Aus der Neurologischen Klinik und Poliklinik der Berufsgenossenschaftlichen Kliniken Bergmannsheil – Universitätsklinik – der Ruhr-Universität Bochum Direktor: Prof. Dr. med. J.-P. Malin Therapiestudie mit Kreatin bei der Glykogenose Typ V (McArdle-Erkrankung) - eine doppelblinde, Plazebo-kontrollierte crossover-Studie - Inaugural-Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Medizin einer Hohen Medizinischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum vorgelegt von Rudolf Andre Kley aus Duisburg 2005
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Therapiestudie mit Kreatin bei der Glykogenose Typ V ... · (Madsen & Cori, 1958). Ein Glykogenmolekül speichert bei einem Molekular- Ein Glykogenmolekül speichert bei einem Molekular-
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Aus der Neurologischen Klinik und Poliklinik der Berufsgenossenschaftlichen Kliniken Bergmannsheil – Universitätsklinik –
der Ruhr-Universität Bochum
Direktor: Prof. Dr. med. J.-P. Malin
Therapiestudie mit Kreatin bei der Glykogenose Typ V
(McArdle-Erkrankung) - eine doppelblinde, Plazebo-kontrollierte crossover-Studie -
Inaugural-Dissertation zur
Erlangung des Doktorgrades der Medizin einer
Hohen Medizinischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum
1.1.1 Funktion und Wirkungsweise der Muskelfasern Hauptfunktionen der quergestreiften Muskulatur sind die Lokomotion und die
Fixierung des Skeletts. Die Umwandlung chemischer Energie in mechanische
Arbeit (elektromechanische Kopplung) wird durch die Myofibrillen ermöglicht.
Bei einer Kontraktion der Muskelfaser gleiten die dünnen Aktinfilamente an den
dicken Myosinfilamenten entlang. Dadurch kommt es zu einer Verkürzung der
Sarkomere, der kleinsten Funktionseinheiten der Myofibrillen. Die nötige Ener-
gie liefert die phosphorylytische Spaltung von Adenosintriphosphat (ATP) in
Adenosindiphosphat (ADP) und Phosphat.
1.1.2 Energiestoffwechsel unter Belastung Die intrazelluläre ATP-Konzentration der Muskelfasern liegt bei ca. 8,2 mmol/l.
Der ATP-Umsatz beträgt in Ruhe etwa 0,6 mmol pro Minute. Bei maximaler
Belastung kann dieser Wert auf das Hundertfache ansteigen (Lambeth &
Kushmerick, 2002). Die vorhandene Menge an ATP wäre unter diesen
Bedingungen nach 1 bis 2 Sekunden verbraucht. Unter physiologischen Be-
dingungen bleibt die ATP-Konzentration jedoch auch bei maximaler Muskel-
arbeit weitestgehend konstant. Der Grund ist die suffiziente Rephosphorylierung
von ADP zu ATP. Abhängig vom zeitlichen Verlauf und der Intensität der Mus-
kelarbeit werden zu diesem Zwecke unterschiedliche Stoffwechselwege genutzt
bzw. aktiviert:
Während der ersten Sekunden einer Belastung erfolgt die Resynthese von ATP
vorwiegend durch die Übertragung der Phosphatgruppe von Phosphokreatin
(PCr) auf ADP. Katalysiert wird die Reaktion durch die Kreatinkinase (CK).
Intensive Muskelarbeit kann zu einem Verbrauch des PCr führen, bevor eine
Aktivierung nachhaltigerer Stoffwechselwege einsetzt. Unter diesen Bedingun-
gen gewinnt die Myokinase-Reaktion an Bedeutung, bei der eine Phosphat-
gruppe von ADP auf ein weiteres ADP-Molekül übertragen wird. Dabei entste-
hen ATP und Adenosinmonophosphat (AMP).
Mit einer Latenz von einigen Sekunden setzt die Energiegewinnung aus Glu-
kose ein. Durch die Glykogenolyse wird Glukose aus dem in der Muskelfaser
Einleitung 1.1 Energiestoffwechsel der Skelettmuskulatur 11
gespeicherten Glykogen freigesetzt. Parallel wird die Aufnahme von Glukose
aus dem Blut über membranständige Glukosetransporter, vor allem GLUT4,
gesteigert (Zorzano et al., 2000). Unter anaeroben Bedingungen wird Glukose
zu Laktat abgebaut. Dabei werden im Rahmen der anaeroben Substrat-
kettenphosphorylierung pro Mol Glukose zwei Mol ADP zu ATP phosphoryliert.
Die 16fache Menge an ATP entsteht bei der oxidativen Glykose durch die zu-
sätzlich stattfindende aerobe Substratkettenphosphorylierung und durch
Atmungskettenphosphorylierungen. Diese Reaktionen laufen in den Mito-
chondrien ab. Als Endprodukte entstehen Kohlendioxid und Wasser.
Bei anhaltender Muskelarbeit erfolgt die Gewinnung von ATP vorwiegend aus
dem aerob ablaufenden Abbau von Fettsäuren. Diese werden durch Lipasen in
den Lipozyten freigesetzt, ins Blut abgegeben und mit Hilfe spezifischer Trans-
portmoleküle von den Muskelfasern aufgenommen (Zorzano et al., 2000). Nach
Aktivierung der Fettsäuren durch die Acyl-CoA-Synthetase erfolgt der durch die
Carnitin-Palmitoyl-Transferase vermittelte Transport in die Mitochondrien. Dort
findet die β-Oxidation statt, bei der durch Substrat- und Atmungskettenphospho-
rylierung ATP gebildet wird.
Die Nutzung von Aminosäuren zur Energiegewinnung spielt unter normalen
Bedingungen eine untergeordnete Rolle, gewinnt jedoch im Hungerstoffwechsel
an Bedeutung. Die Freisetzung der Aminosäuren geschieht vorwiegend durch
den Abbau von Muskelproteinen. Neben Asparagin, Glutamat und Alanin
werden vor allem die verzweigtkettigen Aminosäuren Valin, Isoleucin und
Leucin aerob-oxidativ verstoffwechselt.
1.1.3 Glykogenstoffwechsel Im menschlichen Organismus wird Glukose in Form von Glykogen gespeichert.
Mit Ausnahme der Erythrozyten lässt es sich in allen Zellen nachweisen,
Hauptspeicherorte sind die Leber (64-115 g) und die Muskulatur (10-20 g pro kg
Muskelmasse) (Krahenbuhl et al., 2003;Selberg et al., 1994;Wise et al., 1997).
In der Leber dienen die Synthese und der Abbau von Glykogen vorwiegend der
Homöostase des Blutzuckerspiegels. Der Muskulatur hingegen fehlt das Enzym
Glukose-6-Phosphatase, welches die Dephosphorylierung von aus Glykogen
freigesetztem Glukose-6-Phosphat katalysiert und so einen Transport der Glu-
kose aus der Zelle ermöglicht. Daher ging man bis vor kurzem davon aus, dass
Einleitung 1.1 Energiestoffwechsel der Skelettmuskulatur 12
das in der Muskulatur gespeicherte Glykogen nur den speichernden Muskel-
fasern für die Energiegewinnung zur Verfügung steht. Ende 2003 wurde jedoch
ein zweites Enzym, die Glukose-6-Phosphatase-beta beschrieben, die auch von
Muskelfasern exprimiert wird. Zusammen mit einem Glukose-6-Phosphat-
Transporter bildet sie den Glukose-6-Phosphatase-Komplex (Shieh et al.,
2003;Shieh et al., 2004). Die Bedeutung dieses Komplexes für den Glykogen-
stoffwechsel der Muskulatur ist noch ungeklärt.
Die Synthese von Glykogen beginnt mit der durch die Phosphoglukomutase
katalysierten Überführung von Glukose-6-Phosphat in Glukose-1-Phosphat.
Letzteres wird durch die UDP-Glukose-Phosphorylase zu Uridindinphosphat-
Glukose (UDP-Glukose) aktiviert. Bei der De-novo-Synthese von Glykogen
übertragt als nächstes das Protein Glykogenin autokatalytisch bis zu 8 Glukose-
reste auf die Hydroxylgruppe eines internen Tyrosinrestes (Lomako et al.,
2004). Die Glykogensynthase bindet an dieses Primer-Glykogen und katalysiert
die 1,4-glykosidische Bindung weiterer aktivierter Glukosemoleküle an den
terminalen Glukosylrest. Bei der Verlängerung eines vorhandenen Glykogen-
moleküls bindet die Glykogensynthase direkt an das Ende einer Glykogenkette.
Nach Verlängerung der Oligosaccharidkette um mindestens 6 Glukosereste
werden durch das Branching-Enzym bevorzugt 7 1,4-glykosidisch verknüpfte
Glukosereste über eine 1,6-glykosidische Bindung auf eine benachbarte Kette
übertragen. Dadurch entstehen die für Glykogen typischen Verzweigungen.
Die Anzahl der verzweigten und unverzweigten Ketten ist ungefähr gleich. Eine
Kette setzt sich aus 11 bis 14 Glukoseresten zusammen (Illingworth & Cori,
1952). Diese Oligosaccharide bilden eine linksdrehende Helix mit 6,5 Glukose-
resten pro Windung. Die Größe des Glykogenmoleküls ist durch seine Form
selbstlimitierend, da die Packungsdichte mit jeder neuen Schicht zunimmt
(Madsen & Cori, 1958). Ein Glykogenmolekül speichert bei einem Molekular-
gewicht von etwa 10 Millionen Dalton ca. 55.000 Glukosereste.
Die Glykogenolyse beginnt mit der phosphorolytischen Spaltung der terminalen
1,4-glykolytischen Bindungen durch die Glykogen-Phosphorylase. Dadurch wird
Glukose-1-Phosphat freigesetzt, das durch die Phosphoglukomutase in
Glukose-6-Phosphat umgewandelt wird. Die Glykogen-Phosphorylase ist das
geschwindigkeitsbestimmende Enzym des Glykogenabbaus. Sie kann jedoch
Einleitung 1.1 Energiestoffwechsel der Skelettmuskulatur 13
die endständigen 1,4-glykolytischen Bindungen nur bis auf 4 Glukosemoleküle
vor einer Verzweigungsstelle spalten. Danach überträgt die Glykosyltransferase
eine Trisaccharideinheit auf eine andere Kette. Dadurch wird die Verbindungs-
stelle dem Debranching-Enzym zugänglich, das die 1,6-glykolytische Bindung
hydrolytisch spaltet. Im Gegensatz zur Phosphorylase-Reaktion wird bei diesem
Vorgang freie Glukose abgespalten.
Der Glykogenmetabolismus wird vornehmlich durch die Regulation der Glyko-
gensynthase und der Glykogen-Phosphorylase gesteuert. Die Aktivitäten beider
Enzyme werden sowohl durch kovalente Phosphorylierung als auch durch
allosterische Effektoren beeinflusst:
Die Glykogensynthase a kann an 9 Stellen durch verschiedene Proteinkinasen
phosphoryliert und dadurch in die inaktivere Glykogensynthase b überführt
werden. Die wichtigsten Kinasen sind hierbei die cAMP-abhängige Protein-
kinase, die calciumabhängige Phosphorylase-b-Kinase, die Glykogensynthase-
Kinasen 3 bis 5, die Casein-Kinase I und II sowie die AMP-aktivierte Protein-
kinase (AMPK) (Carling & Hardie, 1989;Cohen, 1978;Parker et al., 1982;Roach,
1981). Glykogen hemmt ebenfalls die Glykogensynthase im Sinne einer Feed-
back-Inhibition.
Auf der anderen Seite steigern Glykogen-assoziierte Phosphatasen, insbeson-
dere die Protein-Phosphatase 1, durch Dephosphorylierung die Aktivität der
Glykogensynthase (Cohen, 1978;Hubbard & Cohen, 1989). Darüber hinaus ist
Glukose-6-Phosphat ein allosterischer Aktivator (LELOIR et al., 1959). Über
welchen Mechanismus Insulin die Enzymaktivität steigert ist bislang unklar.
Vermutet wird eine indirekte Wirkung durch den Einfluss auf Phosphatasen.
Die Glykogen-Phosphorylase wird im Gegensatz zur Glykogensynthase durch
Phosphorylierung aktiviert. Die inaktivere b-Form wird durch die Phosphorylase-
b-Kinase in die aktive a-Form überführt. Die Phosphorylase-b-Kinase wird ihrer-
seits durch die cAMP-abhängige Proteinkinase und durch Calcium aktiviert
(Brostrom et al., 1971). AMP führt als allosterischer Effektor ebenfalls zu einer
Steigerung der Aktivität der Glykogen-Phosphorylase.
Die Dephosphorylierung der Glykogen-Phosphorylase a erfolgt durch die
Phosphorylase-a-Phosphatase. Des Weiteren stellen ATP, Glukose und Glu-
kose-6-Phosphat allosterische Inhibitoren der Glykogen-Phosphorylase dar. Die
Phosphorylase-a-Phosphatase wird durch die zwei hitzestabilen Proteine
Einleitung 1.2 Glykogenose Typ V 14
Inhibitor 1 und Inhibitor 2 gehemmt (Huang & Glinsmann, 1976). Der Inhibitor 1
wird durch die cAMP-abhängige Proteinkinase aktiviert. Er hemmt neben der
Phosphorylase-a-Phosphatase auch den Einfluss der Protein-Phosphatase 1
auf die Glykogensynthase b und die Phosphorylase-Kinase.
1.2 Glykogenose Typ V Synonyme: Myophosphorylase-Mangel, McArdle-Erkrankung
Der Glykogenose Typ V (glycogen storage disease V, GSD V) liegt eine stark
verminderte bis fehlende Aktivität der muskelspezifischen Glykogen-Phospho-
rylase (Myophosphorylase) zugrunde. Diese ist bedingt durch Mutationen im
Myophosphorylase-Gen auf Chromosom 11. Der Erbgang ist autosomal rezes-
siv. Nur in Einzelfällen kommt es zu einer Manifestation der Erkrankung bei
heterozygoten Merkmalsträgern. Die Inzidenz der GSD V wird auf 1-10 pro
1.000.000 Neugeborene geschätzt (DiMauro & Haller, 1999;DiMauro et al.,
1997;Haller, 2000;Manfredi et al., 1993;Schmidt et al., 1987).
Die Erkrankung manifestiert sich in der Regel vor dem 15. Lebensjahr und hat
in den meisten Fällen einen gutartigen Verlauf. In Einzelfällen wurden jedoch
kongenitale Verlaufsformen mit respiratorischer Insuffizienz und Tod im Säug-
lingsalter beschrieben (DiMauro & Hartlage, 1978;Milstein et al., 1989;Miranda
et al., 1979).
1.2.1 Klinische Beschwerden Klinisches Hauptmerkmal der Glykogenose Typ V ist die Belastungsintoleranz.
Sie macht sich in Form von Myalgien, vorzeitige Ermüdung, Steifigkeit und
Schwäche der beanspruchten Muskulatur bemerkbar. In Ruhe bildet sich die
Symptomatik in der Regel komplett zurück. Nach stärkeren Anstrengungen
treten jedoch häufig schmerzhafte Muskelkontrakturen auf, die teils mehrere
Stunden anhalten und mit einer Schwellung der Muskulatur einhergehen
können. Im Gegensatz zu Muskelkrämpfen lässt sich im EMG keine elektrische
Aktivität nachweisen. Problematisch sind vor allem intensive isometrische
Kontraktionen und anhaltende dynamische Arbeit. Moderate Belastungen
werden hingegen meist gut toleriert.
Ein weiteres Charakteristikum ist das second-wind-Phänomen: Bei den meisten
Patienten treten bereits einige Minuten nach Beginn einer Aktivität eine Ermü-
Einleitung 1.2 Glykogenose Typ V 15
dung der Muskulatur und Myalgien auf. Wird daraufhin eine kurze Pause ein-
gelegt oder die Intensität der Belastung reduziert, so bilden sich diese
Symptome zurück und die Arbeit kann über einen längeren Zeitraum beschwer-
defrei fortgesetzt werden. Dieses Phänomen wird auf folgende Anpassungs-
reaktionen zurückgeführt:
Zum einen kommt es durch den Anstieg des Herz-Zeit-Volumens zu einer ge-
steigerten Durchblutung der Muskulatur. Die mit dem Blut transportierten freien
Fettsäuren und Glukose können von den Muskelfasern als Substrate für den
Energiestoffwechsel genutzt werden. Zudem kompensiert die Rekrutierung in-
aktiver motorischer Einheiten die abnehmende Leistungsfähigkeit der ermüde-
ten Muskelfasern (siehe 1.4) (Braakhekke et al., 1986a).
Die Störung der Zellintegrität und der Abbau von Muskelfasern führen zu einer
Erhöhung der CK-Konzentration im Serum. Bei ca. der Hälfte der Patienten
kommt es rezidivierend zu Myoglobinurien, die ein akutes Nierenversagen ver-
ursachen können. Etwa ein Drittel der Patienten entwickelt im Verlauf perma-
nente Muskelschwächen, die in der Regel mild ausgeprägt und proximal betont
sind (Martin et al., 2001b).
1.2.2 Muskelbiopsie Der Glykogengehalt der Muskelfasern ist meist leicht bis mäßig erhöht (mehr
als 2 g pro 100 g Gewebe). Histologisch lassen sich in der Regel subsarkolem-
mal gelegene Glykogenansammlungen nachweisen. Die Akkumulation von
Glykogen zwischen den Myofibrillen führt typischerweise zu vakuolären Ver-
änderungen der Muskelfasern (Abbildung 1). Ultrastrukturell zeigt sich eine
Akkumulation normalkonfigurierter, nicht membrangebundener Glykogenpartikel
unterhalb des Sarkolemms, zwischen den Myofibrillen und in geringerer Aus-
prägung auch zwischen den Myofilamenten. Durch Biochemische Untersu-
chungen lässt sich eine verminderte bis fehlende Aktivität der Glykogen-
Phosphorylase nachweisen.
Einleitung 1.2 Glykogenose Typ V 16
Abbildung 1: Histologische Veränderungen bei der GSD V (Muskelbiopsat). A) Hämatoxylin-Eosin-Färbung (HE): vorwiegend subsarkolemmal gelegene Vakuolen in variabler Ausprägung (Pfeile). B) PAS-Färbung: Nachweis von Kohlenhydraten (Glykogen) innerhalb der Vakuolen.
1.2.3 Genetik Die kodierende Region des Myophosphorylase-Gens (PGYM) ist 2523 Basen-
paare lang und enthält 20 Exons und 19 Introns. Bisher sind 41 Mutationen im
PGYM bekannt (Deschauer et al., 2003;DiMauro et al., 2002;Hadjigeorgiou et
al., 2002a;Hadjigeorgiou et al., 2002b). Die häufigste Mutation in Europa und
Nordamerika ist die Nonsense-Mutation Arg49Stop in Exon 1. Sie führt zu
einem vorzeitigen Abbruch der Proteinsynthese. Als Folge entsteht ein trun-
kiertes, enzymatisch inaktives Protein (DiMauro et al., 2002;Vorgerd, 1999).
Ein Zusammenhang zwischen Phänotyp und PGYM-Genotyp konnte bislang
nicht nachgewiesen werden (Martin et al., 2001a;Tsujino et al., 1993). Es zeigte
sich jedoch eine Korrelation zwischen dem Angiotensin-Konversions-
Enzym(ACE)-Genotyp und dem klinischen Schweregrad der Erkrankung. Der
ACE-Polymorphismus könnte demnach einen modulierenden Einfluss auf den
Phänotyp haben (Martinuzzi et al., 2003).
1.2.4 Pathophysiologie Der Energiestoffwechsel der Muskulatur greift insbesondere bei isometrischer
und intensiver dynamischer Belastung auf Glykogen als Substrat der aeroben
und anaeroben Glykolyse zurück. Bei der Glykogenose Typ V führt die Blo-
ckade der Glykogenolyse unter diesen Bedingungen zu einem Mangel an
Pyruvat und Acetyl-CoA. Dadurch nehmen die Menge des im Krebs-Zyklus
generierten Nicotinamid-Adenin-Dinukleotid (NADH) und die über die Atmungs-
kette gewonnene Energie ab. Dies führt zu einem spektroskopisch nachweis-
Einleitung 1.2 Glykogenose Typ V 17
baren Abfall der intramuskulären ATP-Konzentration und zu einem Anstieg von
ADP und Phosphat. Durch diese früh einsetzende metabolische Erschöpfung
lässt sich die vorzeitige Muskelermüdung erklären (De Stefano et al.,
1996;DiMauro et al., 2002;Haller et al., 1985;Sahlin et al., 1995;Vorgerd,
1999;Zange et al., 2003).
Die Pathophysiologie der Muskelkontrakturen ist hingegen bisher nur im An-
satz verstanden. Der ATP-Mangel des kontraktilen Apparates reicht zur Erklä-
rung alleine nicht aus (Edwards & Wiles, 1981;Rowland et al., 1965). Es wird
unter anderem vermutet, dass die erhöhte intrazelluläre ADP-Konzentration die
Dissoziation des Aktin-Myosin-ADP-Pi-Komplexes verzögert. Ferner werden
Veränderungen der Erregbarkeit der Muskelfasermembran durch eine redu-
zierte Aktivität der muskulären Na+Ka+-ATPase und eine Erhöhung der myo-
fibrillären Calcium-Sensitivität angenommen (DiMauro et al., 2002;Vorgerd,
1999).
1.2.5 Therapie Bisher gibt es keine offiziellen Empfehlungen zur pharmakologischen Behand-
lung der Glykogenose Typ V. 2004 erschien in der Cochrane Database ein
systematischer Review der bis dato veröffentlichten Therapiestudien an GSD-V-
Patienten (Quinlivan & Beynon, 2004). Die Autoren kamen zu der Schlussfolge-
rung, dass eine Empfehlung von speziellen medikamentösen oder diätetischen
Therapien anhand der bisherigen Datenlage nicht möglich ist.
In zwei Einzelfällen besserte sich die Leistung bei der Fahrradergometrie durch
eine eiweißreiche, kohlenhydratreduzierte Diät (Jensen et al., 1990;Slonim &
Goans, 1985). Der Effekt wurde unter anderem auf eine gesteigerte Glukoneo-
genese durch die vermehrte Zufuhr verzweigtkettiger Aminosäuren zurückge-
führt. Eine zweimonatige Diät mit Leucin, Isoleucin und Valin führte jedoch bei
drei Patienten zu keiner Verbesserung der Leistungfähigkeit (Kushner &
Berman, 1990). In einer kontrollierten Studie mit 6 Patienten verschlechterte
sich sogar die Leistung bei der Fahrradergometrie. Als Ursache wurde die Sen-
kung der Konzentration freier Fettsäuren im Blut diskutiert (MacLean et al.,
1998).
Fettreiche Diät führte bei einem Patienten zu einer verbesserten Belastungs-
toleranz. Dieser Effekt wurde auf den Anstieg der freien Fettsäuren im Blut zu-
rückgeführt (Viskoper et al., 1975). Die orale Gabe von Vitamin B6 (Pyridoxin)
Einleitung 1.3 Kreatin 18
hatte eine vergleichbare Wirkung (Phoenix et al., 1998). Der Kalziumantagonist
Verapamil und das zentral wirksame Muskelrelaxans Dantrolen erwiesen sich in
doppelblinden, plazebo-kontrollierten crossover-Studien mit 3 bzw. 5 Patienten
hingegen als klinisch unwirksam (Lane et al., 1986;Poels et al., 1990).
Die einmalige orale Gabe von D-Ribose führte bei einem Patienten zu einer
besseren Leistung bei der Fahrradergometrie (Wagner & Zollner, 1991). Der
Effekt ließ sich in einer doppelblinden, plazebo-kontrollierten Studie jedoch nicht
reproduzieren (Steele et al., 1996). Glukoseinfusionen bewirkten eine Steige-
rung der maximalen Sauerstoffaufnahme bei der Ergometrie und eine verbes-
serte Leistung bei repetitiver maximaler Belastung (Haller & Vissing,
2002;Lewis et al., 1985). Die Wirkung von oral zugeführter Saccharose wurde in
einer randomisierten, plazebo-kontrollierten crossover-Studie mit 12 Patienten
untersucht. Die Einnahme von 75 g Saccharose führte bei der 30 Minuten spä-
ter durchgeführten Fahrradergometrie zu einer Verbesserung der objektiven
und subjektiven Belastungstoleranz (Vissing & Haller, 2003). Die Nachteile
dieser Therapie sind die kurze Wirkdauer und die Gefahr einer Gewichts-
zunahme durch die gesteigerte Kalorienzufuhr.
Kausale Therapieansätze befinden sich derzeit noch in der Entwicklungsphase.
Der Transfer humaner Myophosphorylase-cDNA in humane Muskelzellen führte
in vitro zu einer gesteigerten Enzymaktivität in Myoblasten und zusätzlich zu
einer gesteigerten Genexpression in Myotuben (Baque et al., 1994). In primä-
ren, Myophosphorylase-defizienten Myoblastenkulturen aus humaner und
Schafmuskulatur kam es nach der Transduktion zu einem Wiedereinsetzen der
Myophosphorylase-Aktivität (Pari et al., 1999). Als Vektor wurde jeweils ein
Adenovirus eingesetzt. Untersuchungen in vivo fanden bisher nicht statt.
1.3 Kreatin Kreatin (a-Methylguanidoessigsäure) ist eine natürlich vorkommende Guanidin-
verbindung, die 1832 von dem französischen Wissenschaftler Chevreul ent-
deckt wurde. Der Name leitet sich vom griechischen Wort für Fleisch (kreas) ab
(Balsom et al., 1994;Wyss & Kaddurah-Daouk, 2000). In der Muskulatur und im
Gehirn von Wirbeltieren ist Kreatin eine essentielle Komponente des Energie-
Abbildung 4: Schematische Darstellung der S-EMG-Ableitung. Die durch die Ausbreitung von Aktionspotentialen über das Sarkolemm entstehenden Potentialschwankungen werden durch auf der Haut befestigte Elektroden registriert. Modifiziert nach Luttmann (Luttmann, 1996).
Das von den Elektroden erfasste Summenpotential entsteht durch die Aktivität
vieler Muskelfasern aus mehreren motorischen Einheiten. Die Signale der ein-
zelnen Fasern überlagern sich und bilden ein komplexes Interferenz-Muster.
Die Darstellung einzelner Potentiale motorischer Einheiten ist im Gegensatz zur
invasiven EMG-Ableitung mittels Nadelelektroden mit der Oberflächen-Elektro-
myographie nicht möglich.
1.4.2 Messparameter Das im S-EMG-Signal enthaltene Interferenz-Muster stellt eine kontinuierliche
Zeitfunktion dar. Spezielle Analyseverfahren ermöglichen eine Quantifizierung
des Signalgehalts (Zeitdomäne) sowie eine Untersuchung des Frequenz-
inhaltes (Frequenzdomäne):
Das Roh-EMG ist ein bipolares Signal mit stochastischen Eigenschaften. Die
Ausschläge haben entweder positive oder negative Vorzeichen. Eine Auf-
der Muskelermüdung die durchschnittlich pro Aktionspotential produzierte Kraft.
Zum Ausgleich werden inaktive motorische Einheiten rekrutiert und die Fre-
quenz der Aktionspotentiale gesteigert. Elektrische Aktivität und Root Mean
Square steigen daher bei Muskelermüdung an (Abbildung 5) (Luttmann, 1996).
Abbildung 5: Veränderung der EMG-Amplitude unter Belastung. Die elektrische Aktivität nimmt bei Belastung durch einen Anstieg der EMG-Amplitude zu. Modifiziert nach Luttmann (Luttmann, 1996).
1.4.4 S-EMG bei der Glykogenose Typ V Die Mittenfrequenz verschiebt sich bei GSD-V-Patienten wie bei Gesunden
unter Belastung in einen niedrigeren Frequenzbereich. Die Geschwindigkeit der
Erregungsausbreitung bleibt hingegen unverändert. Linssen et al. führten
dieses Phänomen auf die fehlende Laktatbildung durch die Hemmung der Gly-
kogenolyse zurück (Linssen et al., 1990). Es wird jedoch auch eine vermehrte
Rekrutierung schneller leitender Typ-II-Fasern diskutiert (Zange et al., 2003).
Das Absinken der Mittenfrequenz bei gleich bleibender Leitungsgeschwindigkeit
erklärt sich durch die Rekrutierung zusätzlicher motorischer Einheiten und die
Synchronisation der Innervation.
Der gestörte Glykogenabbau führt im Verlauf einer Muskelbelastung zu einer
verminderten Effizienz der elektromechanischen Kopplung. Zum Ausgleich
werden vermehrt motorische Einheiten rekrutiert. Die EMG-Amplitude steigt
daher bei den Patienten stärker an als bei Gesunden (Braakhekke et al.,
1986b;Braakhekke et al., 1986a;Linssen et al., 1990;Zange et al., 2003).
Laktat, insbesondere unter anaeroben Bedingungen, zu einem Abfall des intra-
zellulären pH-Wertes (Zange et al., 2003).
1.5.3 31P-MRS bei der Glykogenose Typ V Bei GSD-V-Patienten fällt die PCr-Konzentration während einer Muskel-
kontraktion stärker ab als bei Gesunden. Die PCr-Erholung nach Belastung ist
ebenfalls verzögert. Zudem sinkt im Verlauf einer isometrischen Kontraktion die
Konzentration von ATP, insbesondere unter anaeroben Bedingungen
(Abbildung 6). Die Konzentration der Phosphomonoester steigt hingegen durch
die Bildung von Inosinmonophosphat (IMP) an (Zange et al., 2003).
Abbildung 6: PCr-Abfall beim Standard-Wadenmuskeltest. Die PCr-Konzentration fällt bei GSD-V-Patienten (●) bei aerober und anaerober Belastung stärker ab als bei Gesunden (○). Zudem ist die PCr-Erholungszeit verlängert.
Im Gegensatz zu Gesunden kommt es während einer Muskelbelastung nicht zu
einem Abfall sondern zu einem Anstieg des intrazellulären pH-Wertes
(Abbildung 7) (Bendahan et al., 1992;Zange et al., 2003). Ursache ist neben der
fehlenden Laktatbildung die hohe Aktivität der Myokinase und der Myoadenylat-
Deaminase. Letztere katalysiert den Abbau von AMP zu IMP unter Abspaltung
von Ammoniak.
Einleitung 1.6 Ziel der Studie 39
Abbildung 7: Intramuskulärer pH-Wert bei Belastung. Bei Gesunden fällt der pH-Wert unter aerober und anaerober Belastung ab. Bei GSD-V-Patienten steigt er hingegen an, insbeson-dere unter aneroben Bedingungen.
1.6 Ziel der Studie In der Pilotstudie zeigten sich Hinweise für eine Besserung der Muskelleistung
und eine Reduktion der klinischen Beschwerden von GSD-V-Patienten durch
die Einnahme von Kreatin (Vorgerd et al, 2000). Ziel dieser Arbeit war es, die
Ergebnisse der Vorläuferstudie an einem größeren Patientenkollektiv mit einer
höheren Kreatindosis und einer umfangreicheren Methodik zu überprüfen. Dazu
wurden in einer Plazebo-kontrollierten crossover-Studie 19 Patienten mit gene-
tisch gesicherter Glykogenose Typ V untersucht. Über einen Zeitraum von fünf
Wochen wurde entweder Plazebo oder Kreatin in einer Dosis von 150 mg pro
Kilogramm Körpergewicht verabreicht. Die Therapieeffekte wurden mit Tages-
protokollen zur Erfassung der klinischen Belastungsintoleranz sowie mit der 31P-MRS und dem S-EMG überprüft.
2 Methodik
2.1 Probanden
2.1.1 Patienten Die Rekrutierung der Patienten erfolgte aus dem Patientengut des Muskel-
zentrums Ruhrgebiet an der Neurologischen Universitätsklinik der Berufs-
Für die Parameter vorzeitige körperliche Ermüdung und Beeinträchtigung von
Alltagsaktivitäten wurden die Mittelwerte der Angaben auf der NRS berechnet.
Die Antworten auf die Frage, in welcher Studienphasen sich der Patient besser
fühlte, wurden in numerische Werte umgewandelt („Kreatinphase besser“=2,
„weiß nicht“=1, „Plazebophase besser“=0).
2.5.3 Klinisch-chemische Untersuchungen Aus oberflächlichen Armvenen wurden 5 ml Blut abgenommen. Die Bestim-
mung der CK-Konzentrationen im Serum erfolgte photometrisch bei einer
Reaktionstemperatur von 25° Celsius durch das Institut für Klinische Chemie
der BG-Kliniken Bergmannsheil. Der Normalbereich umfasste Werte bis 80 U/l.
Die Kreatinkonzentrationen im Serum wurden kolorimetrisch nach dem Mess-
protokoll nach Oversteegen bestimmt (Oversteegen et al., 1987). Die Analysen
wurden von Dr. K. Fabian vom Sportmedizinischen Institut der Universität
Dresden durchgeführt.
2.5.4 S-EMG
2.5.4.1 Versuchsaufbau Über dem medialen und lateralen Bauch des rechten M. gastrocnemius wurde
jeweils ein Elektrodenpaar aufgeklebt. Die entsprechenden Hautareale wurden
zuvor rasiert und mittels Schmirgelpaste gereinigt und entfettet. Die Bestim-
mung der Ableitpunkte erfolgte palpatorisch:
Am stehenden Probanden wurde bei angespannter Wadenmuskulatur die Mitte
des betreffenden Muskelbauches lokalisiert. Die mit Leitpaste versehenen Elek-
troden wurden kranial und kaudal dieser Linie in Richtung des Faserverlaufs
aufgeklebt. Der Elektrodenabstand (Mittelpunkt zu Mittelpunkt) ergab sich aus
Methodik 2.5 Untersuchungsmethoden 47
dem Durchmesser der verwendeten Kleberinge und betrug 30 mm. Die Refe-
renzelektrode wurde über der Tibiakante angebracht.
Die Elektrodenpositionen wurden notiert. Als Referenzpunkte dienten der Knie-
gelenksspalt und die Tibiakante. Zudem wurden die Stellen mit einem Haut-
marker gekennzeichnet.
Abbildung 9 zeigt den Versuchsaufbau.
Abbildung 9: Versuchsaufbau für die S-EMG-Ableitungen. Erläuterungen im Text.
Der rechte Unterschenkel wurde auf den in Längsrichtung schwenkbaren, ergo-
nomisch geformten Wadenhalter platziert. Eine Aussparung für die Elektroden-
paare verhinderte deren Verschieben während des Versuchsablaufs. Das Pedal
war für eine Kraftmessung bei isometrischer Plantarflexion ausgelegt. Seine
Position wurde der Beinlänge des Probanden angepasst. Der Winkel zwischen
Trittfläche und Bodenplatte betrug 70°. Wadenhalter und Pedal waren baugleich
mit dem bei der Spektroskopie eingesetzten Modellen (Eigenbau Deutsches
Zentrum für Luft- und Raumfahrt, DLR Köln-Porz).
Die Fixierung des Beines in der Haltevorrichtung erfolgte durch Zuggurte, eine
Sprunggelenk-/Unterschenkelschiene und Schaumstoffstreifen. Proximal des
Kniegelenkes wurde eine Okklusionsmanschette angelegt. Ferner wurde der
Oberkörper der Probanden durch einen Schaumstoffkeil um 25° von der Hori-
zontalen aufgerichtet.
Methodik 2.5 Untersuchungsmethoden 48
Das durch Druck gegen das Pedal erzeugte Drehmoment führte im Kraftauf-
nehmer zu Spannungsänderungen. Diese wurden durch eine Kraftmessdose
(Eigenbau des Instituts für Arbeitsphysiologie an der Universität Dortmund,
IfADo) erfasst und weiterverarbeitet. Eine Kontrolle der Testkraft wurde durch
eine Kraftanzeige ermöglicht, die sich im Sichtfeld der Probanden befand. Die
Registrierung des Signals erfolgte parallel zum Oberflächen-EMG auf Magnet-
band.
Das S-EMG wurde mittels bipolarer Ag/Ag-Cl-Napfelektroden mit einem Innen-
durchmesser von 8mm abgeleitet. Die Spannungsdifferenzen wurden um den
Faktor 100 verstärkt und in einem Bereich zwischen 2 Hz (untere Grenz-
frequenz) und 500 Hz (obere Grenzfrequenz) gefiltert. Des Weiteren wurde das
Netzbrummen durch eine Gleichtaktunterdrückung (50 Hz) minimiert. Elektro-
den, Differenzverstärker und Filter waren Eigenbau der Abteilung für Biophysi-
kalische Messtechnik des Helmholtz-Instituts für Biomedizinische Technik der
RWTH Aachen.
S-EMG, Kraft und Zeit (elektronische Uhr der Fa. Systron Donner, Concord,
Kanada) wurden auf Magnetbändern aufgezeichnet (Bandgerät TEAC XR50,
TEAC Europe GmbH, Wiesbaden). Ein Oszilloskop (Tektronix GmbH, Köln)
wurde zur optischen Kontrolle mit den Ausgängen des Bandgerätes verbunden.
Vor Versuchsbeginn wurden die Probanden in die Technik der Muskelbelastung
eingewiesen. Es galt, den Fuß unter Anspannung der Wadenmuskulatur um
das Sprunggelenk drehend zu strecken. Dazu sollte mit dem Fußballen (nicht
mit den Zehen oder der Hacke) gegen das starre Pedal gedrückt werden.
2.5.4.2 Maximalkraft-Test Zu Beginn der Messung erfolgte die Bestimmung der Maximalkraft (maximum
voluntary contraction, MVC). Dazu wurden die Probanden aufgefordert, fünf
Sekunden lang mit der größtmöglichen Kraft gegen das Pedal zu drücken. Die
Übung wurde im Abstand von jeweils einer Minute zweimal wiederholt.
2.5.4.3 Standard-Wadenmuskeltest Der Standard-Wadenmuskeltest setzte sich aus mehreren Abschnitten zusam-
men (Tabelle 5). Die Testkraft (TK), die während der Belastungsintervalle erzielt
werden musste, lag bei 30 % der am Untersuchungstermin I gemessenen
Methodik 2.5 Untersuchungsmethoden 49
Maximalkraft. Der berechnete Wert wurde für alle weiteren S-EMG- und 31P-
MRS-Messungen übernommen, unabhängig von Veränderungen der MVC im
Studienverlauf.
Während der Kontraktionsphase 1 musste die Testkraft über drei Minuten
gehalten werden. Dadurch kam es zu einer isometrischen Belastung der
Wadenmuskulatur unter aeroben Stoffwechselbedingungen. Nach einer Pause
von einer Minute wurde die Belastung sechs Minuten lang auf die ersten zehn
Sekunden jeder angefangen Minute beschränkt, um eine ausreichende Erho-
lung zu gewährleisten.
Im Anschluss wurde zur Unterbindung der arteriellen Blutzufuhr die Okklusi-
onsmanschette auf 280-300 mmHg aufgepumpt und drei Minuten lang der
Verbrauch des im Gewebe befindlichen Sauerstoffes abgewartet. Unter Ischä-
mie musste während der Kontraktionsphase 2 die Testkraft erneut drei Minuten
lang gehalten werden. Dies führte zu einer isometrischen Belastung der
Wadenmuskulatur unter anaeroben Stoffwechselbedingungen. Anschließend
wurde die Manschette entfernt und die Erholung über 10 Minuten durch 10-
Sekunden-Messungen untersucht.
Methodik 2.5 Untersuchungsmethoden 50
Tabelle 5: Standard-Wadenmuskeltest. Phase Zeit (Minuten) Kraft (%MVC) Ischämie
0:001:002:003:00 Entspannung4:00 für 10s 30%5:00 für 10s 30%6:00 für 10s 30%7:00 für 10s 30%8:00 für 10s 30%9:00 für 10s 30%
10:0011:0012:0013:0014:0015:0016:00 Entspannung17:00 für 10s 30%18:00 für 10s 30%19:00 für 10s 30%20:00 für 10s 30%21:00 für 10s 30%22:00 für 10s 30%23:00 für 10s 30%24:00 für 10s 30%25:00 für 10s 30%
Erholung 2
30%
Entspannung
Kontraktion 1(aerobe Belastung)
Erholung 1
Pause
Kontraktion 2(anaerobe Belastung) 30%
ja
nein
nein
MVC: maximum voluntary contraction; s: Sekunden.
Der Standard-Wadenmuskeltest fand am ersten Untersuchungstag in voller
Länge statt. An den Terminen II und IV wurde auf die ischämische Kontrak-
tionsphase verzichtet. Dadurch sollte einer Überanstrengung vorgebeugt
werden, um die Ergebnisse nachfolgender spektroskopischer Untersuchungen
nicht zu beeinträchtigen.
2.5.4.4 Auswertung Filterung, Verstärkung, Digitalisierung: Die Wiedergabe der Magnetbänder erfolgte wie bei der Aufzeichnung mit einem
TEAC-Bandgerät. Die Signale der S-EMG-Ableitungen wurden zehnfach ver-
Methodik 2.5 Untersuchungsmethoden 51
stärkt (Differenzverstäker Eigenbau der IfADo, Dortmund) und die relevanten
Frequenzen zwischen 5 Hz und 500 Hz herausgefiltert (Filter der Fa. Kemo-
Electronic, Langen). Zur optischen Kontrolle wurden ein Oszilliskop (Tektronix
GmbH, Köln) und ein Mehrkanalschreiber (Gould Instruments, Cleveland/Ohio,
USA) an die Hinterbandkontrolle des Magnetbandgeräts angeschlossen
(Abbildung 10:).
Abbildung 10: S-EMG und Kraft während aerober Belastung. Ausdruck des Mehrkanal-schreibers. Dargestellt sind die Signale des Oberflächen-Elektromyogramms (S-EMG) und des Kraftaufnehmers. s=Sekunden.
Die aufbereiteten analogen Signale wurden mit einer Abtast-Frequenz von 1024
Hz digitalisiert (A/D-Wandler von transtec AG, Tübingen) und im Anschluss zu-
geschnitten.
Parameter für statistische Auswertung:
Die einzelnen Amplitudenwerte wurden quadriert und für sich überlappende
Zeitintervalle (T) das Integral berechnet. Multiplikation mit dem Kehrwert der
Intervalldauer und anschließendes Ziehen der Quadratwurzel ergab die Root
Mean Square (RMS) als Kennwert der myoelektrischen Aktivität:
( ){ } ( )∫+
=Tt
t
dttEMGT
tEMGRMS 21) . (5)
Methodik 2.5 Untersuchungsmethoden 52
Die Frequenzanalyse erfolgte durch Anwendung der Fast-Fourier-Transforma-
tion (FFT) (Brigham, 1974). Die Mittenfrequenz des Leistungsdichte-Spektrums
wurde nach der Formel
[ ]∫=Hz
Hz
dffAMF500
5
2)(21
(6)
berechnet (A(f)=Amplitude der jeweiligen Frequenz).
Die für die Verarbeitung und Berechnungen eingesetzte Software (DITAL2,
AUSSTAC, 4SPEC, 4in1) war eine Eigenentwicklung des IfADo.
Bei der Auswertung der Kontraktionsphasen wurden im Abstand von 5 Sekun-
den die Mittelwerte der RMS und MF für ein Intervall von jeweils 10 Sekunden
Dauer berechnet. Die ersten und letzten 10 Sekunden der Kontraktionsphasen
wurden nicht ausgewertet, um die Ergebnisse nicht durch Kraftschwankungen
beim Einpendeln auf den Sollwert und bei zunehmender Erschöpfung am Ende
der Belastung zu verzerren (Abbildung 11).
Zeitverlauf der Kontraktionsphase
Auswerte-Intervalle
V VII
0'' 180''170''10'' 60'' 120''
XXVII XXIX XXXIXVII XIX XXI XXIIIII IV VI
XXVIX XI XIII XVI IIIXX XXIIVIII X XII XIV XXIV XXVI XXVIII XXXXVI XVIII
Abbildung 11: Auswertung S-EMG I. I-XXXI: Nummerierung der Intervalle.
Die Ergebnisse wurden über die Zeit aufgetragen und die Regressionsgerade
errechnet (Abbildung 12).
Methodik 2.5 Untersuchungsmethoden 53
Abbildung 12: Auswertung S-EMG II. Dargestellt sind für jedes Auswerte-Intervall die Mittel-werte der Mittenfrequenz (MF) und der Root Mean Square (RMS) (Kreuze) sowie die ent-sprechenden Regressiongeraden (Punkte).
Die Messdaten der Belastung während der Erholungsphasen wurden ebenfalls
in sich überschneidende Intervalle aufgeteilt. Der Intervallabstand betrug 500
ms, die Intervalldauer 1 Sekunde. Die Daten der ersten beiden und der letzen
Sekunde der zehnsekündigen Muskelbelastung wurden verworfen. Die Ergeb-
nisse für die MF und die RMS wurden gemittelt und mit der Mittelwert der ersten
drei Intervalle der vorangegangenen Kontraktionsphase verglichen.
2.5.5 31Phosphor-Magnetresonanzspektroskopie (31P-MRS) Die 31P-MRS-Messungen fanden am Deutschen Zentrum für Luft- und Raum-
fahrttechnik (DLR) in Köln-Porz statt. Die MR-Anlage vom Typ Bruker-Biospec
47/40 hatte einen Magneten mit einer Feldstärke von 4,7 Tesla und eine hori-
zontale Bohrung mit einem Durchmesser von 40 cm.
2.5.5.1 Versuchsaufbau Wadenhalter und Pedal wurden auf eine verschiebbare Liege montiert. Die
rechte Wade des Patienten wurde an ihrer dicksten Stelle auf die in den
Wadenhalter integrierte Messspule gelegt. Der Abstand zwischen Wadenhalter
und Pedal wurde der Beinlänge des Probanden angepasst. Die Lagerung des
Patienten und die Beinfixierung erfolgten analog zu den S-EMG-Messungen.
Methodik 2.5 Untersuchungsmethoden 54
Die Okklusionsmanschette wurde oberhalb des Kniegelenks angelegt und
durch zwei Schläuche mit einem Manometer und einer Pressluftflasche verbun-
den.
Für die Untersuchung wurde der Patient mit den Füßen voran in die MR-Anlage
gefahren, bis sich die Messspule im Zentrum des Magneten befand. Die Kraft
der isometrischen Plantarflexion wurde kontinuierlich durch einen Kraftauf-
nehmer und eine Messbrücke erfasst. Die digitale Kraftanzeige befand sich im
2.5.5.2 Versuchsablauf Das Versuchprotokoll unterschied sich in zwei Punkten von dem in Kapitel
2.5.4.3 beschriebenen Standard-Wadenmuskeltest. Zum einen wurde vor der
Kontraktionsphase 1 der Energiestoffwechsel eine Minute lang ohne Belastung
gemessen, um Ruhewerte zu erhalten. Des Weiteren waren aufgrund des
Messprinzips während der Erholungsphasen keine intermittierenden Belas-
tungen erforderlich. Die Okklusionmanschette wurde während der Ischämie-
phasen auf etwa 300 mmHg aufgepumpt. Der Druck konnte durch Abziehen der
Schläuche innerhalb von einer Sekunde abgelassen werden.
Methodik 2.5 Untersuchungsmethoden 55
2.5.5.3 Auswertung Eingesetzt wurde eine kombinierte Sende- und Empfangsspule mit einem
Durchmesser von 5 cm (Fa. Bruker, Karlsruhe, Deutschland). Die Resonanz-
frequenzen lagen bei 81 MHz für 31P und 200 MHz für 1H. Im Messvolumen
befanden sich neben Haut und subkutanem Fettgewebe der rechte M. gastroc-
nemius und der M. soleus. Die durch den Probanden bedingten Inhomogeni-
täten des in der Magnetröhre erzeugten Magnetfeldes wurden durch zusätzliche
Magnetfelder ausgeglichen (Shimmen). Die Überprüfung der Homogenisierung
erfolgt durch 1H-MR-Spektren.
Nach jedem Sendeimpuls wurde der freie Induktionszerfall (FID) gemessen. Die
Dauer des Aufnahmeintervalls betrug 100 ms. Bei der Digitalisierung entstan-
den 4096 Datenpunkte pro FID. Die zeitliche Auflösung der Messung lag bei 10
Sekunden pro Summen-FID bzw. Spektrum.
Der durch die Fourier-Transformation entstandene Phasenfehler wurde durch
eine interne Programmfunktion korrigiert. Die anschließende Basislinien-
korrektur erfolgte ebenfalls mittels der eingesetzten Software. Die Abzisse
wurde auf das Maximum der PCr-Resonanz kalibriert (0 ppm). Für jedes
Spektrum wurden die Integrale des PME-, Pi-, PCr- und ß-ATP-Signals berech-
net. Da das Resonanzsignal des β-ATPs zu 95 % durch ATP und nur zu 5 %
durch andere Phosphormetabolite erzeugt wird, wurde es zur Erfassung von
Veränderungen der ATP-Konzentration eingesetzt.
Methodik 2.5 Untersuchungsmethoden 56
Abbildung 14: Signale der Phosphor-Metabolite. Dargestellt sind zwei typische Spektren aus 31P-MRS-Messungen der Wadenmuskulatur eines gesunden Probanden während Ruhe und unter Belastung (Arbeit). Die Spektren sind zur besseren Übersicht vertikal versetzt angeordnet. Die Abzisse wurde auf das Maximum der PCr-Resonanz kalibriert (0 ppm). Oben rechts sind die Bandbreiten der einzelnen Signale aufgeführt (PME: Phosphomonoester, Pi: Phosphat, PCr: Phosphokreatin, ATP: Adenosintriphosphat (α, β und γ stehen für die verschiedenen Phosphat-gruppen des ATP)).
2.5.5.4 Messparameter Das Ergebnis der Maximalkraftmessung wurde in Newton notiert. Des Weiteren
wurde das Kraft-Zeit-Integral während der Belastungsphasen errechnet.
Zur Berechnung der relativen Konzentrationen der Phosphor-Metabolite wurde
die mittlere initiale Ruhekonzentration von PCr ([PCr]i) auf 100 % gesetzt. Im
Anschluss wurde das relative Verhältnis der Konzentrationen von PCr, ATP,
PME und Pi berechnet und in %[PCr]i angegeben.
Zur Abschätzung der absoluten Konzentrationen der Phosphor-Metabolite
wurde eine mittlere ATP-Ruhekonzentration von 8,2 mmol/l im Zytosol der Mus-
kelfasern angenommen (Arnold et al., 1984). Der sich daraus ergebende
Umrechnungsfaktor für die ATP-Konzentration wurde für die Berechnung der
absoluten Konzentration von PCr, PME und Pi in mmol/L verwendet.
Methodik 2.6 Statistische Auswertung 57
2.6 Statistische Auswertung
2.6.1 Tagesprotokolle Die statistische Auswertung erfolgte mit Excel 2002 (Microsoft Corporation,
Redmond, Washington, USA) und dem Add-In WinSTAT Version 2003.1 (R.
Fitch Software, Staufen, Deutschland).
Die statistische Analyse der Antworten auf die Frage, in welcher Studienphase
die Patienten sich besser fühlten, erfolgte durch den Einstichproben-t-Test zum
Signifikanzniveau α=0,05 mit dem Erwartungswert µ0=1. Die Nullhypothese
wurde formuliert als
00 : µµ =H (7)
mit der Alternative
01 : µµ ≠H . (8)
Die Teststatistik berechnete sich nach der Formel
SEMX
T 0µ−= mit ( ) ( )∑=
−−
==n
ii XX
nnnSSEM
1
2
11 und ∑
=
=n
iiX
nX
1
1 , (9)
wobei für den Standardfehler des Mittelwertes und für die empirische
Standabweichung steht. Voraussetzung für das Ablehnen der Nullhypothese
zugunsten der Alternative war ein p-Wert kleiner 0,05.
SEM S
Für die weiteren Parameter wurden unabhängig von der Gruppe die Differenzen
der Werte aus Phase A minus der Werte aus Phase B gebildet. Die Verteilung
der Ergebnisse wurde für jede Gruppe einzeln durch den Kolmogorov-Smirnow-
Test zum Testniveau α=0,05 auf signifikante Abweichungen von der Normal-
verteilung hin überprüft. Unterschiede der Varianzen zwischen beiden Gruppen
wurden durch den F-Test gemessen und bei einem p-Wert < 0,05 als signifikant
angesehen.
Die Mittelwerte der Differenzen von Gruppe 1 )( 1GD und Gruppe 2 )( 2GD
wurden durch den zweiseitigen t-Test für unverbundene Stichproben zum Sig-
nifikanzniveau α=0,05 miteinander verglichen. Die Nullhypothese
Methodik 2.6 Statistische Auswertung 58
210 : GGH µµ = (10)
wurde bei einem p-Wert < 0,05 zugunsten der Alternative
211 : GGH µµ ≠ (11)
abgelehnt. Im Falle gleicher Varianzen der beiden Gruppen berechnete sich die
Teststatistik nach der Formel
( ) ( )2
1111
21
222
211
2
21
−+⋅−+⋅−
⎟⎟⎠
⎞⎜⎜⎝
⎛+
−=
nnSnSn
nn
DDTGG
n
GG , (12)
andernfalls nach
2
22
1
21
21
nS
nS
DDTGG
GG
+
−= . (13)
Bei ungleichen Varianzen wurde die Anzahl der Freiheitsgrade durch die
Welch-Satterthwaite-Approximation
df
2
2
22
2
2
1
21
1
2
2
22
1
21
11
11
⎟⎟⎠
⎞⎜⎜⎝
⎛−
+⎟⎟⎠
⎞⎜⎜⎝
⎛−
⎟⎟⎠
⎞⎜⎜⎝
⎛+
=
G
G
GG
G
G
G
G
G
G
nS
nnS
n
nS
nS
df (14)
geschätzt.
Der geschätzte Behandlungseffekt BE ergab sich durch
( )2
21 GG DDBE −= , (15)
das dazugehörige 95 % Konfidenzintervall bei gleichen Varianzen nach
der Formel
%95KI
⎥⎦⎤
⎢⎣⎡ ⋅+⋅−= −−+−−+ 2
,2 2/1;22/1;2%95 2121
SEtBESEtBEKIGGGG nnnn αα , (16)
Methodik 2.6 Statistische Auswertung 59
wobei bei der Berechnung des Standardfehlers die gepoolte Standardab-
weichung berücksichtigt wurde:
SE
PS
( ) ( )( ) 21
21
21
222
211
21
21
211
GG
GG
GG
GGGG
GG
GGP nn
nnnn
SnSnnnnn
SSE⋅+
⋅−+
⋅−+⋅−=
⋅+
⋅= . (17)
Bei ungleichen Varianzen richtete sich der Freiheitsgrad des 1-α/2-Quantils
nach dem Ergebnis der Welch-Satterthwaite-Approximation (Rundung auf
nächst kleinere ganze Zahl). berechnete sich nach der Formel SE
2
22
1
21
G
G
G
G
nS
nS
SE += . (18)
Zur Testung auf Carry-over-Effekte wurden die Werte aus Phase A und Phase
B addiert und die Ergebnisse der beiden Gruppen mittels zweiseitigem t-Test
für unverbundene Stichproben zum Signifikanzniveau α=0,05 verglichen. Für
die Überprüfung auf Periodeneffekte erfolgte der Vergleich der Differenzen aus
Kreatinphase minus Placebophase mit dem gleichen Testverfahren.
2.6.2 Klinisch-chemische Untersuchungen und Körpergewicht Die statistische Auswertung der klinisch-chemischen Untersuchungen sowie der
S-EMG- und 31P-MRS-Parameter erfolgte mit dem Programm SPSS für
Windows Version 11.5.1 (SPSS Inc., Chicago, USA).
Die Testung auf Varianzgleichheit erfolgte mit dem Levene-Test. Bei der Über-
prüfung auf Carry-over- und Periodeneffekte wurde beim Körpergewicht der
Wert vor Studienbeginn von den Werten am Ende der Supplementationsphasen
abgezogen. Ansonsten entsprachen die Testverfahren den unter 2.6.1
beschriebenen. Verglichen wurden die Differenzen des Körpergewichtes sowie
der Serumkonzentrationen von Kreatin und CK am Ende der beiden Supple-
mentationsphasen.
2.6.3 S-EMG-Parameter
2.6.3.1 Vergleich mit Kontrollgruppe Verglichen wurden die Steigungen der Regressionsgeraden der Mittenfrequenz
und der Root Mean Square unter aerober und anaerober Belastung. Bei der
Methodik 2.6 Statistische Auswertung 60
Auswertung der Erholungsphasen wurde das prozentuale Verhältnis der
mittleren MF und RMS zu den Ausgangswerten der vorangegangenen Kontrak-
tionsphase errechnet.
2.6.3.2 Vergleich der Studiengruppen Die untersuchten Parameter waren die gleichen wie beim Vergleich der GSD-V-
Patienten mit der Kontrollgruppe. Analog zur Auswertung der Tagesprotokolle
wurden für die Gruppen 1 und 2 jeweils die Differenzen der Werte aus Phase A
minus der Werte aus Phase B gebildet. Getestet wurde auf signifikante Unter-
schiede der Ergebnisse zwischen den beiden Gruppen.
2.6.4 31P-MRS Verglichen wurden Veränderungen der vor Beginn des Standard-Waden-
muskeltests bestimmten Maximalkraft und der Kraft-Zeit-Integrale während
aerober und anaerober Belastung.
Für die weiteren im Kapitel 2.5.5.3 aufgeführten Parameter gingen jeweils die
Werte am Ende der initialen Ruhephase sowie am Ende der Belastungs- und
der Erholungsphasen in die statistische Auswertung ein. Ausnahmen bildeten
die prozentuale PCr-Konzentration und die absolute ATP-Konzentration
während der initialen Ruhephase. Die Werte wurden nicht berücksichtigt, da sie
per definitionem bei 100 % bzw. 8,2 mmol/l lagen.
3 Ergebnisse
3.1 Studienprofil Das Flussdiagramm in Abbildung 15 informiert über den Studienablauf:
20 Patienten registriert
19 Patienten randomisiert
9 Patienten in Gruppe 2 Phase A: PlazeboPhase B: Kreatin
10 Patienten in Gruppe 1Phase A: KreatinPhase B: Plazebo
10 Patienten beendeten Studie
2 Dropouts (Noncompliance)
Qualifiziert für Datenanalyse: 10 Patienten für klinische Parameter 8 Patienten für 31P-MRS-Messungen 9 Patienten für S-EMG-Messungen
7 Patienten beendeten Studie
Qualifiziert für Datenanalyse: 7 Patienten für klinische Parameter 6 Patienten für 31P-MRS-Messungen 5 Patienten für S-EMG-Messungen
Abbildung 15: Studienprofil. S-EMG: Oberflächen-Elektromyographie; 31P-MRS: 31Phosphor-Magnetresonanzspektroskopie. Von 20 registrierten Patienten konnten 19 in die Studie eingeschlossen und
randomisiert werden. Ein Patient nahm aus persönlichen Gründen nicht an der
Studie teil.
In Gruppe 1 beendeten alle 10 Patienten (2 Frauen, 8 Männer, Durchschnitts-
alter 34,6 ± 12,6 Jahre) die Studie ordnungsgemäß. In Gruppe 2 (6 Frauen, 3
Männer, Durchschnittsalter 32,8 ± 9,3 Jahre) wurden die Patientin G10 von der
Studie ausgeschlossen, da sie in der Plazebophase die Tagesdosis reduzierte.
Als Grund wurde die hohe Anzahl der einzunehmenden Kapseln angegeben.
Das Auftreten unerwünschter Wirkungen wurde auf Nachfrage hin verneint.
Patient G09 brach sich während der Phase B den rechten Femur und konnte
dadurch nicht an den S-EMG und 31P-MRS-Messungen teilnehmen. Seine
Tagesprotokolle wurden aufgrund der frakturbedingten Inaktivität nicht bei der
Ergebnisse 3.1 Studienprofil 62
statistischen Auswertung berücksichtigt. Insgesamt wurde die Kapseleinnahme
von allen Patienten ohne Nebenwirkungen vertragen.
Die Daten der Tagesprotokolle des Patienten G01 (der mit 11 Jahren jüngste
Studienteilnehmer) wurden bei der statistischen Auswertung nicht berücksich-
tigt, da der Anstieg der Schmerzepisoden während der Kreatinphase mehr als 3
Standardabweichungen vom Mittelwert abwich. Zudem gab der Patient am
Ende der Studienphase A an, davon auszugehen, in der zweiten Studienphase
Kreatin zu erhalten, da er während der vorangegangenen Wochen keine Ver-
besserung verspürt habe (eine Verschlechterung wurde nicht erwähnt). Nach
der Entblindung stellte sich heraus, dass der Patient in Phase A Kreatin erhal-
ten hatte. Die Erwartungshaltung des Patienten könnte dazu geführt haben,
dass die Schmerzepisoden in Phase B zu niedrig angegeben wurden.
Bei den Auswertungen der S-EMG-Messungen wurden die Daten von 3
Patienten (einer aus Gruppe 1, zwei aus Gruppe 2) ausgenommen. Grund war
eine zu große bzw. zu lange Abnahme der Kraft während der 3-minütigen Kon-
traktionsphasen. Die Ergebnisse der spektroskopischen Messungen waren bei
vier Patienten (drei aus Gruppe 1, einer aus Gruppe 2) aufgrund eines ungüns-
tigen Signal-Rausch-Verhältnisses (signal to noise ratio, SNR) technisch nicht
verwertbar und wurden bei den statistischen Analysen nicht berücksichtigt.
In Tabelle 6 finden sich Informationen zur Gruppeneinteilung und den bei der
statistischen Auswertung nicht berücksichtigten Messungen.
Bisher wurde nur in einer Studie die intramuskuläre ATP-Konzentration bei
GSD-V-Patienten direkt gemessen (Lofberg et al., 2001). Es fand sich kein sig-
nifikanter Unterschied im Vergleich zur gesunden Kontrollgruppe. Die Aussage-
kraft dieser Studie ist jedoch eingeschränkt, da nur vier Muskelbiopsate von
GSD-V-Patienten untersucht wurden. Die ATP-Konzentration unter Kreatin-
Diskussion 4.2 Einfluss von Kreatin auf die Maximalkraft 78
Supplementation wurde bisher nicht bestimmt. Es ist daher nicht auszu-
schließen, dass die Einnahme von Kreatin bei der Glykogenose Typ V zu einer
Veränderung der intramuskulären ATP-Konzentration führt. Dieser Frage sollte
in weiteren Studien nachgegangen werden.
Insgesamt deuten der Anstieg des Kreatin-Serumspiegels, die Ergebnisse der
Spektroskopie und die Gewichtszunahme auf eine Erhöhung des Kreatingehalts
der Skelettmuskulatur während der Kreatinphase hin, ohne dass dieser Effekt
direkt am Skelettmuskel nachgewiesen wurde.
4.2 Einfluss von Kreatin auf die Maximalkraft Kreatin führte bei den hier behandelten GSD-V-Patienten zu keiner signifikan-
ten Änderung der maximalen willkürlichen Kraft. In einigen Studien an Gesun-
den hatte die Kreatineinnahme ebenfalls keinen Effekt auf die Maximalkraft
(Bermon et al., 1998;Kreider, 2003;Terjung et al., 2000), meist zeigte sich
jedoch ein Steigerung derselben um durchschnittlich etwa 10 % (Kreider,
2003;Terjung et al., 2000;Wyss & Kaddurah-Daouk, 2000). Es muss allerdings
berücksichtigt werden, dass in der Regel die maximale Kraft bei dynamischer
Belastung gemessen wurde. In dieser Arbeit wurde hingegen die Maximalkraft
bei isometrischer Kontraktion bestimmt. Des Weiteren wurden die meisten Stu-
dien an Gesunden mit Sportlern durchgeführt und beinhalteten ein körperliches
Trainingsprogramm. Die Wirkung physischer Aktivität auf den Kreatinstoff-
wechsel wurde bereits erläutert (siehe 1.3). In dieser Arbeit wurde aufgrund des
Studiendesigns bewusst auf ein körperliches Training verzichtet, um Perioden-
effekte zu vermeiden. Die Vergleichbarkeit dieser Arbeit mit Studien an Gesun-
den ist insgesamt aus vorgenannten Gründen eingeschränkt.
Bei Myopathien führte Kreatin nur in zwei von acht randomisierten und kontrol-
lierten Studien zu einer Steigerung der Maximalkraft. Beide Studien wurden an
Jungen mit X-chromosomal vererbten Dystrophinopathien durchgeführt (Louis
et al., 2003;Tarnopolsky et al., 2004). Zu beachten ist, dass sich die
Ausschüttung von Wachstumsfaktoren und Hormonen bei Kindern von der-
jenigen bei Erwachsenen unterscheidet. Für einige dieser Hormone (Testos-
teron, Schilddrüsen- und Wachstumshormone) konnte ein regulierender Ein-
fluss auf den Kreatinstoffwechsel nachgewiesen werden (Walker, 1979;Wyss &
Diskussion 4.3 Ergebnisse der S-EMG-Messungen 79
Kaddurah-Daouk, 2000). Ein weiterer Aspekt ist die Begleitmedikation, da Kin-
der mit Dystrophinopathien in der Regel symptomatisch mit niedrig-dosierten
Kortikosteroiden behandelt werden. In vier Studien mit erwachsenen Myo-
pathie-Patienten zeigte sich mittels quantitativer Kraftmessungen keine Ände-
rung der Maximalkraft unter Kreatineinnahme (Klopstock et al., 2000;Schneider-
Gold et al., 2003;Tarnopolsky et al., 1997;Walter et al., 2002). An der hier
vorgestellten Studie nahmen nur ein Kind und eine Jugendliche teil, die übrigen
Patienten waren erwachsen. Die gleich bleibende Maximalkraft stimmt mit ent-
sprechenden Kreatinstudien bei anderen Myopathien überein.
4.3 Ergebnisse der S-EMG-Messungen Die vor Therapiebeginn zur Kontrolle durchgeführten S-EMG-Messungen
zeigten bei den GSD-V-Patienten einen im Vergleich zu Gesunden stärkeren
Anstieg der EMG-Amplitude sowohl unter aerober als auch unter anaerober
Belastung. Dieser Effekt ist vorwiegend auf die vermehrte Rekrutierung zusätz-
licher motorischer Einheiten zurückzuführen. Diese ist erforderlich, um den
durch den metabolischen Defekt bedingten stärkeren Abfall der durchschnitt-
lichen Kraft pro Aktionspotential auszugleichen (Zange et al., 2003).
Das EMG-Spektrum verschob sich wie bei Gesunden in einen niedrigeren
Frequenzbereich. Linssen et al. konnten zeigen, dass sich die Geschwindigkeit
der Erregungsausbreitung über das Sarkolemm bei Patienten mit Glykogenose
Typ V im Gegensatz zu Gesunden unter Belastung nicht ändert. Dieses Phä-
nomen wurde zum einen auf die fehlende Laktatbildung zurückgeführt (Linssen
et al., 1990). Als weitere Ursache wurde die vermehrte Rekrutierung schneller
leitender Typ-II-Fasern diskutiert (Zange et al., 2003). Bei gleich bleibender
Leitgeschwindigkeit erklärt sich die belastungsinduzierte Verschiebung des
EMG-Spektrums in einen niedrigeren Frequenzbereich durch die Synchroni-
sation bzw. Gruppierung motorischer Einheiten (siehe 1.4).
In vorangegangen S-EMG-Studien an GSD-V-Patienten wurden vergleichbare
Ergebnisse wie in der hiesigen Arbeit gezeigt (Braakhekke et al.,
1986b;Braakhekke et al., 1986a;Dyken et al., 1967;Linssen et al.,
1990;Vestergaard-Poulsen et al., 1995;Zange et al., 2003). Die hier ange-
wandte S-EMG-Methode ist daher als robust und zuverlässig anzusehen. Sie
ermöglicht die objektive Beurteilung von Therapieeffekten.
Diskussion 4.4 Ergebnisse der 31P-MRS-Messungen 80
In dieser Arbeit zeigte sich unter Kreatineinfluss ein signifikant geringerer
Anstieg der EMG-Amplitude bei isometrischer Belastung. Zur Aufrechterhaltung
der Kraft war demnach eine geringere Zunahme der elektrischen Aktivität erfor-
derlich. Dies deutet auf eine effizientere elektromechanische Kopplung und in-
direkt auf eine geringere Rekrutierung motorischer Einheiten hin. Eine mögliche
Erklärung für diesen Effekt ist der Anstieg der intramuskulären PCr-Konzentra-
tion. Hierdurch stehen dem Energiestoffwechsel der Muskulatur, insbesondere
in der Anfangsphase einer Belastung, mehr energiereiche Phosphatverbin-
dungen zur Rephosphorylierung von ATP zur Verfügung. Die Ermüdung der
innervierten Muskelfasern setzt demzufolge später ein. Dadurch müssen zur
Aufrechterhaltung der Kraft weniger motorische Einheiten rekrutiert werden.
Ein reduzierter Amplitudenanstieg könnte ferner durch eine geringere Verschie-
bung des EMG-Spektrums in einen niedrigeren Frequenzbereich bedingt sein.
Hierfür fanden sich in dieser Arbeit jedoch keine Hinweise, da der Abfall der
Mittenfrequenz durch die Kreatineinnahme nicht beeinflusst wurde.
4.4 Ergebnisse der 31P-MRS-Messungen Der Myophosphorylase-Mangel bei der Glykogenose Typ V führt zu einer Be-
einträchtigung des oxidativen und anaeroben Stoffwechsels, die sich spektro-
skopisch erfassen lässt. Beim Standard-Wadenmuskeltest zeigt sich sowohl
unter aerober als auch unter anaerober Belastung ein im Vergleich zu Gesun-
den stärkerer Abfall des PCr. Zudem ist die PCr-Erholungszeit nach Belastung
verlängert. Außerdem fällt die ATP-Konzentration während der Kontraktions-
phasen signifikant ab, insbesondere unter ischämischen Bedingungen. Auf der
anderen Seite steigt die Konzentration der Phosphomonoester durch die
Deamination von AMP zu Inosinmonophosphat an. Bei Gesunden hingegen
bleibt der intramuskuläre ATP-Gehalt während der Belastungsphasen nahezu
konstant (Zange et al., 2003).
Bei der Planung dieser Arbeit wurde ein Anstieg der intramuskulären PCr-
Konzentration unter der Kreatineinnahme erwartet. Hierfür fanden sich in der 31P-MRS Hinweise, auf die bereits eingegangen wurde. Ferner wurde ange-
nommen, dass es durch den Anstieg der PCr-Konzentration und der dadurch
bedingten Bereitstellung energiereicher Phosphatverbindungen zu einem gerin-
geren Abfall der ATP-Konzentration unter Belastung kommt. Der geringere
Diskussion 4.5 Einfluss von Kreatin auf die klinische Symptomatik 81
ATP-Abfall in der Kreatinphase war in dieser Arbeit jedoch statistisch nicht sig-
nifikant. Eine Veränderung der Konzentrationen von PME und Phosphat ließ
sich ebenfalls nicht nachweisen.
Hierbei ist zu berücksichtigen, dass durch die 31P-MRS die Konzentration von
Phosphormetaboliten in dem gesamten Gewebeausschnitt, der sich im Mess-
bereich der Spule befand, bestimmt wurde. Die Veränderungen während der
Belastungsphasen sind allerdings vorwiegend auf den gesteigerten Stoff-
wechsel der kontrahierenden Muskelfasern zurückzuführen. Diese machten nur
einen Teil der mit der Spektroskopie erfassten Muskelfasern aus, da es sich
lediglich um eine submaximale Belastung mit 30 % der Maximalkraft handelte.
Die Ergebnisse des S-EMG sprechen dafür, dass unter Kreatineinfluss während
der Belastungsphasen weniger motorische Einheiten aktiviert wurden als unter
Plazebo. Gleichzeitig zeigte sich in der Spektroskopie während der Kreatin-
phase ein unveränderter Abfall der Gesamtkonzentration von ATP in dem ge-
messenen Muskelbereich, der sowohl ruhende als auch kontrahierende Mus-
kelfasern enthielt. Dies könnte darauf hindeuten, dass der ATP-Gehalt in dem
Kompartiment der kontrahierenden Muskelfasern während der Belastung stär-
ker abfiel und dieser Effekt dem spektroskopischen Nachweis entgeht.
4.5 Einfluss von Kreatin auf die klinische Symptomatik Belastungsabhängige Myalgien, Muskelkrämpfe und Muskelkontrakturen zählen
zu den typischen klinischen Symptomen der Glykogenose Typ V und führen
neben der vorzeitigen Muskelermüdung zu einer Belastungintoleranz.
In dieser Arbeit nahm überraschenderweise die Beeinträchtigung von Alltags-
aktivitäten unter der Einnahme von Kreatin zu. Außerdem kam es zu einer sig-
nifikanten Zunahme der Muskelschmerzen. Letzterer Effekt war bedingt durch
häufigere Schmerzepisoden, Dauer und Intensität der Myalgien veränderten
sich hingegen nicht.
Diese Effekte wurden bei anderen Myopathien bislang nicht beobachtet. In fünf
Studien, an denen Patienten mit Mitochondriopathien (Klopstock et al.,
2000;Tarnopolsky et al., 1997), Myotoner Dystrophie Typ 1 (Walter et al., 2002),
Proximaler Myotoner Myopathie (Schneider-Gold et al., 2003) und Muskel-
dystrophie Typ Duchenne (Tarnopolsky et al., 2004) teilnahmen, hatte Kreatin
keinen negativen Einfluss auf die erfassten Alltagsaktivitäten. In einer Studie mit
Diskussion 4.5 Einfluss von Kreatin auf die klinische Symptomatik 82
Muskeldystrophie-Patienten zeigte sich sogar eine Verbesserung unter Kreatin
(Walter et al., 2000). Bei der Interpretation dieser Ergebnisse müssen die
genauen Ursachen für die Einschränkungen im Alltag bei den verschiedenen
Myopathien berücksichtigt werden. Bei den Muskeldystrophien stehen die pro-
gredienten Paresen im Vordergrund. Der positive Effekt von Kreatin auf die
Alltagsaktivitäten in der Studie von Walter et al. lässt sich daher am ehesten auf
die ebenfalls beobachtete Steigerung der Muskelkraft zurückführen (Walter et
al., 2000).
Von den GSD-V-Patienten, die an der hier vorgestellten Studie teilnahmen,
hatte dagegen keiner permante Paresen. Es ist daher davon auszugehen, dass
die Beeinträchtigung des Alltags durch Symptome der Belastungsintoleranz
hervorgerufen wurde. Da die vorzeitige körperliche Ermüdung durch Kreatin
nicht messbar beeinflusst wurde ist die negative Wirkung von Kreatin am
ehesten auf die Zunahme der Myalgien zurückzuführen.
Bei Gesunden wurde nur in Einzelfällen von Muskelkrämpfen unter Kreatinein-
nahme berichtet. Als mögliche Ursachen wurden die intrazelluläre Retention
von Flüssigkeit und Elektrolytverschiebungen diskutiert (Greenwood et al.,
2000;Greenwood et al., 2003;LaBotz & Smith, 1999;Terjung et al., 2000).
Greenwood et al. untersuchten in einer 2003 veröffentlichten offenen Studie
den Einfluss von Kreatin auf die Häufigkeit von Muskelkrämpfen bei 72 Foot-
ball-Spielern. Es zeigte sich, dass bei den Sportlern in der Kreatingruppe wäh-
rend der mehrmonatigen Supplementationszeit signifikant weniger Muskel-
krämpfe auftraten als bei den Probanden der Kontrollgruppe (Greenwood et al.,
2003). Auch bei verschiedenen Muskelerkrankungen traten unter Kreatin nur in
Einzelfällen Myalgien und Muskelkrämpfe auf (Klopstock et al., 2000;Schneider-
Gold et al., 2003;Tarnopolsky & Martin, 1999).
Zusammengefasst sind Muskelschmerzen und Muskelkrämpfe nur selten auf-
tretende Nebenwirkungen einer Kreatin-Supplementation. Der zugrunde liegen-
de Pathomechanismus sowie prädisponierende Faktoren sind bisher nicht aus-
reichend geklärt (Greenwood et al., 2003). Das häufigere Auftreten von
Myalgien bei Patienten mit Glykogenose Typ V deutet darauf hin, dass ein
Zusammenhang zwischen der Zunahme der Schmerzsymptomatik und der
Pathophysiologie der Erkrankung besteht.
Diskussion 4.5 Einfluss von Kreatin auf die klinische Symptomatik 83
Muskelschmerzen treten bei Patienten mit Glykogenose Typ V in zeitlichem
Zusammenhang mit isometrischer und intensiver dynamischer Belastung auf.
Bei Gesunden greift die Muskulatur unter diesen Bedingungen auf Glykogen als
Substrat des anaeroben und oxidativen Energiestoffwechsels zurück. Bei der
GSD V hingegen ist der Glykogenabbau durch die fehlende bzw. reduzierte
Aktivität der Myophosphorylase gehemmt. Der dadurch bedingte Substrat-
mangel kann durch andere Stoffwechselwege nicht vollständig kompensiert
werden. Es kommt daher zu einem Abfall der ATP-Konzentration und zu einem
Anstieg von ADP und Phosphat. Diese Effekte lassen sich spektroskopisch
nachweisen (DiMauro et al., 2002;Zange et al., 2003). Eine unzureichende
Bereitstellung von ATP für den kontraktilen Apparat reicht jedoch zur Erklärung
der Belastungsintoleranz alleine nicht aus (Edwards & Wiles, 1981;Rowland et
al., 1965). Es werden vielmehr zusätzliche komplexe Störungen kontraktiler
Proteine, der intrazellulären Ca2+-Homöostase, sowie eine Dysbalance
zwischen Energiebereitstellung und ATP-verbrauchenden Prozessen der
Skelettmuskulatur vermutet (DiMauro et al., 2002;Vorgerd, 1999).
Neben den biochemischen Auswirkungen des Stoffwechseldefektes werden bei
der GSD V auch Veränderungen der Schmerzenstehung auf nozizeptiver
Ebene und Störungen der Schmerzverarbeitung angenommen. Über welche
Mechanismen es bei der Glykogenose Typ V zu einer Aktivierung der in der
Muskulatur und den Sehnen lokalisierten nozizeptiven Nervenfasern kommt
wurde bisher nicht systematisch untersucht. Nozizeptoren werden durch
mechanische und chemische Stimuli erregt. Die erhöhte CK-Konzentration im
Serum bei Patienten mit GSD V deutet auf eine strukturelle Schädigung von
Muskelfasern bzw. eine (temporäre) Störung der Integrität des Sarkolemms hin.
Wahrscheinlich kommt es dadurch zu einer Freisetzung verschiedener Nozi-
zeptoren-erregender Substanzen aus dem Zellinneren in das Interstitium. Eine
weitere mögliche Ursache ist die Ausschüttung von analgetisch wirksamen
Zytokinen, Kininen, Prostaglandinen, Leukotrienen und schmerzverstärkenden
Mediatoren aus Myozyten und Immunzellen (Hedenberg-Agnusson et al.,
2001;Le Bars & Adam, 2002;Tomiya et al., 2004). Bei Muskelkontrakturen ist
ferner eine mechanische Erregung der Nozizeptoren durch Verkürzung und
Schwellung der Muskulatur sowie durch Dehnung der Sehnen anzunehmen.
Diskussion 4.5 Einfluss von Kreatin auf die klinische Symptomatik 84
In dieser Arbeit zeigte sich anhand der Tagebucheintragungen der Patienten
eine deutliche Verschlechterung der Belastungsintoleranz unter der Kreatinein-
nahme. Die elektromyographischen Messungen ergaben hingegen eine Ver-
besserung der elektromechanischen Kopplung, die am ehesten auf eine ver-
minderte Rekrutierung motorischer Einheiten zurückzuführen ist. Daher besteht
scheinbar ein Widerspruch zwischen der Zunahme der klinischen Beschwerden
und den Ergebnissen des S-EMG. Dieser lässt sich auflösen, wenn eine Beein-
trächtigung von metabolischen Kompensationsmechanismen in Betracht gezo-
gen wird, die zu einem gesteigerten Verbrauch der Energiereserven der kontra-
hierenden Muskelfasern führt. Dadurch würde auch erklärt, warum sich unter
Belastung trotz einer geringeren Anzahl von aktivierten motorischen Einheiten
spektroskopisch die gleichen Veränderungen wie unter Plazebo zeigten. Zange
et al. vermuteten bereits aufgrund von spektroskopischen und elektro-
myographischen Studien, dass bei der GSD V die metabolische Erschöpfung
einzelner Muskelfasern zu einer Beeinträchtigung der Kontraktion des gesam-
ten Muskels führt. Sie sahen darin die Ursache für die vorzeitige Muskel-
ermüdung und das Auftreten von schmerzhaften Muskelkontrakturen (Zange et
al., 2003). Die Verstärkung dieses Effektes durch die hochdosierte Einnahme
von Kreatin ist eine mögliche Erklärung für die Zunahme der Belastungs-
intoleranz.
Zu den Kompensationsmechanismen, die bei der Glykogenose Typ V einer
metabolischen Erschöpfung entgegenwirken, zählt unter anderem die Aktivie-
rung der AMP-aktivierten Proteinkinase (AMPK). Die AMPK-Kaskade wird
durch einen Abfall des intrazellulären ATP/AMP-Verhältnisses aktiviert. Sie
wirkt durch eine Regulation von anabolen und katabolen Stoffwechselwegen
einem weiteren ATP-Abfall entgegen (Hardie et al., 1999;Hardie et al., 2003).
Bei der Glykogenose Typ V steigt die Aktivität der intramuskulären AMPK unter
Belastung stärker an als bei Gesunden (Nielsen et al., 2002). Eine Beeinträchti-
gung dieser Anpassungsreaktion durch die Supplementation von Kreatin ist
durch Interaktionen zwischen dem Kreatin/PCr/CK-System und der AMPK
möglich:
PCr ist ein allosterischer Inhibitor der AMPK (Winder, 2001). Kreatin hat keinen
direkten Einfluss auf die Aktivität der AMPK, verhindert jedoch die Hemmung
der AMPK-Aktivität durch PCr. Dieser Effekt ist allerdings pH-abhängig. Bei
Diskussion 4.5 Einfluss von Kreatin auf die klinische Symptomatik 85
Gesunden führt der Abfall des intrazellulären pH-Wertes bei Belastung dazu,
dass die PCr-bedingte Hemmung der AMPK-Aktivität nahezu vollständig durch
Kreatin aufgehoben wird. Bei der Glykogenose Typ V hingegen nimmt die Inhi-
bition der AMPK durch PCr aufgrund des Anstiegs des pH-Wertes zu (Ponticos
et al., 1998).
Der Effekt einer Kreatin-Supplementation auf die Aktivität der AMPK wurde bei
der GSD V bisher nicht untersucht. Es ist anzunehmen, dass ein Anstieg der
intramuskulären PCr-Konzentration zu einer stärkeren Inhibition der AMPK
unter Belastung führt. Dies könnte indirekt zu einem stärkeren Abfall der intra-
zellulären ATP-Konzentration beitragen und dadurch die Belastungsintoleranz
verstärken. Zur Überprüfung dieser Theorie sind jedoch weitere Studien erfor-
derlich.
Neben einer Beeiträchtigung des muskulären Energiemetabolismus ist auch der
Einfluss von Kreatin auf den Fettstoffwechsel als Ursache der Beschwerde-
zunahme in Betracht zu ziehen. Die Muskulatur von GSD-V-Patienten greift
insbesondere bei länger anhaltender Belastung vermehrt auf Triglyceride aus
dem Serum zurück, um die Hemmung der Glykogenolyse zu kompensieren.
Diese Form der Belastung wurde im Rahmen dieser Arbeit nicht näher unter-
sucht.
In einer vorangegangen Studie zeigte sich bei einem GSD-V-Patienten eine
Steigerung der Muskelleistung durch eine fettreiche Diät. Dieser Effekt wurde
auf einen Anstieg der freien Fettsäuren im Serum zurückgeführt (Viskoper et al.,
1975). Andererseits wurde die Verschlechterung der Ausdauerleistung nach
Einnahme verzweigtkettiger Aminosäuren durch eine Senkung der Serum-
konzentration der Triglyceride erklärt (MacLean et al., 1998).
In dieser Arbeit wurden die freien Fettsäuren im Serum nicht bestimmt. Kreatin
führte jedoch bei Patienten mit Hypercholesterinämie zu einer Senkung des
Triglycerid-Spiegels im Serum um etwa 25 % (Earnest et al., 1996). Es gibt
somit Hinweise dafür, dass Kreatin direkt oder indirekt den Fettstoffwechsel
beeinflusst. Dies könnte bei Patienten mit Glykogenose Typ V den Mangel an
Substraten für den Energiestoffwechsel verstärken und zur Verschlechterung
der Belastungsintoleranz beitragen.
Diskussion 4.6 Fazit 86
In der Pilotstudie erhielten die GSD-V-Patienten Kreatin in einer niedrigeren
Dosierung (Vorgerd et al., 2000). Hierunter gab nur einer von neun Patienten
auf der Muscle Cramp Scale (MCS) häufigere Muskelkrämpfe im Vergleich zur
Plazebophase an. Die Skala der MCS unterschied allerdings nur zwischen:
keine Krämpfe, weniger als ein Krampf pro Woche, zwei bis sieben Krämpfe pro
Woche und mehr als sieben Krämpfe pro Woche. Die Sensitivität des MCS ist
daher nicht mit den in dieser Arbeit eingesetzten Tagesprotokollen zu
vergleichen. Zudem fand die Befragung retrospektiv am Ende der Studien-
phasen statt.
Die Probanden der Pilotstudie wurden jedoch zusätzlich nach ihrem subjektiven
Empfinden befragt. Die Angaben erfolgten wie bei der MCS retrospektiv.
Hierbei gaben fünf von neun Patienten einen Rückgang der Schmerzintensität
und vier Patienten eine geringere Schmerzfrequenz unter Kreatin an. In der
Plazebophase hatten nur zwei Patienten subjektiv mildere und ein Patient
seltener Muskelschmerzen. Die Aussagekraft dieser Ergebnisse ist aufgrund
der Methodik und der geringen Probandenzahl eingeschränkt. Es lässt sich
allerdings nicht ausschließen, dass Kreatin in niedriger Dosierung zu einer
Besserung der Myalgien führt. Eine endgültige Stellungnahme zum Einsatz von
Kreatin bei der Glykogenose Typ V ist daher erst nach Überprüfung dieser
Ergebnisse bzw. nach Durchführung einer Dosisfindungsstudie möglich.
4.6 Fazit Die Glykogenose Typ V ist eine seltene, erbliche Stoffwechselerkrankung der
Skelettmuskulatur, für die bislang keine kausale Therapie existiert. Im Vorder-
grund der klinischen Symptomatik stehen Zeichen der Belastungsintoleranz in
Form von Schmerzen, Verkrampfungen, Steifigkeit und vorzeitiger Ermüdung
der beanspruchten Muskulatur. Eine Therapie sollte daher eine Besserung
dieser Beschwerden bewirken.
Kreatin führte in einer Dosierung von 150 mg pro Kilogramm Körpergewicht bei
den Patienten zu einem Anstieg der Kreatinkonzentration im Serum. Ferner
fanden sich Hinweise auf eine Erhöhung des Kreatingehalts der Muskulatur.
Elektromyographisch zeigte sich unter isometrischer Belastung eine effizientere
elektromechanische Kopplung. Ein Einfluss auf belastungsinduzierte Verände-
rungen des Energiestoffwechsels ließ sich spektroskopisch nicht nachweisen.
Diskussion 4.6 Fazit 87
Andererseits bewirkte Kreatin eine Verschlechterung der klinischen Beschwer-
desymptomatik. Diese war bedingt durch eine Zunahme der Myalgien und eine
stärkere Beeinträchtigung von Alltagsaktivitäten. Möglicherweise führt die
Kreatineinnahme zu einer Störung von metabolischen Kompensations-
mechanismen, die dem Ausgleich der gehemmten Glykogenolyse dienen. Zur
Aufklärung der zugrunde liegenden Pathomechanismen sind weitere Studien
erforderlich.
Aufgrund der negativen Wirkung auf klinische Parameter kann eine Therapie
der Glykogenose Typ V mit Kreatin in der eingesetzten Dosierung nicht
empfohlen werden.
5 Zusammenfassung
Die Glykogenose Typ V ist eine seltene metabolische Myopathie, bei der Muta-
tionen im Myophosphorylase-Gen zu einer Hemmung des Glykogenabbaus in
der Skelettmuskulatur führen. Die Klinik ist geprägt durch Zeichen der Belas-
tungsintoleranz in Form von Myalgien, vorzeitiger Ermüdung, Steifigkeit und
Schwäche der beanspruchten Muskulatur. Eine kausale Therapie ist bislang
nicht möglich.
Die Einnahme von Kreatin führt bei Gesunden zu einer Steigerung der Muskel-
leistung. Diese wird auf eine Bereitstellung energiereicher Phosphat-verbin-
dungen für den intramuskulären Energiemetabolismus und auf eine Erhöhung
der fettfreien Masse zurückgeführt.
In einer Pilotstudie wurde erstmals die Wirkung von Kreatin bei der Glykoge-
nose Typ V untersucht. Neun Patienten erhielten während der Verumphase in
der ersten Woche täglich 150 mg und im Anschluss über vier Wochen täglich
60 mg Kreatin pro Kilogramm Körpergewicht. Hierunter zeigten sich eine
Steigerung der Muskelleistung und eine Besserung der klinischen Beschwer-
den.
In dieser Arbeit wurden im Rahmen einer doppelblinden, Plazebo-kontrollierten
crossover-Studie die Ergebnisse der Pilotstudie an einem größeren Patienten-
kollektiv überprüft. 19 Patienten mit genetisch gesicherter GSD V erhielten in
der Verumphase fünf Wochen lang 150 mg Kreatin pro Kilogramm Körper-
gewicht. Während der Supplementationsphasen führten die Patienten ein
Tagebuch über Muskelschmerzen, Beeinträchtigungen im Alltag und vorzeitige
Muskelermüdung. Am Ende der jeweiligen Studienphasen fanden elektro-
myographische und spektroskopische Messungen bei aerober und anaerober
isometrischer, submaximaler Belastung statt.
Unter der Kreatineinnahme kam es zu einem Anstieg der Kreatinkonzentration
im Serum. Die Gewichtszunahme unter Kreatin und der spektroskopsch mess-
bare Anstieg der PCr-Konzentration in der Erholungsphase nach stattgehabter
Belastung deuten auf eine Erhöhung des intramuskulären Kreatingehalts hin.
Im S-EMG zeigte sich unter isometrischer Belastung ein geringerer Anstieg der
EMG-Amplitude als Hinweis für eine effizientere elektromechanische Kopplung.
Zusammenfassung 89
Die Kreatineinnahme hatte keinen Einfluss auf den Abfall der ATP- und PCr-
Konzentration während der jeweiligen Belastungsphasen. Der Anstieg von PME
und anorganischem Phosphat blieb ebenfalls unverändert. Anhand der Tage-
bucheinträge konnte eine Zunahme der Muskelschmerzen und eine stärkere
Beeinträchtigung von Alltagsaktivitäten nachgewiesen werden. Möglicherweise
führt die Kreatineinnahme zu einer Störung von metabolischen Kompensati-
onsmechanismen, die dem Ausgleich der gehemmten Glykogenolyse dienen.
Die Aufklärung der zugrunde liegenden Pathomechanismen erfordert weitere
Studien.
Aufgrund der negativen Wirkung auf klinische Parameter kann eine Therapie
der Glykogenose Typ V mit Kreatin in der eingesetzten hohen Dosierung nicht
empfohlen werden.
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7 Anhang
Tagebucheintragungen und Laborergebnisse der Patienten (G1-20):