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35 „Turfan“ und die Berliner Indologie Caren Dreyer * Zwischen den Jahren 1902 und 1914 unternahmen Mitarbeiter des Museums für Völkerkunde in Berlin vier Expeditionen nach Zentralasien, in das heutige Xinjiang. 1 Entferntestes Ziel waren die archäologischen Stätten der Turfan-Oase, weshalb die Unternehmungen auch als „Turfan-Expeditionen“ bezeichnet wurden. Schon die erste, noch überwiegend aus privaten Spenden bestrittene, Reise brachte neben vielen neuen Erkenntnissen so überwältigende Funde nach Berlin, dass die anschließenden Expeditionen dann im Wesentlichen durch den kaiserlichen Dispositionsfonds finanziert werden konnten. Ergebnis waren insgesamt ca. 40 000 Textfragmente in mehr als 20 verschiedenen Sprachen und Schriften, ca. 5 000 Artefakte – größtenteils Fragmente von Gemälden (Wandgemälde, Malereien auf Textil, Papier oder Holz) und Plastiken, aber auch Kleinfunde, Objekte des täglichen Bedarfs und Münzen. Darüber hinaus wurde Volkskundliches gesammelt. Einige Hundert in Zentralasien belichtete Glasplatten und Skizzen sowie viele Notizen dokumentieren die Reisen. Die Vorgeschichte Lange vor dem Beginn des 20. Jahrhunderts hatte die Indologie in Berlin den Wandel von einer reinen Sprachwissenschaft zu einer philologisch fundierten historischen Kulturwissenschaft vollzogen. Dabei wurde 1 1. Expedition: Abreise Berlin: August. 1902 – Ankunft Berlin: Juli 1903, Teilnehmer: A. Grünwedel, G. Huth, Th. Bartus, 2. Expedition: Abreise Berlin: September 1904 – Übergabe in Kashgar: Dezember 1905, Teilnehmer: A. v. Le Coq, Th. Bartus, 3. Expe- dition, Abreise Berlin: September 1905 – Ankunft Berlin: September 1907, Teilnehmer: A. Grünwedel, H. Pohrt, Th. Bartus, A. v. Le Coq (bis Juli 1906), 4. Expedition: Abreise Berlin: April 1913 – Ankunft Berlin: März 1914, Teilnehmer: A. v. Le Coq, Th. Bartus.
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Turfan" und die Berliner Indologie (Caren Dreyer), in : Framke, Lötze, Strauch , Indologie und Südasienkunde in Berlin, Geschichte und Positionsbestimmung, Geschichte zur Gegenwart

Feb 25, 2023

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Stefan Röhrs
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„Turfan“ und die Berliner Indologie

Caren Dreyer *

Zwischen den Jahren 1902 und 1914 unternahmen Mitarbeiter des Museums für Völkerkunde in Berlin vier Expeditionen nach Zentralasien, in das heutige Xinjiang.1 Entferntestes Ziel waren die archäologischen Stätten der Turfan-Oase, weshalb die Unternehmungen auch als „Turfan-Expeditionen“ bezeichnet wurden. Schon die erste, noch überwiegend aus privaten Spenden bestrittene, Reise brachte neben vielen neuen Erkenntnissen so überwältigende Funde nach Berlin, dass die anschließenden Expeditionen dann im Wesentlichen durch den kaiserlichen Dispositionsfonds finanziert werden konnten. Ergebnis waren insgesamt ca. 40 000 Textfragmente in mehr als 20 verschiedenen Sprachen und Schriften, ca. 5 000 Artefakte – größtenteils Fragmente von Gemälden (Wandgemälde, Malereien auf Textil, Papier oder Holz) und Plastiken, aber auch Kleinfunde, Objekte des täglichen Bedarfs und Münzen. Darüber hinaus wurde Volkskundliches gesammelt. Einige Hundert in Zentralasien belichtete Glasplatten und Skizzen sowie viele Notizen dokumentieren die Reisen.  

Die Vorgeschichte

Lange vor dem Beginn des 20. Jahrhunderts hatte die Indologie in Berlin den Wandel von einer reinen Sprachwissenschaft zu einer philologisch fundierten historischen Kulturwissenschaft vollzogen. Dabei wurde

1 1. Expedition: Abreise Berlin: August. 1902 – Ankunft Berlin: Juli 1903, Teilnehmer: A. Grünwedel, G. Huth, Th. Bartus, 2. Expedition: Abreise Berlin: September 1904 – Übergabe in Kashgar: Dezember 1905, Teilnehmer: A.v.LeCoq,Th.Bartus,3.Expe-dition, Abreise Berlin: September 1905 – Ankunft Berlin: September 1907, Teilnehmer: A. Grünwedel, H. Pohrt, Th. Bartus, A.v.LeCoq(bisJuli1906),4.Expedition:AbreiseBerlin: April 1913 – Ankunft Berlin: März 1914, Teilnehmer: A.v.LeCoq,Th.Bartus.

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langsam auch die dingliche Kultur zum Gegenstand indologischer Forschung. Nachdem die Gründung der Berliner Anthropologischen Gesellschaft 1869, des Museums für Völkerkunde 1873 und der Deut­schen Orientgesellschaft 1898 ebenso wie das 1874 zur Reichsanstalt erhobenen Deutsche Archäologische Institut neben dem Wissenserwerb auch auf das Sammeln von Artefakten abzielten, begannen sich auch in der Süd- und Zentralasienwissenschaft Forscher mit Kunstwerken und Archäologica zu beschäftigen. Koldeweys 1897 von der General-direktion des Museums für Völkerkunde beschlossene Grabung in Babylon2 einerseits und die sensationellen Funde der Exploration der Petersburger Akademie der Wissenschaften unter D. Klementz 1898 (s. Klementz 1899) andererseits ließen Wissenschaftler in Berlin auf die Durchführbarkeit einer deutschen archäologische Expedition nach Ost­Turkestan, dem weitgehend unbekannten Transitland des Buddhis­mus, hoffen.  Von Anfang an waren Indologen an der Erforschung der Kulturen Zentralasien maßgeblich beteiligt. 

Die Zeit der Expeditionen

Die treibende Kraft hinter den Expeditionen war Albert Grünwedel (1856–1935), Indologe am Museum für Völkerkunde seit 1881 – also noch vor der feierlichen Eröffnung des Hauses an der Königgrätzer Straße am 18.12.1886. Seine frühen Arbeiten über die Ikonographie des Buddhismus weisen ihn als den ersten Kunstgeschichtler in der Berliner Indologie aus.3

In vielen Briefen betont Grünwedel die Wichtigkeit von archäolo­gischen Quellen.4 Damit setzte er sich gegen Bestrebungen zur Wehr, Handschriftenfunde als ultima ratio zu betrachten. Grünwedel ging es

2 1899 wurde KoldeweysvonderOrient-GesellschaftfinanzierteGrabunginBabylonbegonnen. Die Funde sollten dem Museum für Völkerkunde zugutekommen.

3 Grünwedel 1883, 1885, 1893, 1899, 1900.4 So TA 1282 ff. 7.9.1905: „Es ist ferner eine ganz falsche Vorstellung dass nur die

Handschriftenfunde, die ich als Philologe wol zu schätzen weiss, allgemeines Interesse haben. Viel allgemeineres Interesse haben vielmehr die archäologischen Ergebnisse, von denen freilich z.Z. noch nichts zugänglich ist…“.

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um die archäologische Topographie. Er wollte u. a. aus chinesischen Quellen bekannte Orte und Klöster finden, kartieren und beschreiben. Funde sollten die Erkenntnisse belegen, Zeichnungen und Photogra­phien sie illustrieren und zur Erforschung des Bilderkanons dienen. Diesen Arbeitsplan befolgte er in seiner ersten Expedition, in der er grundlegende Pläne erstellte, Wandgemälde skizzierte und durchpauste und Beobachtungen aller Art minutiös beschrieb. Angesichts der langen und schwierigen Transportwege wurden nur vergleichsweise wenige Funde nach Deutschland geschickt.5 Grünwedel war sich mit den rus­sischen Kollegen einig, dass wissenschaftlicher Austausch anzustreben sei. Angedacht war sogar eine gemeinsame deutsch­russische Expedi­tion, die aber nicht realisiert werden konnte. Das unter Petersburger Ägide gegründete Internationale Komitee zur Erforschung Zentral- und Ostasiens und seine Lokalkomitees in den Forscherländern sollten zum Netzwerk auch für andere Unternehmungen in dem Forschungsgebiet dienen.6 Das Deutsche Lokalkomitee (allgemein Turfankomitee ge­nannt) wurde erst am 23.10.1903 gegründet, also nach Rückkehr der 1. Expedition von A. Grünwedel, G. Huth und Th. Bartus mit ihren bedeutenden Handschriftenfunden. Vorsitzender war, bis zu seinem Tod im Dezember 1908, Richard Pischel (1849–1908), Webers Nachfolger auf dem Indologischen Lehrstuhl in Berlin seit 1902.

Seine Forschung an Prakrittexten prädestinierte Pischel für die Arbeit an den durch die Expeditionen eintreffenden indischen Texten. Mit dem am Museum für Völkerkunde beschäftigten Heinrich Stönner (1872–1931)7 war er Bearbeiter der Sanskrit-Handschriften der ersten

5 Ergebnis der überwiegend aus den Spenden von Friedrich Krupp und James Simon finanziertenReisewaren46KistenmitFundstücken,bedeutendwenigeralsbeidenFolge-Expeditionen, die – auch wegen der großen öffentlichen Förderung – unter ungleich höheren Erwartungen litten. Die Kisten wurden von Andijan aus auf dem Wasserweg über St. Petersburg nach Berlin geschickt. Der zügige Ausbau des Eisenbahnnetzes erleichterte schon bald den Transport.

6 Lokalkomitees gab es z.B. auch in Paris, London, Kopenhagen, Budapest. Die Grün-dung dieser Komitees war bereits auf dem Orientalistentag 1899 in Rom beschlossen worden. Das Zentralkomitee stand (seit 1903) unter der Schirmherrschaft des Zaren.

7 Stönner war mit Ausnahme seines einjährigen Aufenthalts in Bangkok 1906 von 1901–1931 am Museum beschäftigt, von 1925–31 als Kustos und Professor (Waldschmidt 1965: XVI).

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Stunde.8 Pischel stand in großem persönlichen Gegensatz zu Grünwedel, dessen  Schwierigkeiten bei der Sichtung und Bearbeitung und der nur langsam fortschreitenden Archivierung aller Funde er nicht nachvoll­ziehen konnte. Als russische Akademiker sich 1904 anschickten, eine eigene Unternehmung an die nördliche Seidenstraße zu entsenden, und der in britischen Diensten stehende Aurel Stein bekannt gab, dass seine nächste Reise auch an die nördliche Seidenstraße führen sollte, drängten Pischel und das Turfan-Komitee auf eine schnelle erneute Expedition. Grünwedel wollte aber, bevor er sich wieder auf den Weg machte, seine archäologischen Beobachtungen publizieren.9 Und dann hinderten ihn auch Gesundheit und Museumsverpflichtungen an einer baldigen Abreise.10 Als Leiter wurde deshalb der Turkologe Albert von Le Coq (1860–1930) gewonnen11. Auch der amtierende Direktor der Ostasiatischen Abteilung des Museums, der Sinologe und Semitist Friedrich Wilhelm Karl Müller (1863–1939) setzte sich für Le Coq als Leiter einer Vorexpedition ein, der Grünwedel so bald als möglich folgen sollte. Durch Müllers Hände gingen damals fast alle Handschrif­ten, und dem sprachlichen Multitalent gelangen viele erste Lesungen in bis dahin unbekannten Schriften und Sprachen. Vor allem seine Lesung des in den Turfan-Texten erstmals überhaupt auftauchenden Sogdischen, die Identifizierung und Übersetzung mittelpersischer ma­nichäischer Texte und umfangreiche spätere Studien zum Uigurischen werden mit seinem Namen verbunden bleiben.12 Ein Bearbeiter von Sanskrit-Handschriften nach der 2. Expedition war der Lehrbeauftragte

8 Pischel 1904a,b, Stönner 1904a,b.9 Grünwedel 1905. Dieses Werk diente dann z.B. russischen Forschern als Hilfe für ihre

Expeditionen (Berezofski 1906, Oldenburg 1909).10 So wollte er auch unbedingt den angekündigten Besuch des Kaisers in der Turfan-

sammlung abwarten, der dann schließlich am 1.2.1905 so überraschend stattfand, dass z.B. Pischel nicht mehr rechtzeitig davon informiert werden konnte (TA 613 f.).

11 LeCoqwarVolontärunterv.Luschan und begleitete jenen 1901 nach Zencirli. Danach wurde er der Asiatischen Abteilung unterstellt. Er war ein Philanthrop und Autodidakt auf hohem Niveau und studierte erst mit 40 Jahren Arabisch, Türkisch und Persisch in Berlin. Bei Pischel hörte er Sanskrit. 1909 wurde er ‚Ehrendoktor‘ der Universität Kiel.

12 Müller 1904a, b, 1907 und viele andere.

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Emil Sieg (1866–1951)13 und nach der 3. Kampagne stieß dessen Stu­dent Wilhelm Siegling (1880–1946) dazu, der ab 1907 am Museum für Völkerkunde arbeitete und als Entdecker des Tocharischen gilt.14

Das große Interesse an den Ergebnissen der Turfan-Expeditionen und die offensichtliche Überlastung des Museums mit der Menge der Objekte nach der kombinierten 2. und 3.  Expedition unter v. Le Coq (1905: 103 Kisten) und Grünwedel (1907: 118 Kisten), führte 1910 zur Beantragung der Einrichtung einer Orientalischen Kommission bei der Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Gegründet wurde diese dann zur Bearbeitung der durch Ausgrabungen erschlossenen altorientalischen und zentralasiatischen Schriftdenkmäler am  5.5.1912 unter dem Vorsitz des Alt­Historikers Eduard Meyer.15 Man hatte für die Bearbeitung der Handschriften mehrere Beamtenstellen beantragt, bekam aber nur ein Extraordinariat für die Turfan-Texte für den In­dologen W. Siegling bewilligt.16 So erfolgte ab 1912 die Bearbeitung der „indischen Handschriften“ in der Verantwortung der Akademie. Die Bearbeitung der nicht-indischen Fragmente mußte zunächst weiter von Wissenschaftlern des Museums und hier vor allem von F. W. K. Müller koordiniert werden. Die vom Unterrichtsministerium gefor­derte Überstellung aller Turfan-Fragmente an die Akademie und ihre Aufbewahrung in der Staatbibliothek konnte nur schrittweise erfolgen. Der größte Teil der „indischen“17 Handschriftenfragmente ging erst am

13 Sieg 1907, 1908.14 Bereits 1908 publizierten W. Siegling und sein Lehrer E. Sieg ihren bahnbrechenden

Aufsatz:Tocharisch,dieSprachederIndoskythen(Siegling&Sieg1908).Beideverband eine lebenslange kollegiale Freundschaft, die auch, als Sieg nach Kiel und später nach Göttingen ging, fortbestand.

15 Auf Beschluss des zuständigen Unterrichtsministeriums infolge eines Erlasses vom 4.3.1912 (Waldschmidt 1965: XVI). Gründungsmitglieder der Kommission waren: derÄgyptologeAdolf Erman, der Alt-Historiker EduardMeyer,derIndologeHeinrich Lüders, der Sinologe F.W.K. Müller, der Indogermanist Wilhelm Schulze, der Arabist EduardSachau,derAssyriologeFriedrich Delitsch (TA 3587/88). Der Etat belief sich 1912 auf 20 000 Mark. Die Kommission arbeitete bis 1945 und ging 1947 auf in dem neugegründeten Institut für Orientforschung unter Richard Hartmann.

16 Siegling wurde 1929 verbeamtet. Andere Angestellte der Kommission, die mit ‚in-dischen‘ Fragmenten arbeiteten, waren 1919–22 Heinrich Zimmer, 1927–28 Moritz Spitzer und 1937–42 Helmut Hoffmann.

17 DazurechnetenauchdieinBrāhmīgeschriebenenTocharica.

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26.3.1914, kurz vor dem Eintreffen der 156 Kisten der 4. Expedition unter A. v. Le Coq, an die Akademie.

Eine ganze Reihe von Gelehrten beteiligte sich an der Auswertung der nicht-indischen Texte, denn für Religionswissenschaftler, Semitisten, Klassische Philologen, Iranisten, Turkologen bis zu Sinologen und Ti­betologen brachten die Manuskript­Funde eine Fülle neuen Materials.18

Das Museum konnte sich nach der Gründung der Orientalischen Kommission den Malereien und Skulpturen und der Publikation und Restaurierung der Funde widmen, auch wenn das besondere wissen­schaftliche Interesse von Müller und Le Coq weiterhin insbesondere den Uigurica und Manichaeica galt.19 

Bis zum Juli 1914 standen bereits wieder 60 000 Mark an Spenden und Zuschüssen für eine fünfte Expedition zur Verfügung. Albert Tafel, der bereits im Januar 1913 angeboten hatte, seine China-Expedition um eine Reise an die südliche Seidenstraße zu erweitern, konnte dies Vorhaben wegen des Krieges nicht beginnen.20   

 

18 Erwähnt sei hier nur Georg Huth (1867–1906), ein weiteres Sprachgenie am Museum für Völkerkunde, darüber hinaus Privatdozent an der Universität für zentralasiatische Sprachen und Buddhismus und Teilnehmer der 1. Expedition. Der Vater der Tibetologie inBerlin(Huber&Niermann,o.J.)konntedievonihmbearbeitetenTibeticanichtmehr selbst herausgeben. Sein Nachlass ging an Berthold Laufer (TA 820–833, 1906). Eine Übersicht über die nicht-indologische Forschung gibt die von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften 2007 herausgegebene Broschüre: „Turfanforschung“.

19 S. TA 3585. Iranische und türkische Handschriften, mit denen sich F.W.K. Müller, A.v.LeCoqundH. Stönner beschäftigten, wurden erst nach und nach bis 1926 an die Akademie überführt (Waldschmidt 1965: XVII Anm.3).

20 TA 5505 v. 22.1.1913, TA 5539 v. 1.1.1914, TA 5562 v. 14.3.1919: Die südliche Seidenstraße, die seit 1899 von Aurel Stein bereist und erforscht wurde, war schon von Grünwedel immer wieder als Forschungsziel genannt worden, ließ sich aber wegen der Anreise über Russland nie verwirklichen.

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Friedrich-Wilhelms-Universität und Königlich-Preussische Akademie der Wissenschaften: Die Ära Lüders

Als Heinrich Lüders 1909 die Nachfolge Pischels als Ordinarius an der Berliner Universität antrat, war die Arbeit an den Turfan-Funden in vollem Gange. Die Indologie als Schlüssel-Wissenschaft für die Erforschung des Buddhismus erfuhr durch die an der Auswertung der Turfan-Funde beteiligten Fachkollegen besonders aus Turkologie, Iranistik, Sinologie und Tibetologie eine starke Beachtung. Umgekehrt erhielt sie aus deren Forschungen jetzt zahlreiche neue Quellen und Impulse.21 Ein Indologe mit einem so breiten Spektrum wie Heinrich Lüders war in dieser Situation in Berlin die ideale Besetzung. Unermüd­lich widmete er sich in den ersten Jahren der Sichtung und Bearbeitung der Sanskrit-Handschriften. Le Coq berichtet, dass Lüders fast täglich im Museum für Völkerkunde an den Texten arbeite.22  Schwerpunkte seiner wissenschaftlichen Arbeit waren bis zu seinem Dienstantritt in Berlin Paläographie und Erzählliteratur gewesen. Auf beiden Gebieten konnte Lüders durch die Arbeit an den Turfan-Handschriften neue Ergebnisse erzielen. Wie Pischel sich seit 1903 vorwiegend mit dem Buddhismus und zuletzt mit dem Udānavarga be­schäftigt hatte (Pischel 1908), so wandte sich auch Lüders jetzt verstärkt buddhistischen Quellen zu (Lüders 1911), auch wenn er in seiner beein­druckenden Schaffenskraft eigentlich kaum ein indologisches Thema ausließ (von Hinüber 1973: VIII ff.). Daneben galt sein Interesse weiter dem Epos. Das Mahābhārata war Lüders’ Forschungsgebiet mindestens seit 1895, 1898 habilitierte er sich darüber23 und war dann leitender Herausgeber der in Vorbereitung befindlichen kritischen Edition.24

21 Nicht nur die bisher unbekannten – zumeist buddhistischen – Quellen in anderen als Sanskrit-Sprachen sondern z.B. auch Besonderheiten des Sprach- und Kulturtransfers haben Rückwirkungen auf die indologische Forschung gehabt.

22 TA 2893 vom 25.1.1910.23 Seine Habilitationsschrift (Lüders1901)behandeltedieGrantharezensiondesMahā-

bhārata.24 Die von Lüders seit seinen Oxforder Tagen geplante und in umfangreichen Arbeiten

vorbereitetekritischeEditiondesMahābhārata,dieineinemvondenAkademien

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Else Lüders (1880–1945) unter-stützte ihn hier von Anfang an. Für ihre kenntnisreiche Arbeit an ei­nem Kapitel der kritischen Edition des Mahābhārata, das Heinrich Lü­ders in Rostock und Kiel erstellte, und für die Zusammenfügung und Lesung von Sanskrit­Fragmenten der Turfan-Handschriften verlieh ihr die Universität Rostock 1919 die Ehrendoktorwürde.25 Hein­rich Lüders’ wissenschaftliche Arbeit schöpfte aus dem neuen Quellenmaterial aus Zentralasi­en, aber die praktische Arbeit mit ihnen blieb – abgesehen ins­besondere von seiner 15-jährigen

Beschäftigung mit den buddhistischen Dramentexten – überwiegend Else Lüders und anderen Wissenschaftlern vorbehalten.26 Breloer wird sie deshalb später „Mutter des Sanskrit“ titulieren.27

Ein großer Teil von Lüders’ Kraft wurde von wissenschafts-organisatorischen und -politischen Aktivitäten verbraucht. Wie sein Kollege Sergej Oldenburg in St. Petersburg erkannte Lüders früh, dass Engagement in der Wissenschaft in schwierigen Zeiten nicht auf den

vonGöttingen,Leipzig,MünchenundWienfinanziertenMusterfaszikeldemOrien-talistenkongress 1908 in Kopenhagen vorgestellt wurde, ließ sich als europäisches Gemeinschaftsprojekt nicht durchsetzen und wurde schließlich unter der Ägide des Bhandarkar Oriental Research Institute in Poona realisiert. Als Vater des Projekts und Lehrer des Herausgebers Vishnu Sukhtankar wurde Lüders bei seinem Besuch in Indien 1928 hoch geehrt.

25 Else Lüders arbeitete bis zu ihrem Tod 1945 an den Turfan-Handschriften. Zu dem ersten Umgang mit Sanskrit-Fragmenten s. Waldschmidt 1965: XIX f.

26 Lüders 1911 und 1926. Neben W. Siegling und E. Sieg versuchten sich nur H. Zimmer und M. Spitzer über E. Waldschmidt hinaus vor dem 2. Weltkrieg an „indischen Textmaterialien“ (s. unten). Ein Großteil der editorischen Arbeiten fällt in die Zeit von Waldschmidt.

27 Als Subskript unter einem Foto, das ihn selbst und Else Lüders zeigt.

Abb. 1: Else Lüders und Heinrich Breloer.

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Schreibtisch beschränkt sein konnte, wenn man Anerkennung für sein Fachgebiet und die Freiheit der Wissenschaft genießen wollte.  

Lüders’ verbindliches Wesen, seine aufrechte Grundhaltung sowie sein bei allem Spezialistentum waches Interesse an übergreifenden Themen machten ihn bei seinen Zeitgenossen beliebt. So wurde er schon gleich nach seiner Ankunft in Berlin 1909 als Mitglied in die Preußische Akademie der Wissenschaften aufgenommen und war hier so geschätzt, dass er 1920 zu einem von deren vier Ständigen Sekretaren gewählt wurde, eine Position, die er bis zur Entpflichtung aller Sekre­tare 1938 beibehielt. Erhalten sind eine Reihe von beeindruckenden Reden vor der Akademie.28

In seiner Funktion als Vorsitzender des Turfankomitees ab 191129 war Lüders in die Beschaffung von Genehmigungen und Mitteln und den Schriftwechsel für Expeditionen einbezogen. 1913 reiste er nach St. Petersburg, um als Vorsitzender des deutschen Lokal-Komitees zu versuchen, die Unstimmigkeiten mit russischen Akademiemitgliedern über die Explorationsgebiete und bei der Bearbeitung des Turfanma­terials auszuräumen.30 Zu dem Zeitpunkt war die 4. Turfan-Expedition unter Le Coq schon unterwegs, um noch einmal in dem politisch sehr unruhigen Zentralasien Material für die Forschung zu sammeln.31

Ab 1912 zeichnete Lüders in der Orientalischen Kommission ver­antwortlich für alle Sanskrithandschriften (Waldschmidt 1965: XVI). 1930 übernahm er dort den Vorsitz nach dem Tod von Eduard Meyer.

28 Schubring 1943: 159: „Vom Sekretarplatz aus hat Lüders vielen neugewählten Mitglie-dern feinsinnige Ansprachen gewidmet, die in das jeweilige philologisch-historische Wissenschaftsgebiet eindrangen und auf die begrüßte Forscherpersönlichkeit ver-ständnisvoll zugeschnitten waren, und an Friedrichs- und Leibniztagen der Akademie hat er sich rückblickend und zugleich gegenwartsnah vernehmen lassen.“

29 In Nachfolge von Wilhelm Schulze, der nach dem plötzlichen Tod von R. Pischel am 26.12.1908 in Madras den Komitee-Vorsitz übernahm.

30 Die Missverständnisse begannen schon vor der 2. Expedition und beruhten auf Abspra-chen über russischen bzw. deutschen Expeditionen vorbehaltene Explorationsgebiete. Die Turfan-Oase sollte deutsches, die Kucha-Oase russisches Forschungsgebiet sein. Beide Forschergruppen hielten sich unzureichend an die Absprachen. Ein zweiter Punkt war die verabredete Beteiligung russischer Wissenschaftler an der Auswertung des Forschungsmaterials, die Müller und LeCoqnichtimmereinhaltenmochten.

31 Lüders-Brief, TA 6066 v. 21.6.1913.

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Lüders besuchte zahlreiche Orientalistentage und pflegte den Kontakt zu in- und ausländischen Wissenschaftlern. 1912, in Athen, war der Student Helmuth v. Glasenapp so beeindruckt von ihm, dass er im Se­mester darauf in Berlin studierte.32

Neben den zahlreichen Gesprächen und Aktivitäten bei der Be­arbeitung des Turfan-Materials, den Anträgen für Finanzierung und Durchführung der 4. und der wegen des Krieges nicht zustande gekom­menen 5. Expedition unter Albert Tafel,33  und seinen eigenen umfang­reichen wissenschaftlichen Arbeiten stellt sich Lüders’ Lehrtätigkeit an der Universität in dieser Zeit als eher „normal“ dar. Er las z.B. 1912 Aśoka-Inschriften und neben anderen Texten vor allem episches Sans­krit mit Vishnu Sukthankar, dem späteren Herausgeber der kritischen Edition des Mahābhārata. Dieser bedankt sich in den Prolegomena zur Edition des Ādiparvan für das „excellent though somewhat rigorous and exacting training in philological methods“ (Dandekar 1943: 285).

Lüders’ Lehrbeauftragter Hermann Beckh (1875–1939) unterrichtete derweil Sanskrit und Pali.34 Am Seminar für Orientalische Sprachen (SOS)35 boten Hermann Beythan (1875–1845) Tamil und Hermann Beckh Tibetisch an.36 Lange Zeit war auch ein Hindi­Lektor am SOS beschäftigt.

32 Glasenapp 1964: 54 zitiert das dortige Bonmot: „Unter den Sanskritisten ist der Einäugige König“, womit auf Lüders’ Augenverletzung aus Kindertagen angespielt wird. Indologen unter den Teilnehmern des Orientalistentages in Athen waren neben Glasenapp u. a.: Hillebrandt, Strauss, Kuhn, Jolly,Hultzsch, F.O. Schrader, SylvainLévy,RhysDavis,E. Washburn Hopkins, Formichi.

33 Die Vorbereitungen waren schon weit gediehen, als der Krieg begann. Es waren bereits Reisepässe ausgestellt, Transitpapiere durch Russland beschafft und bei dem Fotografen lagerten die vorbestellten Fotoplatten.

34 Glasenapp 1964: 59 berichtet vom Sommersemester 1912: „In Berlin hörte ich auch bei dem damaligen Privatdozenten, späteren a.o. Professor Hermann Beckh eine VorlesungüberBuddhismusundChristentum(…)BeiBeckhhabeichauchPali-Textegelesen.ErwareineeinzigartigePersönlichkeitvonstarkemreligiösenEmpfinden.“

35 Moderne Umgangssprachen Asiens, wie auch Afrikas, wurden seit 1887 am zunächst außeruniversitären Seminar für Orientalische Sprachen gelehrt (vgl. den Beitrag von Lötzke in diesem Band).

36 Der Jurist Hermann Beckh studierte u. a. bei Oldenberg (Kiel) und Pischel (Berlin, Promotion). Tibetisch lernte er bei Georg Huth. 1909–19 war er Privatdozent der Indologie und des Tibetischen und bis 1922 Extraordinarius der Religionswissenschaft.

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Nicht vergessen sein soll das soziale Leben in der Orientalistengemeinde vor dem Ersten Weltkrieg. Wissenschaftliche Zusammenkünfte gab es am Friedrichstag (um den 24.1.) und Leibniztag (um den 1.7.) und bei Mittwochs-Vorträgen an der Akademie Unter den Linden. Oft gingen die Herren hinterher in die Konditorei nebenan oder plauderten in der Bibliothek beim Kaffee.

Treffpunkt der Indologen war über viele Jahre das Motivhaus an der Hardenbergstraße37 und bei schönem Wetter der Garten der Sternberg­schen Villa neben der Technischen Universität. Schon Pischel grüßte von hier den fernen Le Coq38 und auch Lüders traf sich hier regelmäßig mit Schülern und Kollegen.39  Der Ausbruch des Krieges 1914 brachte auch der Indologie in Berlin Veränderungen:

Wie die Orientalistik insgesamt war sie stark international vernetzt. Gerade der wissenschaftliche Austausch um die Turfan-Expeditionen

Der Priester und Missionar HermannBeythanhatteinSüdindienTamilgelernt,daserin Berlin von 1910–45 lehrte (Stache-Rosen 1990: 184–185).

37 Das1902alsClubhausdes„AkademischenVereins‚Motiv‘“(KöniglicheBauaka-demie) erbaute Art-Déco-Gebäude wurde 1919 ein Kino und beherbergt heute das Renaissance-Theater. Im 6. Stock befand sich damals die „Kant-Gesellschaft“.

38 TA 5778 v. 2.7.1905: „Wir verfolgen Ihre Forschungen mit größtem Interessen und freu-en uns über jeden Fund. Mittwochs kommen wir abends immer zusammen, bisher im Motivhause, seit voriger Woche in dem schattigen Garten der früheren Sternbergschen Villa bei der Technischen Hochschule. Da ist oft und viel von Ihnen die Rede…Die Russen gehen erst im Frühjahr 1906 hinaus. Bis dahin hoffen sie, Frieden zu haben, der ihnenzugönnenist….IchhabeindiesemSemestereinganzinternationalesColleg:Franzosen,Engländer,Amerikaner,Schweden,Ungarn,Čechen.AlleeinigtdasBier,dem nur der gute Dr. Beckh noch immer nicht huldigt. Neben seiner Zitronenlimonade standen neulich noch zwei, eine von meiner Frau und eine des Russen Mironow, der hier ist, um unsere Turkestan Funde zu studieren. Er soll im Frühjahr mit hinausgehen.“

39 Glasenapp 1964: 58: „Zu dem Zusammenhalt der Indologie trugen wesentlich die Bierabende im Restaurant Motivhaus bei, an denen auch die Herren des Völkerkunde-Museums wie von LeCoqundSiegling sowie gelegentlich auch auswärtige Gäste teilnahmen. Im Verlaufe dieses Semesters lernte ich so eine Reihe von jungen Lüders-Schülern kennen, wie Heinrich Zimmer, Johannes Nobel, der damals an der Staats-bibliothek beschäftigt war, und Vishnu Sukthankar, der seine Dissertation vorbereitete, sowie den Jesuitenpater Robert Zimmermann, der später Professor am St. Xaviers ColleginBombaywurde.AuchderIndogermanistSittig und andere gehörten zu un-serem Kreis“ (1912).

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hatte keine Grenzen gekannt. Auch wenn nationalistische Gedanken zeitgemäß waren, so kamen sie eigentlich nur dann als Argumente zum Tragen, wenn Gelder beantragt wurden oder auch auf persön­licher Ebene Uneinigkeit herrschte.40 Lüders’ international geplantes Projekt einer Kritischen Edition des Mahābhārata war schon weit vor dem Krieg nicht recht vorangekommen, jetzt musste endgültig davon Abschied genommen werden. Die Menge des wissenschaftlichen Ma­terials in Berlin ließ aber keinen forscherischen Mangel aufkommen, doch dass jüngere Mitarbeiter und Studenten zum Kriegsdienst einge­zogen wurden, hinterließ Lücken.41 Aber es gab auch neue Aufgaben. Die Nachrichtenstelle für den Orient (NfO)42, die dem Reichskolonial­amt und damit dem Außenamt unterstand, beschäftigte junge Sprach-talente wie H. v. Glasenapp und J. Nobel (ab 1917) als Übersetzer und

40 Febr. 1904, Antrag für die 2. Expedition, TA 900 ff.: „ … Die orientalischen Studien in Deutschland entsprangen an der Scheide des 18. Jahrhunderts idealen Bestrebungen, wie die damalige Zeit sie liebte, auf der Basis kosmopolitischer Ideen, deren beredtster Vertreter in Deutschland Herder war. Abgeschnitten vom direkten Zusammenhang mit dem Orient, war die Arbeit auf die Studierstube beschränkt, die Materialien lieferte das Ausland. Deutscher Fleiß widmete sich jenen wissenschaftlichen Betätigungen vom rein theoretischen Standpunkte mit der gründlichen Schulung, welche durch die Beschäftigung durch die Antike gewonnen wurde, während die ausländischen Mächte – in erster Linie England – mit der praktischen Seite, der Einrichtung und Nutzbarmachung seiner Kolonien, beschäftigt war: speziell in Indien hat der deutsche Name sich einen ehrenvollen Ruf gesichert. (…) Die Zeiten haben sich auch in anderer Beziehung geändert. Es kann und darf die betrübende Tatsache nicht verschwiegen werden,dassDeutschlandimmermehrindenHintergrundgedrängtwird.Esfindetdies darin seinen Ausdruck, dass uns durch Ausfuhrverbote das Material entzogen wird; wir sind also, wollen wir uns nicht mit Kleinigkeitkrämereien beschäftigen lassen, von den großen Aufgaben ausgeschlossen. Indien ist uns verschlossen, da England eifersüchtig darüber, dass nicht ausgeführt wird, seine frühere fördernde Thätigkeit, welche dem Deutschen lange zu Gebot stand, aufgegeben hat und lieber völlig unfähige Landeskinder anstellt als Deutsche mit genügenden Kenntnissen.“

41 Von den Bearbeitern von Turfan-Handschriften wurden Stönner, Siegling, Zimmer und Waldschmidt Soldaten. Siegling kam erst 1919 wieder nach Berlin. Johannes Nobel (1887–1960), Student von Lüders und später Bibliothekar an der Staatsbibliothek, kam 1917 aus Frankreich zurück und war dann Übersetzer für Türkisch.

42 Bei Kriegsbeginn von Max von Oppenheim gegründet, unterstand sie dem Staats-sekretar WilhelmSolf,dereineDissertationüberBilhaṇaerstellthatte.ErsterLeiterder NfO von Nov. 1914 bis März 1915 war Max von Oppenheim selbst, ab März 1915 bis Februar 1916 Karl Emil Schabinger von Schowingen und dann bis Kriegsende Eugen Mittwoch, ein späterer (1920–33) Leiter des SOS. Es wurden Flugblätter sowie die Publikationen ‚Das Korrespondenzblatt‘ und ‚Der Neue Orient‘ erstellt.

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Mediatoren im Bestreben, die Schwächung Englands und Frankreichs durch Stärkung von Unabhängigkeitsbewegungen im Nahen Osten und in Indien zu fördern. Mitglieder des sog. „Indischen Komitees“ der NfO wurden nach Berlin eingeladen und hielten Vorträge, meist am SOS.43 Die Nachrichtenstelle betreute zwei Kriegsgefangenenlager bei Berlin, in Wünsdorf und in Zossen. Auf Anregung des Oberlehrers Wilhelm Doegen gab es dort ein Projekt der Sprachaufzeichnung für eine „Lautbibliothek“ an der Staatsbibliothek (Doegen 1921). Dafür wurden Wachswalzen von Kriegsgefangenen in ihrer Muttersprache besprochen (vgl. den Beitrag von Mahrenholz in diesem Band). Lüders machte Sprachstudien im „Inder lager“ in Wünsdorf, wo eine Rām-līlā und andere Hindufeste gefeiert wurden. Auch der Indogermanist Wilhelm Schulze, ein langjähriger Freund von Lüders, war beteiligt, und Helmuth von Glasenapp war zuständig für Afridi und Muslime (Glasenapp 1964: 90). Obwohl es moderaten Kräften in der Akademie 1915 nach der ersten nationalistischen Euphorie gelungen war, den geforderten Ausschluss ausländischer korrespondierender Mitglieder und den Abbruch der interakademischen Beziehungen zu verhindern,44 war Deutschland „nach dem verlorenen Weltkrieg durch den Wissenschaftsboykott der Entente-Mächte von der internationalen ‚scientific community‘ weitgehend abgeschnitten“ (Hoffmann 2000: 60). „Dies führte dazu, dass deutsche Gelehrte über fast ein Jahrzehnt hinweg von offiziellen internationalen Kontakten, Konferenzen und Vereini gun gen weit gehend

43 Glasenapp 1964: 70 ff. beschreibt anschaulich die Arbeit des NfO und die rege Reise-tätigkeit in Begleitung von Gästen aus dem Orient, welche dem Deutschen Amt ihre Mitarbeit angeboten hatten und nennt zahlreiche Namen von indischen Intellektuellen, die damals in Berlin waren.

44 Der am 4.10.1914 in allen großen Tageszeitungen von 93 Wissenschaftlern und Künst-lern unterzeichnete Aufruf „An die Kulturwelt!“, in dem auch 46 ordentliche Mitglieder der Akademie Übergriffe auf die Zivilbevölkerung bei der Besetzung Belgiens leug-neten, führte zum Ausschluss deutscher Akademiker aus der Französischen Akademie der Wissenschaften. Dies wollten deutsche nationalistische Akademiker wiederum mit Ausschluss der französischen Korrespondierenden Mitglieder beantworten. Es entbrannte ein Streit über die Internationalität von Wissenschaft (Mommsen 2000: 5 ff.).

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ausgeschlossen blieben (Hoffmann 2000: 65). Wie die Akademie in dieser Situation verstärkt mit skandinavischen, niederländischen und russischen Kollegen kooperierte, so bemühte sich auch H. Lüders nach seiner Wahl 1920 zu einem der beiden Ständigen Sekretare der Philologisch-Historischen Klasse der Akademie der Wissenschaften ab 1922 um Normalisierung des Verhältnisses zur Russischen Akademie der Wissenschaften und deren ständigem Sekretar, dem Indologen Sergej Oldenburg, der 1923 mit dem Vizepräsidenten der Akademie Steklov zu Gesprächen nach Berlin kam. 1925 besuchte Lüders wie zahlreiche andere deutsche Wissenschaftler auf Einladung der sowjetischen Regierung die Festlichkeiten in Moskau und Leningrad zum 200jährigen Bestehen der dortigen Akademie der Wissenschaften. Er bemühte sich in diesen Jahren auch um die Neubelebung der „Internationalen Union der Akademien der Wissenschaften“,45 in die das Kartell der Akademien von Berlin, Göttingen, Heidelberg, Leipzig, München und Wien dann gleichberechtigt aufgenommen werden sollte. Aber erst Jahre nach Deutschlands Beitritt zum Völkerbund 1926 und nachdem die Nationalsozialisten die Regierung in Deutschland übernommen hatten  konnte dies am 13.5.1935 geschehen.  Nach dem Ende des Krieges normalisierte sich das akademische Leben nur zögerlich. Als die Heimkehrer aus Krieg und Gefangenschaft wieder an ihren Schreibtischen saßen, ließen die Menge des in Berlin auf Bearbeitung wartenden Materials und die zahlreichen Möglichkeiten des interdisziplinären Austauschs die finanziell schweren Zeiten leichter erscheinen.

Es gab eine große Zahl an hoch qualifizierten Indologen und mit süd- und zentralasiatischem Material Beschäftigten in Berlin, an Mu­seum und Universität, am Seminar für Orientalische Sprachen (SOS) und in der Staatsbibliothek. Auch Wissenschaftler, die einmal in Berlin gearbeitet oder studiert hatten, zog es immer wieder hierher, und neue Studenten kamen, die wenigstens einmal wenige Semester bei dem

45 UnionderAkademienderWissenschaften(UAW)bzw.InternationalCouncilofScientificUnions(ICSU).

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großen Lüders lernen und von Bibliothek, Handschriftensammlungen und Museumsbeständen profitieren wollten. Stönner, Siegling, Nobel und Fick hatten Glück, dass sie nach dem Krieg an ihre alten Posten an Museum, Akademie und Staatsbibliothek zurückkehren konnten.46

Friedrich Schrader (1865–1922), der 1889 bei Pischel mit der Über­setzung der Karmapradīpā promoviert worden war und ab 1891 als Lehrer, Journalist und Denkmalschützer in Istanbul gearbeitet hatte, konnte nach seiner Rückkehr 1919 nach Berlin hier wissenschaftlich nicht wieder Fuß fassen. H. v. Glasenapp (1891–1963)47 war von 1920–27 neben Johannes Nobel (1887–1960) Lehrbeauftragter am Indogermanischen Seminar, bevor er sich 1927 auf seine erste große Indienreise begab. Beide lehrten abwechselnd mit Lüders Sanskrit nach dem bekannten Lehrbuch von A. F. Stenzler48. Es wurden Übersetzungen ins Sanskrit angefertigt und solche aus dem Sanskrit, Pali und vedischen Texten (Glasenapp 1964: 100 f.).

Ernst Waldschmidt (1897–1985) kam 1920 aus Kiel nach Ber­lin, um hier zu studieren49 und promovierte 1924 über das Bhikṣuṇī Prātimokṣasūtra aus den Turfan-Texten (Waldschmidt 1926). Ebenfalls mit den Fragmenten einer wichtigen Turfan-Handschrift beschäftigte

46 Siegling habilitierte sich 1929. Nobel wurde nach seiner Habilitation (1920) im Jahre 1927 Extrordinarius an der Berliner Universität.

47 Glasenapp promovierte in Bonn 1914 mit einer Arbeit über „Die Lehre vom Karman in der Philosophie der Jainas“ und habilitierte sich dort 1918 über „Madhavas Philo-sophie des Vishnuglaubens“. 1928–45 war er Professor in Königsberg und nach dem Krieg in Tübingen.

48 Stenzler 1868, vermutlich in der von Pischelverbesserten6.Auflage,Breslau1892oderdervonGeldnerverbesserten9.Auflage,Giessen1915.

49 Ernst Waldschmidt musste 1921 sein Studium unterbrechen, weil er sich nicht mehr ernährenkonnte.WährendderInflationszeitwurdeerdannvoneinemvonEduard MeyerundUlrich von Wilamowitz-Möllendorf gegründeten Hilfsfonds unterstützt, der mittellosen Studenten kleine Devisenbeträge überließ, die, zum Tageskurs getauscht, das Überleben sicherten. Waldschmidt konnte auch einige Zeit umsonst in einer Mansarde eines Palais der Gräfin von Redern wohnen und war Mittagsgast bei Bürgerfamilien wie den Orlichs hinter dem Südstern, wo er seine spätere Frau Rose Leonore kennenlernte (Waldschmidt 1970).

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sich 1927/28 Moritz Spitzer (1900–1982), der in Kiel studiert hatte.50 Auch die Lüders­Schüler Heinrich Zimmer (1890–1943),51 Günter Weib­gen52 und Helmut Hoffmann (1912–1992) übernahmen buddhistische Texte aus den Turfan-Funden zur Bearbeitung. Aber nur Hoffmann brachte seine Arbeit am Āṭānāṭika-Sūtra selbst zur Veröffentlichung (Hoffmann 1939). 1925 studierte Paul Thieme (1905–2001) für ein Jahr bei Lüders und dem Indogermanisten Wilhelm Schulze, bei dem er die Methode der etymologischen Wortforschung erlernte. Thiemes Vorbild aber wurde Heinrich Lüders, sodass er sich fortan als dessen Schüler bezeichnete.

Ein gern gesehener Kollege und guter Freund von Lüders war Sten Konow (1867–1948), der nach seiner Emeritierung in Hamburg 1919 sich häufig in Berlin aufhielt.53

Lüders’ gründliche Kenntnis des vielseitigen Turfan-Materials ver­breiterte die Quellenlage für seine Lehre und seine wissenschaft-lichen Arbeiten; aber sein Interesse blieb weiterhin – mit Ausnahme der bereits genannten Editionen der buddhistischen Dramentexte und weniger Spezialabhandlungen zu Turkestan-Themen – auch auf an­dere Gebiete indologischer Forschung gerichtet. So erstreckte sich sein Betätigungsfeld von Wortstudien über Inschriften und Paläogra­phie bis hin zu buddhistischer Literatur in Sanskrit und Mittelindisch, Archäologie, Kunst und Realienkunde. Mit seiner Frau arbeitete er in

50 Spitzer war Schüler von Friedrich Otto Schrader in Kiel, wo er 1927 promoviert wurde. Nach nur kurzer Zeit als Mitarbeiter der Orientalischen Kommission zog er sich von der Indologie zurück und arbeitete im Verlagswesen. Das von ihm bearbeitete sogenannte Spitzer-Manuskript beschäftigte noch Dieter Schlingloff und wurde erst 2004 von Eli Franco herausgegeben (Franco 2004).

51 Zimmer kehrte nach dem Krieg nicht nach Berlin zurück, sondern habilitierte sich 1919 in Greifswald und arbeitete von dort aus knapp drei Jahre (1919–22) als Mitarbeiter der Orientalischen Kommission an der Bearbeitung von Turfan-Fragmenten. 1922 ging er als Lehrbeauftragter und später Professor nach Heidelberg. Zu Zimmers Beiträgen s. Waldschmidt 1965: XIX Anm. 7.

52 Über Günter Weibgen ist nicht viel bekannt, er trat die Nachfolge von J. Nobel in der Staatsbibliothek an und beteiligte sich an der Bearbeitung von Handschriften. Er starb im oder kurz nach dem Krieg.

53 Kurz vor Kriegsausbruch war Lüders mit seiner Frau Gast bei Konow in Norwegen.

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den 20er Jahren an Jātakas, die Else Lüders mit einem Vorwort ihres Mannes als „Buddhistische Märchensammlung“ herausgab (Lüders, Else 1922). Ab den 30er Jahren wandte er sich wieder verstärkt der Epigraphik und dem Veda zu. Mit Albert Grünwedel und Albert von Le Coq verband Lüders das Interesse für die buddhistische Bilderwelt.

Lüders vermittelte seinem Schüler Waldschmidt, der bei E. Haenisch und O. Franke Chinesisch und bei A. H. Francke Tibetisch studiert hatte und damit wie sein Vorbild Grünwedel prädestiniert war für die Arbeit an Materialien des zentralasiatischen Buddhismus, den Kontakt zu A. v. Le Coq am Museum für Völkerkunde. Mit einem Stipendium-finanzierten Volontariat der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft (NDW)54 arbeitete Waldschmidt sich in Archäologie und Kunstgeschichte ein und wurde dann 1925 am Museum eingestellt. Waldschmidt habilitierte sich 1930 – wieder mit einer Arbeit über Turfan-Fragmente (Wald­schmidt 1932). Abgesehen davon arbeitete er in seiner Museums zeit hauptsächlich kunstwissenschaftlich (Waldschmidt 1925; Le Coq & Waldschmidt 1928 und 1933; Waldschmidt 1932) und wandte sich erst nach seinem Weggang nach Göttingen wieder verstärkt den Sanskrit­handschriften aus Zentralasien zu (Sander 2004).

Die Erforschung des Buddhismus in all seinen Überlieferungen und Ausdrucksformen in Berlin auch institutionell zu etablieren, war ein Ziel von Lüders, nachdem er 1930 die Leitung der Orientalischen Kommission übernommen hatte.55 Vorbild waren ihm die Kaiser-Wilhelm-Institute, die organisatorisch zwischen Akademie und Uni­versität standen und unabhängig zielgerichtete Grundlagenforschung betrieben. Ein Buddhismus­Institut in Berlin schien Lüders die richtige

54 Auf Initiative der Akademiemitglieder Max Planck, Fritz Haber, Ernst v. Harnack und des Kultusministers Friedrich Schmidt-Ott am 30.10.1920 gegründet, stellte die NDW als Vorgängerinstitution der DFG Fördermittel für die Wissenschaft zur Verfügung (Hoffmann 2000: 60). Die NDW förderte nach 1928 Studienaufenthalte von Indologen in Indien.

55 Nötzold 1999: 252 und 255: Das Institut für Buddhistische Forschung war 1930 eines von fünf bestehenden Vorhaben der Akademie, die in Institute umgewandelt werden sollten, keines davon wurde verwirklicht.

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Antwort zu sein auf die vielen Schwierigkeiten bei der Koordination der Forschungen an den buddhistischen Quellen, die ca. 20 Sprachen und diverse Kunstformen umfassen. Lüders befand sich mit dieser Idee nicht allein. Auch S. Oldenburg in St. Petersburg hatte angesichts der großen Material-Mengen, die in der dortigen Akademie der Wissen­schaften und in der Eremitage lagern, etwa zehn Jahre zuvor bereits dieselbe Forderung nach einem Buddhismus­Institut erhoben.

Dass eine solche Idee 1930 geäußert und für eine kurze Zeit verfolgt werden konnte, zeigt die Aufbruchstimmung dieser Periode.

Ein weiteres Anliegen von Lüders, für das er sich auch in der Akademie einsetzte, war die Gewährung von Reisestipendien an Indologen durch die NDW. In Indien knüpfte er 1927/28 dafür verschiedene Kontakte. So konnten Ludwig Alsdorf 1930–32 und Paul Thieme 1932–34 bei traditionellen indischen Gelehrten studieren, während sie an der Allahabad-Universität als Dozenten für Deutsch und Französisch tätig waren. Überhaupt fanden verstärkt Indien-Reisen statt. Auch Lüders’ Nachfolger Bernhard Breloer verbrachte aus Anlass des All India Orienta list Congress den Winter 1930/31 in Ceylon und Indien,56 und der seit 1920 als Ordinarius in Hamburg beschäftigte Walther Schubring (1881–1961) begleitete Lüders 1927/1928 nach Poona, wo er Jaina-Hand schriften aufnahm und unterwegs an Jaina-Einrichtungen Vorträge hielt (Stache-Rosen 1990: 201). Zehn Jahre nach Kriegsende etablierten sich also langsam wieder normale wissenschaftliche Verhältnisse.

Ein weiterer indologischer Forschungsschwerpunkt blieb auch im Berlin der Weimarer Zeit der Jainismus. Schon ab 1904 hatte sich Walther Schubring57 an der Königlich Preussischen Bibliothek mit den Bühlerschen Jaina-Handschriften beschäftigt.

56 FotosvondieserReiseschenkteermitWidmung„SeinerMagnifizenzHerrnGeh.Regierungs Rat Dr. Heinrich Lüders, Rektor der Universität Berlin, zur freundlichen Erinnerung an meine Indienreise 1930/31, Dr. phil et jur B. Breloer.“ Das Album kam über Waldschmidt und Härtel 1979 ans Museum für Indische Kunst.

57 Walther Schubring war Schüler von Weber, Pischel, Jacobi und Leumann. Er trat 1920 die Nachfolge von Sten Konow in Hamburg an.

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Die Bibliothekare Richard Fick (1918–21), Johannes Nobel (1920–1926)58 und Günter Weibgen (1927–39) setzten diese Tradition an der Staatsbibliothek fort. Auch Ludwig Alsdorf 59, der sich 1935 bei Lüders habilitierte und bis 1938 an der Universität lehrte, war ein Jaina-Spezialist (vgl. zu Alsdorf den Beitrag von Framke in diesem Band).60  

Das Museum für Völkerkunde

Das Museum für Völkerkunde litt am meisten unter der Wirtschafts­krise der 1920er Jahre. Die Gelder für die nicht stattgefundene 5. Ex­pedition, die teilweise umgewidmet werden konnten, wurden für die Publikationen verbraucht oder fielen der Entwertung zum Opfer. Das Auspacken der Kisten aus Zentralasien und die Konservierung der Wandgemälde zogen sich noch über Jahre hin, während Pläne für einen Neubau des Museumskomplexes in Dahlem entworfen und verworfen wurden. Schließlich wurde das Museum in der Stresemannstraße (ehe­mals Königgrätzer Straße) geschlossen und umgebaut. Le Coq leistete in dieser Zeit schier Übermenschliches, wenn er neben der normalen Museumsarbeit und den Publikationen Alkohol und Schellack beim „Kriegsausschuss für pflanzliche und tierische Oele und Fette“ besorgte, Eisenkästen herstellen und Gips kaufen ließ, Gipser, Stukkateure und Tischler beantragte, beauftragte und mit ihnen und der Verwaltung ab­rechnete, Vitrinen und Schränke bauen ließ, und schließlich, als nichts mehr ging, wenige kleinere Bruchstücke von Wandgemälden gegen Devisen verkaufte, um damit die Kostenlücke zu schließen.

Waldschmidt half Le Coq ab 1925 bei der Neuaufstellung der In­dischen Abteilung des Museums, das 1926 eröffnet und Ende 1928 um weitere 13 Räume für die Zentralasienausstellung erweitert wur­de. Auch personell gab es in dieser Zeit große Schwierigkeiten. Nach

58 Johannes Nobel (1887–1960) erhielt 1928 den Ruf nach Marburg.59 Ludwig Alsdorf (1904–1978), 1928 von Schubring in Hamburg promoviert, wurde 1938

Dozent in Münster und 1950 Professor in Hamburg.60 Alsdorf 1936. Der von Weber begründeten Berliner Jaina-Tradition entsprechend,

wurden in den 60er Jahren F. R. Hamm und K. Bruhn an das neu gegründete indolo-gische Institut der Freien Universität Berlin berufen.

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der Pensionierung von Grünwedel 192161 übernahm zunächst F. W. K. Müller auch die Leitung der Indischen Abteilung. 1922 übergab er sie an Le Coq, der aber 1925 aus Altersgründen in Pension gehen musste. Le Coq, der einmal so vermögend gewesen war, dass er 1904 für den sicheren Transport der vom Museum angekauften Sammlung Leitner aus England mit seinem Privatvermögen haften konnte (TA 5622), war infolge der Wirtschaftskrise verarmt und nun genötigt, unter Werkver­trag bis 1929 weiter am Museum zu arbeiten.62 Als im Dezember 1928 die letzten Räume der Ausstellung eingerichtet und eröffnet waren, zog er sich ins Privatleben zurück. Er starb 1930 wenige Tage nach F. W. K. Müller. Nach Le Coqs endgültigem Ausscheiden und Stönners Tod 1931 leitete Waldschmidt die Indische Abteilung – mit der Unterbrechung seiner zweijährigen Ankaufsreise durch Indien und Ceylon 1932–34 mit seiner Frau Rose Leonore – bis zu seinem Ruf nach Göttingen 1936. Die ca. 400 kunstgewerblichen Neuerwerbungen zeigte das Mu­seum 1935 in einer Sonderausstellung. Wenn Waldschmidt auch auf vielfältige Weise der Turfanforschung verbunden war, so entwickelte er sich in seinen Berliner Jahren zum wirklichen Museums-Mann. Ob Gandhāra-Plastiken, Miniaturen, oder Kunstgewerbe – er kümmerte sich um viele museale Angelegenheiten.  

Das Ende einer großen Zeit

Ob Lüders später bereute, dass er 1929 einen Ruf nach München abge­lehnt hatte, ist nicht bekannt. Er war gerade mit seiner Frau aus Indien und Ceylon zurückgekehrt, wo er u. a. am Bhandarkar Oriental Research Institute mit großen Ehren empfangen worden war, und hatte in Ber­lin noch viel vor. Mit der Übernahme der Leitung der Orientalischen

61 Grünwedel siedelte 1923 nach Lenggries bei Bad Tölz über.62 Die eigenartige Konstruktion der Verantwortlichkeiten am Museum in diesen Jahren ließ

den ohnehin durch den Tod seines Sohnes im Ersten Weltkrieg und den Verlust seiner Mittel verbitterten LeCoqzunehmendgegendasMuseumräsonieren.Ihnerbostevor allem das Aufgehen seiner Indischen Abteilung in der Abteilung der Asiatischen Sammlungen des Museums für Völkerkunde unter dem Sinologen Otto Kümmel am 14. 5.1928, der die Nachfolge des zum 1.4.1928 pensionierten F.W.K. Müller angetreten hatte.

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Kommission 1930 und den zahlreichen Aufgaben als ein Sekretar der Akademie meinte er wohl, für die Orientwissenschaften noch einiges bewegen zu können.

Im Studienjahr 1931/32 übernahm Lüders das Amt des Rektors der Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin. Diese an sich ehrenvolle Aufgabe war in politisch schwierigen Zeiten konfliktträchtig. Seine Rektoratsrede hielt er über „die magische Kraft der Wahrheit im alten Indien“ – ob die Wahl des Themas eine politische Anspielung enthält, kann nur vermutet werden. Jedenfalls „vollzog sich seine Emeritierung im Sommer 1935 in wenig schöner Form, und er hat danach nicht mehr an der Universität gelesen.“ 63

Ein Jahr zuvor im September 1934 – aus Anlass des Orientalistentages in Bonn – verbrachte das Ehepaar Lüders fröhliche Tage mit seinem jungen Freund Bernhard Breloer 64 (1894–1947) und dessen zukünftiger Frau in Bad Godesberg und an der Ahr. Breloer, der – bewandert in altphilologischen Quellen und ein studierter Jurist – fachübergreifend über Recht, Verwaltung und Geschichte arbeitete, wurde Lüders’ be­fürworteter Nachfolger in Berlin,65 dem allerdings nur wenige Jahre der wissenschaftlichen Tätigkeit bis zur Einberufung 1939 blieben ((vgl. den Beitrag von Framke in diesem Band). Gleich nach seinem Dienstantritt zum Dekan ernannt, war er den Nationalsozialisten ge­nehmer als Lüders.66

Seine Funktion in der Akademie übte Lüders bis zu ihrer national­sozialistischen Umstrukturierung in eine präsidiale Institution im Jahre 1938 aus. Aber auch als einfaches Mitglied setzte er sich mit den an­

63 Der wissenschaftliche Teil der Antrittsrede vor der Universität wurde erst 1944 nach dem Tod von Lüders von Alsdorf publiziert (Alsdorf 2001: 577).

64 Nach einer Dissertation über altindische Musik (Breloer 1921) und einer zweiten im Fach Jura über das Grundeigentum in Indien (Breloer 1927) habilitierte sich Breloer in Bonn bei Hermann Jacobi (1850–1937).

65 Breloer war „Spezialist für indische Rechtsliteratur und besonders für die schwierigen altindischen Handbücher der Verwaltung, Staatskunst und Politik. Im Zusammenhang damit beschäftigten ihn die griechischen Nachrichten über Indien, besonders die Alexanderhistoriker; zwei größere Arbeiten über den Alexanderzug, teilweise auf Feldforschung in Indien beruhend, stießen allerdings bei den Althistorikern auf Wider-spruch“ (Alsdorf 2001: 578).

66 Alsdorf2001:579.Breloerstarb1946oder1947alsKriegsgefangenerinTiflis.

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deren entpflichteten Ständigen Sekretaren Max Planck und Hans Stille für die Freiheit der Wissenschaft vor politischer Beeinflussung ein.

Dass das Ministerium darauf verzichtete, einen seiner national­sozialistischen Kandidaten Konrad Meyer oder Peter Thiessen zum Präsidenten der Akademie zu ernennen, war auch auf den Widerstand der Philosophisch-Historischen Klasse zurückzuführen, die sich am 2.4.1943 bei einem informellen Treffen in der Wohnung des bereits schwer kranken Heinrich Lüders auf die Nominierung eines Gegen­kandidaten einigte (Fischer, Hohlfeld & Nötzold 2000: 556). Lüders war in den Jahren nach seiner Emeritierung sehr produktiv. Es entstanden zahlreiche Artikel sowie mehrere Monographien, die teilweise erst aus seinem Nachlass herausgegeben werden konnten.67 Das „Lüderssche Kränzchen“ trat jetzt an die Stelle eines universitären Kollegs. In 14-tägigem Wechsel trafen sich bis in den Winter 1942/43 Indologen und Iranisten bei Lüders im Arbeitszimmer in der Sybelstraße und entzifferten Inschriften nach Umzeichnungen und Abklatschen oder übersetzten Vedastellen, die Lüders ihnen vorlegte.68 Zu diesen Treffen kamen auch auswärtige Fachkollegen gern.69

Die Generation der ersten Bearbeiter von indischem Material der Turfan-Expeditionen war jetzt abgetreten. Nach dem Tod von F.W.K. Müller und A. von Le Coq (1930), Stönner (1931) und Grünwedel (1935) lebten nur noch E. Sieg und W. Siegling. Wilhelm Schulze starb 1936.

67 Lüders 1941 („Bharhut und die buddhistische Literatur“), Lüders 1951 und 1959 („Varuṇa“),Lüders1954(„BeobachtungenüberdieSprachedesbuddhistischenUrkanons“),Lüders1961(„MathurāInscriptions“),Lüders1963(„BhārhutInscriptions“).

68 AlsdorfschreibtimVorwortzuVaruṇa(Lüders 1951–59: XV f.): „Die Kränzchen-Sitzungen spielten sich nicht etwa so ab, daß Lüders einfach aus einem Manuskript vorgetragenhätte.VielmehrpflegteerR.V.-Stellenanzugeben,dievondenTeilnehmernaufgeschlagen und übersetzt werden sollten; zu der mit seiner Hilfe gemeinsam erar-beiteten Übersetzung gab er die nötigen Erläuterungen. Fragen der Teilnehmer lösten ergänzende Darlegungen aus, die gelegentlich auch weit vom Thema abführten.“

69 „Alles fand sich dazu ein, was an Indologen und Iranisten dauernd oder auch nur vorübergehend in Berlin weilte; auch der Amtsnachfolger nahm zeitweise teil“ (Als-dorf 2001: 578). Als Teilnehmer können nach verstreuten Hinweisen u.a festgestellt werden: L. Alsdorf, B. Breloer, A. v. Gabain, F. Gelpke, O. Hansen, H. Hoffmann, S. Konow, W. Lentz, E. Lüders, S. Siegling, W. Schulze, P. Thieme, W. Voigt, E. Wald-schmidt, G. Weibgen, H. Zimmer.

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Nach Waldschmidts Weggang nach Göttingen, kam nach Ende des 2. Weltkriegs zwar wieder neues Leben in die Behandlung der Sans­krit-Handschriften, weil er seine Schüler anregte, Handschriften zu edieren,70 aber die Lücke, die er am Museum hinterließ, war unüber­sehbar. Waldschmidts Nachfolger, der Indologe Fritz Gelpke, war seit 1932 als Assistent am Museum beschäftigt, und Waldschmidt mag gehofft haben, dass er genauso in seine neue Verantwortung hinein­wachsen würde, wie er seinerzeit selbst. 71 Aber unter dem domi­nanten Direktor Kümmel konnte Gelpke sich, nachdem die eigen­ständige Abteilung Indien aufgelöst war, nicht entwickeln. Und die Sicherung der Museumsbestände, die Schließung der Ausstellung schon 1938, die Verpackung und Einlagerung, Auslagerung und Umlagerung verbrauchte sehr viele Energien, insbesondere nach Kriegsbeginn, als Arbeitskräfte und Materialien Mangelware waren.72 Gelpke war durch

70 D. Schlingloff, H. Härtel, V. Rosen, L. Holzmann (Sander), K. Janert.71 In seinem Bewerbungsschreiben an Waldschmidt 1931, sagt Gelpke, dass er Sanskrit-

Philologe sei, promoviert mit ‚summa cum laude‘ bei Sieg über Sanskrit-Grammatik (Gelpke 1929). Daneben habe er Persisch, Geschichte des Alten Orients und Biblio-thekswissenschaft studiert.

72 Brief Gelpkes an Waldschmidt, 15.3.42: „ … Hier im Museum ist nach außen kriegs-gemäße Stille. Die Abteilungen sind geschlossen. Anfragen sind selten, Angebote kommen kaum vor. Im internen Betrieb hat der Krieg eher die entgegengesetzte Wir-kung, weil viele Kollegen natürlich fort sind und von der übrigen Belegschaft auch die meisten fehlen. Von den Kollegen, die Sie noch kennen, sind allerdings nur Reidemeis-ter, Schneider, Kröner und Disselhof aus der amerikanischen Abteilung eingezogen. Daß Snethlage infolge einer Verletzung, die er sich bei der Ausbildung zugezogen hatte, schon vor mehreren Jahren gestorben ist, werden Sie wissen. In der indischen Abteilung bin ich so gut wie allein. Von den jüngeren Kollegen ist Dr. Rau – ich weiß nicht, ob Sie ihn je kennen gelernt haben – eingezogen, Drs. Behrsing u. Schröter als

Abb. 2: Heinrich Lüders mit Freunden an der Klostermühle unter Arnstein Schumburg, aufgenommen am 12.9.1934.

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den ersten Weltkrieg traumatisiert und nicht die richtige Person, um mit sicherer Hand die richtigen Entscheidungen zu treffen. Dass die großflächigen Wandgemälde aus Bezeklik nicht ausgelagert, sondern mit Sandsäcken geschützt wurden und daher verbrannten, ist jedoch nach Direktor Kümmels Ansicht nicht Gelpkes Schuld.73 Anderer­seits sagt Kümmel über Gelpke im selben Brief: „G. war nach meiner Ueberzeugung schon seit Jahren Geistes gestört. Ich habe die größten Schwierigkeiten mit ihm gehabt, weil er zu keinem Schritt zu bewe­gen war, auch wenn es um Leben und Tod der Sammlung ging. Er gab selbst zu, daß er nicht imstande sei, einen Entschluß zu fassen.“ – Fritz Gelpke vergiftete sich nach dem Krieg 1945. Die etablierte Position der Indologie mit ihren zahlreichen interdiszi­plinären Kontakten in der Wissenschaftslandschaft von Berlin war bis

Dolmetscher und Briefprüfer tätig. Sie werden vielleicht fragen, was denn überhaupt noch zu tun ist. Aber es kommt noch allerlei zusammen aus den verschiedenen Ab-teilungen. Die ostasiatische Abteilung vertrete ich ständig, das Phonogramm-Archiv meistens – Schneider ist in Paris –, und öfter, wie gerade jetzt, auch Südsee und Eurasien. Dabei packen wir immer noch ein, je nachdem wir Kisten und Packmaterial geliefert bekommen. In diesen Tagen läuft wieder eine Sendung von Kisten für Wand-gemälde ein. Die Bilder, eine 2. Auswahl, liegen schon seit Wochen bereit. Die erste Auswahl ruht seit vorigem Jahr sicher – hoffentlich wirklich sicher! – im Bunker. Wie die Turfanabteilung mit den Löchern in den Wänden und den Sandsäcken vor einigen der wichtigsten großen Bilder aussieht, können Sie sich ausmalen. Und in den Indien- und Gandhara-Räumen sieht es nicht viel besser aus. Die wertvollsten Stücke sind alle im Bunker, die andern fast alle im Keller zum Verpacken bereit. Und in Dahlem warten auch viele Sachen nur auf Kisten, die immer schwieriger zu beschaffen sind. Aber ich weiß nicht, ob all dies Sie in der ganz andern und wirklich zeitgemäßen Umgebung interessiert.Wirkommenunsjahieroftgenugrechtüberflüssigvor,undgeradevonderPackereiwünschenwirunsjanichtsmehr,alsdasssiesichalsüberflüssigerweist…“

73 Kümmel an Waldschmidt, 2.1.1946: „Substanz der Museen. Furchtbare Schäden. Fangen wir mit Indien an. Zunächst schwer beschädigt, z.T. vernichtet (großes Nirwana chinesischen Stils) die Wandbilder im Verbindungsbau. Sie sind dann so weit möglich ausgebaut und gesichert worden. Ganz zum Schluß schwer beschädigt, z.T. vernichtet die Wandbilder im M.f.V. selbst, ebenso die Skulpturen aus Turfan usw. dort. Die großen Pranidhi-Szenen sämtlich vernichtet. Die berühmte chinesische Inschrift von vierhundertsoundsoviel ist, schwer beschädigt, erhalten, auch die ‚Nike‘. An diesen Verwüstungen hat Gelpke z.T. keine Schuld. Wir hatten im M.f.V. eine Ausstellung des Luftfahrtministeriums – aller Widerstand half nicht – hinter der an die Sachen nicht heranzukommen war.“ – Walter Krickeberg, Leiter der Abteilung Amerika, wider-spricht dieser Darstellung in einem Brief vom 1.3.1947 an Waldschmidt und gibt dem Desinteresse von Bauverwaltung und Museumsleitung die Schuld.

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zum Tod von Lüders 1943 fraglos. Seine einzigartige Forscherpersön­lichkeit bewirkte, dass Berlin – nicht nur wegen der reichen Forschungs­Materialien an Museum, Staatsbibliothek und Akademie – ein Zentrum der Indologie in Deutschland war. Die besondere Situation Berlins in und nach NS- und Kriegs-Zeit hat hier jedoch eine Zäsur geschaffen, die bis heute nicht überwunden ist. Zwar gibt es eine Kontinuität bei der Bearbeitung der Turfan-Handschriften und nach vielen Jahren der Unterbrechung seit 1971 wieder eine Dauerausstellung indischer und zentralasiatischer Kunst in Berlin. Aber die selbstverständliche Einbindung einer universitären Grundlagenforschung zu Sprachen und Kulturen Südasiens in die Forschungslandschaft der Stadt gibt es nicht mehr. Dass dies ein Verlust ist, kann gut an den Werken von Lüders gesehen werden, der bei allem Spezialistentum in seiner mul­tikulturellen und multilingualen Forschung übergreifende Antworten versuchte und in seiner breiten Vernetzung mit anderen Disziplinen neue Forschungsperspektiven eröffnete. 

* Dokumentarisches Material stammt vorwiegend aus den sog. „Turfan-Akten“ (TA), 21 gehefteten und bereits eingescannten Dossiers mit dem Schriftwechsel zu den Turfan-Expeditionen und ihren Funden. Zitiert wird hier nach den Scan-Nummern.

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