PROF . DR. BEATE HOFMANN Unternehmenskulturgestaltung in der Diakonie Erfahrungen und wissenschaftliche Perspektiven Tagung „doing culture“ 23.11.2015
PROF. DR. BEATE HOFMANN
Unternehmenskulturgestaltung in der Diakonie
Erfahrungen und wissenschaftliche Perspektiven
Tagung „doing culture“
23.11.2015
1. Woher kommt die Frage nach Unternehmenskultur (UK)?
2. Was verstehen wir unter Unternehmenskultur?
3. Was macht UK diakonisch?
4. Wie lässt sich UK erfassen und beschreiben?
5. Welche (nachhaltige) Wirkung hat UK?
Kernfragen
WOHER KOMMT DIE FRAGE NACH UNTERNEHMENSKULTUR?
1. Frage
• Konzept Diakonischer Unternehmenskultur wurde 2008/2009 formuliert einerseits vom DW EKD und von in der Fortbildung Tätigen:
• Hanselmann 2007 • Hofmann 2008 • Reber 2009 • Charakteristika einer diakonischen Kultur, DW EKD
2008 • Rahmenbedingungen einer christlichen
Unternehmenskultur in Caritas und Diakonie, hg. v. Diakonie Bundesverband und Deutscher Caritasverband (im Rahmen von QM) 2011
Kurzer Rückblick
• Selbstverständliche Vertrautheit mit den christlichen Wurzeln diakonischer Einrichtungen und mit gelebter christlicher Spiritualität kann nicht mehr vorausgesetzt werden.
• Gleichzeitig wachsender Profilierungsdruck auf dem Sozialmarkt
• Bleibende Frage nach Spiritualität und ihrer Resilienz stärkenden Wirkung
• Für Nutzer sind Kirche und ihre Diakonie identisch.
Hintergrund
• Übergang von der Profilierung über Personen zur Profilierung über Organisationsmerkmale
• fundamentale Veränderung diakonischer Identität und Transformation der Prägung diakonischer Einrichtungen
Funktion
• Diakonische Unternehmenskultur als Managementkonzept stellt den Versuch dar, diakonisches Profil in den organisationalen Praktiken diakonischer Einrichtungen zu verankern.
• Damit sollen ethische und spirituelle Traditionen weitergeführt werden, die früher selbstverständlich durch Mitglieder geistlicher Gemeinschaften (Diakonissen und Diakone) repräsentiert wurden und nun durch Elemente organisationalen Handelns im Kontext der Personalführung wie der Dienstleistungserbringung verortet werden.
These
WAS VERSTEHEN WIR UNTER UNTERNEHMENSKULTUR?
2. Frage
Unternehmenskultur ist: die Summe der Überzeugungen, Regeln und Werte, die das Typische und Einmalige eines Unternehmens ausmachen.
(Neuberger, Oswald/ Kompa, Ain: Wir, die Firma. Der Kult um die Unternehmenskultur, München 1986, S.62 )
• Werte? • Organisationale Praktiken? • Religiöse Rituale? • Alles, was die Organisation tut?
Was ist Unternehmenskultur?
• Drei Modelle: - Unternehmen sind Kultur - Unternehmen machen Kultur - Unternehmen haben Kultur
• Drei Vorstellungen zur Entstehung - entsteht eigenständig, ungeplant und unbewusst - wird bewusst beobachtet und beschrieben - wird planvoll gestaltet bzw. verändert
Ist, macht oder hat ein Unternehmen Kultur?
• Organisationen sind Kulturen, sind Kultur schaffende und entwickelnde Systeme
• Ziel: Einsichten in das Alltagsgeschehen von Organisationen erhofft, nicht Steuerung oder Gestaltung
• Verstehende Anthropologie und Soziologie
Kultur als Metapher
• Unternehmenskultur als etwas Gegenständliches, das Organisationen in Ergänzung zu anderen Variablen wie Strukturen, Prozesse, Instrumente etc. haben und daher problemlos erfasst und gesteuert werden kann.
• Mechanistisches Organisationsverständnis
• Funktionalistische BWL und Managementlehre
Kultur als Variable
• Organisationen sind kulturschaffende und entwickelnde Systeme, die über die Zeit damit auch Kulturelemente hervorbringen, die wiederum die Interaktionen und Interpretationen der Kulturmitglieder beeinflussen können.
• Integration von Metaphern und Variablenansatz
• Rüegg-Stürm: Unternehmenskultur als Organisationsgrammatik
Kultur als dynamisches Konstrukt
• „Ein Muster gemeinsamer Grundprämissen, das die Gruppe bei der Bewältigung ihrer Probleme externer Anpassung und interner Integration erlernt hat, das sich bewährt hat und somit als bindend gilt; und das daher an neue Mitglieder als rational und emotional korrekter Ansatz für den Umgang mit Problemen weitergegeben wird.“ Schein, Edgar H.: Unternehmenskultur. Ein Handbuch für Führungskräfte, Frankfurt, New York 1995, S.25
Definition Edgar Schein
• Diakonische Kultur ist Lebenspraxis und Gestaltungsaufgabe im Horizont des anbrechenden Reiches Gottes. (Charakteristika-Papier DW 2008,7)
• Kultur als mentale Programmierung, Software des Geistes (G. Hofstede)
• Kultur inszeniert, was in einer Organisation gilt und zeigt, ob oder wie die Werte inkarniert sind.
• Unternehmenskultur als „Grammatik einer Organisation“ (J. Rüegg-Stürm)
• Bis heute fehlt ein Konsens in der Definition von Unternehmenskultur und in angemessenen Methoden der Erfassung
Andere Definitionen
• Unternehmenskultur als „shared perceptions of organisational work practices“.
• Diese Praktiken werden qualifiziert als „particular ways of conducting organisational functions that have evolved over time […] and reflect the shared knowledge and competence of the organisation“ (van der Berg/Wilderom 2004, 571)
• Unternehmenskultur spiegelt damit die Antwort auf die Frage „Wie wird das hier gemacht?“.
UK-Forschung
Artefakte Architektur, Bekleidung, Bürogestaltung, Dokumente, Jargon, Rituale, Zeremonien, Geschichten, Legenden, Anekdoten
Werte Unternehmensgrundsätze Leitbilder, explizite Normen und Werte z.B. Nächstenliebe christliche Ethik
Grundannahmen
Weltbild, Beziehung zu Umwelt, Menschenbild, christlicher Glaube
sichtbar, aber häufig schwer zu interpretieren
mittlere Stufe des Bewusstseins, teilweise bewusst und unbewusst
als selbstverständlich vorausgesetzt unsichtbar und unbewusst
Diakonische Unternehmenskultur
WAS MACHT UNTERNEHMENSKULTUR DIAKONISCH?
3. Frage
Verschiedene Antworten:
• Die gemeinsame Glaubensbasis, sichtbar in der Kirchenmitgliedschaft, sichert die diakonische Identität. Aber: religiöse Überzeugungen sind sehr plural.
• Die normative Ausrichtung ist spezifisch, also die Werteorientierung in Entscheidungen. Aber: viele Werte teilen wir mit anderen. Werte bilden auch in anderen Unternehmen nicht das kulturelle Spezifikum.
• Es gibt kein spezifisch diakonisches Profil; das Humanum ist das Christianum.
Was macht Diakonie diakonisch?
• Es gibt keine besondere christliche Fachlichkeit im Hilfehandeln.
• Hilfehandeln ist per se Ausdruck des christlichen Glaubens, der nicht zusätzlich christlich akzentuiert kann: „Die Diakonie wird nicht christlich, indem sie als christlich identifiziert wird. Sie ist die Verwirklichung des Christlichen.“ (Haslinger 2006,168)
• Hauschildt 2000, Haslinger 2006, Rüegger/Sigrist 2011
Streit um das diakonische Profil: Ablehnung
• durch die Verortung von Diakonie oder Caritas in der Kirche (Turre 2004)
• durch die Beschreibungen von zentralen ethischen Maßstäben wie der Güte Gottes, durch die die Qualität diakonischen Handelns charakterisiert sein solle (Körtner 2010)
• durch die Beschreibung von Dimensionen des christlichen Menschenbildes, die diakonisches Handeln prägen sollen (Wettreck/ Drews-Galle 2013)
Begründung eines christlichen Profils
• Thorsten Moos (2013, 267ff) differenziert zwischen dem Hilfehandeln und seiner religiösen Deutung
• Funktion dieser Deutung: Pflege des Hilfeethos, Darstellung der Unbedingtheitsmomente und Umgang mit den Aporien des Helfens (a.a.O., 271).
• Spezifikum nicht Hilfehandeln an sich, sondern christliches Signum des Hilfehandelns. (a.a.O., 267).
• Damit wird die Deutung des Handelns und die Reflexion darüber zum Kennzeichen von Diakonie
Vermittlung
WIE LÄSST SICH UNTERNEHMENS-KULTUR ERFASSEN UND BESCHREIBEN?
4. Frage
Kulturanalyse?
Ursus Wehrli: Die Kunst, aufzuräumen
Mitarbeiter gemeinschaft
Mitarbeiter- biographie
Gebäude, Räume, Sitzungen, Zeiten
Betreuungs verlauf
von Patienten und Bewohnern
4-Felder Schema zur Stärken-Schwächen-Analyse
25 16.06.2009
• Führung und Leitung
• Dienstleistungserbringung
• Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
• Mitarbeit von ehrenamtlichen und freiwillig Engagierten
Auditschema DW
• Was analysiert wird, hängt von der Definition ab.
• Was ist das Ziel der Analyse? - Kultur verändern? - Sich an Kultur anpassen? - Ethisches oder unethisches Verhalten festlegen? - (In)effiziente Kommunikationsmuster herausfinden? - Das Unbewusste bewusst machen?
(Driskill/Brenton, Organizational Culture in Action, 31)
Verbindung zur Definition
• Typenbildung vor allem im Blick auf Führungsverhalten und Mitarbeiterbeteiligung
• Ist-Soll-Vergleich
• Identifikation von „Schwachstellen“
• Oder Vergleich von Werten und Artefakten und Identifikation von Spannungen und Brüchen
• Daraus Ideen für Kulturentwicklung
Kulturanalyse
Typische Herangehensweisen
Starke - schwache Unternehmenskulturen:
• Prägnanz einer Kultur zeigt: klare und unverwechselbare Vermittlung von Orientierungsmustern und Werthaltungen
• Verbreitungsgrad: Ausmaß, in dem die MA die Kultur teilen
• Verankerungstiefe: Tiefe der Internalisierung kultureller Muster
K. Macharzina, Unternehmensführung, Gabler 4. Auflage 2003, S.222
• Quantitativ ausgerichteten Analyseinstrumenten liegt meist ein von den Forschenden eingetragenes Kulturkonzept zugrunde, das dann auf die Organisation angewendet wird.
• Wie können die teilweise unbewussten Elemente von Unternehmenskultur von Forschenden oder Mitarbeitenden angemessen zum Ausdruck gebracht werden?
Methodische Herausforderung
Forschungsprojekt des IDM in Zusammenarbeit mit
• Prof. Dr. Tim Hagemann, Fachhochschule der Diakonie, Bethel
• www.diakoniewissenschaft-idm.de/unternehmenskultur
• Laufzeit: 10/2015 bis 9/2018
Merkmale diakonischer Unternehmenskultur in einer pluralen Gesellschaft
• Was sind die Merkmale der Unternehmenskultur in Sozialorganisationen in diakonischer Trägerschaft?
• Wie verhalten sich Mitarbeitende ohne christliche Religionszugehörigkeit zur Unternehmenskultur in diakonischen Einrichtungen? Inwiefern wirkt die Verknüpfung von Hilfehandeln und religiösen Deutungen in der Unternehmenskultur auch für sie orientierend in ihrem Handeln und seiner Deutung?
Forschungsfragen
• 1. Schritt: Entwicklung von Kulturindikatoren und Erhebung des Profils der Kultur einer Einrichtung (2x Fokusgruppen, Auswertung mit Concept mapping und pattern matching)
• 2. Schritt: Untersuchung der orientierenden Wirkung der erhobenen Kulturelemente mit Fragebögen
• 3. Schritt: Interviews mit Mitarbeitenden ohne religiöse Bindung oder mit anderer Religionszugehörigkeit in den beteiligten Einrichtungen (inhaltsanalytische Auswertung=
Forschungsdesign
• 10 diakonische Träger mit je 2-3 Einrichtungen der Altenhilfe und Eingliederungshilfe im Süden, Westen und Osten Deutschlands
• Geldgeber: Diakonische Landesverbände, Diakonische Unternehmen, Curacon und KD-Bank
Forschungsfeld und Finanzierung
WELCHE (NACHHALTIGE) WIRKUNG HAT UK?
5. Frage
• Definiert Grenzen • Schafft Gefühl von Identität • Ermöglicht Motivatíon und organisiert Beteiligung • Verbessert Stabilität • Stiftet Sinn • Bietet Orientierung für das Verhalten der
Mitarbeitenden und reduziert Komplexität. Kultur ist der soziale Klebstoff, der eine Organisation
zusammenhält.
Robbins, Stephen P./ Judge, Timothy A.: Organizational Behavior, Harlow 2013,550
Funktion von Kultur
• Handlungsleitende Wirkung: In Kulturentwicklungsprozessen, die häufig mit Qualitätsentwicklungsprozessen verknüpft waren, haben diakonische Einrichtungen reflektiert, wie sie zentrale Alltagspraktiken beschreiben und was dabei prägend sein soll.
• Blieb das nur auf der normativen Ebene sichtbar?
Wirksamkeit sichtbar?
FORTSETZUNG MORGEN FRÜH…
Erfahrungen mit Nachhaltigkeit
• Diakonisches Werk der Evangelischen Kirche in Deutschland e.V. (2011): Rahmenbedingungen einer christlichen Unternehmenskultur in Caritas und Diakonie. Hg. v. Diakonie Bundesverband und Deutscher Caritasverband. Diakonie Bundesverband und Deutscher Caritasverband. Freiburg/Berlin
• Diakonisches Werk der Evangelischen Kirche in Deutschland e.V. (Hg.) (2008): Charakteristika einer diakonischen Kultur, Diakonie texte 1.2008
• Driskill, Gerald/ Brenton, Angela(2010) : Organizational Culture in Action: Sage Publications
• Hanselmann, Paul - Gerhardt (2007): Qualitätsentwicklung in der Diakonie. Leitbild, System und Qualitätskultur. Stuttgart: W. Kohlhammer (Diakonie, Bd. 5).
• Haslinger, Herbert (2006): Die Frage nach dem Proprium kirchlicher Diakonie. In: Volker Herrmann und Martin Horstmann (Hg.): Studienbuch Diakonik. Neukirchen-Vluyn: Neukirchener, Bd. 2., S. 160–174
• Hofmann, Beate (2010): Diakonische Unternehmenskultur, Stuttgart 2. Auflage
• Körtner, Ulrich H. J. (2010): Diakonie im Spannungsfeld zwischen Qualität, christlichem Selbstverständnis und Wirtschaftlichkeit. In: Wege zum Menschen (62), S. 155–167
Literatur
• Macharzina, Klaus (2003): Unternehmensführung, Gabler 4. Auflage
• Reber, Joachim (2009): Spiritualität in sozialen Unternehmen. Mitarbeiterseelsorge, spirituelle Bildung, spirituelle Unternehmenskultur. Stuttgart: Kohlhammer
• Rüegger, Heinz; Sigrist, Christoph (2011): Diakonie - eine Einführung. Zur theologischen Begründung helfenden Handelns. [Zürich]: TVZ, Theologischer Verlag Zürich
• Sackmann, Sonja (2002): Unternehmenskultur erkennen, entwickeln, verändern, Neuwied
• Sackmann, Sonja A. (2006): Messen, werten, optimieren - Erfolg durch Unternehmenskultur. Gütersloh: Verlag Bertelsmann Stiftung
• Schein, Edgar H. (2003): Organisationskultur. The Ed Schein Corporate Culture Survival Guide, Bergisch Gladbach
• Unterreitmeier, Andreas; Schwinghammer, Florian (2004): Die Operationalisierung von Unternehmenskultur- Validierung eines Messinstruments. Schriften zur Empirischen Forschung und Quantitativen Unternehmensplanung. Ludwig- Maximilian- Universität, München. Institut für Unternehmensentwicklung und Organisation. Efoplan. Heft 18.
• Van den Berg, Peter T.; Wilderom, Celeste O.M. (2004): Defining, Measuring, and Comparing Organisational Cultures. In: Applied Psychology: An International Review (54) Nr. 4, S. 570–582.
Literatur