrettchen beobachtet wurde, weil die beiden Reizmuster nicht
aus Lichtpunkten bestanden. Um diesem Einwand vorzubeugen, wurden einige
Albinofrettchen auch mit dem Planetarium gereizt. Die optokinetische Reizung mit dem
Planetarium konnte bei den Albinofrettchen, im Gegensatz zu den pigmentierten
Frettchen, ebenfalls keinen hOKN auslösen (in der vorliegenden Arbeit nicht dargestellt).
Dies spricht dafür, daß die Ursache des hOKN-Ausfalls bei den Albinofrettchen nicht in
einer uneffektiven optokinetischen Reizung, sondern in einem neuronalen Defekt zu
suchen ist (siehe Teil II der vorliegenden Arbeit).
• Aus Sirkin et al. (1985) geht hervor, daß auch die Lichtverhältnisse während der opto-
kinetischen Reizung entscheidend für die Auslösbarkeit einer optokinetischen Reaktion
bei Albinoratten sind. Denn alle Albinoratten reagierten auf die Reizung mit dem
Lichtpunktemuster, wenn die mittlere Lichtmenge 3,5 Lumen/Fuß2 (= 37,66 Lumen/m2)
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betrug. Das auf weißem Hintergrund gemalte Reizmuster aus schwarzen Punkten war bei
gleicher Beleuchtung bei keinem der Tiere effektiv. Dieses gemalte Muster wurde aber
bei einer Albinoratte zu einem effektiven Reizmuster, wenn die Beleuchtung auf ca. 2
Lumen/Fuß2 herabgesetzt wurde. Insofern muß auch die Frage gestellt werden, ob die
Beleuchtung der Albinofrettchen in der optokinetischen Trommel nicht zu stark war. Zur
Zeit kann jedoch kein quantitativer Vergleich zwischen den Lichtverhältnissen bei Sirkin
et al. (1985) und den Lichtverhältnissen bei den Frettchen gemacht werden. Der Grund
hierfür ist, daß die Lichtmengen mit unterschiedlichen Methoden gemessen wurden und
Sirkin et al. (1985) nicht alle Angaben machen, die für eine Umrechnung der einen
Einheit in die andere notwendig sind. Das eigene Meßgerät (Minolta luminance meter)
maß die Leuchtdichte der Musteroberfläche in der Einheit Candela/Fläche, während
Sirkin et al. (1985) die Beleuchtungsstärke in der Einheit Lumen/Fläche angeben.
2. Optokinetische Augenbewegungen bei hypopigmentierten Säugern
Bei den meisten bis jetzt untersuchten albinotischen Säugern lösen Ganzfeldreizungen im
Gegensatz zu den hier untersuchten Albinofrettchen optokinetische Augenbewegungen aus