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Tontechnik
Hören, Schallwandler, Impulsantwort und Faltung, digitale
Signale, Mehrkanaltechnik, tontechnische Praxis
Bearbeitet vonThomas Görne
4., aktualisierte Auflage 2014. Buch. ca. 384 S.ISBN 978 3 446
43964 1
Format (B x L): 17,2 x 24,2 cmGewicht: 732 g
Weitere Fachgebiete > Technik > Sonstige Technologien,
Angewandte Technik >Akustik, Tontechnik
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Leseprobe
Thomas Görne
Tontechnik
Hören, Schallwandler, Impulsantwort und Faltung, digitale
Signale,Mehrkanaltechnik, tontechnische Praxis
ISBN (Buch): 978-3-446-43964-1
ISBN (E-Book): 978-3-446-44149-1
Weitere Informationen oder Bestellungen unter
http://www.hanser-fachbuch.de/978-3-446-43964-1
sowie im Buchhandel.
© Carl Hanser Verlag, München
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5
Vorwort
Die Tontechnik ist ein umfangreiches Fach. Sie umfasst große
Teile derAkustik – physikalische und musikalische Akustik,
Raumakustik, Psy-choakustik, Elektroakustik –, Teile der
Kommunikationstechnik, Digital-technik und Nachrichtentechnik, und
manche Geräte wie piezoelektri-sche Wandler oder magneto-optische
Speicher bergen auch Ausflüge inentfernte Gebiete der Physik.
Die einzelnen Kapitel sollen einen Einstieg in die
unterschiedlichenFachgebiete der Tontechnik geben; sie können als
fachlich und inhaltlichunabhängige Einheiten betrachtet (und
gelesen) werden. Das Stichwort-verzeichnis hilft bei der schnellen
Navigation. Zudem finden sich in Textund Stichwortverzeichnis auch
die wichtigsten englischen Fachbegriffe.
Detmold & Svensbyn, Juni 2006
Zur dritten Auflage konnte ich einige Ergänzungen vornehmen. So
istinsbesondere das Kapitel zu Schall und Schwingungen
umfangreichergeworden, es sind einige Beispielrechnungen dazu
gekommen (z.B. zuDopplereffekt und Fouriertransformation), und es
gibt einige neue Bilderund Illustrationen. Die nunmehr vierte
Auflage hat weitere Aktualisierun-gen erhalten.
Hamburg, Juni 2014 Thomas Görne
Danksagung
Herzlichen Dank an Ulrich Schmidt für den Anstoß zu diesem Buch
undan Erika Hotho, Mirja Werner und Franziska Jacob für die
hervorragendelangjährige Zusammenarbeit. Herzlichen Dank auch an
Christoph Bley,Martin Schneider und Stefan Müller für anregende
Diskussionen. Ein be-sonderer Dank geht an Reimund Gerhard für
seine Unterstützung nichtnur in der musikalischen Akustik.
Vielen Dank an Marco Rittermann für die Überlassung seiner
LATEX-Layout-Anpassung. Der Georg Neumann GmbH, Microtech
Gefell,Beyerdynamic, Studio Babelsberg, Sonopress und Theis
Synthesizer dan-ke ich für ihre Unterstützung.
Für wunderbare Bilder danke ich Gerhard Haderer und Ulrich
Illing.
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Inhaltsverzeichnis
Was ist Tontechnik? 13
1 Schall und Schwingungen 171.1 Mechanische Schwinger 18
1.1.1 Freie und gedämpfte Schwingung 181.1.2 Erzwungene
Schwingung und Resonanz 211.1.3 Effektivwert und Spitzenwert
241.1.4 Komplexe Beschreibung 251.2 Schallfeld 27
1.2.1 Schallwellen 271.2.2 Akustische und elektrische Pegel
321.2.3 Ebene Welle, Kugelwelle und Entfernungsgesetz 351.2.4
Nahfeld und Fernfeld 371.2.5 Nichtlinearität bei großem
Schalldruck 391.2.6 Bewegte Schallquellen 401.3 Überlagerung von
Wellen 42
1.3.1 Schallreflexion und stehende Wellen 431.3.2 Beugung,
Brechung, Interferenz 461.3.3 Wiederholungstonhöhe und Schwebung
491.4 Tonerzeugung 51
1.4.1 Saiten, Stäbe, Membranen, Platten 511.4.2
Röhrenresonatoren 601.4.3 Helmholtz-Resonatoren 651.5 Stimmung
67
1.5.1 Pythagoras und der Wolf 691.5.2 Pythagoreische und
mitteltönige Stimmung 711.5.3 Wohltemperierte Stimmungen 711.5.4
Gleichschwebend temperierte Stimmung 721.5.5 Oktavspreizung 74
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2 Schall im Raum 762.1 Wellentheoretische Betrachtung 77
2.1.1 Raumresonanzen 772.1.2 Eigenfrequenzdichte und
Großraumfrequenz 792.1.3 Druckkammerprinzip 812.2 Statistische
Betrachtung 82
2.2.1 Schallabsorption und Nachhallzeit 822.2.2 Direktfeld,
Diffusfeld, Hallradius 862.3 Geometrische Betrachtung 87
2.3.1 Frühe Reflexionen 882.3.2 Echos und Schallbrennpunkte
892.4 Raumakustische Werkzeuge 90
2.4.1 Poröse Absorber 902.4.2 Resonanzabsorber 922.4.3
Mikroperforierte Absorber 942.4.4 Diffusoren 942.4.5 Reflektoren
962.5 Raumklang 98
2.5.1 Klangeinfluss von Nachhall und Resonanzen 992.5.2
Objektive Qualitätskriterien 1002.5.3 Subjektive
Qualitätskriterien 1022.5.4 Anforderungen an Aufnahmeräume
1032.5.5 Kleine Tricks zur Verbesserung des Raumklangs 1052.5.6
Einfluss von Publikum im Saal 1072.5.7 Regieraum-Akustik 108
3 Hören 1103.1 Physiologie und Akustik des Ohrs 111
3.1.1 Außenohr 1113.1.2 Mittelohr und Innenohr 1133.1.3
Frequenzanalyse im Innenohr 1143.1.4 Kombinationstöne 1163.2
Monaurales Hören 116
3.2.1 Ton, Klang, Geräusch 1173.2.2 Tonhöhe 1173.2.3 Virtuelle
Tonhöhe 1193.2.4 Hörfläche und Frequenzbewertung 1193.2.5 Pegel
und Lautheit 1223.2.6 Frequenzgruppen (Critical Bandwidth) 1233.2.7
Verdeckung in Zeit- und Frequenzbereich 1243.3 Binaurales Hören:
räumliche Wahrnehmung 125
3.3.1 Richtungshören 1263.3.2 Gesetz der ersten Wellenfront
128
Inhaltsverzeichnis8
-
Inhaltsverzeichnis 9
3.3.3 Phantomschallquellen und Stereofonie 1293.3.4
Kopfbezügliche Stereofonie 1303.4 Hörschäden 131
3.4.1 Schwerhörigkeit 1323.4.2 Hörsturz und Tinnitus 133
4 Signale und Systeme 1354.1 Lineare Systeme 136
4.1.1 Dirac-Stoß, Impulsantwort und Faltung 1374.1.2 Diskrete
Faltung 1404.2 Vom Zeit- in den Frequenzbereich 141
4.2.1 Fourier-Transformation 1414.2.2 Diskrete
Fourier-Transformation: DFT und FFT 1464.2.3 Transformation von
LTI-Systemen 1484.2.4 Unschärferelation 1484.2.5 Musikalische
Deutung der Frequenzanalyse 1504.2.6 Andere Möglichkeiten
spektraler Zerlegung 1524.3 Filter 153
4.3.1 Tiefpass, Hochpass, Bandpass 1544.3.2 Digitale Filter: FIR
und IIR 155
5 Analoge Welt, digitale Welt 1575.1 Die diskrete Zeit:
Abtastung 158
5.1.1 Abtasttheorem 1585.1.2 Unterabtastung und Alias-Effekt
1605.1.3 Abtastung, ideal und nichtideal 1625.1.4 Oversampling
1645.1.5 Abtastratenwandlung 1665.2 Spannung in Stufen:
Digitalisierung 167
5.2.1 Binäre Codierung und Zweierkomplement 1675.2.2
Multibit-Quantisierung 1695.2.3 Digitales Rauschen 1705.2.4 Dynamik
digitaler Systeme 1725.2.5 Lineare und nichtlineare Quantisierung
1735.2.6 Dither 1735.2.7 Noise Shaping 1755.3 Bauarten von
Digitalwandlern 177
5.3.1 Multibit-Wandler (PCM) 1775.3.2 Differentielle Wandler
(DPCM, DM) 1785.3.3 Sigma-Delta-Wandler (PDM /DSD) 180
6 Information, Modulation, Codierung 1826.1 Signal und
Information 183
-
6.1.1 Relevanz und Redundanz 1846.1.2 Der Übertragungskanal
1856.1.3 Informationsgehalt und Kanalkapazität 1866.1.4
Multiplexing 1886.2 Aufbereitung analoger Signale 189
6.2.1 Kompandierung (Rauschunterdrückung) 1896.2.2 Amplituden-
und Frequenzmodulation 1916.3 Aufbereitung digitaler Signale
194
6.3.1 Quellencodes 1956.3.2 Datenreduktion: MP3, AC-3 und andere
1976.3.3 Kanalcodes und Fehlerkorrektur 2026.3.4 Codespreizung
(Interleaving) 2066.3.5 Leitungscodes 207
7 Anschlusstechnik 2107.1 Analoge Übertragung 211
7.1.1 Impedanzanpassung 2117.1.2 Symmetrisch, unsymmetrisch
2137.1.3 Analoge Übertragungsstandards 2157.2 Digitale
Übertragung 217
7.2.1 Taktsynchronisierung (Word Sync) 2187.2.2 Transmitter,
Receiver, Repeater 2197.2.3 Digitale Übertragungsstandards 2207.3
Timecode 226
7.3.1 Chase/Lock-Synchronisierung 2277.3.2 Formate und
Anschlusstechnik 2277.4 Übertragungsfehler 228
7.4.1 Probleme bei der analogen Übertragung 2297.4.2 Probleme
bei der digitalen Übertragung 231
8 Klangsynthese und MIDI 2338.1 Synthesetechniken 234
8.1.1 Lineare Synthese im Frequenzbereich 2358.1.2
Modulationssynthese (AM, FM) 2398.1.3 Granulare Synthese 2408.1.4
Physical Modeling, Faltung und Waveguides 2418.2 Zeitliche
Klangformung 243
8.2.1 Hüllkurve (ADSR) 2438.2.2 Rendering und Morphing 2448.3
MIDI 245
8.3.1 MIDI-Protokoll und Anschlusstechnik 2468.3.2
MIDI-Erweiterungen 2498.3.3 Sequencer und MIDI-Files 251
Inhaltsverzeichnis10
-
Inhaltsverzeichnis 11
8.3.4 Musikalischer Takt, Latenz und Timing 251
9 Schallwandlung 2539.1 Wandlerprinzipien 254
9.1.1 Elektromagnetischer Wandler 2559.1.2 Elektrodynamischer
Wandler 2569.1.3 Elektrostatischer Wandler 2599.1.4
Piezoelektrischer Wandler 2629.2 Mikrofone 264
9.2.1 Druckempfänger 2649.2.2 Druckgradientenempfänger
2669.2.3 Nahbesprechungseffekt 2699.2.4 Gradientenempfänger mit
Laufzeitglied 2719.2.5 Eigenschaften idealer Kapseln 2739.2.6
Variable Richtcharakteristik 2759.2.7 Richtrohrmikrofone
(Interferenzempfänger) 2789.2.8 Grenzflächenmikrofone 2799.2.9
Digitale Mikrofone 2809.2.10 Technische Daten 2809.2.11
Ausführungen 283
9.3 Lautsprecher 2879.3.1 Schallerzeugung 2889.3.2 Gehäuse
2909.3.3 Elektrik 2949.3.4 Technische Daten 2959.3.5 Ausführungen
2979.4 Leistungsverstärker (Endstufen) 299
9.4.1 Funktionsweise 2999.4.2 Technische Daten 3009.5 Kopfhörer
301
9.5.1 Funktionsweise und Bauarten 3029.5.2 Kopfhörerkompatible
Signalbearbeitung (HRTF) 3029.6 Mehrkanaltechnik 303
9.6.1 Stereofonie 3049.6.2 MS-Verfahren 3059.6.3 Surround:
matriziert und diskret 3069.6.4 Wellenfeldsynthese (WFS) 3089.7
Schallaufnahme und -wiedergabe 310
9.7.1 Stereo-Mikrofonverfahren 3109.7.2
Surround-Mikrofonverfahren 3169.7.3 Lautsprecheraufstellung 318
-
10.1 Gerätetechnik – analog, digital, virtuell 32110.2 Computer
323
10.2.1 Hardwarestruktur 32410.2.2 Funktionsweise 32510.2.3
Festplatte (Hard Disk) 32610.3 Schallspeicherung 328
10.3.1 Magnetband, analog und digital 32910.3.2 Optische
Speicher 33210.3.3 Bespielbare optische Medien 33610.3.4
Magneto-optische Speicher 33810.4 Mischpulte 339
10.4.1 Struktur 34010.4.2 Bedienkonzepte 34110.4.3 Baugruppen
34410.4.4 Anzeigeinstrumente 34710.4.5 Pegel, Headroom, Dynamik
34910.5 Hallgeräte 350
10.5.1 Hallalgorithmen 35110.5.2 Faltungshall 35310.6
Effektgeräte 354
10.6.1 Equalizer 35410.6.2 Dynamikprozessoren 35610.6.3
Delay-Effekte 36010.6.4 Synthese-Effekte 36110.6.5 Offline, Online,
Echtzeit 36210.7 Schnitt (Editing) und Mastering 362
Quellen 365
Inhaltsverzeichnis12
10 Geräte zur Tonaufzeichnung 320
Bildnachweis 370Sachwortverzeichnis 371
-
2 Schall im Raum
Die Schallausbreitung im Raum ist ein Mysterium. Natürlich
lässt sichz.B. die Wellengleichung des Schalldrucks für den
idealen Rechteckraumlösen –
”. . . aber betrachten Sie realistische Raumformen und f̈ullen
Sie den Raum
mit Bänken, Sẗuhlen und Menschen, und die Wellengleichung
sucht das Weite.“(Manfred Schroeder)1
Abb. 2-1: Visualisierungder Schallausbreitung
imKonzertsaalmodelldurch Schlierenfotos(Sabine 1915)
Die Raumakustik ist daher, beginnend mit den wegweisenden
Arbeitenvon Wallace Clement Sabine (1868 – 1919), eine
experimentelle Wissen-schaft; raumakustische Berechnungen können
nur Prognosen sein.
1Schroeder, M.: ”Die Akustik von Konzertsälen“. Physikalische
Blätter 55 (11), 1999.
-
2.1 Wellentheoretische Betrachtung 77
Aus der Unmöglichkeit, das Schallfeld in geschlossenen Räumen
exaktzu berechnen, resultiert die klassische Unterteilung der
Raumakustik in Dreiteilung der
Raumakustikdrei Fachgebiete. So werden je nach Aufgabenstellung
völlig verschiedeneBetrachtungsweisen der Schallausbreitung
benutzt:
Die exakte Berechnung mit Methoden der wellentheoretischen
Raum-akustik ist nur im Bereich tiefer Frequenzen möglich, also
bei sehrgroßen Wellenlängen. Der Raum darf dann als ein von
glatten Flächenbegrenztes geschlossenes Volumen betrachtet werden,
das durch seineEigenfrequenzen (Raumresonanzen) charakterisiert
ist.
Die statistische Raumakustik behandelt die Verteilung der
Schallener-gie im Raum. Mit den statistischen Methoden lassen sich
u.A. Nachhall-zeit und Hallradius berechnen. Die geometrische
Raumakustik betrach-tet ”Schallstrahlen“. Mit ihrer Hilfe kann man
Effekte wie Echobildungund Schallbrennpunkte erklären, und sie
kann das für den Raumeindruckwichtige Muster der frühen
Reflexionen vorhersagen.
In den folgenden Abschnitten werden die akustischen
Eigenschaftengeschlossener Räume mit Hilfe der drei
raumakustischen Betrachtungs-weisen beschrieben, und daraus werden
einige Regeln zur Beurteilungvon Räumen abgeleitet.
2.1 Wellentheoretische Betrachtung
Beugung und Streuung dürfen vernachlässigt werden, wenn die
Wel-lenlänge groß ist gegen die Strukturen des Raums (Unebenheiten
derWände, Rohre, Steckdosen und Scheuerleisten, Bilder, Pflanzen,
Fens-ter, Türen, Heizkörper, Möbel, Menschen . . . ). Der Raum
vereinfacht sichdann zu einem regelmäßigen, schallhart begrenzten
Volumen. In einemsolchen idealen, strukturlosen Raum lässt sich
das Schallfeld vollständigdurch Reflexion an den
Begrenzungsflächen erklären.
Voraussetzung für diese vereinfachte Betrachtung ist eine
Wellenlängevon mindestens einigen Metern. Dieses Modell gilt also
nur bei sehr tie-fen Frequenzen.
2.1.1 Raumresonanzen
Bei jeder Schallreflexion kommt es zur Überlagerung von
einfallenderund reflektierter Welle und damit zu stehenden Wellen
(siehe Abschnitt1.3.1). Im geschlossenen Raum wird der Schall
mehrfach reflektiert. DasSchallfeld im Raum kann deshalb als
Überlagerung stehender Wellen be-trachtet werden.
Unter der Annahme, dass die Wände den Schall überwiegend
reflek-tieren und wenig absorbieren, kommt es in einem idealen
Rechteckraum schallharte Reflexion und
Raumresonanzenzur Resonanz, wenn ganzzahlige Vielfache der
halben Wellenlänge zwi-
-
78 2 Schall im Raum
schen zwei Wände passen. Der Rechteckraum ist einλ/2-Resonator
(vgl.Abschnitt 1.4.2); auf den Wänden verschwindet die
Schallschnelle undder Schalldruck ist maximal (Druckstau). Anders
als im Rohr, in dem– sofern die Wellenlänge groß ist gegen den
Rohrdurchmesser – sichnur ebene Wellen ausbilden, die stehenden
Wellen also eindimensionalsind, erscheinen im Rechteckraum
Resonanzen oder ”Moden“ in drei-zehn Richtungen:
axial zwischen zwei gegenüberliegenden Wänden (drei
Richtun-gen),
tangential zwischen zwei gegenüberliegenden Raumkanten
(sechsRichtungen) und
schief bzw. diagonal (engl. oblique) auf den Hauptdiagonalen
desRaums zwischen zwei gegenüberliegenden Raumecken (vier
Rich-tungen).
Die Eigenfrequenzen des Rechteckraums lassen sich berechnen
zu
f(m,n,o) =c02
√(m
lx
)2+
(n
ly
)2+
(o
lz
)2Hz
mit m, n, o = 0, 1, 2, 3, . . .und lx, ly, lz: Raumabmessungen
in x-, y-, z-Richtung.
Die Moden lassen sich am Index unterscheiden: die jeweils
tiefsteEigenfrequenz zwischen zwei parallelen Wänden (also in x-,
y-, z-Richtung) ist gegeben durch die Moden (1,0,0), (0,1,0) und
(0,0,1). Beidiesen Moden erscheint jeweils eine Knotenfläche des
Schalldrucks in derMitte des Raums. In der Knotenfläche der
stehenden Welle verschwindetder Schalldruck.
Die Moden höherer Ordnung (also z.B. bei der (2,0,0)-Mode die
2λ/2-Resonanz in Längsrichtung) haben entsprechend mehr
Knotenflächen.Die diagonalen Moden entstehen durch Kombination
mehrerer frequenz-und phasengleicher tangentialer Moden.
Abb. 2-2: Simuliertes ortsabhängiges Schallfeld im Rechteckraum
der Abmessungen3m×3,40m×2,40m (Nach-hallzeit ca. 0,5 s);
Darstellung des Schalldrucks in der Ebene (Höhe 1,20m über dem
Boden) bei 80Hz, 93Hz,109Hz, 127Hz; der Pegel schwankt
ortsabhängig um bis zu 40 dB (Simulation: CARA)
-
2.1 Wellentheoretische Betrachtung 79
Raumresonanzen sind die wichtigste Ursache für
unausgewogenenKlang im Bass. Befindet man sich im ”Bauch“ einer
stehenden Welle, unausgewogener Klang
im Bassdann ist die Amplitude des Schalldrucks doppelt so groß
wie im freienSchallfeld, der Pegel ist um 6 dB höher. Befindet man
sich für eine Fre-quenz im Wellenknoten, dann ist der Schalldruck
sehr klein oder ver-schwindet völlig – durch Raumresonanzen
entstehen ”Löcher“ im Schall-feld (Abbildung 2-2). Bewegt man sich
in einem Raum, der von stehendenWellen erfüllt ist, dann schwanken
Schalldruck und Lautstärke extrem.Dies gilt für die meisten nicht
mit speziellen Bassabsorbern ausgestatte-ten Räume bei tiefen
Frequenzen.
Die absolut tiefste Resonanzfrequenz des Raums, gegeben durchdie
größte Raumabmessung, kennzeichnet zudem die untere Grenzedes
Übertragungsbereichs: Unterhalb dieser Frequenz ist im Raum kei-
untere Grenzfrequenz
des Raumsne Schallabstrahlung möglich. Die tiefste
Eigenfrequenz ist die untereGrenzfrequenz f0 des Rechteckraums
(Abbildung 2-3).
Beispiel: Für einen kleinen Studioraum der Abmessungen
3m×3,40m×2,40mentspricht die untere Grenzfrequenz der (0,1,0)-Mode.
Sie berechnet sich zu c0/2 ·√
(0/3)2 + (1/3,4)2 + (0/2,4)2 = 343/2 · 1/3,4 ≈ 50Hz. Der Große
WienerMusikvereinssaal als typischer und anerkannt guter
Konzertsaal hat dagegen bei ei-ner Länge von 40m eine untere
Grenzfrequenz von 4Hz.
2.1.2 Eigenfrequenzdichte und Großraumfrequenz
Bei tiefen Frequenzen ist der Schalldruck im geschlossenen Raum
orts-abhängig, einzelne Raumresonanzen dominieren die
Schallübertragung.Mit steigender Frequenz gibt es aber immer mehr
Resonanzen; die Eigen-frequenzdichte wächst quadratisch mit der
Frequenz.
Wenn nun in einem Frequenzband genügend viele
Eigenfrequenzendes Raums liegen, die mit zufälligen Phasenlagen
miteinander interfe-rieren, dann heben sie sich in ihrer Wirkung
gegenseitig auf. Die räum- diffuses Schallfeldlichen
Resonanz-Peaks werden nach und nach ausgeglichen, der
Über-tragungsfrequenzgang eingeebnet (Abbildung 2-3). Man kann
sich dasSchallfeld dann als homogen im Raum verteilte Schallenergie
vorstellen;im Extremfall ist der Schalldruck überall im Raum
gleich. Dies nennt mandas Diffusfeld.
Jede Raummode hat einen charakteristischen
Resonanzfrequenzgang.Die Breite des Resonanz-Peaks, gemessen über
seine Halbwertsbreite,hängt von der Resonanzgüte und damit von
der Dämpfung ab (vgl. Ab- Halbwertsbreite und
Absorptionsgradschnitt 1.1.2). Bei akustischen Schwingern
entspricht die Dämpfung derSchallabsorption (s.u.). Damit die
Überlagerung benachbarter Resonanz-Peaks einen mehr oder weniger
linearen Frequenzgang ergibt, muss derFrequenzabstand der Moden
erheblich kleiner sein als ihre durchschnitt-liche
Halbwertsbreite.
-
80 2 Schall im Raum
Abb. 2-3: SimulierterRaum-Frequenzgang aneinem Punkt
imRechteckraum derAbmessungen3m× 3,40m× 2,40m(Nachhallzeit ca. 0,5
s);fu ≈ 50Hz,fS = 286Hz(Simulation: CARA)
Die untere Grenze des linearen Frequenzbereichs, also den
Übergangvom Diffusfeld zum Resonanz-dominierten Bereich tiefer
Frequenzen,wird üblicherweise über die Grenzbedingung definiert,
dass weniger alsGroßraumfrequenz10 Moden in eine Halbwertsbreite
fallen. Diese Grenzfrequenz nenntman nach dem Akustiker Manfred
Schroeder, Professor an der Univer-sität Göttingen und
langjähriger Mitarbeiter an den Bell Labs, Schroeder-Frequenz oder
einfach Großraumfrequenz. Sie kann mit der Nachhall-zeit T in
Sekunden (siehe Abschnitt 2.2.1) und dem Raumvolumen V inm3 sehr
einfach bestimmt werden zu
fS = 2000
√T
V.
Die Zahl der EigenfrequenzenNE unterhalb der Großraumfrequenz
lässtsich mitNE(f < fS) ≈ 850
√T 3/V abschätzen (Kuttruff 2004).
Beispiel: Ein kleiner Studioraum der Abmessungen 3×3,40×2,40 =
24,5m3mit einer Nachhallzeit von 0,5 Sekunden hat eine
Großraumfrequenz von fS =286Hz. Bei tiefen Frequenzen gibt es in
diesem Raum NE ≈ 60 einzelne Reso-nanzen. Der Wiener
Musikvereinssaal als typischer Konzertsaal (V = 15.000m3,mittlere
Nachhallzeit T = 2,0 s) hat dagegen eine Großraumfrequenz von
23Hz.
Die Begriffe ”klein“ und ”groß“ sind in der Raumakustik immer in
Re-lation zur Wellenlänge zu sehen. Ein Raum ist groß, wenn seine
Abmes-Raumgröße im Vergleich
zur Wellenlänge sungen größer sind als die größte im Raum
abgestrahlte Wellenlänge.Sonderfälle der Raumakustik sind deshalb
der ”Flachraum“ (eine Dimen-sion klein gegen die Wellenlänge,
Beispiel: Loft bei tiefen Frequenzen)und der ”Langraum“ (zwei
Dimensionen klein gegen die WellenlängeBeispiel: Tunnel bei tiefen
Frequenzen).
Ein für die Musikwiedergabe ausreichend großer Raum muss
min-destens in seiner größten Abmessung d größer sein als die
halbe Wel-Wie groß muss ein Raum
sein? lenlänge bei 20Hz, also d ≥ λ = c0/2f = 343/40 m/(s Hz) =
8,6m(vgl. Abschnitt 1.2.1). Besser ist es, wenn er in allen
Abmessungen großgegen die Wellenlänge ist. Aus diesem Grund klingt
ein Klavier im Kon-zertsaal besser als im Wohnzimmer.
In großen Räumen – und in kleinen Räumen oberhalb der
Großraum-Grenze zwischen demwellentheoretischen unddem
statistischen Modell
frequenz – existiert ein Diffusfeld, und die
Schallfeldberechnung kannmit den Methoden der statistischen
Raumakustik erfolgen.
-
2.1 Wellentheoretische Betrachtung 81
2.1.3 Druckkammerprinzip
Ist die Wellenlänge erheblich größer als der Raum, ist also
eine Wel-lenausbreitung nicht möglich, so kann Schalldruck auch
nach demDruckkammerprinzip erzeugt werden. Dieses Prinzip beruht
auf einer Schall ohne Wellegleichmäßigen (quasistatischen)
Änderung des Luftdrucks im Raum:Wird die Luft in einem
geschlossenen Volumen periodisch komprimiert,ohne dass es dabei zum
Druckausgleich mit der Außenwelt kommt, ent-steht ein Wechseldruck.
Druckempfänger (Abschnitt 9.2.1) oder die eige-nen Ohren nehmen
diese Druckänderungen als Schall wahr.
Der Wechseldruck durch Kompression ist von der
Volumenänderungder Druckkammer abhängig. Nach der kinetischen
Gastheorie ist derDruck umgekehrt proportional zum Volumen: p ∼ V
−1 (Gesetz vonBoyle-Mariotte)2. Nun wird durch die Kompression in
der Druckkam-mer auch die Temperatur erhöht, aber die
Volumenänderung erfolgt soschnell, dass – anders als z.B. bei
einer Luftpumpe – kein Wärmeaus-tausch mit der Umgebung möglich
ist (adiabatische Zustandsänderung).Bei der Bestimmung der
Druckänderung muss daher als Proportiona-litätskonstante der
Adiabatenexponent κ berücksichtigt werden, und esgilt p/p =κΔV/V
mit κ=1,40 bei einem Ruhe-Luftdruck p undeiner Volumenänderung ΔV
.
Um nach dem Druckkammerprinzip in einem geschlossenen RaumSchall
zu erzeugen, ist also – völlig unabhängig von der Frequenz! –
einebestimmte VolumenänderungΔV erforderlich. Diese
Volumenänderung Volumenänderung um
±10−5 erzeugt 1 PaSchalldruck
wird von Fläche und Hub der komprimierenden Membran bestimmt.
Umbei einem Normaldruck von 1013 hPa einen harmonischen
(sinusförmi-gen) Wechseldruck von 1 Pa = 94 dB (RMS), also 1Pa ·
√2 =1,41 Pa(Peak) zu erzeugen, ist demnach eine relative
Volumenänderung ΔV/Vum ±√2/1,4 · 1,013 · 10−5 ≈ 10−5
erforderlich.
Beispiel: Soll in dem oben beschriebenen Raum der Abmessungen
3m×3,40m×2,40m bei tiefen Frequenzen ein Pegel von 94 dB (RMS)
erzeugt werden, so ist daf̈ureine Kompression von±2,45·10−4 m3 =
245 cm3 oder knapp 14 Liter erforderlich.Ein Lautsprecher mit 20 cm
Membrandurchmesser (Fl̈ache 314 cm2) müsste daf̈ureinen Hub von
±0,78 cm ausf̈uhren.
Das Druckkammerprinzip wird z.B. bei der Basswiedergabe im Au-to
genutzt. Es ist aber auch Grundlage der Schallübertragung
mitKopfhörern: Die Kopfhörermembran erzeugt keine Schallwelle,
sondern Druckkammerprinzip bei
Kopfhörern undHornlautsprechern
bildet mit dem Außenohr eine Druckkammer. Man kann das leicht
über-prüfen, indem man den Kopfhörer leicht anhebt; Pegel und
Basswieder-gabe lassen dabei erheblich nach, und das nicht nur beim
geschlossenen,sondern auch beim halboffenen und offenen System.
2zur Theorie idealer Gase siehe z.B. Gerthsen, C.: Physik,
Springer, 24. Aufl. 2008
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82 2 Schall im Raum
Im Lautsprecherbau wird das Druckkammerprinzip genutzt, um ei-ne
Schnelletransformation durchzuführen. Koppelt man eine
Lautspre-chermembran mit großer Fläche über eine kleine
Druckkammer an einenTunnel mit kleiner Fläche, so wird dadurch die
Schnelle in der Tun-nelmündung gegenüber der Membranschnelle im
Verhältnis der Flächenvergrößert. Man benutzt solche
Druckkammertreiber zum Antrieb vonHornlautsprechern.
2.2 Statistische Betrachtung
Die statistische Schallfeldberechnung geht zurück auf die
Arbeiten vonWallace Clement Sabine (1868 – 1919), Pionier der
Raumakustik und ver-antwortlich für die Akustik der Boston
Symphony Hall, die in Leo Bera-neks Rangliste der besten
Konzertsäle der Welt an zweiter Stelle hinterdem Wiener
Musikvereinssaal geführt wird (Beranek 2004).
Ende des 19. Jahrhunderts erforschte Sabine den
Zusammenhangzwischen Raumvolumen, Absorptionsgrad und Nachhallzeit.
Seine expe-W. C. Sabinerimentell gefundene Nachhallformel wird auch
heute noch benutzt undist beispielsweise in jeder Software zur
Simulation von Schallfeldern im-plementiert. Nichtsdestotrotz
zweifelte Sabine an der Qualität seiner Ar-beiten und
veröffentlichte vieles nicht, was er für uninteressant oder
un-ausgereift hielt (Sabine 1923).
2.2.1 Schallabsorption und Nachhallzeit
Der Reflexionsgrad ρ einer Oberfläche ist das Verhältnis von
reflektierterzu auftreffender EnergieER/E0. Er kann leicht durch
eine PegelmessungAbsorptionsgrad,
Reflexionsgrad bestimmt werden. Der Absorptionsgrad α einer
Oberfläche (engl. ab-sorption coefficient) ist eigentlich ein Maß
für seine Fähigkeit, Schall inWärme umzuwandeln. Unter der grob
vereinfachenden Annahme, dassalles, was nicht reflektiert wird,
absorbiert wurde, ergibt sich der Absorp-tionsgrad aus dem
Reflexionsgrad zu
α = 1− ρ = 1− ERE0
.
Bei dieser sehr praktisch motivierten Definition betrachtet man
auch denSchall, der durch die Wand tritt (und den Nachbarn stört),
als ”absor-biert“. So ist dann nach Sabine das ”offene Fenster“ ein
perfekter Ab-sorber: Schall, der aus dem offenen Fenster
verschwindet, kommt nichtzurück. Der Absorptionsgrad ist maximal,
wenn 100% der Schallenergieidealer Absorbergeschluckt wird (α = 1:
idealer Absorber), und er ist minimal, wennnichts geschluckt wird
(α = 0: idealer Reflektor).
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2.2 Statistische Betrachtung 83
Die Nachhallzeit T60 oder einfach T (im englischen
SprachraumRT60 von reverberation time) ist definiert als die Zeit,
in der die Schall- NachhallzeitT60energie um 10−6 (also auf ein
Millionstel ihres ursprünglichen Wertes)gefallen ist. In der
gleichen Zeit sinkt der Schalldruck auf ein Tausendstel,der Pegel
fällt um 60 dB. Dies entspricht dem subjektiv
wahrnehmbarenNachhall von lauten Schallsignalen in ruhiger
Umgebung.
Nach dem amerikanischen Physiker Carl Ferdinand Eyring (1889
–1951), der Sabines Experimente theoretisch untermauerte, gilt für
einenRaum mit dem Volumen V und der Gesamtoberfläche S
T60 =24 · ln(10)
c0· V4mV − S ln(1− α) .
Mit c0 = 343,32m/s bei 20 ◦C ergibt sich die Eyring’sche Formel
fürdie Nachhallzeit in Abhängigkeit von mittlerem Absorptionsgrad
desRaums, Raumvolumen und Oberfläche:
T60 = 0,161V
4mV − S ln(1− α)Der Faktor 4mV berücksichtigt die
Ausbreitungsdämpfung des
Schalls in der Luft (Dissipation), Werte für die
Luftdämpfungskonstan- Dissipationtem können der Tabelle 2-1
entnommen werden. Die Dissipation machtsich als Höhendämpfung bei
sehr großen Entfernungen bzw. in großenRäumen bemerkbar, und sie
ist wetterabhängig: Mit zunehmender Luft-feuchtigkeit lässt die
Dämpfung nach, der Klang wird heller. Dies gilt al-lerdings nur
bei mittleren Temperaturen; in kalter Luft ist der Zusammen-hang
zwischen Luftfeuchtigkeit und Dissipation weniger
”systematisch“.
Tabelle 2-1: Luftdämp-fungskonstantem bei20 ◦C und 1013 hPa;
dieTabellenwerte sind mit10−3 zu multiplizieren(Quelle: Müller
2004)
rel. Luftf. 500Hz 1 kHz 2 kHz 4 kHz 8 kHz40% 0,60 1,07 2,58 8,40
30,0050% 0,63 1,08 2,28 6,84 24,2960% 0,64 1,11 2,14 5,91 20,5270%
0,64 1,15 2,08 5,32 17,91
Die Eyring’sche Nachhallformel ergibt sich aus einer Betrachtung
des statisti-schen Energieverlustes bei der Schallreflexion.
Reflexionsgrad ρ und Absorpti-onsgrad α sind durch α = 1 − ρ = 1 −
ER
E0verknüpft. Durch Umstellen erhält
man die von einer Oberfläche des Absorptionsgrads α
reflektierte Energie ER:ER = E0(1 − α) mit der auftreffenden
Energie E0. Mit jeder Reflexion verrin-gert sich die Energie um den
Faktor 1 − α. Die Gesamtenergie einer Schallwellenach n Reflexionen
ist also E(t) = E0(1 − α)n oder, unter Anwendung vonab = eb·ln a,
E(t) = E0 en ln(1−α).
Ein Schallsignal legt im Raum eine sehr große Strecke zurück,
typischerweiseweit mehr als 100m, in halligen Räumen u.U. mehr als
1 km. Die mittlere freieWeglänge lmf eines ”Schallstrahls“ (engl.
mean free path) ist ein Maß für denWeg, den der Schall
durchschnittlich zurücklegt, bevor er eine Wand trifft. Für
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84 2 Schall im Raum
einen Raum mit dem Volumen V und der Gesamtoberfläche S lässt
sie sich mitder Näherungsformel lmf ≈ 4V/S abschätzen (Kosten
1960). Also ist jeder Schall-strahl im geschlossenen Raum nach der
Zeit t im Mittel n-mal reflektiert wor-den, wobei n aus dem
Verhältnis des zurückgelegten Wegs zur mittleren freienWeglänge
bestimmt wird: n = t · c0S
4V.
Damit ergibt sich die zeitabhängige Energie eines mehrfach
reflektiertenSchallstrahls zu E(t) = E0 et (c0/4V )S ln(1−α).
Dieser Ausdruck beschreibt denexponentiellen Verlauf des Abklingens
des Schalls im Raum (der Exponent istzwar positiv, aber der
natürliche Logarithmus einer Zahl zwischen 0 und 1 in demAusdruck
ln(1− α) ist stets negativ und liefert damit das für den
exponentiellenAbfall nötige negative Vorzeichen).
Berücksichtigt man darüber hinaus noch die Schallabsorption
der Luft selbst(Dissipation) durch den Luftdämpfungsfaktor t · c0
·m mit der Luftdämpfungs-konstanten m (Absorption pro
zurückgelegtem Schallweg), so erhält man
E(t) = E0 e−mc0t+t (c0/4V )S ln(1−α) = E0 e
−c0t [4mV −S ln(1−α)]/4V .
Die Nachhallzeit T60 ist definiert durch den Abfall der
Schallenergie um 10−6.Damit gilt also E(T60) = E0 · 10−6 = E0 · e−6
ln(10). Der Vergleich mit derobigen Gleichung ergibt
−c0 T60 4mV − S ln(1− α)4V
= −6 · ln(10).Durch Umstellen und Zusammenfassen erhält man die
Eyring-Formel.
Für die meisten Anwendungsfälle lässt sich die Eyring’sche
Gleichungerheblich vereinfachen, denn
1. kann in kleinen Räumen die Dissipation vernachlässigt
werden:4mV * −S ln(1− α),
2. kann für kleine Absorptionsgrade der Logarithmus ersetzt
werden:− ln(1− α) ≈ α.
Damit wird die Eyring-Formel zur Sabine-Formel:Sabine-Formel
T60 = 0,161V
S · α.
Dies ist die berühmte Nachhallformel, die Sabine Ende des 19.
Jahr-hunderts durch Stoppen des hörbaren Nachhalls von
Orgelpfeifen inzwölf verschiedenen Räumen experimentell bestimmte
(Sabine 1898).
Das Produkt aus Fläche und Absorptionsgrad wird äquivalente
Ab-sorptionsfläche A (engl. equivalent absorption area) genannt: A
= S α.äquivalente
Absorptionsfläche In den meisten Räumen haben nun die
Begrenzungsflächen sehr unter-schiedliche Absorptionsgrade. Man
findet dann die gesamte äquivalenteAbsorptionsfläche über die
Summe aller Teilflächen Si, multipliziert mitihrem jeweiligen
Absorptionsgrad αi:
A =∑i
Si αi.
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2.2 Statistische Betrachtung 85
In der Sabine-Formel muss man lediglich das Produkt S · α durch
dieäquivalente Absorptionsfläche ersetzen:
T60 = 0,161V
A= 0,161
V∑i Si αi
.
Den in der Eyring-Formel benutzten Absorptionsgrad betrachtet
manin solchen Räumen als ”mittleren Absorptionsgrad“ α. Man
erhält ihn alsQuotienten von äquivalenter Absorptionsfläche und
Gesamtoberfläche:
α =A
S=
∑i Si αi∑i Si
.
Um die Nachhallzeit eines Raums zu berechnen, benötigt mandie
Absorptionsgrade der Begrenzungsflächen und ggf. die Werte der
Nachhallberechnung
nach Sabine oder EyringLuftdämpfung. Traditionell werden in der
Raumakustik diese Messungenund Berechnungen in wenigstens sechs
Frequenzbändern von 125 Hzbis 4 kHz durchgeführt; die Darstellung
der Nachhallzeit erfolgt als Fre-quenzgang (Abb. 2-4). Tabellen mit
den Absorptionsgraden α einiger ty-pischer Materialien sind in
Abschnitt 2.4 zu finden.
Abb. 2-4: Frequenzabhängi-ge Nachhallzeit T60 dessimulierten
Raums ausAbb. 2-2 und 2-3;schwarze Kurve nachEyring, graue Kurve
nachSabine (Simulation: CARA)
Man kann die Sabine-Formel auch benutzen, um durch eine
Nachhall-messung die gesamte äquivalente Absorptionsfläche des
Raums zu be-stimmen: A = 0,161V/T . Auf diesem Prinzip beruht die
Messung vonAbsorptionsgraden im Hallraum, einem Raum mit stark
reflektierendenWänden und sehr langer Nachhallzeit.
Auch die Lautstärke im Raum hängt vom Absorptionsgrad ab.Der
mittlere Schalldruckpegel in einem Raum mit der
äquivalentenAbsorptionsfläche A berechnet sich bei einer
Schallquelle der akus- Schalldruckpegel in
Abhängigkeit vomAbsorptionsgrad
tischen Leistung P zu
Lp = 20 log
(√4Z0P
A
)≈ 20 log
(√P
A
)+ 32 dB
(Kuttruff 2004). In sehr großen oder sehr halligen Räumen muss
auch hierdie Luftdämpfung als Zuschlag von 4mV zur äquivalenten
Absorptions-fläche berücksichtigt werden:A′ = A+ 4mV .
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86 2 Schall im Raum
2.2.2 Direktfeld, Diffusfeld, Hallradius
Das Schallfeld im Raum lässt sich auffassen als Summe des
direkt abge-strahlten Schalls – der gemäß dem Entfernungsgesetz
(Abschnitt 1.2.3)mit zunehmender Entfernung kleiner wird – und des
diffusen Schalls, dernäherungsweise im ganzen Raum gleich stark
ist. Es gibt deshalb ein be-grenztes Gebiet um die Schallquelle, in
dem der Pegel des Direktschallsüberwiegt. Dies ist das Direktfeld.
Bei Abwesenheit von Diffusschall, alsoFreifeldim Freien oder im
reflexionsarmen Laborraum, spricht man vom Freifeld.
In einem bestimmten Abstand um die Quelle sind die Pegel
vonDirekt- und Diffusschall (Nachhall) gleich. Diesen Abstand nennt
manden Hallradius oder Hallabstand rH (engl. critical distance).
Der Hall-Diffusfeld außerhalb des
Hallradius radius ist eng verwandt mit der Großraumfrequenz.
Für ungerichteteSchallquellen beträgt er in einem Raum mit der
GesamtabsorptionA
rH =
√A
16π≈ 0,057
√V
T,
wenn man den Zusammenhang zwischen äquivalenter
AbsorptionsflächeA, Raumvolumen V und Nachhallzeit T mit der
Sabine-Formel be-schreibt.
Für Abstände von der Quelle d > rH ist der Pegel des
Diffusschallsgrößer als der Direktschallpegel. Dieses Raumgebiet
außerhalb des Hall-radius ist das eigentliche Diffusfeld. Freifeld,
Direktfeld und Diffusfeldsind raumbezogene Feldbeschreibungen (”der
Raum hat einen Hallradi-raumbezogene
Feldbeschreibung us“). Die entsprechenden englischen Begriffe
lassen sich aus den deut-schen Begriffen wörtlich übersetzen:
free field, direct field, diffuse field.
Das Verhältnis von Direkt- zu Diffusschall ist einer der
wichtigsten Pa-rameter bei Tonaufnahmen. Ein Mikrofon innerhalb des
Hallradius lie-fert einen ”trockenen“ Klang, außerhalb klingt es
indirekt und räumlich.Auch bei Beschallungen ist der Hallradius
wichtig, insbesondere in halli-gen Räumen.
Der Hallradius – und damit die Ausdehnung des Direktfelds um
dieSchallquelle – ist in der Praxis nicht nur von der Nachhallzeit
und derAbhängigkeit des
effektiven Hallradius vonInstrument und Mikrofon
Raumgröße abhängig, sondern auch von der Richtcharakteristik
des Mu-sikinstruments und des verwendeten Mikrofons. Bei
gerichteter Schall-abstrahlung oder -aufnahme kann der Hallradius
doppelt so groß odersogar noch größer werden. Der Einfluss
gerichteter Mikrofone auf deneffektiven Hallradius wird in
Abschnitt 9.2.5 näher behandelt. Ausführ-liche Daten über die
Abstrahlcharakteristik von Instrumenten sind in(Meyer 1999) zu
finden.