-
Thilo Dinkel, In der Warth 60, 73230 Kirchheim unter Teck:
Din wa-Daula
An diesem Beispiel, das auf eine massive Faktenflschung
hinausluft, soll einmal gezeigt wer- den, wie unsere
bedingungslosen Harmonisierer und Schnfarber Fakten ins Gegenteil
verkeh- ren, um sich einen Mrchenislam zurechtzudichten.
Seit lngerem wird in einschlgigen evangelischen Milieus und
Schriften nmlich die Behauptung verbreitet, die islamische Lehre
von der Einheit von Religion und Staat, din wa- daula, sei gar
nicht altislamisch, sondern im 19. Jahrhundert von dem radikalen
Islamisten Abderrazaq erstmals aufgestellt worden, womit also der
Islam von dieser unheiligen Allianz freigesprochen werden knne,
alharndulillah!
Dabei geht es doch nicht um Wortklaubereien, sondern um die
Sache! Schon unter dem Propheten selbst und den vier
rechtgeleiteten Kalifen war ja religise Macht (Din) und weltliche
Macht (Daula) in Personalunion vereinigt.
Wie der folgende Buchtitel von Ali b. Rabban al-Tabari beweist,
lie der Kalif Mutawakkil diese orthodoxe Staatsideologie sogar von
einem seiner Hflinge und Theologen in einem Buch mit diesem Titel
darstellen.
Kitab ud-din wa '1-daula. THE BOOK OF RELIGION AND EMPIRE; A
serni-official defence and exposition of Islam written by order at
the court and with the assistance of the Caliph Mutawakkil (A.D.
,847-862) by 'Ali Tabari. Translated with a critical apparatus from
an apparently unique MS. in the John Rylands Library by A. Mingana,
D.D.
Dieser Tabari darf nicht mit dem Verfasser der berhmten
Kalifengeschichte verwechselt wer- den! Al-Tabari war Arzt und
Christ und trat erst in hherem Alter unter der direkten Einwir-
kung des Kalifen zum Islam ber. Er schrieb sein Buch, wie er selbst
notiert, nicht nur im Auf- trag des Kalifen, sondern auch unter
dessen Mitwirkung. Tabari verfgt ber eine gute Kennt- nis des Alten
und Neuen Testaments auch in den Ursprachen. An unzhligen Stellen
deutet er die messianischen Weissagungen der Bibel auf Moharnmed
und die Vorstellung des kommen- den Friedensreichs Gottes auf das
derzeitige muslirnische Weltreich, mit dem er das Ende und Ziel der
Geschichte und der Offenbarung vollendet sieht. Die Gesetzgebung
Mutawakkils ge- gen Juden und noch mehr gegen Christen war so, da
man von einer qualifizierten Verfolgung sprechen mu. (Vgl. Bernard
Lewis: Die Juden in der islamischen Welt, Kap. I, Anm 62)
Dort kann man aber auch ber die Notwendigkeit des Dschihad (=
Holy war) alles das nachlesen, was unsere Islarnverteidiger
abstreiten. :
Without holy war no religion could stand, no inviolable thmg
could be safe, no gap could be fiUed, and the Muslims would become
the prey and possession of their enernies. Men would scarcely
remain in a reltglon with such standmg without passing to what is
higher and saver.
Lange Zeit wurde das Werk als eine sptere Fiktion angesehen,
weil man nicht glauben wollte, da das Zwillingspaar "din wa-daula"
schon so alt sei. Da aber inzwischen alte Texte vorlie- gen, in
denen es zitiert wird, sind keine Zweifel mehr erlaubt. Trotzdem
ist merkwrdig, da Lewis in seinem Buch "Die politische Sprache des
Islam ", 1991, S. 66 f., wo er die Entwick- lung des Begriff daula
schildert, auf das Buch mit keiner Silbe eingeht. So unbekannt
scheint es selbst bei bekannten Islarnwissenschaftlern zu sein.
Dabei gibt es mehrere Nachdrucke aus neuerer Zeit, die in Lahore
gedruckt wurden.
Leider ist es aber eine seit den Achtundsechzigern an unseren
Universitten eingerisse- ne dialektische Methode, sich mit
Wortklaubereien um eine Sachdiskussion zu drcken. Wie man sieht,
scheint sie auch heute noch ungehemmt im Schwange zu stehen und zur
weiteren
-
qualitativen Demontage unserer geisteswissenschaftlichen
Fakultten und besonders der theo- logischen beizutragen.
Nehmen wir also einmal die Din-wa-Daula-Negierungsstrategie nher
unter die Lupe. Die Argumentation verluft dabei je nach Verfasser
zweigleisig: Whrend die eine lautet, Ali Abderraziq (1 888- 1966),
ein Professor an der al-Azhar-Universitt in Kairo, habe 1925 durch
ein Buch, in dem er diese unheilige Allianz und berhaupt das
Kalifat bestritt, als Gegenreak- tion die (erneute) Dogmatisierung
dieser Einheitslehre durch die al-Azhar-Universitt verur- sacht,
geht die andere von der Behauptung aus, da dessen gleichzeitiger
Gegner und quasi Namensvetter, der Jurist Abd al-Razzaq al-Sanhuri
(1895-1971) 1929 erstmals die Formulie- rung "Al-Islam al-din
wa-daula " verwendet habe (Ayubi: Politischer Islam S. 287, vgl.
auch The Oxford Encyclopedia of the Modern Islamic World 11, S.
321) und diese Einheitslehre deshalb neu sei. Letztere Ansicht
verteidigt besonders Prof. Klaus Hock in Rostock, der in einer
Rezension im Jahrbuch Mission 2007 S. 240124 1 doch tatschlich
schreibt:
Manche Passagen wirken allerdings etwas undynarnisch (P???), so
etwa . . . im Beitrag ber das islamische Kopftuch, wo mit dem Zitat
einer uerung des gyptischen Religionsministers die Auffassung
"Al-Islam din wa-daula, der Islam ist Religion und Staat" eine
Konstruktion aus dem 19. Jahrhundert als essenziell islamisch
qualifiziert ist
(Zu der zitierten Oxford Enzyklopedia mit ihrer apologetischen
Tendenz ist allerdings anzu- merken, da sie nicht mit der
wissenschaftlichen En~klopdie des Islam verwechselt werden darf,
sondern sehr orthodox ausgerichtet ist.)
Wer Franzsisch beherrscht, kann den ganzen seinerzeitigen Streit
(1 925) in folgen- dem Buch nachlesen, das in Neuauflage noch
lieferbar ist: Abderraziq, Ali: L'islam et les fondements du
pouvoir.
Neue bersetzung und Einleitung durch Abdou Filali-Ansary, Paris
1994, 150 S. In einer 40 Seiten umfassenden Einleitung schrldert
der ~bersetzer und Herausgeber den vom Verfasser durch seine am 1.
April 1925 in Kairo erfolgte Verffentlichung aus- gelsten Schock
und die dadurch in der islamischen Welt angestoene und teilweise
bis heute andauernde erbitterte Debatte um das Verhltnis von
Religion und Staat im Islam. Abderraziq verlangt eine strikte
Trennung und weist nach, da schon das Kalifat weder irn Koran noch
in der Tradition (Ahadith) irgendeine Sttze finde. Die Regierung
und die Regierungsform seien ein rein weltliches Geschft, wobei er
als Staatsverfassung die Demokratie nach westlichem Muster
bevorzugt.
Abderraziq lste mit seinem Buch einen ungeheuren Skandal aus,
der ihn seine Amter als Professor an der al-Azhar-Universitt und
als Scharia-Richter kostete.
Fr den Herausgeber Filali-Ansary handelt es sich um das
wichtigste arabische Buch, das im 20. Jahrhundert im islamischen
Raum verffentlicht wurde. Um so mehr wundert er sich, da bis jetzt
keine Ubersetzung in einer westlichen Sprache vorliegt auer einer
etwas zu sehr in veralteter Theologensprache geschriebenen in einer
franz- sischen Zeitschrift.
Das Buch enthdt auch eine funfseitige, eng gedruckte
Bibliographie zum Thema, die bis zum Jahr 1991 reicht. Zu
Abderraziq und seinem Buch: - Urvoy, Dominique: Histoire de la
penske arabe et islamique. Paris 2006,676 S. U. 10 S.
Inhaltsverzeichnis. Dort S. 602-606. - Arnold Hottinger: ALLAH
HEUTE. Zrich, 2. Aufl. 1991, S. 82-85 - Deutsche Teil-Ubersetzung
des Ergebnisses in J. Schacht: Der Islam mit Ausschluss
des Qur'ans. Tbingen, 1931. (Heft 16, S. 183-185 des von Alfred
Bertholet herausgegebenen Reizgiongeschichtlichen LRsebzlchs)
- Silvia G. Haim in Thomas W. Arnold: The Califate, London 1965,
S. 235-237. - G.[ustav] E.[drnund] von Grunebaum: ISLAM, London
1955, S. 198-200. - Karen Armstrong: Im Kampf fr Gott. Mnchen 2004,
S. 277 f.
-
- LaQztinxaine Litte'raire, Nr. 856, 16.-30. Juni 2003 S. 5, wo
Robert GrandguLUaume verschiedene Werke islamischer Reformer
bespricht. U.a. schreibt er: "En 1913 un ouvrage de Mansour Fahmi
sur le Statut de la femme en islam pro- voque un scandale au Caire;
il en est de meme en 1936, quand Taha Hussein Pose la question de
la sacralite de la langue arabe i propos de la poesie ante-
islarnique. Meme scandale quand en 1925, un thiologien-juriste
musulman, Ali Abdarraziq Pose la question "Le Prophete etait-il un
Roi?", s'interrogeant sur la question du pouvoir politique en
islam."
Die Verdammungsschrift der al-Azhar-Universitt wurde in
franzsischer Ubersetzung verffentlicht von - Bercher, L.: De la
brochure intitulee "sentence des grands Ulema" sur le livre
"L'Islam
et les bases du pouvoir". In: Revue des tud des Islamiques, Bd.
9 (1935), S. 75-86. Da nun aber auch noch der Berliner
Verfassungsschutz sich solche Mrchen wie die Behaup- tung Hocks zu
eigen macht, ist der Gipfel der Kapitulation. Schon lange gibt es
aber im soge- nannten Dialog keinen Unsinn, der in Berlin nicht
noch bertroffen wrde. So wurde irn Berli- ner
Verfassungsschutzbericht 2007, S. 160 (nach Kandel: lslamismus in
Deutschland S.62, Anm. 4) doch tatschlich wider alle Fakten
dekretiert:
"Die Behauptung, dass es sich beim Islam um eine unteilbare
Einheit von Religion und Politik handele, ist allerdings ein nicht
mehr als 100 Jahre altes Theologem ".
Es wre schon interessant zu wissen, von welchem orientalischen
Mrchenerzhler diese Behauptung stammt, dessen Kenntnis
altislamischer theologischer Literatur sich offen- sichtlich in der
Nhe des Nullpunkts bewegt. Deshalb sollen noch ein paar alte Texte
berhm- ter Verfasser aufgezhlt werden, die nicht nur glashart die
untrennbare Einheit von Din und Daula behaupten, sondern sie
sozusagen auch als konstitutiv fr das islamische Verstndnis von
Staat und Religion ansehen.
So findet sich das Begriffspaar din wa-daula beispielsweise
schon im Vorwort al- Birunis zu seinem Werk ber die Drogen, wo er
auf den Zusammenhang zwischen Religion, Herrschaft, Wissenschaft
und Arabertum (Letzteres geradezu rassistisch) eingeht.
Vgl. G.E. von Grunebaum: ISLAM. E ~ q v s in the Natare and
Growth ofa CuItztraI Tradition. London, 1955. Dort kann man in
einer Anmerkung auf S. 51 lesen, da das Begriffspaar din wa-&da
sogar schon vor 1048 n. Chr. im Islam bekannt und in Gebrauch war,
2.B. bei al-Biruni, und zwar haargenau in der Bedeutung, die es
heute noch hat!
BerGni (+ 1048) fomulates the idea with a view to underluiing
the Arabic character of both:"Our religion and the empire are
Arabic and they are twins, dim-nA wa 'd-dada 'arahyyini wa-tazt
'amani." Cf. M . Meyerhof, "Das Vorwort zur Drogenkunde des
BerGni," QzteIIen zrnd Studien ?ur Geschichte der
NatztmSsenschqt2en und derMedi~n, I11 (Berlin, 1932), pp. 12, 16
and 39 of reprint. For further refe- rences, cf. G.E. von
Grunebaum, Medieval Islam. A Atz& in Czkltural Ozientation. (2d
ed.; Chicago, 1953), p. 353.
Ebenso bei Ibn Khaldun (1 3 32- l4O6), in Muqaddima, dem
methodologischen Teil seines groen Geschichtswerks, (nach der
Beiruter Ausgabe von Monteil, Bd. 111, XXXI, S. 532 f):
Im Islam ist der Dschihad gesetzlich vorgeschrieben, weil er
einen universellen Auftrag hat und die Pflicht hat, die gesamte
Menscheit freiwillig oder gezwungen zur Religion des Islams zu
bekehren. Weil das so ist, sind Kalifat und Knigtum vereint, so da
der Amtsinhaber die ihm zur Verfigung stehende Kraft beiden, dem
Religisen und Weltli- chen, zur gleichen Zeit widmen kann. Die
anderen Rebonen haben keinen universellen Auftrag, und der Dschihad
ist bei ihnen zur Verteidigung gesetzlich nicht vorgeschrie- ben. .
. . Deshalb brauchen sie auch den Gemeinschaftsgeist, der auf
natrliche Weise nach dem Knigtum verlangt, wie wir oben gezeigt
haben, denn sie sind nicht dazu ver- pflichtet, die Vlker zu
unterwerfen, wie dies im Islam der Fall ist. Sie suchen nur den
-
Erhalt ihrer Religion in ihrem eigenen Volk. . . . Diese
Konfessionen sind die Melkten, Jakobiten und Nestorianer. Wir
meinen nicht, da wir die Seiten dieses Buches mit der Diskussion
ihres Bekenntnisses zum Unglauben beschmutzen sollten. Dieser ist
wohlbe- kannt, es ist ganz und gar Unglaube, wie es klar irn Koran
steht. Wir brauchen mit Ihnen nicht darber zu diskutieren und
stellen sie vor die Wahl: Bekehrung zum Islam, Zah- lung der
Dschizya, oder Tod.
Unter die Schnfrber reiht sich, wie knnte es anders sein,
natrlich auch der im sogenann- ten Dialog stark engagierte und
wegen seines Projekts "Haus Abrahams" in weiten Kreisen bekannte
Michael Blume ein, der in seiner Tbinger Magisterarbeit "Die ffnung
des Islams in Deutschland durch eine neue islamische Elite "auf S.
92 flschlich Ibn Taimiyya im 13. Jahrhundert als Erfinder des "Din
wa-Daula " nennt. Woher er das hat, bleibt unerfindlich, pflegt
doch der Tbinger Religionswissenschaftler Professor Dr. Stefan
Schreiner auf das Buch Ali b. Rabban al-Tabaris hinzuweisen, das
schon 855 diesen Titel trgt, wobei es so aussieht, als ob dieses
Begriffspaar schon damals blich gewesen sei. Hat Blume da in der
Vorlesung geschlafen oder sie gar wegen seiner Multifunktionen
versumt?
Auerdem geht es ja nicht um Formulierungen, sondern um die
Sache, die meist schon lange vorher da ist, bis sie auch auf den
Begriff gebracht wird. Die untrennbare Einheit von Din und Dada war
ja schon beim Propheten und den m e n sogenannten "rechtgeleiteten"
Kalifen in Personalunion vorhanden und bezeichnet einen fr Ali b.
Rabban al-Tabari schon seit 220 Jahren bestehenden Zustand! Man mu
mit einer merkwrdigen, vorurteilsbehafteten Blindheit geschlagen
sein, um das abzustreiten.
Wie man sieht, stammen die oben von Hock erwhnten Streitereien
aus dem 20. Jahr- hundert (1 925) und nicht aus dem neunzehnten.
Manche Kritiker scheinen also nicht einmal zu wissen, wie man im
Deutschen die Jahrhunderte zhlt. Von hnlicher Qualitt sind aber
auch die brigen Ausfhrungen, denn die Lehre von der Einheit von Din
und Dada ist uralt, wie die zitierten Texte beweisen. Vor weiteren
Zitaten soll der Leser verschont werden. Schon die angeflihrten
Stellen drften ja gengen, um die Qualitt der involvierten
Professoren hinrei- chend zu dokumentieren, die nicht einmal die
Texte der wichtigsten muslimischen Historiker oder Theologen zu
kennen scheinen, obwohl diese schon seit einem Jahrhundert oder
mehr in deutscher undloder englischer bersetzung vorliegen. Zum
Schlu soll noch ein Text von Murad Hofmann zitiert werden, dem
ehemaligen deutschen Botschafter in Marokko, einem Einserjuristen,
der nach seiner Konversion zum Islam seinen Hut nehmen mute, weil
er das Zchtigungsrecht des Ehemanns gegenber der Ehefiau verteidigt
hatte. Er schreibt stahlhart und nach strengster orthodoxer
Lehre:
Der Islam zielt auf den Staat. Er braucht darum den
Religionsstaat. Er mu Staatsreli- gion sein - oder er kann nicht
funktionieren. Der Islam hat ein Gesetz, die Scharia, die
drakonische Strafen vorschreibt. Um diese durchzusetzen, braucht er
den Staat. Dies ist eine Notwendigkeit in der Struktur des Islams.
Es fallt auf, da der Kalender nicht mit der Geburt Mohammeds, auch
nicht mit dem Beginn seiner "Offenbarungen" begmnt, sondern mit
seiner ersten Staatswerdung in Medina. 622 n. Chr. sind die ersten
Moslems unter Mohammed von Mekka nach Medina ausgewandert und haben
dort ein Staatswe- sen gegrndet. Erst wenn der Islam Staat geworden
ist, ist er Vollislam, alles andere sind embryonale Vorstufen, nur
Vorbereitungen zum Islam. @er Islam im 3. Jahrtausend)
Der berhmteste unserer neuzeitlichen Orientalisten, Bernard
Lewis, hat ein besonderes Buch ber die politische Terminologie der
islamischen Theologie geschrieben, wo er ausdrcklich feststellt, da
die Formel din wa-daula schon in der Abbasidenzeit vielfach belegt
ist! Bernard Lewis: Die politische Sprache des Islam.
Rotbuch-Verlag, Berlin 1991,258 S.
Dort schreibt er in Kapitel 2, Der politische Krper, S. 66:
Vom 8. Jahrhundert an ist der bei weitem gebruchlichste Ausdruck
fk den
-
Staat und das Gemeinwesen dada, ein Wort, das, ungeachtet der
phonetischen Abwei- chungen in anderen islamischen Sprachen,
inzwischen fast berall den Staat bezeichnet. Es stammt von der
arabischen Wurzel dwl, deren Grundbedeutung "kreisen, sich drehen,
sich verndern, abwechseln oder aufeinander folgen" ist. Diese
Wurzel wird beispiels- weise verwandt, wenn vom Wechsel der
Jahreszeiten die Rede ist. Sie begegnet auch im Koran (Sure 3/140),
der vom Aufeinanderfolgen guter und schlechter Tage spricht. Sehr
frh schon nimmt sie im Arabischen eine Bedeutung an, die dem
idiomatischen Ge- brauch des Wortes Turnus (turn) im Englischen
nahekommt. In der altarabischen Dich- tung gibt es zahlreiche
Verse, in denen sich dada darauf bezieht, da jemand "an der Reihe"
ist, Erfolg und Macht zu erlangen oder einfach Gunst und
Aufmerksamkeit zu beanspruchen, so etwa, wenn in einem polygamen
Haushalt eine Frau bei ihrem Mann "an der Reihe" ist. Die Form
dilatan, die im Koran (Sure 59/7) vorkommt, bedeutet ein
gemeinschafiches Eigentum, das nacheinander einer Reihe von
Personen zufllt. Die- sen und hnlichen Ausdrucken unterliegt das
Bild des Glcksrades, des Schicksalsrades, das sich langsam dreht
und dabei den einen Menschen oder die eine Gruppe nach oben und den
andern Menschen oder die andere Gruppe nach unten befrdert.
In den allgemeinen politischen Sprachgebrauch ging dada ein, als
in der Mitte des 8. Jahrhunderts die Abbasidenkalifen die Macht
ergriffen. Die Umai- yaden waren an der Reihe gewesen, nun war die
Reihe am Haus des 'Abbas. Es gibt viele Texte aus der Zeit der
Abbasiden, die diesen Gedanken /S. 67/ ausdrcken und diese Begriffe
verwenden. Wenn Ibn-al-Muqa ffa' anmerkt: 'kd-dqii duwaI" so meint
er damit offensichtlich nicht, da die Welt aus Dynastien oder
Staaten besteht, wie der Satz im modernen Arabisch verstanden wrde.
Eher will er zu verstehen geben, da die Welt voll von Hhen und
Tiefen ist - von Wechselfllen (vicissitudes). Das Wort
"vicissitude" kommt brigens vom lateinischen vin'ssim, "der Reihe
nach".
Die Abbasiden waren lange an der Reihe, und das Wort hzla
vernderte im Ver- lauf seines Umwandlungsprozesses allmhlich seine
Bedeutung. Erst bezog es sich auf die herrschende Familie der
Abbasiden, dann allgemeiner auf die Dynastie und schlie- lich auf
den Staat. Dabei hatte die Entwicklung des Wortes, das ursprnglich
"sich herumdrehen" bedeutet und spter die Regierung, das Reich, in
gewissem Sinn sogar den Hof einschliet, Parallelen andernorts, wie
uns ein Blick auf jngste und gngige Verwendungsweisen der Ausdrcke
"Revolution~' und Revolutionr" lehrt.
Gegenwrtig ist das bliche Wort fiu: "Regierung" im Arabischen,
Trkischen und einigen andern Sprachen hukzlma. Obwohl es sich bei
dieser Bedeutung in fast allen islamischen Lndern durchgesetzt hat,
ist sein spezifischer Gebrauch noch sehr jung und geht nicht weiter
als bis ins 19. Jahrhundert zurck. An sich ist das Wort h~kima
uralt. Die Wurzel bkm drckt irn Arabischen und einigen weiteren
semitischen Sprachen die miteinander verwandten Grundbegriffe
Urteil und Weisheit aus. In manchen semiti- schen Sprachen,
namentlich im Hebrischen, berwog die Bedeutung "Weisheit". Auch im
Arabischen findet sich die Bedeutung "Weisheit", sogar 'Wissen",
wie 2.B. bei hakh, einem Wort, das einen "Weisen" und daraus
folgend einen "Arzt" bezeichnet. Norma- lerweise wird jedoch die
Wurzel im Sinn von "Urteil" oder "Entscheid" verstanden. Hzlkinza
bedeutete "Entscheid", die Rechtsprechung, wie sie gewhnlich einem
Kadi oder einer Rechtsvertreter zufiel. (Fettdruck
redaktionell!)
Sptestens seit der bersetzung des Textes von Lewis ins Deutsche
im Jahre 1991 htten also unsere Islamwissenschafiler das wissen
knnen und mssen. Statt dessen pflegen sie noch heute ihren
Orientalismus und begieen wie einst Frau Professor Schimmel ihre
Sufi-Paradies- grtlein. Das ist ja auch weitaus eintrglicher und
vor allem weniger gefhrlich als die grausa- men Wahrheiten des
Ur-Islam, die von den Islamisten mit bestem Gewissen zielgerichtet
und mit Waffengewalt in die Praxis umgesetzt werden.
-
Auch die Ideologie der al-Qaida ist also nichts Neues, sondern
so alt wie der Islam selbst, wie man in dem ebenfalls von Julius
Wellhausen verfaten und 1 902 verffentlichten Werk "Das arabische
Reich und sein Ende" nachlesen kann.
Noch heute wird dieses Werk von Gerhard Endre in "Der Islam "
auf S. 24 als "Meisterwerk" bezeichnet. Schon bei Wellhausen kann
man also auf S. 40 f die ganze Ideolo- gie der heutigen al-Qaida
nachlesen, die nichts anderes ist als diejenige der Kharidschiten
oder, wie Wellhausen sie nennt, der ChAvarig:
Die radikalsten Vertreter der theokratischen Opposition, die
Frmmsten der Frommen, waren die Chivarig. Bei ihnen wurde das
gttliche Recht vollends zu einem rein revolutionren Princip. Sie
rhmten sich des Fundamentalaktes der Revolution, der Ermordung
Uthmans; im Gegensatz zu denen, die sich der Tat nachdem sie
vollbracht war, schmten, machten sie das offene Bekenntnis dazu zu
ihrem Schibboleth. Mit den brigen Iraqiern verfochten sie zunchst
die Revolution gegen Muavia, der sie nicht anerkannte. Sie aber
setzten sie auch gegen Ali fort, als er in Sachen Gottes paktirte,
und trennten sich dadurch von seinem Anhange. Obgleich sie geholfen
hatten, ihn auf den Schild zu heben, wollten sie doch nicht in dem
Sinne eine Partei sein, wie die Syrer die Partei Muavias. Das Du1
(die Religion) war ja doch weder Din Muavia noch Din Ali, sondern
allein Din Allah. Wer dem Regenten in irgend einem Punkte die
eigene religis-politische Ueberzeugung opferte, wer den Gehorsam
gegen ihn dem Gehorsam gegen Gott vorgehn liess, machte ihn zum
Gtzen. Gtzendiener aber waren Gtzendiener und keine Muslime. Die
Chavirig hielten sich allein fur Muslime und nahmen auch den Namen
hU: sich allein in Anspruch. Darum vergossen sie ungescheut das
Blut der brigen Muslime; gerade gegen sie und nur gegen sie fhrten
sie den heiligen Kneg. Der Vorwurf, dass sie auf diese Weise die
Gamiia zerrissen, traf sie nicht. Sie protestirten gegen die
schlechte Katholicitt, die Weizen und Spreu nicht schied. Sie
allein, die Hretiker, bildeten die wahre Gamia. In ihrem Feldlager
con- centrirte sich der Islam; aus der falschen Gamha wanderten sie
dorthin aus, nach dem Beispiel der Higra des Propheten. Obwol ganz
antidynastisch gesinnt /41/ hatten doch auch sie als Re-
prsentanten der Einheit der Gemeinde der Glubigen ihren Chalifen
oder Imam, der den Got- tesdienst leitete und den Heerbefehl fhrte.
Sie sahen ihm aber auf die Finger, stellten ihn zur Rede, sobald er
nach ihrer Meinung einen falschen Schritt tat, und sagten sich von
ihm als einem Unglubigen los, wenn er nicht in sich ging. Ueber die
Frage nach dem richtigen Imam gerieten sie daher nicht bloss mit
den brigen Muslimen, sondern bald auch mit sich selber in
Zwiespalt. Sie zersplitterten sich wegen untergeordneter
Meinungsverschiedenheiten. Sie ver- schrften das theoktatische
Princip so und fassten es so sehr als Glaubens- und Gewissenssache,
dass sie es praktisch ad absurdum fhrten, indem es sich ohne Lepung
[Gesetzgebung] fr die Gemeinschaftsbildung unbrauchbar und nur
zerstrend erwies. Sie setzten alle Kraft an ein un- erreichbares
Ziel; die Religion fhrte sie zu einer zwar hchst aktiven, aber ganz
unpolitischen, verzweifelten Politik. Das war ihnen selber nicht
unbewusst. Sie verzichteten auf Erfolg, sie wollten nur ihre Seele
salviren. Sie begngten sich, den Tod auf dem Schlachtfelde und
damit Entschuldigung bei Gott zu finden; sie verkauften ihr Leben
um den Preis des Paradieses. Trotzdem und vielleicht gerade
deswegen besiegten sie oft groe Heere und setzten zeitweilig die
muslirnische Welt in Schrecken. Und obwol sie immer nur ein kleines
Huflein bil- deten, waren sie doch nicht auszurotten. Sie wuchsen
stets wieder aus dem Boden nach; Lhre P----'-"+-- U I U I I U J ~ L
L ~ C ~ L J C I O J L L I ------- -*-- LLLL .----n*-;-gEc2.,e -LI V
-L*IG ~~c r~eL , . u f t . nie IflcfPtlx~Piti_oe Q n n n c i t i n
n rreppn das bestehende Regment, so fromm sie sich auch geberdete,
war doch immer mit weltlichen Inter- essen verquickt und dadurch
verschieden gefrbt; vielfach wurde sie von ehrgeizigen Mnnern
benutzt, die nur nach der Macht strebten. In dem kunterbunten
Concert hielten die Chava- rig unentwegt den Grundton fest, den die
Stimmgabel des Islams angab. Sie kmpften am aufrichtigsten und
entschiedensten fr das Reich Gottes, freilich auch am grausam- sten
fr eine unmenschliche Utopie.
Hervorhebung durch Fettdruck von mir.