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Fachbereich Mathematik Universitat Siegen
Theorieund Praxisfur Karrierenvon morgen
Theorie und Losung partieller Differenzialgleichungen
1.1 Mathematische Modellierung des Transports von Fl ussigkeiten
Im weiteren Verlauf wird ein mit einer Flussigkeit gefullter Schlauch betrachtet, wobei die folgenden wei-
teren Bedingungen erfullt seien:
(i) Der Schlauch wird zur Vereinfachung als halb unendlich lang angenommen und verlaufe
von x = 0 bis x = ∞.
(ii) Es wird außerdem noch angenommen, dass es sich um eine inkompressible Flussigkeit
handelt, sie kann also nicht komprimiert werden.
(iii) Am linken Ende des Schlauches, also bei x = 0, wird ab dem Zeitpunkt t = 0 mit
konstanter Geschwindigkeit c > 0 weitere Flussigkeit in den Schlauch gepumpt.
(iv) In der Flussigkeit selbst befinde sich eine Substanz, etwa Salz in geloster Form oder Farb-
partikel. Diese Substanz schwebt in der Flussigkeit und bewegt sich mit der gleichen Ge-
schwindigkeit wie diese fort.
(1.1)
Teil (iii) in (1.1) zusammen mit der angenommenen Inkompressibilitat hat zur Folge, dass sich die Flussig-
keit und mit ihr die Substanz in gesamten Schlauch mit einer konstanten Geschwindigkeit c > 0 fortbe-
wegen. Dies bedeutet, dass beide sich vom einem beliebigen Zeitpunkt t1 ∈ [ 0, T ) bis zu einem anderen
beliebigen Zeitpunkt t2 mit t1 < t2 ≤ T uberall um die Strecke ..................................................................................... x = c(t2 − t1 ) nach rechts bewegen.
Die Konzentration der Substanz wird im Folgenden mit u(x, t) bezeichnet und hangt sowohl von der Po-
sition x im Schlauch als auch vom betrachteten Zeitpunkt t ≥ 0 ab. Angegeben wird die Konzentration
..................................................................... t) = u(x, t) fur x ≥ 0. (1.5)
Werden nun die in der Identitat (1.5) auftretenden Funktionen nach ..................................................................................... t differenziert, so erhalt man
..................................................................... t ≥ 0. (1.6)
Der Grenzubergang ..................................................................................... t→ 0 in (1.6) liefert schließlich die Transportgleichung
(c∂u
∂x+
∂u
∂t
)(x, t) = 0 fur x ≥ 0, t ≥ 0. (1.7)
Bemerkung 1.1 Es handelt sich bei der Transportgleichung (1.7) um ein Anfangs-Randwertproblem fur
eine lineare partielle Differenzialgleichung erster Ordnung mit konstanten Koeffizienten fur die ge-
suchte Funktion u. Als partielle Differenzialgleichung bezeichnet man sie wegen der auftretenden unter-
schiedlichen partiellen Ableitungen. Dabei handelt es sich lediglich um partielle Ableitungen erster Ord-
nung, so dass man die partielle Differenzialgleichung als von erster Ordnung bezeichnet. Weiterhin stellt fur
zwei Losungen u und v sowie reellen Koeffizienten a1 und a2 auch die Funktion a1u+a2v eine Losung der
Transportgleichung dar, weswegen diese als linear bezeichnet wird. Die auftretenden Koeffizienten schließ-
lich hangen nicht von der auftretenden Variablen ab, sie sind also konstant. M
1.1.1 Allgemeine Losung der raumlich halbunendlichen Transportgleichung
Es werden nun die Losungen der raumlich halbunendlichen Transportgleichung (1.7) bestimmt. Hierzu fuhrt
Es wird wieder ein mit einer Flussigkeit gefullter Schlauch betrachtet, wobei nun die folgenden weiteren
Bedingungen erfullt seien:
• Der Schlauch wird als endlich lang angenommen und verlaufe von x = 0 bis x = L, wobei L > 0 eine
reelle Zahl ist.• In der Flussigkeit selbst befinde sich eine Substanz. Die Konzentration dieser Substanz wird wie bis-
her mit u(x, t) bezeichnet und hangt wiederum sowohl von der Position x im Schlauch als auch vom
betrachteten Zeitpunkt t ≥ 0 ab.
Anders als bisher liege nun die Situation vor, dass die Substanz durch die im Schlauch befindliche Flussigkeit
wandern (diffundieren) kann.
Im weiteren Verlauf sind die Großen Fluss q(x, t) und die Masse der in der Flussigkeit vorhandenen Sub-
stanz von Bedeutung. Diese beiden Großen werden zunachst erlautert sowie deren funktionalen Zusam-
menhange beschrieben.
• Die Masse der Substanz in einem beliebigen Teilstuck [x, x + ..................................................................................... x ] ⊂ [0, L ] des Schlauches besitzt die
DarstellungZ x+................
..................................................................... x
xu(y, t) dy =: M (t). (1.8)
Hierbei hangt die Masse M naturlich auch noch von x und x+ ..................................................................................... x ab und wird beispielsweise in Milli-
gramm angegeben.• Bei dem Fluss q(x, t) handelt es sich um die Menge der Substanz, die zum Zeitpunkt t den Ort x von
links nach rechts pro Zeiteinheit passiert. Angegeben wird der Fluss beispielsweise in Milligramm pro
Sekunde. Somit stimmt der Fluss q(x, t) mit dem Wert uberein, den man erhalt, wenn man Menge der
Substanz, die in der Zeit von t bis t + ..................................................................................... t durch den Ort x bewegt, durch ................
..................................................................... t dividiert und hierfur an-
schließend den Grenzwert fur ..................................................................................... t→ 0 bildet. Fliesst die Substanz von rechts nach links, so fallt der Fluss
negativ aus.• Es soll Massenerhaltung gelten, die zeitliche Anderung der Masse darf also nur von der Differenz
Division in (1.10) durch ..................................................................................... x und ein anschließender Grenzubergang ................
..................................................................... x→ 0 liefert die Identitat
∂u
∂t(x, t) = −∂q
∂x(x, t) fur x ∈ [0, L], t > 0. (1.11)
Diese eine Erhaltungsgleichung legt die Funktionen u und q noch nicht in eindeutiger Weise fest, fur den
Fluss sind weitere Annahmen notig.
Allgemein wird hierzu noch ein funktioneller Zusammenhang zwischen den Funktionen∂u
∂xund q von der
Form
q = −ϕ( ∂u
∂x
)mit ϕ : R → R monoton wachsend, ϕ(0) = 0, (1.12)
angenommen, wobei die Funktion ϕ als bekannt vorausgesetzt wird. Diese Beziehung (1.12) wird als Dif-fusionsgesetz bezeichnet. Die spezielle Forderung an die Funktion ϕ ist plausibel und lasst sich fur eine
ruhende Flussigkeit schnell einsehen. Dort ist das Konzentrationsgefalle∂u
∂xalleine fur die Anderung der
Konzentration selbst verantwortlich. Unterstellt man noch, dass die Substanz sich gleichverteilen mochte,
so bewirkt jede Ungleichheit der Konzentration beziehungsweise jedes Konzentrationsgefalle einen Fluss
der Substanz in Richtung des Ortes mit kleinerer Konzentration.
Das einfachste Diffusionsgesetz besagt nun, dass der Fluss q linear vom Konzentrationsgefalle∂u
∂xabhangt,
q(x, t) = −c2 ∂u∂x
(x, t) fur x ∈ [0, L], t > 0. (1.13)
Hierbei ist c2 > 0 eine materialspezifische Konstante, die auch als Diffusionskonstante bezeichnet wird.
Typischerweise bestimmt man sie durch Messungen. Partielle Differentiation nach x in der Gleichung (1.13)
und ein anschließendes Einsetzen des Ergebnisses in (1.10) liefert schließlich die Diffusionsgleichung
∂u
∂t(x, t) = c2
∂2u
∂x2(x, t) fur x ∈ [0, L], t > 0. (1.14)
Es sei nun noch die ortliche Verteilung der Konzentration zum Anfangszeitpunkt t = 0 als bekannt voraus-
gesetzt, die Werte
u(x, 0) = u0(x) fur x ∈ [0, L] (1.15)
seien also gegeben. Ausserdem seien an den Randern noch Bedingungen an die Konzentration gegeben,
beispielsweise
u(0, t) = β1(t), u(L, t) = β2(t) fur t ≥ 0 (1.16)
mit vorgegebenen Funktionen β1, β2 : R + → R. In Abbildung 1.2 sind die vorgegebenen Daten des
Anfangs Randwertproblems fur die Diffusionsgleichung in der Orts Zeit Ebene dargestellt.
Bemerkung 1.2 (a) Es handelt sich bei der Diffusionsgleichung (1.14) um eine lineare partielle Diffe-renzialgleichung zweiter Ordnung mit konstanten Koeffizienten fur die gesuchte Funktion u. Diese
Bezeichnungen ergeben sich genauso wie die entsprechenden Bezeichnungen fur die Transportgleichung
in Bemerkung 1.1 auf Seite 2. Die Ordnung Zwei der partiellen Differenzialgleichung ergibt sich aus der
hochsten auftretenden partiellen Ableitung. Wegen der auftretenden Randbedingungen (1.16) und der An-
fangsbedingung (1.15) spricht man kurz von einem Anfangs Randwertproblem. In anderen Anwendun-
gen konnen aber durchaus Anfangs und Randbedingungen von anderer Form auftreten konnen.
Abschnitt 1.3 Die Fouriersche Methode f ur die Diffusionsgleichung 5
Abbildung 1.2: Darstellung der Situation bei einem Anfangs-Randwertproblem fur die Diffusionsgleichung
in der Orts-Zeit-Ebene
(b) Zur Theorie der partiellen Differenzialgleichungen gehort die Diskussion der Existenz, der Eindeutig-
keit sowie der stetigen Abhangigkeit von den Anfangs- und den Randwerten. Fur die Diffusionsgleichung
werden diese Fragen in den Abschnitten 1.3 und 1.8 behandelt.
M
1.3 Die Fouriersche Methode f ur die Diffusionsgleichung
Im Folgenden wird das Anfangs Randwertproblem fur die Diffusionsgleichung (1.14) (1.16) betrachtet
fur homogene Randbedingungen u1(t) = u2(t) = 0 fur t ≥ 0. Es liegt somit das folgende Anfangs
Randwertproblem vor:
∂u
∂t(x, t) = c2
∂2u
∂x2(x, t) fur x ∈ [0, L], t ≥ 0,
u(0, t) = u(L, t) = 0 fur t ≥ 0,
u(x, 0) = u0(x) fur x ∈ [0, L].
(1.17)
Die Nullrandbedingungen erlauben einen speziellen Losungsweg, der im Folgenden vorgestellt wird. Er
beruht auf dem Ansatz der Trennung der Veranderlichen
u(x, t) = X(x)T (t), x ∈ [0, L], t ≥ 0, (1.18)
wobei auch von der Separation der Veranderlichen gesprochen wird. Dieser geschieht zunachst zur Ge-
winnung von allgemeinen Losungen der Diffusionsgleichung, Nullrand- und Anfangsbedingungen spielen
also zunachst keine Rolle. Einzelheiten hierzu werden im nachfolgenden Abschnitt 1.3.1 vorgestellt. In Ab-
schnitt 1.3.2 werden dann die vorgegebenen Randbedingungen berucksichtigt, und in Abschnitt 1.3.3 wird
eine Superposition der gewonnenen Losungen unter Anpassung der auftretenden Koeffizienten vorgenom-
men. Dies liefert schließlich die Losung des Anfangs Randwertproblems (1.17).
6 Kapitel 1 Transport und Diffusion
1.3.1 Trennung der Veranderlichen
Als Erstes werden Bedingungen an die Funktionen X : [0, L ] → R und T : R + → R hergeleitet, so dass
die zugehorige Funktion u aus (1.18) die Diffusionsgleichung∂u
∂t(x, t) = c2
∂2u
∂x2(x, t) fur x ∈ [0, L], t > 0
lost; Nullrand- und Anfangsbedingungen spielen also zunachst kein Rolle. Hierzu berechnet man ausgehend
von dem Ansatz (1.18) zunachst
∂u
∂t(x, t) = X(x)T ′(t),
∂2u
∂x2(x, t) = X ′′(x)T (t) fur x ∈ [0, L], t > 0,
so dass fur die Erfullung der Diffusionsgleichung notwendigerweise
c2X ′′(x)
X(x)=
T ′(t)
T (t)fur x ∈ [0, L], t > 0 (1.19)
gelten muss. Fur den Moment sei hierbei X (x) 6= 0 und T (t) 6= 0 fur alle x ∈ [0, L], t > 0 angenommen.
Diese Restriktion kann spater wieder fallen gelassen werden. Es ist nun so, dass die linke Seite der Identitat
(1.19) lediglich von der Ortsvariablen x und nicht von der Zeitvariablen t abhangt, und bei der rechten Seite
verhalt es sich genau umgekehrt. Dies bedeutet aber, dass beide Seiten der Identitat (1.19) notwendigerweise
konstant sein mussen, es gilt also
c2X ′′(x)
X(x)=
T ′(t)
T (t)= −s2 fur x ∈ [0, L], t > 0, (1.20)
mit einer noch zu spezifizierenden reellen Konstanten s2 > 0. Denkbar ware hier auch, in (1.20) auch
Konstanten s2 > 0 anstelle −s2 < 0 zuzulassen. Im Verlauf der weiteren Berechnungen stellt sich jedoch
heraus, dass sich damit die Randbedingungen nicht erfullen lassen. Daher kann man sich auch gleich auf
positive Konstante s2 beschranken, wobei sich durch die Verwendung von s2 > 0 anstelle von s > 0 die
Notation vereinfachen wird. Die Darstellung (1.20) fuhrt unmittelbar auf die beiden Gleichungen
X ′′(x) +( s
c
)2X(x) = 0 fur x ∈ [0, L], (1.21)
T ′(t) + s2T (t) = 0 fur t > 0. (1.22)
Bemerkung 1.3 Bei den Gleichungen (1.21) handelt es sich um lineare gewohnliche Differenzialglei-chungen zweiter Ordnung mit konstanten Koeffizienten fur die gesuchten Funktion X : [0, L ] → R.
Als gewohnliche Differenzialgleichung bezeichnet man sie, da die gesuchte Funktion X lediglich von einer
Veranderlichen abhangt und neben X noch Ableitungen von X in der Gleichung auftreten. Die weiteren
Bezeichnungen ergeben sich genauso wie die entsprechenden Bezeichnungen fur die Transportgleichung in
Bemerkung 1.1 auf Seite 2. Insbesondere ubersteigen die Hohe der auftretenden Ableitungen den Wert Zwei
nicht, weswegen man die gewohnliche Differenzialgleichung als von zweiter Ordnung bezeichnet.
Ganz entsprechend bezeichnet man die Gleichung (1.22) als lineare gewohnliche Differenzialgleichungerster Ordnung mit konstanten Koeffizienten fur die gesuchte Funktion T : [0, L ] → R. M
Losungen der gewohnlichen Differenzialgleichung (1.21) gewinnt man durch einen Exponentialansatz
X(x) = eλx fur x ∈ [0, L] (1.23)
mit einem zu bestimmenden Koeffizienten λ ∈ C. Zweimalige Differentiation in (1.23) liefert
X ′′(x) = λ2 eλx fur x ∈ [0, L],
Abschnitt 1.3 Die Fouriersche Methode f ur die Diffusionsgleichung 7
und die gewohnliche Differenzialgleichung (1.21) fur die gesuchte Funktion X geht dann uber in
[λ2 +
( sc
)2 ]eλx fur x ∈ [0, L]. (1.24)
Division in (1.24) durch den in jedem Fall von Null verschiedenen Wert eλx fuhrt auf die Bestimmungsglei-
chung λ2 = −(s/c)2, die eine Losung
λ = λs = isc
besitzt. Naturlich existiert noch eine zweite Losung λ = −is/c, die letztlich jedoch auf keine weiteren
reellwertigen Losungen der betrachteten gewohnlichen Differenzialgleichung (1.21) fuhrt. Der Exponenti-
alansatz (1.23) liefert also zu der gewohnlichen Differenzialgleichung (1.21) die komplexwertige Losung
Xs(x) = ei(s/c)x fur x ∈ [0, L].
Gesucht sind jedoch reellwertige Losungen der gewohnlichen Differenzialgleichung (1.21). Diese erhalt
man durch Heranziehung des Real und des Imaginarteils der Funktion Xs
Re Xs(x) = cos( (s/c)x), Im Xs(x) = sin( (s/c)x) fur x ∈ [0, L].
Diese Vorgehensweise ist allerdings nur deshalb zulassig, weil die in (1.21) auftretenden Koeffizienten reell
sind.
Eine Losung der gewohnlichen Differenzialgleichung (1.22) fur die gesuchte Funktion T gewinnt man eben-
falls durch einen Exponentialansatz
T (t) = eµt fur t ≥ 0 (1.25)
mit einem zu bestimmenden Koeffizienten µ ∈ R. Einmalige Differentiation in (1.25) liefert
T ′(t) = µeµt fur t ≥ 0,
und die gewohnliche Differenzialgleichung (1.22) fur die gesuchte Funktion T geht dann uber in
(µ + s2 )eµt fur t ≥ 0. (1.26)
Division in (1.26) durch den in jedem Fall von Null verschiedenen Wert eµt fuhrt auf die Losung
µ = µs = −s2. (1.27)
Der Exponentialansatz (1.25) liefert also zu der gewohnlichen Differenzialgleichung (1.22) fur die gesuchte
Funktion T die reellwertige Losung
Ts(t) = e−s2t fur t ≥ 0.
Die so gewonnenen Losungen der Diffusionsgleichung haben also die Form
Re Xs(x)Ts(t) = cos( (s/c)x)e−s2t fur x ∈ [0, L], t ≥ 0 ,
Im Xs(x)Ts(t) = sin( (s/c)x)e−s2t.................... .
8 Kapitel 1 Transport und Diffusion
1.3.2 Anpassung an die Randbedingungen
In diesem Abschnitt werden diejenigen Werte von s bestimmt, fur die Nullrandbedingungen aus (1.17)
erfullt sind. Wegen Ts(t) 6= 0 fur alle t ≥ 0 ist klar, dass man die Betrachtungen auf die Funktion Xs
beschranken kann. Dabei kommt wegen Re Xs(0) = cos 0 = 1 6= 0 nur der Imaginaranteil Im Xs in
Frage. Hier ist in x = 0 die Randbedingung stets erfullt,
Im Xs(0) = sin 0 = 0.
In dem Punkt x = L fuhrt die Randbedingung auf
Im Xs(L) = sin( (s/c)L) = 0,
was fur sL/c ∈ π, 2π, 3π, . . . erfullt ist. Letzteres umformuliert bedeutet
s ∈ k cπL
: k = 1, 2, . . ..
Somit stellen die Funktionen
uk(x, t) := sin(k
πLx)e−(kcπ/L)2t fur x ∈ [0, L], t ≥ 0,
k = 1, 2, . . . ,
(1.28)
jeweils Losungen der Diffusionsgleichung dar, die zudem alle die Nullrandbedingungen aus (1.17) erfullen.
1.3.3 Superposition – Anpassung an die Anfangsbedingung
Auf Grund der Linearitat der vorliegenden Differenzialgleichung und der auftretenden Nullrandbedingun-
gen sind endliche Linearkombinationen der Funktionen uk fur k = 1, 2, . . . ebenfalls Losungen der be-
trachteten Differenzialgleichung, die zugleich wie gefordert an den beiden Randern verschwinden. Es ist
naheliegend, auch Funktionen von der Form
u(x, t) =∞
X
k=1
ckuk(x, t) fur x ∈ [0, L], t ≥ 0 (1.29)
zu betrachten mit den Funktionen uk aus (1.28). Hierbei wird zunachst ohne weitere Diskussion eine hin-
reichend gute Konvergenz der auftretenden Reihe sowie hinreichend gute Differenzierbarkeitseigenschaften
der Grenzfunktion u angenommen. Eine mathematische Analysis der vorgestellten Vorgehensweise wird
dann in Abschnitt 1.5 gefuhrt.
Formal erhalt man
u(x, 0) =∞
X
k=1
ckuk(x, 0) =∞
X
k=1
ck sin(k
πLx) !
= u0(x) fur x ∈ [0, L ]. (1.30)
Der Unterschied zu einer gewohnlichen Fourier Entwicklung fur die Funktion u0 besteht hierbei darin, dass
zum einen die auftretenden trignonometrischen Funktionen 2L periodisch sind und zum anderen keine
Terme mit Cosinus Funktionen auftreten. Eine solche Darstellung (1.30) erhalt man jedoch durch eine
ungerade Fortsetzung der Funktion u0 auf das Intervall [−L, 0],
u0(–x) := −u0(x) fur x ∈ [0, L ].
Eine Fourierentwicklung der entstehenden ungeraden Funktion u0 : [−L,L ] → R liefert tatsachlich
u0(x) =∞
X
k=1
ck sin(k
πLx)
+∞
X
j=0
dj cos(j
πLx)
fur x ∈ [0, L] (1.31)
Abschnitt 1.4 Einf uhrung in die Theorie der Fourierreihen 9
mit den Fourierkoeffizienten
ck =1L
Z L
−Lu0(y ) sin
(k
πLy)dy =
2L
Z L
0u0(y ) sin
(k
πLy)dy fur k = 1, 2, . . . , (1.32)
dj =1L
Z L
−Lu0(y ) cos
(j
πLy)dy = 0 fur j = 0, 1, . . . .
Eine Setzung (1.28) mit einer Wahl der Koeffizienten ck gemaß (1.32) liefert schließlich formal die gesuchte
Losung des Anfangs Randwertproblems (1.17) fur die Diffusionsgleichung.
1.4 Einf uhrung in die Theorie der Fourierreihen
Thema des vorliegenden Abschnitts ist die Approximation von Funktionen f : R → R durch Uberlagerung
von Sinus- und Cosinus-Schwingungen unterschiedlicher Frequenzen.
1.4.1 Orthogonalitat trigonometrischer Monome
Die Grundlage fur die vorzustellende Theorie bilden die folgenden Orthogonalitatseigenschaften fur die
reellen trigonometrischen Monome.
Lemma 1.4 Es gilt
Z 2π
0cosnx · cosmxdx =
Z 2π
0sinnx · sinmxdx = 0 fur n, m = 0, 1, . . . mit n 6= m,
Z 2π
0cosnx · sinmxdx = 0 fur n, m = 0, 1, . . .,
Z 2π
0cos2 nxdx =
Z 2π
0sin2 nxdx = π fur n = 1, 2, . . .,
sowie trivialerweiseZ 2π
0cos2 0x dx = 2π,
Z 2π
0sin2 0x dx = 0.
Die Aussagen von Lemma 1.4 lassen sich mithilfe von Additionstheoremen fur trigonometrische Funktionen
nachweisen. Einfacher geht es jedoch unter Anwendung der Eulerschen Formel
eit = cos t + i sin t, i =√−1 (t ∈ R ),
und des nachfolgenden Lemmas. Im Folgenden bezeichnet δn,m das Kronecker-Symbol, es gilt also δn,m =
0 fur n 6= m und δn,n = 0 fur n 6= m.
Lemma 1.5Z 2π
0einx · e−imx dx = 2πδn,m fur n, m ∈ Z. (1.33)
BEWEIS. Die Identitat (1.33) ist im Fall n = m offensichtlich richtig, und im Fall n 6= m ergibt sie sich so:
Z 2π
0einx · e−imx dx =
Z 2π
0ei(n−m)x dx =
−in − m
= 1 − 1 = 0︷ ︸︸ ︷
ei(n−m)x∣∣x=2π
x=0= 0.
10 Kapitel 1 Transport und Diffusion
Mithilfe der Identitat (1.33) lassen sich die Aussagen von Lemma 1.4 unmittelbar herleiten.
BEWEIS VON LEMMA 1.4. Die Identitat (1.33) zusammen mit der Eulerschen Formel bedeutet
2πδn,m =Z 2π
0
(cosnx + i sinnx
)(cosmx − i sinmx
)dx
=Z 2π
0cosnx cosmx + sinnx · sinmxdx + i
Z 2π
0cosnx sinmx − sinnx · cosmxdx
fur n, m ∈ Z.
Daraus erhalt manZ 2π
0cosnx cosmx + sinnx · sinmxdx = 2πδn,m fur n, m = 0, 1, . . . , (1.34)
Z 2π
0cosnx sinmx − sinnx · cosmxdx = 0 ..........
.......... . (1.35)
Fur nichtpositive Werte von m erhalt man entsprechend
Z 2π
0cosnx cosmx − sinnx · sinmxdx = 2πδn,−m fur n, m = 0, 1, . . . , (1.36)
Z 2π
0cosnx sinmx + sinnx · cosmxdx = 0 ..........
.......... . (1.37)
Eine Addition der Identitaten (1.34) und (1.36) liefert dann
Z 2π
0cosnx cosmxdx = π(δn,m + δn,−m ) =
0 fur n 6= m,
π fur n = m > 0,
2π fur n = m = 0,
und eine Subtraktion der Identitaten (1.34) und (1.36) liefert
Z 2π
0sinnx sinmxdx = π(δn,m − δn,−m ) =
π fur n = m > 0,
0 fur n 6= m oder n = m = 0.
Eine Addition der Identitaten (1.36) und (1.37) liefert schließlichZ 2π
0cosnx sinmxdx = 0.
Dies komplettiert den Beweis.
1.4.2 Fourierreihen reellwertiger und komplexwertiger Funktionen
Im Folgenden wird die Fourierreihe einer Riemann integrierbaren Funktionen f : [0, 2π ] → R betrachtet.
Sie besitzt die Form a02
+∑∞
n=1[an cosnx+ bn sinnx ] mit den reellen Fourierkoeffizienten
an :=1π
Z 2π
0f (y ) cosny dy, bn :=
1π
Z 2π
0f (y ) sinny dy, (1.38)
fur n = 0, 1, . . . . Als Kurzschreibweise fur die Fourierreihe der reellwertigen Funktion f wird die Notation
f (x) ∼ a0
2+
∞X
n=1
[an cosnx + bn sinnx
](1.39)
verwendet.
Abschnitt 1.4 Einf uhrung in die Theorie der Fourierreihen 11
Bemerkung 1.6 Die Setzungen (1.38) sind vernunftig. Hierzu nehmen wir an, dass die Reihe in (1.39) mit
irgendwelchen reellen Koeffizienten an und bn gleichmaßig gegen die Funktion f konvergiert, also
supx∈[ 0 ,2π ]
∣∣f (x) −
a0
2+
sX
n=1
[an cosnx + bn sinnx
]∣∣→ 0 fur s→ ∞ (1.40)
erfullt ist. In dieser Situation gelten auf Grund der in Lemma 1.4.1 vorgestellten Orthogonalitatsbeziehungen
notwendigerweise die Identitaten (1.38). Dies erhalt man fur die Koeffizienten an folgendermaßen,
Z 2π
0f (y ) cosny dy
=a0
2
2πδ0,n︷ ︸︸ ︷Z 2π
0cosny dy +
∞X
m=1
[am
= πδm,n︷ ︸︸ ︷Z 2π
0cosmy · cosny dy + bm
= 0︷ ︸︸ ︷Z 2π
0sinmy · cosny dy
]
= πan.
Die Vertauschung von Integration und Summation ist auf Grund der gleichmaßigen Konvergenz der Reihe
zulassig. Die Darstellung in (1.38) fur die Fourierkoeffizienten bn erhalt man auf vergleichbare Weise. M
Eine zentrale Fragestellung ist die Frage der Konvergenz der Fourierreihe. Dies wird im Abschnitt 1.4.3
genauer behandelt.
Die Fourierreihe einer Riemann integrierbaren Funktionen f : [0, 2π ] → C besitzt die Form∑∞
n=−∞ cneinx
mit den komplexen Fourierkoeffizienten
cn :=12π
Z 2π
0f (y )e−iny dy, n ∈ Z. (1.41)
In die Fourierreihe ist die Folge der Partialsummen hier von der Form∑s
n=−s fur s = 1, 2, . . . . Als
Kurzschreibweise fur die Fourierreihe der komplexwertigen Funktion f wird die Notation
f (x) ∼∞
X
n=−∞cne
inx (1.42)
verwendet. Die Setzung (1.41) lasst sich dabei genauso wie die entsprechende Setzung bei reellen Fourier-
reihen rechtfertigen (siehe Bemerkung 1.6).
Fur reellwertige Funktionen sind die beiden Fourierreihen identisch. Hierzu stellt man zuerst fest, dass fur
eine Funktion f : [0, 2π ] → R zwischen den Koeffizienten in (1.38) und (1.41) der folgende Zusammen-
hang (fur k ∈ N0 ) besteht:
cn =an − ibn
2, c−n =
an + ibn
2,
an = Re cn bn = Im cn.
Daraus folgt
cneinx + c−ne
−inx =12
(an − ibn )(
cosnx + i sinnx)
+ (an + ibn )(
cosnx − i sinnx)
=12
an cosnx + bn sinnx + i(− bn cosnx + an sinnx + bn cosnx − an sinnx︸ ︷︷ ︸
= 0
)
.
Fur reellwertige Funktionen stimmen also die reelle und die komplexe Fourierreihe tatsachlich uberein.
12 Kapitel 1 Transport und Diffusion
1.4.3 Konvergenz von Fourierreihen
Lemma 1.7 Fur eine Riemann integrierbare Funktion f : [0, 2π ] → C gilt
Die Besselsche Ungleichung folgt nun nach dem Grenzubergang s → ∞ in der Identitat (1.43), unter
Berucksichtigung der Nichtnegativitat der rechten Seite von (1.43).
Definition 1.8 Eine Folge fs : [0, 2π ] → C Riemann integrierbarer Funktionen heißt im quadratischenMittel konvergent gegen eine Riemann integrierbare Funktion f : [0, 2π ] → C, falls
Z 2π
0|fs(y ) − f (y )|2 dy → 0 fur s→ ∞.
Theorem 1.9 Die Fourierreihe einer Riemann-integrierbaren Funktion f : [0, 2π ] → C konvergiert im
quadratischen Mittel gegen f .
BEWEIS. Aus der Identitat (1.43) folgt unmittelbar, dass die Fourierreihe einer Riemann-integrierbaren
Funktion f : [0, 2π ] → C genau dann im quadratischen Mittel gegen die Funktion f konvergiert, wenn
die Identitat
2π∞
X
n=−∞|cn |2 =
Z 2π
0|f (y )|2 dy (1.45)
erfullt ist. Die Gultigkeit dieser Identiat weist man zunachst fur Treppenfunktionen und danach fur allge-
meine Riemann-integrierbare Funktionen nach. Die Details werden ausgelassen.
Die Fourierkoeffizienten einer 2π-periodischen Funktion f : R → C fallen umso schneller, je glatter die
Funktion f ist:
Abschnitt 1.4 Einf uhrung in die Theorie der Fourierreihen 13
Proposition 1.10 Ist die Funktion f : R → C 2π periodisch und r mal stetig differenzierbar mit r ≥ 0,
so gilt
cn =12π
1(in)r
Z 2π
0f (r)(y )e−iny dy, n ∈ Z\0. (1.46)
Insbesondere gilt also
cn = O(|n|−r ) fur |n| → ∞. (1.47)
BEWEIS. Wiederholte partielle Integration liefert
2πcn =Z 2π
0f (y )e−iny dy = − 1
in
= 0︷ ︸︸ ︷
f (y )e−iny∣∣2π
0+
1in
Z 2π
0f ′(y )e−iny dy
=1
( in)2
Z 2π
0f ′′(y )e−iny dy =
1
(in)3
Z 2π
0f (3)(y )e−iny dy = . . .
. . . =1
(in)r
Z 2π
0f (r)(y )e−iny dy.
Damit gilt auch
|cn | ≤ 12πn−r
Z 2π
0|f (r)(y )| dy ≤
(
maxy∈[ 0 ,2π ]
|f (r)(y )|)
|n|−r
und damit (1.47)
Theorem 1.11 Ist die Funktion f : R → C 2π periodisch und einmal stetig differenzierbar, so gilt∞
X
n=−∞|cn | <∞,
und die Fourierreihe der Funktion f konvergiert gleichmaßig gegen f .
BEWEIS. Die Darstellung (1.46) fur r = 1 bedeutet
|cn | = |n|−1|dn | mit dn =12π
Z 2π
0f ′(y )e−iny dy. (n ∈ Z\0 ).
Die Besselsche Ungleichung liefert∑∞
n=−∞ |dn |2 <∞, und die Cauchy Schwarzsche Ungleichung liefert
dann∞
X
n=−∞|cn | ≤
(
|c0 | + 2∞
X
n=1
n−2)1/2
·( ∞
X
n=−∞|dn |2
)1/2
< ∞.
Damit gilt fur die Fourierreihe von f∞
X
n=−∞sup
x∈[ 0 ,2π ]
∣∣cne
inx∣∣ =
∞X
n=−∞
∣∣cn
∣∣ < ∞,
und nach dem Konververgenzkriterium von Weierstraß konvergiert die Fourierreihe von f daher auf dem
Intervall [0, 2π ] gleichmaßig gegen eine Funktion ψ : [0, 2π ] → C. WegenZ 2π
0|f (y ) − ψ(y )|2 dy =
Z 2π
0
∣∣∣
f (y ) −∞
X
n=−∞cne
iny
+ ∞
X
n=−∞cne
iny − ψ(y )
∣∣∣
2
dy
≤ 2( Z 2π
0
∣∣f (y ) −
∞X
n=−∞cne
iny∣∣2dy
︸ ︷︷ ︸
= 0
+Z 2π
0
∣∣
∞X
n=−∞cne
iny − ψ(y )
︸ ︷︷ ︸
= 0
∣∣2dy)
= 0
und damit ψ = f . Dies komplettiert den Beweis.
14 Kapitel 1 Transport und Diffusion
1.4.4 Fourierentwicklung gerader und ungerader Funktionen
Proposition 1.12 Sei f : [0, 2π ] → R eine Riemann-integrierbare Funktion.
(a) Ist f ungerade bezuglich des Intervallmittelpunkts x = π, das heißt,
f (π + x) = f (π − x) fur x ∈ [0, 2π ],
so gilt ak = 0 fur k = 1, 2, . . . .
(b) Ist f gerade bezuglich des Intervallmittelpunkts x = π, das heißt,
f (π + x) = −f (π − x) fur x ∈ [0, 2π ],
so gilt bk = 0 fur k = 0, 1, . . . .
BEWEIS. Ubung.
1.4.5 Allgemeine Intervalle
Fourierentwicklungen fur Funktionen mit anderen Definitionsbereichen lassen sich durch einfache Trans-
formationen gewinnen. Fur eine gegebene Funktion
f : [0, L ] → R
betrachtet man die folgende Variablentransformation und die zugehorige Funktion,
x :=2πLx ∈ [0, 2π ] fur x ∈ [0, L ], f : [0, 2π ] → R, f (x) = f (x) fur x ∈ [0, L ].
(1.48)
Als Fourierreihe fur die Funktion f erhalt man dann
f (x) = f (x) ∼ a0
2+
∞X
n=1
[an cosnx + bn sinnx
]
=a0
2+
∞X
n=1
[
an cos(n
2πLx)
+ bn sin(n
2πLx)]
(1.49)
mit den reellen Fourierkoeffizienten
an =1π
Z 2π
0f (y) cosny dy =
2L
Z L
0f (y ) cos
(n
2πLy)dy
bn =1π
Z 2π
0f (y) sinny dy =
2L
Z L
0f (y ) sin
(n
2πLy)dy fur n = 0, 1, . . . (1.50)
unter Verwendung der Identitaten
y :=2πLy ∈ [0, 2π ] fur y ∈ [0, L ], dy =
2πLdy. (1.51)
Entsprechend erhalt man eine Fourierentwicklung fur komplexwertige Funktionen
f : [0, L ] → C.
Hierzu betrachtet man erneut die Transformation (1.48) (dort ist dann R durch C zu ersetzen) und erhalt als
Fourierreihe fur die Funktion f
f (x) = f (x) ∼∞
X
n=∞cne
inx =∞
X
n=1
cnein(2π/L)x (1.52)
Abschnitt 1.5 Mathematische Analysis zum Separationsansatz 15
mit den komplexen Fourierkoeffizienten
cn =12π
Z 2π
0f (y )einy dy =
1L
Z L
0f (y )ei(n(2π/L)y ) dy fur n = 0, 1, . . . (1.53)
unter Verwendung der Transformation (1.51).
1.5 Mathematische Analysis zum Separationsansatz
Die formale Vorgehensweise soll nun noch mathematisch gerechtfertigt werden. Hierzu wird zunachst an-
genommen, dass die Funktion u0 auf dem Intervall [0, L ] stetig ist, so dass dann die Fourierkoeffizienten
c0, c1, . . . wohldefiniert sind. Die Partialsummen in (1.29) stellen dann auf der Menge [0, L ] × t > 0unendlich oft partiell differenzierbare Funktionen dar, und die partiellen Ableitungen lassen sich folgender-
maßen abschatzen:∣∣ ∂
r+suk
∂xr∂ts (x, t)∣∣ ≤
(k
πL
)r+2sc2se−(kcπ/L)2t fur x ∈ [0, L], t ≥ 0 (r, s ∈ N0 ).
Wegen der vorliegenden Stetigkeit der Funktion u0 : [0, L ] → R ist auch die Folge der Fourierkoeffizienten
Abbildung 1.3: Darstellung des Maximum-Minimum-Prinzips fur die raumlich eindimensionale Diffusi-
onsgleichung in der Orts-Zeit-Ebene
BEWEIS. Man betrachtet fur beliebiges ε > 0 die stetige Hilfsfunktion
v(ε)(x, t) := u(x, t) − εt fur (x, t) ∈ Gund zeigen im Folgenden, dass die Funktion v(ε) ihr Maximum auf dem Teilstuck D2 des Randes von Gannimmt. Hierzu nehmen wir im Widerspruch dazu an, dass die Funktion v (ε) in einem Punkt (x0, t0 ) 6∈ D2
ihr Maximum annimmt. Als notwendiges Kriterium fur ein Maximum erhalt man
∂2v(ε)
∂x2(x0, t0 ) ≤ 0,
und daraus resultiert∂v(ε)
∂t(x0, t0 ) =
∂u
∂t(x0, t0 ) − ε =
∂2u
∂x2(x0, t0 ) − ε =
∂2v(ε)
∂x2(x0, t0 ) − ε ≤ −ε.
Man wahlt nun die reelle Zahl ..................................................................................... t > 0 hinreichend klein, so dass∂v
∂t(x0, t) ≤ − ε
2fur t0 − ................
..................................................................... t ≤ t ≤ t0
so dass v(ε)(x0, t0 ) < v(ε)(x0, t0 − ..................................................................................... t) gilt und damit im Widerspruch zur Annahme v(ε)(x0, t0 ) kein
maximaler Wert der Funktion v(ε) auf G ist. Demnach nimmt die Funktion v(ε) doch ihr Maximum auf dem
Teilstuck D2 des Randes von G an.
Es liegt gleichmaßige Konvergenz der Funktionen v(ε) vor,
max(x,t)∈G
|v(ε)(x, t) − u(x, t)| = ε max(x,t)∈G
t,
und daraus erhalt man
max(x,t)∈G
u(x, t) ≤ εT + max(x,t)∈G
v(ε)(x, t) = εT + max(x,t)∈D2
v(ε)(x, t)
≤ 2εT + max(x,t)∈D2
u(x, t).
Der Grenzubergang ε→ 0 zeigt nun, dass auch die Funktion u ihr Maximum auf dem Teilstuck D2 annimmt.
Die Aussage uber das Minimum erhalt man durch Anwendung des Maximumprinzips auf die Funktion −u,
denn auch diese erfullt (1.67) und es gilt
20 Kapitel 1 Transport und Diffusion
min(x,t)∈G
u(x, t) = − max(x,t)∈G
(−u)(x, t) = − max(x,t)∈D2
(−u)(x, t) = min(x,t)∈D2
u(x, t).
Theorem 1.16 Seien ϕ : D2 → R und f : G ∪ D1 → R gegebene Funktionen, wobei die Bezeichnungen
(1.64) (1.66) verwendet werden. Dann existiert hochstens eine Losung u des Anfangs Randwertproblems
∂u
∂t= c2
∂2u
∂x2 + f (x, t) auf G ∪ D1, u = ϕ auf D2. (1.68)
BEWEIS. Fur zwei Losungen u1, u2 des Anfangs Randwertproblems (1.68) betrachtet man die Differenz
u = u1 − u2. Diese stellt eine Losung der homogenen Warmeleitungsgleichung (1.67) dar, die zudem auf
dem Teilstuck D2 des Randes verschwindet. Nach dem Maximum Minimum Prinzip gilt damit aber u = 0
beziehungsweise u1 = u2 auf dem gesamten Gebiet G.
Es werden nun noch Stabilitatsfragen behandelt.
Theorem 1.17 Seien ϕ : D2 → R und f : G ∪ D1 → R gegebene Funktionen, wobei die Bezeichnungen
(1.64) (1.66) verwendet werden. Seien u1, u2 Losungen der inhomogenen Diffusionsgleichung∂u
∂t= c2
∂2u
∂x2 + f (x, t) auf G ∪ D1
mit
|u1 − u2 | ≤ ε auf D2.
Dann gilt |u1 − u2 | ≤ ε auf G.
BEWEIS. Man betrachtet wiederum die Differenz u = u1 − u2. Diese stellt eine Losung der homogenen
Warmeleitungsgleichung (1.67) dar, fur die zudem auf dem Teilstuck D2 des Randes Folgendes gilt,
−ε ≤ u ≤ ε auf D2.
Nach dem Maximum Minimum Prinzip gilt damit aber −ε ≤ u ≤ ε auf dem gesamten Gebiet G, was mit
der Aussage des Theorems ubereinstimmt.
1.9 Das Anfangswertproblem f ur die Diffusionsgleichung– die raumlich un-beschrankte Situation
Wir betrachten hier das Anfangswertproblem fur die raumlich unbeschrankte Diffusionsgleichung,
∂u
∂t(x, t) =
∂2u
∂x2(x, t) fur x ∈ R, t > 0,
u(x, 0) = u0(x) fur x ∈ R.(1.69)
Abschnitt 1.9 Anfangswertproblem f ur die eindimensionale Diffusionsgleichung 21
Fur die Darstellung der Losung des vorgegebenen Problems (1.69) fur die Diffusionsgleichung betrachten
wir die Funktion
u(x, t) =Z ∞
−∞K(x− ξ, t)u0(ξ ) dξ fur x ∈ R, t > 0, (1.70)
mit K(σ, t) :=1√4πt
exp(− σ2
4t
)fur σ ∈ R, t > 0. (1.71)
Fur verschiedene Werte von t ist der Verlauf der Funktion K (·, t) in Abbildung 1.4 dargestellt.
2.1 Mathematische Modellierung der Ausbreitung von Wellen
2.1.1 Die raumlich eindimensionale Ausbreitung von Wellen
Zunachst soll ein einfacher Schwinger betrachtet werden. Dieser besteht aus N −1 kleinen Massenpunkten,
die horizontal gleichmaßig uber das Intervall [0, L ] verteilt sind. Der Abstand zwischen je zwei benachbar-
ten Massenpunkten sei mit ..................................................................................... x = L/N bezeichnet. Jeder Massenpunkt ist mit seinen benachbarten Massen-
punkten durch Faden verbunden. Der Faden ist an den Intervallrandern x = 0 und x = L befestigt. Jeder
dieser Massenpunkte lasst sich in vertikaler Richtung auslenken. Fur das sich daraus ergebende vertikale
Schwingungsverhalten dieser Massenpunkte wird im Folgenden ein mathematisches Modell beschrieben.
Daraus erhalt man durch einen Grenzubergang N → ∞ ein mathematisches Modell fur die schwingende
Saite.
Im weiteren Verlauf bezeichne F die (von der Zeit und vom Ort unabhangige) Spannkraft des Fadens.
Weiter sei fur k = 1, 2, . . . , N − 1
xj = j ..................................................................................... x Position des j ten Massenpunkts in horizontaler Richtung
mj Masse ....................
yj(t) Auslenkung .................... aus der Ruhelage in vertikaler Richtung
zur Zeit t ∈ [0, T ].
Die vorliegende Situation ist in Abbildung 2.1 veranschaulicht.
vor, die die zum Anfangszeitpunkt t = 0 vorliegende Auslenkung beziehungsweise Geschwindigkeit der
einzelnen Massenpunkte beschreiben. Hierbei handelt es such um ein Anfangs Randwertproblem fur ein
gekoppeltes System von N − 1 linearen gewohnlichen Differenzialgleichungen zweiter Ordnung.
Die schwingende Saite erhalt man nun als den Grenzfall ..................................................................................... x → 0. Mit den Notationen % fur die Dichte und
q fur den Querschnitt eines jeden Massenpunkts erhalt man mj = %q..................................................................................... x, und das System von Differenzial-
gleichungen (2.1) geht dann mit der Abkurzung P := F/q uber in
Daraus erhalt man ein mathematisches Modell fur eine eingespannte schwingenden Saite, wobei die verti-
kale Auslenkung u(x, t) ∈ R zur Zeit t ∈ [0, T ] im Ort x ∈ [0, L ] aus der Ruhelage beschrieben werden
soll. Fur kleine Werte von ..................................................................................... x wird dieses annahernd durch (2.3) beschrieben mit den Approximationen
Die Nullrandbedingungen ermoglichen die Verwendung des Ansatzes der Trennung der Veranderlichen, der
bereits bei der Diffusionsgleichung verwendet worden ist und im Folgenden an die vorliegende Situation
angepasst werden soll. Es wird der Ansatz
u(x, t) = X(x)S(t) fur (x, t) ∈ [0, L ] × [0, T ] (2.21)
herangezogen zur Gewinnung von allgemeinen Losungen der Schwingungsgleichung, Rand- und Anfangs-
bedingungen spielen also zunachst kein Rolle. Einzelheiten hierzu werden im nachfolgenden Abschnitt
2.3.1 vorgestellt. In Abschnitt 2.3.2 werden dann die vorgegebenen Randbedingungen berucksichtigt, und
in Abschnitt 2.3.3 wird eine Superposition der gewonnen Losungen unter Anpassung der auftretenden Ko-
effizienten vorgenommen. Dies liefert schließlich die Losung des Anfangs Randwertproblems (2.20).
2.3.1 Trennung der Veranderlichen
Als Erstes werden Bedingungen an die Funktionen X : [0, L ] → R und S : [0, T ] → R hergeleitet, so
dass die zugehorige Funktion u aus (2.21) die Schwingungsgleichung utt(x, t) = c2uxx(x, t) fur (x, t) ∈Q = (0, L) × (0, T ) lost, Nullrand- und Anfangsbedingungen spielen also zunachst kein Rolle. Hierzu
berechnet man ausgehend von dem Ansatz (2.21) zunachst
utt(x, t) = X(x)S ′′(t), uxx(x, t) = X ′′(x)S(t) fur (x, t) ∈ (0, L) × (0, T ),
so dass fur die Erfullung der Schwingungsgleichung notwendigerweise
c2X ′′(x)
X(x)=
S ′′(t)
S(t)fur (x, t) ∈ (0, L) × (0, T ) (2.22)
gelten muss. Fur den Moment sei hierbei X (x) 6= 0 und S(t) 6= 0 fur alle (x, t) ∈ (0, L) × (0, T )
angenommen sei, wobei man diese Restriktion spater auch wieder fallen lassen kann. Es verhalt sich nun
so, dass die linke Seite der Identitat (2.22) lediglich von der Ortsvariablen x und nicht von der Zeitvariablen
t abhangt, und bei der rechten Seite verhalt es sich genau umgekehrt. Dies bedeutet aber, dass beide Seiten
der Identitat (2.22) notwendigerweise konstant sein mussen, es gilt also
c2X ′′(x)
X(x)=
S ′′(t)
S(t)= −s2 fur (x, t) ∈ (0, L) × (0, T ) (2.23)
mit einer noch zu spezifizierenden reellen Konstanten s2 > 0. Denkbar ware hier auch die Zulassung negati-
ver Konstanten s bei gleichzeitigem Verzicht der Quadratbildung. Im Zuge der weiteren Berechnungen stellt
sich jedoch heraus, dass sich damit die Randbedingungen nicht erfullen lassen. Daher kann man sich auch
36 Kapitel 2 Wellenausbreitung – Mathematische Modellierung und numerische L osung
gleich auf positive Konstanten s2 beschranken, wobei sich durch die Verwendung von s2 > 0 anstelle von
s > 0 die Notation vereinfachen wird. Die Darstellung (2.23) fuhrt unmittelbar auf die beiden Gleichungen
X ′′(x) +( s
c
)2X(x) = 0 fur x ∈ (0, L), (2.24)
S ′′(t) + s2S(t) = 0 fur t ∈ (0, T ). (2.25)
Bemerkung 2.3 Bei der Gleichung (2.24) handelt es sich um lineare gewohnliche Differenzialgleichungen
zweiter Ordnung mit konstanten Koeffizienten fur die gesuchten Funktion X : [0, L ] → R. Erlauterungen
zu diesen Bezeichnungen sind in Bemerkung 1.3 auf Seite 1.3.1 vorgestellt worden. M
Losungen der gewohnlichen Differenzialgleichung (2.24) gewinnt man durch einen Exponentialansatz
X(x) = eλx fur x ∈ (0, L) (2.26)
mit einem zu bestimmenden Koeffizienten λ ∈ C. Zweimalige Differentiation in (2.26) liefert
X ′′(x) = λ2 eλx fur x ∈ (0, L),
und die gewohnliche Differenzialgleichung (2.24) fur die gesuchte Funktion X geht dann uber in[λ2 +
( sc
)2 ]eλx fur x ∈ (0, L). (2.27)
Division in (2.27) durch den in jedem Fall von Null verschiedenen Wert eλx fuhrt auf die Bestimmungsglei-
chung λ2 = −(s/c)2, die eine Losung
λ = λs = isc
besitzt. Naturlich existiert noch eine zweite Losung λ = −is/c, die letztlich jedoch auf keine weiteren reell-
wertigen Losungen der betrachteten gewohnliche Differenzialgleichung (2.24) fuhrt. Der Exponentialansatz
(2.26) liefert also zu der gewohnlichen Differenzialgleichung (2.24) die komplexwertige Losung
Xs(x) = ei(s/c)x fur x ∈ (0, L).
Gesucht sind jedoch reellwertige Losungen der gewohnlichen Differenzialgleichung (2.24). Diese erhalt
man durch Heranziehung des Real und des Imaginarteils der Funktion Xs
Re Xs(x) = cos( (s/c)x), Im Xs(x) = sin( (s/c)x) fur x ∈ [0, L ].
Diese Vorgehensweise ist allerdings nur deshalb zulassig, weil die in (2.24) auftretenden Koeffizienten reell
sind.
Genauso gewinnt man eine komplexwertige Losung der gewohnlichen Differenzialgleichung (2.25)
Ss(t) = eist fur t ∈ (0, T ).
beziehungsweise durch Heranziehung des Real und des Imaginarteils der Funktion Ss die beiden reellwer-
tigen Losungen
Re Ss(t) = cos (st), Im Ss(t) = sin (st) fur t ∈ [0, T ].
fur die gesuchte Funktion S. Die so gewonnenen Losungen der Schwingungsgleichung haben also die Form
Re Xs(x)Re Ss(t) = cos( (s/c)x) cos (st) fur (x, t) ∈ Q := [0, L ] × [0, T ]
Re Xs(x)Im Ss(t) = cos( (s/c)x) sin (st) ....................
Im Xs(x)Re Ss(t) = sin( (s/c)x) cos (st) ....................
Im Xs(x)Im Ss(t) = sin( (s/c)x) sin (st) ....................
Abschnitt 2.3 Die Fouriersche Methode 37
2.3.2 Anpassung an die Randbedingungen
In diesem Abschnitt werden diejenigen Werte von s bestimmt, fur die Nullrandbedingungen aus (2.20)
erfullt sind. Wegen Re Ss(t) 6= 0 und Im Ss(t) 6= 0 fur fast alle t ∈ [0, T ] ist klar, dass man die Betrach-
tungen auf die Funktion Xs beschranken kann. Dabei kommt wegen Re Xs(0) = cos 0 = 1 6= 0 nur der
Imaginaranteil Im Xs in Frage. Hier ist in x = 0 die Randbedingung stets erfullt,
Im Xs(0) = sin 0 = 0.
In x = L fuhrt die Randbedingung auf
Im Xs(L) = sin( (s/c)L) = 0,
was fur sL/c ∈ π, 2π, 3π, . . . erfullt ist. Letzteres umformuliert bedeutet
s ∈ k cπL
: k = 1, 2, . . .. (2.28)
Somit stellen die Funktionen
vk(x, t) := sin(k
πLx)
cos(k
πcLt), wk(x, t) := sin
(k
πLx)
sin(k
πcLt)
fur (x, t) ∈ [0, L ] × [0, T ], k = 1, 2, . . .
(2.29)
jeweils Losungen der Schwingungsgleichungen dar, die zudem alle die Nullrandbedingungen aus (2.20)
erfullen.
2.3.3 Superposition – Anpassung an die Anfangsbedingung
Auf Grund der Linearitat der vorliegenden Differenzialgleichung und der auftretenden Nullrandbedingun-
gen sind endliche Linearkombinationen der Funktionen vk und wk fur k = 1, 2, . . . ebenfalls Losungen der
betrachteten Differenzialgleichung, die zugleich wie gefordert an den beiden Randern verschwinden. Es ist
naheliegend, auch Funktionen von der Form
u(x, t) =∞
X
k=1
[ckvk(x, t) + dkwk(x, t)
](2.30)
=∞
X
k=1
sin(k
πLx)[ck cos
(k
πcLt)
+ dk sin(k
πcLt)]
fur (x, t) ∈ [0, L ] × [0, T ]
zu betrachten mit den bezuglich der Variablen x 2L-periodischen Funktionen vk und wk aus (2.29). Dabei
soll ohne weitere Hinterfragung eine hinreichend gute Konvergenz der auftretenden Reihe sowie hinreichend
gute Differenzierbarkeitseigenschaften der Grenzfunktion u angenommen werden. Formal erhalt man
u(x, 0) =∞
X
k=1
[ck vk(x, 0) + dkwk(x, 0) ] =∞
X
k=1
ck sin(k
πLx) !
= u0(x)
fur x ∈ [0, L ].
(2.31)
Zur Anpassung an die Anfangsbedingungen ist in (2.31) nach einer Fourierentwicklung
u0(x) =∞
X
k=1
ck sin(k
πLx)
+∞
X
j=0
fj cos(j
πLx)
fur x ∈ [0, L ] (2.32)
38 Kapitel 2 Wellenausbreitung – Mathematische Modellierung und numerische L osung
der gegebenen Funktion u : [0, L ] → R zu suchen, in der alle Kosinus-Anteile wegfallen beziehungswei-
se die Koeffizienten fj fur j = 0, 1, . . . allesamt verschwinden. Dies wird erreicht durch eine ungerade
Fortsetzung der Funktion u0 auf das Intervall [−L, 0],
u0( − x) := −u0(x) fur x ∈ [−L, 0].
Eine Fourierentwicklung der entstehenden ungeraden Funktion u0 : [−L,L ] → R liefert tatsachlich (2.32)
mit den Fourierkoeffizienten
ck =1L
Z L
−Lu0(y ) sin
(k
πLy)dy =
2L
Z L
0u0(y ) sin
(k
πLy)dy fur k = 1, 2, . . . , (2.33)
fk =1L
Z L
−Lu0(y ) cos
(k
πLy)dy = 0 fur k = 0, 1, . . . .
Entsprechend erhalt man
ut(x, 0) =∞
X
k=1
[ck(vk )t(x, 0) + dk(wk )t(x, 0)
]
=∞
X
k=1
πLkdk sin
(k
πLx) !
= u1(x) fur x ∈ [0, L ].
(2.34)
Durch eine ungerade Fortsetzung der Funktion u1 auf das Intervall [−L, 0],
u1( − x) := −u1(x) fur x ∈ [−L, 0].
und eine Fourierentwicklung der entstehenden ungeraden Funktion u1 : [−L,L ] → R liefert (2.34) mit den
Fourierkoeffizienten
dk =2
cπk
Z L
0u1(y ) sin
(k
πLy)dy fur k = 1, 2, . . . . (2.35)
Eine Setzung (2.30) mit einer Wahl der Koeffizienten ck beziehungsweise dk gemaß (2.34) und (2.35) lie-
fert also schließlich die gesuchte Losung des Anfangs Randwertproblems (2.20) fur die Schwingungsglei-
chung.
Abschnitt 2.4 Mathematische Analysis zum Separationsansatz 39
2.4 Mathematische Analysis zum Separationsansatz
Fur die Funktionen u0 : [0, L ] → R und u1 : [0, L ] → R werden die folgenden Annahmen getroffen:
us ∈ C3( [0, L ] ), u(p)s (0) = u(p)
s (L) = 0 fur p = 0, 1, 2 (s = 0, 1). (2.36)
Theorem 2.4 Unter der Annahmen (2.36) an die Funktionen u0, u1 : [0, L ] → R konvergiert die Reihe
(2.31) mit den Notationen aus (2.29) und stellt eine auf [0, L] × R + zweimal stetig partiell differenzierbare
Losung des Anfangs Randwertproblems (2.20) dar.
BEWEIS. Man erhalt zunachst mit partieller Integration
ck = k−3gk mit gk = − 2L
(Lπ
)3 Z L
0u
(3)0 (y ) cos
(k
πLy)dy, (2.37)
dk = k−3hk mit hk = − 2L
(Lπ
)2 Z L
0u(3)
1 (y ) sin(k
πLy)dy, k = 1, 2, . . . .(2.38)
Die detaillierte Rechnung fur die Darstellung (2.37) von ck sieht so aus:
L2ck = − L
kπ
= 0︷ ︸︸ ︷
u0(y ) cos(k
πLy)∣∣∣
L
0+
Lkπ
Z L
0u ′
0(y ) cos(k
πLy)dy
= −(
Lkπ
)2 Z L
0u ′′
0 (y ) sin(k
πLy)dy = −
(Lkπ
)3 Z L
0u
(3)0 (y ) cos
(k
πLy)dy.
Die Darstellung (2.38) fur dk ergibt sich genauso. Die Besselsche Ungleichung ergibt
∞X
k=1
|gk |2 + |hk |2
< ∞,
und die Cauchy Schwarzsche Ungleichung liefert dann zusammen mit den Darstellungen (2.37) und (2.38)
Folgendes,
∞X
k=1
k2|ck | =∞
X
k=1
k−1|gk | ≤( ∞
X
k=1
k−2)1/2
·( ∞
X
k=1
|gk |2)1/2
< ∞,
∞X
k=1
k2|dk | =∞
X
k=1
k−1|hk | ≤( ∞
X
k=1
k−2)1/2
·( ∞
X
k=1
|hk |2)1/2
< ∞.
Damit ist die Reihe
u(x, t) =∞
X
k=1
sin(k
πLx)[ck cos
(k
πcLt)
+ dk sin(k
πcLt)]
fur (x, t) ∈ [0, L ] × [0, T ]
und deren ersten und zweiten partiellen Ableitungen gleichmaßig konvergent, und die vorgegeben Anfangs-
werte werden angenommen.
40 Kapitel 2 Wellenausbreitung – Mathematische Modellierung und numerische L osung
2.5 Energie, Eindeutigkeit
Im Folgenden wird wieder das folgende Anfangs Randwertproblem fur die Schwingungsgleichung betrach-
tet:
∂2u
∂t2(x, t) = c2
∂2u
∂x2(x, t) fur x ∈ (0, L), t > 0,
u(0, t) = u(L, t) = 0 fur t ∈ [0, T ],
u(x, 0) = u0(x) fur x ∈ [0, L ],
∂u
∂t(x, 0) = u1(x) ..........
.......... .
(2.39)
Wir betrachten das folgende Energiefunktional,
E(t) =Z L
0c2(∂u
∂x(x, t)
)2
+(∂u
∂t(x, t)
)2
dx (2.40)
Theorem 2.5 Fur jede zweimal stetig partiell differenzierbare Losung u : [0, L ] × [0, T ] → R des An-
fangs Randwertproblems (2.39) fur die Schwingungsgleichung gilt
E(t) = E(0) fur t ≥ 0.
BEWEIS. Es genugt der Nachweis, dass die Ableitung der Funktion E verschwindet. Unter Weglassen der
Argumente bei den Integranden in (2.40) erhalt man zunachst
E ′(t) = 2( Z L
0c2∂u
∂x
∂2u∂t∂x
dx +Z L
0
∂u
∂t
= ∂2u∂x2
︷︸︸︷
∂2u
∂t2dx)
, (2.41)
wobei Integration und Differentiation vertauscht wurden. Vertauschung der Reihenfolge der Differentiation
beim Integranden des ersten Integrals in (2.41) und eine anschließende partielle Integration liefert
Z L
0
∂u
∂x
∂2u∂t∂x
dx =Z L
0
∂u
∂x
∂2u∂x∂t
dx(∗)=
∂u
∂x
∂u
∂t
∣∣∣
x=L
x=0︸ ︷︷ ︸
= 0
−Z L
0
∂2u
∂x2
∂u
∂tdx. (2.42)
Hierbei verschwindet der erste Term auf der rechten Seite der Identitat (∗), denn die Randbedingungen in
(2.39) implizieren
∂u
∂t(0, t) =
∂u
∂t(L, t) = 0 fur 0 ≤ t ≤ T.
Ein Einsetzen der Identitat (2.42) in die Identitat (2.41) ergibt E ′(t) = 0 fur 0 ≤ t ≤ T und damit die
Aussage des Theorems.
Theorem 2.6 Es gibt hochstens eine zweimal stetig partiell differenzierbare Losung des Anfangs Rand-
wertproblems (2.39).
Abschnitt 2.6 Ebene Wellen 41
BEWEIS. Fur zwei Losungen u1 und u2 von (2.39) betrachte man die Differenz u = u1 − u2. Dann gilt
insbesondere
u(x, 0) = 0,∂u
∂t(x, 0) = 0 fur 0 ≤ x ≤ L,
und damit auch∂u
∂x(x, 0) = 0 fur 0 ≤ x ≤ L. Mit Theorem 2.5 erhalt man dann
Z L
0c2(∂u
∂x(x, t)
)2
+(∂u
∂t(x, t)
)2
dx =Z L
0c2(∂u
∂x(x, 0)
)2
+(∂u
∂t(x, 0)
)2
dx = 0
fur 0 ≤ t ≤ T.
Daraus erhalt man
∂u
∂t(x, t) =
∂u
∂x(x, t) fur 0 ≤ x ≤ L, 0 ≤ t ≤ T
und damit insbesondere
u(x, t) ≡ C fur 0 ≤ x ≤ L, 0 ≤ t ≤ T
Wegen u(0, t) = 0 fur 0 ≤ t ≤ T erhalt man daraus u = 0 beziehungsweise u1 = u2 auf [0, L ] × [0, T ].
2.6 Ebene Wellen
Im Folgenden wird wieder das folgende Anfangswertproblem fur die raumlich unbeschrankte Schwingungs-
gleichung in d Raumvariablen betrachtet:
∂2u
∂t2(x, t) = c2∆u(x, t) fur x ∈ R
d, t ∈ (0, T ). (2.43)
Fur beliebige Koeffizienten
α1, α2, . . . , αd ∈ R mit α21 + α2
2 + . . . + α2d = 1
und zweimal stetig differenzierbare Funktionen f : R → R bildet
eine Losung von (2.43) (Ubungsaufgabe). Fur fest gewahlte Werte t und θ stellt
α1x1 + α2x2 + . . . + αdxd − ct = θ (2.45)
eine Ebene in Rd dar. Die Ebenen (2.45) stellen Niveaulinien der Losungen dar (2.44), weshalb diese Losun-
gen als ebene Wellen bezeichnet werden. Im ubrigen steht der Vektor n = (α1, α2, . . . , αd ) ∈ Rd senkrecht
auf dieser Ebene, und fur wachsende Werte von t bewegt sich diese Ebene mit der Geschwindigkeit c in die
Richtung des Vektors n.
42 Kapitel 2 Wellenausbreitung – Mathematische Modellierung und numerische L osung
2.7 Spharische Wellenfunktionen
Es werden nun rotationssymmetrische Losungen u : Rd → R der Schwingungsgleichung gesucht. Dabei
handelt es sich um Funktionen von der Form
u(x, t) = v( |x|2, t) fur x ∈ Rd, t > 0 (2.46)
mit einer reellwertigen, zweimal stetig partiell differenzierbaren Funktion v (r, t) fur r ≥ 0, t ≥ 0.
Proposition 2.7 Es ist die Funktion u aus (2.46) eine Losung der Schwingungsgleichung (2.43) genau dann,
wenn die Funktion v = v(r, t) die partielle Differenzialgleichung
∂2v
∂t2= c2
(∂2v
∂r2 +d − 1
r
∂v
∂r
)
fur r ≥ 0 (2.47)
lost.
BEWEIS. Der Ansatz (2.46) fuhrt auf
∂u
∂xk(x, t) =
∂v
∂r( |x|2, t) xk
|x |2 ,∂2u
∂x2k
(x, t) =∂2v
∂r2 ( |x|2, t) x2k
|x |22+
∂v
∂r( |x|2, t)
(1
|x |2 − x2k
|x |32
)
und liefert
(∆u)(x, t) =∂2v
∂r2 ( |x|2, t)( d
X
k=1
x2k
|x |22
)
+∂v
∂r( |x|2, t)
dX
k=1
(1
|x |2 − x2k
|x |32
)
=∂2v
∂r2 ( |x|2, t) +∂v
∂r( |x|2, t)
(d
|x |2 − 1
|x |2
)
=∂2v
∂r2 ( |x|2, t) +d − 1
|x |2∂v
∂r( |x|2, t).
Dies fuhrt auf die partielle Differenzialgleichung zweiter Ordnung (2.47) fur die Funktion v : R+ × R+ →R.
Eine aquivalente und haufig verwendete Formulierung fur (2.47) ist
∂2v
∂t2= c2
1
rd−1
∂
∂r
(rd−1∂v
∂r
)fur r ≥ 0, t ≥ 0, (2.48)
wie man leicht nachrechnet.
2.7.1 Der raumlich dreidimensionale Fall d = 3
Im Fall d = 3 lasst sich die partielle Differenzialgleichung (2.47) mit einer Substitution weiter vereinfachen.
Proposition 2.8 Es ist die Funktion v(r, t) eine Losung von (2.47) genau dann, wenn die Funktion
w(r, t) = rv(r, t) fur r ≥ 0, t ≥ 0
eine Losung der raumlich eindimensionalen Schwingungsgleichung
∂2w
∂t2= c2
∂2w
∂r2 fur r ≥ 0, t ≥ 0 (2.49)
darstellt.
Abschnitt 2.7 Sph arische Wellenfunktionen 43
BEWEIS. Es gilt
∂2
∂r2
(wr
)
+2r
∂
∂r
(wr
)
=∂
∂r
( r ∂w∂r
−w
r2
)
+2r
r ∂w∂r
− w
r2
=∂∂r
(r ∂w∂r
− w )r2 − 2r(r ∂w∂r
− w )
r4+
2r ∂w∂r
− w
r3
=1
r3
r(
∂2w
∂r2 +∂w
∂r− ∂w
∂r
)
− 2r∂w
∂r+ 2w + 2r
∂w
∂r− 2w
=1r
∂2w
∂r2
beziehungsweise
∂2
∂t2
(wr
)
=1r
∂2w
∂t2.
Dies komplettiert den Beweis.
Theorem 2.9 Die Funktionen
u(x, t) =1
|x |2[f( |x|2 − ct) + g( |x|2 + ct)
](2.50)
mit zweimal stetig differenzierbaren Funktionen f : R → R und g : R → R stellen Losungen der raumlich
dreidimensionalen Schwingungsgleichung
∂2u
∂t2= c2∆u fur x ∈ R
3, t ≥ 0,
dar.
BEWEIS. Die Funktionen
w(r, t) = f (r − ct) + g(r + ct)
stellen Losungen von (2.53) dar. Damit lost die Funktion
v(r, t) =1r(f (r − ct) + g(r + ct))
die Differenzialgleichung (2.48), und die Aussage des Theorems folgt dann aus Proposition 2.7.
2.7.2 Der raumlich zweidimensionale Fall d = 2
Im raumlich zweidimensionalen Fall d = 2 geht die rotationssymmetrische Schwingungsgleichung in der
symmetrischen Formulierung (2.47) uber in
∂2v
∂t2= c2
1r
∂
∂r
(r∂v
∂r
)fur r ≥ 0, t ≥ 0. (2.51)
Diese Differenzialgleichung (2.51) bezeichnet man als Differenzialgleichung der zylindrischen Wellenaus folgendem Grund. Die raumlich dreidimensionale Schwingungsgleichung
∂2u
∂t2= c2
( ∂2u
∂x21
+∂2u
∂x22
+∂2u
∂x23
)fur x = (x1, x2, x3 ) ∈ R
3, t ≥ 0 (2.52)
geht bei Verwendung von zylindrischen Koordinaten
x1 = r cos θ, x2 = r sin θ, x3 = z, u(x1, x2, x3, t) = v(r, θ, z, t), (2.53)
uber in∂2v
∂t2= c2
(1r
∂
∂r
(r∂v
∂r
)+
1
r2
∂2v
∂θ2 +∂2v
∂z2
)
fur r ≥ 0, 0 ≤ θ ≤ 2π, z ∈ R, t ≥ 0 (2.54)
(Ubungsaufgabe). Fur von θ und z unabhangige Funktionen v schließlich ist Differenzialgleichung (2.54)
gleichbedeutend mit (2.53). Die Niveauflachen solcher nur von r abhangender Funktionen stellen Zylinder
dar, was die Bezeichnung zylindrische Wellen nahelegt.
44 Kapitel 2 Wellenausbreitung – Mathematische Modellierung und numerische L osung
2.8 Trennung der Veranderlichen im mehrdimensionalen Fall
Fur die mehrdimensionale Schwingungsgleichung
∂2u
∂t2(x, t) = c2∆u(x, t) fur x ∈ G, t ≥ 0, (2.55)
mit einer offenen Menge G ⊂ Rd wird der Ansatz
u(x, t) = v(x)T (t) fur x ∈ G, t ≥ 0 (2.56)
herangezogen. Als Erstes werden Bedingungen an die Funktionen v : G → R und T : R+ → R hergeleitet,
so dass die zugehorige Funktion u aus (2.56) die Schwingungsgleichung (2.55) erfullt. Hierzu berechnet
man ausgehend von dem Ansatz (2.56) zunachst
∂2u
∂t2(x, t) = v(x)T ′′(t), ∆u(x, t) = ∆v(x)T (t) fur x ∈ G, t ≥ 0,
so dass fur die Erfullung der Schwingungsgleichung notwendigerweise
c2∆v(x)
v(x)=
T ′′(t)
T (t)fur x ∈ G, t ≥ 0 (2.57)
gelten muss. Dies bedeutet aber
c2∆v(x)
v(x)=
T ′′(t)
T (t)= −µ fur x ∈ G, t ≥ 0, (2.58)
mit einer noch zu spezifizierenden reellen Konstanten µ ∈ R. Die Darstellung (2.58) fuhrt unmittelbar auf
die beiden Eigenwertprobleme
c2∆v(x) + µv(x) = 0 fur x ∈ G, (2.59)
T ′′(t) + µT (t) = 0 fur t ≥ 0. (2.60)
Wir betrachten hier nur den Fall µ = s2 > 0. Dann besitzt (2.60) die beiden linear unabhangigen Losungen
cos st, sin st
Auf die reduzierte Schwingungsgleichung (2.59) wird ein weiterer Separationsansatz angewendet. Hier wer-
den spharische Koordinaten
x1 = r cosϕ cos θ, x2 = r sinϕ cos θ, x3 = r sin θ (2.61)
fur r ≥ 0, ϕ ∈ [0, 2π ], θ ∈ [−π/2, π/2],
herangezogen. Mit der neuen Notation
v(x1, x2, x3 ) = w(r, ϕ, θ)
erhalt man (ohne Beweis)
∆v =1
r2
∂
∂r
(r2 ∂w
∂r
)+ Λ3w
mit Λ3w :=1
sin θ
∂
∂θ
(
sin θ∂w
∂θ
)
+1
sin2 θ
∂2w
∂ϕ2 . (2.62)
Die Differenzialgleichung (2.59) geht damit uber (sei jetzt c = 1 )
1
r2
∂
∂r
(r2∂w
∂r
)+ Λ3w
+ s2w = 0. (2.63)
Abschnitt 2.9 Nachtrag zur r aumlich unbeschr ankten eindimensionalen Schwingungsgleichung 45
Wir betrachten nun Losungen von der Form
w(r, ϕ, θ) = R(r)Y (ϕ, θ)
und erhalten so
1
r2
ddr
(r2 dRdr
) + s2R
1r2R
= −Λ3Y
Y= γ
mit einem Separationsparameter γ. Die separierten Gleichungen lauten dann
Λ3Y + γY = 0, (2.64)
r2R ′′ + 2rR ′ + (s2r2 − γ )R = 0. (2.65)
Die Differenzialgleichung (2.64) besitzt nur fur
γk = k(k + 1), k = 0, 1, . . .
glatte Losungen. Es handelt sich dabei um 2k + 1 linear unabhangige Funktionen
Y(`)
k (ϕ, θ) fur ` = 1, 2, . . . , 2k + 1,
die als “spherical harmonics“ bezeichnet werden. Fur jedes k fuhrt man in (2.65) noch die neue Funktion
S = r1/2R ein und erhalt hierfur die gewohnliche Differenzialgleichung
r2S ′′ + rS ′ +[(s2r2 −
(k + 1
2
)2)]S = 0.
Diese gewohnliche Differenzialgleichung heisst Besselsche Differenzialgleichung. Sie besitzt zwei linear
unabhangige Losungen
Jk+1/2(sr), J−(k+1/2)(sr),
mit
Jν (z ) =∞
X
m=0
( − 1)m(z/2)ν+2m
m!Γ(ν +m+ 1),
wobei Γ die Eulersche Gammafunktion bezeichnet.
2.9 Nachtrag zur raumlich unbeschrankten eindimensionalen Schwingungs-gleichung
Es wird nun wieder die raumlich unbeschrankte eindimensionale Schwingungsgleichung betrachtet (ver-
gleiche (2.4)),
∂2u
∂t2(x, t) = c2
∂2u
∂x2(x, t) fur x ∈ R, t > 0. (2.66)
In Abschnitt 2.2 ist eine Klasse von Losungen dieser Differenzialgleichung (2.66) angegeben worden. Es
wird nun nachgewiesen, dass es keine weiteren Losungen gibt. Hierzu fuhrt man die Variablentransformation
ξ = x− ct ∈ R, η = x+ ct ∈ R
durch und betrachtet die zugehorige Funktion
v(ξ, η ) := u(x, t) = u( ξ + η
2,
η − ξ2c
)fur ξ, η ∈ R.
46 Kapitel 2 Wellenausbreitung – Mathematische Modellierung und numerische L osung
Partielle Differentiation nach η liefert∂v
∂η(ξ, η ) = 1
2
(∂u
∂x+
1c
∂u
∂t
)( ξ + η
2,
η − ξ
2c
)fur ξ, η ∈ R.
Anschließende Differentiation nach ξ ergibt dann
∂2v∂ξ ∂η
(ξ, η ) = 14
(∂2u
∂x2 − 1c
∂2u∂t∂x
+1c
∂2u∂x∂t
− 1
c2
∂2u
∂t2
)( ξ + η2,
η − ξ2c
)
= 14
(∂2u
∂x2 − 1
c2
∂2u
∂t2
)( ξ + η2,
η − ξ2c
) != 0 fur ξ, η ∈ R.
Es stellt also die Funktion u genau dann eine Losung der raumlich unbeschankten Schwingungsgleichung
(2.66) dar, wenn ∂2v∂ξ ∂η
= 0 auf R2 gilt beziehungsweise
v(ξ, η ) = f (ξ ) + g(η ) fur ξ, η ∈ R
erfullt ist mit zweimal stetig differenzierbaren Funktion f, g : R → R. Mit den urspunglichen Variablen
x, t bedeutet dies
u(x, t) = v(ξ, η ) = f (ξ ) + g(η ) = f (x− ct) + g(x+ ct) fur x ∈ R, t > 0.
Mit Hilfe des Residuensatzes weist man nun fur einen geeigneten positiven Parameter die Abschatzung
|g(s)(t)| ≤ s!(θt)s exp
(– t−α
2
)fur t > 0 (s = 0, 1, . . .)
nach, und daraus folgt unmittelbar∞
X
n=0
∣∣∣g(n)(t)
(2n)!(t)x2n
∣∣∣ ≤
∞X
n=0
|x |2n
n!(θt)n exp(− 12t−α ) = exp
(1t
( |x |2θ
− 12t1−α
))
fur t > 0.
Damit konvergiert die betrachtete Potenzreihe (3.10) mit der speziellen Funktion (3.11) tatsachlich fur jede
reelle Zahl x. Dies rechtfertigt nachtraglich die formalen Differenziationen und die durchgefuhrten Koef-
fizientenvergleiche und zeigt außerdem, dass die in (3.10) betrachtete Funktion tatsachlich fur x ∈ R und
t > 0 definiert ist.
Dieses Beispiel ist das Standardbeispiel (siehe z. B. Friedman [3] oder John [10]) fur die Nichteindeutigkeit
der Losung des Anfangswertproblems
∂u
∂t=
∂2u
∂x2 fur x ∈ R, t > 0,
u(x, 0) = 0 fur x ∈ R. M
Bemerkung 3.4 Fur die in (3.11) betrachtete Funktion gilt wegen der im Anschluss an die Definition ange-
geben Abschatzung
g ∈ C∞(R ), g(s)(0) = 0 fur s = 1, 2, . . . .
Diese Funktion ist ein Beispiel fur eine unendlich oft differenzierbare Funktion, die von ihrer Taylorent-
wicklung∞
X
s=0
g(s)(0)
s!xs = 0 fur x ∈ R
abweicht. M
3.3 Typeneinteilung f ur quasilineare Differenzialgleichungen zweiter Ord-nung in d Veranderlichen
Im Folgenden wird eine Klassifikation fur allgemeine quasilineare partielle Differenzialgleichung 2. Ord-
nung vorgenommen und bezeichnen hierzu
A := (akj ) ∈ Rd×d.
Definition 3.5 Man nennt die quasilineare partielle Differenzialgleichung (3.1) in einem Punkt (x, y ) ∈R
2
• elliptisch, falls die Eigenwerte der Matrix A entweder alle positiv oder alle negativ ausfallen.• parabolisch, falls mindestens ein Eigenwert der Matrix A verschwindet.• hyperbolisch, falls alle bis auf einen Eigenwert von einem Vorzeichen sind und der verbliebene Eigen-
werte das andere Vorzeichen besitzt.
Beispiel 3.6 (a) Fur die raumlich zweidimensionale Diffusionsgleichung
Definition 5.6 Eine Funktion u ∈ H10 (D) heißt schwache Losung der Poisson Gleichung (5.1), falls sie
die Variationsgleichung (5.10) erfullt.
78 Kapitel 5 Schwache L osungen
Von einer schwachen Losung wird eine geringere Glattheit gefordert. Die Erfullung der Randbedingungen
ist aber durch die Wahl des Grundraumes H10 (D) gesichert.
Man ist auch an Kriterien fur die Existenz von schwachen Losungen interessiert. Hier wird sich die Vollstandig-
keit als hinreichendes Kriterium herausstellen. Der Raum H10 (D) erfullt dieses Kriterium jedoch nicht.
Beispiel 5.7 Auf D = (0, 1) betrachten wir wieder die Bilinearform
a(u, v ) =Z 1
0u ′ v ′ dx fur u, v ∈ H1
0 (0, 1).
Sei außerdem
u(x) =
xα /α, falls 0 < x ≤ 1/2,
xα(1 − x)/α sonst
(12< α < 1
)
und damit u ∈ C [0, 1], u(0) = u(1) = 0. Außerdem gilt
u ′(x) = xα−1 fur 0 < x ≤ 1/2,
und u ′ ist stetig fur 1/2 < x ≤ 1, so dass u ′ ∈ L2(0, 1) gilt. Fur die Folge un : [0, 1] → R definiert durch
un(x) =
u(1/n)nx, falls 0 ≤ x ≤ 1/n,
u(x), falls 1/n ≤ x ≤ 1,
gilt dann
un ∈ H10 (0, 1) fur n = 1, 2, . . .,
||u ′n − u ′ ||L2(D ) → 0 fur n→ ∞.
Damit ist
||un − um ||a ≤ ||u ′n − u ′ ||L2(D ) + ||u ′ − u ′
m ||L2(D ) → 0 fur n, m→ ∞,
so dass un eine H10 (0, 1) Cauchyfolge darstellt. Allerdings ist die Funktion u ′ nicht stuckweise stetig,
so dass u 6∈ H10 (0, 1) gilt und damit die Cauchyfolge nicht in H1
0 (0, 1) konvergiert. M
5.1.3 Allgemeine Theorie f ur Variationsgleichungen
Im Folgenden werden wir sehen, dass schwache Losungen zugleich auch Losungen eines Minimierungs-
problems sind.
Definition 5.8 Eine Bilinearform a : V × V → R auf einem Vektorraum V heißt
• symmetrisch, falls a(u, v ) = a(v, u) fur alle u, v ∈ V gilt,
• positiv semidefinit, falls a(u, u) ≥ 0 gilt fur alle u ∈ V ,
• positiv definit, falls sie positiv semidefinit ist und a(u, u) = 0 nur fur u = 0 gilt.
Im Folgenden wird die folgende Situation betrachtet:
Es sei a : V ×V → R eine symmetrische, positiv definite Bilinearform auf einem Vektorraum
V , und die Abbildung b : V → R sei linear.(5.11)
Abschnitt 5.1 Poisson– Gleichung 79
Unter den Bedingungen (5.11) interessieren wir uns fur Losungen u ∈ V der Variationsgleichung
a(u, v ) = b(v ) fur v ∈ V. (5.12)
Hierzu betrachtat man das Funktional
F (v ) = 12a(v, v ) − b(v ) fur v ∈ V. (5.13)
Dieses Funktional F wird als Energiefunktional bezeichnet.
Theorem 5.9 Es seien die Bedingungen (5.11) erfullt. Dann sind fur ein Element u ∈ V die folgenden
Aussagen aquivalent:
• Das Element u lost die Variationsgleichung (5.12).
• Es ist das Element u ein Minimierer des Energiefunktionals aus (5.13),
F (u) = minv∈V
F (v ).
BEWEIS. Es sei zunachst angenommen, dass u ∈ V die Variationsgleichung (5.12) erfullt, und sei v ∈ Vbeliebig. Mit der Notation w = u+ v erhalt man dann Folgendes:
F (v ) = 12a(u+ w, u +w) − b(u+ w)
= 12a(u, u) + a(u,w) + 1
2a(w,w) − b(u) − b(w)
(∗∗)= F (u) + 1
2a(w,w).
Hierbei resultiert die Identitat (∗) aus der Bilinearitat und der Symmtrie der Abbildung a, und die Identitat(∗∗) folgt wegen a(u,w) = b(w). Die Abschatzung erhalt man aus der positiven Definitheit der Bilinear-
form a.
Sei nun u ∈ V ein minimierendes Element des Energiefunktionals F . Fur v ∈ V beliebig gilt dann
g(t) := F (u + tv ) ≥ F (u) = g(0) fur t ∈ R. (5.14)
Damit besitzt das Funktional g ein globales Minimum an der Stelle t = 0. Außerdem lasst sich das Funk-
tional g in der Form
g(t) =a(v, v )
2t2 +
(
=: c︷ ︸︸ ︷
a(u, v ) − b(v ))t +
= F (u)︷ ︸︸ ︷
12a(u, u) − b(u)
= t(c +
a(v, v )
2t)
+ F (u) fur t ∈ R
schreiben, was man genauso wie im ersten Teil des Beweises erhalt. Im Falle a(u, v )− b(v ) = c 6= 0 wurde
sich fur hinreichend klein gewahltes t sofort ein Widerspruch zu (5.14) ergeben.
Theorem 5.10 Es seien die Bedingungen (5.11) erfullt. Dann gibt es hochstens eine Losung u ∈ V der
Variationsgleichung (5.12).
BEWEIS. Seien Losung u1 ∈ V und u2 ∈ V Losungen der Variationsgleichung (5.12), es gilt also
a(u1, v ) = b(v ), a(u2, v ) = b(v ) fur v ∈ V.Subtraktion liefert dann
80 Kapitel 5 Schwache L osungen
a(u1 − u2, v ) = 0 fur v ∈ Vund damit insbesondere
a(u1 − u2, u1 − u2 ) = 0
beziehungsweise u1 = u2.
Es sei a : V ×V → R eine Bilinearform auf einem Hilbertraum (V, || · ||), und die Abbildung
b : V → R sei linear. Außerdem seien die folgenden Bedingungen erfullt:
• Die Bilinearform a ist stetig bezuglich der Norm || · ||, das heißt, mit einer endlichen
Konstanten M ≥ 0 gilt
|a(u, v ) | ≤ M ||u ||||v || fur u, v ∈ V.
• Die Bilinearform a ist V-elliptisch, das heißt, mit einer positiven Konstanten τ > 0 gilt
a(u, u) ≥ τ ||u ||2 fur u ∈ V .
• Das lineare Funktional b ist stetig, das heißt, mit einer endlichen Konstanten K ≥ 0 gilt
|b(u)| ≤ K||u || fur u ∈ V.
(5.15)
Theorem 5.11 (Lax-Milgram-Theorem) Seien die Bedingungen in (5.15) erfullt. Dann besitzt die Variati-
Theorem 5.24 Unter der Bedingung (5.30) besitzt die Variationsgleichung (5.27) fur jede Funktion f ∈L2(D) eine eindeutige Losung. Diese nennt man schwache Losung des Randwertproblems (5.25) mit g3 ≡0 fur die Poisson Gleichung.
5.2 Andere elliptische Differenzialgleichungen
Auf einem beschrankten Lipschitz Gebiet D ⊂ Rd wird nun noch kurz die Verallgemeinerung
Lu = f auf D,behandelt mit dem Differenzialoperator
(Lu)(x) = −div(K(x)∇u(x)) + c(x) · ∇u(x) + r(x)u(x) fur x ∈ D. (5.31)
Die Koeffizienten
K : D → Rd × d, c : D → R
d, r : D → R.
Abschnitt 5.2 Andere elliptische Differenzialgleichungen 87
sind dabei als stetig angenommen. Fur die Betrachtung der Randbedingungen sei wieder
∂D = Γ1 ∪ Γ2 ∪ Γ3
eine disjunkte Zerlegung des Randes von D, wobei Γ3 ein positives Maß besitze. Wir betrachten dann die
Randbedingungen
(K∇u) · ν = g1 auf Γ1, (K∇u) · ν + αu = g2 auf Γ2, u = g3 auf Γ3 (5.32)
mit gegebenen stetigen und beschrankten Funktionen
g1 : Γ1 → R, α, g2 : Γ2 → R, g3 : Γ3 → R.
Beispiel 5.25 Gegeben sei das Randwertproblem
(−εu ′ + u) ′ = 0 auf (0, 1), u(0) = 0, u(1) = 1.
Dieses Randwertproblem besitzt die Losung
u(x) =1 − exp (x/ε)
1 − exp (1/ε)fur 0 ≤ x ≤ 1.
Fur kleine Werte von ε, etwa 0 < ε ≤ 0.01, weist die Losung ein starkes Grenzschichtverhalten auf. M
Mit den allgemeinen Randbedingungen aus (5.25) lautet die Variationsgleichung im Fall g3 = 0 folgender-
maßen:
a(u, v ) = b(v ) fur v ∈ H1(D, Γ3 ) (5.33)
mit
a(u, v ) =Z
D
(K∇u) · ∇v + (c · ∇u)v + ruv
dx +
Z
Γ2
αuv ds fur u, v ∈ H1(D, Γ3 ),
b(v ) =Z
Df v dx +
Z
Γ1
g1 v ds +Z
Γ2
g2 v ds fur v ∈ H1(D, Γ3 ).
Hierbei geht eine partielle Integration der Form
−Z
Ddiv (K∇u)v dx =
Z
D(K∇u) · ∇v dx −
Z
∂Dv(K∇u) · ν ds
ein.
5.2.1 Stetigkeit der Bilinearform a
Fur den Nachweis der Stetigkeit der Bilinearform a berechnet man
|a(u, v ) | ≤∣∣∣
Z
D
(K∇u) · ∇v + (c · ∇u)v + ruv
dx∣∣∣
≤Z
D
|(K∇u) · ∇v | + |(c · ∇u)v | + |ruv |
dx
≤ CZ
D
|∇u|2 |∇v |2 + |∇u|2 |v | + |u||v |
dx
mit der Konstanten
C := maxx∈D
(
max||K(x) ||2, |c(x)|2, |r(x)|
)
88 Kapitel 5 Schwache L osungen
wobei ||K(x) ||2 die Spektralnorm der Matrix K (x) bezeichnet. Eine Anwendung der Cauchy Schwarz-
schen Ungleichung in R2 und L2(D) ergibt
Z
D
|∇u|2 |∇v |2 + |u| |v |
dx ≤
Z
D
|∇u|22 + u2
1/2 |∇v |22 + v21/2
dx
≤ Z
D|∇u|22 + u2 dx
1/2Z
D|∇v |22 + v2 dx
1/2= ||u ||H1 (D )||v ||H1(D ).
Außerdem liefert die Cauchy Schwarzsche Ungleichung auf L2(D) noch
Z
D|∇u|2 |v | dx ≤
( Z
D|∇u|22 dx
)1/2( Z
Dv2 dx
)1/2
≤ ||u ||H1 (D )||v ||L2(D )
≤ ||u ||H1 (D )||v ||H1(D ).
Insgesamt erhalt man die H1(D) Stetigkeitkeit der Bilinearform a:
|a(u, v )| ≤ 2C||u ||H1 (D )||v ||H1(D ) fur u, v ∈ H1(D).
5.2.2 H10 (D )– Elliptizitat der Bilinearform a
Fur den Nachweis der H10 (D) Elliptizitat der Bilinearform a berechnet man unter Berucksichtigung der
Identitat ∇(u2 ) = (∇u)u+u∇u = 2u∇u sowie unter Verwendung der ersten Greenschen Formel Folgen-
des:Z
D(c · ∇u)u dx = 1
2
Z
Dc · [∇(u2 ) ] dx = 1
2
−Z
D(divc)u2 dx +
Z
Γ1∪Γ2
(c · ν )u2 ds
.
Damit erhalt man
a(u, u) =Z
D
(K∇u) · ∇u + (c · ∇u)u + ru2
dx +
Z
Γ2
αu2 ds
=Z
D
(K∇u) · ∇u +
(r − 1
2divc
)u2dx +
Z
Γ2
(α+ 1
2c · ν
)u2 ds + 1
2
Z
Γ1
(c · ν )u2 ds
fur u ∈ H1(D, Γ3 ).
Es werden nun die folgenden Annahmen getroffen.
• Der Operator L ist gleichmaßig elliptisch, das heißt, fur eine Konstante k0 > 0 giltd
X
m,n=1
kmn(x)ξmξn ≥ k0|ξ |2 fur alle ξ ∈ Rd.
• Es gilt
r − 12divc ≥ 0 auf D, c · ν ≥ 0 auf Γ1, α+ 1
2c · ν ≥ 0 auf Γ2.
(5.34)
Damit ist Folgendes nachgewiesen:
Theorem 5.26 Unter der Bedingung (5.34) besitzt fur jede Funktion f ∈ L2(D) die Variationsgleichung
(5.33) eine eindeutige Losung. Diese nennt man schwache Losung des Randwertproblems (5.25) mit g3 ≡ 0
fur die Differenzialgleichung Lu = f auf D, mit dem Differenzialoperator L aus (5.31).
Abschnitt 5.3 W armeleitungsgleichung 89
5.2.3 Inhomogene Dirichlet-Randbedingungen
Wir betrachten wieder das Randwertproblem (5.25) fur die Differenzialgleichung Lu = f auf D mit dem
Differenzialoperator L aus (5.31), dieses Mal jedoch mit allgemeiner Funktion g3 ∈ L2(Γ3 ). Dieses Rand-
wertproblem lasst sich auf homogene Dirichlet-Randbedingungen zuruckfuhren, falls eine Funktion mit
w ∈ H1(D) mit w = g3 auf Γ3 (5.35)
existiert. Eine solche Funktion w muss allerdings nicht immer existieren, was daran liegt, dass das Bild des
Spuroperators eine echte Teilmenge von L2(∂D) ist.
Wir setzen nun die Existenz einer Funktion w wie in (5.35) voraus. Es heißt dann naheliegenderweise
u = u+ w mit
u ∈ H1(D, Γ3 ), a(u, v ) = b(v ) − a(w, v ) fur v ∈ H1(D, Γ3 )
eine schwache Losung des vorliegenden Problems.
5.3 Warmeleitungsgleichung
Gegeben sei ein beschranktes Lipschitz Gebiet D ⊂ Rd. Gegeben seien weiterhin Funktionen
f (x, t) ∈ R fur x ∈ D, t ≥ 0, u0(x) ∈ R fur x ∈ D, t ≥ 0,
und gesucht ist eine Funktion
u(x, t) ∈ R fur x ∈ D, t ≥ 0,
die das folgende Anfangsrandwertproblem lost:
∂u
∂t+ Lu = f auf D × (0, T ), (5.36)
u(·, t) = 0 auf ∂D fur 0 < t ≤ T, (5.37)
u(·, 0) = u0 auf D (5.38)
behandelt mit dem Differenzialoperator (siehe (5.31))
(Lv )(x) = −div (K(x)∇v(x)) + c(x) · ∇v(x) + r(x)v(x) fur x ∈ D. (5.39)
Die Koeffizienten
K : D → Rd × d, c : D → R
d, r : D → R,
sind dabei als zeitunabhangig und stetig angenommen. Der Differenzialoperator L wirkt also nur auf x.
Ausgeschrieben bedeutet die Differenzialgleichung (5.36)∂u
∂t(x, t) + (Lu)(x, t) = f (x, t) fur x ∈ D, 0 < t ≤ T,
wobei in der Notation (Lu)(x, t) fur jeden Wert von t als Funktion von x aufzufassen ist, es stellt also t ein
Parameter dar.
5.3.1 Schwache Formulierung bzgl. x
Eine schwache Formulierung bzgl. x lautet⟨⟨ ∂u
∂t, v⟩⟩
L2(D )+ a(u(t), v ) = b(v ) fur v ∈ H1
0 (D), (5.40)
u(·, 0) = u0 auf D, (5.41)
90 Kapitel 5 Schwache L osungen
mit
a(u, v ) =Z
D
(K∇u) · ∇v + (c · ∇u)v + ruv
dx fur u, v ∈ H1
0 (D),
b(v ) =Z
Df v dx.
Wir nehmen an, dass die Bedingungen (5.34) erfullt sind mit Γ1 = ∅, Γ2 = ∅. Damit ist die Bilinearform a
H10 (D) elliptisch, das heißt,
a(v, v ) ≥ θ||v ||2H1(D ) fur v ∈ H10 (D)
mit einer Konstanten θ > 0. Fur weitere Betrachtungen empfiehlt sich eine Operatornotation:
f : [0, T ] → L2(D), t 7→ f (·, t), u : [0, T ] → L2(D), t 7→ u(·, t),Lu : [0, T ] → L2(D), t 7→ (Lu)(·, t),
Es seien die folgenden Bedingungen erfullt:
• Es gilt u0 ∈ L2(D).
• Die Abbildung f : [0, T ] → L2(D) ist stetig.
(5.42)
Theorem 5.27 Seien die Bedingungen (5.42) erfullt, und es sei u : [0, T ] → L2(D) eine Losung von
(5.40) (5.41) mit u(t) ∈ H10 (D) fur t > 0. Dann gilt
||u(t) ||L2(D ) ≤ ||u0 ||L2(D )e−θt +
Z t
0||f (s) ||L2(D )e
−θ(t−s) ds fur 0 ≤ t ≤ T.
BEWEIS. Sei 0 ≤ t ≤ T fest gewahlt. Die Variationsgleichung (5.40) angewandt mit v = u(t) liefert
Es werden nun beide Seiten mit dem Faktor eθt versehen:
eθt ddt||u(t) ||L2(D ) + θeθt||u(t) ||H1(D ) =
ddt
(eθt||u(t) ||L2(D )
)≤ eθt||f (t) ||L2(D ).
Integration dieser Ungleichung von 0 bis t ergibt dann
eθt||u(t) ||L2(D ) − ||u(0) ||L2(D ) ≤Z t
0eθs||f (s) ||L2(D ) ds fur 0 ≤ t ≤ T.
Eine Multiplikation beider Seiten mit dem Faktor e−θt liefert die Aussage des Theorems.
Korollar 5.28 Seien die Bedingungen (5.42) erfullt. Dann existiert hochstens eine Losung u : [0, T ] →L2(D) von (5.40) (5.41) mit der Eigenschaft u(t) ∈ H1
0 (D) fur t > 0.
BEWEIS. Seien u1 und u2 zwei solche Losungen. Dann stellt die Differenz v = u1 − u2 eine Losung von
(5.40) (5.41) mit u0 ≡ 0 und f ≡ 0 dar. Aus Theorem 5.27 folgt dann v = u1 − u2 ≡ 0 beziehungsweise
6.1 Einf uhrende Bemerkungen zur mathematischen Modellierung
Erstes Thema dieses Kapitels ist die mathematische Modellierung des Stromungsverhaltens von Fluiden,
wobei diese Bezeichnung fur Flussigkeiten und Gase aller Art verwendet wird. Diese mathematische Model-
lierung ist beispielsweise fur die Erstellung von Wetterprognosen oder das Flutungsverhalten nach Damm-
bruchen von Bedeutung. Anschließend wird zur Losung der entstehenden partielle Differenzialgleichungen
Anhand einer einfachen Situation ein numerisches Verfahren vorgestellt.
Es soll das Stromung eines Fluids in einem Bereich D ⊂ Rd mit d ∈ 1, 2, 3 und in einem gewissen
Zeitintervall von der Form t = 0 bis t = T analysiert werden. Dabei ist es nicht erforderlich, den Weg eines
jeden Partikels durch den betrachteten Bereich zu verfolgen. Es genugt, den Stromungszustand an allen
Orten und Zeiten zu beschreiben. Bei der mathematischen Beschreibung dieser Stromungszustande sind die
folgenden Großen von Bedeutung:
~u(~x, t) ∈ Rd Geschwindigkeitsvektor des Fluids im Punkt ~x ∈ D zur Zeit t,
%(~x, t) ≥ 0 Dichte des Fluids im Punkt ~x ∈ D zur Zeit t,
p(~x, t) ≥ 0 Fluiddruck im Punkt ~x ∈ D zur Zeit t,
µ(~x, t) ≥ 0 dynamische Zahigkeit des Fluids im Punkt ~x ∈ D zur Zeit t.
Dabei werden im weiteren Verlauf kartesische Koordinaten verwendet, mit den folgenden Notationen fur
die drei Situationen d = 1, d = 2 beziehungsweise d = 3:
fur d = 3 : ~x = (x, y, z ), ~u = (u, v, w),
fur d = 2 : ~x = (x, y ), ~u = (u, v ),
fur d = 1 : ~x = x, ~u = u.
Die Dimension der Geschwindigkeitskomponenten u, v und w ist jeweils Lange pro Zeiteinheit. Die Dichte
hat die Dimension Masse pro Volumen, und die dynamische Zahigkeit µ besitzt die Dimension (Lange)2
pro Zeiteinheit. Einige spezifische Großen fur die dynamische Zahigkeit sind in Tabelle 6.1 auf Seite 101
angegeben.
Vor der mathematischen Beschreibung des Verlaufs der Stromungen eines Fluids in dem betrachteten Be-
reich D ⊂ Rd sollen einige grundlegende Begriffe erlautert werden:
• Man unterscheidet zwischen kompressiblen und inkompressiblen Fluiden. Bei kompressiblen Fluiden
hangt die Dichte von außeren Einflussen ab und ist veranderlich, wahrend inkompressible Fluide eine be-
stimmte unveranderliche Dichte besitzen. Die Wasserdichte beispielsweise ist nahezu konstant und betragt
1000 kg pro m3. Der prozentuale Dichteunterschied zwischen Meer- und Sußwasser beispielsweise betragt
0.45%, und der prozentuale Dichteunterschied bei Wassertemperatur von 14 Celsius beziehungsweise 24
Celsius betragt 0.21% (Zielke/Mayerle [17]). Die großte Dichte besitzt Wasser bei 4 Celsius. Auch Gase
Abschnitt 6.2 Die Navier-Stokes-Gleichungen 93
sind bei Geschwindigkeiten unter 100m pro Sekunde nahezu inkompressibel. Die Luftdichte beispielsweise
betragt ungefahr 1.2 kg pro m3.
• Ein weitere bedeutende Eigenschaft von Fluiden ist ihre Zahigkeit, die auch als Viskositiat bezeichnet
wird. Beispielsweise handelt es sich bei Honig, Sirup oder Motorol um viskose Fluide. Ein Maß fur die
Zahigkeit stellt die bereits genannte dynamische Zahigkeit µ dar. Ein weiteres Maß dafur ist die dimen-
sionslose Reynoldszahl Re, die umgekehrt proportional zur dynamischen Zahigkeit ist. Große Werte der
dynamischen Zahigkeit µ beziehungsweise kleine Reynoldszahlen Re bedeuten eine hohe Viskositat, und
umgekehrt bedeuten kleine Werte der dynamischen Zahigkeit µ beziehungsweise große Reynoldszahlen Re
eine geringe Viskositat. Einige spezifische Großen fur die dynamische Zahigkeit sind in Tabelle 6.1 auf Seite
101 angegeben.
• Man unterscheidet zudem zwischen laminarer und turbolenter Stromung. Laminare Stromung bedeutet
schichtenweises Aneinandervorbeigleiten.
• Die gesamte vorgestellte Theorie wird als Stromungsmechanik bezeichnet. Die Stromungsmechanik
speziell der Flussigkeiten wird als Hydrodynamik, die der Gase als Gasdynamik oder auch als Aero-dynamik. Ein verwandtes Feld ist die Thermodynamik zur Beschreibung von orts- und zeitabhangigen
Warmeverteilungsablaufen.
6.2 Die Navier-Stokes-Gleichungen
6.2.1 Die allgemeine Form der Navier-Stokes-Gleichungen
Der Stromungsverlauf eines Fluids in dem betrachteten Bereich D ⊂ Rd beziehungsweise in einem Zeitin-
tervall von t = 0 bis t = T lasst sich mathematisch mit den Navier-Stokes-Gleichungen beschreiben. Im
dreidimensionalen Fall d = 3 handelt es sich dabei um ein System von vier partiellen Differenzialgleichun-
gen zweiter Ordnung fur den Druck p sowie die Komponenten u, v und w des Geschwindigkeitsfelds ~u. Die
konkrete Form dieser Differenzialgleichungen ist folgendermaßen:
∂%
∂t(~x, t) +
[ ∂ (%u)
∂x+
∂ (%v )
∂y+
∂ (%w)
∂z
](~x, t) = 0, (6.1)
∂ (%u)
∂t(~x, t) +
[u∂ (%u)
∂x+ v
∂ (%u)
∂y+ w
∂ (%u)
∂z
](~x, t) = f1(~x, t) − ∂p
∂x(~x, t),
+ µ[ ∂2u
∂x2 +∂2u
∂y2 +∂2u
∂z2
](~x, t) (6.2)
∂ (%v )
∂t(~x, t) +
[u∂ (%v )
∂x+ v
∂ (%v )
∂y+ w
∂ (%v )
∂z
](~x, t) = f2(~x, t) − ∂p
∂y(~x, t),
+ µ[ ∂2v
∂x2 +∂2v
∂y2 +∂2v
∂z2
](~x, t), (6.3)
∂ (%w)
∂t(~x, t) +
[u∂ (%w)
∂x+ v
∂ (%w)
∂y+ w
∂ (%w)
∂z
](~x, t) = f3(~x, t) − ∂p
∂z(~x, t),
+ µ[ ∂2w
∂x2 +∂2w
∂y2 +∂2w
∂z2
](~x, t) (6.4)
jeweils fur ~x ∈ D, 0 ≤ t ≤ T.
Die erste Gleichung (6.1) der Navier-Stokes-Gleichungen resultiert aus dem Prinzip der Massenerhaltung,
und die anderen Gleichungen (6.2) (6.4) der Navier-Stokes-Gleichungen folgen aus dem Prinzip der Impul-serhaltung in Richtung der drei Koordinatenachsen. Herleitungen dieser Prinzipien werden in Abschnitten
bezeichnet die im Ort ~x zur Zeit 0 ≤ t ≤ T wirkenden außeren Krafte. Beispielsweise kann sich ~f aus
der nach unten wirkenden Schwerkraft und der bestehenden Rotationskraft zusammensetzen, wobei letztere
auch als Coriolis Kraft bezeichnet wird. In dieser Situation hat ~f die folgende Form:
~f (~x, t) = %(~x, t)
0
0
−g
+ 2ω%(~x, t)
v sin θ − w cos θ
−u sin θ
u cos θ
,
wobei g = 9.81m/s2 die Schwerebeschleunigung bezeichnet, und ω = 72.9 · 10−6 ist die Winkelgeschwin-
digkeit der Erde im Bogenmaß pro Sekunde, und θ ∈ [−π, π ] bezeichnet den lokalen Breitengrad.
6.2.2 Navier-Stokes-Gleichungen in koordinatenfreier Schreibweise
Eine ubliche koordinatenfreie Schreibweise fur die Navier-Stokes-Gleichungen (6.1) (6.4) ist
∂%
∂t+ ∇ · (%~u) = 0, (6.5)
∂ (%~u)
∂t+ (~u · ∇)(%~u) = ~f −∇p + µ∆~u (6.6)
mit den vier folgenden Abkurzungen:
• ∇·(%~u) fur das skalare Produkt des Nabla Operators mit dem Ausdruck Dichte × Geschwindigkeitsfeld
%~u,
∇ · (%~u) =∂ (%u)
∂x+
∂ (%v )
∂y+
∂ (%w)
∂z,
• ~u · ∇ fur das skalare Produkt des Geschwindigkeitsfelds ~u mit dem Nabla Operator,
~u · ∇ = u∂
∂x+ v
∂
∂y+ w
∂
∂z,
• ∇p fur den Gradienten des Drucks p,
∇p = (∂p
∂x,∂p
∂y,∂p
∂z)>,
• ∆~u fur den Laplace Operator fur das Geschwindigkeitsfeld ~u,
∆~u =∂2~u
∂x2 +∂2~u
∂y2 +∂2~u
∂z2 =
∂2u
∂x2 +∂2u
∂y2 +∂2u
∂z2
∂2v
∂x2 +∂2v
∂y2 +∂2v
∂z2
∂2w
∂x2 +∂2w
∂y2 +∂2w
∂z2
.
6.2.3 Anfangs- und Randstromung
Zur vollstandigen Beschreibung der Fluidstromung sind noch Anfangs- und Randbedingungen fur das Ge-
schwindigkeitsfeld der Stromung erforderlich. Anfangsbedingungen sind von der Form
~u(~x, 0) = ~u0(~x) fur ~x ∈ D,
Abschnitt 6.2 Die Navier-Stokes-Gleichungen 95
wobei diese noch die erste Gleichung (6.1) der Navier-Stokes-Gleichungen erfullen sollen.
Bei raumlichen Bereichen D mussen fur jeden Randpunkt
~x ∈ Γ := ∂D
fur alle betrachteten Zeiten t ∈ [0, T ] drei skalare Randbedingungen vorgegeben werden. Einige typische
Randbedingungen sollen im Folgenden vorgestellt werden. Vorbereitend sei hierfur die senkrecht zur Ober-
flache, nach außen gerichtete Komponente des Geschwindigkeitsfelds der Stromung mit
ϕn(~x, t)
bezeichnet. Weiter seien die Komponenten des Geschwindigkeitsfelds der Stromung in Richtung zweier
tangential zur Oberflache stehenden Richtungen mit
ϕt1(~x, t), ϕt2
(~x, t)
bezeichnet. Die Funktionen hangen von der speziellen Wahl der Tangenten ab. Im Folgenden werden typi-
sche Randbedingungen beschrieben.
(i) (Vorgegebenes Geschwindigkeitsfeld der Stromung ) Die Geschwindigkeitsfeld der Stromung ist
vorgegeben,
~u(~x, t) = ~u1(~x, t) fur t ∈ [0, T ], (6.7)
mit gegebenen Vektor ~u1(~x, t) ∈ R3. Falls der Vektor ~u(~x, t) zur Zeit t in das Innere des Bereichs D
gerichtet ist, was gleichbedeutend mit der Vorzeichenbedingung ϕn(~x, t) < 0 ist, so liegt eine Einstromungvor. Ist dagegen der Vektor ~u(~x, t) in das Außere des Bereichs D gerichtet, was gleichbedeutend mit der
Vorzeichenbedingung ϕn(~x, t) > 0 ist, so handelt es sich um Ausstromung.
Ein Spezialfall von (6.7) stellt die Bedingung
~u(~x, t) = 0 fur t ∈ [0, T ]
dar. In dieser Situation befindet sich das Fluid im betrachteten Randpunkt ~x in Ruhe, man spricht dann von
einer Haftbedingung.
(ii) (Stromung entlang der Oberflache ) Es findet keine Ein- und auch keine Ausstromung statt, und die
beiden Komponenten der Geschwindigkeitsfeld der Stromung tangential zur Oberflache sind vorgegeben:
ϕn(~x, t) = 0, ϕt1(~x, t) = ϕ0
t1, ϕt2
(~x, t) = ϕ0t2.
Anstelle der beiden tangential zur Oberflache wirkenden Komponenten der Geschwindigkeitsfeld der Stromung
lassen sich auch deren Anderungen in Normalenrichtung vorgeben:
ϕn(~x, t) = 0,∂ϕt1
∂~n(~x, t) = ϕ1
t1,
∂ϕt2
∂~n(~x, t) = ϕ1
t2.
Der spezielle Fall ϕ1t1
= ϕ1t2
= 0 bedeutet fehlende Reibung, man spricht dann von Rutschbedingungen.
Auf Seite 99 werden Randbedingungen fur ebene Bereiche D ⊂ R2 angegeben.
Es sollen nun einige Spezialfalle fur Stromungen vorgestellt werden, die jeweils zu Vereinfachung der
Navier-Stokes-Gleichungen fuhren:
• Fur inkompressible Fluide ist die Dichte % unabhangig von Ort und Zeit. Insbesondere gilt daher∂%
∂t= 0.
• Der in den Navier-Stokes-Gleichungen (6.1) (6.4) allgemeine Fall der Zeitabhangigkeit der betrachteten
Zustandsgroßen Geschwindigkeitfeld, Druck und Dichte bezeichnet man als instationare Stromung. Sind
dagegen alle auftretenden Großen zeitunabhangig, so spricht man von stationarer Stromungen. Insbeson-
dere fallen in den Navier-Stokes-Gleichungen (6.1) (6.4) die Terme mit Zeitableitungen weg.
• Bei nicht-viskosen Fluiden ist µ = 0, und dann verschwinden in den letzten drei der Navier-Stokes-
Gleichungen die Terme mit ∆u, ∆v und ∆w. Die entstehenden partiellen Differenzialgleichungen erster
Ordnung bezeichnet man als Eulersche Differenzialgleichungen.
6.3 Das Prinzip der Massenerhaltung
Die Navier-Stokes-Gleichungen stellen eine Sammlung von Erhaltungsprinzipien dar, der Massenerhal-
tung sowie der Impulserhaltung bezuglich der drei Koordinatenachsen. In diesem und dem nachfolgenden
Abschnitt sollen diese Erhaltungsprinzipien erlautert werden.
Die erste der vier Navier-Stokes-Gleichungen, dies ist
∂%
∂t(~x, t) + [
∂ (%u)
∂x+
∂ (%v )
∂y+
∂ (%w)
∂z](~x, t) = 0 fur ~x ∈ D, 0 ≤ t ≤ T, (6.8)
wird als Kontinuitatsgleichung bezeichnet und beruht auf dem Prinzip der Massenerhaltung. Dieses Prinzip
wird im weiteren Verlauf fur ein durch einen Bereich D ⊂ R3 stromendes Fluid hergeleitet.
Hierzu wird im Zeitintervall von t = t∗ bis t = t∗ + ..................................................................................... t ein kleines Teilvolumen aus D in Form eines
kleinen Parallelotops betrachtet, welches parallel zu den Koordinatenachsen verlaufenden Kanten der je-
weiligen Lange ..................................................................................... x, ................
..................................................................... y und ................
..................................................................... z besitzt. Der Punkt ~x∗ = (x∗, y∗, z∗ ) sei eine der Ecken des Parallelotops.
Die vorliegende Situation ist in Abbildung 6.1 dargestellt.
Zur Vereinfachung der nachfolgenden Betrachtungen sei noch angenommen, dass alle auftretenden Ge-
schwindigkeiten und deren betrachteten Ortsableitungen positiv sind.
Als erstes soll diejenige Masse berechnet werden, die im Zeitintervall von t = t∗ bis t = t∗ + ..................................................................................... t durch
diejenige Flache einstromt, die den Punkt ~x∗ als einen Eckpunkt besitzt und die auf einer Seite durch die
y-Achse und auf einer anderen Seite durch die z-Achse begrenzt ist. In Abbildung 6.1 handelt es sich dabei
um die rechtsseitige Begrenzungsflache des Parallelotops.
Diese einstromende Masse betragtZ t∗+................
..................................................................... t
t∗
Z z∗+..................................................................................... z
z∗
Z y∗+..................................................................................... y
y∗
(%u)(x, t) dy dz dt = (%u)(~x∗, t∗ ) ..................................................................................... y ................
..................................................................... z ................
..................................................................... t + h.o.t. (6.9)
Hier ist h.o.t. eine Abkurzung fur higher order terms. Speziell gilt hier h.o.t. = O( ..................................................................................... y ................
..................................................................... z ................
Ahnlich berechnet man diejenige Masse, die im Zeitintervall von t = t∗ bis t = t∗ + ..................................................................................... t durch diejenige
Flache ausstromt, die durch den Punkt ~x∗ + ( ..................................................................................... x, 0, 0) lauft und die parallel zu der eben betrachteten Flache
ist. Die durch diese Flache ausstromende Masse betragt
........................................................... x ................
..................................................................... y ................
..................................................................... z + h.o.t. (6.13)
Gleichsetzen der Terme in (6.12) und (6.13) sowie eine Division durch ..................................................................................... x ................
..................................................................... y ................
..................................................................... z ................
..................................................................... t liefert die Konti-
nuitatsgleichung versehen mit einem Fehlerterm h.o.t. Dieser wird eliminiert durch einen abschließenden
Grenzubergang ..................................................................................... x + ................
..................................................................... y + ................
..................................................................... z + ................
..................................................................... t→ 0 und fuhrt auf die Kontinuitatsgleichung (6.8).
6.4 Das Prinzip der Impulserhaltung
Im weiteren Verlauf wird das zweite Newtonsche Gesetz herangezogen. Bei inkompressible Fluiden lautet
dies “Masse × Beschleunigung = wirkenden Krafte“, andernfalls “ Anderung von (Masse × Geschwind-
keit ) pro Zeiteinheit = wirkenden Krafte“ Dieses angewandt in Bezug auf die x-Richtung, y-Richtung sowie
die z-Richtung liefert gerade die die Gleichungen (6.2) (6.4) in den Navier-Stokes-Gleichungen. Dabei kor-
respondieren die linken Seiten jeweils zur Masse × Beschleunigung und die jeweiligen rechten Seiten die
in die jeweiligen Richtungen wirkenden Krafte widerspiegeln. Haufig werden auch nur die drei Gleichungen
(6.2) (6.4) als Navier-Stokes-Gleichungen bezeichnet.
Im Folgenden soll die zeit , orts und richtungsabhangige Beschleunigung des Fluids als Funktion des
Geschwindigkeitsfelds ~u dargestellt werden. Hierzu bezeichne
Ψ(t) = (x(t), y(t), z(t))
die Bahn desjenigen Fluidspartikels, das sich zu einer bestimmten Zeit t∗ in einem ausgewahlten Punkt
~x∗ = (x∗, y∗, z∗ ) ∈ D befindet. Es gilt also insbesondere
Ψ(t∗ ) = ~x∗.
Die Geschwindigkeitsvektor des Fluids in dem Punkt ~x∗ zur Zeit t∗ betragt
(u, v, w )︸ ︷︷ ︸
= ~u
(~x∗, t∗ ) = lim∆t→0
Ψ(t∗ + ∆t) − Ψ(t∗ )
∆t=
ddt
Ψ(t)|t=t∗ = ( x(t∗ ), y(t∗ ), z(t∗ )). (6.14)
Dazu wird noch die Bewegung ein kleines Kontrollvolumens aus D in Form eines kleinen Parallelotops mit
den Kantenlangen ..................................................................................... x, ................
..................................................................... y und ................
..................................................................... z herangezogen und dessen Bewegung im Zeitintervall von t = t∗ bis t =
t∗ + ..................................................................................... betrachtet. Zur Zeit t = t∗ befinde sich eine der Ecken des Parallelotops im Punkt ~x∗ = (x∗, y∗, z∗ )
sei eine der Ecken des Parallelotops. Die vorliegende Situation ist in Abbildung 6.2 dargestellt.
[15] PRANDTL, L., K. OSWATITSCH und K. WIEGHARDT: Fuhrer duch die Stromungslehre. Vieweg, Braunschweig/Wiesbaden, 9. Auflage, 1990.
[16] WILMOTT, P., J. DEWYNNE und S. HOWISON: Option Pricing. Oxford Financial Press, Oxford, 1. Auflage,1994.
[17] ZIELKE, W. und R. MAYERLE: Kustengewasser. In: ZIELKE, W. (Herausgeber): Numerische Modelle vonFlussen, Seen und Kustengewassern, Bonn, 1999. Deutscher Verband f ur Wasserwirtschaft und Kulturbau.