Uber die Geschichtsanschauung bei Hermann Broch 83 Satoru FUKUYAMA Nietzsche hat die neu gekommenene Zeit mit dem Ausdruck , "Go 抗 isttot “ , (1) gekennzeichnet;esgeht um"diesesschaffende , wollende , wertende Ic h “ , das , befreitvonGottalsHochstinstanz , dieWirklichkeitneuschaffenkann. Bei Broch ist es vollig anders; Gott ist nicht tot , die Idee bleibt unverandert. Dabei stehtseine An sichtuberdasmenschlicheWesenals"GottesEbenbild “im Mittelp 阻止t. ErerwahntvondereuropaischenSi 印 ationdesMenschenwiefolgt:"Der Menschaber , derMensch , einstGottesEbenbild , SpiegeldesWeltwertes , dessenTragererwar , eristesnichtmehr. “ (1 , 498)Brochbestritthier , das der Menschsobleibt , waserwar und weistdarauf hin , dasdiemenschliche Daseinsform sich vollig geandert hat , indem eine neue geschichtliche Situation angekommen is t. AberaneineranderenStelleistdasGegenteilderFall; SeineTheorie >>SetzungderSetzung 内 diespatererortertwerdensoll , "gibtalsonichtnur dieerkenntnistheoretischeStrukturder Ub ersetzbarkeitallerSprachen , und seien sie untereinander noch so sehr verschieden , sondem d 紅白berhinaus , weit daruber hinaus , gibtsiedieGewahr 加 dieEinheitdesMenschen undseiner Menschlichkeit , dienochinderSelbstzer f1 eischungihresDaseinsEbenbild Gottesbleibt , - denn , Spiegelseinerselbst , injedemBegri 百 undin jeder
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Uber die Geschichtsanschauung bei
Hermann Broch
83
Satoru FUKUYAMA
Nietzsche hat die neu gekommenene Zeit mit dem Ausdruck, "Go抗 isttot“, (1)
gekennzeichnet; es geht um "dieses schaffende, wollende, wertende Ich“, das,
befreit von Gott als Hochstinstanz, die Wirklichkeit neu schaffen kann. Bei
Broch ist es vollig anders; Gott ist nicht tot, die Idee bleibt unverandert. Dabei
steht seine Ansicht uber das menschliche Wesen als "Gottes Ebenbild“im
Mittelp阻止t.
Er erwahnt von der europaischen Si印ationdes Menschen wie folgt: "Der
Mensch aber, der Mensch, einst Gottes Ebenbild, Spiegel des Weltwertes,
dessen Trager er war, er ist es nicht mehr.“(1, 498) Broch bestritt hier, das
der Mensch so bleibt, was er war und weist darauf hin, das die menschliche
Daseinsform sich vollig geandert hat, indem eine neue geschichtliche Situation
angekommen ist.
Aber an einer anderen Stelle ist das Gegenteil der Fall; Seine Theorie
>>Setzung der Setzung内 diespater erortert werden soll, "gibt also nicht nur
die erkenntnistheoretische Struktur der Ubersetzbarkeit aller Sprachen, und
seien sie untereinander noch so sehr verschieden, sondem d紅白berhinaus, weit
daruber hinaus, gibt sie die Gewahr加 dieEinheit des Menschen und seiner
Menschlichkeit, die noch in der Selbstzerf1eischung ihres Daseins Ebenbild
Gottes bleibt, - denn, Spiegel seiner selbst, in jedem Begri百 undin jeder
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Einheit, die er setzt, leuchtet dem Menschen der Logos, leuchtet ihm das
Wort Gottes als Mas aller Dinge entgegen.“(1, 624) Hier bleibt der Mensch
unverandert "Ebenbild Go抗es".Wie soll man diesen Widerspruch auffassen?
Es ist eigentlich unmoglich, objektiv festzustellen, ob der Mensch "Ebenbild
Gottes“ist, so benutzt Broch das Wort ganz beliebig; er macht einerseits
Gebrauch von diesem Ausdruck, um zu zeigen, das der Wertzerfall die
Endphase erreicht hat und der Mensch deshalb nicht mehr "Ebenbild Gottes“
gewesen ist, d.h. Broch erwahnt hier von dem geschichtlichen Prozes, von dem
von ihm festgestellten wichtigen Ergebnis des geschichtlichen Prozesses nach
der Renaissance, wahrend er andererseits uber dasselbe geschichtliche Ergebnis
in einem anderen Kontext das Gegenteil behauptet und es zur Grundlage
fur seine Theorie macht, das der Mensch auch in der Endphase unverandert
"Ebenbild Go取 s“bleibt.Man soll erkennen, das es nicht so ist: "Brochs
unbeirrbare Zuversicht白βtauf seinem Glauben an die Gottesebenbildhaftigkeit (2)
des Menschen, in der seine Humanitat liegt.“
Es soll deshalb meine Aufgabe sein, zu erklaren, wie der fur die Geschichts-
thorie Brochs entscheidende Widerspruch entstanden ist und was sich dahinter
verbirgt.
1. Wertzerfall
Hermann Broch interpretiert den europaischen geschichtlichen Prozes
nach der Renaissance als Zerfall der Werte und meint uber die Si同ationim
Ersten Weltkrieg, die Wirklichkeit ware verschwunden; "Hat diese Zeit noch
Wirklichkeit? besitzt sie eine Wertwirklichkeit, in der sich der Sinn ihres
Lebens aufbewahren wird? gibt es Wirklichkeit印rdas Nicht-Sein eines Nicht-
Lebens? - wohin hat sich die Wirklichkeit gefluchtet? in die Wissenschaft?
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in das Gesetz? in die Pt1icht? oder in den Zweifel einer ewig企agendenLogik,
deren Plausibilitat im Unendlichen entschwunden ist?“(1, 618)
Was ist die Wirklichkeit oder die Geschichte ftir Hermann Broch? Er
behauptet, "die Geschichte besteht aus Werten, weil das Leben blos unter der
Wertkathegorie zu erfassen ist.“(1, 620) Dann mus man fragen, was der Wert
sei. Broch geht von der Absurditat aus, sterben zu mussen, so stellt der Tod
den Unwert dar: "Der Tod ist der Unwert an sich.“(12, 486) Deshalb bedeutet
der Wert etwas, was zu der Behaltung des Lebens beitragen kann: "Grundwert
alles Lebens ist das Leben selbst. Der Lebens仕iebeines jeden Organismus will
bewust oder unbew凶3tdas Leben bis zur Erschopfung aller Moglichkeiten
verlangem. Vom Lebenstrieb aus gesehen, ist die Uberwindung des Todes,
kurzum das ewige Leben als hochster Wert des Ichs zu betrachten“. (12,46)
Normalerweise denkt man dabei an das bisher angestrebte Untemehmen, durch
Weisheit und Technik das Leben zu verbessem und verlangem. Aber das ist
nicht der Fall, denn ftir Broch ist das groste Wertsystem das religiose; was am
wichtigsten wert ist, "der religiose Totalwert als endgultige Uberwindung des
Todes.“(12, 17)
So geht es nicht darum, wie man die Wirklichkeit aufbauen soll, sondem
darurn, wie man den Tod uberwinden kann. Es ist ftir den Menschen uberhaupt
unmoglich, den Tod zu uberwinden, aber ftir Broch geht es um ,jenes letzte
und heilige Ziel z田nMenschlichen an sich, zur Uberwindung des Todes.“
(10/2, 87) Dabei ist es nach der Ansicht Brochs nichts anderes als die Religion,
die sich am besten mit dem Tod auseinandergesetzt hat und der es gut gelingt,
den Tod zu uberwinden; "Was immer im Wertgeschehen vor sich geht, es ist
Annaherung, symbolischer Vorversuch zu der endgultigen Todesuberwindung
im Religiosen.“(12, 18)
Das wird die Grundlage der Brochschen Wert-und Geschichtstheorie.
Deshalb ist das christliche Mitlelalter das beste Modell daftir. Broch definiert
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den Menschen als "Ebenbild Go抗es“.Deshalb ist folgerichtig, das die Religion,
die uns das ewige Leben verheist, als Zentralwert funktioniert und der sich von
Gott entfemende Modemisierungsprozes den Wertzerfa11 darste11t. Wenn man
diesen Sachverhalt nicht gut verstehen konnte, dann wurde Brochs Gedanke
nur schwer und ratselhaft bleiben. So neigt man oft, auf ein anderes Kriterium
angewiesen zu werden, ohne sich ausfiihrlich mit der Brochschen Logik zu
befassen: "Fast zwangslaufig ste11t sich die Frage, wie es zu dieser positiven
Typisierung des Mittelalters und der so kompromislosen Verurteilung der
Renaissance kommen konnte. Diese Wertungen verstehen sich nicht von selbst,
im Gegenteil: sie scheinen einer langst uberholten Phase des burgerlichen (3)
Denkens anzugehoren.“
Diese Uberwindung des Todes durch die Religion mus leider anders immer
symbolisch bleiben, wie Broch behauptet hat. Aber diese Verbindung des
Menschen mit dem Absoluten ist fur Broch am wichtigsten.
Nach der Renaissance hat man begonnen, das Leben vermittels der
Technik zu bereichem. Wie Nietzsche richtig beurteilt hat, hat die Religion
die Menschen dumm und lahm gemacht. Verschiedene bisher unter dem
Einflus der Religion latent gebliebene, menschliche Fahigkeiten haben sich
entwickelt. Man ist imstande geworden, bequemer zu leben, wenn auch ohne
religiose Unterstutzung. Die Modeme hat das menschliche Leben von Grund
aus verandert. Aber Broch kann uber den fur die menschliche Geschichte
entscheidenden Triumph hinweggehen, denn es kommt白rihn immer auf die
innerliche Verbindung des Menschen mit dem Absoluten an. Fur Broch ist die
Zeit etwas, was n凹 denTod bringt und deshalb却めerwindenist.
So sol1 also festgeste11t werden, "das Broch nach einer Moglichkeit sucht,
das zeitliche Nacheinander im Prozes, das ein Signum der Todesverfallenheit (4)
des Menschen ist, aufzuheben, das heist die Zeit zu uberwinden.“Man
sol1 beachten, das die Angst vor der Absurditat des menschlichen Todes
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verallgemeinert geworden ist.
Obwohl der Wertzerfall entstanden ist, ist er g創立 davonuberzeugt, das
die einmal zerfallen erscheinende Weltwirklichkeit wieder auferstehen wird.
Woher kommt diese Uberzeugung? Er glaubt an die Phasenwechseltheorie:
"Der idealistisch-positivistische Phasenwechsel ist eine regelmasige
Wellenbewegung der Geistesgeschichte.“(10/2, 167) Er glaubt, das die
idealistische Denkweise, die von der positivistischen vollig verdr如 gtworden
zu sein scheint, wieder zur Herrschaft gelangen wurde, denn man braucht
unbedingt das deduktive Zentralwertsystem, und Broch spurt deutlich, das er
es personlich verlangt; "wieder ist es der Schrei aus der Einsamkeit des Ichs,
und es ist der Ruf der platonischen Liebe, die trotz aller Stummheit stets aufs
neue den Menschen sucht.“ (10/2, 170) Die Phasenwechsel sind keine objektive
Erkenntnis, sondem vielmehr eine subjektive Sehnsucht, obwohl er Anzeichen
dafur, die spater erortert werden sollen, ge白ndenzu haben glaubt; die Phasen
wechseln, weil sich Broch danach sehnt, obwohl es ziemlich kurios klingen
mag. Dieser Gedankengang erinnert an die Erklarung des Begriffs Wahrheit,
wobei es auch um die subjektive Erkenntnis geht: was man白rwahr halt, wird (5)
剖 rWahrheit!
Es ist das religiose Wertsystem zusammengefallen, nicht weil es, gestosen
auf die "Unendlichkeitsgrenze“(10/2, 166), dem autonomen geschichtlichen
Kreislaufprozes gefolgt ist, sondem weil es sozial nicht mehr funktioniert
hat und nicht mehr zeitgerecht geworden ist, obgleich es noch immer so viele
Individuen gibt, die an der Religion hangen. Es ist die Theorie >>Setzung der
Set却 ng<<,wo er den Weg in die Zukun白derWelt gezeigt hat.
Er glaubt an den Kreislauf des geschichtlichen Prozesses, der aus vier Phasen
besteht; "Jedes Wertsystem strebt nach Absolutgeltung. Gelingt dies unter
besonderen Umstanden (wie es z.B. die geographischen und machtpolitischen
Verhaltnisse des christlichen Europa gewesen sind), so entsteht ein echtes
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Zentralwertsystem.“Das ist die erste Phase. Dann kommt die Zweite:
"Innerhalb eines solchen abgeschlossenen Systems wird die - Werttheologie-
autonom, sie handelt lediglich mehr nach ihren logischen, allerdings
einwand仕eilogischen, dialektischen Ablaufen und nimmt auf die Realitat
keine Rucksicht.“(12, 54) Drittens kommt eine neue Phase: ,,1st einmal ein
Zentralwertsystem auf diese Art und Weise erschuttert, so beginnt eine neue
Konfrontation mit der inneren und auseren Realitat.“(12,55) Nach Broch h剖
diese Epoche in Europa als Reformation und Renaissance eingesetzt und hat
mit dem naturwissenschaftlichen 19. Jahrhundert ihren Hohepunkt gefunden.“
(12,55) Schlieslich kommt die "Auflosung eines Zentralwertsystems.“(12, 55)
Das ist die europaische Moderne.
2. Setzung der Setzung
Broch und Hegel haben anerkannt, das das Absolute in der Geschichte
eine entscheidende Rol1e spielt, aber es gibt einen grosen Unterschied uber
dessen Funktion. Broch kritisiert Hegel wie folgt: "Hegel h剖 gegenSchel1ing
den (berechtigten) Vorwurf erhoben, d剖3er das Absolute >>wie aus der Pistole
geschossen<< in die Welt projiziert ha社e.Das namliche gilt aber wohl auch
fur den Wertbegriff der Hegelschen und nachhegelschen Philosophie. Den
Wertbegriff einfach in die Geschichte zu pr句lZlerenund alles, was von
der Geschichte autbewahrt wird, kurzerhand als >>Wert<< zu bezeichnen, ist
zur Not fur die rein asthetischen Werte der bildenden Kunst noch zulassig,
stimmt aber sonst so weitgehend nicht, das man im Gegenteil sich gedrangt
fuhlt, die Geschichte als Konglomerat von Unwerten zu erklaren und eine
Wertwirklichkeit der Geschichte uberhaupt zu leugnen.“(1, 619-620)
8roch ist der Ansicht, das sich die Geschichte, wie oben erklart, nicht
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kontinuierlich entwickelt: "der Akt der Setzung ist kein kontinuierlicher.“
(10/2, 163) Obwohl das Absolute unverlierbar bleibt, gibt es nur indirekte
Setzungen: "die Welt ist Setzung des inte11igiblen Ichs, denn unverloren und
unverlierbar bleibt die platonische Idee. Doch die Setzung ist nicht >>aus der