1 Universität Linz Institut für Pädagogik und Pädagogische Psychologie Machbarkeitsstudie „Sprachliche Bildung und Sprachförderung – ein Konzept für Österreich“ Barbara Herzog-Punzenberger Birgit Springsits April 2015 Studie im Auftrag der Industriellenvereinigung Österreich
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Universität Linz
Institut für Pädagogik und Pädagogische Psychologie
Machbarkeitsstudie
„Sprachliche Bildung und Sprachförderung –
ein Konzept für Österreich“
Barbara Herzog-Punzenberger
Birgit Springsits
April 2015
Studie im Auftrag der Industriellenvereinigung Österreich
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Universität Linz
Institut für Pädagogik und Pädagogische Psychologie
Machbarkeitsstudie
„Sprachliche Bildung und Sprachförderung –
ein Konzept für Österreich“
Barbara Herzog-Punzenberger
Birgit Springsits
Reihe „Bildung und Migration“ des Instituts für Pädagogik und Pädagogische Psychologie der
Johannes Kepler Universität Linz
März 2015
Diese Studie wurde im Rahmen des Arbeitsbereichs „Bildung und Migration“ des Instituts für Pädagogik und Pädagogische Psychologie der Johannes Kepler Universität Linz gemeinsam mit dem Institut für Germanistik der Universität Wien, Fachbereich „Deutsch als Fremd- und Zweitsprache“ im Auftrag der Industriellenvereinigung erstellt.
Die in der Publikation geäußerten Ansichten liegen in der Verantwortung der Autorinnen und geben nicht notwendigerweise die Meinung der Industriellenvereinigung, der Johannes Kepler Universität Linz oder der Universität Wien wider.
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Zusammenfassung:
Mit dem Ziel, eine Orientierungshilfe für die österreichische Politik zur Weiterentwicklung der Schulpolitik im Kontext von Mehrsprachigkeit und vor dem Hintergrund zunehmender Mobilität zu erstellen, skizziert die Studie Eckpunkte einer Gesamtstrategie für sprachliche Bildung sowie Maßnahmen für die Implementierung von Sprachförderung, die an den Erfordernissen der Bildungs- und Teilhabegerechtigkeit und der Ausschöpfung aller Begabungsressourcen orientiert ist.
Der vorliegende Text kann als kurzer aber vollständiger 40-seitiger Text von der Einleitung bis zu den Handlungsempfehlungen gelesen werden. Die gesamte Machbarkeitsstudie besteht allerdings aus weiteren Teilen: einer umfangreichen Literaturliste sowie einem Anhang, der aus sieben z.T. umfangreichen Texten besteht. Dies schien uns sinnvoll, da sich die Mehrheit der LeserInnenschaft ansonsten kaum vorstellen kann, wie die kurz umrissenen Elemente des Konzepts in der realen Umsetzung im Detail aussehen können. Alle Anhänge stehen auch als Dokumente im Internet zum kostenlosen Download zur Verfügung.
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Inhaltsverzeichnis 4
EINLEITUNG 5
1 WARUM braucht Österreich ein Konzept „Durchgängiger Sprachbildung“? 6
2 FORSCHUNGSERGEBNISSE und rechtliche Rahmenbedingungen für Sprachbildung 7
1 Dauer des Erlernens der Alltags- und der Bildungssprache 2 Individuelle Dauer der Aneignung von Sprachkompetenzen 3 Effektivität unterschiedlicher Unterrichtsmodelle 4 Langzeiteffekte der Förderung von Sprachkompetenzen im Kindergarten 5 Rechtliche Rahmenbedingungen von Sprachförderung 3 KOMPONENTEN des Konzepts der Durchgängigen Sprachbildung 12
4.1 Informationsoffensive „Wenn Kinder mehrere Sprachen sprechen“ 4.2 Implementierung des Konzepts „Durchgängige Sprachbildung“ 4.3 Professionalität, Leadership und Qualitätssicherung 4.4 Bilinguale Unterrichtsmodelle für die größten Sprachgruppen
4.5 Evaluation und Forschung
5 Literaturhinweise 40
7 Anhang 44
7.1 Washington State Comprehensive Literacy Plan 7.2 When Children Speak More Than One Language 7.3 Program Preparedness Checklist 5.0 7.4 Guiding Principles for Dual Language Education 7.5 Vorgaben des US Bildungs- und Justizministeriums an die Schulverwaltungen 7.6 Sozialinduzierte Mittelvergabe – neue Formel in Kalifornien 7.7 Argumentationsübersicht zum Thema Schul-De/Segregation
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Einleitung
Sprachen sind in der Schule nicht nur Lerninhalte, sondern vor allem wichtigstes Medium des Lehrens
und Lernens. Bildungsinhalte in allen Fächern werden über Sprachen vermittelt, Leistungsnachweise
sind in den meisten Fällen sprachlich zu erbringen. Da an den meisten österreichischen Schulen
Deutsch die hauptsächlich gebrauchte Unterrichtssprache ist und anders- bzw. mehrsprachige
Unterrichtsmodelle die Ausnahme darstellen, ist Bildungserfolg in großem Maße an gute
Kompetenzen im Deutschen gekoppelt. Dabei sind aber nur am Anfang der Bildungslaufbahn, also in
der Elementarbildung, alltagssprachliche Kompetenzen ausreichend. Für eine erfolgreiche Teilnahme
am Unterricht müssen die Sprachkompetenzen darüber hinausgehen. Die Sprache der Schule ist von
Schulstufe zu Schulstufe immer mehr von „Bildungssprache“ geprägt. Die Unterscheidung zwischen
Alltags- und Bildungssprache ist im deutschsprachigen Raum erst in den vergangenen Jahren in den
Vordergrund getreten. Sie wurde bisher in den österreichischen Bildungs- und Förderkonzepten als
eigenständiges Konzept kaum reflektiert und daher in den strategischen Entscheidungen nicht
ausreichend berücksichtigt.
Im Bereich der Sprachbildung insgesamt zeigt sich in Österreich dringender Handlungsbedarf. Der
Anteil der LeserisikoschülerInnen ist unter den Jugendlichen vergleichsweise hoch und die
bildungssprachlichen Schwächen scheinen sich in Österreich über die Schullaufbahn eher zu
verfestigen anstatt durch gezielte Förderung verringert zu werden. Die bildungssprachlichen
Kompetenzen sind hier auch in sehr starkem Ausmaß vom familiären Hintergrund abhängig. Bei
einem nachhaltigen Konzept der sprachlichen Bildung - in dem Sprachförderung (im Unterschied zur
Sprachbildung) als Unterkategorie für spezifische Lernkonstellationen gilt - ist somit auf die
Durchgängigkeit vom Kindergarten bis zum Schulabschluss zu achten. Hierfür braucht es ein
konsistentes Konzept. Wie zahlreiche Studien zeigen, tragen einzelne Maßnahmen zur
Sprachförderung erst dann zu einer erfolgreichen Bildungslaufbahn bei, wenn sie durchgängig sind
und von einem systemweiten Bekenntnis zur sprachlichen Bildung getragen werden. Darunter wird ein
verbindendes und verbindliches Verständnis gefasst, dass die sprachliche Bildung eine grundlegende
Aufgabe des Bildungssystems ist. Diese Aufgabe muss auf jeder Ebene in der jeweilig adäquaten
Ausformung verwirklicht werden, damit die SchülerInnen möglichst unabhängig von ihrem familiären
Hintergrund ihre Potentiale voll entwickeln können.
Hier kommen allerdings grundlegende Strukturfragen zum Tragen, die den Erfolg ebenfalls
beeinflussen, wie etwa möglichst späte Selektionsvorgänge (gemeinsame Schulform bis zum Ende der
Pflichtschule) und eine ganztägige Schulform, in der Sprachförderung über den ganzen Tag verteilt
stattfinden kann. Ebenso weiß man um die besonderen Herausforderungen von sozial segregierten
Standorten, die einer besonderen Ressourcenzuteilung und Unterstützung bedürfen. Überhaupt wird
neben dem veränderten Professionsverständnis der Lehrkräfte und der datenbasierten, selbstreflexiven
Unterrichtsentwicklung die Schulstandortentwicklung als Dreh- und Angelpunkt für die erfolgreiche
sprachliche Bildung gesehen (vgl. Mercator Institut für Sprachförderung und Deutsch als
Zweitsprache 2013). Denn nur mit systematischer auf konsistentes Handeln aller pädagogischen
Akteure angelegter sprachlicher Bildung und Förderung sind nachhaltige Erfolge zu erzielen.
Über den bisherigen Forschungsstand, die internationalen Ansätze und Erfahrungen sowie
Handlungsempfehlungen für Österreich informiert die vorliegende Machbarkeitsstudie.
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WARUM braucht Österreich ein Konzept Sprachlicher Bildung und Förderung?
Kurz gefasst, kann die Frage, warum Österreich ein Konzept Durchgängiger Sprachbildung braucht, in
wenigen Punkten beantwortet werden:
1. Der Anteil der Lese-RisikoschülerInnen im Alter von 15 Jahren ist mit 20% (PISA 2012) in
Österreich zu hoch, d.h. jede/r fünfte Schüler/in kann nicht sinnerfassend lesen (Schmich/
Bitesnich 2013, 18-19).
2. Der familiäre Hintergrund hat im internationalen Vergleich in Österreich einen relativ großen
Einfluss auf die Kompetenzentwicklung der SchülerInnen, z.B. im Lesen (Bruneforth/Weber/
Bacher 2012, 205).
3. Die Leseschwäche nimmt durch die Beschulung (bzw. den Förderunterricht) nicht ab,
stattdessen fallen die leseschwachen SchülerInnen im Vergleich zu den anderen in der
Sekundarstufe 1 weiter zurück (Schabmann/Landerl/Brundeforth/Schmidt 2012, 19-20).
4. Ein großer Teil der leseschwachen SchülerInnen (71% in PISA 2012) hat mindestens einen
Elternteil, der in Österreich geboren ist. Mangelnde Lesefähigkeit ist daher nicht hauptsächlich
ein Problem von zugewanderten Familien (Schwantner 2013, 45-55).
5. Etwas mehr als 230.000 SchülerInnen (2013/14) in Österreichs Schulen sprechen in der
Familie (auch) eine andere als die Unterrichtssprache, das ist rund ein Fünftel der gesamten
Schülerpopulation. Der Anteil der mehrsprachigen SchülerInnen wächst kontinuierlich und
beträgt unter den zukünftigen SchulanfängerInnen über 25% (BMBF 2015). Die Ressource
der Mehrsprachigkeit sollte individuell und gesellschaftlich aufgebaut und genützt werden.
6. Die Leistungsdifferenz in den gemessenen Lesekompetenzen zwischen SchülerInnen mit und
ohne Migrationshintergrund im Alter von 15 Jahren ist mit 60 Punkten (PISA 2012) noch
immer zu groß. Dies gilt auch für jene SchülerInnen, die bereits in Österreich geboren wurden,
der 2. Generation (Mittelwertsdifferenz 58 Punkte) (Toferer et al 2013, 74).
7. In den Einwanderungsländern Australien, Kanada, USA bestehen keine oder sehr viel kleinere
Leistungsdifferenzen zwischen SchülerInnen mit und ohne Migrationshintergrund bzw.
einsprachigen und mehrsprachigen SchülerInnen, sei es im Lesen aber auch in Mathematik
und Naturwissenschaften.
8. Schwierigkeiten in der Entwicklung bildungssprachlicher Kompetenzen wirken sich nicht nur
beim Lesen aus. Sie scheinen für mehrsprachige SchülerInnen den Lernprozess in Mathematik
und insbesondere in den Naturwissenschaften wesentlich zu erschweren. Die
Leistungsdifferenz zwischen den Mittelwerten der SchülerInnen, die zuhause nur Deutsch
sprechen und jenen, die zuhause auch eine andere Sprache sprechen, beträgt im
Kompetenzbereich Lesen 49 Punkte, in Mathematik 59 Punkte und in Naturwissenschaften 69
Punkte (Schwantner/Toferer/Schreiner 2013, 75).
9. Die langfristig positive Wirkung des Kindergartenbesuchs auf schulfachliche Kompetenzen
konnte in Österreich für SchülerInnen mit Migrationshintergrund auf der 4. Schulstufe nicht
zweifelsfrei festgestellt werden. So waren die Kompetenzunterschiede zwischen jenen, die
keinen Kindergarten besucht hatten und jenen, die ihn mehr als ein Jahr besucht hatten in
Mathematik nicht signifikant. Die Wirkung auf die Deutschkompetenz war zwar signifikant
aber geringer als bei SchülerInnen ohne Migrationshintergrund. (Bruneforth/Weber/Bacher
2012, 205). Hier gilt es die Wirkungszusammenhänge (mangelnde Qualität der Standorte oder
der Förderung der betroffenen Kinder im Kindergarten und/oder während der darauffolgenden
Schullaufbahn) zu erforschen.
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1 Forschungsergebnisse und rechtliche
Rahmenbedingungen für Sprachbildung
In diesem Einführungskapitel werden die wichtigsten aktuellen Forschungsergebnisse zur Frage der
sprachlichen Bildung von mehrsprachigen Kindern und Unterschiede in den rechtlichen
Rahmenbedingungen am Beispiel der USA präsentiert. Soweit wir derzeit die globale
Forschungslandschaft zu diesem Thema überblicken können1, kommen die nach wissenschaftlich-
methodischen Kriterien aussagekräftigsten Studien aus den USA und Kanada. Dies hängt unter
anderem damit zusammen, dass in diesen Ländern Schulstandorte seit Jahrzehnten verpflichtet sind, an
standardisierten Tests teilzunehmen sowie für den Bereich von Mehrsprachigkeit und Sprachbildung
relevante Kriterien, wie etwa die Aufenthaltsdauer im jeweiligen Bildungssystem und die
Sprachverwendung, erfasst werden. Daher greifen wir in der Folge auch hauptsächlich auf diese
Studien zurück. Die vier wichtigsten Forschungsergebnisse zur Frage der sprachlichen Bildung von
mehrsprachigen Kindern können folgendermaßen zusammengefasst werden:
1. Die Dauer des Erlernens der alltagssprachlichen und der bildungssprachlichen Variante
der Unterrichtssprache ist sehr unterschiedlich. Die Angleichung zwischen SchülerInnen,
deren Familiensprache von der Unterrichtssprache abweicht und jenen, die zuhause nur die
Unterrichtssprache sprechen, in den „akademischen“ Sprachkompetenzen dauert bei Weitem
länger als in den alltagssprachlichen Kompetenzen. Daten aus kalifornischen Schulbezirken2
zeigen, dass die Angleichung in der mündlichen Variante 3-5 Jahre und in der akademischen
Variante 4-7 Jahre dauert. Der Vergleich mit kanadischen Daten bestätigt diese Zeitangaben
(Hakuta, Butler, Witt 2000).
Abb. 1: Dauer der Angleichung des Fähigkeitsniveaus von Erst- und Zweitsprache. (Berendes u.a. 2013, S. 28)
Das ist kein neues Ergebnis, sondern aus der kanadischen Forschung seit Anfang der 1980er Jahre
bekannt (Cummins 1981). Trotzdem wird es in der österreichischen Praxis der Sprachbildung und
Förderung mehrsprachiger SchülerInnen nicht ausreichend berücksichtigt.
1 Literatur, die weder in Deutsch noch in Englisch verfügbar ist, konnten wir leider nicht berücksichtigen.
2 Es wurden sowohl Bezirke und Schulstandorte mit mittlerem sozioökonomischem Hintergrund als auch solche
mit einem hohen Anteil an Familien, die von Armut betroffen waren, gewählt. Die größten Gruppen von
SchülerInnen stammen aus Mexiko bzw. Lateinamerika und aus asiatischen Ländern.
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2. Die Dauer der Entwicklung der bildungssprachlichen Kompetenzen von mehrsprachigen
Kindern (in der Unterrichtssprache) variiert individuell sehr stark. Am Beispiel kanadischer
Daten (standardisierter Lesetest Provinz Ontario 2005, siehe Coelho 2012, 127) wurde
gezeigt, dass nach einem Jahr Besuch einer englischsprachigen Schule in Ontario 22% der
eingewanderten SchülerInnen mit einer anderen Erstsprache als Englisch die Lesestandards
der Provinz (3. Schulstufe) erreichten, die von rund 60% der in Kanada geborenen
SchülerInnen, deren Erstsprache Englisch ist, erreicht wurden. Unter jenen, die bereits zwei
Jahre die kanadische Schule besuchten, waren es 39%, unter jenen, die sie drei Jahre
besuchten 52%. SchülerInnen, die 4-5 Jahre die kanadische Schule besuchten, erreichten die
geforderten Lesestandards in 61% der Fälle, bei Kindern, die sechs und mehr Jahre den
Unterricht in Kanada besuchten, waren es 63%. Volle Angleichung der Leistungsverteilung
der SchülerInnen wird in einem Datensatz aus Toronto erst nach 9-11 Jahren Aufenthalt in
Kanada erreicht (Hakuta/ Butler/Witt 2000, 28). Einer der Faktoren, die Unterschiede
erklären, ist der sozioökonomische Hintergrund der Familie.
Abb.2 Prozentsatz von eingewanderten SchülerInnen, die die Bildungsstandards in der Lesekompetenz in
Schulstufe 3 bzw. 6 erreichten nach Aufenthalts- bzw. Beschulungsdauer in Kanada. Quelle: Coelho 2012, S. 127
Das ist wiederum kein neuer, auch kein überraschender Befund. Er zeigt aber umso deutlicher, dass
die Diskussion von Kompetenzentwicklungen über Mittelwerte (d.h. ein statistisch berechneter Wert,
der eine ganze Gruppe von Individuen repräsentiert) zu stark vereinfachten Vorstellungen über
Kompetenzentwicklungen und Förderprogramme führen kann.
3. Vollständig zweisprachige Unterrichtsformen erzielen im gesamten Bildungsverlauf
höhere Bildungserträge als einsprachige, die von Anfang an nur die Unterrichtssprache
verwenden oder zweisprachige Übergangsprogramme. Während die Kompetenzentwicklung
mehrsprachiger Kinder in den ersten Schuljahren in Unterrichtsformen, die nur die
Amtssprache (der Mehrheitsbevölkerung) verwenden, schneller verläuft als in einem
vollständig bilingualen Programm (dual immersion), zeigt sich in höheren Schulstufen und
daher nach längerer Beschulung genau der umgekehrte Effekt: Die Kompetenzen in der
siebten Schulstufe in der Bildungssprache (Englisch) und Mathematik sind bei zweisprachigen
Kindern in dual immersion programs signifikant höher als in allen drei anderen
Unterrichtsvarianten (monolingual Englisch, transitional zweisprachiges Programm und
developmental zweisprachiges Programm).
Einsprachige in
Kanada geborene SchülerInnen
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Abb. 3Kompetenzzuwächse mehrsprachiger SchülerInnen nach Unterrichtsmodellen und
Beschulungsjahren. Quelle: Valentino & Reardon 2014, S. 10 des Anhangs
In den USA insbesondere auch Kalifornien gibt es detailliert ausgearbeitete Konzepte für die
Implementierung von zweisprachigen Unterrichtsmodellen3, die in engem Zusammenhang mit
kompetenzorientiertem Lernen und einer durchgängigen Qualitätssicherung stehen. Es ist dabei
wichtig zu erwähnen, dass es neben den sprachdidaktischen Konzepten einen weiteren wesentlichen
Unterschied zwischen den vollständig zweisprachigen Programmen (hier Englisch-Spanisch und
Englisch-Chinesisch) und zweisprachigen Unterrichtsformen, die die Familiensprache nur eine
begrenzte Zeit verwenden, gibt: die Zusammensetzung der Schulklasse. In den begrenzt
zweisprachigen Modellen finden sich nur Kinder, die zuhause kein Englisch sprechen. Hingegen
nehmen an den vollständig zweisprachigen Unterrichtsformen SchülerInnen, deren Familiensprache
die Amtssprache (Englisch) ist, im Umfang von mindestens einem Drittel der SchülerInnen in der
Klasse teil. Diese zuvor einsprachig englischsprachigen SchülerInnen absolvieren gemeinsam mit den
anderssprachigen SchülerInnen ihre Schulbildung in Englisch und Spanisch oder Chinesisch und
werden somit auch zu bildungssprachlich zweisprachigen SchülerInnen. Weiters wird hervorgehoben,
dass durch den Fachunterricht in der jeweiligen Familiensprache keine sprachlich bedingten
3 siehe Komponente 5 in Kapitel 3 sowie Unterkapitel 5.4 in den übergreifenden Handlungsempfehlungen.
10
Verständnisschwierigkeiten in Bezug auf die Lerninhalte (z.B. in Mathematik) auftreten, wie es im
monolingualen System der Fall ist.
4. Das Ausmaß der Sprachbeherrschung der Unterrichtssprache von Kindergartenkindern,
die zuhause eine andere Sprache (z.B. Spanisch oder Chinesisch) als die Unterrichtssprache
(in diesem Fall Englisch) sprechen, hat sich als nicht relevant für die langfristige
Kompetenzentwicklung, also die höhere Bildung in Mathematik und Englisch herausgestellt.
Für die Analyse wurden Daten der jährlichen landesweiten standardisierten Tests vom
Kindergarten bis zur siebten Schulstufe in unterschiedlichen kalifornischen Schulbezirken
verwendet. Die einzige Ausnahme sind etwas stärkere Zuwächse in den höheren Schulstufen
bei „dual immersion programs“ im Unterschied zu „English only programs“, wenn das Kind
im Kindergarten bereits die Unterrichtssprache (Englisch) beherrschte (Valentino & Reardon
2014, 24).4
Dieses Ergebnis ist vor allem deshalb interessant, weil bis zum Zeitpunkt seiner
Veröffentlichung keine Analysen über Kompetenzentwicklungen mehrsprachiger Kinder mit
unterschiedlichen Ausgangsbedingungen in unterschiedlichen Unterrichtsmodellen anhand
standardisierter Tests über so lange Zeit (8 Jahre) und für unterschiedliche Sprachgruppen
vorlagen. In anderen Analysen konnten bisher weniger Variablen berücksichtigt werden.
Gleichzeitig muss erwähnt werden, dass zahlreiche Studien auf die positive Wirkung eines
möglichst frühzeitigen Kontakts mit der Unterrichtssprache hinweisen.
Diese Ergebnisse beruhen auf Analysen von Daten aus Nordamerika, da in Europa vergleichbar
differenzierte Daten nicht vorliegen. Von Interesse ist nun für Österreich, inwieweit die Ergebnisse auf
das Deutsche als Unterrichtssprache und auf die hiesigen Umstände übertragbar sind. Bisher liegen
noch keine Forschungsergebnisse zu den Unterschieden zwischen der Aneignung des Deutschen als
Zweitsprache und des Englischen als Zweitsprache im schulischen Kontext vor. Die
Herausforderungen könnten, wiederum spezifisch nach Herkunftssprachen der SchülerInnen,
unterschiedlich sein. Die Faktoren auf der Ebene der SchülerInnen und ihrer Eltern mögen etwa in den
USA ähnliche Verteilungen aufweisen wie in Österreich, sei es das Alter der Einreise bzw. die Dauer
des Aufenthalts im Land, der sozio-ökonomische und der rechtliche Status der Familien, die
Sprachkenntnisse sowohl in der Familiensprache als auch in der Unterrichtssprache, die Anpassung an
die jeweiligen gesellschaftlichen Verhältnisse vor Ort. Diese Faktoren können in aufwendigen
statistischen Analysen kontrolliert werden. Unterschiedlich und weniger leicht zu kontrollieren sind
aber die Schulkulturen, die Schulverwaltung, die Aus- und Weiterbildung der PädagogInnen, die
angebotenen Programme und Maßnahmen sowie die öffentlichen Diskurse. Am deutlichsten ist der
Unterschied allerdings in rechtlichen Belangen.
5. Rechtliche Rahmenbedingungen
Bemerkenswert, wenngleich in Österreich wenig bekannt, ist etwa, dass in den USA seit 1964 hohe
Normen hinsichtlich der Bildungsgleichheit (Equal Educational Opportunities Act EEOA) bestehen.
Unter Title III, Part A of the Elementary and Secondary Education Act wurden diese 1965 für
mehrsprachige SchülerInnen und deren Eltern legistisch definiert. Ebenso wurden die diesbezüglichen
Kontrollrechte auf allen Ebenen der Schulverwaltung festgelegt (vgl. Anhang 7.5, S.5). Im
Unterschied zur österreichischen Gesetzgebung sind die Ausführungen zur Sprachförderung keine
„Kann-Bestimmungen“ sondern obligations, also Verpflichtungen der zuständigen Behörden auf allen
Ebenen, die vor dem Höchstgericht (Supreme Court) etwa von Eltern eingeklagt werden können. Von
4 Allerdings sagt das nichts über ihre Kompetenz in der Erstsprache aus. Je besser die Förderung des Kindes im
Altersbereich vor der Schule, desto besser die Schulergebnisse (Melhuish 2013).
11
diesem Recht wurde auch Gebrauch gemacht, und die Bundesbehörde bezieht sich in ihren Vorgaben
an die Schulverwaltungen der Bundesstaaten (vergleichbar mit den Landesschulräten) auf die
Gerichtsurteile (vgl. Lau vs. Nichols 1974, Horne vs. Flores 2009 etc.). Dies betrifft auch die Qualität
der angebotenen Sprachförderung (inkl. Weiterbildung der PädagogInnen).
Immerhin befinden sich unter den SchülerInnen der USA derzeit rund 5 Millionen English Language
Learners, die auch zu einem großen Anteil aus Familien stammen, die mit Armut zu kämpfen haben
und Schulen besuchen, die unterdurchschnittlich ausgestattet sind (Goldenberg 2013, 1). Die
Sprachbildung ist also in den USA eine mindestens so große Herausforderung wie in Österreich. Die
Ergebnisse, wie sie etwa im PISA-Test abgebildet sind, scheinen wesentlich besser zu sein als in
Österreich. Die Differenz von 8 Punkten in der Mathematikkompetenz (PISA 2012) zwischen der 2.
Generation und sogenannten einheimischen SchülerInnen ist nicht signifikant5 (Schwantner, Toferer,
Schreiner 2013, 74). Es stellt sich daher die Frage, welche Faktoren dies erklären können. Haben
unterschiedliche rechtliche Rahmenbedingungen Auswirkungen auf die Vielfalt und Qualität der
angebotenen Programme und Methoden sowie auf die Professionalität der PädagogInnen, der
SchulleiterInnen und der Schulverwaltungen in den Fragen der sprachlichen und kulturellen
Responsivität?
Während in Österreich weder SchülerInnen noch ihre Eltern sprach(bildungs)bezogene Rechte
einklagen können, wie etwa eine adäquate Sprachförderung im Deutschen oder die schulrelevanten
Informationen und Gesetze in der für die Eltern am besten verständlichen Sprache, können Eltern in
den USA durch die diesbezüglichen Bürgerrechte seit 1965 und insbesondere seit dem
Höchstgerichtsurteil 1974 (Lau vs. Nichols) sowie 1981 (Castaneda vs Pickard) sogar eine bestimmte
Qualität der schulischen Sprachförderung einklagen. Die Bundesebene (vgl. Bildungsministerium)
wiederum kann gegebenenfalls die Kontroll- und Implementierungspflichten der regionalen
Bildungsverwaltungen einklagen (z.B. United States vs. Texas 2010 oder United States vs. City of
Yonkers 1996) (vgl. Anhang 7.5, S. 6). Es würde den Rahmen der Machbarkeitsstudie sprengen, die
vielfältigen Strukturen und Maßnahmen in Zusammenhang mit den Bürgerrechten in den USA, die
sich auch auf Bildungsgerechtigkeit und Sprachbildung beziehen, hier zu diskutieren; dies sollte aber
als einer von mehreren Einflussfaktoren nicht außer Acht gelassen werden.6
Auf Basis der Übersicht der bereits genannten und im folgenden Text zitierten Forschungsergebnisse
sowie der in Deutschland, der Schweiz, den USA und Kanada existierenden evidenzbasierten
Handlungsempfehlungen und der bereits existierenden gesetzlich verankerten Konzepte einer
umfassenden und durchgängigen Sprachbildung auf der Ebene eines US Bundesstaates (Washington
State) soll nun ein erster Entwurf für das Konzept einer Durchgängigen Sprachbildung für Österreich
vorgestellt und diskutiert werden.
5 Und bei Berücksichtigung des sozioökonomischen Hintergrunds weisen die SchülerInnen aus zugewanderten
Familien einen um 9 Punkten besseren Durchschnittswert auf als jene aus nicht zugewanderten Familien. 6 Es wäre allerdings sehr aufschlussreich, zu dieser Frage ein interdisziplinäres Rechtsgutachten erstellen zu
lassen, das die Rechtslage in den USA und in Österreich vergleicht.
12
2 KOMPONENTEN eines Konzepts der
Durchgängigen Sprachbildung für Österreich
Ein in seinen Details erst zu entwickelndes Konzept „Durchgängige Sprachbildung in Österreich“, so
wie es in der vorliegenden Machbarkeitsstudie skizziert wird, sollte sich an das am
Kompetenzzentrum „Förderung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund“ FörMig an
der Universität Hamburg entwickelte Konzept der Durchgängigen Sprachbildung (Lange/Gogolin
2007) anlehnen. Ebenso werden Anregungen des Washington State Comprehensive Literacy Plan
(siehe Anhang 1) verarbeitet, der über das FÖRMIG-Modell insofern hinausgeht, als er explizit bereits
mit der Geburt des Kindes7 beginnt.
Es werden in der Folge fünf Komponenten dargestellt: (1) Grundverständnis von sprachlicher Bildung,
(2) Durchgängigkeit, (3) Diagnostik, Portfolio und Standards, (4) PädagogInnen und Leadership, (5)
Bilinguale Unterrichtsmodelle.
Komponente 1 GRUNDVERSTÄNDNIS von sprachlicher Bildung
Um über kurzfristige Maßnahmen, die oftmals von ihrer Öffentlichkeitswirksamkeit und politischen
Logik getrieben sind, hinauszukommen, muss das Grundverständnis der zentralen Begriffe von
Sprachbildung und ihre Einbettung im gesellschaftlichen Kontext geklärt werden. In der vorliegenden
Machbarkeitsstudie geht es um Sprachaneignung. Hierfür wird der Begriff „Sprachbildung“
verwendet. Als zweiter zentraler Begriff fungiert „Bildungssprache“. „Sprachbildung“ meint die
Unterstützung in der Aneignung alltags- und bildungssprachlicher Kompetenzen durch
Kindertageseinrichtungen und Schulen in Kooperation mit anderen für den Spracherwerb wichtigen
PartnerInnen (z.B. Eltern und außerschulische Bildungseinrichtungen). Zielgruppe sind dabei alle
Kinder und Jugendlichen. Ihnen sollen an ihre bisherigen Kompetenzen und Vorerfahrungen
angepasste Angebote gemacht werden, um sie in verschiedenen Registern der Sprache „fit“ zu
machen. Ort der Sprachbildung ist der gesamte Unterricht in seinen unterschiedlichen Ausprägungen.
Unter „Sprachförderung“ hingegen werden besondere Maßnahmen verstanden, die das Ziel verfolgen,
einzelnen Kindern oder speziellen Gruppen Hilfestellungen bei der Bewältigung bestimmter
sprachlicher Aneignungsaufgaben zu geben, etwa weil bei ihnen spezieller sprachlicher Förderbedarf
festgestellt wurde. Diese Förderung kann zusätzlich zum bzw. getrennt vom Regelunterricht oder auch
integrativ stattfinden. Jedenfalls ist Förderung geplant und zielgerichtet und richtet sich nicht an alle
SchülerInnen gleichermaßen. „Sprachförderung“ kann somit als ein bestimmter Teilbereich von
„Sprachbildung“ verstanden werden (vgl. Gogolin u.a. 2011, S. 59f.). Es hat sich jedoch gezeigt, dass
Sprachförderung umso effektiver ist, je stärker sie in ein umfassendes Konzept von Sprachbildung
eingebettet ist. Aus diesem Grund werden Sprachförderung und Sprachbildung in der vorliegenden
Machbarkeitsstudie als untrennbare Konzepte behandelt, sollen sie langfristige und daher nachhaltige
Wirkung zeigen (Mercator-Stiftung „Wirksamkeit von Sprachförderung“).
7 In der Phase vor dem Eintritt in institutionelle Pflege und Bildung geht es in einem umfassenden
Sprachbildungskonzept einerseits um die Information der Akteure im institutionellen Umfeld der Eltern und zweitens um die Information und Unterstützung mehrsprachiger Eltern in ihren Wahlmöglichkeiten hinsichtlich des Gebrauchs einer oder mehrerer Sprachen in der familiären Kommunikation. Es geht nicht darum, die Eltern unter Druck zu setzen oder sie in eine bestimmte Richtung zu drängen.
13
Alltagssprache und Bildungssprache
Um die Sprachentwicklung sowohl der einsprachigen als auch der mehrsprachigen SchülerInnen
differenziert erfassen zu können, hat sich seit den 1980er Jahren in den traditionellen
Einwanderungsländern (Kanada, USA, Australien) die Unterscheidung zwischen „Alltagssprache“ und
„Bildungssprache“ etabliert (zur Begriffshistorie siehe Berendes et al 2013, S. 18-24). Am Beginn der
Bildungslaufbahn dominieren die alltagssprachlichen Anteile, die aber von Schulstufe zu Schulstufe
immer mehr von der „Bildungssprache“ (Cummins 1981, Chamot & O’Malley 1996,
Dadurch soll sichergestellt werden, dass in einer Phase, die für die Aneignung von Sprachen essentiell
ist, die bestausgebildetsten PädagogInnen mit den Kindern arbeiten.
Da der Prozess hin zu einer tertiären Ausbildung der KindergartenpädagogInnen noch einige Zeit in
Anspruch nehmen wird, ist es angezeigt, den Themenbereichen DaZ und Mehrsprachigkeit in der
derzeitigen Ausbildung explizit Raum zu geben. Wünschenswert wäre die Einführung eines eigenen
Faches zu diesem Bereich, da bei einer reinen Berücksichtigung migrationsspezifischer Perspektiven
als Querschnittsmaterie in allen Fächern das Themengebiet allzu leicht „untergeht“. Die Integration
des Bereichs in bestehende Fächer (z.B. Didaktik) durch Schwerpunktsetzungen in einzelnen
Schulstufen scheint angesichts der im Lehrplan der BAKIP vorgegebenen Themenbereiche kaum in
ausreichendem Maße möglich zu sein.
In der Fortbildung bieten im Moment die Lehrgänge zur „Frühen sprachlichen Förderung“, die
an den verschiedenen PHs in Österreich für PädagogInnen an der Schnittstelle vom
Kindergarten in die Volksschule angeboten werden, eine Chance zur Qualifizierung der
bereits im Dienst befindlichen PädagogInnen. Mit einem Ausmaß von im Normalfall 6 ECTS
können sie jedoch nur als Grundqualifizierung zu einer sprachsensiblen Gestaltung der
Schuleingangsphase gelten. Durch weitere standortspezifische Fortbildungen, die im Idealfall
institutionenbergreifend stattfinden und von PädagogInnen des Elementar- und Primarbereichs
gemeinsam besucht werden, können PädagogInnen in ihren konkreten Herausforderungen
unterstützt, gemeinsame Sprachbildungsstrategien entwickelt und Schulentwicklungsprozesse
angestoßen werden.
A13 Leaderhsip durch die Schulleitung notwendig
Bei einer Untersuchung über schulische Bedingungen zur Verkleinerung der Leistungsdifferenz in
Lesen zwischen unterschiedlichen Herkunftsgruppen in Kalifornien (Oberman 2004) zeigte sich, dass
die Rolle der SchulleiterInnen neben der regelmäßigen Verwendung von Resultaten standardisierter
Tests für die Unterrichtsentwicklung entscheidend war für den Erfolg. In den Schulen, in denen es zu
wesentlichen Verbesserungen über einen Zeitraum von vier Jahren gekommen war, hatte die
Schulleitung das Thema zu einem prioritären Arbeitsfeld des Schulstandorts erklärt und den
Lehrkräften Zeit und Raum zur Verfügung gestellt, um sich über Unterrichtserfahrungen und
Testresultate regelmäßig auszutauschen und neue Strategien auszuprobieren. Die Schulleitung achtete
auch auf eine adäquate Fehlerkultur (Fehler als Lernpotential verstehen) und organisierte externe
Unterstützung zum Themenfeld des Lesenlernens.
Die Sensibilisierung der Schulleitungen für das Themenfeld der durchgängigen Sprachbildung ist ein
vordringliches Ziel, das u.a. durch Selbstevaluationsinstrumente angestoßen werden kann.
Als wichtige Anknüpfungspunkte sind hierbei einerseits die Resultate der
Bildungsstandardtestungen zu sehen und die Entwicklungsvereinbarungen im Rahmen der
Schulqualität Allgemeinbildung SQA. Insbesondere die BIST Deutsch in der vierten
Schulstufe, deren Resultate voraussichtlich Ende 2015, bzw. der BIST Deutsch in der achten
Schulstufe, die Ende 2016 übermittelt werden, bieten eine gute Gelegenheit, das Thema der
durchgängigen Sprachbildung flächendeckend an den Schulstandorten anzusprechen.
Als weiteres Thema der „Leadership“ in diesem Themenbereich ist die Elternarbeit zu erwähnen.
Die Eltern sind als wichtige BildungspartnerInnen im Dreieck Schule-Kind-Eltern zu berücksichtigen.
Es ist jedoch vorrangig Aufgabe der Schule (und vorschulischer Bildungseinrichtungen), die Kinder
an die deutsche Bildungssprache heranzuführen. Diese kann nämlich von den Eltern je nach eigener
bildungssprachlicher Kompetenz, dem Grad an formaler Bildung und der Kompetenz im Deutschen
nur bedingt übernommen werden. Sprachliche Bildung ist auch im außerschulischen Kontext wichtig,
jedoch kann diese in der Familie nur in einer Sprache bzw. in Sprachen geschehen, die die Eltern gut
32
und gerne sprechen und die sie auch an ihre Kinder weitergeben möchten. Die Wahl der
Familiensprache(n) ist somit den Eltern zu überlassen und fällt nicht in den Zuständigkeitsbereich der
Bildungseinrichtungen.
Eltern, die aus anderen kulturellen Kontexten stammen und die ein anderes Schulsystem als das
österreichische erlebt haben, haben fallweise sehr unterschiedliche Vorstellungen über ihre Rolle
hinsichtlich der Schulbildung ihrer Kinder. Die Frage, wie professionelle Elternarbeit beschaffen sein
könnte und welche spezifischen Themen bei zugwanderten Eltern zu berücksichtigen sind, hat bisher
im Professionsverständnis der österreichischen PädagogInnen noch keinen wichtigen Platz. Hier sollte
eine neue Zugangsweise entwickelt und in der Aus- und Weiterbildung verankert werden.
Die Professionalisierung der Elternarbeit in Kindergarten und Schule ist als dringlicher
Entwicklungsschritt im Professionsverständnis zu sehen. Für kulturelle und sprachliche
Responsivität in diesem Bereich gibt es good practices aus anderen Ländern, die an die
österreichische Situation angepasst werden sollten (siehe Anhang 7.3).
Komponente 4
Bilinguale Unterrichtsmodelle für die größten Sprachgruppen
In dieser Machbarkeitsstudie stellt der Aufbau von bildungssprachlichen Kompetenzen im Deutschen–
mit besonderer Berücksichtigung von Deutsch als Zweitsprache – den Schwerpunkt innerhalb des
Gesamtsprachenkonzepts dar. Allerdings hat sich gerade für Minderheitengruppen, die mit negativen
Stereotypen zu kämpfen hatten, insbesondere in der Verbindung von Minderheitensprachen und
Bildungsbenachteiligung, eine Schullaufbahn mit einem höheren Abschluss, in der diese
Minderheitensprache als Unterrichtssprache (auch) verwendet wird, als sehr wirksam zur Erhöhung
der Bildungsbeteiligung herausgestellt, etwa unter den Kärntner SlowenInnen oder den Burgenland
KroatInnen während der vergangenen Jahrzehnte. Österreich nimmt hinsichtlich des zwei- bzw.
dreisprachigen Bildungswesens auf regionaler Ebene zunehmend eine Vorreiterrolle ein. Es sind nicht
nur die Anmeldungen zum zweisprachigen Unterricht in Kärnten stetig gestiegen, sondern es wurden
auch Regionale Sprachenportfolios Deutsch, Slowenisch, Italienisch für die Primarstufe und
Sekundarstufe I (beide 2013) in Kärnten ausgearbeitet.
Anregungen zu Komponente 4
BILINGUALE Unterrichtsmodelle
Als Begleitmaßnahme zur Förderung des Erwerbs der bildungssprachlichen Variante des Deutschen in
monolingual deutschsprachigen Schulen und Unterrichtsmodellen soll auch die Möglichkeit zum
Erwerb der bildungssprachlichen Variante von Minderheitensprachen von Einwanderungsgruppen in
Form einer mehrsprachigen Schullaufbahn mit höherem Schulabschluss (Matura) zur Verfügung
gestellt werden. Dies ist in traditionellen Einwanderungsländern durchaus üblich. So werden vom
Center for Applied Linguistics an der University of Minnesota 420 zweisprachige Schulen in 8
Sprachen angeführt, wovon 387 den Unterricht in Spanisch und Englisch durchführen, 12 in
Chinesisch (Mandarin) und English, und die verbleibenden verteilen sich auf Französisch, Koreanisch,
Japanisch, Deutsch, Italienisch und Englisch (Fortune & Christian 2012). Aktuelle Analysen der
Standford University (Valentino & Reardon 2014) haben gezeigt, dass die durchgängig zweisprachige
33
Schulbildung spätestens ab dem sechsten Schuljahr die höchsten Kompetenzen von vier verglichenen
Unterrichtsmodellen erbringt.
Die Etablierung bilingualer bzw. mehrsprachiger Unterrichtsmodelle werden insbesondere für jene
Gruppen, die in Österreich bei den höheren Bildungsabschlüssen sowie bei höheren beruflichen
Positionen unterrepräsentiert bzw. in den unteren Rängen überrepräsentiert sind, als Teil einer
Gesamtstrategie zur Angleichung der Bildungserfolge ihrer Kinder gesehen. Aus der psychologischen
Forschung zu social identity theory ist etwa bekannt, dass die Zugehörigkeit zu einer im jeweiligen
Sozialraum niedrig bewerteten Gruppe negative Auswirkungen auf den Selbstwert, die
Selbstwirksamkeit und die Lernfähigkeit der Individuen hat (vgl. Stereotype threat). Diesem Effekt
wird durch mehrsprachige Schul- und Unterrichtsmodelle auch in der Öffentlichkeit entgegengewirkt,
was wiederum eine positive Auswirkung auf die Bewertung der eigenen Gruppe hat. Es ist daher aus
mehreren Gründen sinnvoll, zweisprachige Bildungswege (bis zur Matura) in den Sprachen der
Gruppen, die in Österreich mit niedrigem Prestige zu kämpfen haben, einzurichten17
.
Daher sollten zumindest für die türkisch- und bosnisch-, kroatisch-, serbischsprachige Gruppe
bilinguale maturaführende Schullaufbahnmodelle entwickelt und an mehreren Standorten in
Österreichs größeren Städten eingerichtet werden. Es könnten auch an einem Schulstandort
mehrere Klassen mit unterschiedlichen Sprachkombinationen untergebracht sein, sodass als
Gemeinsames die lebensweltliche Mehrsprachigkeit in Verbindung mit höherer Bildung erlebt
werden kann.
17
Als good practice Beispiel wird das Dokument „Guiding Principles for Dual Language Education“ des US
Bildungsministeriums und das National Clearinghouse for Englisch Language Acquisition an der George
Washington University in Washington, DC (siehe Anhang 7.4) empfohlen.
34
5. Übergreifende Handlungsempfehlungen
Die Handlungsempfehlungen dieser Machbarkeitsstudie sind an unterschiedliche Gruppen von
Akteure gerichtet und orientieren sich an den Kriterien der Evidenzbasierung und Nachhaltigkeit. Im
vorangegangenen Text haben wir versucht, neben den wissenschaftlichen Einsichten bereits
existierende Beispiele im österreichischen Kontext zu bewerten und Elemente an die hiesigen
Gegebenheiten anzupassen bzw. an bestehende Entwicklungen anzuschließen und Anregungen zu
formulieren. In diesem letzten Kapitel finden sich nun Handlungsempfehlungen, die in fünf Bereiche
gebündelt, jeweils mit piktographischen Elementen aus den good practices veranschaulicht werden.
Diese befinden sich großteils in Form von Gesamtdokumenten im Anhang.
Das erste Piktogramm ist dem umfassenden Sprachbildungsplan des US Bundesstaates Washington
entnommen. SAILS spricht mit seinem Handlungs- und Phasenmodell die vier Gruppen von Akteure
der Landes- und Bezirksschulräte, der Schulleitungen, der Lehrkräfte sowie der Eltern anspricht. Es ist
das umfassendste Good practice-Beispiel und zeigt, wie ein Konzept „Durchgängiger Sprachbildung
für Österreich“ in der Endphase seiner Ausarbeitung aussehen könnte.
Abb. 11: Washington State Comprehensive Literacy Plan (Draft June 2012, 3)
35
5.1 Informationsoffensive „Wenn Kinder mehrere Sprachen sprechen“
Das vorgeschlagene Konzept zur
Durchgängigen Sprachbildung adressiert alle
AkteurInnen, die mit Kindern und
Jugendlichen zu tun haben, von der Geburt bis
zur Volljährigkeit. Nachdem Hören und
Sprechen die Basis sprachlicher Bildung
darstellen und diese Aktivitäten nicht mit dem
Eintritt in den Kindergarten oder
außerhäuslicher Betreuung sondern mit der
Geburt beginnen, ist es zielführend, die Eltern
bzw. sorgepflichtigen Personen mit Wissen
über sprachliche Bildung und
Mehrsprachigkeit bei und unmittelbar vor der
Geburt zu versorgen. In dieser Phase suchen
(werdende) Eltern oftmals nach Orientierung,
da sie im privaten wie öffentlichen Raum mit
sehr widersprüchlichen „Ratschlägen“
konfrontiert werden. Sinnvollerweise müssen
Angebote in den Sprachen bzw.
Kommunikationsvarianten erfolgen, die alle
und insbesondere zugewanderte sowie von
Schriftsprache weiter entfernte Eltern erreichen
können18
. Wie bei jeder Maßnahme, die alle
sozialen Milieus der österreichischen
Gesellschaft erreichen soll, muss sowohl in der
Form des Materials als auch in der
Verbreitungsweise zielgruppenspezifisch
vorgegangen werden, damit sie die gewünschte
Wirkung entfalten kann19
. Außerdem müssen
18
Der Civil Rights Act (Title VI 1964) in den USA besagt, dass die Bundesregierung dafür verantwortlich ist, dass Eltern, die der englischen Sprache nur eingeschränkt mächtig sind, alle schul- und bezirksrelevanten Informationen zugänglich gemacht werden müssen, sodass sie diese verstehen können (vgl. US Dptm of Justice & US Dptm of Education January 7, 2015; siehe Anhang 7.5). Für Gesetzestexte stehen unter den gebührenfreien Telefonnummern Übersetzungsservices zur Verfügung. 19
Als good practice sei auf das Programm „mehr Sprache“ der Beratungsstelle okay.zusammenleben in Vorarlberg und seine Verbreitungsstrategie über Brückenbauerinnen und Elternbildung sowie Kompetenztrainings für PädagogInnen hingewiesen. Eine Kurzinformation wie etwa ein Folder ähnlich der zehnseitigen Information „When Children Speak More Than One Language“ mit großen, farbigen Abbildungen aus Ontario/Kanada
die Berufsgruppen, die in dieser Phase der
Elternschaft (erste) AnsprechpartnerInnen der
Eltern sind, in die Verbreitung (idealerweise
auch die Inhalte betreffend) eingebunden
werden. Selbige Vorgehensweise ist neben
dem Schulwesen auch in der Jugendarbeit und
Freizeiteinrichtungen etc. zu überlegen.
sollte in allen Geburtsstationen, bei Frauen- und KinderärztInnen und in allen Ämtern, die Eltern für das Neugeborene aufsuchen, aufliegen.
36
.
5.2 Implementierung des Konzepts
„Durchgängige Sprachbildung“
Das Konzept der „Durchgängigen
Sprachbildung“ (Lange/Gogolin 2007) wurde
im Rahmen des Modellprogramms „FÖRMIG“
(„Förderung von Kindern und Jugendlichen
mit Migrationshintergrund) entwickelt, das
sich zum Ziel gesetzt hat, alle Kinder und
Jugendlichen – mit einem besonderen Fokus
auf mehrsprachige SchülerInnen – bei der
Aneignung der Bildungssprache zu
unterstützen.
Dieses Programm wurde von 2004 bis 2009 in
zehn deutschen Bundesländern durchgeführt
und von der wissenschaftlichen Evaluation als
erfolgreich eingestuft. Im Rahmen des
Programms entstanden zahlreiche
Publikationen, die einerseits die
wissenschaftlichen Erkenntnisse darstellen,
andererseits aber auch Erfahrungen aus dem
Projekt in Form von konkreten gelungenen
Beispielen aus der Praxis weitergeben und
konkrete Hilfestellungen für die Einführung
einer durchgängigen sprachlichen Bildung
auch in anderen Kontexten geben.
Die Anregungen, die aus dem
Modellprogramm für den österreichischen
Kontext gewonnen werden können, sind
zahlreich. So können Erfahrungen eines groß
angelegten Projektes zur Sprachbildung
Anregungen für ähnliche Projekte (incl.
Evaluation) in Österreich bieten. Der Ansatz,
keine fertigen Konzepte zu entwickeln und sie
einzelnen Schulen „überzustülpen“, sondern
mit den Schulen (und den anderen beteiligten
Einrichtungen) den Ist-Stand zu analysieren
und Schritte auf dem Weg zu „Durchgängiger
Sprachbildung“ zu planen, durchzuführen und
zu analysieren, macht das Programm besonders
anschlussfähig für andere Kontexte.
Publikationen zu FörMig sind im Waxmann-
Verlag in den Reihen „FörMig Edition“ und
„FörMig Material“ erschienen. Beispiele aus
der sehr praxisnahen Material-Reihe finden
sich im Folgenden:
Die „Qualitätsmerkmale sprachlicher
Bildung“ (vgl. Gogolin/Lange/Hawighorst
2011) sind dazu geeignet, Unterricht auf seine
Bildungssprachförderlichkeit zu überprüfen
bzw. dahingehend weiterzuentwickeln.
Erfahrungen aus der Praxis von
Sprachbildungsnetzwerke bieten die FörMig-
Material-Bände Netzwerke für durchgängige
Sprachbildung 1 und 2 (Dobutowitsch u.a.
2013; Salem u.a. 2013).
37
5.3 Professionalität, Leadership und
Qualitätssicherung
Wie in Komponente 4 beschrieben, ist die Aus-
und Weiterbildung der PädagogInnen im
Bereich der Durchgängigen Sprachbildung
Vorbedingung für die erfolgreiche
Implementierung des Konzepts. Eine
Intensivierung der bereits bestehenden und
großteils in Entwicklung befindlichen
Angebote, eine Abstimmung der Inhalte und
eine Verankerung des Themas in der
Ausbildung aller Lehrkräfte sind anzustreben.
Wünschenswert ist eine systematische und
tiefreichende Evaluation von Fort- und
Weiterbildungsmaßnahmen für PädagogInnen,
um deren Qualität und Relevanz für die
pädagogische Praxis sicherzustellen.
Neben der wissenschaftlichen Evaluation
didaktischer und methodischer Ansätze mittels
empirischer Forschungsmethoden muss
Evaluation auch Teil der standortspezifischen
Schulentwicklung und letztlich jeden
Unterrichts sein. Verschiedene Methoden der
(Selbst-)Evaluation müssen allen
PädagogInnen bekannt sein. Zur
Standortentwicklung im Bereich der
Elementarbildung sollten hinsichtlich der
sprachlichen und kulturellen Responsivität ein
Selbst-Evaluationsinstrument eingesetzt
werden. So könnte die „Program Preparedness
Checklist“ des Head Start Program, in der man
die sprachliche und kulturelle Responsivität
des eigenen Kindergartens beurteilt, für
Österreich adaptiert werden.
In jedem Schulstandort sollte eine gemeinsame
Evaluationspraxis vereinbart werden, um über
die Qualität des Unterrichts, der
Fördermaßnahmen und der organisatorischen
Maßnahmen kommunizieren zu können.
In der internationalen Forschung wird die
Rolle der Steuerungsebene sowie der
Schulleitungen besonders betont. Schulen, in
denen Sprachbildung erfolgreich verläuft,
unterscheiden sich unter anderem durch eine
Leitung, die das Thema als prioritär beurteilt
und konsequent implementiert, von weniger
erfolgreichen Schulstandorten. Sie ermöglicht
Raum und Zeit zur gemeinsamen Reflexion
und Weiterentwicklung auf Basis von Daten
standardisierter Bewertungsinstrumente.
5.4 Bilinguale Unterrichtsmodelle für
die größten Sprachgruppen
Wie in den aktuellen Forschungsergebnissen
zur Sprachbildung mehrsprachiger
SchülerInnen gezeigt, werden langfristig die
höchsten Kompetenzwerte in durchgängig
zweisprachigen Unterrichtsmodellen erreicht.
Bedingung sind mindestens ein Drittel
SchülerInnen, die in deutschsprachigen
Familien leben und die ihre Bildungslaufbahn
zweisprachig durchlaufen wollen.
Zweisprachige Schulen oder Klassen in den
Städten mit höheren Konzentrationen
bestimmter Minderheitengruppen (z.B.
Standorte in Vorarlberg, Oberösterreich,
Salzburg, Wien,…) können jedenfalls als
Aufgabe der öffentlichen Hand gesehen
werden, die damit ein wichtiges Signal an die
Minderheitengruppen als Teil der
österreichischen Gesellschaft und das
Bemühen um ihren Bildungserfolg sendet (vgl.
Wirkung des Minderheitenschulwesens auf die
bei der Einführung bildungsbenachteiligten
autochthonen Minderheiten in Österreich).
38
5.5 Evaluation und Forschung
Derzeit liegen relativ wenige Hinweise vor,
welche Modelle sprachlicher Bildung die
größten Effekte zeigen. Insbesondere gilt dies
für den österreichischen Kontext, wobei auch
in anderen amtlich deutschsprachigen Ländern
eine wissenschaftliche Evaluation der
eingesetzten Konzepte und Maßnahmen selten
ist. Daher sind die bisher umgesetzten und neu
implementierten Ansätze und Maßnahmen
unbedingt umfassend und wissenschaftlichen
Standards entsprechend zu evaluieren. Dies ist
nicht nur dann erforderlich, wenn Programme
neu entwickelt werden, sondern auch dann,
wenn „erfolgreiche“ Konzepte von einem
Kontext in einen anderen (z.B. den
österreichischen oder ein bestimmtes
Bundesland betreffenden) transferiert werden.
Dabei ist im Vornhinein festzulegen, was unter
„Erfolg“ verstanden wird, wobei mehrere
Ebenen einbezogen werden sollten
(Kompetenzzuwächse aller
SchülerInnen(gruppen) im sprachlichen,
mathematischen und naturwissenschaftlichen
Bereich, Bildungserfolg und erreichte
Bildungsabschlüsse, Bewertung der
Umsetzbarkeit durch die Lehrkräfte, Grad an
Umsetzung der Leitziele im Unterricht etc.).
Um belastbare Aussagen über Qualität und
Wirksamkeit der gesetzten Maßnahmen treffen
zu können, sind umfassende
Langzeituntersuchungen (ggf. mit
Kontrollgruppendesign) notwendig. Bei der
Einführung neuer Programme ist es auch
sinnvoll, den Ist-Stand vor der
Implementierung mit den Ergebnissen nach
einer gewissen Laufzeit miteinander zu
vergleichen und dabei die gleichen
Bildungseinrichtungen über mehrere Jahre zu
begleiten.
Neben einer Schwerpunktsetzung in der
Evaluationsforschung sind auch in anderen
Bereichen der Forschung
Schwerpunktsetzungen notwendig. So etwa
mit dem Ziel diagnosebasierte Konzepte der
sprachlichen Bildung für unterschiedliche
Kontexte erstellen und weiterentwickeln zu
können. Einerseits geht es dabei um
Grundlagenforschung z.B. zum Spracherwerb
oder zum Sprachgebrauch in mehrsprachigen
Kontexten, andererseits um die Entwicklung
bzw. Adaption von konkreten Materialien
(sprachstandsdiagnostische Verfahren,
förderdiagnostische Unterrichtsmaterialen etc.)
und Konzepten (zur sprachlichen Bildung, zur
Sprachförderung, zur Zusammenarbeit mit
39
Eltern und außerschulischen Institutionen).
Besonders die Umsetzung von
Forschungsvorhaben in der Didaktik findet
derzeit in Österreich kaum statt, da geeignete
Förderschienen für diesen Bereich fehlen.
Wünschenswert wäre die Einrichtung von
Projektclustern, in denen Einzelprojekte
miteinander vernetzt sind und in denen die
Ergebnisse der einzelnen Projekte zueinander
in Beziehung gesetzt werden. Um fundiertes
Arbeiten zu ermöglichen und qualifizierte
Personen für diese Forschungstätigkeiten zu
gewinnen ist es notwendig, solche
Forschungsinitiativen über Projektstellen, die
an einer oder an mehreren Hochschulen
(Universitäten/PHs) angebunden sind, zu
finanzieren.
Eine wissenschaftliche Aufarbeitung der
quereinsteigenden SchülerInnen müsste nach
statistischen, administrativen,
förderstrategischen und anderen
Gesichtspunkten dringend beauftragt werden.
Ebenso gibt es eine deutliche Lücke bei der
Frage zum Mitteleinsatz für die ordentlichen
SchülerInnen mit einer anderen Erstsprache als
Deutsch. Die zuständigen
Verwaltungseinheiten scheinen jegliche
Transparenz zu verhindern. Für ForscherInnen
ist dieses Feld beinahe nicht zugänglich.
Abschließen soll noch erwähnt werden, dass es
hilfreich wäre, die Rechtslage hinsichtlich der
Familien und Kinder mit einer anderen
Familiensprache als der Unterrichtssprache in
unterschiedlichen Ländern miteinander zu
vergleichen. Die in den Bürgerrechten der
USA festgelegten Verpflichtungen für die
Schulverwaltungen qualitätsgesicherte
Sprachförderung anzubieten, ist dabei von
besonderem Interesse.
40
5 Literaturliste:
Berendes, K./Dragon, N./Weinert, S. u.a. (2013): Hürde Bildungssprache? Eine Annäherung an das
Konzept „Bildungssprache“ unter Einbezug aktueller empirischer Forschungsergebnisse. In: A.
Redder/S. Weinert (Hrsg.): Sprachförderung und Sprachdiagnostik. Interdisziplinäre
Perspektiven. Münster: Waxmann, S.17-41.
Blatter, K./Faust, V./Jäger, D. u.a. (2013): Vorschulische Förderung der phonologischen Bewusstheit
und der Buchstaben-Laut-Zuordnung: Profitieren auch Kinder mit nichtdeutscher
Herkunftssprache? In: A. Redder/S. Weinert (Hrsg.): Sprachförderung und Sprachdiagnostik.