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WSPÖLCZESNE PROBLEMY PRAWA PODKI'I(OWEGO Teoria i pra k t y k a Toml ----- Ksiga jubileuszowa dedykowana Prosorowi BOGUMILOWI BRZEZINSKIEMU +-------------------------�------+
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Teoria i praktyka ----Toml - Kompetenzzentrum Steuerrecht · 2019. 9. 13. · Toml - Ksit,ga jubileuszowa dedykowana Profesorowi BOGUMILOWI BRZEZINSKIEMU +----- -----+ Redaktor naukowy

Jan 26, 2021

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  • WSPÖLCZESNE

    PROBLEMY

    PRAWA PODKI'I(OWEGO

    Teoria i praktyka

    Toml -----

    Ksit,ga jubileuszowa dedykowana Profesorowi

    BOGUMILOWI BRZEZINSKIEMU

    +-------------------------�------+

  • Redaktor naukowy

    Jan Gluchowski

    Kolegium redakcyjne

    Prof. dr hab. Jan Gluchowski (przewodnicz�cy)

    Prof. dr hab. Marek Kalinowski

    Prof. dr hab. Adam Nita

    Dr hab. Krzysztof Lasinski-Sulecki, prof. UMK

    Dr hab. Wojciech Morawski, prof. UMK

    Dr hab. Agnieszka Olesinska, prof. UMK

  • WSPÖLCZESNE

    PROBLEMY

    PRAWA PODATKOWEGO

    Teoria i praktyka

    Tomi

    Ksit;ga jubileuszowa dedykowana Profesorowi

    BOGUMILOWI

    BRZEZINSKIEMU

    @ Wolters Kluwer WARSZAWA 2019

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  • VEREINFACHUNG DES STEUERRECHTS

    - POSTULAT DES RECHTS ODER

    NUR STEUERPOLITISCHES LIPPENBEKENNTNIS?

    RomanSeer

    1. EIN:FÜHRUNG

    Der Ruf nach spürbarer Vereinfachung des Steuerrechts ist regelmäßig Gegenstand steuerpolitischer Forderungen, ja sogar von Koalitionsvereinbarungen von Regierungsparteien1 . Vor Jahren gab es in Deutschland sogar eine Hochzeit von Steuervereinfachungsvorschlägen: - 1986: den sog. Gaddum-Plan einer „einfachen und gerechten Steuer

    reform"2,

    - 1996: die von Uldall propagierte „Steuerwende"3, an die sich die Initiative der CDU zu den Petersburger Steuervorschlägen 1997v. 22.1.1997 anschloss',

    - 2001-2008: den Karlsruher Entwurf eines Einkommensteuergesetzes von Paul Kirchhof, woraus später die Heidelberger Forschungsgruppe ,,Bundessteuergesetzbucn' wurde5,

    1 So etwa der Koalitionsvertrag vorn 16.12.2013 zwischen den deutschen Regierungsparteien CDU (Christliche Demokratische Union Deutschlands), CSU (Christliche Soziale Union) und SPD (Sozialdemokratische Partei Deutschlands), S. 63: ,,Steuervereinfachung ist eine Daueraufgabe. Es ist ein wichtiges politisches Ziel, hier Schritt für Schritt voranzukommen und dabei insbesondere auch die technischen Möglichkeiten der modernen Datenverarbeitung zu nutzen. Von diesem dauerhaften Prozess profitieren alle an der Besteuerung beteiligten Gruppen: die Steuerzahler, die Verwaltung und die steuerberatenden Berufe".

    2 Benannt nach dem langjährigen früheren Finanzminister des Landes Rheinland-Pfalz Johann Wilhelm Gaddum (später: Vizepräsident der Deutschen Bundesbank).

    3 Langjähriges CDU-Bundestagsmitglied Gunnar Uldall, Die Steuerwende -eine neue Einkommensteuer - einfach und gerecht, 1996.

    4 Neue Juristische Wochenschrift 1997, Beil. Nr. 13. 5 P. Kirchhof (Hrsg.), Bundessteuergesetzbuch, Ein Reformentwurf zur Erneu

    erung des Steuerrechts, 2011.

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  • - VEREINFACHUNG DES STEUERRECHTS ... -

    - 2003: den provokanten Vorschlag von Friedrich Merz6 einer Reform der Einkommensteuer, deren Erklärung „auf einen Bierdeckel" passen sollte,

    - 2005: Kölner Entwurf eines Einkommensteuergesetzes unter der Federführung von Joachim Lang7,

    - 2005: Liberale Reform der direkten Steuern unter der Federführung von Otto Solms',

    - 2004-2010: Entwürfe der Kommission „Steuergesetzbuch" der Stiftung Marktwirtschaft unter Federführung von Joachim Lang9• Keiner dieser Vorschläge ist auch nur im Ansatz zum geltenden Recht

    geworden. Offenbar ist in der realen Steuerpolitik kein Platz für aus einem Guss verfasste Reformkonzepte. Gleichzeitig fragt man sich: Ist das Postulat der Steuervereinfachung nur ein rechtspolitisches oder besitzt es au�h eine verfassungsrechtliche Dimension? Bereits 1995 hat die Deutsche $teuerjuristische Gesellschaft auf einem Symposion nach der „Steuergerechtigkeit durch Steuervereinfachung" gefragt10• Wenig später hat sie 1997 die „Steuervereinfachung" sodann zum Generalthema ihrer 22. Jahrestagung in Wien gemacht11• Die Liste der Einzelreferate ist zeitlos; ihre Struktur lässt sich noch heute ohne weiteres aufrufen: - Steuergleichheit durch Steuervereinfachung12, - Steuergleichheit als Grenze der Steuervereinfachung13, - Steuervereinfachung versus Lenkungsnormen14, - Steuervereinfachung im Verfahren 15, - Steuervereinfachung und Europarecht16, - Steuervereinfachung im internationalen Vergleich17•

    Es ist hier nicht der Raum, den gesamten vorgenannten Bogen zu spannen. Anhand einiger ausgewählter Beispiele soll im Folgenden aber

    6 Früherer Fraktionsvorsitzender der CDU im Deutschen Bundestag. 7 ]. Lang u.a., Kölner Entwurf eines Einkommensteuergesetzes, 2005. ' Solms (Hrsg.), Liberale Reform der direkten Steuern, 2005. 9 Lang/Eilfort, Strukturreform der deutschen Ertragsteuern, 2013. 10 Dazu Seer, Steuer und Wirtschaft 1995, 184. 11 P. Fischer (Hrsg.), Steuervereinfachung, Deutsche Steuerjuristische Gesell-

    schaft (DStJG) Band 21, 1998. 12 P. Kirchhof, DStJG Bd. 21 (Fn. 7), 9 ff. 1' Ruppe, DStJG Bd. 21 (FI}. 7), 29 ff. 14 Friauf, DStJG Bd. 21 (Fn. 7), 85 ff. 15 Dazu Referate v. Raupach, Meyding u. Stolterfoht, DStJG Bd. 21 (Fn. 7), 175

    ff., 219 ff., 233 ff. 1' M. Lang, DStJG Bd. 21 (Fn. 7), 145 ff. 17 Ault, DStJG Bd. 21 (Fn. 7), 107 ff.

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    - ROMAN SEER --

    wenigstens auf die ersten vier genannten Themenkomplexe eingegangen werden.

    II. SYSTEMDENKEN ALS GRUNDBEDINGUNG DES RECHTS

    Systemdenken in der Jurisprudenz ermöglicht sowohl eine Wissenschaftsorientierung der Rechtspraxis als auch umgekehrt eine Praxisorientierung der Rechtswissenschaft18 • Einen aus rechtswissenschaftlicher Sicht höchst undogmatischen Ansatz vertreten dagegen regelmäßig Steuerpolitiker, besonders pointiert formuliert etwa vom früheren Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, Axel Nawrath19• Sie sehen in der Steuergesetzgebung lediglich ein Instrument der Steuerpolitik, das an keinerlei Systemvorgaben gebunden ist. Auch wenn das steuerpolitische Gestaltungsbedürfnis grundsätzlich anzuerkennen ist, darf es indessen nicht mit „Steuerbeliebigkeit" gleichgesetzt werden. Ich möchte vielmehr die Gegenthese formulieren: Ein rechtsstaatliches Gesetz bedingt ein schlüssiges System, nur ein systematisches Gesetz ist auch ein rechtsstaatliches Gesetz. Auch wenn das Steuerrecht aus dem Diktum des Gesetzgebers lebt20, ist dieses kein beliebiges Diktat: Der Gesetzgeber darf keine beliebige Besteuerung anordnen. Er ist nicht demokratisch legitimiert zur Steuerwillkür durch Systemlosigkeit21•

    Das BVerfG vertritt in nunmehr ständiger Rechtsprechung die folgende Position:22 Zwar besitzt der Gesetzgeber einen weitreichenden Gestaltungsspielraum bei der Auswahl des Steuergegenstandes (des Belastungsgrundes) und bei der Bestimmung des Steuersatzes. Die einmal getroffene Belastungsentscheidung hat er dann aber folgerichtig im Sinne der Belastungsgleichheit umzusetzen23• Für den Bereich der direkten Steuern wird der Handlungsspielraum des Gesetzgebers „vor allem durch zwei eng

    18 Jestedt, Wissenschaftliches Recht, in: G.Kirchhof/Magen/K.Schneider, Was weiß Dogmatik?, 2012, 117, 124 ff.

    19 Siehe Nawrath, Politische Leitlinien der Unternehmenssteuerreform 2008, Jahrbuch der Fachanwälte für Steuerrecht 2008/09, 11 ff.; ders., Deutsches Steuerrecht (DStR) 2009, 2 ff.

    20 So die v ielzitierte Aussage des BVerfG v. 24.1.1962-1 BvR 232/60, BVerfGE 13,318.

    21 Eindringlich Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Band I, 2. Aufl., 2000, 257 f. 22 Siehe Me/linghoff, Verfassungsbindung und weiter Gestaltungsspielraum

    des Gesetzgebers, in: Festschrift für Spindler, 2011, 153, 160 ff. 23 Dazu näher Englisch, Folgerichtiges Steuerrecht als Verfassungsgebot, in:

    Festschrift für ].Lang, 2010, 167, 172 ff.

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  • - VEREINFACHUNG DES STEUERRECHTS.,. -

    miteinander verbundene Leitlinien.begrenzt: durch die Ausrichtung der Steuerlast an den Prinzipien der finanziellen Leistungsfähigkeit und der Folgerichtigkeit" 24• Die Rechtsprechung lässt sich wie folgt beschreiben: Für die Auswahl des Steuergegenstandes gilt das Willkürverbot. Im Binnenbereich der einzelnen Steuer fordert das Gericht nachfolgend aber Systemkonsequenz und wendet grundsätzlich das Gebot verhältnismäßiger Gleichheit an. Abweichungen von der einmal getroffenen Belastungsentscheidung bedürfen danach nicht nur (irgend)eines sachlichen Grundes, sondern eines besonderen, sachlich rechtfertigenden Grundes, der hinreichend ist, um die Abweichung zu rechtfertigen.

    III. ZUSAMMENHANG ZWISCHEN SYSTEMKONSEQUENZ

    UND STEUERVEREINFACHUNG AM BEISPIEL DER

    EINKOMMEN- UND GEWERBESTEUER

    Vor diesem Hintergrund ließe sich die deutsche Einkommensteuer bei einer Besinnung auf den Systemgedanken wesentlich vereinfachen. Ihr liegt nach wie vor ein antiquierter Einkunftsartenkatalog zugrunde, der zu aufwendigen Abgrenzungsstreitigkeiten Anlass gibt. Dieser ist durch Einkunfts-, Berufs- und Sozialbilder geprägt, die steuerspezifische Sachkriterien vermissen lassen. Schon Joachim Lang musste in seiner grundlegenden Habilitationsschrift vor 30 Jahren feststellen:25

    ,,Der Einkünftehistorismus beeinträchtigt das Ziel, Einkünfte im Rahmen der praktisch realisierbaren Ermittlungsmöglichkeiten möglichst vollständig und gleichwertig zu bestimmen".

    Besonders deutlich wird dies am Beispiel der sog. Gewinneinkunftsarten aus Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb und selbständiger Arbeit(§ 13-18 deutsches Einkommensteuergesetz [dEStGJ). Wenn der Belastungsgrund der Einkommensteuer die Besteuerung nach wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit und deren folgerichtige Bemessungsgröße der Gewinn ist (s. § 2 Abs. 2 Nr. 1 dEStG), dann besteht kein Grund, diese Einkunftsarten streitanfällig voneinander zu unterscheiden. Tausende von Streitigkeiten ließen sich vermeiden. Es würde steuerlich irrelevant, in wel-

    24 Aus der reichhaltigen Rspr. s. BVerfG v. 22.6.1995 - 2 BvL 37/91, BVerfGE 93, 121 (136); BVerfG v. 22.6.1995 -2 BvR 552/91, BVerfGE 93, 165 (172); BVerfG v. 6.3.2002-2 BvL 17/99, BVerfGE 105, 73 (125); BVerfG v. 4.12.2002-2 BvR 400/98, BVerfGE 107, 27 (47); BVerfG v. 7.11.2006-1 BvL 10/02, BVerfGE 117, 1 (30); BVerfG v. 9.12.2008 -2 BvL 1/07, BVerfGE 122, 210 (230).

    25 J. Lang, Die Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer, Habil., Köln 1981/88, 222.

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  • - ROMAN SüER --

    ehern Umfang ein Landwirt oder Weinbauer Tiere oder Rohstoffe zukauft oder auf eigenem Grund und Boden züchtet. Der willkürliche Katalog von sog. freien Berufen, der seit 1960 unangepasst in § 18 Abs. 1 Satz 2 dEStG vom Arzt bis zum Lotsen reicht und für einen Typenvergleich unbrauchbar ist, kann ersatzlos abgeschafft werden. Letztlich handelt es sich bei allen in den § 13-18 dEStG genannten Einkunftsbildern um selbständige unternehmerische Tätigkeiten. Es bliebe dann nur noch, die vereinfachende Gewinnermittlungsart der Einnahmen-Überschuss-Rechnung nach § 4 Abs. 3 dEStG anzupassen. Sie könnte zukünftig allgemein (unabhängig von der Einkunftsart) allen kleinen und mittleren Unternehmen bestimmter Größenordnung vorbehalten sein.

    Zugleich böte diese systemgerechte Vereinheitlichung der Besteuerung unternehmerischer Einkünfte die Möglichkeit zur Bereinigung der Gewerbesteuer. Der ressourcenfressende Streit um die Einkunftsart „Gewerbebetrieb" wird vornehmlich im Hinblick auf die Gewerbesteuer geführt, die in § 2 Abs. 1 Satz 2 des deutschen Gewerbesteuergesetzes an die einkommensteuerliche Qualifikation anknüpft. Die Gewerbesteuer ließe sich zu einer rechtsformneutralen kommunalen Unternehmensteuer, die alle selbständigen Unternehmen mit Betriebsstätten im jeweiligen Gemeindegebiet erfasst26, verbreitern. Damit würde sich zugleich die Steuerbasis für die Kommunen insgesamt erhöhen und eine Gleichbehandlung mit Kapitalgesellschaften, die freiberufliche oder land- und forstwirtschaftliche Tätigkeiten entfalten, bewirkt. Die Betriebsgrundstücke (und insbesondere land- und forstwirtschaftliches Grundvermögen) belastende, technisch aufwendige Grundsteuer könnte zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung mit der kommunalen Unternehmensteuer insoweit schlicht abgeschafft werden, statt sie -wie bisher bei der Gewerbesteuer geschehen - durch eine streitanfällige Kürzungsvorschrift (§ 9 Nr. 1 GewStG) auf fehlerhaft-typisierende Weise zu berücksichtigen.

    Um der Kumulation von persönlicher Einkommensteuer und kommunaler Unternehmensteuer zu begegnen, wäre schließlich die Ermäßigung nach§ 35 dEStG entsprechend zu verbreitern. Dies würde bei der Steuerertragsverteilung zu Lasten des Bundes und der Länder gehen. Der Verlust könnte aber durch eine entsprechende Absenkung des kommunalen Anteils am Umsatzsteueraufkommen im Rahmen der Steuerertragsverteilung wieder kompensiert werden. In diesem Zuge sollte auch die systemfremde Gewerbesteuerumlage im Sinne des Art. 106 Abs. 6 Satz 4 des deutschen Grundgesetzes (dGG), die kommunales Aufkommen in die Gegenrichtung \ auf Bund und Länder verlagert, abgeschafft werden. · j

    26 Siehe Vorschlag in Lang/Eilfort (Fn. 9).

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  • - VEREINFACHUNG DES STEUERRECHTS ... -

    IV. ZUSAMMENHANG ZWISCHEN SYSTEMKONSEQUENZ

    UND STEUERVEREINFACHUNG AM BEISPIEL

    DER UMSATZSTEUER

    Das gesamte Mehrwertsteuersystem beruht auf dem Grundsatz, dass auf Gegenstände und Dienstleistungen eine allgemeine, zum Preis der Gegenstände und Dienstleistungen genau proportionale Verbrauchsteuer anzuwenden isti dies ungeachtet der Zahl der Umsätze, die auf den vor der Besteuerungsstufe liegende.n Produktions- und Vertriebsstufen bewirkt werden27• Auf dieser Basis hat sich heute die Auffassung durchgesetzt, dass die Umsatzsteuer ihrem Belastungsgrund nach eine indirekte Verbrauchsteuer darstellt28• Der Staat partizipiert mit der Umsatzsteuer an der sich durch den Konsum typischerweise am Markt offenbarenden, wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Endverbrauchers, des sog. Steuerträgers, der in der Anonymität des Markts verbleibt".

    Der Belastungsgrund bestimmt auch den Charakter des Steuerpflichtigen i.S.d. Art. 9 Abs. 1 MwStSystRL, den das nationale Umsatzsteuerrecht in§ 13a Abs. 1 Nr. 1 i.V. mit§ 2 Abs. 1 des deutschen Umsatzsteuergesetzes (dUStG) als Unternehmer zum Steuerschuldner macht. Die Steuerschuld ist aber nur formaler Natur und dient der verwaltungseffizienten Absicherung des Staates, dem es praktisch unmöglich ist, die Umsatzsteuer direkt beim Konsumenten zu erheben 30. So formuliert auch der Europäische Gerichtshof (EuGH) klarsichtig, dass Lieferer als „ Steuereinnehmer für Rechnung des Staates und im Interesse der Staatskasse" fungieren und die Mehrwertsteuer schulden, obwohl diese Verbrauchsteuer letztlich vom Endverbraucher getragen wird31• Die Umsatzsteuerschuldnerschaft des Unternehmers besitzt damit einen überschießenden Inhalt. Es soll nicht die sich im Umsatz zeigende wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Unternehmens, sondern die eines dem Staat unbekannten Dritten abgeschöpft

    27 Art. 1 Abs. 2 MwStSystRL 2006/112/EG v. 28.11.2006, Amtsblatt der EU Nr. L 347, 1.

    28 Siehe nur Englisch, in Tipke/Lang, Steuerrecht, 23. Aufl., 2018, § 17 Rz. 10. 29 So plastisch P. Kirchhof, in Handbuch des Staatsrechts, Bd. V, 3. Aufl., 2007,

    § 118 Rz. 241. 30 Siehe Klose, Die Begriffe des Unternehmers und des Steuerpflichtigen

    im deutschen und europäischen Umsatzsteuerrecht, Diss. Passau, Frankfurt a.M. 2000, 20.

    31 So EuGH v. 20.10.1993 - C-10/92, Balocchi, Sammlung 1993, 5105, Rz. 25; EuGH v. 21.2.2008 - C-271/06, Netto Supermarkt, Sammlung 2008 I-7 7 1, Rz. 21.

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    - ROMAN SEER -

    werden. Dazu wird der Unternehmer als Privatsubjekt in den Dienst genommen und erfüllt eine Inkassofunlction32•

    Diesem Inkassoprinzip widerspricht der derzeit geltende Grundsatz der sog. Sollbesteuerung (§ 13a Abs. 1 Nr. 1 lit. a] i.V. mit § 16 Abs. 1 dUStG), wonach eine Besteuerung bereits nach vereinbarten Entgelten (sog. Sollprinzip) erfolgt; es also auf den tatsächlichen Eingang des Entgelts nicht ankommt. Diese technische Ausgestaltung deformiert den Belastungsgrund der Umsatzsteuer. Der Unternehmer wird nicht nur zum Inkasso (zur Steuereinsammlung), sondern darüber hinaus auch zur Vorfinanzierung der Mehrwertsteuerschuld gezwungen. Umgekehrt setzt sich der Staat zugleich dem Risiko einer unberechtigten Vorsteuervergütung aus, indem er den Vorsteueranspruch ebenfalls von einem Zahlungsvorgang abkoppelt. Eine unverhältnismäßige Belastung des leistenden Unternehmers kann rechtlich nicht durch eine unverhältnismäßige Begünstigung des die Leistung in Anspruch nehmenden Unternehmers kompensiert werden. Das systemkonsequente Prinzip ist das an den Zahlungen anknüpfende Istprinzip. Es würde das Bedürfnis nach aufwendigen Umsatzsteuer-Berichtigungen i.S. des § 17 dUStG ebenso mindern wie die Möglichkeiten des Umsatzsteuerbetruges durch einen Vorsteuerabzug ohne Steuerzahlung.

    Ein Fundamentalprinzip des Umsatzsteuerrechts ist außerdem das Prinzip der Wettbewerbsneutralität, das bereits in der Präambel der MwStSystRL wie folgt beschrieben wird:33

    „Voraussetzung für die Verwirklichung des Ziels, einen Binnenmarkt zu schaffen, ist, dass in den Mitgliedstaaten Rechtsvorschriften über die Umsatzsteuern angewandt werden, durch die die Wettbewerbsbedingungen nicht verfälscht und der freie Waren- und Dienstleistungsverkehr nicht behindert werden. Es ist daher erforderlich, eine Harmonisierung der Rechtsvorschriften über die Umsatzsteuern im Wege eines Mehrwertsteuersystems vorzunehmen, um soweit wie möglich die Faktoren auszuschalten, die geeignet sind, die Wettbewerbsbedingungen sowohl auf nationaler Ebene als auch auf Gemeinschaftsebene zu verfälschen".

    Der EuGH hat das Neutralitätsprinzip in zwei Richtungen hin entfaltet34. Zum einen ist der Unternehmer vollständig von der im Preis von

    32 Davon auszunehmen ist allerdings die Inanspruchnahme des Unternehmers für unentgeltliche Wertabgaben nach §§ 3 Abs. lb, 9a dUStG, weil der Unternehmer insoweit ausnahmsweise als Endverbraucher direkt besteuert wird.

    33 Ausführlich zur Verankerung des Neutralitätsprinzip in den EG/EU-Richtlinien zur Mehrwertsteuer s. Zirkl, Die Neutralität der Umsatzsteuer als europäisches Besteuerungsprinzip, Diss., 2015, 135 ff.

    34 Siehe Englisch, in Tipke/Lang (Fn. 24), § 17 Rz. 23.

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  • - VEREINFACHUNG DES STEUERRECHTS .. , -

    Vorleistungen auf ihn überwälzten Umsatzsteuer zu entlasten; der Vorsteuerabzug i.S. des§ 15 Abs. 1 dUStG ist daher ein „integraler Bestandteil des Mechanismus der Mehrwertsteuer"35• Zum anderen effektuiert der EuGH das Neutralitätsprinzip als Ausprägung des Grundsatzes der Wettbewerbsgleichheit36 .

    Dieses System wird im geltenden Umsatzsteuerrecht leider gleich in mehrfacher Hinsicht verkomplizierend und zugleich wettbewerbsbeeinträchtigend verlassen. Wir finden - grob unterteilt - 3 Typen von Umsätzen: - zu 19% regelbesteuerte Umsätze mit vollem Vorsteuerabzug, - zu 7% ermäßigt besteuerte Umsätze mit vollem Vorsteuerabzug und - steuerbefreite Umsätze mit Ausschluss des Vorsteuerabzuges.

    Die sich daraus ergebenden Friktionen können in ihrer Fülle hier nicht dargelegt werden. Nur so viel: Es bedarf des Vehikels eines weiter verkomplizierenden, allerdings derzeit nur begrenzten Optionsrechts (§ 9 UStG) und des an sich systemfremden Gestaltungsmittels der umsatzsteuerlichen Organschaft, um aus unternehmerischer Sicht das Schlimmste zu verhindern. Gleichwohl bleiben die wettbewerbsverzerrenden Unterschiede, wie das jüngst vom EuGH entschiedene Beispiel der sog. E-Books (19%) versus Printausgaben (7%) zeigt37• Die Frage, ob ein Verzehr an Ort und Stelle als Restaurationsleistung mit 19% oder um einen Verkauf von Lebensmitteln, die zum häuslichen Verzehr mitgenommen werden (7%), vorliegt, ist höchst streitanfällig und prüfungsaufwendig. Die Beispiele ließen sich endlos fortsetzen. Die einzig systemkonforme Lösung wäre ein einheitlicher Steuersatz bei uneingeschränktem Vorsteuerabzug. Man mag über Lebensmittel aus sozialpolitischen Gründen diskutieren, aber die Liste der dem ermäßigten Steuersatz unterliegenden Gegenstände hat nur sehr wenig mit der steuerlichen Schonung eines existenzsichernden Lebensbedarfs zu tun.

    Die Möglichkeiten des nationalen Gesetzgebers zur systemkonformen, gleichzeitig steuervereinfachenden Ausgestaltung des Umsatzsteuergesetzes sind aufgrund der Vorgaben der sog. MwSt-System-Richtlinie begrenzt. Art. 66 MwStSyst-RL ermöglicht derzeit nur eine sektorale Abweichung vom Sollprinzip. Auch schreiben Art. 135, 136 MwStSyst-RL eine bestimmte Liste von Steuerbefreiungen bereits unionsrechtlich vor. Jedenfalls mit dem Katalog ermäßigter Steuersätze könnte der nationale

    35 So EuGH v. 30.9.2010 - C 392/09, Uszodaepitö, Sammlung 2010 I-8791 Rz. 34; EuGH v. 28.7.2011 - C 274/10, Kommission/Ungarn, Sammlung 2011 I-7289, Rz. 43.

    36 Englisch, in Tipke/Lang (Fn. 24), § 17 Rz. 23. 37 EuGH v. 7.3.2017 - C 390/15 (Große Kammer), RPO, EU:C:2017:174.

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  • - ROMAN SEER -

    Gesetzgeber dagegen allein aufräumen. Außerdem sollte er sich an den Arbeiten der EU-Kommission für eine grundlegende Reform der Umsatzsteuer auf Gemeinschaftsebene" tatkräftig beteiligen.

    V. TYPISIERUNGSBEFUGNIS DES GESETZGEBERS

    IN DEN GRENZEN DES STEUERSYSTEMS

    Selbst eine systemkonforme Ausgestaltung des Steuerrechts stößt in den jährlich wiederkehrenden Massenverfahren auf das Spannungsverhältnis zwischen Einzelfall- und Gesamtgerechtigkeit. Hier bedarf es einer Abwägung im Sinne eines schonenden Ausgleichs widerstreitender Individual- und Gemeinwohlinteressen unter Berücksichtigung des Vereinfachungsgedankens. Den verfassungsrechtlich eröffneten Spielraum für eine materiell-rechtlich vereinfachende Steuergesetzgebung hat das BVerfG wie folgt skizziert:39

    „Der Gesetzgeber darf bei der Ausgestaltung der mit der Wahl des Steuergegenstandes getroffenen Belastungsentscheidung generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen treffen, ohne allein schon wegen der damit unvermeidlich verbundenen Härten gegen den allgemeinen Gleichheitssatz zu verstoßen40. Bei der Ordnung von Massenerscheinungen ist er berechtigt, die Vielzahl der Einzelfälle in dem Gesamtbild zu erfassen, das nach den ihm vorliegenden Erfahrungen die regelungsbedürftigen Sachverhalte zutreffend wiedergibt. Typisierung bedeutet, bestimmte in wesentlichen Elementen gleich geartete Lebenssachverhalte normativ zusammenzufassen. Besonderheiten, die im Tatsächlichen durchaus bekannt sind, können generalisierend vernachlässigt werden. Der Gesetzgeber darf sich grundsätzlich am Regelfall orientieren und ist nicht gehalten, allen Besonderheiten jeweils durch Sonderregelungen Rechnung zu tragen41•

    Begünstigungen oder Belastungen können in einer gewissen Bandbreite zum Zwecke der Verwaltungsvereinfachung nach oben und unten pau-

    38 Siehe zuletzt Vorschlag der E U -Kommission v. 4 .10.2017 für eine grundlegende Reform des grenzüberschreitenden Handels im Binnenmarkt, https:// ec.europa.eu/taxation _ customs/business/vat/action-plan-vat/single-vat-area _ de (,,einheitlicher MwSt-Raum").

    39 Zuletzt BVerfG v. 29.3.2017 - 2 BvL 6/11, Rz. 98 ff., zu§ Sc KStG. 40 BVerfGE 84,348 ; 113, 167; 126,268 ; 133, 377 ; stRspr. 41 BVerfGE 82, 159 ; 122,210 ; 126,268 ; 133,377

  • - VEREINFACHUNG DES STEUERRECrns ... -

    schalierend bestimmt werden42• Die gesetzlichen Verallgemeinerungen müssen allerdings von einer möglichst breiten, alle betroffenen Gruppen und Regelungsgegenstände einschließenden Beobachtung ausgehen43• Insbesondere darf der Gesetzgeber keinen atypischen Fall als Leitbild wählen, sondern muss realitätsgerecht den typischen Fall als Maßstab zugrunde legen. Zudem dürfen die tatsächlichen Anknüpfungspunkte für die Typisierung den Normzweck nicht verfehlen44".

    VJ. REZIPROZITÄT ZWISCHEN MATERIELLER STEUERNORM

    UND STEUERVOLLZUG

    Die normative Gleichheit muss darüber hinaus der strukturellen Gleichheit beim Vollzug der Steuer entsprechen. Diese fundamentale Aussage im Zinssteuer-Urteil des BVerfG45 ist Ausdruck des Konsequenzgebots, welches das BVerfG aus Art. 3 Abs. 1 GG unter den vorstehend erläuterten Topoi der Systemkonsequenz und Folgerichtigkeit steuerlicher Be- und Entlastungen entwickelt hat46• Das Zinssteuer-Urteil stellte erstmals eine Rückkoppelung zwischen Rechtsanwendungs-und Rechtsetzungsgleichheit her. Die Steuerpflicht bestimmter Einkünfte darf nicht bloß auf dem Papier stehen. Das BVerfG hatte in der Entscheidung den früheren Bankenerlass und die ihm nachfolgende Vorschrift des § 30a AO a.F.47 als das dem normativen Besteuerungstatbestand des § 20 EStG gegenläufige Vollzugshindernis ausgemacht48• Den Zusammenhang zwischen Rechtsan-

    •2 BVerfGE 111, 115

  • - ROMAN SEER -

    wendung und Rechtsetzung hat das Urteil zur Verfassungsmäßigkeit der Besteuerung von Spekulationsgewinnen nach § 23 EStG a.F. bestätigt". Das BVerfG beschreibt den anzustrebenden Steuervollzug darin mit den folgenden Worten:50

    ,,( ... ) Das Verfahrensrecht muss ( ... ) so ausgestaltet sein, dass es die gleichmäßige Umsetzung der durch eine materielle Steuernorm bestimmten Belastung in der regulären Besteuerungspraxis gewährleistet. Die Form der Steuererhebung und -in Ergänzung des Deklarationsprinzips - das behördliche Kontrollinstrumentarium haben somit der materiellen Steuernorm regelmäßig so zu entsprechen, dass deren gleichheitsgerechter Vollzug im Massenverfahren der Veranlagung möglich ist, ohne unverhältnismäßige Mitwirkungsbeiträge der Steuerpflichtigen oder übermäßigen Ermittlungsaufwand der Finanzbehörden zu fordern".

    Damit hat das Gericht die Vollzugsmaximen für die Umsetzung des materiellen normativen Belastungsgrundes in die Wirklichkeit formuliert und das Verhältnis „Norm----> Vollzug" bestimmt. Denkt man diesen Zusammenhang zu Ende, so ergibt sich in umgekehrter Richtung „Vollzug ----> Norm" folgendes: Die materielle Belastungsnorm muss normativ auch so ausgestaltet sein, dass sie verfahrensrechtlich überhaupt durchsetzbar ist. Ansonsten bleibt sie bloßes „Paper Law". Bereits Gustav Radbruch stellte in seiner „Einführung in die Rechtswissenschaft" im Jahre 1910 fest:

    ,,Ein Rechtssatz ,gilt' nur dann, wenn er in der überwiegenden Mehrzahl seiner Anwendungsfälle darauf rechnen kann, auch tatsächlich befolgt zu werden"51•

    Ordnet eine Rechtsnorm etwas faktisch Unmögliches an, so ist ihr im Hinblick auf dieses Ziel wegen des Fehlens sozialer Wirksamkeit die Rechtsgeltung und damit letztlich auch die Eigenschaft von Recht abzusprechen52. Es besteht mithin eine Wechselbezüglichkeit zwischen materieller Norm und deren Vollzug. Die zitierten Anforderungen des BVerfG an die verfassungsgemäße Ausgestaltung der Vollzugsregeln sind daher wie folgt zu ergänzen:

    49 BVerfG-Urt. v. 9.3.2004 (Fn. 41), a.a.0., 112 ff. 50 BVerfG-Urt. v. 9.3.2004 (Fn. 41), a.a.0., 122 ff. 51 G. Radbruch, Einführung in die Rechtswissenschaft, 1. Aufl., Leipzig 1910,

    12; vgl. auch H. Henkel, Einführung in die Rechtsphilosophie, 2. Aufl., München 1977, 118,545: ,,Die Durchsetzbarkeit ist unabdingbares Geltungsmoment des positiven Rechts"; K. Tiplce, Besteuerungsmoral und Steuermoral, Wiesbaden 2000, 54 ff.

    52 K. Tipke, Zwischen materiellem Steuerrecht und Steuerverfahrensrecht, StuW 2004, 3, 4.

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    -... "'•!

  • - VEREINFACHUNG DES STBUERRECI-ITS ... -

    ,,Die materielle Steuernorm muss ihrerseits so ausgestaltet werden, dass ihr gleichheitsgerechterVollzug im Massenverfahren der Veranlagung möglich ist, ohne unverhältnismäßige Mitwirkungsbeiträge der Steuerpflichtigen oder übermäßigen Ermittlungsaufwand der Finanzbehörden zu fordern".

    Damit emanzipiert sich das Postulat der Steuervereinfachung von einer bloß steuerpolitischen Forderung zu einer Rechtsmaxime. Der Steuergesetzgeber ist zur vereinfachenden Typisierung und Pauschalierung im Steuerrecht nicht nur befugt, sondern sogar verpflichtet, soweit eine Prüfung des jeweiligen Einzelfalls mit zumutbarem Verwaltungs- und Ermittlungsaufwand gleichheitskonform nicht möglich ist.

    Eine vom jeweiligen Einzelfall losgelöste Typisierung ist besonders dort geboten, wo die Verifikation der Angaben mit einem beachtlichen Eingriff in die Privatsphäre des jeweiligen Steuerpflichtigen verbunden ist. Ein markantes Beispiel bildet etwa der Abzug der Kosten für ein häusliches Arbeitszimmer als Erwerbsaufwendungen. Die Überprüfung, ob in dem jeweiligen Veranlagungszeitraum tatsächlich ein sog. Arbeitszimmer in dem ansonsten selbstgenutzten Haus oder in der Wohnung für Erwerbszwecke unterhalten wird, bedarf einer unangekündigten Nachschau. Diese besitzt eine nicht unerhebliche Grundrechtseingriffsqualität (Art. 13 GG) und bindet einen ganz erheblichen personellen Verwaltungsaufwand. Eine Steuervereinfachung in dem Sinne, dass Kosten eines häuslichen Arbeitszimmers generell gar nicht mehr als Erwerbsaufwendungen abzugsfähig sind, ist m.E. aufgrund der mit zumutbaren staatlichen Eingriffsmitteln nur mangelhaften praktischen Überprüfbarkeit des nicht unwesentlich durch die privaten Verhältnisse des Steuerpflichtigen mitgeprägten Sachverhalts, durchaus gerechtfertigt. Ähnliche Wertungen kann der Gesetzgeber etwa im Bereich der Bewirtungs- und Verpflegungsmehraufwendungen treffen. Auch hier könnte die typisierende Wertung (,,Essen ist Privatangelegenheit") ein vollständiges Abzugsverbot rechtfertigen.

    VII. VERWIRKLICHUNG VON AUSSERSTEUERLICHEN

    LENKUNGSZIELEN IM STEUERRECHT

    Zur Verkomplizierung der Steuergesetze trägt vor allem bei, dass der Gesetzgeber innerhalb der steuerrechtlichen Regelungen zugleich außersteuerliche Lenkungs-, Sozial- oder Umverteilungszwecke verfolgt. Die dazu dienenden Lenkungs- und Sozialzwecknormen sind gerade nicht auf die folgerichtige Umsetzung des steuerlichen Belastungsgrundes ausgerichtet. Wer sich „sozial erwünscht" verhält, wird steuerlich entlastet,

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  • - ROMAN SmiR -

    wer sich „sozial unerwünscht" verhält, wird steuerlich sonderbelastet. Systemfremde Sozialzwecknormen machen das Steuerrecht unübersichtlich und schwer verständlich, zumal sie nicht nach dem Normzweck zusammengefasst und geordnet sind.

    Ein beredtes Zeugnis legt davon das Sammelsurium des § 3 EStG ab, das völlig ungeordnet eine Fülle kleinteiliger Steuerbefreiungen vorsieht, die zum Teil Sozialzwecken, zum Teil Vereinfachungszwecken, zum Teil aber auch systemimmanenten Fiskalzwecken dienen. Das nach wie vor markanteste Beispiel bildet die Steuerbefreiung von Zuschlägen zum Arbeitslohn für Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit in§ 3b EStG.

    Das BVerfG billigt dem Staat in ständiger Rechtsprechung zu, nicht nur durch Ge- und Verbote, sondern ebenso durch eine mittelbare Verhaltenssteuerung auf Wirtschaft und Gesellschaft gestaltend Einfluss zu nehmen (,,Steuern durch Steuern")". Vor diesem Hintergrund kann nach Meinung des BVerfG eine Steuerverschonung vor dem Gleichheitssatz gerechtfertigt sein, wenn der Gesetzgeber das Verhalten des Steuerpflichtigen aus Gründen des Gemeinwohls fördern oder lenken will. Wenn ausreichende Gemeinwohlgründe vorliegen(= Gemeinwohlklausel), soll die Entlastung im Ausnahmefall in verfassungsrechtlich zulässiger Weise sogar dazu führen können, dass bestimmte Steuergegenständige vollständig von der Besteuerung ausgenommen werden.

    Die Steuerbefreiung nach § 3b EStG beruht indessen auf einer nationalsozialistischen Rechtsetzung und sollte dem Arbeitskräftemangel in der Waffenproduktion entgegenwirken54• In ihr wird die Zählebigkeit von einmal eingeführten Steuervergünstigungen beispielhaft besonders deutlich. Trotz ihrer unrühmlichen Historie machen sich heute Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände in seltener Einmütigkeit für die Beibe-

    . haltung der Subvention aus arbeits- und wirtschaftspolitischen Gründen stark. M.E. verstößt sie gegen den Gleichheitssatz, weil Selbständige, die an Sonn- oder Feiertagen oder nachts arbeiten, keine entsprechende Steuerbefreiung erhalten55• Das BVerfG hat vor 40 Jahren gemeint, die Ungleichbehandlung als Ausgleich dafür rechtfertigen zu können, dass die Sonn-, Feiertags- und Nachtarbeit den biologischen und kulturellen Lebensrhythmus des Arbeitnehmers störe56• Warum das bei Selbständigen nicht auch der Fall ist, verschwieg das Gericht. Leider hat es übersehen, dass dieser

    53 Siehe etwa BVerfG v. 20.4.2004 - 1 BvR 1748/99 u.a., BVerfGE 110,274,293; BVerfG v. 7.11.2006 - 1 BvL 117, 1, 31 ff.

    54 RVO v. 7.11.1940, RStBI. 1940, 945. 55 Siehe auch Wernsmann, ZRP 2010, 124; Kanzler, in Herrmann/Heuer/Rau

    pach, EStG/KStG, Kommentar, § 3b EStG Rz. 6 (September 2013). 56 BVerfG v. 2.5.1978 - 1 BvR 174/78, HFR 1978, Nr. 449.

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  • - VEREINFACHUNG DES STEUERRECHTS.,. -

    Umstand für das Einkommensteuerrecht sachlich schlicht irrelevant ist. Die Einkommensteuer fragt nicht danach, ob der Steuerpflichtige unter körperlichen oder geistigen Mühen oder mühelos sein Einkommen erwirtschaftet. Die Verantwortung für einen angemessenen Lohn kann nicht der Steuergesetzgeber übernehmen; sie liegt im Arbeitsrecht, dort vor allem bei den Tarifvertragsparteien. Daher fehlt es bereits an einer hinreichenden Begründung der Gemeinwohlklausel.

    Immerhin gab es vor 20 Jahren mit den sog. Petersberger Steuervorschlägen57 einen ernsthaften Versuch der Steuerpolitik, diese Steuerbefreiung abzuschaffen58• Sie scheiterte bekanntlich an der von Oskar Lafontaine organisierten Blockade der SPD-geführten Ländermehrheit im Bundesrat. Seitdem hat niemand mehr die Steuerbefreiung angefasst. Es bleibt angesichts der zwischenzeitlichen verdichteten verfassungsrechtlichen Anforderungen des BVerfG daher nur der (erneute) Gang nach Karlsruhe, um eine Veränderung herbeizuführen. Die Anwendung des § 3b EStG ist im Übrigen prüfungsintensiv, bürokratielastig und lädt zum Missbrauch ein. Seine Abschaffung wäre daher ein beachtlicher Schritt zur Steuervereinfachung.

    Allgemein muss der Gesetzgeber einen außersteuerlichen Lenkungstatbestand seinerseits gleichheitsgerecht ausgestalten. Dazu gehört es, den Kreis der von der Maßnahme Begünstigten sachgerecht abzugrenzen59• Unbeschadet dessen Einschätzungsprärogative setzt das BVerfG den Gesetzgeber unter Begründungszwang. Eine Umdeutung von Fiskalzwecknormen in Lenkungsnormen soll nicht möglich sein, weil „der Lenkungszweck mit hinreichender Bestimmtheit tatbestandlich vorgezeichnet" sein muss60• Die Norm muss von einer - entweder anhand des Gesetzestextes oder der Gesetzesmaterialien - erkennbaren gesetzlichen Entscheidung getragen sein. Ist ein Förder- oder Lenkungszweck im Gesetzgebungsver-

    . fahren nicht zum Ausdruck gekommen, darf ein solcher zur Rechtfertigung nicht unterstellt oder nachgeschoben werden.

    Aus der zu der erbschaftsteuerlichen Begünstigung von Unternehmensvermögen ergangenen Judikatur des BVerfG lassen sich die folgenden Anforderungen an steuerverschonende Lenkungsnormen entnehmen:61

    - Der Gesetzgeber muss den Lenkungszweck deutlich erkennen lassen. - Der Kreis der begünstigten Steuerpflichtigen muss nach sachgerechten

    Gesichtspunkten abgegrenzt sein (Wahrung der Außengerechtigkeit).

    57 Dazu näher Waigel, in Festschrift für Offerhaus, 1999, 983. 58 Gesetzentwurf der Fraktion der CDU/CSU und der FDP eines Steuerre-

    formgesetzes 1999, BT-Drucks. 13/7480 v. 22.4.1997. 59 Seer, GmbHR 2007, 281 (285): Wahrung der „Außengerechtigkeit". 60 BVerfG v. 7.11.2006 - 1 BvL 117, 1, 31 ff. 61 Siehe bereits R. Seer, ZEV 2007, 101, 105 f.; ders., GmbHR 2007, 281, 284 ff.

    469

  • - ROMAN SEER -

    - Die Lenkungsnorm muss zielgenau und klar sein. - Die Lenkungsnorm muss nach innen gleichheitskonform ausgestaltet

    sein, d.h. den Begünstigungsadressaten möglichst gleichmäßig zugute kommen (Wahrung der Binnengerechtigkeit).

    - Zwischen der Verwirklichung des Lenkungszwecks und dem Ausmaß der Steuervergünstigung muss ein innerer Zusammenhang bestehen. Die Ausgestaltungsfreiheit des Gesetzgebers wird durch das Ausmaß

    der mit der Steuerverschonung bewirkten Ungleichbehandlung und durch deren Auswirkung auf die gleichheitsgerechte Erhebung dieser Steuer insgesamt eingeschränkt62• Das BVerfG betont dazu einen vom Gesetzgeber leider hartnäckig missachteten Zusammenhang, auf den ich mehrfach hingewiesen habe63:

    ,,Je umfangreicher die Steuerverschonung und je größer deshalb andererseits das Maß der Ungleichbehandlung gegenüber den Erwerbern nicht begünstigten Vermögens ist, desto anspruchsvoller wird die Rechtfertigungslast hierfür".

    Im Zusammenhang mit der erbschaftsteuerlichen Verschonung von Unternehmensvermögen hat das BVerfG diesen Zusammenhang noch einmal vor Augen geführt64• Daraufhin hat der Gesetzgeber in einem äußerst mühsamen Gesetzgebungsprozess mit den§ 13a-c ErbStG n.F. ein Lenkungsnorm-Konvolut geschaffen, das im diametralen Gegensatz zu dem sogar verfassungsrechtlich fundierten Bedürfnis nach Steuervereinfachung steht. Darauf möchte ich im folgenden Schlussteil eingehen.

    VIII. RECHTSSTAATLICHES DEFIZIT

    WEGEN UNBEHERRSCHBARER KOMPLEXITÄT

    DER VERSCHONUNGSSUBVENTION

    In seinen Beschlüssen zum Kinderexistenzminimum hat das BVerfG aus dem Rechtsstaatsprinzip die Forderung abgeleitet, dass die Gebote der Vorausseh- und Berechenbarkeit der Steuerlasten und die Besteuerungsgleichheit eine Ausgestaltung des Steuergesetzes erfordern, die es auch dem nicht steuerrechtskundigen Pflichtigen erlauben, seine - nach § 370 AO sogar strafbewehrten - Erklärungspflichten nachzukommen65•

    62 BVerfG 17.12.2014- 1 BvL 21/12, BVerfGE 138, 136, Rz. 125; 172. 63 Sinngemäße Wendung bei Seer, GmbHR 2007, 281 (285); 2009, 225 (236),

    dort besonders eingerückt und hervorgehoben. 64 BVerfG v. 14.12.2014 - 1 BvL 21/12, BVerfGE 138, 136. 65 BVerfG v. 10.11.1998 -2 BvR 1057/91 u.a., BVerfGE 99,216 (243).

    470

  • - VEREINFACHUNG DES STEUERRECHTS ... -

    Diesem Postulat spricht der über insgesamt fünf Paragrafen, 35 Absätzen und 36.588 Textzeichen gehende, zusammenhängende Komplex der § 13a-13c ErbStG in der Zusammenschau mit§ 28, 28a ErbStG Hohn66• Von dem genannten Maßstab der Voraussehbarkeit ist die Neuregelung meilenwert entfernt. Ihre Komplexität stellt die Vollziehbarkeit des Gesetzes in Frage. Berücksichtigt man, da.ss ein Steuerlaie sich der Hilfe der steuerberatenden Berufe bedienen kann und dies bei der Erbschaft-und Schenkungsteuer auch tun wird, da.nn muss zumindest für den Erbschaftsteuer-Fachberater" die konkrete Steuerlast mit verhältnismäßigem Aufwand vorausberechenbar sein". Selbst nach eingehender Lektüre und genauer Kenntnis der Gesetzesentwicklung ist jedenfalls die Berechnung des begünstigten Vermögens unter Ausschluss des sog. Verwaltungsvermögens nach § 13b ErbStG n.F. nicht sicher möglich.

    Die Rechtstheorie unterscheidet zwischen der Dichte, d.h. der Anzahl der zu berücksichtigen normativen Informationen, und den Interdependenzen zwischen den Normen (externe Interdependenz) bzw. Normbestandteilen (interne Interdependenz). Man spricht von einer Hyperlexie, wenn sich die Zahl der zu berücksichtigenden Elemente durch mehrfach gestufte Wechsel- und Rückwirkungen bis zu einer „kombinatorischen Explosion" dramatisch erhöht". Die Gefahr der Unüberschaubarkeit der Norm besteht vor allem dann, wenn auch noch ein Fall der Polytelie hinzukommt. Damit ist eine Situation gemeint, bei der die Norm nicht nur einem spezifischen Zweck, sondern ihre Bestandteile gleich mehreren, ggf. widersprechenden Zwecken dient und der Rechtsanwender damit auch noch zu einer mehrdimensionalen Betrachtung gezwungen wird'°.

    Allerdings ist zu konstatieren, dass das BVerfG trotz seiner hehren Aussagen zur Vorhersehbarkeit des Rechts - soweit ersichtlich - noch nie ein Steuergesetz wegen eines Verstoßes gegen das Bestimmtheits- oder Normenklarheitsgebot kassiert hat. Den wohl ernsthaftesten Versuch hatte der BFH in seinem lesenswerten Vorlagebeschluss vom 6.9.2006 zur Mindestbesteuerung nach§ 2 Abs. 3 EStG i.d.F. des sog. Steuerentlastungsgesetzes

    66 Die Grundrechtsartikel 1-19 GG begnügen sich mit 16.014 Textzeichen. 67 Für eine typisierende Betrachtung im Sinne einer „Adressatengerechtig

    keit'' Hey, Steuerplanungssicherheit als Rechtsproblem, 2002, 562 f. 68 Auf die Vorausberechenbarkeit der Steuerlast stellen etwa ab: BVerfG

    v. 12.10.1978 - 2 BvR 154/74, BVerfGE 49, 343 (362); BVerfG v. 23.10.1986 - 2 BvL 7, 8/84, BVerfGE 73,388 (400).

    69 Eingehend Towfigh, Komplexität und Normenklarheit- oder: Gesetze sind für Juristen gemacht!, Der Staat, Bd. 48 (2009), 29 (31 f.).

    70 Towfigh, Komplexität und Normenklarheit- oder: Gesetze sind für Juristen gemacht!, Der Staat, Bd. 48 (2009), 29 (32).

    471

  • - RrnvlAN SEER -

    1999/2000/2002 unternommen71• Der BFH führte mit bemerkenswerter Klarheit u.a. folgendes aus:

    „Allein in § 2 Abs. 3 Sätze 2 ff. EStG kumulieren sämtliche Merkmale einer dem Gebot der Klarheit widersprechenden Norm: Eine gehäufte Verwendung sprachlich kaum abgrenzbarer unbestimmter Rechtsbegriffe, eine umfangreiche Textlänge, ein unübersichtlicher Gesetzesaufbau, ein unklarer Satzbau, eine Häufung und Stufung von Regel-Ausnahme-Techniken, Mehrfachverweisungen und widersprüchlichen Rechtsfolgeanordnungen".

    Der zu § 2 Abs. 3 EStG a.F. getroffene Befund trifft für die § 13a-13c, 28-28a ErbStG in gesteigerter Potenz zu. Das Vorschriften-Konglomerat führt mittlerweile zu der in der Rechtstheorie beschriebenen „kombinatorischen Explosion" an Dichte und unbeherrschbarer interner wie externer Interdependenz72•

    Allerdings hat das BVerfG den Versuch des BFH, dem hypertrophen Steuerchaos eine rechtsstaatliche Grenze zu setzen, bekanntlich kühl abgewiesen und die Vorlage für unzulässig erklärt73• Es vermisste eine Darlegung, warum das Gesetz mit den Instrumenten juristischer Methodenlehre nicht mehr auslegungsfähig sei74• Die Komplexitätsprobleme der Norm habe der BFH vielmehr nur allgemein auf abstrakter Ebene beschrieben. Überträgt man diese hohen Anforderungen auf§ 13a-13c, 28-28a ErbStG bedarf es der Darlegung, dass mit den anerkannten Auslegungsmethoden kein eindeutiges Rechtsanwendungsergebnis z.B. hinsichtlich der Bestimmung des Verwaltungsvermögens mehr gewinnbar ist.

    Zwar ist dem BVerfG insoweit zuzustimmen, dass ein „schlechtes Gesetz" nicht automatisch auch ein „verfassungswidriges Gesetz" ist. Vielmehr kann wohl nur in krassen Ausnahmefällen ein Gesetz wegen seiner Normenunklarheit nichtig sein. Ich denke aber, dass dieser „krasse Ausnahmefall" hier nunmehr vorliegt. Zudem beschäftigt sich das BVerfG leider nicht mit der Frage der Vollziehbarkeit der Norm. Ich darf an dieser Stelle auf die beiden bereits zitierten Beschlüsse des BVerfG zum strukturel-

    71 BFH v. 6.9.2006 - XI R 26/04, BStBI. II 2007, 167. 72 Seer/Michalowslci, GmbHR 2017, 609 (616 ff.), haben einen 15-Ebenen Par

    cours(!) nachgewiesen, der unter Verwendung von unbestimmten, teil widerläufigen Rechtsbegriffen zu durchlaufen ist. Dabei ist der in den praktisch wichtigen Fällen zu bildende sog. Vermögensverwaltungsverbund nicht einmal mitgerechnet. Bei dessen Berücksichtigung gelangen Koretzlcij, DStR 2016, 2434 (2445 f .); Stalleilcen, von Oertzen/Loose, ErbStG, Kommentar, § 13b Rz. 86 sogar auf 22 Prüfungs- u. Rechenebenen!

    73 BVerfG v. 12.10.2010 - 2 BvL 59/06, BVerfGE 127, 335. 74 BVerfG v. 12.10.2010 - 2 BvL 59/06, BVerfGE 127, 335 (356 f.).

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  • - VEREINFACHUNG DES STEUERRECHTS,., -

    Zen Vollzugsdefizit hinweisen75• Das materielle Gesetz muss so ausgestaltet und in ein normatives Umfeld eingebettet sein, dass es die Finanzbehörden auch auf gleichheitskonforme Weise vollziehen können. Dies bedeutet für die Verschonungssubvention der § 13a-13c ErbStG, dass die Finanzbehörden diese mit zumutbarem Aufwand verifizieren können müssen. Davon ist aber nicht ernsthaft auszugehen. Bereits die Überwachung der Lohnsummen und Halteregelung über. 5 bis 7 Jahre hinweg erfordern einen hohen Verwaltungsaufwand. Hinzu kommt nun ein 20jähriger Überwachungszeitraum für die Gesellschaftsverträge und Satzungen, um Entnahme-, Ausschüttungs-, Verfügungs- und Abfindungsbeschränkungen zu prüfen. Die Einzelermittlung des Verwaltungsvermögens ist von den Finanzbehörden nicht leistbar. Sie werden im Gros der Fälle auf die Angaben der Steuerpflichtigen insoweit schlicht vertrauen müssen; dasselbe gilt für die Bewertungsansätze. Zugleich kann sich aber ein Steuerpflichtiger nicht in Sicherheit wiegen und lebt über Jahre im Zustand der Ungewissheit über die Höhe seiner definitiven Erbschaftsteuerschuld. Das ist ein rechtsstaatswidriger Zustand!

    Die vorzugswürdige Alternative ist eine breite, ungeschmälerte erbschaftsteuerliche Bemessungsgrundlage mit einem flach-proportionalen Einheitstarif". Als Vorbild eines gelungenen Steuerreformgesetzes kann das Grunderwerbsteuergesetz vom 17.12.198277 dienen. Mit Wirkung v. 1.1.1983 beendete es den Wildwuchs landesrechtlicher Steuerbefreiungen und setzte an die Stelle des hohen Steilersatzes von 7,5% einen allgemeinen proportional-flachen Steuertarif von 2 % . Im Zuge der Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer hat das Jahressteuergesetz 1997 vom 20.12.199678 den Steuersatz auf 3,5% schon wieder deutlich erhöht. Nachdem durch eine Verfassungsänderung mit Gesetz vom 28.8.200679 den Ländern das Steuersatzrecht gegeben worden ist, finden wir nun Grunderwerbsteuersätze von bis zu 6,5%80• Angesichts dieser Höhe verwundert es nicht, dass nun wieder Freibeträgen und besonderen Ausnahmen das Wort geredet wird. Dem Grunderwerbsteuerrecht steht offenbar bald ein ähnliches Schicksal wie dem Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht bevor!

    75 BVerfG v. 27.6.1991-2 BvR 1493/89, BVerfGE 84,239; BVerfG v. 9.3.2004 -2 BvL 17/02, BVerfGE 110, 94.

    76 DWS-Wiss. Arbeitskreis „Steuerrecht", Zukunft der Erbschaft- und Schen-kungsteuer, 2015.

    77 BGB!. I 1982, 1777. 78 BGB!. I 1996, 2049, 2063. 79 BGB!. I 2006, 2034, 2037. 80 So etwa in Brandenburg, Nordrhein-Westfalen, Saarland, Schleswig

    -Holstein, Thüringen.

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    - ROMAN SEER -

    IX. FAZIT

    Das Postulat der Steuervereinfachung ist mehr als Lippenbekenntnis; es ist verfassungsrechtlich fundiert. Grundbedingung ist ein systematisch durchdachtes Steuergesetz, das den jeweiligen Belastungsgrund folgerichtig in der Bemessungsgrundlage umsetzt. Außersteuerliche Lenkungszwecke sollten möglichst vermieden werden. Dagegen sind Typisierungen, Pauschalierungen und ggf. auch Vereinfachungszweckbefreiungen zulässig und zur Verwirklichung eines vollziehbaren Gesetzes sogar eine notwendige Bedingung. Verallgemeinernd sollte jedes Gesetz auf seine Vollziehbarkeit hin geprüft und in seiner Ausgestaltung darauf hin ausgerichtet sein. Nur wenn die Betroffenen den steuerlichen Belastungsbefehl auch mit verhältnismäßigem Aufwand folgen und die Finanzverwaltung dies auch kontrollieren können, kann ein Steuergesetz in der Rechtswirklichkeit auch ein „gerechtes" Gesetz sein.

    Tax simplification: a postulate of law?

    Abstract Tax simplification is not only a pure lip service pronounced by politicians, and it is more a principle of law side-by-side with the principle of system consistency. Tax codes have to be coherent, ruled by a convincing reason for their implementation. This reason should be Iogically reflected in the tax base. Non-fiscal steering purposes should be preferably avoided. At least, non-fiscal tax provisions need a strong justification which is clear and Iogical in itself. In contrast, Iump-sum taxation provisions are necessary to enforce tax law in the actual circumstances of annual masses of tax cases and procedures. In general, the tax code has to be designed in a way that the taxpayer as weil as the tax administration are able to execute its provisions by proper tax returns and their verification in a short time. Only if this is feasible in a proportionate matter for both sides, the tax code is an equitable law.

    Keywords: theory of tax law, tax simplification

    Prof. Dr. iur. Roman Seer - Ruhr-Universität Bochum

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