Untervazer Burgenverein Untervaz Texte zur Dorfgeschichte von Untervaz 1914 Oscar Bernhard als Kriegschirurg Email: [email protected]. Weitere Texte zur Dorfgeschichte sind im Internet unter http://www.burgenverein-untervaz.ch/dorfgeschichte erhältlich. Beilagen der Jahresberichte „Anno Domini“ unter http://www.burgenverein-untervaz.ch/annodomini.
12
Embed
Untervazer Burgenverein Untervaz Texte zur …download.burgenverein-untervaz.ch/downloads/dorfgeschichte/1914... · Vorbildliche Einrichtungen für Heliotherapie in der Kriegschirurgie
This document is posted to help you gain knowledge. Please leave a comment to let me know what you think about it! Share it to your friends and learn new things together.
Transcript
Untervazer Burgenverein Untervaz
Texte zur Dorfgeschichte
von Untervaz
1914
Oscar Bernhard als Kriegschirurg
Email: [email protected]. Weitere Texte zur Dorfgeschichte sind im Internet unter http://www.burgenverein-untervaz.ch/dorfgeschichte erhältlich. Beilagen der Jahresberichte „Anno Domini“ unter http://www.burgenverein-untervaz.ch/annodomini.
- 2 -
1914 Oscar Bernhard als Kriegschirurg Heini Hofmann in: Hofmann Heini: Gesundheits-Mythos St. Moritz. - St. Moritz 2011.
Festschrift zum 150. Geburtstag des grossen Alpenmediziners
Dr. Oscar Bernhard. Seite 322-328.
- 3 -
S. 322:
Bernhard als Kriegschirurg
Zu Bernhards Zeiten gelangte die Heliotherapie von Wunden auch in der
Kriegs-Chirurgie zur Anwendung und wurde, wo es möglich war, in grossem
Umfang ausgeübt. Er selber war im Ersten Weltkrieg monatelang in mehreren
deutschen und englischen Lazaretten als Chirurg tätig.
Schwarzwald-Sonnenklinik
Unter Militärärzten war Sonnenlichtbehandlung schon früher bekannt gewesen.
So berichtete zum Beispiel Napoleons Leibarzt Larrey von Wunden, die unter
Besonnung schneller heilten als unter dem Verband. Auch Stabsarzt
Goldammer rühmte seine grossen Erfolge in den Balkankriegen von 1912/13
mit Heliotherapie bei Granatsplitter-Weichteilwunden. Er hatte die Methode
notabene bei Bernhard in St. Moritz erlernt.
Obschon Oscar Bernhard während des Ersten Weltkrieges im sichern Hort St.
Moritz seinem Tagewerk hätte nachgehen können, war er sich nicht zu schade,
sein medizinisches Wissen und chirurgisches Können dort einzubringen, wo es
noch dringender benötigt wurde, bei den schwer verwundeten Kriegsopfern vor
Ort.
Oder war es eine Flucht nach vorn in den Arbeitsstress, weil er in seiner
Entfaltung zu Hause gebremst worden war und zusehen musste, wie andere mit
seiner Methode gross herauskamen? Wie dem auch sei: Während acht Monaten
war er als Kriegschirurg in deutschen Lazaretten tätig, zuerst im Winter
1914/15 in Kettwig (Rheinprovinz), dann im Frühjahr 1915 in Colmar.
Doch im Norden gab es in den Wintermonaten nur wenig Sonne, so dass er
sich mit der Quarzlampe behelfen musste: Und im Elsass hatte er, ganz nahe an
der Front, einen derartigen Wechsel im Verwundetenbestand, dass für
Heliotherapie, die eine Langzeitbehandlung erfordert, keine Zeit blieb. Ganz
anders war es im Sommer 1915 in Bad Dürrheim im Badischen Schwarzwald.
Im Auftrag des Sanitätsamtes des 14. deutschen Armeekorps konnte er hier
eine eigentliche Sonnenklinik für Kriegsverwundete errichten. Dies geschah
notabene auf Veranlassung der Grossherzogin Luise von Baden, die sich bei
ihren früheren häufigen Aufenthalten im Engadin im Spital Samedan die
Heliotherapie hatte erklären lassen.
- 4 -
Internierungs-Triage
Aber auch in offizieller Mission als Schweizer Militärarzt und Sanitätsoffizier
war Oscar Bernhard im Ausland tätig, so von 1916 bis 1918 in
Kriegsgefangenenlagern in England, Deutschland und Nordfrankreich beim
Austausch von Verwundeten und kranken Kriegsgefangenen zwischen den
verschiedenen Nationen zwecks Internierung in der Schweiz oder direkter
Repatriierung. Auf diesen Reisen hat er in verschiedensten Lagerlazaretten
feststellen können, dass die Sonnenlichtbehandlung der Wunden routinemässig
eingesetzt wurde.
Vorbildliche Einrichtungen für Heliotherapie in der Kriegschirurgie fand er
etwa im grossen Lazarett der kanadischen Truppen, welches das Kanadische
Rote Kreuz in Maidenhead an der Themse eingerichtet
S. 323: hatte. Aber auch Franzosen und Italiener nutzten die Sonnenlichtbehandlung
für ihre Verwundeten eifrig, besonders an den sonnigen Küsten des
Mittelmeers. Erfolgsberichte lagen auch vom Kriegs-Schauplatz in Polen vor
(wo eine Besonnungsanstalt in einem Gärtnereitreibhaus improvisiert wurde),
ja sogar von der Marine in Konstantinopel.
Die Sonnenklinik im Vereinslazarett Bad Dürrheim im Badischen
Schwarzwald, die Oscar Bernhard im Auftrag von Grossherzogin Luise von
Baden 1915 einrichten konnte.
- 5 -
Ganz nüchtern und ohne zur Schau gestellten Stolz konnte Oscar Bernhard
konstatieren: «Vergleicht man all diese Mitteilungen verschiedenster
Kriegschirurgen, die sich der Heliotherapie zugewandt haben, so bestätigen sie
meine im Jahre 1904 zum ersten Male ausführlich veröffentlichten
Beobachtungen vollauf und oft ganz wörtlich». Das mag ihn über einige
weniger schöne Erlebnisse in diesem Zusammenhang hinweggetröstet haben.
Unerwartetes Wiedersehen
Immer wieder schrieb er zu später Nachtstunde lange und ausführliche Briefe
an seine Frau, von denen jeder einzelne sich wie ein dichterisches Essay liest,
selbst wenn es sich um tragische Kriegsgeschehnisse handelt (vgl. Kastentexte
folgende Seiten). «Du magst», schreibt er seiner Lili, «was Dich weniger
interessiert, überspringen. Ich tue es aber auch für mich statt eines Tagebuches.
Zur Führung eines solchen habe ich mich, wie Du weisst, nie aufschwingen
können».
Und Weiter: «Das Neue und Interessante, das in so grossem Massstabe und
plötzlich über mich gekommen ist, möchte ich doch gerne für spätere Zeiten
festhalten. Trotzdem ich in den bald 30 Jahren meiner Praxis schon viel
Schweres gesehen habe,
S. 324: bleibt der erste Eindruck, auf einmal einer so grossen Zahl meistens sehr
schwer Verletzter gegenüber zu stehen, für mich ein tiefer und
unauslöschlicher, und ebenso gross und dauernd ist die Freude, dabei helfend
mitwirken zu können».
Ein berührendes Statement
Aus einem Brief an die Familie vom Kriegslazarett Kettwig-Ruhr, 28.10.1914
Meine Lieben! Im Corridor war ein penetranter Geruch, zusammengesetzt von
Jodoform und andern aseptischen Mitteln, Schweiss, Blut, Eiter und
Ausdünstungen, der unendliches Mitleid mit den armen Unglücklichen
erweckte - und dann erst der Anblick all des Jammers und Elendes!
Da ist einer mit einem durchschossenen, ganz zersplitterten Knochen, hier
hängt in Fetzen eine ganze Hand herunter, dann wird wieder einer gebracht,
dessen Leib an vielen Stellen von Granatsplittern zerfetzt ist.
- 6 -
Handtellergrosse Stücke Haut fehlen. Muskeln und Sehnen liegen bloss und
zucken beim Verbandwechsel.
Dann kommt wieder einer, dem eine Granate den Unterkiefer zerschmettert hat
und dessen Gesicht unförmlich entstellt ist, oder es wird einer hereingetragen,
dem eine Shrapnellkugel durch den Hals eingedrungen ist, das Schlüsselbein
zerschmettert hat und nebst mitgerissenen Knochensplittern vorn in der Lunge
steckt, mühsam geht sein Atem und sein Auge glänzt in Todesangst.
Solches und noch viel anderes Schreckliches sah ich, kaum angelangt. Oft
schnürte mir das Mitleid mit allen diesen braven Burschen, deren Leiden sich
in ihren Augen widerspiegelte - wie bei einem angeschossenen Wilde, in einem
merkwürdigen, schwer zu beschreibenden Ausdruck von Schmerz und Angst,
gepaart mit wilder Lust zu leben -, fast das Herz zusammen. Ich fluchte auf den
Krieg und dankte, dass ein gütiges Geschick mir beschieden war, so viel es in
meinen schwachen Kräften liegt, seine schrecklichen Folgen mildern zu
können.
Alles, was ich bishin in fast 30-jähriger aerztlicher Tätigkeit erlebt und
durchgemacht habe, kommt mir klein vor gegenüber dem, was jetzt zu leisten
ist, und noch nie habe ich ein so herrliches Gefühl der Befriedigung gehabt.
Wie schön ist doch die Medizin! Und wiederum wie traurig, wie unsäglich
traurig ist es, dass unsere ganze vermeintliche Kultur so versagt hat und die
raffiniertest ausgesonnenen Mordmaschinen heute Menschen hinmähen wie
Aehren, oder sie qualvoll verstümmeln.
Man sollte jeden Diplomaten, der am grünen Tisch seine Schachzüge zieht
über die Geschicke von Völkern, verpflichten, der Aufnahme und der
Untersuchung eines grossen Verwundetentransportes aus einem modernen
Schlachtfelde nur einen halben Tag lang beizuwohnen. Ich glaube, das wäre
für einen künftigen langen Frieden nützlicher als alle Haager Conferenzen.
Und er fand auch noch Zeit, sich für Einzelschicksale zu engagieren, wie ein
Schreiben vorn 31. März 1917 an seine Königliche Hoheit, Prinz Adalbert von
Preussen belegt, in welchem er sich für einen abgeschossenen und gefangen
- 7 -
S. 325: genommenen französischen Fliegerwachtmeister einsetzt, dem er - welch ein
Zufall! - vor zwölf Jahren als Jüngling durch eine Blinddarmoperation in
extremis das Leben gerettet hatte und dessen Mutter aktuell zur Kur in seiner
Klinik in St. Moritz weilte... Auch im Krieg ist die Welt klein!
Wink mit dem Zaunpfahl?
In diesen ganz persönlichen, vom Herzen weg geschriebenen Briefen an seine
liebe Frau kommt Bernhards Denkart erst richtig zur Geltung: «An den
Anblick der grässlichen Verwundungen und an die schweren Leiden der armen
Kriegsopfer gewöhnt man sich schliesslich und sie verlieren allmählich das
Schreckliche, nur das Mitleid mit den braven, unschuldigen Leuten bleibt
dasselbe und wird auch immer so bleiben.
Wo es immer angeht, suche ich den Leuten Schmerzen zu ersparen und ich
wende viel mehr Narkosen und Lokal-Anaesthesien bei meinen Verwundeten
an, als in der Zivilpraxis. Diese Leute, die meistens schon Unsägliches gelitten
haben, bis sie im Lazarett untergebracht worden sind, verdienen es auch mehr,
dass man ihnen soviel wie möglich Schmerzen erspart, als unsere Sportsleute,
die glauben eine Heldentat verrichtet zu haben, wenn sie zum Beispiel auf dem
Cresta Run mit einer Fünftelsekunde ihren Rivalen geschlagen haben. Wer für
solche Blasiertheiten - ich urteile bei allem, was ich jetzt sehe, darüber schärfer
als früher - Leben und Gesundheit aufs Spiel setzt, soll auch den Mut haben,
etwas Schmerzen auszuhalten».
Ob bei diesem Wink mit dem Zaunpfahl eine leise Kränkung darüber
mitschwingt, dass beim Negativentscheid über seine Gross-Sonnenklinik in St.
Moritz der Sport über die Medizin gesiegt hatte? Denn die Cresta Riders tun ja
wohl nicht viel anderes, als der Hochgebirgsjäger bei seinen
lebensgefährlichen Adleraushorstungen in steiler Felswand auch mal getan hat
mit der damaligen Begründung, dass ihn die damit verbundene
«Ueberwindung der oft grossen Schwierigkeiten und Gefahren gereizt» habe -
was in heutiger Diktion hiesse: den ultimativen Adrenalinkick suchen….
Kämpfer-«Recycling»
Chirurg sein in Kriegslazaretten war nicht nur knallhartes Handwerk, es hat
auch Denkprozesse ausgelöst.
- 8 -
So schrieb Bernhard seiner Frau am 12. Dezember 1914: «Der Kriegsgott, der
nun auf der ganzen Welt alle Kräfte in seinen Dienst und zu seiner
vernichtenden Tätigkeit herbeigezogen hat, hat auch uns Aerzte zu seinen
Dienern gemacht. Es klingt dies paradox, aber dennoch ist es so.
Dadurch, dass wir die Wunden, die der Krieg schlägt, zu mildern und zu heilen
suchen, befördern wir ihn andererseits, indem wir ihm immer wieder frische
Kräfte zuführen helfen. Dank der so hochentwickelten modernen Chirurgie
können nach mehr oder wenigen Wochen 50 - 60 % der Verwundeten, wie
unsere Statistik ergibt, wieder als kriegstüchtig ins Feld einrücken».
Und er doppelt nach: «Ich habe in meinem Lazarette einige Krieger behandelt,
die schon anfangs August im Elsass schwer verwundet worden waren, Ende
September oder im Oktober wieder ausrückten, in den Kämpfen an der Yser
wieder verwundet wurden und jetzt freudig und willig nach dem Osten ziehen,
um sich zum dritten Male den Schrecken des Krieges auszusetzen».
S. 326: Lungen-, Bauch- und Beckenschüsse
Aus einem Brief an seine Frau vom Kriegslazarett Kettwig-Ruhr, 18.11.1914.
Meine liebe Lili! In Gedanken bin ich, sofern dieselben in dieser
arbeitsreichen und verantwortungsvollen Zeit mir selbst angehören, stets bei
Dir und den lieben Kindern, und wenn ich zum Schreiben käme, würde ich
öfters mit Dir plaudern. Sonntag vor 8 Tagen wollte ich mich gerade hinsetzen
und einen Brief beginnen mit «diesen stillen Sonntagnachmittag», als es hiess,
es sei soeben ein neuer Verwundetentransport von Essen hieher abgegangen.
Ich bekam 29 Bayern, alles Schwerverwundete.
Die Leute kamen direkt vom Schlachtfelde am Isère-Kanal, wo man die Bayern
den Engländern gegenüber gestellt hatte. Bei einem Sturme kam es zu
schrecklichem Nahkampf. Die Bayern scheinen wie die Löwen gekämpft zu
haben und gewannen schrittweise Boden, aber von einer Compagnie von 276
Mann waren nur noch knapp 30 übrig geblieben, die andern entweder tot oder
verwundet, als gefangen ergab sich keiner. Die Armen sahen schrecklich aus,
von den feldgrauen Uniformen war nicht mehr viel zu sehen, lehmgrau waren
auch die abgehärmten, ausgebluteten Gesichter.
- 9 -
Es waren alles schöne, kräftige Gestalten aus der Gegend des
Oberammergaus, Männer mit reichem Haar, grossen gekräuselten Bärten,
jeder hätte ein Passionsspieler sein können, ein Christus, Petrus, und auch ein
feuerroter Judas hätte nicht gefehlt. Diesmal aber war die Passion bitterer
Ernst. Viele hatten Lungenschüsse und keuchten schwer, andere Bauch- und
Beckenschüsse. Die meisten zeigten Schüsse durch den Oberschenkel, wegen
der Schussnähe mit colossalen Ausschussverletzungen, und bei 7 war der
Oberschenkelknochen zugleich zerschmettert.
Der eine meiner Amputierten starb leider, wie vorauszusehen war. Es ist dies
bis jetzt der erste Todesfall, den ich hatte. Es war ein mit dem eisernen Kreuz
geschmückter Bayer, der in Zürich niedergelassen war und freiwillig dem Rufe
seines Vaterlandes gefolgt war. Seine aus Zürich hergereiste Braut traf einige
Stunden vor seinem Tode hier ein und fand ihn noch bei klarem Bewusstsein.
An der Beerdigung nahmen alle hiesigen Verwundeten, die sich nur irgendwie
vorwärtsschleppen konnten, teil, gewiss etwa 80 bis 100 Mann, dann der
Kriegerverein mit Militärmusik, andere Vereine der Stadt und viel Volk. Von
dem auf einer Anhöhe gelegenen Friedhofe sah man im trüben Morgennebel
den Rauch der Krupp'schen Schlote in Essen, ein richtiger Weihrauch für ein
Soldatengrab. Nachdem der wackere Krieger gebettet war, ging's unter den
frischen Klängen «Ich hatt' einen Kameraden» wieder zurück mit den
Verwundeten ins Lazarett.
Abends 10 Uhr, 18. Nov. 1914. Eben wird für diese Nacht 1 Uhr ein grosser
Verwundeten-Transport angesagt...
Nervenstark und resistent
Dann gibt er gleich noch eins drauf: «Vor den Nerven unserer modernen
Menschen, die ich früher im Hinblick auf die vielen Neurastheniker, welche
mich in St. Moritz mit ihren Klagen beglückten, so oft verwünscht habe, habe
ich nun doch grossen Respekt bekommen. Fast alle diese Soldaten haben
eiserne Nerven. Wenn sich einmal
S. 327: ein Zimperlicher zeigt, so ist es eben ein solcher Mensch, der auch im
alltäglichen Leben auf Kleinigkeiten reagieren würde. Von einer sogenannten
Kriegspsychose, wie sie die Herren Nervenaerzte schon gleich konstruirt
haben, habe ich noch nichts gesehen».
- 10 -
Bewundernd fügt er an: «Wenn ich meinen Respekt geäussert habe für die
Nerven unserer Generation, so kann ich es auch tun für die Kraft und Energie,
die in ihrem Körper wohnt. Auch da merkt man noch nichts von Decadenz und
Verweichlichung. Es ist merkwürdig, ja oft fast unfasslich, wie rasch und gut
bei richtiger chirurgischer Nachhilfe die scheusslichsten Wunden heilen».
«Drei Monate lang», schreibt er an anderer Stelle, «habe ich nun deutsche
Verwundete behandelt und zu meiner Freude niemals mit einem etwas
Unangenehmes erlebt, ja nicht einmal einen Misston gehabt». Die tapferen
Soldaten waren geerdete Patienten, wie er sie von seiner Gebirgspraxis her
kannte. Zum Abschied drückten sie ihm dankbar und treuherzig die Hand.
Einer der Bayern, nicht gerade der gescheiteste, aber der urwüchsigste, ein
rothaariger, vierschrötiger Landwehrmann, brachte ihm mit vor Stolz
leuchtenden Augen ein Bildchen: «Herr Docta, do bring ich eana ä Präsidänt,
mei Fotografi, dös is vor dia Ehr».
Weihnachten im Krieg
Ergreifend ist, wenn Oscar Bernhard seiner Lili die Weihnachtsfeier für die
Kriegsversehrten im Lazarett beschreibt, «diese Armen, die wochenlang
draussen in den feuchten Schützengräben lagen, allen Unbilden der Witterung
ausgesetzt und dem Tode, der vom Feinde droht, immer entgegen schauend,
nun sich unter einem schützenden Dach geborgen wissen, in dessen Hallen der
Weihnachtsbaum brennt und friedliche, feierliche Stimmung ausstrahlt.
In langen Reihen trugen die Sanitäter die Schwerverwundeten in den Saal
hinunter und lagerten sie bestmöglich, während die andern in Gruppen
hermarschiert kamen mit ihren verbundenen Köpfen, den Arm in der Schlinge
oder an Stöcken und Krücken humpelnd». Und dann beschreibt er, wie all
diese struppierten Krieger mit glänzenden Augen die Weihnachtslieder
mitzusingen versuchten.
«Es traten bei mir», beginnt er zu philosophieren, «eigentümliche Gedanken
auf. Welch widersinniges Unheil ist eigentlich so ein Krieg! Manche finden für
ihn eine tröstliche Benennung, wenn sie ihn mit einem Naturereignis
vergleichen. Es ist dies aber eine vielleicht bestrickende und doch so hohle
Phrase.
- 11 -
Naturereignisse stehen über den Menschen, der Krieg ist aber etwas von den
Menschen selbst Gewolltes und umsomehr zu verabscheuen, weil gerade in
diesem Krieg nirgends die Not eine Triebfeder sein konnte. Alle Nationen
hatten ihren Platz an der Sonne, der ihnen genügend Nahrung gab, und nur
Grossmannssucht und Neid hat diesen grässlichsten aller Kriege verschuldet».
Bis an die Leistungsgrenze
Die Arbeit in den Kriegslazaretten war eine Rund-um-die-Uhr-Aufgabe,
physisch hart und psychisch belastend. In einem Brief an seine Frau Lili aus
Kettwig vom 7. Februar 1915 schimmert denn auch erstmals - und das hat er
wohl nur ihr und niemand anderem gegenüber offenbart
S. 328: so etwas wie widerwilliger Respekt vor der erdrückenden Arbeitslast durch,
wenn er, der sonst unermüdliche Draufgänger und hartgesottene Naturbursche
schreibt: «Heute war ich wirklich eine Zeit lang fast erschöpft und fühlte auf
einmal zu meinem grossen Ärger etwas wie Alter».
Kein Wunder, wenn er gleich begründet, warum: «Allerdings ist in den letzten
14 Tagen vieles über mich ergangen. Im Lazarettzuge gab es wenig Schlaf und
die Rückreise war sehr anstrengend. Wir hatten 315 Verwundete und Kranke,
darunter auch Irrsinnige transportiert. Von früh morgens bis abends spät gab es
zu verbinden und in die Nacht hinein mussten noch die Protocolle geschrieben
werden. Die ganze Reise war aber höchst interessant und lehrreich und ein
Gewinn für mein ganzes Leben».
Plumpe Anschuldigung
Bernhard konnte aber auch ganz schön wütend werden und poltern, wenn er
sich ungerechterweise angegriffen fühlte, wie damals in Colmar, als ihm,
ausgerechnet ihm, irgendwelche Bürokraten-Generalärzte mit unbefleckter
Uniform und zwei linken Händen mangelnde Asepsis vorwarfen, was für ihn
als Operations-Perfektionist geradezu beleidigend war: «Wenn den Herren
Inspizienten meine schwarzen Fingernägel vielleicht aufgefallen sein mögen,
so rührt das daher, dass ich schon seit 30 Jahren meine Fingerspitzen vor einer
Operation noch nach vorangegangener gründlicher Desinfektion der Hände zur
ganz sicheren Desinfektion des Nagelfalzes mit Jodtinktur bepinsele».
- 12 -
Ungehalten fährt er fort: «Einem Chirurgen muss die Asepsis (steriles
Arbeiten) und die Antisepsis (Verhinderung der Wundinfektion) in Fleisch und
Blut liegen, sonst ist er durch sich selbst gerichtet und bald abgefertigt. Meine
30 Jahre chirurgischer Betätigung und im Beginne viele Jahre hindurch unter
den schwierigsten äusseren Verhältnissen, die Erfolge eines Lebensalters kann
mir kein Sanitätsamt oder kein Professor in einer halben Stunde absägen».
Für solch plumpe Anschuldigung verlangte er an höchster politischer Stelle
Satisfaktion und schloss mit der Feststellung: «Eines hat mir aber der
Beschluss des Sanitätsrates doch nicht nehmen können, mein chirurgisches
Selbstvertrauen».
Durchs Netz gefallen
Oscar Bernhard gehörte zu jenen Menschen, die immer spontan bereit waren
zu helfen, so auch der Schweizer Armee durch diese freiwilligen,
monatelangen Einsätze in Kriegslazaretten und mit Verantwortungsvollen
Commissionsreisen ins Ausland. Dennoch ging er bei der militärischen
Beförderung vergessen.
Also beantragte Hauptmann Bernhard 1917 beim Hauptquartier seine
Beförderung zum Major gleich selber, «denn ich fand mich wirklich einige
Male in etwas gedemütigter Lage» als älterer Subalterner unter den jüngeren,
ranghöheren internationalen Commissionsmitgliedern.
Diese Beförderung erfolgte später dann auch, allerdings erst 1925, und 1936
wurde er als Major «unter Verdankung der geleisteten Dienste» aus der
Wehrpflicht entlassen. Wahrscheinlich war er bezüglich Kriegschirurgie unter
den Schweizer Militärärzten derjenige mit der grössten Erfahrung, obschon er
darüber nie Aufhebens gemacht hat.
-------------------------------------------
Wir danken dem Verfasser bestens für die freundliche Wiedergabebewilligung.