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T. L. Kienlin (ed.), Fremdheit – Perspektiven auf das Andere. Cologne Contributions to Archaeology and Cultural Studies 1 / Universitätsforschungen zur prähistorischen Archäologie

Apr 23, 2023

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Frank Förster
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Kienlin (Hrsg.) · Fremdheit – Perspektiven auf das Andere

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2015

Verlag Dr. Rudolf Habelt GmbH, Bonn

Fremdheit —Perspektiven auf das Andere

herausgegeben von

Tobias L. Kienlin

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Redaktionelle Bearbeitung: Dr. Leonie C. Koch, Büro für Redaktion und Archäologie, Frankfurt/KölnSatz und Layoutentwurf: Susanne Kubenz M.A., Halle (Saale)

Umschlagabbildung: Pyxisdeckel aus Minet el Bheida(vgl. Beitrag von Rüden in diesem Band S. 138 Abb. 1)

Gesamtherstellung: Druckerei Martin Roesberg, Alfter-Impekoven

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt.Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages und des Herausgebers unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigung, Übersetzung, Mikroverfilmung und die Speicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Für den Inhalt der Beiträge sind die Autoren eigenverantwortlich.

ISBN 978-3-7749-3950-9

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie.Detailliertere bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

Copyright 2015 by Tobias L. Kienlin, Köln & Dr. Rudolf Habelt GmbH, Bonn

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VORWORTDER HERAUSGEBER

Die Reihe „Universitätsforschungen zur prähistorischen Archäologie“ soll einem in der jüngeren Vergangenheit entstandenen Bedürfnis Rechnung tragen, nämlich Exa-mensarbeiten und andere Forschungsleistungen vor-nehmlich jüngerer Wissenschaftler in die Öffentlichkeit zu tragen. Die etablierten Reihen und Zeitschriften des Faches reichen längst nicht mehr aus, die vorhandenen Manuskripte aufzunehmen. Die Universitäten sind des-halb aufgerufen, Abhilfe zu schaffen. Einige von ihnen haben mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln unter zumeist tatkräftigem Handanlegen der Autoren die vorliegende Reihe begründet. Thematisch soll darin die ganze Breite des Faches vom Paläolithikum bis zur Ar-���������� ������������������

Ursprünglich hatten sich fünf Universitätsinstitute in Deutschland zur Herausgabe der Reihe zusammengefun-den, der Kreis ist inzwischen größer geworden. Er lädt alle interessierten Professoren und Dozenten ein, als Mithe-rausgeber tätig zu werden und Arbeiten aus ihrem Bereich der Reihe zukommen zu lassen. Für die einzelnen Bände zeichnen jeweils die Autoren und Institute ihrer Herkunft, die im Titel deutlich gekennzeichnet sind, verantwortlich. Sie erstellen Satz, Umbruch und einen Ausdruck. Bei gleicher Anordnung des Umschlages haben die verschie-��� �������� ����������� ����� �� ��������Farbe. Finanzierung und Druck erfolgen entweder durch sie selbst oder durch den Verlag Dr. Rudolf Habelt GmbH, der in jedem Fall den Vertrieb der Bände sichert.

Herausgeber sind derzeit:

Kurt Alt (Mainz)François Bertemes (Halle) Nikolaus Boroffka (Berlin)

Peter Breunig (Frankfurt am Main)Philippe Della Casa (Zürich)

Manfred K.H. Eggert (Tübingen)Clemens Eibner (Heidelberg)Frank Falkenstein (Würzburg)

Ralf Gleser (Münster)Bernhard Hänsel (Berlin)

Alfred Haffner (Kiel)Albert Hafner (Bern)

Svend Hansen (Berlin)Ole Harck (Kiel)

Joachim Henning (Frankfurt am Main)Christian Jeunesse (Strasbourg)Albrecht Jockenhövel (Münster)

Tobias L. Kienlin (Köln)Rüdiger Krause (Frankfurt am Main)

Klára Kuzmová (Trnava)Amei Lang (München)Andreas Lippert (Wien)

Jens Lüning (Frankfurt am Main)

Joseph Maran (Heidelberg)Carola Metzner-Nebelsick (München)

Johannes Müller (Kiel)Ulrich Müller (Kiel)

Michael Müller-Wille (Kiel)Mária Novotná (Trnava)

Bernd Päffgen (München)Diamantis Panagiotopoulos (Heidelberg)

Christopher Pare (Mainz)Hermann Parzinger (Berlin)

Heidi Peter-Röcher (Würzburg)Britta Ramminger (Hamburg)

Jürgen Richter (Köln)Sabine Rieckhoff (Leipzig)Thomas Saile (Regensburg)

Wolfram Schier (Berlin)Thomas Stöllner (Bochum)

���������!�����"Gerhard Tomedi (Innsbruck)

Ulrich Veit (Leipzig)Karl-Heinz Willroth (Göttingen)

Andreas Zimmermann (Köln)

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Kölner Beiträge zu Archäologie und Kulturwissenschaften –

Cologne Contributions to Archaeology and Cultural Studies

einander immer rascher ablösender Theorie-moden.

Die Archäologien hingegen, deren Zugehö-rigkeit zu dem weiten Feld der Kulturwissen-schaften eigentlich außer Frage stehen sollte, entziehen sich einer solchen Selbstbestimmung oft schlicht durch Mangel an Reflexion. Hier ist ein immer noch vorherrschender Positivis-mus zu nennen, heute bisweilen gewendet in die Auffassung, wissenschaftlicher Fortschritt sei, wenn nicht schlicht durch mehr Daten, so doch durch die Anwendung immer neuer, meist aus den Naturwissenschaften entlehnter Methoden zu erzielen.

Ein Theoriedefizit vor allem der zentral-europäischen Archäologie wurde oft beklagt, doch muss auch auf gegenläufige Tendenzen hingewiesen werden. Seitens der Klassischen Archäologie arbeitet beispielsweise die in Hamburg beheimatete Zeitschrift „Hephais-tos“ seit langem dagegen an. Aus der Ur- und Frühgeschichtlichen Archäologie sind unter anderem die Arbeitsgemeinschaft „Theorie in der Archäologie“ und das Tübinger Institut für Ur- und Frühgeschichte und Archäologie des Mittelalters mit dem langjährigen Lehr-stuhlinhaber Manfred K. H. Eggert zu nennen, dem sich diverse Bände der Reihe „Tübinger Archäologische Taschenbücher“ verdanken. An verschiedenen Standorten sind Archäolo-

Folgt man dem weiten Verständnis, dass Kultur alles sei, „was im Zusammenleben von Men-schen der Fall ist“1, so ist eine Bestimmung der Archäologie als Kulturwissenschaft unabweis-bar. Dies gilt umso mehr, als sich die verschie-denen Archäologien schon traditionell auch mit solchen Aspekten menschlicher Kultur befassen – etwa Raum, Materialität oder Medi-alität –, die erst kürzlich in den Blick anderer Disziplinen der Geschichts-, Sprach- oder Sozialwissenschaften gerieten, als diese began-nen, sich im Rahmen als sogenannter turns aus-gewiesener Paradigmenwechsel in Teilen neu als Kulturwissenschaften zu bestimmen.

Dabei ist oft die problematische Tendenz zu beobachten, ein Selbstverständnis als Kultur-wissenschaft gegen ein traditionelleres Fach-verständnis in Stellung zu bringen. Turns oder ‚Wenden‘, die eigentlich nur die berechtigte Ausweitung des forschenden Interesses auf neue Aspekte dessen markieren sollten, was Menschen in den verschiedensten histori-schen Kontexten an kulturellen Ausprägun-gen hervorbringen, werden zum forschungs-strategischen Kampfbegriff auf einem Markt

1 A. Assmann, Einführung in die Kulturwissenschaft. Grundbegriffe, Themen, Fragestellungen. Berlin: Erich Schmidt Verlag 22008, 13.

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gien kann dabei in der großen zeitlichen Tiefe ihres Forschungsgegenstands liegen. Ebenso relevant ist ihr spezifisches Interesse an der Bedeutung materieller Kultur für die Kon-struktion kultureller und sozialer ‚Realität‘ – vermitteln die Dinge doch kulturelle Klas-sifikationsschemata und habituelle Prägungen und sind gerade deshalb ‚wirkmächtig‘, weil ihr kommunikatives Potential, anders als jenes sprachlicher Aussagen, selten bewusst reflek-tiert wird.

Indem das kommunikative Potential materi-eller Kultur herausgestellt und die Anordnun-gen der Dinge in ihren sozialen Handlungsbe-zügen thematisiert werden, entstehen vielfache Anknüpfungspunkte an andere kulturwissen-schaftliche Disziplinen, die sich ebenfalls mit der Rekonstruktion materieller und immate-rieller Kommunikationsräume und Diskurs-felder befassen. Entsprechendes gilt selbst-verständlich auch für alle anderen Themen kulturwissenschaftlicher Theoriebildung, die auf ihre Reichweite in verschiedenen histori-schen Kontexten hin zu befragen sind.

Dabei kann es weder um eine Vereinnah-mung der jeweiligen Nachbardisziplinen gehen noch um die Aufforderung, dort entwi-ckelte Ansätze ‚anzuwenden‘. Vielmehr sollen ähnliche Problemlagen ermittelt und zudem aufgezeigt werden, welche Zugangsweisen in unterschiedlichen disziplinären Traditio-nen beim Umgang mit diversen Quellen bzw. Medien (Text, Sprache, Bild, materielle Kultur ...) denkbar sind.

Getragen wird dies von der Überzeugung, dass trotz aller Unterschiede der Fachtraditio-nen mit dem gemeinsamen Interesse an einem Verständnis der Vielfalt menschlicher Kultur-äußerungen eine hinreichende Begründung des Gegenstands kulturwissenschaftlicher For-schung vorliegt. Und dass ferner wir alle als heutige Vertreter europäischer universitärer Disziplinen in unseren Konzeptualisierungen menschlicher Kultur an ähnliche Traditionen und geistesgeschichtliche Prädispositionen an-

gien darüber hinaus inzwischen an Clustern oder Sonderforschungsbereichen beteiligt, die sich theoriegeleitet mit kulturwissenschaft-lichen Fragestellungen befassen.

Gleichwohl kann man nicht sagen, dass in den Archäologien inhaltliche Konzepte für eine dauerhaft fruchtbare Aufstellung als Kul-turwissenschaft ausreichend bestimmt wären. Vielmehr ist oft ein taktisches Verhältnis zu ‚Theorie‘ festzustellen, etwa bei der Teilnahme an inter- oder transdisziplinären Forschungs-verbünden, ohne dass die ‚Antragsrhetorik‘ tatsächlich immer auf Anliegen und For-schungspraxis durchschlagen würde.

Vor diesem Hintergrund ist es das Ziel, mit dem Veranstaltungsformat der „Kölner Inter-disziplinären Vorlesung Archäologie und Kul-turwissenschaften“ sowie mit der Publikati-onsreihe der „Kölner Beiträge zu Archäologie und Kulturwissenschaften“ ein universitär ver - ankertes Forum zu schaffen, um Themen und Ansätze vertiefend zu erörtern, die die ver-schiedenen kulturwissenschaftlichen Diszipli-nen verbinden, und diese Diskussionen als Publikation einem größeren Interessenten-kreis zugänglich zu machen.

Ohne den Druck unmittelbaren Anwen-dungsbezugs, auch ohne den Drang, fortwäh-rend neue turns ausrufen zu müssen, bevor noch die Implikationen der jeweils vorherge-henden bedacht sind, soll Erkenntnisgewinn gerade durch das Nebeneinander und die Zusammenschau verschiedener Fachtraditio-nen, Ansätze und Meinungen ermöglicht werden. Weder wird der Gestus des erhobe-nen theoretischen Zeigefingers angestrebt noch sollen kontroverse Debatten unter allen Umständen auf einen gemeinsamen Nenner gebracht oder als verbindlich erachtete For-schungsstrategien formuliert werden.

Als gewinnbringend erscheint es vielmehr, Differenz in Perspektiven und Herangehens-weisen zuzulassen und sichtbar zu machen, um eine Reflexion auf den je eigenen Stand-punkt zu erlauben. Ein Beitrag der Archäolo-

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against the more traditional understanding of the subject is noticeable. And turns, which were solely meant to mark the reasonable expansion of research interest to new aspects of all the different cultural characteristics humans develop in various historical contexts, now have become a research strategic polemic term on the market of the constantly changing vogues of theories.

In contrast, archaeologists, whose affiliation to the broad field of cultural studies should be beyond all question, often elude such a self-determination simply through lack of reflexion. Here one must mention the still predominant positivism, which today is often concealed in the idea that scientific advance can be achieved, if not through more data then by applying new methods, often borrowed from the ‘hard’ natural sciences.

This theoretical deficit has oft been lamented, especially for the central European archaeology. However, one should not forget to allude to opposite tendencies. On the part of classical archaeology, for instance, these are localised in the environment of the journal Hephaistos from Hamburg. On the part of pre-historic archaeology they are connected with the activity of the German Arbeitsgemeinschaft Theorie in der Archäologie and with the Depart-ment for Pre- and Protohistory, University of Tübingen, under the supervision of the for-mer holder of the chair M. K. H. Eggert (vari-ous volumes of the Tübinger Archäologische Taschenbücher series).

Nonetheless, one cannot say that central concepts are sufficiently determined in the archaeologies for a permanent and fruitful establishment as a cultural study. In fact, one often notices a tactical relation towards ‘the-ory’. This shows, e. g. in the matter of taking part in the inter- or transdisciplinary research networks which are so important today, with-out wordy rhetorics in the applications for funding truly affecting the actual concern and research practice.

knüpfen, deren Auswirkungen auf unser Tun es zu reflektieren gilt.

Gegenstand der ersten Ringvorlesung „Ar- chäologie und Kulturwissenschaften“ an der Universität zu Köln im Sommersemester 2013, deren Beiträge nun vorgelegt werden können, war aus diesem Grund das Thema „Fremdheit – Perspektiven auf das Andere“. Die Beiträge zur zweiten Veranstaltung der Reihe im Win-tersemester 2014/15 unter dem Titel „Emotio-nen“ befinden sich gegenwärtig in Druckvor-bereitung. Mit Blick auf zukünftige Themen ist unter anderem an „Natur und Naturwahrneh-mung“ sowie „Kulturkontakt und Postcolonial Studies“ gedacht.

Anregungen und Kooperationsvorschläge für zukünftige Ausgestaltungen sind herzlich willkommen. Neben dem Format der Ring-vorlesung ist dabei insbesondere auch an Work-shops und Tagungen gedacht. Darüber hinaus richtet sich das Angebot zur Veröffentlichung in den „Kölner Beiträgen zu Archäologie und Kulturwissenschaften“ aber an alle, die ein ent-sprechendes inhaltliches Anliegen teilen und einen Rahmen für ihre Publikationsprojekte suchen. Die Herausgeber freuen sich auf Anfra-gen und inhaltliche Diskussionen! (TLK)

If one agrees with the broad understanding that culture is everything, “which is the case for people living together” (A. Assmann 2008, 13), the identification of archaeology as a cul-tural study is irrefutable. It is even more so since different archaeological disciplines have already traditionally been concerned with aspects of human culture, such as space, mate-riality or mediality, whereas these aspects have only recently found their way into the view of other historical, linguistic or social discipli-nes when these partially redefined themselves as cultural studies in the context of paradigm shifts called turns.

In doing so often a problematic tendency to emplace the self-concept as a cultural study

* * *

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contexts as well as the different structures of the available sources.

And yet, the aim is neither to monopolise neighbouring disciplines for one’s own, nor to prompt an ‘application’ of their models and approaches. Instead, broadly comparable chal-lenges are to be detected and also an effort is to be made to demonstrate the different approaches and methods that are thinkable for dealing with various sources and respectively media (text, speech, image, material culture ...) in different disciplinary traditions.

This is supported by the conviction that despite all their differences our academic tra-ditions share an interest in understanding the diversity of human cultural expressions and therefore ample reason for the matter of cul-tural studies is existent. Even more, with our own conceptualisations of human culture we, who are all representatives of contemporane-ous European academic disciplines, are tying in with similar traditions and predispositions of intellectual history, and their impact on our interpretations must be evaluated.

The topic of the first lecture series during the summer semester of 2013, which is pub-lished in this volume, was thus Fremdheit – Per-spektiven auf das Andere (‘Alterity – Perspectives on the Other’). The second course of the series, entitled ‘Emotions’, in the winter semester 2014/15 is currently in prepress. As to future topics we are considering ‘Nature and Percep-tions of Nature’ as well as ‘Culture Contact and Postcolonial Studies’.

Suggestions for the organisers and/or propo-sitions for cooperation for future arrangements, which may also take the form of workshops or conferences, are very welcome. In addition, the ‘Cologne Contributions to Archaeology and Cultural Studies’ series is open to all shar-ing our concerns, and the editors welcome any manuscripts suggested for publication be they conference volumes or monographs. (TLK, translation: Maria Heitkamp)

Against this background, with the ‘Cologne Interdisciplinary Lectures Archaeology and Cultural Studies’ and the publication series ‘Cologne Contributions to Archaeology and Cultural Studies’ it is our goal to create a forum fixed in academic surroundings in order to debate and enhance relevant topics and theories, which link the different disci-plines devoted to cultural studies. Without the pressure of direct application and without the urge of constantly having to declare new turns before having fully considered the implica-tions of the previous one, knowledge is to be gained precisely by allowing the coexistence and synopsis of different academic traditions, approaches and views. The gesture of threaten-ingly wagging a theoretical finger is not aspired, nor do controversial debates necessarily need to be reduced to a common denominator or rephrased as binding research strategies.

Rather, it is considered profitable to permit differences in perspectives and approaches and to uncover them in order to enable the reflex-ion of one’s own personal point of view. One contribution archaeology could make would be, for example, of the great temporal depth of its object of research. Its specific interest in the significance of material culture for con-structing cultural and social ‘reality’ is just as important, since objects convey cultural mean-ing and shape our habitus, and just that makes them ‘potent’, as, other than verbal statements, their communicative potential is seldom con-sciously deliberated.

By emphasising the communicative poten-tial of material culture and broaching the issue of its importance for social action, many connecting factors for other cultural study disciplines engaged with the reconstruction of material and immaterial communication spaces and fields of discourse are given. Natu-rally the same applies for all the other areas of culture and social theory development, which can be continuatively compared and ques-tioned to their range in different historical

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Inhalt

Tobias L. Kienlin

Fremdheit – Perspektiven auf das Andere. Zur Einführung ........................................................1

Herbert Uerlings

Verkehrte Welten. Primitivismus in Literatur und Kunst der Klassischen Moderne .....................9

Christoph Antweiler

Fremdheit, Identität und Ethnisierung: Instrumentalisierung des Anderen und ihre Relevanz für Archäologie und Ethnologie .................................................................25

Thomas Widlok

Kulturtechniken: ethnographisch fremd und anthropologisch fremd. Eine Kritik an ökologisch-phänomenologischen und kognitiv-modularisierenden Ansätzen .......................41

Paul Roscoe

Ethnographic Gifts: Some Cautions on the Use of Ethnographic Analogies from Contemporary Cultural Anthropology ............................................................................61

Alexandra Karentzos

Antikenideal und Alterität. „Echtes Antikisieren“ als künstlerisches Programm des 19. Jahrhunderts ..............................................................................................79

Beat Schweizer

‚Griechische Archäologie‘. Eine Archäologie des Fremden? .....................................................93

Christoph Ulf

Korrelationen des Wandels. Die Formierung von Identität und Fremdheit bei Thukydides .................................................................................................... 109

Dietmar Till

Kolonialismus des Geistes. Orientalismus und Geschichtsphilosophie bei Herder und Hegel .......................................................................................................... 125

Constance von Rüden

Minoische Moderne, Thalassokratie und orientalische Despoten. Zwischen Orientalismus und Globalisierung in der Archäologie des östlichen Mittelmeerraumes .......... 135

Tobias L. Kienlin

All Heroes in Their Armour Bright and Shining? Comments on the Bronze Age ‘Other’ ....... 153

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Erich Kistler

Zwischen Lokalität und Kolonialität – alternative Konzepte und Thesen zur Archäologie eines indigenen Kultplatzes auf dem Monte Iato (Westsizilien: 7. Jh. v. Chr. – 1. Jh. n. Chr.) ............................................................................. 195

Sebastian Brather

Alteritäten und Identitäten. Perspektiven wechsel in der Frühmittelalterarchäologie ................ 219

Brigitte Röder

Jäger sind anders – Sammlerinnen auch. Zur Deutungsmacht des bürgerlichen Geschlechter- und Familienmodells in der Prähistorischen Archäologie ................................. 237

Manfred K. H. Eggert

Das Rituelle als erkenntnistheoretisches Problem der Archäologie ......................................... 255

Autorenverzeichnis ............................................................................................................... 279

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Fremdheit – Perspektiven auf das Andere. Zur Einführung

Tobias L. Kienlin

sein abgesprochen wird, über den Versuch eines gleichberechtigten Nebeneinanders oder das strategische Ausblenden objektiv gegebe-ner Unterschiede bis hin zu Anverwandlungen des Fremden. Letzteres ist eine Gedankenfi-gur, die synchron oder diachron gewendet in mehreren Beiträgen dieses Bandes thematisiert wird: ‚sie‘ sind so wie ‚wir‘ sein sollten, ‚sie‘ sind so wie ‚wir‘ einmal waren, positiv oder negativ besetzt doch ohne weitergehenden Bezug, oder ‚sie‘ stehen tatsächlich in einem (angenommenen) ‚genetischen‘ Verhältnis zu ‚uns‘ heute.

Die Frage, wie angesichts solch vielfältiger Konstellationen unser Wissen über das – ver-gangene wie rezente – Fremde zu Stande kommt, ob Fremdverstehen möglich ist bzw. was und auf welche Weise wir überhaupt wis-sen können, hat eine lange Tradition in der Philosophie, den Geschichts- und Gesell-schaftswissenschaften, etwa im Rahmen her-meneutischer Ansätze. Gleiches gilt für den Versuch, unser einschlägiges Wissen historisch zu kontextualisieren, also für die Frage, durch welche Denktraditionen des frühneuzeitli-chen und modernen Westens unsere Fremd-bilder jeweils bedingt sind, sei es der ‚edle Wilde‘ oder – im 19. und 20. Jahrhundert durchaus häufiger, jedenfalls bedrohlicher – negative Fremdzuschreibungen an Kollektive,

Unser Wissen über das kulturell Fremde, das gegenwärtige wie das vergangene, stellt eine Konstruktion dar, die als solche in unserer aka-demischen Sozialisation ebenso verwurzelt ist wie in weiter gefassten Traditionen und zeit-genössischen Denkströmungen. Diese prägen unser Bild von den ‚Anderen‘ bzw. allgemein unsere Dispositionen, das ‚Andere‘ zu bestim-men, beispielsweise als faszinierend und exo-tisch oder aber als unbekannt und bedrohlich.

‚Fremdheit‘ ist dabei keine ontologische Gegebenheit, sondern ein relationales Kon-zept. Sie existiert nur in Abgrenzung und als Gegenentwurf zu etwas Eigenem. Und gleich unserer eigenen Identität, der sie entgegen gesetzt wird, ist Fremdheit, sind die ‚Ande-ren‘ als Kollektiv oder als kulturelles Abstrak-tum nichts Statisches, sondern befinden sich in permanenter Aushandlung und unterliegen fortgesetzter Neubestimmung.

Entsprechend sind die Wahrnehmungswei-sen und Beziehungsmodi, die uns mit den ‚Anderen‘ verbinden, wandelbar, historisch situativ und kontextabhängig. Sie können durch Sozialisation in eine Gruppe unreflek-tiert übernommen oder bewusst manipuliert werden, und sie können höchst unterschied-lich ausfallen: Von antagonistischen Konstella-tionen, in denen den Anderen Kulturfähigkeit, Geschichtlichkeit oder sogar geteiltes Mensch-

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Tobias L. Kienlin2

in der Forschung wie im öffentlichen Diskurs. Im Rahmen der ersten „Kölner Interdiszip-linären Vorlesung Archäologie und Kultur-wissenschaften“ im Sommersemester 2013 geschah dies, indem unter dem Titel „Fremd-heit – Perspektiven auf das Andere“ exemp-larisch aus der Perspektive unterschiedlicher kulturwissenschaftlicher Disziplinen nach der Genese und nach den Konsequenzen unserer Vorstellungen des kulturell Fremden gefragt wurde. Neben Unterschieden in Fragestellung und Herangehensweise, zeichnen sich in den hier nun in überarbeiteter Form vorgelegten Beiträgen auch charakteristische Überein-stimmungen ab. Dies betrifft zum Beispiel die Frage, was als problematisch wahrgenommen wird, sowie die rezipierten Theoriebestände, die ein tatsächliches Zusammenwachsen der Kulturwissenschaften oder jedenfalls die Mög-lichkeit der Verständigung und des fruchtbaren Austauschs unter ihren Teildisziplinen erken-nen lassen.

Den Band eröffnet ein Beitrag des Germa-nisten Herbert Uerlings, der sich anhand von Beispielen aus bildender Kunst und Literatur der Klassischen Moderne mit produktiven, auch verstörenden Brechungen weit verbrei-teten primitivistischen Gedankenguts befasst. Dabei stehen also nicht westliche Projektio-nen des ‚primitiven‘ Fremden auf die eigene Vergangenheit oder moderne Orientierungs-versuche an vorgeblich geschichtslosen Natur-völkern und idealisierten Naturzuständen im Mittelpunkt, sondern frühe Versuche mit künstlerischen Mitteln solche Konstruktionen von Fremdheit und ihre Instrumentalisierun-gen als problematisch zu entlarven. Uerlings arbeitet heraus, wie solche selbstreflexiven Impulse wegweisend wurden für neuere kul-turwissenschaftliche Debatten, von Bronislaw Malinowkis Betonung direkter Beobachtung statt primitivistischer Spekulation bis zu den gegenwärtigen Postcolonial Studies. Sein Bei-trag eröffnet diesen Band als nachdenkliche Demonstration der Wirkmacht von Texten

die dann auch unmittelbar handlungsleitend wurden. Dass hier in vielen Bereichen ein grundlegender Zusammenhang besteht zwi-schen der Erzeugung von ‚Wissen‘ und der Ausübung von Macht über die ‚Fremden‘, ist eine grundlegende Erkenntnis der Postcolo-nial Studies, deren Vertreterinnen und Vertreter hegemoniale Diskurse in ganz verschiedenen historischen Kontexten und sozialen und kul-turellen Konstellationen identifiziert haben und zu dekonstruieren suchen.

Insofern sind (oder eher schon: waren) ‚Fremdheit‘ oder ‚Alterität‘ durchaus Modethemen, dies freilich um den Preis, dass ähnlich wie bei dem verwandten Feld der Gender Studies sich ein einschlägiger Exper-tendiskurs etabliert und durchaus auch wieder aus der Mode kommt, während jenseits dessen problematische Repräsentationen des ‚Ande-ren‘ erstaunlich langlebig sind. Zumindest in der Archäologie, aber vermutlich auch darü-ber hinaus, ist so zu beobachten, dass im all-täglichen Vollzug, in Forschung und Lehre, das Gemachtsein unseres Wissens um das kulturell ‚Andere‘ immer wieder in den Hintergrund tritt. Dies reicht von der Ebene der sich uns oft zwanglos erschließenden Motivationen prähistorischer Akteure (wahlweise aufgrund der angenommenen biologischen Konstante ‚Mensch‘ entsprechend den unsrigen, oder eben aufgrund der unüberwindbaren zeitli-chen und kulturellen Distanz irgendwie ganz ‚anders‘, urtümlich), über die unreflektierte Rede von ‚Kulturen‘, ‚Ethnien‘ oder ‚Völ-kern‘ und die Versuche einer wesensmäßigen Bestimmung dieser uns fremden Kollektive, als handele es sich um uranfängliche Gegeben-heiten, bis hin zu problematischen Epochen-charakterisierungen, die Differenz im Rah-men eines evolutionistischen Paradigmas nur als Fortschritt zu denken erlauben.

So scheint es, als müsse das Problembewusst-sein hinsichtlich unserer Repräsentationen des Fremden und deren möglicher Inanspruch-nahmen immer aufs Neue geschärft werden,

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Fremdheit – Perspektiven auf das Andere. Zur Einführung 3

können. Widlok entwickelt diesen Gedanken am Beispiel der einflussreichen Differenzie-rung von Tim Ingold zwischen externalisierter, moderner westlicher ‚Technologie‘ und sozial eingebetteten, indigenen ‚Kulturtechniken‘. Er erkennt hier eine problematische Dichoto-misierung in ‚wir‘, die wir Technologie haben, während die ‚Anderen‘ über verleiblichte Fer-tigkeiten (embodied skills) verfügten. Er setzt dem das Konzept der generellen ‚anthropolo-gischen Fremdheit‘ in der natürlichen und kul-turellen Umwelt entgegen, die alle Menschen zu überwinden hätten, ohne dass sich dabei – am Beispiel der Weltbeherrschung durch die Erzeugung von Artefakten und andere ‚Kulturtechniken‘ – analytische ‚Abstandshal-tung‘ oder ‚involvierte Einbettung‘ jeweils unterschiedlichen kulturellen ‚Entwicklungs-stufen‘ oder ‚technisch‘-materiellen Kontex-ten zuweisen ließen (‚wir‘ als die Vertreter der Moderne vs. die indigenen ‚Anderen‘). Ganz ähnlich gelagert ist die Warnung von Paul Roscoe, dass das zunehmende Interesse in den Kulturwissenschaften an relationalen Ontologien, die damit verbundene Kritik an westlichen Konzepten von Individualität und die Aufwertung agenshafter Dinge in diesem Kontext trotz gegenteiliger Behauptungen Ausdruck eines problematischen und letztlich orientalistischen Diskurses über das exotische ‚Fremde‘ sind. Die Attraktivität solcher Ansätze gründet demnach auch in Defiziterfahrungen des modernen westlichen Betrachters und in der faszinierenden Fremdartigkeit einer Welt, in der Personen von der Begrenztheit ihrer Individualität befreit und nebst den Dingen als Teil eines Kosmos allgemeiner Bedeutsam-keit erscheinen. Eine problematische Reprä-sentation der ethnographischen ‚Realität‘ liegt hier Roscoe zufolge insofern vor, als indige-nen (menschlichen) Akteuren die Fähigkeit zu metaphorischem Sprachgebrauch ebenso abgesprochen wird wie Reflexion über kul-turelle Zeichensysteme und die Möglichkeit strategischen Handelns. Im Grunde werden

und Bildern, die immer eine reflektierte ‚Lek-türe‘ erfordern, aber auch von deren subversi-vem Potential, durch Verweigerung vertrauter Lesarten den kritischen Blick zu schärfen.

Aus der Ethnologie, traditionell der „Wis-senschaft von dem kulturell Fremden“, stam-men die anschließenden drei Beiträge, wobei sich zunächst Christoph Antweiler von einer solchen Selbstbestimmung gerade distanziert aufgrund der damit verbundenen Ontologisie-rung eines ganz ‚anderen‘ Fremden. Antwei-ler betont statt dessen den immer relationalen Charakter des ‚Fremden‘, das nie für sich allein existiere, sondern immer als Resultat einer Aus- oder Abgrenzung im Rahmen der Ausbildung und Konstruktion kollektiver Eigen-Identitä-ten anzusehen sei. Am Beispiel der Ethnizität wird dargelegt, wie trotz postmoderner Ver-suche, ‚Kultur(en)‘ als abgrenzbare Entitäten aufzulösen, Kollektive dennoch Gemeinsam-keiten betonen, Grenzen ziehen und hand-lungsleitende Vorstellungen über ‚uns‘ und die ‚Anderen‘ entwickeln. Der Umgang so kon-struierter Wir-Gruppen mit dem angenom-menen Fremden kann ganz unterschiedlich ausfallen, und so beschließt den Beitrag Ant-weiler der Versuch einer Systematisierung oder ‚Typologie‘ der Umgangsweisen und Bezie-hungsmuster mit den ‚Anderen‘.

Generell zeichnet ja die Ethnologie ein seit langem etabliertes kontroverses Nachden-ken über die Möglichkeit und die Berechti-gung ethnographischer Repräsentationen des Fremden aus, und diesen Diskurs mögen die folgenden zwei Beiträge von Thomas Widlok und Paul Roscoe exemplifizieren, die je eine relativ aktuelle ‚Modeströmung‘ in den Blick nehmen. Beide Beiträge können dabei jeweils auf ihre Weise als Mahnung dienen, dass auch im weitesten Sinne postmoderne, emanzipa-torische Ansätze, das ethnographische Andere frei zu machen von dem kolonialisierenden, westlichen Blick zu problematischen, weil essentialisierenden (Miss-)Repräsentationen eines möglichst exotischen ‚Fremden‘ führen

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der Vereinnahmung einer idealisierten grie-chischen Antike als Referenzpunkt für die kulturelle Selbstbestimmung des modernen Westens und sich ausbildender Nationalstaa-ten, bis hin zu dem ‚Brüchigwerden‘ solcher Konstruktionen, wenn dem ‚befremdlichen‘ Orient immer etwas Verlockendes, Faszinie-rendes anhängt und so auch eigene Identitä-ten potentiell labil bleiben. Ganz entsprechend beschreibt auch der Klassische Archäologe Beat Schweizer seine Wissenschaft – in der traditi-onellen Selbstwahrnehmung – gerade nicht als eine ‚Archäologie des Fremden‘. Vielmehr handele es sich aus dieser Perspektive um eine Disziplin, die mit der Erschließung der mate-riellen Hinterlassenschaften und vor allem der idealisierten Kunstwerke und Architek-tur der Antike einen Beitrag zum Verständnis des Ursprungs unserer eigenen Kultur leisten wolle. Wenn die ‚Griechen‘ inzwischen doch befremdlich wirken, so mag dies an dem Weg-brechen eines bildungsbürgerlichen Milieus liegen, und – so Schweizer – an einem zuneh-mend theoriegeleiteten Zugriff, der Identitäts-stiftung durch Rückgriff auf die doch zeitlich weit zurückliegende und sozial und kulturell durchaus fremdartige Antike problematisch erscheinen lässt. Exemplarisch vorgeführt wird diese bewusste Distanzierung unter anderem am Beispiel der Athener Akropolis, heute ein auf wenige klassische Dekaden ‚purifizierter‘ Ort, in unserer Vorstellung ästhetisiert und still gestellt auf Kosten all dessen, was dem Bild der ‚edlen Einfalt und stillen Größe‘ Winckel-mannscher Tradition entgegen steht. Zu nen-nen sind in diesem Zusammenhang etwa die zahlreichen, auch kontroversen Handlungsop-tionen, die ein solcher Ort bot, oder die viel-fältigen, auch chaotischen bis widerwärtigen Sinneseindrücke, die er hervorrief – bis hin zu dem Brüllen der Opfertiere und dem Gestank der Opferfeuer.

Als früheste voll schriftliche Kultur Euro-pas liegen von den ‚Griechen‘ umfangreiche Eigenäußerungen vor, die dieses Kollektiv im

also Einsichten aus der Rezeption handlungs-theoretischer Ansätze zugunsten eines idealis-tischen Weltbildes revidiert. Indigene Akteure werden herabgestuft zu passiven Rezipienten oder ‚Ausführenden‘ einer anregend fremdar-tigen Ontologie oder Weltsicht.

Neben kolonialen Kontaktsituationen mit außereuropäischen Völkern seit Beginn der frühen Neuzeit kommt für die Selbstverge-genwärtigung des modernen ‚Westens‘ dem Bezug auf die klassische Antike paradigmati-sche Bedeutung zu. Dies aber bekannterma-ßen gerade nicht, indem vor allem das griechi-sche Altertum als irgendwie fremd begriffen worden wäre, gleich der ethnographischen Gegenwart, sondern in Form der Aneignung und des Anspruchs auf direkten Traditionsbe-zug. Die moderne westliche Zivilisation fußt aus dieser Perspektive auf Kernwerten, die von so wahrgenommenen ‚klassischen‘ Idealen abgeleitet sind, etwa Philosophie und Ratio-nalität, die Vorliebe für bestimmte Ästhetiken oder auch Vorstellungen über das Wesen und die politische Verfasstheit der Gesellschaft. Und aus der Antike, die erstmals auf uns gekom-mene schriftlich fixierte ‚Ethnographien‘ her-vorbrachte und klar formulierte, wenngleich oft fiktionale Vorstellungen des ‚Anderen‘, stammt auch das – neben den außereuropäi-schen ‚Wilden‘ – große Gegenüber unserer eigenen westlichen Zivilisation: der ‚Orient‘. Der Beitrag der Kunsthistorikerin Alexandra Karentzos, der diesen Themenabschnitt eröff-net, blickt in beide Richtungen, indem histo-ristische Vereinnahmungen der griechischen Antike im 19. Jahrhundert neben orientalis-tischen Diskursen am Beispiel der ambivalen-ten Person Kleopatras – hellenistische Herr-scherin oder orientalische Pharaonin und Verführerin – behandelt werden. Im Vergleich beider Fallstudien zeigt sich die Bandbreite der diskursiven Strategien und Resultate der medialen, hier bildlichen Repräsentation des ‚Anderen‘ wie auch der parallel laufenden Bestimmung des ‚Eigenen‘: von dem Versuch

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nur für die ideelle, sondern auch für die fak-tische Kolonisation des Orients erlangte. Till entwickelt dies am Beispiel orientalistischen Gedankenguts in den geschichtsphilosophi-schen Arbeiten von Johann Gottfried Herder und Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Sichtbar werden an dieser Paarung zweier Autoren, die nur durch wenige Dekaden getrennt sind, die durchaus vorhandenen Unterschiede in der Bewertung des ‚Anderen‘ und seiner Bedeu-tung für den Fortgang der Geschichte. Solche Einschätzungen hängen immer auch von der Weltsicht oder der Philosophie eines Autors ab und sind nicht pauschal mit dem Orientalis-mus-Vorwurf an eine ganze geistesgeschichtli-che Epoche zu erfassen und abzuhandeln. Zum anderen zeigen sich aber natürlich auch Kon-stanten in der latent abwertenden und essen-tialisierenden Charakterisierung des ‚Anderen‘, etwa die Antriebsarmut und der Aberglaube des Orientalen, der Despotismus und die fehlende Rationalität des Orients, die eingebettet in ein sinnstiftendes historisches Narrativ um so wir-kungsvoller werden: hier insbesondere die Vor-stellung eines Fortschreitens der geschichtli-chen Entwicklung von Ost nach West hin zum eigentlichen Ziel der Geschichte, der moder-nen westlichen Zivilisation.

Postkoloniale Ansätze im weitesten Sinn widmen sich der Dekonstruktion solcher Narrative und beleuchten das Spannungsfeld zwischen Identitätsentwürfen und der dafür notwendigen Ausgrenzung des ‚Anderen‘. In die Kritik geraten dabei Ontologisierungen des ‚Eigenen‘ wie des ‚Fremden‘, und an die Stelle statischer Dichotomien, oft in Verbin-dung mit einem geschichtslosen oder passiven Gegenüber, treten differenziertere Konzep-tualisierungen kultureller Kontaktsituationen und fremdkultureller Aushandlungsprozesse. Hier sind es nicht mehr die zivilisatorisch überlegenen Kolonisatoren – heute die Ver-treter des modernen Westens, früher etwa die bronzezeitlichen Hochkulturen des mediter-ranen Raumes, die antiken Griechen oder

Prozess der Abgrenzung, Identitätsbildung und fortgesetzten Neubestimmung des jeweiligen ‚Eigenen‘ und ‚Fremden‘ zeigen – prominent natürlich die Perserkriege, während derer man sich überhaupt erstmals geeint sah als Grie-chen, und die bis heute im Rahmen orientali-sierender Diskurse wirkmächtigen Vorstellun-gen von dem ‚Orient‘ gegen die ‚barbarischen‘ Perser in Stellung brachte. Dass es nicht bei diesen monolithischen Blöcken blieb, son-dern andauernd Identität und Fremdheit auf verschiedenen Ebenen ausgehandelt wurden, zeigt der Althistoriker Christoph Ulf an dem komplexen Beispiel der Darstellung des Pelo-ponnesischen Krieges bei Thukydides. Ulf arbeitet heraus, wie es strategischem Kalkül folgend zu einen explizit politischen Gebrauch der Kategorie der Fremdheit und zu Verschie-bungen der Unterscheidungsmerkmale des Eigenen und Fremden kam, etwa der Freiheit, um Gegner auszugrenzen und zu delegitimie-ren, verschränkt mit einer zunehmenden Auf-ladung binnengriechischer ‚ethnischer‘ Diffe-renzen – die ‚Dorier‘ gegen die ‚Ioner‘.

Weit über die Antike hinaus weist der bei den Griechen angelegte Gegensatz zwischen Okzident und Orient, den Edward Said, ein Vordenker der Postcolonial Studies, unter dem Stichwort des ‚Orientalismus‘ als einen hege-monialen Diskurs und eine akademische Form kultureller Diskriminierung analysierte. Das frühneuzeitliche und moderne westli-che Nachdenken über den ‚Orient‘ fügte sich demnach zwanglos in das Projekt der koloni-alen Aneignung, indem imperiale Unterwer-fung mit einer ideologischen Rechtfertigung versehen und auch ganz pragmatisch das für eine effiziente Ausbeutung der Anderen erfor-derliche Wissen verfügbar gemacht wurde. Den Rhetoriker Dietmar Till interessiert an einer solchen Konstellation, wie durch Kom-munikation Einfluss ausgeübt werden kann und ein allgemein akzeptiertes ‚Normalwissen‘ über die Anderen hervorgebracht wird, das im konkreten Fall strategische Relevanz nicht

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logischen Bildungshorizont seiner britischen Leser einschrieb bzw. weitergehend die kre-tische Zivilisation zum Vorläufer des moder-nen Westens erklärte. Es folgten immer neue Essentialisierungen und Hervorhebungen des spezifisch ‚Europäischen‘ im Minoischen im Gegensatz zu den Hochkulturen des alten Orients, die doch aus heutiger Sicht eigentlich Pate standen für Schriftlichkeit und Palastkul-tur Kretas: sei es die spezifische ‚Modernität‘ der minoischen Fresken und Frauentrachten, oder die das britische Empire vorwegneh-mende minoische Thalassokratie. Einen im weitesten Sinne diskursanalytischen Ansatz verfolgt auch der Beitrag des Herausgebers, in dem eine populäre Repräsentation der euro-päischen Bronzezeit als Epoche bedeutenden gesellschaftlichen Aufschwungs, getragen von kriegerischen Eliten, und der Angleichung an mediterrane Hochkulturen kritisch hin-terfragt wird. Hier sind vielfältige Strategien des Othering einerseits und der Aneignung andererseits festzustellen, sei es der tendenzi-öse Gebrauch ethnographischer Analogien als ‚Beleg‘ für das Interesse bronzezeitlicher Eli-ten an exotisch-esoterischem Wissen, oder die Rückübertragung uns vertrauter homerischer Helden der frühen Eisenzeit in einen gänzlich anderen sozialen und kulturellen Kontext der mykenischen Spätbronzezeit. Das entstehende Gesamtbild ist suggestiv, doch ebenso mani-pulativ, so das Fazit des Beitrags, und operiert durchgängig mit problematischen Essentiali-sierungen (die ‚Mykener‘ etc.) sowie einem Konzept passiver ‚Peripherien‘ am Rande überlegener mediterraner ‚Zentren‘, das aus Sicht postkolonialer Theoriebildung hinter einer sehr viel komplexeren einstigen Wirk-lichkeit zurückbleibt. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt der Klassische Archäologe Erich Kistler, dessen von Ansätzen der Postcolo-nial Studies inspirierte Arbeit auf dem antiken Kultplatz des Monte Iato in Westsizilien zu einem differenzierten Bild des Umgangs indi-gener Akteure mit fremden, hier griechischen

Römer –, die einer unterlegenen und bedin-gungslos aufnahmebereiten indigenen Bevöl-kerung entgegen treten. Statt dessen wird den ‚Anderen‘ agency zuerkannt und die Möglich-keit kreativen oder strategischen Umgangs mit dem ‚überlegenen‘ kulturellen Angebot. ‚Hybride‘ Neuschaffungen materieller Kultur oder allgemein kultureller Ausdrucksformen geraten dabei ebenso in den Blick wie neue Bedeutungszuweisungen an fremde Objekte oder Güter und deren Rekontextualisierung in ‚indigenen‘ Gruppen.

Auf einer solchen theoretischen Grundlage widmen sich die folgenden drei archäologi-schen Beiträge der im Ostmittelmeerraum tätigen Prähistorikerin Constance v. Rüden, des Herausgebers und des Klassischen Archäo-logen Erich Kistler mit jeweils unterschied-lichem Schwerpunkt kulturellen Kontaktsi-tuationen im bronzezeitlichen bzw. antiken Mittelmeerraum und dessen Randgebieten. Der bronzezeitliche ostmediterrane Raum ist nachgerade ein Paradebeispiel für ‚trans-kulturelle Verwobenheit‘, das sich eindeuti-gen kulturellen Zuweisungen entzieht, wie v. Rüden eingangs anhand eines Pyxisdeckels demonstriert, der ‚orientalische‘ und ägäische, d. h. vorgeblich ‚europäische‘ Elemente zu vereinen scheint. Aufgrund seiner Ambivalenz und Offenheit für unterschiedliche Lesarten erschien dieses Stück besonders geeignet, um auf dem Umschlag des vorliegenden Bandes zu erscheinen. Obwohl also schlichte Ost-West-Dichotomien zu kurz greifen, durchzieht den Ostmittelmeerraum traditionell eine eben-solche Bruchlinie zwischen Europa und dem alten Orient als dem ‚vergangenen Anderen‘, und v. Rüden arbeitet am Beispiel des mino-ischen Kreta heraus, wie eine weit zurücklie-gende bronzezeitliche Kultur schrittweise dem europäischen ‚Eigenen‘ anverwandelt wurde. Dieser Prozess beginnt bereits mit Arthur Evans, dem Ausgräber von Knossos, der hand-feste forschungspolitische Interessen verfolgte, indem er den „Palast des Minos“ dem mytho-

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telalter an sich oft gar nicht als ‚fremd‘ angese-hen werde, sondern als ‚Wegbereiter‘ Europas, aber eben diese vorgebliche Vertrautheit zu problematischen Projektionen der modernen Situation auf die Vergangenheit führe: Wäh-rend Identität mit der Gegenwart empfunden werde, werde Alterität zum Beispiel zwischen merowingerzeitlichen Gruppierungen vermu-tet und oft vorschnell mit ethnischen Begrif-fen von ‚Stämmen‘ und ‚Völkern‘ belegt, die eher eine moderne nationalstaatliche Wirk-lichkeit reflektieren als die in dieser Hinsicht sehr viel heterogenere Welt des frühen Mit-telalters. Besonders deutlich werde dies, so Brather, am Beispiel der Gräberarchäologie, die oftmals auf ethnische Zuweisungen fokus-siere, also auf eine sehr spezielle Ausprägung frühmittelalterlicher Alterität, ohne dass die sehr viel komplexeren Identitäten in den Blick gerieten, die tatsächlich das damalige Leben geprägt haben dürften und potentiell in den Bestattungssitten zum Ausdruck gebracht wer-den konnten. Dem anschließen lässt sich der Beitrag der Prähistorikerin Brigitte Röder, die mit dem Einfluss des bürgerlichen Geschlech-ter- und Familienmodells auf unsere Interpre-tationen urgeschichtlicher Lebensverhältnisse eine ganz wesentliche der auch von Brather angesprochenen Dimensionen von Identität in den Blick nimmt und dabei ebenso eine zu große ‚Nähe‘ als interpretatorisches Pro-blem ausmacht: So erschließe sich selbst bei den ‚Urmenschen‘ des weit zurückliegenden Paläolithikums, und ebenso für alle jüngeren urgeschichtlichen Perioden zwanglos, wie sich das Zusammenleben der Geschlechter gestaltet habe, nämlich in der Konstellation von Vater, Mutter und Kindern, also in Form der ‚klas-sischen‘ Kernfamilie, die zugleich die grund-legende Wirtschafts- und Koresidenzeinheit dargestellt habe. Hier nun handelt es sich, so Röder, um eine durchaus historisch spezifische Erscheinung, nämlich das Familienmodell der bürgerlichen Gesellschaft des 18. und 19. Jahr-hunderts, mit dem die Vorstellung, die mono-

Objekten und Praktiken führt. Weit entfernt von einer schlichten Übernahme griechischer Keramik und der Sitte des Symposions werden beide in einen lokalen Diskurs einbezogen und Bestandteil komplexer Aushandlungspro-zesse und Legitimationsstrategien, die teils auf das fremde Neue, teils auf lokale Traditionen rekurrierten, ohne dass langfristig eine Auflö-sung lokaler Identitäten zu beobachten wäre. Im archäologischen Befund fassbar wird hier der materielle und räumliche Niederschlag der Inszenierung unterschiedlich legitimitierter Machtdiskurse und Traditionsbezüge, konkret eine räumliche Trennung und der differen-zierte Gebrauch traditioneller einheimischer und fremder griechischer Waren in unter-schiedlichen Kontexten. Ebenfalls eine Stärke archäologischer Ansätze ist die Möglichkeit, den Wandel solch materiell vermittelter Ver-ständigungen über traditionelle Identitäten und die Handlungsoptionen ambitionierter gesellschaftlicher Teilgruppen diachron über lange Zeit zu verfolgen.

An einer Systematisierung des in der bishe-rigen Forschung oft unreflektierten Umgan-ges mit Identitäten und Alteritäten im frühen Mittelalter ist dem anschließenden Beitrag des Frühmittelalterarchäologen Sebastian Brather gelegen, der damit in mancher Hinsicht auch in Bezug zu dem weiter vorne im Band ste-henden Text von Christoph Antweiler zu lesen ist. Auch Brather vertritt einen relationalen Begriff von Identität und Alterität, die zwin-gend aufeinander bezogen seien, widmet sein besonderes Augenmerk aber der Komplexi-tät und Vielschichtigkeit von Identitäten und Identitätsgruppen, die situativ aufgerufen wer-den und jeweils unterschiedliche Bedeutung für das Individuum erlangen könnten, wobei Ethnizität zum Beispiel mit Zugehörigkei-ten aufgrund von Religion, Alter, Geschlecht, Verwandtschaft, Rang oder Tätigkeit ‚konkur-riere‘. Ausgangspunkt dieser Überlegungen ist der Befund, dass ähnlich anderen Beispielen, etwa der griechischen Antike, das frühe Mit-

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bilisieren oder gegebenenfalls zu delegitimie-ren und zu untergraben.

Dass dabei seitens der Archäologie gerade vergangene und rezente, so genannte ‚primi-tive‘ oder traditionelle Gesellschaften und das Bild, das sich der Westen von ihnen in den verschiedenen Medien macht, ins Blickfeld gerückt werden, liegt auf der Hand. Darüber hinaus bestehen jedoch, auch das zeigt der vorliegende Band, vielfältige Berührungs-punkte mit anderen Disziplinen, genannt seien neben der Ethnologie nur die Kunst-wissenschaft, die Germanistik oder die Geschichtswissenschaft(en). Schließlich begeg-nen hier jeweils ähnliche Diskurse, die auf dieselben Wurzeln zurückzuführen sind, zum Beispiel auf den frühneuzeitlichen kolonia-len Kontakt mit außereuropäischen Völkern und die darauf aufbauenden eurozentrischen Konzeptualisierungen des Fremden. Inhaltlich reicht dies von der positiven Verklärung durch Primitivismus oder Exotismus, über die ten-denzielle Abwertung im Rahmen fortschritts-gläubiger evolutionistischer Diskurse mit ihrer Fokussierung auf die Entstehung von Hoch-kultur bzw. Zivilisation bis hin zur Legitima-tion europäischer Vorherrschaft.

Unabhängig von den jeweiligen disziplinä-ren Besonderheiten besteht eine gemeinsame Verantwortung, unsere Konstruktionen des Fremden zu reflektieren und zu kontextua-lisieren, die wahrzunehmen in keiner Weise eine Abwertung unserer Aussagen über kultu-relle Phänomene darstellt. Im Gegenteil: Wis-senschaftlichkeit äußert sich gerade in dem Bewusstsein der Bedingtheit solcher Aussagen über das kulturell Fremde – und nicht in dem Anspruch auf zeitlos gültige Wahrheiten.

game, heterosexuelle Paarbeziehung bilde den Normalfall und die Grundeinheit der Gesell-schaft, auf die Urgeschichte projiziert werde. Es handelt sich um eine Denkbewegung, die zum einen die Vergangenheit unserer Gegenwart anverwandelt, während doch ethnographisch zahlreiche Alternativen zu unseren Geschlech-terrollen und Modellen des Zusammenlebens belegt sind, deren Auftreten in der Vergangen-heit zumindest zu erwägen wäre. Zum anderen wird so als immer schon da gewesen naturali-siert, was unseren gesellschaftlichen Normen, wenn auch nicht mehr unserer tatsächlichen Realität entspricht – die lebenslange mono-game Paarbeziehung. Röder plädiert aus die-sem Grund abschließend für mehr Fremdheit, für eine bewusste analytische Distanzierung, um möglicherweise von unserem Erwartungs-horizont abweichende Konstruktionen von Geschlechterordnung und Familie überhaupt erst wieder in den Blick zu bekommen. Den Band beschließt ein Beitrag des Prähistorikers Manfred K. H. Eggert über das ‚Fremdartige‘ in der Urgeschichte schlechthin, Religion und Ritual, in dem ältere Ansätze einer ‚Reli-gionsarchäologie‘ unter Verweis auf die große Variabilität ethnographisch belegter Kultprak-tiken aus erkenntnistheoretischer Perspektive kritisch beurteilt werden.

Die Veröffentlichung dieses Bandes erfolgt in der Hoffnung, dass die hier vorgelegten Bei-träge einmal mehr den Blick schärfen mögen für die Problematik unserer Repräsentatio-nen des ‚Anderen‘. Besonderes Augenmerk verdient immer noch die Frage, wie solche Fremdbilder instrumentalisiert werden, wel-che Strategien ihres Gebrauchs vorliegen, um in öffentlichen Diskursen Geltungsansprüche durchzusetzen, Ordnungen und Werte zu sta-

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Verkehrte Welten.Primitivismus in Literatur und Kunst

der Klassischen Moderne

Herbert Uerlings

bleibt erkennbar auch in den Variationen, von denen die beiden bedeutendsten zum einen die religiös imprägnierten Formen sind, die die Trennung von Ursprung und Geschichte betonen, und zum anderen die der Geschicht-lichkeit verpflichteten, für die die Frage nach dem historischen Ursprung konstitutiv ist.

Die neuzeitliche primitivistische Ausein-andersetzung mit dem ‚Fremden‘ entspringt mindestens so sehr wissenschaftlicher Neugier wie kolonialistischem Interesse, einem Unbe-hagen an der eigenen Kultur und künstleri-scher Experimentierlust. Deshalb ist das Pri-mitive in den Augen der Europäer ambivalent: faszinierend und bedrohlich, Gegenstand des Begehrens wie der Abwehr, Faszinosum wie Tremendum. Das ist einerseits die typische Dialektik in der Begegnung mit Fremdem, neu ist in der Klassischen Moderne aber die Emphase, mit der behauptet wird, das Fremde sei zugleich Eigenes, eben barbarische oder paradiesische / idyllische Frühgeschichte des-sen, was man selbst ist, also eigener Ursprung.1

Der Primitivismus gehört zu den wirkungs-mächtigsten und folgenreichsten Modellen der Erklärung und des Verstehens fremder Kultu-ren. Unter ‚Primitivismus‘ wird im Folgenden im Kern eine Strömung in Kunst, Kultur und Wissenschaften im ersten Drittel des 20. Jahr-hunderts verstanden, also – in literatur- und kunsthistorischer Terminologie – in der soge-nannten Klassischen Moderne. Dieser Primiti-vismus hat eine Vor- und eine Nachgeschichte, und er kennt sehr unterschiedliche Ausprä-gungen.

Dennoch gibt es eine zentrale Gemeinsam-keit, die den Primitivismus zum Primitivis-mus macht: die Orientierung an für ‚primitiv‘ gehaltene Kulturen und die Verlagerung der Gegenwart des Fremden in die Vergangenheit des Eigenen (Fabian 2002). Der Primitivismus überträgt damit den Gegensatz von eigen /fremd in den von Gegenwart / Vergangenheit.

Das Fremde wird entweder als geschichts-los oder als Anfang der eigenen Entwicklung gedacht, seine Präsenz in der Gegenwart ist ein unzeitgemäßer Rest des ursprünglichen Zustands. Zu diesen Differenzen von eigen und fremd, Gegenwart und Vergangenheit kommt als drittes die Unterscheidung von Kultur und Natur hinzu. Das Fremde ist einfache und geschichtslose Natur, das Eigene ist komplexe und dynamische Kultur. Diese Grundformel

1 Ablesbar ist das insbesondere an der Auffassung, die temporalen Zusammenhänge seien im Körper veran-kert sowie empirisch nachweisbar und – so das zeit-typische biogenetische Grundgesetz Haeckels – in der Ontogenese wiederhole sich die Phylogenese. Damit

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Diskussion über Fremdheit interessant sind. Das soll zunächst an drei Beispielen, einem aus der bildenden Kunst und zweien aus der Lite-ratur, demonstriert werden.

Picassos Les Demoiselles d’Avignon: – Für eine nicht mehr nur europäische Moderne

Die bekannteste Form des Primitivismus ist die gleichnamige Strömung in der bildenden Kunst der Frühen Moderne, und das berühm-teste Werk aus diesem Zusammenhang sind zweifelsohne Picassos Les Demoiselles d’Avignon von 1907 (Abb. 1). ‚Primitivismus‘ bedeutet in der Kunstgeschichte so viel wie Nachahmung der ‚primitiven Kunst‘ oder der ‚Kunst der Primitiven‘.

Picasso hat bei den Demoiselles, die zum Schlüsselbild der Moderne geworden sind, auf Darstellungsweisen zurückgegriffen, die damals als ‚primitiv‘ galten, etwa für die Frau am linken Bildrand auf die altägyptischen Wandreliefs, für dieselbe Figur sowie für die mittlere Frau auf altiberische Kunst und für die Gesichter der beiden Frauen rechts auf afrikanische Masken – freilich ohne dass er sie einfach ‚nachgeahmt‘ hätte oder sich auch nur angeben ließe, an welchen Masken er sich ori-entiert hat.2

Diese Konstruktion hat deutlich projek-tive Züge und scheint wenig geeignet, eine Erfahrung von Alterität zuzulassen. Denn das Grundmuster ist das der Spiegelung: Der Pri-mitivismus spiegelt Europa in der verkehrten Welt der inner- und außereuropäischen ‚Pri-mitiven‘ (Kinder, Frauen, Irre, Wilde). Darauf bezieht sich der Titel dieses Beitrags Verkehrte Welten, der zugleich eine klassische ethnolo-gische Studie zur imaginären Ethnographie des 19. Jahrhunderts zitiert, Fritz Kramers Ver-kehrte Welten (Kramer 1977).

Der Primitivismus, darauf soll im Folgenden ein besonderes Augenmerk gelegt werden, ist aber zugleich Ausdruck einer Beunruhigung, einer Verunsicherung über die eigene Identi-tät, und er ist – je nach Erscheinungsform – durchaus geeignet, diese Unruhe aufrecht-zuerhalten und produktiv werden zu lassen. Auch das ergibt sich aus der Suche nach dem Ursprung, der anders sein soll als man selbst und andererseits doch dem Selbst zugehörig, dem Ursprung, der erkannt werden soll und sich doch dem Begreifen immer wieder ent-zieht. Auch diese Irritation steckt im Muster der ‚Verkehrten Welten‘.

Neben der projektiven gibt es deshalb auch eine andere, produktivere Variante, die – so die im Folgenden vertretene These – die Gegen-satzbildungen und die mit ihnen verbundenen essentialistischen Zuschreibungen an fremde Kulturen in Frage stellt. Hier öffnen sich Spielräume für einen nicht-projektiven, nicht-totalitären sondern offeneren, freieren und produktiveren Umgang mit Fremdheit, hier gibt es ästhetische und theoretische Verfah-rensweisen, die geeignet sind, aus dem Spie-gelkabinett des Primitivismus herauszuführen, und vielleicht auch aus heutiger Sicht für eine

ist eine Präsenz des Primitiven gegeben, die sich von Schillers sentimentalischer Erinnerung deutlich unter-scheidet und für die Ästhetisierung der Politik folgen-reich sein wird.

2 Picasso kannte seit 1905 sogenannte ‚Negerplasti-ken‘, erste Figurenskizzen zu den Demoiselles entstan-den im November 1906, im Sommer 1907 brachte ein Besuch der ethnologischen Sammlung im Trocadéro-Museum eine erneute Begegnung mit der afrikanischen Plastik. Die Vorstudien sind zugänglich im Katalog der 1988 vom Pariser Picasso-Museum veranstalteten Aus-stellung (vgl. Seckel 1988). Zuletzt hat Bärbel Küster mit neuen Argumenten gezeigt, dass es Picasso (und anderen französischen Künstlern, besonders Matisse) gerade nicht um Primitivismus i. S. einer ‚Abwertung von Gleichzeitigem / Früheren‘ ging. ‚Primitivismus‘ bedeutet hier vielmehr die Suche nach Universalien in der Kunst, nach Gleichbleibendem in der Darstellung

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Bildhälfte das Bildformular der ‚Drei Gra-zien‘ aufgerufen, und die mittlere Figur zitiert zugleich die Venus von Milo, aber das damit verbundene klassische antike Schönheitspro-gramm wird unterlaufen durch die Malweise, die das zeitliche Nacheinander des Sehens in mehrperspektivische Gleichzeitigkeit über-führt und die Körper nicht harmonisch, son-dern aus zerklüfteten Teilen zusammenfügt,

Das Bild zeigt den Moment der Zurschau-stellung, der sogenannten Parade in einem Bordell, darauf spielt auch der Titel an: ‚Les Demoiselles d’Avignon‘, das war eine geläu-fige Bezeichnung für die Prostituierten.

Picasso zitiert auf vielfache Weise Konventi-onen der europäischen Aktmalerei und erzeugt damit eine Erwartungshaltung, die er dann konsequent enttäuscht. So wird in der linken

Abb. 1: Picasso: Les Demoiselles d’Avignon 1907 (nach Palau i Fabre 1998, 39).

besonders des menschlichen Körpers. Das ‚Primitive‘ ist das Alte und Gleichbleibende. Das deckt sich mit einem breiten Diskursfeld im zeitgenössischen Frank-reich, das es in Deutschland offenbar so nicht gab. Küs-ter zeigt, dass dieser anthropologische Universalismus

sich sowohl gegen das evolutionistische Moment wie gegen die Überbetonung kultureller Differenz richtet. Sie hat außerdem gezeigt, dass die Rezeption altibe-rischer Kunst in Picassos Demoiselles vielfältiger ist als gedacht (Küster 2003, 121; 125–127; 171).

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also nicht nur die Frauen, die sich den Erwar-tungen nicht fügen, sondern die Gesamtkom-position. Entscheidend ist die dadurch ausge-löste Blickumkehr: Das Bild wirft die Frage auf, warum dem (damaligen, an der europä-ischen Konvention geschulten) Betrachter jede Identifikationsmöglichkeit thematischer, formaler, voyeuristischer oder ästhetischer Art verwehrt ist. Indem das Bild die Erwartungen enttäuscht, lenkt es den Blick der europä ischen Kunst auf diese selbst und ihre Schematisie-rungen zurück.

Man darf das Bild sicher auch als Ausdruck einer Anerkennung ‚primitiver‘ Kunst verste-hen, deren Techniken Picasso zur Lösung eige-ner Darstellungsprobleme adaptiert hat. Aber den Schwerpunkt bildet das nicht. Picasso geht es vor allem um eine Erneuerung der Kunst, und die muss sich gegen den „Begriff einer nur europäischen Kunst“ (Herding 1992, 47) vollziehen. Wirklich ‚modern‘ ist eine Ver-knüpfung von Gegensätzen, die die Grenzen verschiebt: Das Primitive ist zugleich komplex, das Archaische zugleich modern – damit ist der Gegensatz aufgehoben.

Das ist der im Zusammenhang dieses Bei-trags entscheidende Punkt: Der Spiegel, in dem der Europäer sich erkennt, wird von Picasso zerschlagen. Der Spiegel, der die eigene Welt verkehrt und als Bild des Primi-tiven ausgibt, dieser Spiegel, in dem der Euro-päer sich erkennt, indem er sich vom Bild des Primitiven unterscheidet, dieser Spiegel, der die verkehrte Welt erzeugt und damit auch die eigene – er ist zerbrochen.

Kafkas Wunsch, Indianer zu wer-den: Jenseits des Imaginären?

Das zweite Beispiel für einen solchen selbstre-flexiven Primitivismus, der das Konzept letzt-lich auflöst, ist ein literarisches: Franz Kafkas 1912 geschriebene kleine Prosaskizze Wunsch, Indianer zu werden:

alles Runde in eckige Formen übersetzt und sich einer explosiven Farbgebung bedient, die die Beziehungslosigkeit der Figuren betont und insgesamt dezidiert flächig wirkt (vgl. Herding 1992, 20). Zudem ist das Bild, was hier nicht im Einzelnen gezeigt werden kann, voller satirischer und ironischer Anspielungen auch auf die Malweise avantgardistischer Zeit-genossen, vor allem die Fauves und ihre Zen-tralgestalt Matisse.

Auch das Thema der Bordellszene ist zur Persiflage geworden: Der Betrachterstand-punkt ist der des Voyeurs, aber sein Blick wird nicht befriedigt: Die Frauen sind weder schön noch einladend, ihre Zurschaustellung ist teil-weise, etwa bei der Figur rechts unten, obs-zön, sie unterwerfen sich nicht dem voyeu-ristischen Blick, sondern starren zurück oder ihre Blicke bleiben leer. Frauen, Wilde, Nackt-heit – Versatzstücke des Primitivismus werden zitiert, aber sie fügen sich nicht zum Diskurs des Primitivismus zusammen. Im Gegenteil: Das Zitat altägyptischer Reliefkunst und die maskenhaften Gesichter der beiden Figuren am rechten Rand erwecken vielmehr den Eindruck, dass Picasso hier in der Auseinan-dersetzung mit sogenannter primitiver Kunst eben jene Darstellungsweise entwickelt hat, die er hier vorführt und die die Erwartungen des Primitivismus nicht erfüllt.

Das primitivistische Konzept der Verschie-bung von Differenzen in eine temporali-sierende Ursprungs- und Entwicklungsge-schichte stößt hier auf ein Formprogramm der „Rücknahme der Tiefe in die Fläche“ (Her-ding 1992, 11) und der nicht synthetisieren-den Verknüpfung von Heterogenem: Zerfall der Bildkontinuität, Verzicht sowohl auf Rea-litätstreue wie auf Symbolgehalt, Verknüpfung von Alt und Neu, Hoch und Niedrig, Tafelbild und Karikatur, Scherz, Satire und Ironie einer-seits und dem Anspruch, ein wirklich moder-nes Bild geschaffen zu haben, andererseits. All dies führt zu einer Komposition, an der der gewohnte Betrachterblick scheitert. Es sind

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durch Projektion und Identifikation, durch Imagination. Kafkas Text zeigt das Imaginäre solcher Identitätsbildung.

Indem er den Text buchstäblich im Nichts enden lässt, wirft er Fragen auf: Wer oder was wären wir ohne unsere Imagination von Anderen? Wären wir überhaupt? Sind unsere Imaginationen von Anderen für uns hinter-gehbar oder wechseln wir immer nur von einer Imagination zur nächsten? Damit wir nicht in einen Abgrund der Identitätslosig-keit stürzen, denn der verbirgt sich ja hinter dem Gefühl des Unheimlichen, das dieser Text auslöst. Man muss dafür nicht einmal Freuds Studie Das Unheimliche (1919) aus derselben Zeit oder Lacans Arbeiten heranziehen – was die Psychoanalyse mit symbolischer Kastration meint, die vollständige Entmächtigung, das ist auch so spürbar.

Kafkas Text gibt auf die Frage nach der Möglichkeit eines ‚Jenseits‘ der Projektionen, Verkennungen, Verschiebungen keine Ant-wort, er konfrontiert den Leser nur mit dem Abgrund, der jenseits primitivistischer Phan-tasien liegt.

Literarische Texte wie dieser illustrieren kein vorgängiges Wissen, sondern sie werfen Fragen auf, die in diesem Fall den Primitivis-mus betreffen, sich aber verallgemeinern las-sen: Kommen wir ohne Konstruktionen von Fremdheit aus? Sind alle Konstruktionen von Fremdheit falsifizierbar oder sind sie nolens volens imaginär? Dient dieses Imaginäre dazu, den Abgrund des Eigenen zu verdecken? Gibt es keinen Grund, keinen Ursprung – oder nur im Verfehlen?

Der Text führt in Reinform vor, was sich auch an Picassos Bild gezeigt hat: Moderne Kunst hat das Potential, ihre eigene Fremdheit gegenüber anderen gesellschaftlichen Teilsys-temen, also ihre ästhetische Differenz, so zu nutzen, dass sie Primitivismen gewissermaßen zitiert, d. h. so vorführt, dass sie den Betrachter oder Leser einerseits hineinzieht, die Primi-tivität gewissermaßen erfahrbar macht – und

Wunsch, Indianer zu werden Wenn man doch ein Indianer wäre, gleich bereit, und auf dem rennenden Pferde, schief in der Luft, immer wieder kurz erzitterte über dem zitternden Boden, bis man die Sporen ließ, denn es gab keine Sporen, bis man die Zügel wegwarf, denn es gab keine Zügel, und kaum das Land vor sich als glatt gemähte Heide sah, schon ohne Pferdehals und Pferdekopf. (Kafka 1996, 32–33).

Ein verstörender Text. Am Anfang steht die nachgerade klassische primitivistische Wunschphantasie, ein Indianer zu sein, hier ist sie schon fast Realität geworden: Das „gleich bereit“ meint die totale Präsenz von Geist und Körper, und im Nu ergibt sich das Einswerden mit Pferd und Boden, Kraft, Schnelligkeit und Richtung, nichts als Natur sein – ohne Sporen und Zügel – , aber da beginnt das Bild bereits zu kippen: „denn es gab keine Sporen“, „es gab keine Zügel“, der Boden ist eine „glatt gemähte Heide“ und dann verschwindet der Schein von Realität vollends und der Text wird unheimlich: „schon ohne Pferdehals und Pferdekopf“.

Was eben noch beinahe Wirklichkeit gewordene Phantasie war, entpuppt sich als Realitätsentzug bis zur – buchstäblichen – Bodenlosigkeit, und am Ende steht ein Nichts. Primitivistisches Ursprungsdenken und Erfah-rung des Unheimlichen verhalten sich kom-plementär zueinander, sie sind Kehrseiten einer Medaille.

In Kafkas Erzählung erhält das ‚Man‘ Kon-turen in dem Maße, in dem es den ‚Indianer‘ imaginiert, beide entstehen gleichzeitig, und mit dem Schwinden des imaginierten Ande-ren verschwindet deshalb auch das Ich.

Kafka kehrt den gewöhnlichen projektiven Prozess um und führt die Projektion auf ihren Ursprung zurück. Die Umkehrung zeigt, was gewöhnlich geschieht: Das Ich gewinnt Kon-turen durch die Erfindung eines anderen,

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Mischung aus Sexualität und Gewalt, „Nig-ger“ und weißer Frau, Leidenschaft und Tod, vorgetragen in ausdrucksvollen fünfhebigen, reimlosen Jamben, wobei Versende und Satz-ende beziehungsweise syntaktischer Einschnitt sich zumeist decken.

Die ersten Verse entwerfen das Bild der weißen Frau als der schlafenden Schönen. Sie wird zum Objekt einer Sexualphantasie, in der die „Sonne“ den aktiven Part übernimmt. Darauf folgt eine krass abgewertete Szenerie, deren Anspielung auf die Penetration offen-sichtlich ist: „Ein Nigger neben ihr: durch Pferdehufschlag / Augen und Stirn zerfetzt. Der bohrte / zwei Zehen seines schmutzigen linken Fußes / ins Innere ihres kleinen weißen Ohrs.“

Auf den ersten Blick handelt es sich um einen typisch primitivistischen Text. Man kann, so scheint es, deutlich unterscheiden zwi-schen der ‚weißen Frau‘ und dem ‚schwarzen Mann‘, zwischen Unschuld und Laster, sexu-eller Reinheit und sexueller Unreinheit. Das Gedicht zitiert diese Positionen aber mehr, als dass es sie wirklich besetzte. So steht die Sonne im europäischen Wissensdiskurs – und im Dis-kurs des Primitivismus – metaphorisch für das Licht der Aufklärung, während der ‚Nigger‘ das Gegenteil, die vernunftlose Triebaktivität, das Andere der Vernunft verkörpert. In Benns Gedicht dagegen scheinen „Sonne“ und „Nig-ger“ eng verwandt zu sein, beide sind sexuell aggressiv, auch die Sonne „wütet“, und von Anfang an ist von „Blut“ die Rede. Außerdem ist der „Nigger“ tot, „durch Pferdehufschlag / Augen und Stirn zerfetzt“. Von ihm geht also gar keine sexuelle Aktivität aus, er ist nicht weniger ‚unschuldig‘ als die Frau, es findet gar keine sexuelle Handlung statt, sondern es gibt nur eine durch den Anblick zweier Leichen ausgelöste ebenso aggressive wie exzessive Phantasietätigkeit. Wer aber ist dann derjenige, der diese primitivistische Sexualphantasie ent-wirft? Sie kann nur von demjenigen stammen, der die beiden Leichen anschaut und die Sze-

gleichzeitig dekonstruiert. Eine solche ästhe-tische Inszenierung des Primitivismus macht Fremdheit sichtbar – als Verschiebung, als Ver-kehrung der eigenen Fremdheit im verkeh-renden Spiegelbild des Primitiven.

Gottfried Benns Negerbraut – Kritik ‚weißer‘ Wissensproduktion

Der Verfasser des dritten Beispiels für eine Dekonstruktion des Primitivismus ist der Dichter und Mediziner Gottfried Benn. In seiner ersten Veröffentlichung, dem berühmt-berüchtigten Band Morgue (1912), gibt eines der Gedichte den Bezug zum Primitivismus schon im Titel zu erkennen:

Negerbraut Dann lag auf Kissen dunklen Bluts gebettetder blonde Nacken einer weißen Frau.Die Sonne wütete in ihrem Haarund leckte ihr die hellen Schenkel langund kniete um die bräunlicheren Brüste,noch unentstellt durch Laster und Geburt. Ein Nigger neben ihr: durch Pferdehuf-schlagAugen und Stirn zerfetzt. Der bohrte zwei Zehen seines schmutzigen linken Fußesins Innere ihres kleinen weißen Ohrs.Sie aber lag und schlief wie eine Braut:am Saume ihres Glücks der ersten Liebe und wie vorm Aufbruch vieler Himmel-fahrtendes jungen warmen Blutes.

Bis man ihrdas Messer in die weiße Kehle senkteund einen Purpurschurz aus totem Blut ihr um die Hüften warf. (Benn 1986–2003, 12)

Negerbraut ist ein eindrucksvolles Gedicht (vgl. Kaiser 1991, 353–356). Beim ersten Hören oder Lesen klingt es wie eine ‚wilde‘

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Dass man aus „totem Blut“ ihr „einen Purpurschurz“ „um die Hüften“ wirft, ist zunächst einmal zynisch, d. h. als Ausdruck des objektiven Zynismus des Geschehens zu ver-stehen: die Farbe der Kaiser und Könige für die ‚schöne Leiche‘. Was als Schönheitspreis und Brautlied begann, endet im Triumph der Zerstückelung. Man mag dahinter aber auch das Moment der Scham, den Wunsch, den so gewaltsam erzwungenen ‚Aufbruch‘ zuzude-cken, mithören.

Dieses Gedicht zitiert also primitivistische Phantasien mit der Absicht, den Ort kenntlich zu machen, an dem imaginiert wird, und die Gewalttätigkeit dieser Konstruktionen zum Vorschein zu bringen. Dabei wird die Subjekt-position in aufschlussreicher Weise verschoben, zwischen dem „Nigger“ und der „Sonne“ beziehungsweise dem männlichen weißen Bewusstsein, aber auch zwischen diesem und der Frau, die nicht nur zitiertes Bild weib- licher Unschuld bleibt, sondern deren Darstel-lung dieses Bild zugleich paradox zerschreibt: Einerseits soll sie „noch unentstellt von Las-ter und Geburt“, also eine körperlose ‚weiße Frau‘ sein. Andererseits wird von den „Him-melfahrten“ nicht der Seele, sondern des „jun-gen warmen Blutes“ gesprochen, die zudem als ihre eigenen Träume vorgeführt werden. Entgegen der zunächst vorgeführten Abwer-tung und Spaltung wird sie so durchaus zu der im Titel genannten „Negerbraut“. Auch da rauf mag der „Purpurschurz“ verweisen.

Es geht, die Trope der Sonne hat es bereits anklingen lassen, aber nicht nur um Sexualität. Der Schnitt des Sekteurs dient der Untersu-chung der Leiche. Vorgeführt wird also, dass der ‚männliche europäische Blick‘ nicht nur die sexuellen Beziehungen, sondern auch die Konzepte von Wahrheit und Erkenntnis regelt. Dafür war die Anatomie, die Leichenöffnung, schon immer das geradezu emblematische Bild. Benn inszeniert es jedoch so, dass Erkenntnis-drang und Zerstörung, Begehren und Töten ununterscheidbar werden. Dahinter steht, um

nerie als sexuelle deutet – und das ist die Figur des Mediziners im Gedicht.

Denn in der Textwirklichkeit befinden wir uns, der Bandtitel Morgue sagt es bereits, im Leichenschauhaus. Bei allen Gedichten dieses Bandes (beziehungsweise des Zyklus, der dem Band seinen Namen gegeben hat) handelt es sich um Rollenlyrik aus der Sicht eines sezie-renden Mediziners.3 Der tote „Nigger“ und die tote Frau liegen nebeneinander auf dem Sektionstisch, aber umgekehrt nebeneinander, so dass sein zerfetzter Kopf neben ihren Füßen liegt und sich seine Zehen in ihr Ohr bohren können. Diese Zufallskonstellation löst beim Mediziner wilde, Gewalt und Sexualität ver-mischende Phantasien aus:

Bis man ihrdas Messer in die weiße Kehle senkteund einen Purpurschurz aus totem Blutihr um die Hüften warf.

Das ist das (vorläufige) Ende der (Sexual-)Phantasien: der Schnitt des Sekteurs, deutlich markiert durch den Zeilenschnitt. Dieser letzte Satz des Gedichts bringt die Gewalt tätigkeit der primitivistischen Imagination vollständig zum Vorschein, indem er sie in eine Hand-lung umsetzt. Nicht der „Nigger“ war gewalt-tätig, sondern der imaginierende Sprecher des Gedichtes, und seine Sexualisierung bereitete nur vor, was der Sekteur vornimmt: den vam-pirhaften Stich in die Kehle und den Schnitt um die Hüften.4 Aus dem „Aufbruch“ des „jungen warmen Blutes“ wird ein ganz ande-rer (aber die Phantasie nur wörtlich nehmen-der) ‚Aufbruch‘: ein ‚Aufbrechen‘ des Körpers, das nur „totes Blut“ hinterlässt.

3 Benn berichtet, der Morgue-Zyklus sei in Verbin-dung mit einem Sektionskurs entstanden (vgl. Benn 1986–2003, I, 353).4 Benn verfremdet hier einen ‚lehrbuchmäßigen‘ Schnitt, der vom Hals bis zum Schambein durchgeführt wird (vgl. Hahn 2011, 115).

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logisch verfahrende Ethnologe Lucien Lévy-Bruhl.

Ganz im Sinne des Primitivismus schreibt Benn in seinem Essay Der Aufbau der Persön-lichkeit. Grundriß einer Geologie des Ich (1930): „Wir tragen die fremden Völker in unserer Seele“ (Benn 1986–2003, III, 271). Damit war gemeint, dass menschheitsgeschichtlich frühe Stadien im Körper gespeichert seien. So hat Benn unterschieden zwischen der entwick-lungsgeschichtlich jüngeren Hirnrinde und dem älteren Stammhirn, und er hat die junge Hirnrinde als Sitz der Intellektualität, das ältere Stammhirn aber als Sitz archaischer Erinne-rungen angesehen. Hier sei eine schöpferische Substanz verfügbar, die dem Relativismus und Rationalismus der Moderne entzogen sei und ‚ganzheitliche‘ Erfahrungen ermögliche. Benn verband diese biologisierende Sicht mit Lévy-Bruhls soziologisch-ethnologischer These von der ganz anderen Denkweise der sogenannten Primitiven, die ihnen die ‚mystische Partizipa-tion‘ ermög liche, ein Denken jenseits der Dif-ferenzierungen westlicher Logik.

So lautet denn auch das Zitat aus Der Auf-bau der Persönlichkeit im Zusammenhang: „Wir tragen die frühen Völker in unserer Seele, und wenn die späte Ratio sich lockert, in Traum und Rausch, steigen sie empor mit ihren Riten, ihrer prälogischen Geistesart und ver-geben eine Stunde der mystischen Partizipa-tion“ (Benn 1986–2003, III, 271). Gemeint ist mit ‚mystischer Partizipation‘ bei Benn die Teilhabe an einem absoluten Sein.

Einen privilegierten Zugang dazu eröffne die Kunst, etwa die monumentalen Stein-skulpturen, die Moai, auf den Osterinseln. In seinem Gedicht Osterinsel spricht Benn von „Riesenformungszwang“: Was aus diesem primitiven Schöpfungsgrund geschaffen sei, das sei unvergänglich und wahr, „aus wahrem Konstruktiv“ (Benn 1986–2003, I, 67).

Benn vollzieht damit eine Gegenbewegung zu dem, was in Gedichten wie Negerbraut geleistet wurde. An die Stelle der Dekon-

Benn zu zitieren, „das große fressende herrsch-süchtige Tier: der erkennende Mensch“ (Benn 1986–2003, VI.1, 14). Diese Rationalitätsform bildet sich, indem sie Anderes, sexuell und kulturell Anderes, die Frau und den ‚anderen‘ Mann, als ihr ‚konstitutives Außen‘ erschafft. Diese Gegensätze werden im vorliegenden Gedicht nicht einfach umgewertet, auch das wäre Primitivismus, sondern die Gegensatz-bildung als solche wird aufgelöst. Die primi-tivistischen Dichotomien werden dezentriert, und das dürfte der Kern der Morgue-Gedichte sein, ähnlich wie bei Picasso (und Kafka), und in beiden Fällen kann man von einer Ästhetik des Hässlichen als Strategie des Sinnentzuges sprechen. Was ‚Nigger‘ oder ‚Frauen‘ eigent-lich sind, das wird nicht gesagt. Es ist nicht das Thema des Gedichts. Es dezentriert oder dekonstruiert stattdessen den Ort der Wissens-produktion. In diesem Sinne ist Negerbraut ein herausragendes Beispiel für den Angriff des kritisch-selbstreflexiven Primitivismus auf zentrale und für problematisch erkannte Über-zeugungen und Positionen der europäischen Moderne. ‚Herausragend‘ deshalb, und das ist die Pointe, weil hier auch der Primitivismus als Bestandteil, als kompensatorisches Gegenstück, als verkehrendes Spiegelbild der europäischen Moderne dekonstruiert wird.

Sparta – Primitivismus und Totalitarismus

Bei diesem selbstreflexiven Primitivismus blieb es jedoch nicht. In den 1920er Jahren rezipierte Benn eine Fülle anthropologischer, ethnologischer, psychiatrischer und medizi-nischer Arbeiten. Das ging einher mit einem zunehmenden Einschwenken auf eine pri-mitivistische Linie zu Lasten der kritischen, dekonstruktiven Dimension seines Werkes. Eine Schlüsselrolle spielten dabei spekulative Paläoanthropologen wie Eugen Georg und Edgar Dacqué sowie der philosophisch-sozio-

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dienste um die Aufwertung der Kunst der Eis-zeit erworben. Allerdings um den Preis einer rassistischen Deutung. Träger dieser Kunst sei der rassisch höherwertige Aurignac-Mensch gewesen, ein Proto-Europäer, dem Neanderta-ler überlegen, den er deshalb beiseite gedrängt habe.8

Benn hat Kühns Arbeit gekannt und sein Primitivismus-Konzept auch mit dessen Hilfe entwickelt. 1930 schreibt er in seinem Aufsatz Saison unter Bezugnahme auf die Höhlen-malerei in Altamira beziehungsweise auf eine Detail-Reproduktion (Abb. 2) und enthusias-tische Beschreibung bei Kühn: „o Aurignac, der 4 Eiszeiten überwand … in dem Schwung

struktion tritt ‚das wahre Konstruktiv‘, die frühere Strategie des Sinnentzuges wird ersetzt durch eine Metaphysik der Kunst und des Primitiven.5

Eine Verknüpfung von Kunstproduktion und primitivistischer Anthropologie fand Benn vorgebildet bei dem Prähistoriker Her-bert Kühn, dem Begründer der Kölner Ur- und Frühgeschichte.6 Kühn war von Haus aus Kunsthistoriker, seine Domäne war die Kunst der ‚Primitiven‘, genauer gesagt: die Kunst der Eiszeit. Kühn, der ein Millionenpubli-kum erreicht haben soll,7 hat sich große Ver-

5 Benn hat die Wiederholung solcher vor-, ur- und frühgeschichtlichen Einheitserfahrungen freilich nur in der Kunst (und vielleicht noch in Drogenexperimen-ten) für möglich gehalten. Für die exotistische Verklä-rung geographisch fernliegender Orte hatte er deshalb nur Spott und Ironie übrig; sie interessierten ihn nur als Stätten unwiderruflich vergangener Kulte, deren Essenz in der Kunst ihre Fortsetzung finde. 1933 / 34, im Zuge der nationalsozialistischen Machtergreifung verschwindet diese Distanz zwischen Kunst und außer-ästhetischer Wirklichkeit vorübergehend.6 Kühn habilitierte sich 1925 in Köln und wurde 1929 zum apl. Professor ernannt; auf seine Initiative wurde 1930 das Institut für Vorgeschichte als Abteilung des Historischen Seminars eingerichtet (vgl. Schäfer 2006).

7 Im einschlägigen Wikipedia-Artikel ist zu lesen: „Seine zahlreichen Publikationen haben ein Millionen-publikum gefunden, und dies nicht nur in Deutschland. Viele seiner grundlegenden Publikationen erreich-ten Neu- und Mehrauflagen und wurden in mehrere Fremdsprachen übersetzt.“ (http: // de.wikipedia.org /wiki / Herbert_Kühn [27.2.2012]).8 Vgl. Kühn 1922, 34–35. Die Ableitung kogniti-ver und künstlerischer Fähigkeiten aus der Anatomie, besonders der Schädelform, und eine primitivistische Deutung der Evolution, der zufolge sich jeweils alles vom Einfachen zum Komplexen entwickelt, bildet hier die Brücke zur Rassenlehre.

Abb. 2: Altamira: Gestürzter Bison (nach Kühn 1922, o. S. [53]).

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Mit dieser Volte stand Benn nicht alleine da. Dorische Welt ist Teil eines alten, in Deutsch-land seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert intensiver geführten Sparta-Diskurses über das Verhältnis von individueller Freiheit und all-gemeinem Gesetz. Jetzt, 1933, wurde nicht nur bei Benn im Zeichen Spartas der Primitivis-mus zur Räson eines totalitären Staates.9

Die populärste Inszenierung dieser Ideo-logie dürfte Leni Riefenstahls Film über die Berliner Olympiade von 1936 gewesen sein. Riefenstahl lässt im Prolog ihres Films Olym-pia – Fest der Völker das nationalsozialistische Deutschland bei den Dorern beginnen. Die Kamera fährt vorbei an dorischen Tempeln, umkreist Statuen und blickt schließlich auf den Diskuswerfer des Myron, der sich in die lebende Gestalt des Zehnkämpfers Erwin Huber auflöst (Abb. 3). Modellathleten und nackte Tempeltänzerinnen füllen die Szene, in einer mystischen Atmosphäre wird das olym-pische Feuer auf dem Stumpf einer dorischen Säule entzündet. Der anschließende Fackellauf endet im Berliner Olympia-Stadion von 1936, genauer gesagt im leinwandfüllenden Gesicht Adolf Hitlers.

Riefenstahl erzählt – wie Benn in Dorische Welt – „eine kurze, idealisierte Entwicklungs-geschichte des ‚Dritten Reiches‘. Sie lautet, in Stichworte gefaßt: Antike – arische Körper – Deutschland – Nationalsozialismus – Hitler“ (Kinkel 2002, 152; vgl. Wildmann 1998, 27–34).

Die von Benn und Riefenstahl beschwo-rene Einheit von Führer und Volk sowie von Geist und Körper ist eine Gemeinschaft unter totalitärem Vorzeichen. Benn glaubt in diesen Jahren, und eben dies ist sein Primitivismus,

eines gestürzten Büffels lebte 50 000 Jahre dein großes Troglodytenherz“ (Benn 1986–2003, III, 298). Diese Apotheose des Aurignac-Menschen wird abgesetzt gegen eine pole-misch entwertete Moderne: „O Aufklärung, o Fortschritt, o Induktion“, heute „steppt der Ne groide … und die Jazzband einer Neander-talkapelle dröhnt aus Afrika Himmel und Erde und … Zeugung und Verfall über deine Pin-sel“ (ebd.; vgl. Hahn 2011, 586).

Hohn und Spott also über die Moderne, ein spätzeitliches Verfallsprodukt, Zeichen des Niedergangs der ‚weißen Rasse‘, wie Benn zu sagen pflegt. Anders als noch in Gedich-ten wie Osterinsel erscheinen die außereuro-päischen Primitiven hier jedoch nicht mehr als Heilsträger, sondern als Nachfahren der Neandertaler, mithin als nicht-menschliche Wesen. Im Vorfeld der nationalsozialistischen Macht ergreifung richtet sich die Heilssuche, anders als in den 1920er Jahren, nicht mehr auf außereuropäische Primitive. Das Heil kommt vielmehr, wenn es kommt, aus den Tiefen eines primitiven europäiden Körpers, aus der ‚weißen Rasse‘.

Benns Blick richtet sich deshalb auf die eigenen, die europäischen Primitiven. Er ist dabei nicht der Gefahr entgangen, Fremdes und Eigenes, Archaisches und Gegenwärtiges vollends zu identifizieren. 1933 / 34 engagierte Benn sich in Wort und Tat intensiv für den NS-Staat. Er betrieb in Rundfunkreden Pro-paganda für den neuen Staat und gegen die Emigranten und beteiligte sich an Überlegun-gen zu Rassenlehre und Eugenik sowie an der Gleichschaltung der Preußischen Akademie der Künste. Diese Parteinahme entsprang vor allem seinen primitivistischen Überzeugun-gen. Das macht der Essay Dorische Welt (1934) deutlich, in dem der NS-Staat als Wiederver-körperung Spartas gefeiert wird, eines totalen Staates, dem die Kunst sich zwar nicht unter-ordnet, dem sie aber zuarbeitet, und zwar nicht zuletzt bei der Züchtung einer moder-nen Kriegerrasse.

9 Zur Sparta-Rezeption und Forschung vgl. Christ 1986. Ein Spartabild, das der Propaganda des National-sozialismus diente, indem die Dorer als nordische Rasse und als Abkömmlinge des nordischen Herrenvolkes instrumentalisiert wurden, entwickelte maßgeblich Berve 1937.

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ihres Blickregimes war, das wird jetzt umge-münzt in eine Reinigung von allen Inhalten zugunsten einer totalen Mobilmachung der Körper für beliebige Zwecke, die allein ‚die Macht‘ vorgibt.

Zur Ironie der Geschichte gehört, dass Benn kurz darauf wegen seiner frühen Gedichte selbst angegriffen wurde, und zwar in der SS-Zeitschrift Das schwarze Korps und schließ-lich sogar in der Ausstellung Entartete Kunst. Seine expressionistischen Anfänge galten längst als ‚Negerkunst‘. Pointiert gesagt: Der ‚Neger‘, der sich weiß waschen wollte, bekam Schwierigkeiten. Sie wurden durch persön-liche Intervention Himmlers gelöst (vgl. Dyck 2006, 223–236). Seine Parteinahme für den Nationalsozialismus hat Benn aber aus einem anderen Grund beendet: Weil er den Eindruck hatte, dass der NS-Primitivismus nicht das Niveau des eigenen Primitivismus hatte, und weil auch für ihn der verbrecherische Charak-ter dieses Regimes unübersehbar wurde. Aber da hatte der ‚Mohr‘ seine Schuldigkeit bereits getan.

Als Heinrich Böll 1950 in seiner schnell zum Schul-Klassiker avancierenden Erzäh-lung Wanderer kommst Du nach Spa… mit dem Sparta-Mythos abrechnet, da werden diese Dimensionen des Primitivismus – Tota-litarismus als Dominanz der Form und totale Mobilmachung des Körpers bis zu seiner Vernichtung – ebenso mit reflektiert wie die Bezüge zum deutschen Kolonialimperialismus und zu der bis zu Schiller zurückreichenden Diskussion um die beste Staatsverfassung.

Kunst, Macht und Anthropologie seien ein und demselben „Gesetz der Form“ (Benn 1986–2003, III, 403) verpflichtet. In dieser Sicht ist die nationalsozialistische Macht ergreifung keine politische, sondern eine anthropologi-sche Wende.

Die Abkehr von der Welt der Morgue-Gedichte könnte entschiedener kaum sein.10 Pathetisch heißt es in Dorische Welt: „… der Staat, die Macht reinigt das Individuum, filtert seine Reizbarkeit, macht es kubisch, schafft ihm Fläche, macht es kunstfähig“ (Benn 1986–2003, IV, 150). Der totalitären Staats- und Menschenkunst wird jetzt der Kubismus zugeordnet, der sich doch, wie Benn wusste, an der ‚Negerplastik‘ gebildet hatte. Was einmal Einspruch gegen den Zugriff der Macht und

Abb. 3: Der Zehnkämpfer Erwin Huber als antiker Diskuswerfer im Prolog zu Riefenstahls Olympia (nach Trimborn 2002, o. S.).

10 Neben dem kritisch-ätzenden Geist der Morgue-Gedichte gab es bei Benn freilich von Anfang an eine exotistisch-regressive Tendenz, die in Essays wie Dorische Welt die Oberhand gewinnt. Mit dieser Ten-denz (nicht aber mit ihrem Umschlagen in Faschis-mus) bewegt sich Benn innerhalb eines Paradigmas, dem auch andere prominente Autoren der Klassischen Moderne wie Döblin, Thomas Mann, Freud u. a. folg-ten (vgl. Riedel 2008).

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Neuorientierungen im Zeichen von ‚geteilter Geschichte‘ und ‚Globalgeschichte‘: Anliegen all dieser Debatten war es, die Grenzen der Erkenntnis im erkennenden Subjekt und in seinen Verfahrensweisen aufzuzeigen. Mit der Literatur und der Literaturwissenschaft haben diese Debatten enge Berührungspunkte dort, wo es um die Problematisierung sprachlicher Darstellungsformen ging, vor allem um das monoperspektivische Erzählen der Wissen-schaft, und wo man sich um die Öffnung für neue Fragestellungen und Darstellungsformen dialogischer und offener Art bemühte.

Konkret rückverfolgen bis in die Frühe Moderne lassen sich solche Diskussionslinien in mindestens drei Bereichen. Das erste Feld ist die Ethnologie und Anthropologie: Das von Malinowski während des Ersten Welt-kriegs entwickelte Verfahren der teilnehmen-den Beobachtung war ein für die Ethnologie folgenreicher Versuch, dem Primitivismus und seinen Spekulationen durch Empirie und Rol-lentausch zu begegnen. Dieses Rollenspiel hat seine eigene Dialektik: Der Anthropologe, so Malinowski in seiner Einleitung zu Lips The Savage Hits Back, „has to find the human being in the savage; he has to discover the primi-tive in the highly sophisticated Westerner of to-day“ (Lips 1937 / 1966, VII). Der Rollen-tausch soll der Selbstdeutung der Befragten Raum geben, aber auch dem Fremdartigen und Unverständlichen sowie dem Individu-ellen und Zufälligen, und er kann darüber insgesamt zur Infragestellung des Fragenden führen. Inwieweit es Malinowski gelungen ist, dem Primitivismus durch Perspektivenwech-sel, Gegenwartsbezug und Funktionalismus zu entkommen, ist strittig, unstrittig aber fand er den „Mut, dem Anderen als Gleichem gegen-überzutreten“ (Kramer 1979, 566).

Ein weiterer Diskussionsstrang lässt sich zurückverfolgen für den Bereich des Muse-ums, also für die Frage: Wie stellt man Objekte aus außereuropäischen Kulturen aus? Für die kritische Reflexion ethnographisch-anthropo-

Kulturwissenschaftliche Debatten

Der Primitivismus war, wie gezeigt, eine für das Feld ‚Verstehen fremder Kulturen‘ ebenso problematische wie wirkungsmächtige Strö-mung, die außerdem zeitweise auch das poli-tische Feld bestimmt hat. Innerhalb der pri-mitivistischen Strömung gab es jedoch von Anfang an Künstler, die in einer selbstrefle-xiven Bewegung den Primitivismus von den angeblich ‚Wilden‘ zurück nach Europa verla-gert und ihn als rein europäische Angelegen-heit dekuvriert haben. An diesen Befund soll jetzt noch einmal angeknüpft und in einem letzten Schritt – im Blick auf das kulturwis-senschaftliche Rahmenthema des vorliegen-den Bandes – nach den wissenschaftlichen Dis-kussionen gefragt werden. Das geht allerdings nur in einem großen Sprung über viele Zeiten und Grenzen hinweg.

Fragt man, inwiefern dieser selbstreflexive erkenntniskritische Impuls einzelner Vertreter der Klassischen Moderne in kulturwissenschaft-lichen Debatten aufgegriffen und produktiv wurde, so ließe sich antworten: In sehr vielen, vor allem in den großen kulturwissenschaft-lichen Debatten der letzten Jahrzehnte hat dieser Impuls fortgewirkt, und nicht sel-ten lässt sich der Ursprung bis in die Frühe Moderne zurückverfolgen. Stichworte müssen hier genügen:

In erster Linie sind hier die kulturwissen-schaftlichen Debatten im Umfeld der post-kolonialen Studien gemeint: der Poststruk-turalismus mit seiner Idee der unendlichen Verschiebung der Schließung von Systemen, die Postmoderne mit ihrem ‚Ende der großen Erzählungen‘ (eine solche war der Primiti-vismus ganz gewiss), die Dekonstruktion mit ihrem Programm, die zugrundeliegende Apo-rie eines jeden Systems aufzuzeigen, Spivaks Studien zur diskursiven Gewalt des Sprechens und Schweigens, Saids Studie zum Orientalis-mus als machtinteressiertem Spiegelungsphä-nomen, und die geschichtswissenschaftlichen

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präsentierte grundlegende Neuordnung der Sammlung folgt der Idee einer offenen Mehr-perspektivität, ein Konzept, das sich zunächst durchaus zu den hier skizzierten Positionen der Klassischen Moderne in Beziehung setzen lässt. Die Objekte werden als kulturthematisch universalisierend, kulturspezifisch lokalisierend sowie als ästhetische Objekte (aber nicht im Sinne eines europäischen L’art-pour-l’art) aus-gestellt, außerdem erscheinen – im kritischen selbstreflexiven Zitat – die kolonialistische und die stereotype Perspektive. Ob hier jedoch auch postkoloniale Mehrperspektivität erreicht wird, sei dahingestellt: Es fehlt die außereuro-päische Perspektive auf die Europäer, obwohl dies doch bereits der Kölner Ethnologe Julius Lips gefordert hatte, der ab 1930 der erste Inhaber des neu eingerichteten Lehrstuhls für Völkerkunde sowie 1928–1933 Direktor des Museums war und 1937 The Savage Hits Back veröffentlichte, die erste Zusammenstellung und Kommentierung außereuropäischer Dar-stellungen von Europäern.

Für einen dritten Bereich, die ästheti-sche Fremderfahrung wäre für die Theorie-geschichte auf Victor Segalen zu verweisen. Er hat in seiner zwischen 1904 und 1919 geschriebenen Ästhetik des Diversen so deutlich wie kaum ein zweiter die Anerkennung des Anderen in den Mittelpunkt gestellt und dies mit einem relationalen Konzept von Differen-zen verbunden. Das ‚Diverse‘, die Erfahrung von Differenz, war für ihn weder ein Manko noch der notwendige Ausgangspunkt für Assi-milation, Integration oder Hybridisierung. Die Erfahrung, „daß etwas nicht das eigene Ich ist, und die Fähigkeit …, anders aufzufassen“ (Segalen 1994, 41), waren für ihn etwas, das „beflügelt, bereichert und bestärkt“ (ebd. 72). Auch hier wird, wie bei den anderen Genann-ten, die Fremdheit ins eigene Ich verschoben, die Differenz zwischen fremd / vertraut ist nicht mehr deckungsgleich mit der Grenze zwischen wir /sie. Segalens Ausführungen beeindrucken durch die Einbeziehung dieser

logischer Repräsentationen im Museum wird – zu Recht – häufig auf zwei Künstler hin-gewiesen, die aus ihren erkenntniskritischen Impulsen neue Präsentationsformen entwi-ckelt haben: Zum einen auf den Schriftsteller Carl Einstein, der als Verfasser zweier Bücher über schwarzafrikanische Plastik und Ausstel-lungskritiker den gegen Primitivismus, Ras-sismus und Kolonialismus gerichteten Versuch gemacht hat, die sogenannte ‚Negerplastik‘ durch ihre dezidiert ästhetische Würdigung sowie durch die Berücksichtigung ethnogra-phischer Kontexte dem eurozentrischen Blick zu entziehen.11 Zum anderen wird verwiesen auf die Berliner Dadaistin Hannah Höch. Ihre in den 1920er Jahren entstandenen Fotomon-tagen mit dem Titel Aus einem ethnographischen Museum gelten als „Institutionskritik avant la lettre“ (Kravagna 2008; vgl. Schmidt-Lin-senhoff 2010, 196–216). Bereits der Titel Aus einem ethnographischen Museum zeigt an, dass das Primitive seinen Ursprungsort in der dis-kursiven Ordnung des Museums beziehungs-weise der ethnographischen Praxis hat, nicht in einem kulturellen Anderswo.

Ob dieser kritische Blick auch im Blick auf die heutige Ausstellungspraxis ethnologischer Museen erhellend sein kann, wäre am Kölner Rautenstrauch-Joest-Museum Kulturen der Welt zu erproben. Die seit der Neueröffnung 2010

11 Die beiden Strategien gehören, was häufig über-sehen wird, zusammen: Die Ästhetisierung begründet Einstein in Negerplastik (1915) damit, dass ihm (und anderen) das nötige Kontextwissen fehle: „In jedem Falle, weder die geschichtlichen noch geographischen Kenntnisse erlauben vorläufig auch nicht die beschei-denste Kunstbestimmung.“ (Einstein 1980, 246, Her-vorhebung im Original). Eine Neuorientierung setzt aber bereits mit Afrikanische Plastik (1921) ein; in diesem Sinne übte Einstein 1926 in zwei Besprechungen in der Zeitschrift Querschnitt auch Kritik an der neu geordne-ten Sammlung des Berliner Museums für Völkerkunde. Die strikt ästhetische Behandlung der Objekte ist aber sowohl eine Befreiung aus kolonialer Verachtung wie eine Vereinnahmung für eigene beziehungsweise euro-päische ästhetische Konzepte.

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Rechtfertigung des Kolonialismus, eben auch Bemerkungen wie die, die Gefangennahme der ‚Eingeborenen‘ sei „radikal und roh“ (Nolde 1965, 57), das „Kolonisieren … eine brutale Angelegenheit“ (ebd.) und die Über-legung: „Wenn, von den farbigen Eingebore-nen aus gesehen, eine Kolonialgeschichte ein-mal geschrieben wird, dann dürfen wir weißen Europäer uns verschämt in Höhlen verkrie-chen“ (ebd. 58). Die spannungsgeladene Situ-ation in der Kolonie, in der sich bewaffneter Widerstand regt, deutet Nolde keineswegs nur als Ausdruck ‚primitiver Wildheit‘, sondern auch als Reaktion auf koloniale Gewalt (vgl. ebd. 59; 68; 94; 96–98), ähnlich die Tatsache, dass auf einer der Inseln „seit 15 Jahren kein

existentiellen Dimension und, unter dem Ein-druck des Ersten Weltkriegs, eines politischen Horizonts, der über die Kritik des Kolonia-lismus und der kulturindustriellen Vereinnah-mung der Exotik hinausgeht.

Zu den jüngeren Debatten der letzten Jahr-zehnte wäre jedoch kritisch anzumerken, dass gelegentlich das Kind mit dem Bade ausge-schüttet worden ist und der Eindruck ent-stand, es gebe nur symbolische Realitäten und zwischen Erkennen und Verkennen lasse sich gar nicht mehr unterscheiden. Und womög-lich hat die Anlage dieses Beitrags diesen Ver-dacht bekräftigt, denn Picassos, Benns und Kafkas Absicht war es nicht, Fremde besser zu verstehen – sie haben, in ihrem Bemühen, sich anders zu verstehen, nur Voraussetzungen dafür geschaffen.

Im Titel des vorliegenden Beitrags – Ver-kehrte Welten – schwingt (wie schon bei Kra-mer) aber eben auch die Wortbedeutung mit, nach der ‚verkehrt‘ so viel bedeutet wie ‚falsch‘ oder ‚unangemessen‘. Damit verbindet sich die Erwartung, dass durch das Zerbrechen des Spiegels, der immer nur das eigene Ich zeigt, bislang Fremdes sichtbar wird. Es ist fraglich, ob und inwieweit das gelingen kann.

Dafür sei abschließend ein Beispiel gewählt, auf das sich auch Fritz Kramer in seiner Studie bezieht. Es stammt aus Emil Noldes Reise in die Kolonie Deutsch-Neuguinea, die der Maler 1913 / 14 als Mitglied der Medizinisch-demo-graphischen Deutsch-Neuguinea-Expedition des Reichskolonialamtes unternahm (Abb. 4).

In der postkolonialen Kunstgeschichts-schreibung sind Noldes Südsee-Bilder als pri-mitivistische Typenporträts gedeutet worden, mit denen der Maler seiner Auffassung vom notwendigen Untergang dieser (wilden, aber glücklichen) „Urmenschen“ (Nolde 1965, 88) Ausdruck verliehen habe. Für diese Deutung – Nolde als Primitivist – gibt es gute Gründe, sie trifft die programmatische Seite dieser Bil-der.12 Aber noch in Noldes 1936 (!) geschrie-benen Erinnerungen finden sich, neben der

Abb. 4: Emil Nolde: Eingeborener / Südsee-Insulaner 1914 (nach Nolde 1965, 78).

12 Den primitivistischen Charakter von Noldes Süd-see-Reise und -Bildproduktion haben zuletzt D. Daum (2004) und C. Otterbeck (2007, 207–270) hervorgeho-ben.

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Primitivismus in Literatur und Kunst der Klassischen Moderne 23

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Kind mehr geboren worden“ sei: „Die Einge-borenen wollten aussterben. Lieber dies als für die Fremden arbeiten“ (ebd. 99). Es ist des-halb durchaus plausibel anzunehmen, dass es Nolde, gewissermaßen gegen den Strich des ethnographischen Typenporträts, in Bildern wie Eingeborener (1914), heute auch Südsee-Insulaner betitelt, gelungen ist, im Gesichts-ausdruck des Porträtierten etwas einzufangen von diesem Blick der Kolonisierten, mithin eine indigene Sicht der Dinge. Das Bild zeigt, so Kramer, einen Melanesier, dessen Ausdruck voller „Mißtrauen, gespannter Wachsamkeit, wachsendem Stolz, Haß und … Trauer“ (Kra-mer 1977, 105) ist. „Der gespannte Blick, der den Betrachter der Aquarelle trifft, gilt dem Weißen“ (ebd. 106).13

Vor diesem Hintergrund wird man ein Fazit ziehen und urteilen dürfen, dass der Primitivis-mus eine vielgestaltige, sehr ambivalente und politisch brisante Strömung gewesen ist, in deren ästhetischer Praxis und Theorie jedoch auch Dinge gedacht und realisiert wurden, die für heutige Diskussionen über den Umgang mit kultureller Alterität und ihre Interpreta-tion als ‚Fremdheit‘ bahnbrechend waren und vielleicht immer noch plausible Bezugspunkte bleiben können, über deren Leistung und Grenzen man aber immer auch im Blick auf den Einzelfall und den historischen Kontext urteilen kann und muss.

Andererseits gilt: Primitivismus dürfte eine Möglichkeit sein, die allen Gesellschaften zu allen Zeiten zur Verfügung stand und steht. Die konkrete Gestalt, die er in Wissenschaft, Poli-tik und Künsten in der Klassischen Moderne

13 So plausibel diese Deutung Kramers ist, so unplau-sibel beziehungsweise spekulativ ist seine Begründung. Sie beruht auf der Annahme einer vollständigen Spal-tung zwischen ästhetischer und außerästhetischer Pra-xis: „In dieser Konstellation konnte Nolde nicht das mindeste verbalisierte Verständnis aufbringen“ (Kra-mer 1977, 105). Wie gezeigt, ist das Gegenteil der Fall. Inwieweit es sich bei Noldes Aquarellen in jedem Ein-

zelfall um ethnographische Typenporträts handelt oder nicht doch um Bilder mit physiognomischer Eindeu-tigkeit, wäre vielleicht auch noch einmal zu überden-ken. Nolde berichtet, dass der ehemalige Gouverneur von Deutsch-Neuguinea, Hahl, angesichts der Aqua-relle ausgerufen habe: „Diesen Mann kenne ich – der lebt auf jener Insel – dieser gehört zu jenem Stamm – sie sind ja großartig“ (Nolde 1965, 146).

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Fremdheit, Identität und Ethnisierung: Instrumentalisierung des Anderen und ihre

Relevanz für Archäologie und Ethnologie

Christoph Antweiler

lektiven an. Hier erläutere ich Ethnizität als Wir-Bewusstsein und Ethnozentrismus als eine wertende auf die Eigengruppe konzen-trierte Perspektive und Fremdes kon trastiv betonende Haltung. Darauf baut (3) eine Sys-tematisierung der Formen des Umgangs mit Fremdheit in sogenannten interkulturellen Beziehungen auf. Ich schließe mit einem Plä-doyer für einen moderaten Kulturbegriff, der Grenzen und Fremdheit ernstnimmt, aber auch Gemeinsamkeiten zwischen Menschen und zwischen Kulturen sieht.

Fremde Kulturen und Othering in Wissenschaftskulturen

Die Ethnologie ist ein Fach, das sich selbst oft als zuständig für kulturelle Besonderheiten und ‚andere‘ Kulturen sieht. Ethnologie wird als „Wissenschaft vom kulturell Fremden“ aufge-fasst (Kohl 2012, Titel). Dabei wird heutzutage aber durchweg die prinzipielle Relationalität des Fremden betont: Fremdes steht immer in einer Beziehung zum Eigenen. In dieser Fas-sung (‚kulturell Fremdes‘) besteht das Eigene in der eigenen Kultur. In einem Sammelband mit Beiträgen aus vielen Disziplinen liegt es nahe, erst einmal nach Fremdheit in den Wis-senschaften selbst zu fragen. Im Alltag der

Welche Bedeutung kommt der Fremdheit im sozialen Umgang zu? Welchen Sinn hat Ver-fremdung? Dieser Beitrag soll erläutern, wie Fremdheit als Mittel in der Interaktion von Kollektiven fungiert. Ich möchte zeigen, dass individuelle Kognition und Emotion mit der Sozialität verknüpft sind. Ich arbeite heraus, dass das Fremde mit Andersartigkeit zu tun hat, aber nicht einfach mit dem Anderen gleichzu-setzen ist. Das Andere und die Anderen sind oft durchaus bekannt oder sogar vertraut. Andere Kulturen werden aber als ‚ganz fremd‘ wahrgenommen oder kontrastverstärkt dar-gestellt – und das hat oft strategische Gründe. Das betrifft auch die Wissenschaften wie die Archäologie und die Ethnologie. Der Beitrag will einer Ontologisierung ‚des Fremden‘ und der immer schon ‚ganz anderen‘ fremden oder archaischen Kulturen konstruktiv begegnen.

Zunächst (1) beziehe ich das Thema auf die Wissenschaften selbst. Ich frage nach der Funk-tion von Fremdheit in den Wissenschaften und vergleiche die Fremdheit im Gegenstandsfeld der Ethnologie und der Archäologie bezie-hungsweise der Ur- und Frühgeschichte. Ich argumentiere dagegen, Archäologie und Eth-nologie über die Andersartigkeit oder Fremd-heit der untersuchten Kulturen zu bestimmen. Daran schließt (2) eine Analyse der Rolle von Fremdheit bei der Beziehung zwischen Kol-

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aber dennoch historische Gegenstände haben: ‚Naturgeschichte‘. Ich habe beide Zugänge in mir selbst als bereichernd erfahren und bekam mehr und mehr den Eindruck, dass diese dichotome Wissenschaftseinteilung obsolet ist.

Worin besteht das Fremde im Gegenstand der Archäologien und der Ethnologie? Hier bestehen Gemeinsamkeiten, aber die Fächer unterscheiden sich diesbezüglich auch deutlich. Die Archäologien befassen sich mit Menschen und Lebensweisen, die es heute nicht mehr gibt und von denen zum Teil keine eigenen Schriftzeugnisse bestehen. Die Datengrund-lage sind in erster Linie Dinge: Bodenfunde wie Reste materieller Kultur, gebaute Struk-turen, seltener organische Hinterlassenschaften (Eggert 2012; Fagan / Durrani 2013). Archäo-logen können die menschlichen Akteure, die hinter diesen Resten und Spuren stehen, nicht beobachten oder befragen. Ihr Den-ken und Fühlen bleibt ihnen fremd im Sinne von unbekannt. Damit ist das zentrale Verfah-ren die Rekonstruktion aufgrund materieller Reste oder Spuren. In zeitlicher Hinsicht ist das Spektrum breit. Archäologie ist diachron angelegt und kann innerhalb der Mensch-heitsgeschichte zeitlich unbegrenzt in die Tiefe gehen. Damit ist Archäologie m. E. vom Gegenstand her eine historische Wissenschaft, auch wenn Datengrundlagen und Methoden teilweise anders als in den Geschichtswissen-schaften sind (vgl. Bernbeck 1997, 130–270; Eggert 2006).

Die Ethnologie befasst sich primär mit der Lebensweise, ‚Kultur‘, im Sinne der Daseins-gestaltung (Rudolph 1973; Rudolph / Tschohl 1977). Diese Daseinsgestaltung wird unter-sucht in menschlichen Gruppen (zu Kollek-tiven Hansen 2009) der Gegenwart. Kultur umfasst dabei psychische, soziale Phänomene wie auch Artefakte („materielle Kultur“, Hahn 2014). Grundlage sind sozialwissen-schaftliche Verfahren, wie Beobachtung und Befragung. Methodisch im Mittelpunkt steht der erfahrungsnahe Umgang mit Akteuren in

Forschung und Lehre werden jeweils andere Wissenschaften oft mit Befremden wahrge-nommen, eben als andere Wissenschafts-Kul-turen. Dies führt oft zur Meidung, selbst im sogenannten interdisziplinären Rahmen. Im konkurrenzbetonten Wissenschaftsgeschäft bleibt es oft nicht bei Befremdung oder Igno-ranz. Es kommt zu Lagerbildung und leider oft auch zum strategischen Othering: hier ‚Natur-wissenschaften‘, dort ‚Geisteswissenschaften‘.

Ähnlich der Ethnologie liegen die Ur- und Frühgeschichte und die Archäologien (im Folgenden einfach „Archäologien“) im Niemandsland zwischen den eingefahrenen Lagern. Während die Ethnologie eher zwi-schen Sozial- und Geisteswissenschaften ein-geordnet wird, stehen die Archäologien – wie übrigens auch die Geographie – zwischen historischer Wissenschaft, Kulturwissenschaf-ten und Naturwissenschaften (Renfrew / Bahn 2012; Eggert / Samida 2009). Während die Archäologien in den USA teilweise mit der Ethnologie (Cultural Anthropology) in einem anthropologischen Department untergebracht sind, sind sie in Europa meistens in histo-rischen Instituten oder zusammen mit der Altertumswissenschaft oder der Orientalistik verortet (Hodder 2005, 126; Eggert 2012).

Die Fremdheit zwischen den tradierten Wissenschafts-‚Kulturen‘ der Naturwissen-schaften und der Geistes- beziehungsweise Kulturwissenschaften ist mir aus eigener Erfah-rung vertraut. Es ist vor allem die gegenseitige Befremdung und Skepsis zwischen generali-sierender Theoriesuche und historisierender oder sonst wie relativierender Kontextualisie-rung. Gleichzeitig habe ich diese Fremdheit als Hemmnis durch einen Graben erlebt, der inhaltlich kaum begründbar ist. Ich habe vor meinem Ethnologie-Studium zunächst ein Studium naturwissenschaftlicher Fächer absol-viert. Mit den Disziplinen Geologie, Paläon-tologie und Biologie habe ich aber besondere Naturwissenschaften studiert. Es sind Wis-senschaften, die Verallgemeinerungen suchen,

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als solche fokussiert sein, sondern auf spezifi-sche Wege, das gleiche zu tun beziehungsweise auf unterschiedliche Arten, die gleichen Pro-bleme zu lösen. Eine Bestimmung von Eth-nologie als Untersuchung von Kulturen läuft immer Gefahr, diese als intern einheitlich und abgegrenzt zu versehen und fälschlicherweise anzunehmen, Kultur sei unter den Personen geteilt (shared ). Diese Essentialisierung führt leicht dazu, Menschen nur als ‚Exemplare‘ von Kulturen zu sehen und sie damit zu entperso-nalisieren.

Ethnologie sollte zweitens nur mit Vor-sicht als Wissenschaft des kulturell Fremden schlechthin gesehen werden. Fremdheit ist keine Eigenschaft von Kulturen, sondern ihrer Beziehung. Das Fremde als solches sollte nicht der Gegenstand sein, weil das gegen Verglei-che als Methode und gegen die Einsicht der Einheit der Menschheit spricht. Insbesondere sollte die Ethnologie nicht über das Fremde als das ‚ganz Andere‘ bestimmt werden. Sonst werden erkenntnishinderliche Dichotomien zementiert, die sogar politisch sehr gefährlich werden können, weil sie ungewollt die Ein-heit der Menschheit in Frage stellen. Glori-fizierende, mystifizierende, aber eben auch abwertende ‚Kulturrassismen‘ sind ohnehin verbreitet und sie können ethnologisches Gedankengut oder auch nur ethnologische Termini allzu leicht für sich vereinnahmen.

Die Ethnologie könnte auch über ihre Erkenntnischarakteristika bestimmt werden. Dies wäre eine Fachbestimmung über ihr spezielles epistemisches Problem (Verstehen fremder Kultur) und praktisches Umgangs-problem (fremdkultureller Umgang) sowie ihre allgemeine Haltung als Antwort darauf (Kulturrelativismus). Eine solche epistemische Fachbestimmung ist aber logisch – ich muss einschränken: nach meinem materialistischen Weltbild – nachgeordnet gegenüber der onti-schen, also thematischen Bestimmung über ihren Gegenstand. Beide, Archäologie und Ethnologie, haben es mit anderen und fremden

deren Lebenskontext innerhalb der sogenann-ten „Feldforschung“ (als Übersichten Eriksen 2010; Heidemann 2011; Hahn 2013). Dennoch bleibt das Verstehen des Fremden prinzipiell begrenzt (Saalmann 2005). Mit der Beschrän-kung auf gegenwärtige Kollektive ist die zeit-liche Tiefe der Ethnologie stark begrenzt. His-torisch gehen Ethnologen in der Regel nur bis in die von lebenden Akteuren noch erinnerte jüngere Sozialgeschichte zurück. Thematisch war die klassische Ethnologie bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts auf kleine beziehungsweise einfache Gesellschaften außerhalb Europas spezialisiert, also auf ‚fremde‘ Kulturen. Heute erforschen Ethnologen Gesellschaften aller Typen und Komplexitätsgrade. Und sie erfor-schen auch Teilbereiche der ‚eigenen‘ Kultur. Aufgrund des „mikroskopischen“ Vorgehens sind sie zumeist mit überschaubaren Aus-schnitten dieser Gesellschaften befasst. Wäh-rend die thematisch ähnlich gelagerte Sozio-logie sich auf moderne und zumeist westliche Gesellschaften konzentriert, widmen sich Eth-nologen heute Gesellschaften auf dem ganzen Globus. Das Fach hat damit eine stärker ver-gleichende Perspektive, auch wenn einzelne Ethnologinnen und Ethnologen üblicher-weise nur in einer Gesellschaft forschen. Im Hinblick auf die zeitliche Tiefe steht zwischen der aktual-orientierten Ethnologie und der auf Bodenfunde fokussierten Archäologie die auf Schriftdokumente bauende Geschichts-wissenschaft.

Potentiale wie Probleme der Ethnologie sind durch ihre traditionelle Orientierung auf ‚das Fremde‘ gegeben. Als Disziplin ist die Ethnologie unterschiedlich bestimmt wor-den. Einige dieser Bestimmungen treffen zwar bestimmte Charakteristika, eignen sich aber m. E. heute nicht mehr zur Verdeutlichung des Fachkerns. Erstens sehe ich die Ethnolo-gie nur nachgeordnet als Studium von ‚Kul-turen‘, ‚Ethnien‘, auch wenn das der traditi-onelle Fokus der Ethnologie war. Ethnologie sollte weniger auf Gesellschaften (‚Kulturen‘)

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Gemeint ist dann die Identifikation mit einer sozialen Position, einer Gruppe oder Sub-Gruppe, einer kulturellen Tradition oder einer ethnischen Kategorie beziehungsweise ethni-schen Gruppe.

Kollektive Identitäten bestehen immer auf verschiedenen Ebenen. Sie sind prinzipi-ell taxonomisch geordnet. Individuen wäh-len dabei je nach Situation aus einem Set von Identitätsgruppen. Dieses Wählen erfolgt in aller Regel kaum bewusst; manchmal erfolgt die Wahl dagegen aber nach strategi-schen Gesichtspunkten. Dies können aufstei-gend etwa Verwandtschaftsgruppen (Lineages, Clans), Altersgruppen, Regionalgruppen oder Religionsgruppen sein. Zweitens selegie-ren Individuen die gruppenkonstituierenden Merkmale aus einer Vielzahl von Möglichkei-ten. Drittens können für verschiedene Ebenen (von Lineages bis Religion) ganz unterschied-liche Merkmale herangezogen werden, etwa Sprache, regionale Herkunft, genealogische Verwandtschaft oder Religion. Entscheidend ist die emische Ebene, die gefühlten, geglaub-ten und jeweils betonten Gemeinsamkeiten. Insofern ist es für die Identitätsdynamik auch zweitrangig, ob die Abgrenzungen alther-gebracht (primordial) oder etwa erst durch kolonialbehördliche Eingriffe kreiert sind (konstruiert) und ob eine Ursprungslegende aus der wissenschaftlichen Außensicht reale Geschichte wiedergibt oder fiktiv ist.

In der Ethnologie wurde bis in die 1960er Jahre gefragt, was eine ethnische Gruppe essentiell sei. Grundsätzlich sind ethnische Gruppen zwischen der Ebene der Verwandt-schaft und der der Nation angesiedelt. Es gab diverse Ansätze, ethnische Gruppen mittels einer Liste objektiver Merkmale abzugrenzen, die sehr kontrovers diskutiert wurden (vgl. Naroll 1964). Das Problem statischer und an Merkmalskatalogen ausgerichteter Ansätze war, dass Variationen unbeachtet blieben oder ausschließlich der Assimilation zugeschrieben wurden. Die (1) Vielfalt der zur Selbstpräsen-

Kulturen zu tun. Beide wollen Fremdes ver-ständlich oder vertraut machen. Ethnologen lieben das Aufdecken verborgener Strukturen oder Diskurse und damit (Ebeling 2004) fin-den sie die Metapher der ‚Archäologie‘, höchst faszinierend (vgl. Ebeling / Altekamp 2004; zur Aktualität des „Archäologischen“). Die größ-ten Ähnlichkeiten bezüglich der Fremdheit im Forschungsgegenstand bestehen wohl zwi-schen Ethnologie und den post-prozessualen Ansätzen in der Archäologie. Dies zeigt sich etwa in der Zeitschrift Jounal of Social Archae- ology (Hodder 2005, 134). Gleichzeitig ver-fremden oder distanzieren beide durch Dar-stellung anderer Lebensformen den Blick auf die eigene Kultur.

Das Andere macht Sinn: kollektive Identität

Kollektive Identität durch Abgrenzung gegen Fremde

Kollektive Identität bezieht sich auf wahrge-nommene oder erlebte Kontinuitäten in Kol-lektiven (Krappmann 2010). Die kollektive Frage „Wer sind wir?“ hängt zusammen mit der Frage „Wer bin ich?“. Menschen können nur in Kollektiven überleben und das Kollek-tiv hat schon wegen seiner Vielheit ein Über-gewicht gegenüber dem Individuum, was dessen Autonomie prinzipiell begrenzt. Auch kausal ist kollektive Identität mit der Identität des Individuums verbunden. Die Verbindung zwischen personaler und kollektiver Identität ergibt sich durch die Fragen: „Zu wem gehöre ich?“ beziehungsweise „Wem fühle ich mich zugehörig?“. Deshalb muss zum Verstehen kollektiver Identität zunächst geklärt werden, was individuelle Identität ist. Als Synonyme werden häufig ‚soziale Identität‘, ‚Gruppen-Identität‘, ‚kulturelle Identität‘ und ‚ethnische Identität‘ verwendet. Andererseits werden damit spezifische Identitätsbezüge benannt.

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um damit bestimmte Ziele gegenüber kon-kurrierenden Kollektiven durchzusetzen (z. B. Ressourcensiche rung) und um interne Kon-formität und Solidarität zu erreichen. Bei der Bildung des Wir-Bewusstseins werden von (führenden) Mitgliedern bestimmte gegen-wärtige Werte, Normen und Praktiken sele-giert beziehungsweise bestimmte Traditionen und Aspekte der Geschichte ausgewählt oder betont („Erfindung von Geschichte“).

Grenzen der eigenen zur fremden Gruppe sind für die Organisation kultureller Diversi-tät von zentraler Bedeutung. Schon bei Barth werden kulturelle Grenzen sowohl in ihrer verbindenden als auch trennenden Funktion thematisiert. Sie dienen gleichzeitig als Demar-kationslinie wie auch als Kontaktzone. Darüber hinausgehend konnte Barth zeigen, wie der Kontakt beziehungsweise die Wechselwirkung die Grenze festigt, statt sie zu mindern, unab-hängig davon, ob der Austausch konflikthafter Natur ist oder nicht. In der Einleitung, einem der meistzitierten Texte der sozialwissen-schaftlichen Theorie zu kollektiver Identität, betont Barth explizit, dass die Grenzziehung viel wichtiger ist als die kulturellen Inhalte der durch die Grenze unterschiedenen ethnischen Einheiten (Barth 1969 / 1998, 12). Gemeinsam-keiten der Lebensweise der Mitglieder in Eth-nien und Unterschiede zu anderen sind eher das Resultat der Grenzbildung als deren Basis. Dementsprechend bringt der Band etliche Fallanalysen, die zeigen, dass sich die Lebens-weise von Gruppen, zum Beispiel benachbar-ten Ethnien oft divergent ändert, während die Grenzziehung zwischen ihnen vergleichsweise stabil bleibt. Dieser prozessuale Ansatz (auch formalistischer, konstruktivistischer Ansatz), der Grenzen, Situativität und Interessen betont, wurde paradigmatisch anhand tribaler Grup-pen entwickelt (Berreby 2005). Er steht aber exemplarisch für Struktur und Dynamik der Formierung von überfamiliären Gruppen in jeglichen menschlichen Kollektiven (Orywal 1986 und Vermeulen /Govers 1994).

tation und Abgrenzung möglichen Merkmale und (2) der Wandel bezüglich einzelner Grup-pen führten letztlich zur Abkehr von diesem objektivistischen Ansatz.

Ethnische Gruppen werden im historischen Prozess durch Ethnizität gebildet. In der Regel stellen sie endogame Gruppen dar. Die aus der Sicht der Mitglieder maßgebenden Gruppen-konstituenten sind zumeist ausgewählte oder konstruierte Traditionen, die als gemeinsam anerkannt werden (vgl. Orywal / Hackstein 1993). Beides, Endogamie und Traditionsori-entierung, stellen das dominante Grundmus-ter dar, zu dem es aber viele Ausnahmen gibt. Im Einzelnen müssten immer verschiedene Ebenen sauber unterschieden werden: ethni-sche Kategorien, ethnische Gruppen, ethni-sche Netzwerke und ethnische Institutionen beziehungsweise Organisationen. Dies wird leider selten so klar gemacht, wie das Judith Strauch in ihrer Studie über Identitätsstrate-gien bei Interaktionen in der multiethnischen Stadt Georgetown auf Penang in Malaysia tut (Strauch 1981, 235).

Ethnizität (auch ‚ethnische Identität‘) besteht in Vorstellungen (Kognition), Gefühlen (Emo-tion) und Handlungen der Zugehörigkeit zu ethnischen Gruppen, die eine Gruppe gegen andere abgrenzen. Im Kern bezeichnet ‚Ethni-zität‘ das Wir-Bewusstsein. Sie beruft sich auf verbreitete Konzepte gemeinsamer Herkunft beziehungsweise Ursprung und /oder gemein-same Traditionen und betont kulturelle Unter-schiede zu anderen Kollektiven. Identitätsstif-tend wirken insbesondere die gemeinsame Sprache und Religion. Der traditionelle Ansatz betont Essenz und Kontinuität und erklärt Eth-nizität mit dem gemeinsamen geschichtlichen Ursprung (Primordialismus). Neuere Ansätze betonen demgegenüber eher den Handlungs-rahmen, die Dynamik und die strategische, politische beziehungsweise manipulative Seite von Ethnizität (situative, kontextuelle, strate-gische, funktionale, utilitaristische Ansätze). Menschen nutzen Grenzen und Unterschiede,

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Erklärungsprobleme für rein konstruktivisti-sche Ansätze bestehen (1) in der Tatsache, dass ethnische Identität von Personen erlebt und wahrgenommen wird, als sei sie primordial und (2) in der Effektivität von Verwandtschafts- idiomen im Nationalismus. Hierfür können menschliche Neigungen des Erlebens, die in der Humanevolution in Kleingruppen im Holozän geprägt wurden, ins Feld geführt werden (kin selection; Soziobiologie, Evolu-tionspsychologie). Eine weitere (3) Heraus-forderung für rein kostruktivistische Ansätze besteht in der universalen Verbreitung von Ethnozentrismus.

Konzentrischer Dualismus – Ethnozentrische Verfremdung

Im Rahmen von Ethnizität wird die kulturelle Grenze von Akteuren als scharfe Dichotomie konzeptualisiert (‚We‘ / ‚They‘ ). Eine Verknüp-fung dieser kontrastverstärkenden mit einer auf die eigene Gruppe zentrierten und werten-den Perspektive bildet den Ethnozentrismus. In diesem konzentrischen Dualismus ist eine hohe Einschätzung der eigenen Gruppe mit einer expliziten Abwertung anderer Gruppen, z. B. benachbarter Ethnien verbunden (‚Us‘ > ‚Them‘ ). Ethnozentrismus kann einfach beschrieben werden als eine „… Tendenz zur Höherschätzung des Heimatlich-Vertrauten, des Bodenständigen und Immer-so-gewese-nen – verbunden mit entsprechendem Miß-trauen gegen alles Fremde, Andersartige, aus der gewohnten Ordnung Fallende“ (Bischof 1992, 40).

Ethnozentrismus kann als Haltung gesehen werden, die Ethnie, der man sich zugehörig fühlt, in den Mittelpunkt, ins Zentrum der gesamten Weltsicht zu stellen und die Welt ‚durch die eigene Brille‘ zu sehen. In der Emo-tionalität geht Ethnozentrismus über Ethnizi-tät hinaus. Ethnozentrismus ist ein Syndrom und besteht im Einzelnen darin,

Trotz der Bedeutsamkeit der Grenze kön-nen Mitglieder ihre Zugehörigkeit wechseln. Das erklärt, warum ‚interkultureller‘ Austausch gegen alle intuitiven Annahmen oft nicht zu kultureller Angleichung (Assimilation) führt, sondern zu kultureller Divergenz (Dissimila-tion). Die Reflexivität ethnischer Abgrenzung ist prinzipiell zu beachten: welche Vorstellun-gen bestehen seitens anderer Kollektive zu einer betrachteten Gruppe. Neuere Arbei-ten bauen auf Barths Einsichten auf, kritisie-ren aber den Fokus auf Grenzerhaltung und abgegrenzte Gruppen als Grundeinheiten. Sie arbeiten heraus, dass es in Großgesellschaften ethnisierte Kategorien geben kann, ohne dass ethnische Gruppen bestehen. Demnach kön-nen Gruppen nicht als quasi-natürliche Einhei-ten sozialen Lebens gesehen werden, sondern müssen erklärt werden (Brubaker 2004 / 2012). Die Kriterien der Abgrenzung entstammen oft nicht den Selbstzuschreibungen, sondern kommen von außen. Fremdgruppen, Kolonial-mächte oder der Nationalstaat geben Bezeich-nungen und Kategorien vor. Religion, Macht und Herrschaft sowie ökonomische Fakto-ren und Systeme ethnischer Schichtung und Arbeitsteilung werden mehr beachtet.

Im Phänomen der Ethnizität sind Exklusion und Inklusion prinzipiell verquickt. Zusam-mengenommen bilden sie das Strukturprinzip kollektiver Identität. Entgegen den Annahmen vieler Theorien ist Inklusion aber nicht ein-fach die andere Seite der Exklusion. Ethnische Gruppen entstehen nicht nur durch Ausschlie-ßung anderer Gruppen, sondern auch durch Inklusion weiterer Gruppen, in aller Regel taxonomisch tiefer stehenden beziehungs-weise Subeinheiten. Die Exklusion anderer Gruppen ist also verknüpft mit der Inklusion von weiteren Gruppen, die „solidarisch ein-verleibt“ werden (vgl. Orywal 1986, Abb. 3). Ethnizität bedeutet also eine strukturelle Dynamik, in der prinzipiell eigene Identifika-tion und Zuschreibung durch andere (Askrip-tion) zusammenkommen.

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ten. Diese Haltung hat eine Tendenz zur Totali-sierung und Verabsolutierung: das eigene Essen ist das Beste, die eigenen Leute sind die sau-bersten, die eigene Landschaft ist die schönste und die eigenen Frauen sind die begehrtesten (vgl. für Details Müller 1987; Antweiler 1994; 2004). Die Fremden erscheinen jedenfalls in aller Regel nicht nur irgendwie anders als die Eigengruppe, sondern als das genaue Gegen-teil, quasi als Antithese. Da das Eigene positiv gesehen wird, erscheint das Fremde meist als wertende Negation des Eigenen.

Eurozentrismus versus Ethnozentrismus

Ethnozentrismus wird oft vorschnell mit Eurozentrismus gleichgesetzt oder als eine Variante dessen gesehen. Häufig wird z. B. vom ‚Ethnozentrismus‘ in der westlichen For-schung gesprochen, was oben an der Ethno-logie kurz illustriert wurde. Weltweit wird das heute wohl am ehesten in den meist in ihren grundsätzlichen Annahmen unhinterfragten Idealen der ‚Entwicklung‘ oder des weltwei-ten Austausches deutlich. Diese Gleichsetzung von Ethnozentrismus und Eurozentrismus

wahrzunehmen, also in einer Perspektive, einer ethnozentrischen Optik und Haltung zum Leben;

-sprechend zu bewerten beziehungsweise zu beurteilen, also in einer Einstellung und

im Handeln (siehe Abb. 1).

Welches ist die besondere Perspektive auf Eigen- und Fremdgruppe(n), die den Ethno-zentrismus kennzeichnet? In der ethnozen-trischen Sicht werden die eigene Person und andere Personen in Bezug zum Betrachter und dessen Gruppe gesehen und nur in des-sen Kategorien bewertet. Oft besteht jenseits der Übergeneralisierung, die Vorurteile gene-rell kennzeichnet, eine kategoriale oder kate-gorische, stereotype, hegemoniale oder auch defensive Einstellung gegenüber anderen. Der Eigenstereotyp ist also meist positiv und ent-spricht damit dem, was heute wissenschaftlich meistens unter ‚Image‘ verstanden wird. Meist wird die eigene Kultur in jeder Hinsicht für optimal und damit anderen überlegen gehal-

Abb. 1: Ethnozentrismus als konzentrischer Dualismus (verändert nach Antweiler 2004, 267).

„Sie“„Die“„Andere“

„unvollkommene Menschen“

„Rand der Welt“„Wildheit“„Natur“

„Wir“„Menschen“,

„echte Menschen“„Zentrum der Welt“

„Zivilisation“„Kultur“

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Fremdem und kulturelle Relativierung des Eigenen durch den erfahrungsnahen Zugang in der Feldforschung schon immer im Kern der Ethnologie liegt. Das Problem liegt letz-ten Endes in der widersprüchlichen Idee eines konsequenten Kulturrelativismus.

Umgang mit Fremdheit und Andersheit

Ambivalenz von Fremdheit

Fremdheit ist zunächst auf der psychischen Ebene zu verorten. Fremdes ist für den einzel-nen Menschen kognitiv unbekannt oder emo-tional unvertraut. Dies kann zu Verwirrung, Verunsicherung oder Beunruhigung führen. Als Unvertrautes kann Fremdes auch Ängste erzeugen. Andererseits kann das Unbekannte im Fremden auch faszinieren. Das Exoti-sche lässt überaschende Einsichten oder neue Erlebnisse erwarten. Das zeigt sich sowohl in der Attraktion notorischer Weise ‚ganz ande-rer‘ Kulturen im Ethnotourismus wie bei der Faszination vor dem ägyptischen Sarkophag im Britischen Museum. Das Fremde legt gedank-liche Wertung und eine emotionale Reaktion nahe. Das Fremde lässt keinen kalt. Dennoch ist davor zu warnen, Fremdheit zu ontologisieren. Fremdheit hat ohnehin eine verdächtige Kon-junktur im deutschen Forschungsbetrieb. Der Extremfall ist Alois Wierlacher, der Begründer der deutschen interkulturellen Germanistik. Er schreibt Hunderte von Seiten über Frem-des als „Kulturthema“. Das Fremde bleibt aber merkwürdig unbestimmt und so bleibt nichts mehr unfremd (Busch 2013, 9–10).

Fremdheit ist etwas Relationales. Ich kann nicht nur archaische Zivilisationen oder heu-tige Kulturen anderer Weltgegenden fremd finden, sondern schon die eigenen Landsleute. Das macht die Unterscheidung zwischen inter-kultureller und intra-kultureller Fremdheit schwierig. Fremdheit oder Befremdung kann

vernebelt entscheidende Unterschiede. Euro-zentrismus hat mit Ethnozentrismus zwar die zentrierte Wahrnehmungsperspektive und das Eigeninteresse gemein. Hinsichtlich seiner sozialen Fundierung und geistesgeschicht-lichem Hintergrund ist Eurozentrismus aber etwas ganz anderes als Ethnozentrismus. Euro-zentrismus ist gerade nicht Ausdruck der kul-turellen Identität einer geschlossenen sozialen Gruppe, wie etwa einer Ethnie. Er ist dage-gen Ausdruck eines kulturellen Einheitsbe-wußtseins. Dabei erscheinen die Besonder-heiten der europäischen Völker aufgehoben. Im Unterschied zum Ethnozentrismus steht hinter dem Eurozentrismus gerade die Auflö-sung eines geschlossenen Weltbildes. Aufklä-rung und Entdeckungen lösten die kirchliche (christozentrische) Diabolisierung alles Frem-den ab. Stattdessen wird das Fremde nostrifi-ziert (Stagl 1981).

Das Erkenntnisinteresse an vergangenen Kulturen in der Archäologie und an fremden Kulturen ist nie unmittelbar, sondern an die eigene Gesellschaft geknüpft. Fremdes wird fast immer von sich selbst ausgehend, also von zentrischer Warte heraus gesehen. Hin-tergrund des Interesses am Fremden war in der Aufklärung und in der Kolonialzeit nicht mehr, wie früher, eine kategorische Ableh-nung alles Fremden, sondern ein Interesse am Fremden, das in einer kritischen Sicht der Eigengesellschaft begründet lag. Der bewusste Eurozentrismus ging „... mit einer Kritik an den unbewussten eurozentrischen Vorstellun-gen der älteren und zeitgenössischen Reise-literatur Hand in Hand“, so Karl-Heinz Kohl (1982, 31; vgl. Adams 1998).

In der Ethnologie ist das aber eben nicht eine ethnozentrische Haltung, sondern eine reflek-tiert eurozentrische, damit bedacht universalis-tische und begrenzt kulturrelativistische Sicht. Dies mündet zugleich in das Potential und in die Problematik ethnologischer Zugänge zu Fremdheit. Das besondere ethnologische Potential liegt m. E. darin, dass Umgang mit

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sondern als das diametrale Gegenteil. In der überkomplexen und übersichtlichen Risiko-gesellschaft der späten Moderne besteht ein Verlangen nach dem Gegenteil, den ‚echten archaischen Kulturen‘ und den vermeintlich einfachen ‚Naturvölkern‘. Oft zeigt sich eine enge Verquickung von beiden Wertungen. Beides, die dichotomisierende Perspektive als auch die Verquickung von positiver und nega-tiver Haltung finden wir im Orientalismus (siehe auch Beitrag Constance von Rüden in diesem Band). Das zeigt sich besonders daran, dass der Orientalismus – wie auch seine Kri-tik! – gleichzeitig Okzidentalismen beinhaltet.

Im Folgenden soll es um das Fremde als Phänomen zwischen Gruppen gehen, wobei aber nicht zu vergessen ist, dass Kulturen sich nicht ‚begegnen‘ oder ‚im Dialog‘ stehen können, sondern nur einzelne ihrer Vertreter: „Kulturen sprechen nicht“ (Radtke 2012). Insbesondere ist die Frage, welche Bedeutung fremde Kollektive für die Bildung und Stabi-lität von Kollektiven haben. Der Bereich der Fremdheit ist für viele Kollektive zunächst der Bereich der ‚Natur‘. Es ist der Bereich des nicht Zivilisierten, ein Gebiet, das oft schon im Wald um eine Siedlung beginnt. Kollektive können unterschiedlich mit der Fremdheit anderer Kollektive umgehen. Fremde Kollek-tive können zunächst bekämpft oder gemie-den werden. Deren Andersartigkeit kann auch respektiert oder toleriert werden, etwa durch räumliche Trennung. Sie kann ferner geleug-net werden beziehungsweise die fremde Kul-tur kann der eigenen anverwandelt werden. Dies kann das Bild betreffen, das man sich von anderen macht oder auch deren kon-krete Angleichung bedeuten (Assimilation). In modernen und komplexen Gesellschaften, in denen schon seit langem viele Menschen leben, wird der Fremde oft zum Sozialtyp. Er ist der Randseiter (marginal man), Gastarbeiter (sojourner), Händler oder Weltbürger (cosmopo-litan) (Merz-Benz / Wagner 2002, 36; vgl. Gee-nen 2002; Reuter 2002).

es selbst zwischen einander vertrauten Perso-nen geben, zum Beispiel zwischen Geschwis-tern. Ja, ich kann mir selbst fremd werden beziehungsweise das Individuum bleibt sich selbst prinzipiell immer fremd (Kristeva 1990). Die inhärente Relationalität des Fremden macht das vermeintlich so eindeutig Fremde ambivalent und diese Ambivalenz kann selbst als bedrohlich empfunden werden.

Die Ambivalenz bei der Wertung des Frem-den zeigt sich in der populären Kultur. Ein Großteil des Konsums in modernen Gesell-schaften ist ein Konsum von kultureller Diffe-renz: Fremdheit, Exotik und Nostalgie. Dabei soll die Ethnologie das räumlich Entfernte und kulturell ‚Natürliche‘ liefern, während die Archäologie für das zeitlich ‚Tiefe‘ und ‚Ver-sunkene‘ steht. Da räumlich entfernte Kultu-ren als zeitlich frühere wahrgenommen wer-den, trifft sich die Faszination für Archäologie und Ethnologie im Streben (longing for) nach dem Nostalgischen. Das Nostalgische ist zum Mainstream der Massenkultur geworden. Die popularisierende Nutzung unserer Fächer in den deutschsprachigen Massenmedien wird im Falle der Archäologie deutlich von Wis-senschaftlern beeinflusst (für Beispiele siehe Holtorf 2007, 29–50; Kircher 2012, 87–110), während die Popularisierung in der Ethnologe (außer durch ethnologische Museen) durch andere Akteure erfolgt (zur Übersicht Antwei-ler 2005).

Die verschiedenen Bewertungen im öffent-lichen Umgang mit Fremdem machen die Ambivalenz deutlich. Heutige fremde Kul-turen oder ausgestorbene Kulturen werden zum einen idealisiert, romantisiert oder anders verklärt (Primitivismus, Exotismus; vgl. Bei-trag Herbert Uerlings in diesem Band). Ande-rerseits wurden und werden andere Kulturen abgewertet (‚Primitive‘, klassischer Evolutio-nismus). Dem ‚Guten Wilden‘ steht der ‚Böse Wilde‘, der rohe und unfertige ‚Primitive‘ gegenüber. In beiden Varianten erscheint das Andere oft nicht nur als irgendwie anders,

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Mit Hilfe dieser analytischen Hilfsmittel, von denen sich die ersten drei eher auf die psychi-sche Dimension und die vierte auf die polit-ökonomische Lage beziehen, kann man fragen, welche dieser Sichtweisen, Sichtrichtungen und Beziehungen für welche gesellschaft lichen Ziele nützlich sind: Damit können auch kri-tische Fragen hinsichtlich möglicher Instru-mentalisierung präziser angegangen werden.

Bezüglich der Referenten von Weltbildern, die interkulturellen Umgang bestimmen, kann man unterscheiden in Vorstellungsbilder, die zumeist stereotyp sind:

- das Bild von der eigenen Gruppe (Eigen-bild, Eigenstereotyp, Autostereotyp),

- die Vorstellungen von der anderen Gruppe (Fremdbild, Fremdstereotyp, Heterostereo-typ) und

- das Bild der Beziehung zwischen beiden Gruppen (Eigen-, Fremd-, Beziehungsbild, Interaktionsstereotyp).

Wir wissen aus der oben skizzierten Ethnizi-tätsforschung, dass es meist ausgeprägte Bilder zu allen drei Bereichen gibt, weil sie sich in enger Verquickung miteinander bilden.

Hinsichtlich der Sicht der Intergruppen-relation, also der Einschätzung, die zwei Grup-pen über ihr Verhältnis haben, gibt es zwei Grundmodelle (Tschohl 1984):

Gruppe ist uns fremd / unähnlich / unver-traut“, und

anderen sind uns gleich / ähnlich / vertraut.“

Nach den Befunden der Ethnizitätsforschung ist zu vermuten, dass das Fremdheits-Modell das bei weitem verbreitetere ist. Die Sicht der Fremdheit versus Ähnlichkeit anderer Grup-pen hängt zusammen mit Erfahrungen, aber

Die zentrale Frage im Umgang zwischen Angehörigen verschiedener Kulturen, also interkulturellem Umgang, kann salopp so for-muliert werden1: Was an der Kultur ist schuld, dass der Umgang mit fremder Kultur zu einem besonderen wird? Was macht also inter-kulturellen Umgang besonders, etwa gegen-über dem Umgang zwischen (sich ja auch oft fremden) Personen in einer Kultur, also inter-personalem beziehungsweise intersubjektivem Umgang?

Umgangsweisen mit anderer Kultur – eine Typologie

Das Besondere am interkulturellen Umgang liegt zunächst darin, dass interkultureller Umgang etwas viel Umfassenderes ist als interpersoneller Umgang. Das ist entschei-dend, um z. B. Ethnozentrismen im Umgang nicht einfach mit (inter-) individuellen Vorur-teilen gleichzusetzen. Die weiteren Besonder-heiten lassen sich aus dem bisher Ausgeführten ableiten: es sind der systemische Charakter von Kultur und ihre Orientierungsfunktion, ihre Gruppen-Orientierung im Rahmen des his-torischen Verhältnisses mit anderen Gruppen und die jeweils kulturspezifische Sozialisation (Enkulturation), die den Umgang prägen und ihn oft ethnozentrisch strukturieren.

Für die Betrachtung interkulturellen Umganges sind einige analytische Unter-scheidungen nützlich, die ich im Folgenden erläutere (für Details Antweiler 1994):

Weltbilder beziehen,-

nisses,

1 P. Tschohl, Interkultureller Umgang. Universität zu Köln, Institut für Völkerkunde; Sommersemester 1984, Seminarmitschriften Ch. Antweiler.

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pologisch“) bei der folgenden Perspektive in Anführungszeichen, um sie von explizit wissenschaftlichen ethnologischen Ansätzen zu unterscheiden.

- Die Wir-Gruppe kann aber auch eine dis-tanzierte Haltung zugrunde legen, indem sie die andere Gruppe in ihrer Beziehung zur eigenen Gruppe, also das Inter, sieht. Dies kann man als „indirekten ethnologi-schen“ beziehungsweise „anthropologi-schen Ansatz“ bezeichnen (Tschohl 1984).

Hier wissen wir aus der Ethnozentrismusfor-schung, dass die erste Perspektive die universal dominante ist. Ethnologen konnten aber auch in Einzelfällen dokumentieren, dass nicht nur individuell je nach Partner unterschied liche Aspekte der Ethnizität situativ aktualisiert werden, sondern dass es auch in einer Gruppe unterschiedlichste Umgangsregeln mit ver-schiedenen Fremdgruppen gibt, darunter eben auch stark ausgeprägte Gastfreundlichkeit.

Praktisch und politisch relevant werden die drei Perspektiven (die ethnozentrische, die xenozentrische und die „anthropologische“) dadurch, dass sie sich für verschiedene Ziele von Gruppen unterschiedlich gut eignen. Die ethnozentrische Perspektive ist sicherlich zur Durchsetzung der Interessen der Eigengruppe von Nutzen. Die Sicht der Fremdgruppe nach deren Selbst-Modell eignet sich dage-gen gut, wenn sich die Eigengruppe selbst ändern will, eine zumindest denkbare Mög-lichkeit. Die „anthropologische“ Perspektive schließlich eignet sich, wenn beide Gruppen eine Gemeinsamkeit, etwa in ihren Interessen, haben.

Ich gebe ein konkretes Beispiel für die stra-tegische Bedeutung von eigenen Sichtwei-sen in Zusammenhang mit Zuschreibungen an andere beim interethnischen Umgang. Ansprüche der eigenen Gruppe werden bei Interessenkonflikten zwischen Ethnien oft als ‚strukturell notwendig‘ apostrophiert, etwa mit einer Notlage begründet. Ansprüche der

auch mit Annahmen, die das Individuum über seine Gruppengenossen macht und die sys-tematisch verzerrt sein können. Irrtümliche Annahmen über Ideen, Gefühle und Hand-lungen von Angehörigen der eigenen Gruppe wurden von Floyd Allport 1924 als „pluralis-tische Ignoranz“ bezeichnet. Ein für intereth-nische Beziehungen sehr relevanter Ausdruck solcher Ignoranz der eigenen Gruppe ist, dass Individuen oft denken, ihr eigenes Verhalten anderen gegenüber würde von ihren Grup-pengenossen kontrolliert (censorious peers). Also sind sie vorsichtig: der einzelne fürchtet breite Ablehnung seiner Gruppenmitglieder, wenn er mit Fremden interagiert, obwohl dies tatsäch-lich nur wenige ablehnen würden. Erklären lässt sich solche pluralistische Ignoranz durch eine Annäherung in den tatsächlichen Inter-gruppenbeziehungen, die von den Beteiligten selbst „konservativ unterschätzt“ wird (Ban-ton / Mansor 1992, 610–612 am Beispiel von Chinesen in Malaysia). Dies verweist auf den Zusammenhang der dualistischen Wir- versus Sie-Sichtweise mit der von der Eigengruppe ausgehenden Perspektive. Diese Perspektive ist aber nicht die einzig mögliche.

In Bezug auf die Perspektive auf andere Men-schengruppen können folgende drei Sicht- weisen der Akteure beziehungsweise Gruppen unterschieden werden:

- Die eigene Wir-Gruppe kann die Fremd-gruppe aus ihrer eigenen Perspektive sehen. Das ist die klassische ethnozentrische Sicht, die oben im Detail beschrieben wurde.

- Die Wir-Gruppe könnte die andere Gruppe aber auch nach deren eigenem Modell sehen. Das ist eine xeno- beziehungsweise heterozentrische Perspektive und könnte als ‚direkter ethnologischer Ansatz‘ bezeichnet werden. Dies entspricht am ehesten den ethnologischen Bemühungen, die Eigen- beziehungsweise Innensicht (emic view) dar-zustellen. Ich setze hier die Bezeichnung „ethnologisch“ (und entsprechend „anthro-

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Christoph Antweiler36

Die jeweilige Beziehungs- und Machtverhält-nisse zwischen subnationalen Gruppen, Mehr-heiten und Minderheiten müssen in der Erfor-schung interkultureller Kommunikation viel mehr berücksichtigt werden, als das bislang der Fall ist. Auch die Beziehungen verschiedener Minoritäten zueinander können eine erheb-liche Rolle spielen. Die spezifische Globalität kollektiver Identität besteht heute (1) darin, dass Subjektivität zunehmend über abgren-zende Identität erlebt und behauptet wird (Meyer / Geschiere 1999; Taylor 1977 / 1996); (2) darin, dass das Berufen auf kollektive Iden-tität als effektives Mittel im Kampf um Aner-kennung und Ressourcen eingesetzt wird und (3), dass gerade der ethnisierende Begriff der kollektiven Identität in postkolonialen Kon-texten vereinnahmt wird, vor allem seitens ethnonationalistischer Staaten und Bewegun-gen sowie durch indigene Bevölkerungsmin-derheiten.

Fremde, Kultur und Öffentlichkeit

Kulturen haben keine scharfen Grenzen und sie sind füreinander nicht so fremd, dass sie inkompatibel wären. Als Systeme sind sie aber analytisch abgrenzbar und sie schaffen selbst aktiv Grenzen zum jeweils Fremden bezie-hungsweise Anderen. Ich plädiere damit für ein explizit nichtextremes Verständnis von Kultur und Fremdheit. Dies ist auch wichtig für eine verantwortliche Haltung von uns als Archäologen und Ethnologen in der Öffent-lichkeit. Die Massenmedien brauchen markige Wörter und scharfe Bilder. Der zunehmend profilorientierte Wissenschaftsmarkt honoriert überpointierte Thesen und markante Begriffe. Das zeigt sich besonders in der Verwendung der Kultur im Singular und Plural.

Das in den Massenmedien gängige Alltags-Konzept von Kulturen ist mehrfach totalisie-rend. Erstens wird alles zu Kultur und zweitens wird Kultur auf das Trennende reduziert. Dieses

Konkurrenten dagegen werden gerne auf deren besondere Motive oder deren ‚Charak-ter‘ zurückgeführt und können damit leicht abgetan werden.

Die zentrale Frage ist nun, unter welchen strukturellen Rahmenbedingungen sich inter-kultureller Umgang abspielt. Entscheidend ist der Rahmen von Dominanz und Unter-ordnung, der die Situation der beteiligten Gruppen strukturell bestimmt und damit die Umgangssituation insgesamt formt. Salopp gesagt: Wer hat das ‚Heimrecht‘ und wer ist nur geduldeter Gast? Innerhalb von Inter-gruppenbeziehungen könnte man mit Erika Dettmer (1989, 73; 345–348; in Erweiterung von Bateson 1985) folgende Beziehungsmus-ter unterscheiden:

- In einer komplementären Beziehung zwi-schen zwei Gruppen A und B ergänzen sich beide auf einer höheren Einheit. Auf die-ser Ebene gibt es unter Umständen Res-pekt und Zusammenarbeit untereinander. Ein ethnologisches Beispiel sind Segmente in segmentären Gesellschaften beziehungs-weise die Redeweise: „Ich gegen meinen Bruder, ich mit meinem Bruder gegen die restliche Familie, unsere Familie gegen andere Familien.“

- In der gegensätzlichen (antagonistischen) Beziehung zwischen A und B sind die Interessen fundamental und unabänder-lich verschieden, wie z. B. in der kolonialen Situation zwischen Kolonisierten und der Kolonialmacht (idealtypisch). Antagonis-tische Konstellationen bergen die Gefahr immer größerer Konfrontation (komple-mentäre Schismogenese vorgedacht: Bate-son 1985, 105–106).

- In der symmetrischen Beziehung von A und B schließlich besteht kein Dominanz-verhältnis zwischen den Gruppen, sie haben dieselben Wünsche, nur in verschiedener Ausrichtung.

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bende Fremdheit, noch blendet sie nichttrivi-ale Gemeinsamkeiten zwischen Kulturen aus (Antweiler 2012; Welsch 2012).

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Seit der Postmoderne ist dagegen beson-ders in den Kulturwissenschaften ein flui-des Kulturkonzept gängig. Dieses Kulturver-ständnis spricht zwar noch von Kulturen im Plural, besagt aber, Kulturen seien prinzipiell unbegrenzt. Sie glichen Flüssen oder offenen Landschaften. Leider ist es aber in die andere extreme Richtung überzogen (zur Kritik z. B. Sidky 2003; Aleksandrowicz 2011, insbes. 144–161). Wenn etwa Byung-Chul Han schreibt: „Nicht Grenzen, sondern Links und Vernet-zungen organisieren den Hyperraum der Kul-tur“ (Han 2005, 16), schüttet er das Kind mit dem Badewasser aus. Übersehen wird dabei: Kulturen als Systeme haben durchaus Gren-zen und vor allem machen Kollektive Grenzen. Mit dem Sozialkonstruktivismus kommt eine starke epistemische Relativierung hinzu und damit eine weitgehende Abkehr vom wissen-schaftlichen Ziel der Generalisierung (zur Kri-tik Boghossian 2006 / 2013). Damit ist das kul-turwissenschaftliche Kulturverständnis anders als das Populärverständnis zwar nicht essen-tialisierend, aber ähnlich totalisierend: Kultur wird als Allzweckwaffe eingesetzt.

Eine moderate Perspektive auf Kulturen sieht – gegen das populäre wie das kultur-wissenschaftlich derzeit gängige Verständnis – zwar grenzüberschreitende Verbindungen und kulturelle Transfers. Sie ignoriert dabei aber weder kulturelle Grenzen noch blei-

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Kulturtechniken: ethnographisch fremd und anthropologisch fremd. Eine Kritik

an ökologisch-phänomenologischen und kognitiv-modularisierenden Ansätzen

Thomas Widlok

mein-kulturwissenschaftliches Problem, das sich nicht nur mit Blick auf Jäger-Sammler-Gesellschaften stellt.

Lassen Sie mich jedoch zunächst die Unterscheidung zwischen ethnographischer Fremdheit und anthropologischer Fremdheit verdeutlichen und zwar im Rückgriff auf Populärmedien, genauer gesagt auf Daktari, eine amerikanische Fernsehserie über Afrika aus dem letzten Jahrhundert. Die Überzeich-nung durch Hollywood hat zum einen den Vorteil, dass hier Tendenzen sinnfällig auf die Spitze getrieben werden, die ansonsten eher diffus ihren Einfluss auf unsere Vorstellung vom ‚kulturell Fremden‘ geltend machen. Es bewahrt mich zudem davor, hier einzelne Fachvertreter als Zielscheibe zu nehmen, denen ich durch eine verkürzte Darstel-lung vielleicht Unrecht tue. Und schließlich möchte ich darauf hinweisen, dass Perspek-tiven auf die Anderen / das Andere nicht erst mit dem Eintritt in die Universität geprägt werden, sondern schon viel früher. In der mir vorangehenden Generation wird in diesem Zusammenhang oft auf die (in Deutschland) weit verbreitete Lektüre von Karl May ver-wiesen. Für die heranwachsende Generation von Studierenden können es Musikvideos

Einleitung: Was ist dem Ethnologen fremd?

Ethnologen sind Spezialisten für Fremd-heit und oft stellen Definitionen des Faches die Erforschung des „kulturell Fremden“ in den Mittelpunkt. Allerdings sind es bei nähe-rer Betrachtung zwei sehr unterschiedliche Aspekte von Fremdheit, die hier eine Rolle spielen und die ich in diesem Beitrag ent-sprechend unterscheiden möchte. Der Ein-fachheit halber können wir von Fremdheit im ethnographischen Sinne und Fremdheit im anthropologischen Sinne sprechen. Beides sind genuine Arbeits- und Wissensbereiche der Ethnologie, allerdings mit unterschiedlichen Fragen und Methoden.

Ich will die beiden Formen von Fremdheit anhand eines Feldes untersuchen, das auch für Archäologen von Interesse ist und anschluss-fähig an Debatten innerhalb der Archäologie: Bei dem Beispiel handelt es sich um Kultur-techniken aus dem Bereich der Jäger-Samm-ler-Studien, Kulturtechniken wie das Knacken von Nüssen und das Herstellen von Pfeil und Bogen, die relativ nahe am Gegenstandsbe-reich der Ur- und Frühgeschichte sind. Die dahinterliegende Frage ist jedoch ein allge-

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von weiteren klischeehaften Figuren: dem ein-heimischen, schwarzen Assistent als Personifi-zierung der neuen aufstrebenden Elite in den afrikanischen Ländern, einem uniformierten alten Haudegen (als Chief Ranger) als Sinn-bild für koloniale oder staatliche Ordnung und notwendige militärische Intervention sowie der jungen, leicht naiv-emotionalen, auf Verständnis der Afrikaner ausgerichteten Tochter, einer Art wie es aus heutiger Sicht scheint left-wing liberal der 60er Jahre, allerdings eher im harmlosen Protest verhaftet. Daneben sehen wir eine romantisierende Vorstellung von Natur als etwas zu Domestizierendes, das aber zugleich auch der Hilfe der Menschen bedarf und, als Teil dieses Hintergrundes, die namenlosen Afrikaner, die die Gehöfte und die Landschaft bewohnen. Das kulturell (ethnographisch) Fremde tritt uns in die-sem Ausschnitt in der Form der Trommel als Kommunikationsmittel entgegen beziehungs-weise dem Trommeln der Afrikaner als einer alltäglichen Kulturtechnik. Auch zwei proto-typische Haltungen zu dieser Kulturtechnik bekommen wir präsentiert. Da ist einmal der Unglaube von Dr. Tracy, der – ganz Positivist – weder der Übertragung durch Trommeln noch der Geschichte vom harmlosen Löwen recht glauben will, sondern stattdessen auf die eigene Anschauung beharrt. Demgegenüber steht die relativistische Haltung seiner Tochter, die implizit davon zeugt, dass es offensicht- lich unterschiedliche Kommunikationsformen gibt, die ihrer jeweiligen kulturellen Umge-bung angepasst sind. Das Funkgerät funktio-niert in Afrika nicht, aber die Trommeln tun es. Das Trommeln ist nicht nur gleichberech-tigt, sondern wird in diesem Fall sogar exoti-sierend als der westlichen Technologie überle-gen dargestellt. Noch wichtiger allerdings, und darauf werde ich im Detail eingehen, ist, dass der Gebrauch der Trommel und der Gebrauch des Funkgeräts, das Trommeln und das Fun-ken, als direkte und vergleichbare technolo-gische Entsprechungen gegeneinander gesetzt

und andere Internet-basierte Medien sein. Für viele Vertreter meiner Generation war das Fernsehen prägend, damals noch recht über-sichtlich mit wenigen Serien, die aber daher im Einzelnen vielleicht viel wirkmächtiger waren als das breiter aufgefächerte Fernse-hen heute. In meinem Beispiel Daktari geht es um eine Serie über ein (fiktives) Tierkran-kenhaus in Ostafrika, in mehreren Spielfilmen präsentiert und im deutschen Fernsehen der 60er und 70er Jahre regelmäßig zur ‚prime time‘ am Samstagabend zu sehen. Heute sind Ausschnitte und ganze Filme aus dieser Serie leicht über das Internet zu finden.

Ein kurzer Abriss einer typischen Dak-tari-Episode muss hier genügen: Am Beginn des Films Clarence, der schielende Löwe (origi-nal Clarence, the Cross-Eyed Lion von 1965) wird ein afrikanisches Gehöft gezeigt, auf das ein Jeep zufährt. Im Jeep sitzen afrika-nische ‚Ranger‘, die von den Bewohnern aufgeregt über die Anwesenheit eines Löwen informiert werden, der durch das Gehöft streift, die Tiere und Menschen aufscheucht, aber offensichtlich ohne jemanden zu töten. Einer der Ranger greift zum Funkgerät, um die ‚Zentrale‘ zu rufen, bekommt aber keine Verbindung und greift dann kurz ent-schlossen zur Trommel, um die Nachricht über den Löwen weiterzugeben. Dann ein Szenenwechsel, während die Trommeln im Hintergrund weiter zu hören sind: Die Tier-klinik. Der weiße ‚Arzt‘ Dr. Tracy behandelt ein Tier und wird von seiner jungen Tochter sowie von seinem schwarzen Assistenten auf den Vorfall angesprochen. Er ist offensichtlich skeptisch, aber seine Tochter beharrt darauf, dass „die Trommeln nicht lügen“ und man beschließt der Sache durch eigene Anschau-ung auf den Grund zu gehen.

Die klischeehafte Darstellung ist offensicht-lich: Hauptheld und Hauptidentifikationsper-son ist der „white male“, Mediziner, der Inbe-griff westlicher Rationalität und westlicher Entwicklungsanstrengungen. Er ist umgeben

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Kulturtechniken: ethnographisch fremd und anthropologisch fremd 43

und – andererseits – einer Welt, mit der sich der Mensch auseinandersetzen muss, die nicht optimal für ihn eingerichtet ist, sondern die ihn immer wieder neu herausfordert und ihm fremd bleibt.

Ein zweiter Aspekt der anthropologischen Fremdheit findet sich nicht nur in der Situa-tion des Rangers, sondern in gleichem Maße auch in der Situation von Tracy, seiner Tochter und seines Assistenten, die aus der Entfernung Stellung beziehen müssen zu ambivalenten Vorgängen (die Vorgänge mit Bezug auf das Verhalten des Löwen und mit Bezug auf die Verlässlichkeit der Trommel-Botschaft). Die Fremdheit erstreckt sich letztlich auch auf uns als Betrachter des Films, die wir uns in (dra-maturgisch zugespitzter) Unsicherheit über diese Situation befinden, die von der gewohn-ten Ordnung der Dinge abweicht. Während die Hühner und Ziegen eine eindeutige Handlungsanweisung aus der Situation zie-hen, nämlich die Flucht vor dem Löwen, so verliert sich diese Eindeutigkeit für uns Men-schen. Eine typische Reaktion auf diesen Ner-venkitzel ist es, auf diese Situation mit Lachen zu reagieren, sie – wie von den Machern des Films beabsichtigt – komisch zu finden, ein Punkt, den Helmuth Plessner in seiner phi-losophischen Anthropologie theoretisch auf-gearbeitet hat und auf den ich später zurück-kommen werde. Die Welt ist anthropologisch fremd, weil die Einbettung des menschlichen Verhaltens brüchig ist und weil der Mensch herausgefordert ist, über diesen Bruch mit der Welt zu reflektieren. Die Überbrückung dieser anthropologischen Fremdheit ist entsprechend nicht ein Problem zwischen Afrika und ‚dem Westen‘, sondern zwischen der Welt und den Menschen, die in ihr leben. Wie diese Aufgabe sich im Einzelnen darstellt, will ich mit einem vergleichenden Blick auf verschiedene Kul-turtechniken erläutern.

Ich beginne mit dem bereits angesproche-nen Trommeln, nach gängiger Auffassung eine typische Kulturtechnik. Wie erwähnt

werden.1 In diesem Kontext von Fremdheit ist es die Aufgabe des Ethnographen, zu erklären, wie die unterschiedlichen Nutzungen und Wertschätzungen von Trommeln zu verstehen sind und ineinander übersetzt werden können.

Ganz woanders ist die anthropologische Fremdheit zu suchen. Sie lässt sich zum einen in der Reaktion des Rangers konstatieren, der auf den Löwen mit dem seltsamen Verhalten stößt und es zudem mit einem Funkgerät zu tun hat, das keine Verbindung bekommt. Hier zeigt sich eine ‚Entfremdung‘ des Menschen, die nicht – wie Marx dachte – das Kenn-zeichen einer vorübergehenden geschicht-lichen Krise ist, sondern quasi chronisch. Der Mensch lebt in einer Welt, die anders als die Umwelt der Tiere, ihn fortwährend überfor-dert. Er ist nie bruchlos eingebettet, weder in die natürliche Umwelt noch in die von ihm geschaffene kulturelle Welt, da er im Abstand zu dieser Welt steht, sich über das Verhalten von Löwen Gedanken machen muss (und kann) sowie damit rechnen muss (und kann), dass die geschaffenen und eingesetzten Kul-turwerkzeuge und Kulturtechniken wie das Funken (oder Trommeln) nicht ausreichen oder sogar komplett versagen. Er ist nicht im fortwährenden flow seines Verhaltens aufge-hoben. Vielmehr kann er die Welt, in der er lebt, zwar versuchen sich vertraut zu machen, aber sie bleibt bis zu einer gewissen Grenze immer fremd. Während die ethnographische Fremdheit zwischen Dr. Tracy auf der einen Seite und den Trommlern (aktiv trommelnd sowie passiv hörend) auf der anderen Seite besteht, liegt die anthropologische Fremdheit zwischen – einerseits – den Menschen (hier prominent personifiziert durch den Ranger)

1 Ähnliche Gleichsetzungen finden sich auch heute, siehe de Bruijn / Nyamnjoh / Brinkman (2009), die von Mobiltelefonen als den „new talking drums“ sprechen, allerdings ohne diesen Vergleich analytisch oder empi-risch aufzuarbeiten.

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schiedlichen Kulturtechniken, sondern mit zwei alternativen Technologien zu tun haben. Das System der Technologie, so wie es die Europäer vom Funkverkehr her kennen, bildet eine kulturvergleichende Kategorie, unter die sowohl das Walkie-Talkie als auch die Trom-meln als alternative aber parallele Problem-lösungsmittel und Werkzeuge des Menschen passen. Ethnologen haben hier Zweifel ange-meldet, und ich beziehe mich hier insbeson-dere auf die Arbeiten von Tim Ingold (2000; 2011).

Ingolds Darstellung des modernen west-lichen Verständnis’ von Technik als Techno-logie (im Gegensatz zur antiken Vorstellung) hebt die Idee der Austauschbarkeit und der Transferierbarkeit über einzelne Situationen und Menschen hinweg hervor (Ingold 2000, 296). Technologie wird als extern zu sozialen Beziehungen gesehen, als eine Relation zwi-schen Dingen, von jedem Ingenieur erlernbar, vermittelbar, einsetzbar und in alle Kontexte übertragbar. In der Charakterisierung Ingolds ist Technologie „an objective system of rela-tions among things, that is wholly exterior to the social domain of relations among persons“ (2000, 313; Hervorhebung im Original). Dieses Abgetrenntsein vom spezifischen sozialen und situativen Kontext ist nicht einfach eine unbe-absichtigte Nebenwirkung, sondern genau das macht – aus der Sicht des Ingenieurs – die Technologie ja so wertvoll: In der Technologie werden Techniken so heruntergebrochen in einzelne, standardisierte Abläufe, dass sie leich-ter und von quasi jedem ausführbar werden. Wir müssen nicht wissen, wie ein Funkge-rät im Innern funktioniert, um es erfolgreich nutzen zu können. Wir brauchen so gut wie nichts über Strom, Schaltkreise, Radiowellen usw. wissen, sondern das nötige Wissen ist im Funkgerät so destilliert, dass jeder, der einen Knopf drücken kann, davon Nutzen hat. Die industrielle Fließbandarbeit als gigantische Technologiemaschine ist das prototypische Sinnbild für Technologie in diesem Sinne. In

unterscheiden sich die Haltungen der Film-charaktere, und es wäre nicht schwierig für die Haltung von Dr. Tracy und seiner Toch-ter entsprechende Tendenzen in der weiteren Öffentlichkeit und in der Wissenschaft zu fin-den. In Dr. Tracy können wir den unilinear-denkenden Evolutionisten erkennen: Nach dessen Ansicht gibt es einfache Grundfor-men der Kommunikation wie das Trommeln, die mit zunehmender Komplexität anderen Formen gewichen sind, zum Beispiel dem Funkgerät und letztlich der wissenschaft-lichen Methode empirischer Datenerhebung angelsächsischer Prägung, die da lautet: Nichts glauben, für dass es keine eigenen Sinnesdaten gibt, d. h. was man nicht selber gehört oder gesehen hat. Seine Tochter personifiziert den Relativismus, der anerkennt, dass wir es hier mit einfachen Technologien zu tun haben, aber dass die Komplexität der afrikanischen Kulturtechniken offensichtlich in einem ande-ren Bereich liegt, in einer mythischen, nicht leicht zugänglichen Kultur, aber mit gleichem Wert ausgestattet (Kulturrelativismus) oder sogar mit einem höherem Wert (Primitivis-mus), denn „die Trommeln lügen nie“. Das erinnert an frühe ethnologische Bemerkun-gen etwa über Australische Aborigines und andere Jäger und Sammler: Ihre Technologie mag einfach sein, aber dafür sind Religion und das Verwandtschaftssystem komplex und zwar in einem Maße, dass sie für Außenstehende kaum verständlich sind. Obwohl gegensätzlich in der Wertschätzung und Einordnung, so sind sich die beiden entgegengesetzten Positionen doch in einer grundsätzlichen Hinsicht einig: Trommeln und Funkgerät sind parallelisierbar. Ohne zu zögern und ohne weiteres greift der Ranger nach der Trommel als das Funkgerät nicht funktioniert. Es scheint sich um aus-tauschbare Technologien zu handeln. Aber wie angemessen ist die Parallelisierung von Funk-gerät und Trommel?

Die zugrundeliegende Gleichsetzung be- hauptet, dass wir es hier nicht nur mit unter-

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Frucht, die Mangetti-Nüsse, von der ansässi-gen Bevölkerung der =| Akhoe Hai // om als Grundnahrungsmittel gesammelt und ver-zehrt werden. Die Mangetti-Nuss hat eine gewisse Berühmtheit in der Ethnologie und Archäologie erreicht, da R. Lee (1979) in ihr die Antwort auf die Frage sah, warum es auch heute noch Jäger und Sammler gibt, die zudem keinen Sinn darin sehen, sich zu Ackerbauern zu entwickeln: „Warum sollten wir pflanzen, wo es doch so viele Mongongo auf der Welt gibt?“ ist ein Ausspruch, den Lee zum Motto2 seiner Ethnographie gewählt hat (Lee 1979, v; siehe auch Widlok 1999, 74).

Die Mangetti-Nuss ist reichhaltig an Inhaltsstoffen und während die äußere weiche Schicht saisonal ist, das weiche äußere Frucht-fleisch schmeckt wie eine wilde Variante von Honigbrot, sind die harten Kerne, die einer Haselnuss ähneln, das ganze Jahr über ver-fügbar und auch heute noch ein wichtiges Grundnahrungsmittel. Lassen Sie mich eine kurze Einführung in die Kulturtechnik des Mangetti-Knackens geben.

Mangetti-Bäume wachsen auf sehr sandigen Böden, aber Nüsseknacken ist in einer sandi-gen Gegend gar nicht so einfach, weil meist keine Steine zur Verfügung stehen. Aus die-sem Grunde haben Hai // om in der Region an verschiedenen Stellen, die immer wieder besucht werden, Steine zum Knacken depo-niert, meist ein großer Stein mit Einbuchtun-gen und ein kleiner, handlicher Schlagstein (Abb. 1). Die Einbuchtungen sind sehr hilf-reich, weil Mangetti-Nüsse rundlich-oval sind und schnell seitlich wegrollen, wenn man ver-sucht, sie auf einer glatten Fläche zu knacken. Die Klingen von Äxten eignen sich ebenfalls, wenn sie beispielsweise zwischen den Füßen

dieser Hinsicht ist Technologie allerdings das genaue Gegenteil von Kulturtechniken wie dem Trommeln, denn diese Kulturtechniken sind gebunden an die gelernten und geüb-ten Fertigkeiten dessen, der die Techniken zur Ausführung bringt. Wenn Trommeln als eine Form von Musik betrachtet wird, ist das vermutlich unumstritten. Das Musikinstru-ment an sich, auch zusammen mit Noten oder Material zum Erlernen des Musizierens ist keine transferierbare Technologie, da die Fer-tigkeit des Spielers, mühevoll und zeitraubend über einen langen Zeitraum des Übens erar-beitet, hinzukommen muss. „Musik deuten heißt Musik machen. Ihr Sinngehalt läßt sich von ihrer Realisierung nicht trennen“ schreibt Plessner (1967 / 2003, 471) und greift damit Adornos Unterscheidung auf, nach der Inter-pretieren einer Sprache Verstehen ist, Musik Interpretieren aber Musik machen bedeu-tet (Plessner 1967 / 2003, 464). Kulturtechni-ken zeichnen sich, nach Ingold (2000, 292), dadurch aus, dass sie ein „embodied skill“ sind, eine verleiblichte Fertigkeit, die entsprechend der Ausbildung und der Übung des einzelnen Spielers sehr unterschiedlich sein kann. Trom-meln, so mag man einwenden, sind ein Grenz-fall, weil sie eben nicht nur Kommunikati-onsmittel (talking drums) sind, sondern auch Musikinstrumente. Um diesen möglichen Einwand, die Musik (oder Kunst generell) sei ein kreativer Sonderfall, entgegenzutreten, will ich dieses Argument daher an einer einfache-ren Kulturtechnik verdeutlichen, nämlich dem Nüsseknacken.

Die alltägliche Kunst des Nussknackens

Im Laufe meiner Feldforschung mit Khoisan-Sprechern im südlichen Afrika habe ich lange Zeit an einem Ort verbracht, der „Mangetti“ heißt, benannt nach einem Baum, der dort in einem großen Wald wächst, und dessen

2 Lee benutzt den in seiner Forschungsregion gängi-gen Namen Mongongo, der lokale Name der Hai // om für diese Nuss ist / Gom-e, der Ort entsprechend / Gom-ais genannt.

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sen aufsammeln. Die dicke Schale schützt die innere Nuss so gut, dass sie auch dann noch ohne Verunreinigung oder Geschmacksver-lust gegessen werden kann, wenn sie zuvor im Magen eines Wiederkäuers war.

Der Nachteil der dicken Schale ist aber offensichtlich, dass zum Knacken durchaus die entsprechende Kraft und Fertigkeit nötig sind. Selbst geübte Knacker können die innere Nuss meist nicht mit einem einzigen Schlag aus der Schale befreien, meist sind zwei oder drei Schläge nötig. Das regelmäßige Klopfen – tock-tock-tock [Pause, neue Nuss] tock-tock-tock – ist weithin vernehmbar und wird mitunter sogar als Orientierungshilfe benutzt, wenn man in dichtem Buschwerk die Hütte oder das Lager einer Gruppe sucht. Ungeübte Knacker, etwa Ethnologen auf der Feldfor-schung, erkennt man leicht an ihrer ungeüb-ten Schlagfolge der folgenden Art: tick-tick-tick-tiick [Pause] tock-tock-toook [weitere Pause], tock-tock-tunk [komplette Zerstö-rung der Nuss]. Die Fertigkeit des geübten Nussknackers besteht darin, genug, aber nicht zu viel Kraft in den Schlag beziehungsweise die Schläge zu setzen. Meist wird versucht, mit dem ersten und zweiten Schlag die Nuss an ihrer Längsseite zu spalten und dann in einem weiteren, vorsichtigeren Schlag die Schale in zwei saubere Teile zu zerlegen und so die innere Nuss freizulegen. Ungeübte Knacker hingegen beginnen oft zu zaghaft, da sie die Stärke der Schale noch nicht einschätzen kön-nen, verstärken dann die Kraft und landen am Ende zu starke Schläge, die, nachdem die Schale gespalten ist, dann die gesamte innere Nuss zermalmen oder zumindest die harte, dünne Schutzhülle der inneren Nuss zerstö-ren. Ob diese innere Schutzhülle zusammen mit der äußeren Schale von der Nuss getrennt werden soll oder nicht, hängt von der weiteren Verwendung der Nuss ab. Die dunkle Schutz-hülle ist essbar, aber sehr hart. Sie ist von Nut-zen, wenn man die Nuss vor dem Verzehr noch in heißer Asche rösten will, denn so bleibt das

aufrecht fixiert werden. Nachdem das äußere Fruchtfleisch abgegessen oder einfach ver-dorrt ist, bleibt eine Nuss, die etwa die Größe und Form einer Olive hat. Darin befindet sich die etwa Haselnuss-große innere Nuss. Das bedeutet, dass die umschließende Schale der Nuss sehr dick und fest ist. Das hat Vorteile dahingehend, dass die Nüsse sich sehr lange halten und nicht verderben, auch wenn sie über Wochen und Monate unter dem Baum liegen oder selbst, wenn sie bereits von Tieren abgekaut wurden. Hai // om in der Region Mangetti haben sich unter anderem darauf spezialisiert, Nüsse in den Kraals von Ziegen zu sammeln. Die Ziegen fressen die Nüsse im Laufe des Tages, spucken sie als Wiederkäuer aber dann in ihrer Zeit im Kraal wieder aus, nachdem sie das äußere Fruchtfleisch abge-nagt und verdaut haben. Auf diese Weise lassen sich in kürzester Zeit große Mengen an Nüs-

Abb. 1: =| Akhoe Hai // om beim Knacken von Mangetti-Nüssen im nördlichen Namibia (Foto Th. Widlok).

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sozio-kulturellen Kontexts ist, wird beim Ver-such des Knackens zunächst scheitern, einmal weil er oder sie weder die Übung hat noch das körperliche implizite Wissen für die rich-tige Schlagtechnik, und zum anderen weil es am lokalen Wissen fehlt, welches die Nutzung dieser Nüsse reguliert und ermöglicht.

Nüsse, Maschinen, Technologien: Eine Kritik der ökologischen Phänomenologie

Weshalb ist es nun irreführend diese doch rela-tiv komplexen Prozesse als eine ‚Technologie‘ zu beschreiben? Dazu lohnt der genaue Ver-gleich mit technologischem Nüsseknacken. Obwohl in Namibia mit Mühlen für einige Baumnüsse (z. B. Marula) erfolgreich expe-rimentiert wurde, gibt es keine Mangetti-Knack-Maschinen. Solche Knackmaschinen (für Walnüsse) lassen sich auf den Webseiten von Technologie-Schmieden in Europa stu-dieren.3 Automatisierte Nussknackmaschi-nen funktionieren nach dem gleichen Prinzip wie Maschinen, die man auch aus anderen Kontexten kennt. Charakteristisch für eine Maschine ist die Umwandlung einer hin-her Bewegung, die der manuellen Körperbewe-gung folgt, in eine kreisförmige Bewegung, die sich dann zur Mechanisierung eignet, also zu einem Antrieb mit der Kraft von Tieren, von Wasser oder von Dampf und Strom (siehe Ingold 2000, 303). Entsprechend wichtig war die Erfindung der Kurbel für die Mechani-sierung von Arbeitsabläufen. Das bekannteste Beispiel für die Umstellung auf eine rotierende Arbeitsweise ist die Veränderung von einer manueller Säge zur maschinellen Kreissäge, eine Umwandlung von einer manuellen hin-

weiche, weiße Fruchtfleisch der Nuss sauber und unversehrt. Wenn die Nuss allerdings in einem Mörser zerstoßen werden soll, dann stört die Schutzhülle womöglich. Aus diesem Grund werden heute von vielen Hai // om Axt- und Beilklingen als ‚Unterlage‘ für das Knacken von Nüssen bevorzugt, weil sich dann die Klinge typischerweise in der Schale verkantet und man dann die Schale kontrol-liert mit der Hand abspreizen kann.

Erfolgreiches Nüsseknacken braucht also Erfahrung, ein Paradebeispiel für embodied skill Ingolds, weil man nach einiger Zeit es ‚im Gefühl‘ hat, wo man den Schlag ansetzt, wie stark er sein muss, wie viele Schläge benötigt werden. Die nötigen Informationen gewinnt der Nussknacker aus dem Gewicht des Steins, dem Zustand der Nuss (frisch oder alt, groß oder klein) und auch dem Geräusch des Kna-ckens, das dem Erfahrenen signalisiert, wie weit die Nussschale bereits geöffnet oder zerstört ist. Bisher nicht erwähnt, aber für das erfolg-reiche Knacken letztlich genauso wichtig sind Erfahrungen, die mit dem Auffinden der Nüsse zu tun haben. Dazu gehören Kenntnisse über Standort der Bäume (nur weibliche Bäume tragen Nüsse, Mangetti-Bäume wachsen rela-tiv schnell, sterben aber auch schnell ab) und über die Saisonalität der Nüsse (unter ande-rem von den lokal sehr unterschiedlichen und erratischen Regenfällen abhängig). Schließ-lich gehören auch Eigentumsfragen dazu. Obwohl Bäume nicht im Privatbesitz sind, wird bei fortgesetzter Nutzung erwartet, dass die Bewohner eines Ortes das Recht haben, gefragt zu werden. Und zumindest früher gab es „first-fruit ceremonies“, das „Kosten der ers-ten Frucht“ durch Älteste, mit einem Tabu der Ernte von unreifen Früchten bevor das Kosten stattgefunden hat (siehe Widlok 1999, 214).

Zusammenfassend lässt sich also sagen: Wir haben es hier mit einer Kulturtechnik zu tun, die sozial erlernt ist und in ganz bestimmten sozialen Kontexten aufgebaut, gestaltet und anwendbar ist. Jemand, der nicht Teil dieses

3 Ein Beispiel ist zu finden unter: https: // www.you-tube.com / watch?v=yE3KoAySyRw (16. 8. 2014).

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rung der Kenntnisse. Entsprechend beschrei-ben Ethnologen wie Tim Ingold die Entwick-lung der Technologie nicht als eine Geschichte zunehmender Komplexität, sondern als eine Geschichte zunehmender Externalität. Wenn Kulturtechniken in erster Linie aus embodied skills bestehen, dann ist das Besondere an Technologien, dass sie diese Bindung an inter-nalisierte, verkörperlichte Fertigkeiten aufhe-ben und externalisieren. Entsprechend hält es Ingold dann auch für falsch, den Begriff Technologie auf diese Kulturtechniken zu erweitern, da wir es bei der Technologie, so wie sie im westlichen Denken konzipiert ist, mit einem von den sozialen Kontexten abge-schlossenen, transferierbaren System zu tun haben. In Ingolds Sicht ist eine auf diese Weise als Technologie konzipierte Technikvorstel-lung eine rezente Erfindung des Westens und nicht ohne weiteres anwendbar auf andere Kontexte, in denen diese Externalisierung weder gewünscht noch realisiert ist. Mit Blick auf die Begrifflichkeit der Fremdheit: Die eth-nographische Fremdheit von Kulturtechniken wie etwa des Nüsseknackens (oder des Trom-melns) verbietet es, sie als Technologien zu bezeichnen, weil hier die Entkopplung vom körperlichen und sozialen Kontext weder Ziel noch Praxis ist. Die europäische Katego-rie ‚Technologie‘ wäre demnach nicht geeig-net, weil sie etwas ganz anderes beschreibt. Als Alternative schlägt Ingold vor, in diesen Fällen von „body techniques“ zu sprechen, einem Ent-wicklungssystem (developmental system), beste-hend aus der komplexen Interaktion zwischen Technik, Körper, Kognition, Materialien und sozialen Beziehungen, die alle miteinander verflochten sind. Das Nüsseknacken braucht die Steine, die Übung, die Anleitung, das Sozi-algefüge von Zugangsregeln usw. Dieser öko-logisch-phänomenologischen Sicht folgend (siehe Ingold 2011, 11) wären Kulturtech-niken „embedded“, während die Technologie des Westens als „disembedded“ zu bezeichnen wäre (Ingold 2000, 290). Eine solche Darstel-

und-her-Bewegung zu einer Kreisbewegung, die sehr unterschiedliche indirekte Antriebe nutzen kann. Auch die Nussknackmaschine besteht aus einer rotierenden Trommel, die so geformt ist, dass Nüsse, die dort hineinge-langen, von entsprechenden in der Bewegung entgegengesetzten Metallteilen durch die Drehbewegung gequetscht beziehungsweise geknackt werden. Alle Maschinen, die Räder und Motoren haben, folgen einem ähnlichen Prinzip. Dadurch wird es zum einen möglich, sehr verschiedene Antriebe zu nutzen. Statt der sehr komplexen Bewegung eines mensch-lichen Arms können hier nicht-menschliche und selbst ‚anorganische‘ Kräfte genutzt wer-den, solange sie ein Rad antreiben können, mit dessen Hilfe dann eine auf-ab-Bewegung entweder simuliert oder ersetzt werden kann. Diese Maschinen, einschließlich der Nuss-knackmaschinen, sind auch von Kindern oder anderen ungeübten Menschen zu bedienen. Jeder, der einen Sack Nüsse ausleeren kann, kann am Ende geknackte Nüsse in Empfang nehmen. Nichts muss eingeübt werden, es gibt stattdessen einfach eine Gebrauchsanweisung, der man quasi sklavisch folgen muss und der Rest ergibt sich. Die komplexen, für das Kna-cken nötigen Bewegungsabläufe werden in die Maschine hineingelegt, aus Sicht des Men-schen externalisiert, müssen also nicht vom Menschen ausgeführt werden. Der Mensch wird beim ganzen Ablauf peripher. Die Aus-führung der Bewegungen wird entkoppelt von den individuellen Sinneswahrnehmun-gen. Alles, was beim manuellen Knacken so wichtig für den Erfolg ist, wird für denjeni-gen entbehrlich, der die Maschine bedient: Die Töne, die taktilen Informationen über Gewicht, Widerstand und Zustand von Nuss, Nussschale und der manuellen Werkzeuge, die Abfolge der Schläge in Abstimmung mit dem bereits Erreichten.

Dabei muss die Maschine selber nicht unbe-dingt komplexer sein als die beschriebenen Fertigkeiten – entscheidender ist die Auslage-

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dass wir es hier mit einer Technologie im oben eingangs beschriebenen Sinne zu tun haben, das heißt mit externalisiertem Wis-sen, das in Buchform von einem Koch zum nächsten und von einer Generation oder Kul-tur zur nächsten, weitergegeben wird. Ingold führt aber zwei Gründe an, weshalb diese Sicht des Kochens (generell, überall) falsch ist. Zum einen fehlt in den Kochrezepten oft viel Information, die vorausgesetzt werden kann, solange es keinen großen zeitlichen oder kul-turellen Abstand gibt. Es wird für gewöhnlich vorausgesetzt, dass der Leser weiß, wie man z. B. Wasser zum Kochen bringt, Zutaten rich-tig abwiegt, Gemüse abwellt oder blanchiert usw. Schon innerhalb weniger Jahrzehnte können sich hier die kulturellen Grundlagen ändern. Wenn zum Beispiel in alten Rezep-ten von ‚toasten‘ gesprochen wird und eine offene Feuerstelle gemeint ist, dann sind einige Anweisungen heute in der Zeit der elektri-schen Toaster nicht mehr ohne weiteres zu ver-stehen. Rezepte setzen viel Wissen voraus und lassen viele Schritte aus, weil sie kulturell als bekannt vorausgesetzt werden. Daneben set-zen Rezepte auch ‚inkorporierte Fertigkeiten‘ (embodied skills) voraus, die ebensowenig durch die Lektüre von Kochbüchern vermittelt wer-den kann. Ingolds Beispiel ist das Aufschlagen eines Eies. Kochbücher und Küchengeräte sollten uns nicht darüber hinweg täuschen, dass für das gekonnte Aufschlagen eines Eies Fertigkeiten nötig sind, die man sich nicht aus Rezepten oder Gebrauchsanweisungen aneig-net, sondern durch praktisches Üben. Meistens führt dabei ein geübter Erwachsener die Hand des Neulings. Das Ei wird am Rand kurz angeschlagen, um dann über den Ton (und

lung betont ethnographische Fremdheit und ‚erklärt‘ die Unterschiede beziehungsweise die ‚Unvergleichlichkeit‘ von Phänomenen, die zwar ähnlich erscheinen, sich aber in unterschiedlichen Kategorien befinden. Der Preis ist eine Zweiteilung der Welt in ‚wir‘ und ‚sie‘, die sich bereits in anderen Feldern als irreführend erwiesen hat. ‚Sie haben Kul-turtechniken, wir haben Technologie‘ parallel zu ‚Sie haben Religion, wir haben Glauben‘, ‚Sie haben Ritual, wir haben Protokolle‘, ‚Sie haben Geister, wir haben Körperschaften‘, ‚Sie haben lokales spezifisches Wissen, wir haben allgemeines Wissen‘ oder ganz allgemein ‚Sie haben Kultur, wir sind modern‘. Eine Kritik dieser Position findet sich unter anderem bei Bruno Latour (1993). Es lohnt sich daher im Weiteren zu untersuchen, ob es sich hier viel-leicht gar nicht so sehr um einen Fall von eth-nographischer Fremdheit handelt, sondern um einen Fall von anthropologischer Fremdheit.

Die Perspektive der anthropologischen Fremdheit auf handwerkliche Fertigkeiten und Kulturtechniken ist bereits in Ingolds Arbeiten zu „skill“ angelegt (vgl. Ingold 2000). Mehr oder weniger explizit argumentiert er an verschiedenen Stellen, dass die komplexen Entwicklungssysteme, die er für einige ‚nicht-moderne‘ oder ‚vor-moderne‘ Fälle beschreibt, die eigentlich zutreffendere Beschreibung dessen ist, was den Menschen allgemein aus-macht. Demnach wäre die europäische Idee von Technik als Technologie eine Illusion oder eine Ideologie nicht nur für die beschriebe-nen afrikanischen Praktiken, sondern auch mit Blick auf die westlichen Bespiele. Die Aufgabe wäre entsprechend, dass wir zurückfinden zu einer Beschreibung von technischen Vorgän-gen als Körpertechniken und eben nicht als Technologien – auch bei ‚uns‘. Das wird an den Beispielen deutlich, die Ingold aus dem europäischen Kontext nimmt, z. B. mit Blick auf das Kochen.4

Es gibt in der europäischen Moderne Koch-bücher, die den Eindruck erwecken können,

4 Ingolds Vorlesung zu diesem Thema „To learn is to improvise a movement along a way of life“ ist online abrufbar unter www.cognitionandculture.net / lectures und www.youtube.com / watch?v=lDaaPaK-N5o (16. 8. 2014).

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Menschen in die Lage versetzt, so zu kochen, wie sie es tun, dann ist nicht so sehr ethno-graphische, sondern anthropologische Fremd-heit zu überwinden, denn wir alle wissen meist nur implizit, wie wir tun, was wir tun. Diese Fremdheit verschwindet nicht mit der Ankunft von Nussknackmaschinen. Auch die Nussknackmaschine, so mein Argument, ist Teil eines umfassenden komplexen Entwick-lungssystems, in dem natürlich auch soziale Beziehungen und eine ganze Reihe von kul-turellen Vorbedingungen erfüllt sein müssen, damit am Ende die geknackten Nüsse gegessen werden können. Ich meine hier nicht nur die Geschichte der verschiedensten Erfindungen und Wissensbestände, die gegeben sein müs-sen, also Wissen über Materialien, über Phy-sik usw., sondern auch der Kontext, der z. B. den nötigen Strom liefert, um diese Maschine zu betreiben und die wirtschaftlichen Akti-vitäten, die nötig sind, um das nötige Geld für eine solche Maschine aufzubringen, aber auch Aktivitäten und Handlungen, die die Menschen dazu bringen, von nun an Nüsse mit einer Maschine zu knacken. Es gibt Hin-weise in Studien zur Industriearbeit, dass selbst die Arbeit am Fließband, der externalisierten Maschine par excellence, inkorporierte Fer-tigkeiten involviert. Arbeiter am Band berich-ten davon, dass sie mit der Zeit eine Art flow erreichen, der sich unter anderem dann zeigt, wenn er gestört wird, wenn beispielsweise die Betriebsleitung die Geschwindigkeit des Ban-des ändert und damit die Arbeiter ‚aus dem Rhythmus‘ bringt (siehe Beynon 1975, 76).

Wir können also in Abwandlung dessen, was Ingold beschreibt, festhalten, dass der Übergang von Kulturtechnik zur Technologie nicht ein lineares disembedding ist, also ein Her-ausschälen, sondern vielmehr ein re-embedding, ein Umbetten in andere soziale und kultu-relle Zusammenhänge. Statt der ‚wir‘-versus-‚sie‘-Dichotomie zwischen der auf Abstand zielenden Technologie einerseits und den im Körper des jeweils Einzelnen verwurzelten

die Erfahrung) einen Schlag auszuführen, der kräftig genug ist, um eine ausreichend große Lücke zu schaffen, aus der das Eiweiß und Eigelb (möglichst getrennt) entweichen kann, aber nicht zu kräftig ist, so dass Eierschalen in den Topf fallen würden. Ein gekonntes Auf-schlagen eines Eies, so dass beispielsweise eine Trennung von Eiweiß, Eigelb und Eierschale möglich ist, erinnert dann sehr an das oben beschriebene Nüsseknacken. Letztendlich zeigt Ingold also, dass auch unsere Handlungen in einer hochtechnisierten Umgebung letzt-lich auf Kulturtechniken beruhen, die keine Technologien im extremen Sinn von externa-lisierten, objektivierten Abläufen sind. Ingold bemüht sich in diesem Beispiel und in seinem gesamten rezenten Werk darum, den Status der verkörperten Praxis und des impliziten Wis-sens gegenüber den Rezepten, den Blaupau-sen, und den Codes des theoretischen Wissens aufzuwerten und in seiner Bedeutung ange-messen zu würdigen. Dieses phänomenologi-sche Freilegen der menschlichen Erfahrung lässt das Kochen nach Rezept, das Leben nach Codes, als bedauerliche Entfremdung erschei-nen, der Europa und der moderne Westen anheim gefallen sind. Während die zugrunde-liegende Erfahrung nur noch in früheren Zei-ten und an fernen Orten intakt ist, so bleibt sie auch in den Zeiten der Kochbücher unter der Oberfläche weiterhin wirkmächtig, aller-dings ist, nach Ingold, unser Blick darauf ver-stellt. Im Gegensatz dazu möchte ich betonen, dass diese ‚Entfremdung‘ zum einen zur condi-tio humana gehört, und zum anderen, dass sie auch nicht nur bedauerlich ist oder umkehr-bar wäre. Anschließend an Helmuth Plessner (1950 / 2003) gehe ich davon aus, dass es eine menschliche Grundkonstante ist, genau zwi-schen diesen beiden Sicht- und Handlungs-weisen hin und her zu pendeln, zwischen der planenden Abstandshaltung und der involvier-ten Einbettung.

Mit anderen Worten, wenn wir verstehen wollen, wie Kochen funktioniert, was die

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hinweg. Auch das ist, meiner Einschätzung nach, ein geschönter Blick zurück. Viele der hohen Leistungen, die heute im Vergleich zu früher und die im Westen im Vergleich zum Rest der Welt zu beobachten sind, können genauso gut einer allgemeinen Zunahme der Bevölkerung und ihrer Aktivitäten geschul-det sein. Im Verhältnis zum Gesamtvolumen der menschlichen Unternehmungen, wenn man diese denn einfach messen könnte, lassen sich für viele Bereiche eine große Zahl von gescheiterten Trainingsversuchen ins Feld füh-ren. Für jeden virtuosen Musiker gibt es eine große Zahl von gänzlich Unmusikalischen, für jede produktive Erfindung gibt es destruktive Gegenstücke usw. Zudem gibt es ein Training ‚nach unten‘, das Einschleifen unproduktiver und schädlicher Verhaltensweisen. Entspre-chend gibt es in einigen Bereichen auch eine Bewegung, die versucht, den Abstand zu redu-zieren, durch ‚hands-on learning‘, durch eine Wertschätzung handwerklicher Arbeit und der (Wieder-) Gewinnung von Autonomie in Herstellungsprozessen. Sowohl Sloterdijk als auch Ingold lesen die empirischen Belege eher selektiv und kommen so in ihrer Dar-stellung zu einer deutlich linearen Entwick-lungslinie hin zur Externalisierung (wenn auch unter anderen Vorzeichen). Es lohnt sich an dieser Stelle Herangehensweisen der kogni-tiven Archäologie einzubeziehen, die sich zum Ziel gesetzt hat, die Grenze zwischen externa-lisiertem Wissen und den im Körper des Ein-zelnen verankerten Fertigkeiten detailgenau zu beschreiben.

Pfeile, Pläne, Module: Eine Kritik der kognitiven Archäologie

Der vor allem von M. Lombard und M. N. Haidle (2012) entwickelte Ansatz der kognitiven Archäologie weist darauf hin, dass der Prozess des Externalisierens, den Ingold für das Aufkommen der Maschinen beschreibt,

Kulturtechniken andererseits, würde demnach eine dynamische Bewegung zwischen die-sen beiden Enden eines Spektrums vorliegen. Einer genaueren Klärung bedarf dabei noch die Frage, ob hier eine lineare Tendenz und Entwicklungslinie hin zu einer zunehmenden Abstandshaltung und Externalisierung festzu-stellen ist oder ob es sich um eine Grundkon-stitution mit einer gewissen Variationsbreite handelt. Die erstgenannte Position findet sich nicht nur in der Ethnologie Ingolds wieder, sondern prominent auch in der Philosophie von Sloterdijk (2012). Zwar sieht Sloterdijk, im Gegensatz zu Ingold, einen Fortschritt in dem so neu definierten Zivilisationsprozess, aber er teilt mit Ingold die Sicht, dass die von Plessner beschriebene exzentrische Position nicht für alle Menschen gegeben ist, sondern sich darin eine historisch nachvollziehbare Entwicklung zu einer größeren Abstandshaltung zeigt (Slo-terdijk 2012, 564). Dabei schauen sowohl Slo-terdijk als auch Ingold meines Erachtens zu sehr auf die erfolgreichen Adaptionen des Men-schen und geben den Belegen des Scheiterns nicht genug Aufmerksamkeit. Ingolds Beispiel für erfolgreich körperlich inkorporierte Fer-tigkeiten sind Musiker, gute Handwerker und Künstler, denen es ohne Rezeptbuch und ohne Blaupause gelingt, es zu hoher Meister-schaft zu bringen. Demgegenüber würde ich festhalten wollen, dass für jedes erfolgreich gekochte Essen, jedes meisterhaft gespielte Musikstück, jeden wohlgeformten Tontopf es immer mehrere misslungene Ergebnisse gibt. Die vorgefertigten, oder halb-vorgefertigten Blaupausen und Rezepte sind sinnvolle Hilfs-mittel, die angenommen werden, nicht weil es grundsätzlich eine zivilisatorische Tendenz zu größerem Abstand gäbe, sondern im Versuch, die ständige Gefahr der gescheiterten Unter-nehmungen zu reduzieren – selbstverständlich ohne eine Garantie für den Erfolg zu sein. Slo-terdijk sieht ein unaufhaltsames Voranschreiten des ‚Trainings‘ in allen wichtigen Unterneh-mungen des Menschens über die Jahrhunderte

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Das Ergebnis sind umfangreiche Schaubil-der, in denen alle Einzelschritte festgehalten sind, die letztlich dafür nötig sind, dass bei-spielsweise ein Pfeil und ein Bogen erfolgreich hergestellt werden. Ohne die Komplexität hier reproduzieren zu können, genügt es in diesem Zusammenhang das dahinterliegende Prinzip sichtbar zu machen: Ein handwerklich her-gestellter Pfeil ist ein komplexes Gebilde, das Ergebnis eines komplexen Entwicklungspro-zesses, zu dem zunächst die Gewinnung der nötigen Materialien (Stein, Holz, Metall oder Knochen, Federn usw.) und der damit verbun-denen technischen Fertigkeiten gehört. Jede dieser Materialien bedarf mehrerer Schritte der Verarbeitung – das Schmieden beziehungs-weise Schlagen der Pfeilspitzen, das Schnit-zen des Holzschaftes usw. – die jeweils noch

viel weiter in die Vergangenheit verlagert und verallgemeinert werden kann. Die bearbeiteten Beispiele beziehen sich auf sogenannte ‚einfa-che‘ Werkzeuge der Jäger und Sammler, und hier vor allem auf Waffen wie Pfeil und Bogen. Während ich oben diskursiv die relative Kom-plexität von Handlungen wie dem Nüssekna-cken beschrieben habe, schlagen Lombard und Haidle (2012) ein formales Notationssystem vor, um die Komplexität der hier involvierten Kulturtechniken modular darstellen zu kön-nen. Konkret wird etwa die Herstellung von Pfeil und Bogen in viele kleine Unterziele und Unterprodukte zerlegt, von der Wahrneh-mung des Hungerbedürfnisses, über die Her-stellung aller Einzelteile und Hilfsmittel bis hin zum Einsatz des Bogens für die erfolgrei-che Bedürfnisbefriedigung (Abb. 2a).

Abb. 2a: Ausschnitt aus einem „cognigram“ (Kognigramm) für das Jagen mit Pfeil und Bogen nach M. Lom-bard und M. Haidle. Quadrate stehen für „Aktivitäten“, während „Werkzeuge“ mit trapezförmigen und „Bedürfnisse“ mit rautenförmigen Symbolen dargestellt werden (verändert nach Lombard / Haidle 2012, 255 Abb. 9).

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nötigen Gegenstände, wie z. B. ein Blasebalg für das Schmieden, müssen nicht von jedem angeschafft werden, und nicht alle modula-ren Fertigkeiten müssen in einem Individuum oder in einer Gruppe oder in einer Epoche oder Region vereint sein. Ohne diese Verteilt-heit würde schon die Herstellung von Pfeil und Bogen den Einzelnen oft überfordern, und auch ein Mensch, der eine komplexe Maschine zur Verfügung hat, muss sie nicht in all ihren Einzelheiten verstehen oder selber produzieren können.

Tatsächlich unterstreicht die Ethnographie der Jäger und Sammler diesen Punkt in ver-schiedener Hinsicht. So ist schon in vorkolo-nialer Zeit Handel und Austausch zwischen verschiedenen Gruppen belegt, die sich jeweils auf den Eisenerzabbau, auf die Eisenherstel-lung, die Schmiedearbeit und die Nutzung der erstellten Eisenprodukte beschränken (siehe Widlok 1999). Mit Blick auf Pfeil und Bogen

weiter unterteilt werden können in konstitu-ierende Einheiten, wie etwa dem Entfachen eines Feuers, dem Vorbereiten eines Werkzeugs usw. (Abb. 2b). Das Modell der kognitiven Archäologie geht allerdings über diese Zusam-menstellung der nötigen Schritte hinaus. Der Erkenntnisgewinn des komplexen modularen Notationssystems ist es, dass es zeigen kann, dass nicht jeder, der einen Pfeil und Bogen ver-wenden will, alle diese Module beherrschen und ausführen muss. Vielmehr sind viele der nötigen Arbeitsschritte quasi ausgelagert, eine frühe Form des outsourcing sozusagen. Auch die Innovation und die kulturelle Diffusion lässt sich hier als eine Vielzahl von kleinen Verän-derungsschritten darstellen, ohne dass es der Vorstellung eines individuellen „Genius“ oder eines kulturellen Zentrums bedarf (die ja nur in den seltensten Fällen eindeutig nachweisbar sind). Das nötige Wissen wird in festen Abläu-fen gespeichert, unterteilt und verteilt. Die

Abb. 2b: Ausschnitt aus der Wirkungskette („effective chain“ [Effektivkette]) für die Herstellung des Pfeils im Gesamtprozess des Jagens mit Pfeil und Bogen in der Darstellungsweise von M. Lombard und M. Haidle. Der Kreis mit dem Plus symbolisiert den Punkt, an dem vormals unabhängige „Foki der Auf-merksamkeit“ zu einem zusammengesetzten Fokus verschmelzen (verändert nach Lombard / Haidle 2012, 257 Abb. 10c).

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chen. Beides sind nur graduell verschiedene Manifestationen von ineinandergeschach-telten Abläufen. Keine Wasserscheide trennt mehr die Kulturtechniken der anderen von ‚unserer‘ Technologie. Das Schaubild für eine Nuss-Knackmaschine ist lediglich umfangrei-cher als das eines im manuellen Nussknacken versierten Individuums. Das Schaubild zeigt, wie sich die verteilte Kognitive (distributed cog-nition) über verschiedene Menschen, Objekte und Praktiken erstreckt.

Quasi nebenbei erklärt dieses Modell, wes-halb aus dem Blick des Einzelnen und sei-ner Fertigkeiten die Komplexität über sehr unterschiedliche Kontexte hinweg konstant oder doch vergleichbar zu sein scheint, auch wenn mit Blick auf das Gesamtbild sich sehr wohl Unterschiede feststellen lassen. Wenn der Mensch demnach immer und überall ‚exter-

ist belegt, dass der erfolgreiche Jäger oft mit Pfeilen schießt, die er nicht selber gemacht hat, sondern oftmals die inzwischen etwas älteren, aber umso erfahreneren Männer im gleichen Lager (Abb. 3). Die Regel, dass der Herstel-ler des Pfeils neben dem erfolgreichen Jäger Anrechte auf das Fleisch hat (Widlok 1999, 70), fördert diese Modularität der Fertigkeiten genauso wie die Praktiken des Glücksspiels, die dafür sorgen, dass gute und schlechte Pfeile von unterschiedlichen Männern sich in den Köchern der Jäger wiederfinden (Woodburn 1968, 53). Auch über die Einzelfälle hinaus hat die Form der Beschreibung wie sie von kog-nitiven Archäologen vorgeschlagen wird, Vor-teile. Mithilfe dieser Konzeptualiserung gelingt es in einem Rahmen sowohl über die Kultur-techniken der kulturell fremden Tätigkeiten als auch über ‚eigene‘ Technologie zu spre-

Abb. 3: =| Akhoe Hai // om bei der Herstellung von Pfeilen im nördlichen Namibia (Foto Th. Widlok).

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das gewobene Geflecht, in dem der virtuose Handwerker involviert ist, dort eine lineare Reihe wie am Fließband, die ohne Rücksicht zerschnitten und in Module gehackt wird, um sie dann in einer Art Netzwerkanalyse wie-der zusammen zu setzen. Aus der Sicht von Ingolds ökologischer Phänomenologie wird in der Beschreibung der kognitiven Archäo-logie die westliche Ideologie der Technologie zur Methode für die allgemeine vergleichende Analyse gemacht. Die Priorisierung der Modularität über das verwobene Leben ist aus dieser Sicht ein erneutes Überstülpen eines westlichen Konzepts von Modularität und Netzwerk, die für die westliche Technologie so entscheidend sind. Allerdings ähneln sich die kognitive Archäologie und die ökologi-sche Phänomenologie in einem Punkt. In bei-den Fällen haben wir es mit Vorstellungen von Komplexität und Totalität zu tun, wenn auch sehr unterschiedlich aufgefasst. In der kogni-tiven Archäologie Haidles besteht die kom-plexe Totalität aus der analytischen Summe von diskreten Einzelereignissen. Ingold nennt dies das Sigma-Prinzip (2011, 232) und kri-tisiert, dass dies vielleicht für leblose Maschi-nen eine angemessene Beschreibung ist, nicht aber für den Prozess des embodied enskilment, bei Ingold eine holistisch-deskriptive Totalität, die nur als Gesamtprozess mit einem entspre-chenden flow zu sehen ist. Die Totalität ist hier Ausdruck eines verwobenen Seins, getrieben von treibenden, vitalen Lebensprozessen. Das macht nach Ingold letztlich das Leben aus: Im Vergleich zu mechanischen, anorganischen Prozessen, können lebende Wesen gar nicht anders als Teil zu haben an diesen verwobenen Entwicklungsprozessen. Es ist die Bestimmung der Lebewesen, sich in ihren Fertigkeiten zu entfalten.

Die „totalisierenden“ Tendenzen in beiden Ausprägungen legen einen ethnographischen Vergleich getrennter, diskreter Systeme nahe, wobei die Grenzziehung der Systeme in bei-den Fällen problematisch ist: Auch komplexe

nalisiert‘ beziehungsweise Wissen und Fer-tigkeiten ausgelagert hat, bleibt die Frage ob die Externalisierung insgesamt zugenommen hat oder nicht. Die Antwort hängt davon ab, wo die Grenze zwischen ‚intern‘ und ‚extern‘ gezogen wird. Die Kognitionswissenschaften nehmen mehrheitlich eine Organismus-zen-trierte Sichtweise ein, nach der ‚innen‘ bedeu-tet ‚innerhalb der Haut‘, der im Gehirn abge-speicherten Erinnerungen usw. Es gibt jedoch auch – als Minderheitenposition innerhalb der westlichen Wissenschaft – die Sicht, dass vor allem für komplexe Bewusstseins- und Ver-haltensweisen diese Grenzziehung eher arbi-trär ist, da sie sich nie isolierbar auf Vorgänge innerhalb des einzelnen Organismus beschrän-ken (siehe Fuchs 2008).

Erkauft werden diese Vorteile der Darstel-lung der kognitiven Archäologie allerdings von einer Darstellungsweise, die wiederum Aspekte der westlichen Vorstellung von Tech-nologie auf die ‚inkorporierten‘ Tätigkeiten der Jäger und Sammler ausdehnt. Maschinen sind nicht nur dadurch charakterisiert, dass sie unabhängig von spezifischen Situationen und Personen einsetzbar sein sollen, sondern dass sie in der Herstellung (und entsprechend in der Reparatur) modular aufgebaut sind. Am Fließband werden vorgefertigte Bauteile so montiert, dass weder der Hersteller des ein-zelnen Bausteins, noch der Monteur dieses Bausteins über die anderen Module oder über den Gesamtbauplan Kenntnisse oder Fertig-keiten besitzen muss. Die Austauschbarkeit und Standardisierung der Module und ihre Verbindungen sind für das rationelle Funkti-onieren von Maschinen zentral. Für die Fer-tigkeiten des Künstlers oder Handwerkers, so wie er von Ingold beschrieben wurde, ist im Gegensatz dazu wichtig, dass über einen übenden Zeitraum hinweg eine Verbindung zum Material entsteht und dass Erfahrungen über die vorangegangenen Fertigungsschritte in den Prozess mit einfließen. Die beiden Prozesse könnten also anders nicht sein, hier

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Prozesses, würden aber beispielsweise in den Schaubildern der kognitiven Archäologie nicht auftauchen. Ähnlich könnte man mit Blick auf Ingold sagen, dass für jede Manifestation eines skillful embodiment es mehrere unskillful embodi-ments gibt.5

Mit anderen Worten, viele Probleme wer-den nicht gelöst, viele Werkzeuge funktionie-ren nicht, viele Jagden enden ergebnislos, viele Objekte werden als nicht brauchbar wegge-worfen oder eben als mögliche Ersatzteile für später liegen gelassen, oftmals wird ein sub-optimaler Ersatz verwendet z. B. bei der Her-stellung von Gegenständen und oft müssen spontane Abwandlungen gefunden werden. Im archäologischen Befund sind Fehlschläge nicht immer deutlich von absichtsvollen Vari-ationen zu erkennen, aber die ethnographi-schen Darstellungen geben Zeugnis davon, wie weit verbreitet das Scheitern tatsächlich ist, und sie verweisen damit auf einen Pro-zess, der für den Einzelnen im Extremfall das Ende seiner Welt bedeuten kann und der im Ganzen betrachtet eben durch Offenheit statt durch Totalität gekennzeichnet ist. Und das trifft nicht nur auf die Situation des Einzelnen zu, sondern auch auf die Zusammenschau der Fertigkeiten in einer menschlichen Gruppe: Der Grund weshalb Menschen lernen, Pfeil und Bogen zu gebrauchen, Nüsse erfolgreich zu knacken und selbst Maschinen dafür zu entwickeln, ist nicht nur (und vielleicht nicht

Technologien können mit gutem Grund als auf Erfahrungen mit einfacher Technik auf-bauend beschrieben werden. Dann wären die generationsübergreifenden Erfahrungen bei der Materialbearbeitung im Zuge des Baus von Pfeil und Bogen am Ende auch Teil eines geschachtelten Moduls heutiger industrieller Maschinen-Systeme, die letztlich auf diesen Erfahrungen aufbauen und vielleicht auch ähnliche Ziele verfolgen. Der Prozess des sich entwickelnden Lebens, auf den Ingold rekur-riert, ist ähnlich amorph und unbegrenzt und verliert damit seine beschreibende Schärfe. Aber es gibt Alternativen zur totalisierenden systemischen Darstellungsweise, auf die ich abschließend eingehen möchte. Diese Alter-native geht stärker auf die einzelnen Praktiken und ihre ungeordneten, offenen Aspekte ein.

Kulturtechniken, die scheitern

Die abschließende Sicht der hier diskutierten Kulturtechniken, die ich entwickeln möchte, lernt zwar von den beiden dargestellten theo-retischen Entwürfen, führt aber dann doch zu einer alternativen Sichtweise. Die Grundidee ist dabei, die Totalität, die in beiden Ansätzen zu finden ist, aufzubrechen und zu öffnen. Auf-gebrochen wird die Totalität zum einen durch das schon oben konstatierte Auseinanderfallen von Mensch und Welt. Auch wenn es virtuose Handwerker und Musiker gibt, von denen wir den Eindruck bekommen, sie wären ‚aus einem Guss‘ und unauflöslich miteinander verfloch-ten, so zeigen doch die vielen Fehlschläge und Missgriffe, die unvollendeten oder missglück-ten Versuche des Menschen, dass es im Nor-malfall eine Kluft zwischen Mensch und Welt gibt und eben keine unzerbrochene Totalität.

Viele, die meisten Dinge sogar, gehen nicht nach Plan und verfehlen ihre ‚um-zu-Funk-tion‘ im großen Ganzen (siehe Widlok 2008). Mit anderen Worten, viele Tätigkeiten erfüllen nicht ihren Zweck und sind trotzdem Teil des

5 Ingold selber ist ein guter Cellospieler und er gibt an, dass dies ethnographisch eine wichtige Erfahrung in seinem Verständnis davon ist, wie Fertigkeiten körper-lich aufgebaut werden (2000, 413). Ich gestehe hiermit ein, dass ich weder Cello noch ein anderes In strument annehmbar spiele und vielleicht lässt mich diese Erfah-rung auch in der Ethnographie der Jäger und Sammler das fortwährende Scheitern beim Entwickeln von Fer-tigkeiten sehen. Hierbei handelt es sich nicht einfach um ein vorläufiges Scheitern wie es der Musiker beim Üben auch erlebt, sondern ein bleibendes Scheitern, das nur sozial und überindividuell aufgefangen, aber nie komplett aufgehoben werden kann.

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Aktivitäten sind ‚um-zu-Aktivitäten‘, die inei-nander greifen. Das große Ziel, beispielsweise ‚ein Tier erbeuten‘ wird in viele Kleinziele zerteilt, z. B. einen gerade fliegenden Pfeil zu schnitzen, einen Bogen so zu spannen, dass der Pfeil ausreichend weit fliegt usw. Möglich wird dies nach Haidle durch die genuine Fähigkeit des Menschen, die Erfüllung von Wünschen aufzuschieben für ein weiter entferntes Ziel. So wie jedes Werkzeug als eine Ausweitung der Möglichkeiten des menschlichen Körpers gesehen werden kann, so werden die Mög-lichkeiten dadurch, dass Menschen arbeitstei-lig denken und arbeiten um einen weiteren Schritt verlängert und erweitert. Menschen tun auch Dinge, die erst viel später und nur in der Kombination mit vielen anderen Abläu-fen zum Ziel führen – sogar wenn sie alleine tätig sind. In dieser Sicht der Dinge liegt der Unterschied zwischen Mensch und Tier, nicht im Gebrauch der Werkzeuge, sondern in der Fähigkeit des Verschiebens von Gratifikation im Interesse eines übergeordneten Plans.

Es ist richtig und wichtig, den Erwartungs-horizont des Handelnden gegenüber den Tätigkeiten mit einzubeziehen, allerdings will ich unterstreichen, dass sich damit Haltungen verbinden, die oft sehr viel vielschichtiger und widersprüchlicher sind als das Aufschieben einer Gratifikation.

Kulturtechniken sind nicht nur Ausdruck der menschlichen Sorge um das Dasein – so würde es Heidegger z. B. beschreiben, auf den auch Ingold stark aufbaut. Sie sind auch Ausdruck des Verlangens und der Freude am geteilten Leben, wenn man statt Heidegger z. B. Emma-nuel Levinas heranzieht. Gut geschnitzte Pfeile treffen nicht nur ihr Ziel, sie sind für viele Jäger und Sammler auch ein befriedigendes Ziel, an dem sie lange feilen, selbst wenn sie den Pfeil am Ende nie abschießen werden. Missratene Pfeile, die schlecht fliegen oder Bögen, die wegen schlechter Verarbeitung brechen, bieten auch bei Jäger-Sammlern nicht nur Anlass zur Sorge, sondern auch Anlass zum Lachen. Die

in erster Linie) im vitalen Repertoire der Fer-tigkeiten der Einzelnen zu suchen oder in der Eingliederung in eine modulare Komplexi-tät. Vielmehr zeigt sich hier eine spezifische Kooperativität, die es ermöglicht, die vielen Fehlversuche aufzufangen, die den Normal-fall darstellen. Umgekehrt sind Fehlversuche, das Experimentieren mit schlechten Pfeilen, defekten Maschinen und schlecht geknack-ten Nüssen die Grundlage für das Entstehen von Fertigkeiten und Komplexität wie sie von Ingold und Haidle beschrieben werden. In der Primatenforschung zeigt sich, dass die Nei-gung zur Kooperativität schnell sinkt, wenn der Anlass für die Kooperation nicht mehr da ist oder wenn die anderen nicht mehr ihren Teil an der kooperativen Aufgabe erfüllen.6 Die menschliche Kooperativität hingegen ist (meistens) auf eine Art ‚gnädig‘, dadurch dass sie all dieses Scheitern zulässt, ohne dass damit die Zusammenarbeit sofort aufgekündigt würde. Die Aufgaben, die sich Menschen stel-len, werden nie vollständig gelöst und bleiben charakteristischerweise offen. Menschliche Sozialität kann mit dieser Offenheit umgehen wie es die Zusammenarbeit bei anderen Pri-maten offensichtlich nicht kann, offensichtlich weil der Mensch eine längere Erinnerungs-fähigkeit besitzt sowie eine höhere Leidens-fähigkeit oder auch ‚Mitleidensfähigkeit‘ im Angesicht des fortgesetzten Scheiterns.

Hinzu kommt der eingangs erwähnte zweite Aspekt der anthropologischen Fremd-heit, der es dem Menschen ermöglicht, und es von ihm verlangt, sich nicht nur planend-rational seinen Unternehmungen zu nähern, sondern immer auch eine unwillkürliche Haltung gegenüber diesen Unternehmungen möglich macht. In den Schemata der kogniti-ven Archäologie wird von einer Zielgerichtet-heit des gesamten Prozesses ausgegangen. Alle

6 Daniel Hanus, persönliche Mitteilung.

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zwangsläufig immer wieder gestört wird. Dass der Mensch, ob als Jäger und Sammler oder als Maschinist, in der Lage ist, so unterschiedliche Ausdrucksweisen gegenüber seinem eigenen Verhalten und den Produkten seines Schaf-fens an den Tag zu legen, liegt nach Plessner an der menschlichen Daseinsstruktur, die inva-riant über Zeiten und Orte hinweg aus einer exzentrischen Verunsicherung des Menschen in der Welt besteht (1961 / 2003, 230). Das Verständnis der beschriebenen Kulturtechni-ken auf dem Hintergrund dieser invarianten Daseinsweise unterscheidet sich sowohl von der Phänomenologie Ingolds als auch vom Kognitivismus Haidles. Die Kulturtechniken sind demnach nicht (wie sie uns bei Ingold entgegentreten) ein integraler Bestandteil eines vitalen Entwicklungsprozesses, und im Gegensatz zu Maschinen und Technologie noch nicht entfremdet. Vielmehr ist die relative Fremdheit des Menschen gegenüber geschaf-fenen Objekten und Schaffensprozessen ein unüberwindlicher Bestandteil seines Abstands zur Welt, die sich auch in der Erschaffung und Verwendung von kulturellen Techniken und Objekten niederschlägt. Die Kulturtechniken sind aber auch nicht (wie sie uns bei Haidle entgegentreten) austauschbare Module einer menschlichen Kultur, die den Menschen nütz-liche ‚Prothesen‘ an die Hand gibt, um sich schrittweise aus seiner mangelhaften natür-lichen Ausstattung zu befreien, z. B. durch eine technisch aufgerüstete Jagd und eine zuneh-mend distribuierte Arbeitsteilung, die für die nötige kognitive Entlastung sorgt. Vielmehr bleiben Belastung und Entlastung des Men-schen durch die Kulturtechniken im Grunde unverändert, denn keine der Techniken und Objekte setzt die exzentrische Daseinsstruktur des Menschen außer Kraft, weder war die Ver-körperung je vollständig, nimmt sie ab oder verschwindet sie durch die geschichtliche Entwicklung.

Trickster-Geschichten der südafrikanischen und anderer Jäger-Sammler-Gesellschaften sind voll von Plänen, die durchkreuzt werden, Strategien, die nicht aufgehen, Verkleidungen, die enttarnt werden, usw. Die von der kogniti-ven Archäologie modularisierten Handlungen sind nicht nur Gegenstand für das Verschieben bei der Erfüllung von Wünschen. Potentiell ist auch jede Handlung und jedes (Zwischen-) Produkt ein Ziel für erweiterte Wünsche und Bedürfnisse. Der Pfeil soll eben nicht nur das Tier treffen, er soll auch gut in der Hand liegt und gut fliegen, unabhängig davon ob und was er trifft. Das spezifisch Menschliche wäre demnach nicht das Aufschieben, sondern die Fähigkeit fortwährend umzuschalten zwi-schen der situativen Befriedigung im Prozess und einem übergeordneten Plan. Das impli-ziert die Fähigkeit, Pläne zu ändern und ein-zelne Handlungen und Objekte mit verschie-denen und mehrfachen Plänen zu verbinden. Der leicht missglückte Pfeil ist vielleicht für die erfolgreiche Jagd nicht mehr brauchbar, aber dann doch noch als Übungsspielzeug für die Kinder, als Verkaufsobjekt für Touris-ten oder zur Not auch als Stocher-Werkzeug beim Rösten von Nüssen usw. Meine Haltung zum hergestellten Objekt sowie zu meinen Unternehmungen und denen der anderen im Prozess des Herstellens ist daher nicht rein uti-litaristisch. Das Ergebnis meiner Bemühungen kann meiner Haltung sehr unterschiedliche Tönungen verleihen, mich im Extremfall zum Lachen oder zum Weinen bringen. In beiden Fällen, lachen und weinen, geht es nicht nur darum, dass unsere Mittel immer tendenziell unangemessen und unzureichend für unsere Ziele sind, sondern dass hier die prinzipiellen Grenzen des menschlichen Verhaltens aufbre-chen, wie Plessner sie beschrieben hat. Die Menschen geraten, im Gegensatz zum Tier, zu diesen extremen Ausdrucksformen, weil ihr Verhältnis zur Welt an Grenzen stößt und

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Zusammenfassung

In einer tour de force durch verschiedene Vorstel-lungsweisen alltäglicher Kulturtechniken habe ich versucht, unsere Aufmerksamkeit von der ethnographischen Fremdheit auf Fragen der grundlegenderen anthropologischen Fremd-heit zu lenken. Eine vorschnelle Anwendung des kulturübergreifenden Begriffs von ‚Tech-nologie‘ birgt die Gefahr in sich, die ethno-graphische Fremdheit zu überspielen, indem eine einfache Übersetzbarkeit zwischen Funk-gerät und Trommel oder zwischen geknack-ten Mangetti-Nüssen und der Nussknack-maschine aus der industriellen Produktion nahe gelegt wird. Demgegenüber birgt eine dichotome Trennung zwischen ‚eingebette-ten‘ Körpertechniken und ‚nicht-eingebette-ter‘ Technologie die Gefahr, die ethnographi-sche Fremdheit überzubetonen. Beide Ansätze wiederum unterschätzen die anthropologische Fremdheit, die sich in der Position des Men-schen mit Bezug auf seine eigenen Kultur-techniken und Technologien zeigt. Erst durch ein besseres Verständnis der anthropologischen Fremdheit sind die Grundlagen für ein ver-bessertes Verständnis der einzelnen Techniken gegeben.

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Ethnographic Gifts: Some Cautions on the Use of Ethnographic Analogies from Contemporary

Cultural Anthropology

Paul Roscoe

and how these relate to each other” (ibid. 668). The ontological critique asserts that the ontol-ogy to which a people subscribes is reality; the ontologies that motivate the Other are there-fore as ‘real’ as our own, the implication being that there are multiple realities or multiple worlds. As Harris and Rob phrase the critique in reference to the anthropology of the body: “some people [e. g., the Huron] inhabit a reality in which humans can transform into animals, and others [e. g., Euro-American populations] inhabit a reality in which this is impossible; there is no cross-cultural absolute bottom line on whether humans can turn into reindeer or not that is grounded in the inherent ‘nature’ of the body” (Harris / Robb 2012, 668).

These issues pose even greater epistemolog-ical challenges to archaeology than they do to anthropology, and it is therefore odd that the implications have provoked rather less epis-temological angst in archaeology than they have in cultural anthropology. It is a daunting enough task for cultural anthropologists to try and grasp, mediate, and translate the world-views and behavioral repertoires of contempo-rary Others, but at least they can talk to these Others. Archaeologists have the far harder task of trying to penetrate worldviews and activi-ties that are not only foreign in space but also distant in time, using nothing more than the

Introduction

This volume pursues an important theme: how Euro-American images of the Other – the stranger, the foreigner – have (mis)shaped, and been (mis)shaped in, academic and public dis-course. The hope is that by bringing multi-disciplinary attention to bear on the issue, we can sharpen archaeological consciousness of taken-for-granted, western assumptions that the discipline may be importing into its inter-pretation of people who inhabited other times, and ultimately produce better understandings of the small-scale societies in which they lived.

For some three decades, cultural anthro-pology has been consumed with very similar issues: the wellsprings of the western image of the Other; how it gets constructed and repro-duced; and how we might expose or destabi-lize the assumptions that support it in both academic and public discourse. These concerns have been set within a broader anthropological frame that the archaeologists Harris and Robb (2012) refer to as the ontological critique, and that others have called the ontological turn and onto-logical anthropology. Ontology can be defined in several ways, but in this context it commonly means a “fundamental set of understandings about how the world is: what kinds of beings, processes, and qualities could potentially exist

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most archaeologists subscribe, and a review of the uses archaeology has made of it reveals its dangers. Too often, archaeologists have inter-preted the ontological critique in realist rather than idealist terms. As a result, the critique’s ethnographic analysis of the Other is mistak-enly read as a source of radical ethnographic analogy to explain the past.1

It would be easy for archaeologists with ‘realist’ inclinations to dismiss the ontologi-cal critique as a post-modern quagmire, and I have some sympathy with this attitude. Never-theless, recent ‘realist’ anthropological research into cross-cultural psychology suggests that its claims about Euro-American and Other ontologies are not without substance. I con-clude, though, that archaeologists will likely find this ‘realist,’ empirically-based research more useful than the ontological critique in bringing to light the cultural freight that, as members of market-oriented nation-states, we unwittingly bring to the task of comprehend-ing the Other.

Cultural Anthropology and the Other

The Other – the fascinating, exotic, unfamil-iar, and threatening Stranger – has furnished cultural anthropology’s bread and butter from the beginning. The early Intellectualists (Tylor and Frazer) got things off on what is now universally recognized as the wrong foot by unreflexively portraying the Other as a primi-tive version of the ‘civilized’ (Victorian) Self. The cultural relativist response was not long in coming. Fortified against ethnocentrism by his early fieldwork in the Arctic, Boas (1887, 589) averred that, “civilization is not something

material vestiges of those bygone lives. Yet, the post-processual approach – the nearest archae-ological equivalent of the ontological critique in anthropology – has had a modest impact at best on the discipline. If it is true that the less one knows about a subject, the more one can pronounce with confidence upon it, then per-haps archaeology’s nonchalance in the face of these difficulties can be attributed to the very fact that they are so difficult. With so little hard evidence to challenge its assumptions about the Other, it is all too easy in archaeology to project Euro-American worldviews onto the past without noticing it.

My own areal quarter of cultural anthropol-ogy, Melanesian studies, has been particularly influential in shaping the ontological critique. In this chapter, therefore, I use the Melanesian case to sketch the elements of the ontological critique, its aims, and what lessons archaeol-ogy might draw from it about how to concep-tualize the Other. When I embarked on this project, I did not imagine that archaeology would have paid much attention to what is, after all, a rather rarified cultural anthropologi-cal subject. I was surprised to discover, there-fore, that the critique has actually made some modest inroads into the archaeological litera-ture, particularly in its Melanesian guise. What I had thought would be quite unconnected to archaeological interests turned out to be a sub-ject of existing interest after all!

As shall become clear, my assessment of the ontological critique’s value to archaeology is severely conflicted. On the one hand, the argument provides things that can be good to think with – a set of tools useful for expos-ing the Euro-American assumptions we may unwittingly project onto the Other, and for reflecting upon how radically different Other ontologies could be (though not necessarily are). On the other hand, its idealist philosophi-cal perspective – in actuality, often obscured – dovetails poorly with the realism to which

1 Fowler 2004, 15–19; Gosden / Marshall 1999; Har-ris / Robb 2012; Knapp / van Dommelen 2008; Meskell 1999; Thomas 2002; though see Jones 2005, 195.

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ways of seeing the world to destabilize our own stems, in this program, from a modern-ist ontology that implicitly assumes the exist-ence of ‘minds’ and of a ‘world’ in which these minds exist and about which they can have ‘ideas’. Within such an ontology, it makes sense to suppose that representations of a commonly experienced world can be compared and used to destabilize taken-for-granted components of one another. But what if some group of people does not subscribe to such an ontology?

Emerging with particular force in Amerin-dian anthropology (Holbraad 2012; Viveiros de Castro 1998; 2004; see also Pederson 2011), this version of the ontological critique claims that, in fact, some social groups entertain ontolo-gies with quite different perspectives about what we call ‘humans’ and the ‘world’. If this is the case, then it casts into question whether different ontologies are simply different repre-sentations of “the world”; rather, each ontol-ogy is its own world. We live not in a com-mon world that humans represent differently; we simply live in multiple different worlds. Thus, in a Euro-American world, the ritual snuff consumed by some indigenous Amazo-nians is a hallucinogen that acts on their minds to make them think they can see and deploy the powers of spirit animals and plants. In an Amazonian world, however, this snuff reveals the actual existence of these spirits. Because our ontology dictates the existence of ‘minds’ that can reflect upon, interact with, and be acted upon by a world of ‘objects’, we reflex-ively assume that ritual snuff – an object in the world – is responsible for creating an illusion of spirits in the human mind. We fail to recog-nize that the world we Euro-Americans ‘see’ is a function of what our ontology conceptu-alizes as our ‘minds’, and we therefore find it difficult to comprehend that animal and plant spirits can exist in other worlds.

This volume essentially redirects these con-cerns from cultural heterogeneity in the pre-sent towards the cultural diversity of the past.

absolute but ... is relative, and ... our ideas and conceptions are true only so far as our civili-zation goes.” “Judgements are based on expe-rience, and experience is interpreted by each individual in terms of his own enculturation,” Herskovits (1948, 63) noted, a comment that applied to the Intellectualists and anthropolo-gists in general as much as it did any other community. Others and their cultures were not the lower rungs on some ladder to civilization. Rather, each was a manifestation of humanity’s cultural potential, to be understood in its own terms and values, not those of the ‘Civilized’ Self. Thus emerged a central pre-occupation of English-speaking anthropology into the 1970s: how best to represent or ‘translate’ the Other’s terms and values with accuracy and fidelity into our own.

And then, an interesting thing happened. ‘Thick description’ of the cultural categories and concepts of the Other became the reflex-ive interrogation of our own. Cultural relativ-ism generates two problematics: How to repre-sent the Other in our own terms; and how to escape our own, unconscious, biasing, cultural bonds. Having spent much of the 20th Cen-tury occupied with the former problematic, cultural anthropology – especially in the US – now shifted towards the latter. The promise of anthropology, Marcus and Fischer opined in 1986, is “to serve as a form of cultural critique for ourselves. In using portraits of other cul-tural patterns to reflect self-critically on our own ways, anthropology disrupts common sense and makes us reexamine our taken-for-granted assumptions” (1986, 1). Other onto - logies – other ways of viewing the world, of valuing the material and non-material, of stip-ulating what is moral, amoral, and immoral – are valuable vehicles for identifying and undermining what the Western Self takes for granted.

In some current guises, though, the onto-logical turn subscribes to an even more radical proposition. The very idea of deploying other

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requires – a particular ontology, a distinctive view of the world. To begin with, it demands a conception that ‘individuals’ and ‘things’ are separable entities such that an ‘individual’ can ‘own’ ‘things’ such as resources, products, the means of production. It requires also that these ‘owned’ things be detachable from the ‘indi-vidual,’ that they be separate and separable from their ‘owner’ in order to be transacted – freely bought and sold in sale, barter, trade, whatever.

The ontological critique draws two particu-larly important conclusions from these asser-tions. First, the ontology of a capitalist politi-cal economy, where people own and transact things, must necessarily be realist. That is to say, people view the world as consisting of percep-tible things (e. g., commodities) about which they can and do have representations, ideas (fig. 1). Now, those of us who are ‘scientifi-cally-minded’ might respond, “But surely, this is self-evident?” There are things in the Uni-verse, we can perceive them, and obviously we have ideas about them. The critique’s response is, no. Scientific rationality is a product of the capitalist economy that requires it.

A second consequence of a market econ-omy, the argument goes, is that persons are seen as bounded, unitary agents, the authors of their own actions. They ‘own’ their own mind, labour, body, etc., just as they also ‘own’ (or are responsible for) their behavior. As a result, per-sons are seen as ‘naturally’ autonomous (free-willed), self-interested, and as a result competi-tive / aggressive. Assuming the agent to be this ‘naturally’ asocial being, inclined to pursue unbridled self-interest at the expense of oth-ers, the capitalist ontology assumes that, left to exercise their ‘natural’ propensities, humans would exist in a Hobbesian state of ‘Warre.’ Violence and war, in other words, are primor-dial ‘givens’ that humans must constantly and chronically struggle to transcend. So, it follows in this ontology, humans have a basic need for regulation – an ideology that, for members of

The explanatory categories of social-science in general and of archaeology in particular are the product of a distinctive social world, that of the western (capitalist) nation-state. In itself, this claim is unobjectionable, but the onto-logical critique asserts that we have failed to recognize just how profoundly our modernist, nation-stateness has shaped our categories and concepts. As a result, we fail utterly to recog-nize just how profoundly ontologies of Others separated from us in time differ from our own.

Melanesian Anthropology and its Gifts

For an example of this new ontological approach, we may consider some of the foun-dational texts that emerged from Melanesian anthropology, my own field of ethnographic expertise. Marilyn Strathern’s Gender of the Gift (1988) is the locus classicus, but one can look to the work of Roy Wagner (1981; 1986) and Brown (1979; 1980) for earlier influences; and to many of Strathern’s other publications2 and to Alred Gell (1998) and Harrison (1993) for analyses in a similar vein. Like so many texts in ontological anthropology, The Gender of the Gift is famously difficult to comprehend. Gell (1999), whose exegesis of The Gender of the Gift is the best I have encountered (though see also Fowler 2004), referred to it as “an infernally difficult book to read,” and he claims to have spent an entire summer struggling to under-stand it. Acknowledging that any attempt to summarize Strathern’s view is therefore frau-ght, the project with which she and others were engaged seems to go something like this.

A world of capitalist commodity exchange, the world to which anthropology and the social sciences are heir, produces – indeed

2 e. g., Strathern 1985; 1992; 1993; 1999.

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on – this would be less of a problem. As noted already, however, proponents of the ontologi-cal critique take the position that this may not be the case, and The Gender of the Gift is one of several attempts to elucidate and undergird this claim. The Melanesian political economy, the argument goes, is a gift economy (or, as it is sometimes called, a human economy), and just as a capitalist economy predisposes one suite of categories and concepts, a gift econ-omy produces another. In Melanesia, enti-ties are not commodities to be transacted or otherwise operated on, as in the West. Rather, they are gifts that objectify enchainment and relationship in an idealist ontology (fig. 1). In this ontology, things in themselves (objects, humans) do not have meaning; rather, things are conceptualized as brought into being by their relations with other entities. These rela-tions, in turn, are objectified as gifts (be they pigs, yams, other items of food, labour, pro-tection, and blood, or something as simple as greetings, kind words, and helpful gestures).

Neither Strathern nor other proponents of the ontological critique explain in any detail what they means by a relation or a relational system (which one might consider a significant oversight), but Gell provides two useful exam-ples. The first concerns numbers. The num-ber 5 is meaningless in itself; it has meaning

a nation-state, legitimates state control and its suppression of violence. Given the autono-mous and aggressive ‘nature’ of humans, in sum, a market ontology takes society to be a ‘natural’ state of affairs. It assumes a priori that, to exist, humans require social systems that impose control on their members.

The problem that a capitalist, market ontol-ogy poses for a social science like anthropol-ogy is that these culture-bound concepts fil-ter unnoticed into our analyses of our own and other cultures. They seem such obvious and ‘natural’ dimensions of being human that we never even think to think about them let alone interrogate them. Some ontological critics claim, for instance, that because of our cultural blinders, western social scientists have largely taken the emergence and theoretical status of sociopolitical groups for granted, fail-ing to interrogate them as the important social constructs they are. The broader failing, they argue, is that despite their most conscientious efforts, western ethnographers end up repro-ducing their own culture even as they think they are representing the Other’s.

Of course, if it turned out that other cul-tures also subscribed to a realist ontology – to notions of the agent as the author of his or her actions, autonomous, separated from others, self-interested, competitive / aggressive, and so

THE WEST MELANESIA

MIND MIND(ideas, notions, symbols, etc.) (relational code/system)

THE REAL WORLD THE REAL WORLD(people, pigs, shells, yams, etc.) (people, pigs, shells, yams, etc.)

REALIST ONTOLOGY IDEALIST ONTOLOGY

Fig. 1: Western Realist and Melanesian Idealist Ontologies.

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with whom I lived, for instance, a mother’s brother should periodically confer food on a sister’s son and help him with his labours; con-versely a sister’s-son should provide wealth to a mother’s brother whenever the latter is in need of it. The interesting thing about these gift flows is that the Yangoru Boiken could apply them to almost anyone, regardless of what we would see as their biological rela-tionship. I encountered a pair of biological brothers, for instance, who treated one another as actual brothers in only a few contexts. In other contexts, brother A presented himself as mother’s brother to brother B; and in yet other contexts, brother B became mother’s brother to brother A! The flow of gifts in these differ-ent contexts announced what relationship was (temporally) in existence. In this case, as in any Yangoru kinship relation, moreover, if the flow of gifts and assistance were to cease, it would announce a relationship in crisis.

All well and good (depending on your per-spective). What particularly caught anthropo-logical attention, however, was that, in Strath-ern’s scheme, persons as well as gifts can be objectifications of the relations that connect them to others. A child, for instance, is (among other things) a sign vehicle of the relation between its father and mother. At this point, the argument starts to get rather complicated (see Gell 1999, 46–51), but Strathern’s essential point is that people see themselves and others as signs or objectifications of the relations that produced them. Thus, a male is not an individ-ual but a ‘dividual’, not the unitary being that we in the industrialized world envisage but a partible entity, one that can be divided up into parts. What is more, this process is fractal: parts can themselves be divided into parts, objecti-fying relationships that produced relationships. What we take to be an individual is for Mela-nesians a vehicle not just for the male-female relationship that brought him or her into existence, but also for the grandparental male-female relationship that produced the mother

only by virtue of its relations to other num-bers (e. g., it is larger than 4, less than 6). The reader may be tempted to say: “Yes, but 5 gets its meaning in relation to 4 not just because it is greater but because it is greater by a pre-cise amount, 1.” But, the response is, 1 (and by implication other numbers) has meaning only in relation to other numbers such as 0. To see this, imagine the world of a computer and the machine code on which it is based. The essence of machine code is a binary opposi-tion. This opposition can be expressed as 0 / 1, but the crucial point is that it can be expressed as any oppositional relation: on / off (as is com-monly the case in our computers), up- / down-spin (in quantum computing), male / female (in a human world). 1 does not have meaning in itself; instead, it derives its meaning from an oppositional relation (here, 1 and not-1).

In the social world, the concept-pair of mother / son furnishes a second example. The term and status, mother, has no meaning – could not exist – in a world without the equivalent term and status, son (or daughter, child). Mother has meaning only in relation to child. A physi-cal woman, in herself, is not a mother (there is no necessary reason why she should have a child), nor even is one who has given birth (one can be a mother by adoption); rather, a mother “only attains that identity by virtue of a relationship she has with her child” (Gell 1999, 25).

Strathern contends that the Melanesian social world is visualized in these relational terms, as a code or ‘aesthetic’ that connects (and thereby creates) ‘mothers’ and ‘children,’ ‘brothers’ and ‘sisters,’ and so on. Relationships, though, are not perceptible – visible. They can only be apprehended, therefore, via entities in the sensible world that reveal their presence; in other words, they have to be objectified. In Melanesia, Strathern asserts, all relations are objectified in exchange relations – gifts of food, pigs, shell valuables, and so on (Gell 1999, 36–38). Amongst the Yangoru Boiken

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tions. Where we see violence as a breakdown in social relations that must be repaired, they see it as something entirely different, as social action that serves intrinsic interests such as communication and that may be enjoined as one of a whole range of forms of interac-tion. In addition, Harrison continues, Middle Sepik people do not take a basic human need for regulation as axiomatic. In contrast to the West, therefore, they do not see a need for social control as self-evident; rather, they take social relatedness to others as ‘natural.’ Nor do they take the existence of sociopolitical groups such as clans and villages as ‘givens’; instead, they view them as deeply problematic, exigu-ous, and contingent formations that must be purposively created and maintained by human action (see also Strathern 1985).

Although archaeologists were largely indif-ferent to the ontological critique’s claims about small-scale social organization, they showed rather more interest in what it had to say about objects, artifacts, and gifts – some of the more prominent archaeological signa-tures for inferring social relationships – and their relations to persons. In Strathern’s find-ings that objects, gifts and persons are objec-tifying vehicles in the small-scale societies of Melanesia, that gifts are part of an apparatus in which partibility is brought out and concealed again in ceremonial activity, quite a few arche-ologists discovered a lens through which they might glimpse a radically different, prehistoric Other. In his heroic effort to expand archaeo-logical visions of prehistoric personhood, for instance, Fowler (2004) took Strathern’s work as his ethnographic keystone. While allowing that the precise mechanics of her model might be specific to Melanesia, he concluded that it was more likely than not that some kind of partible rather than indivisible conception of personhood characterized prehistoric lives (2004, 85–86). In their archaeological review of the cultural biography of objects – the dif-ferent ways in which humans apprehend the

in this relationship as well as the grandparen-tal male-female relationship that produced the father, the great-grandparental male-female relationship that produced the mother’s father in the grandparental male-female relationship, and so on.

It follows from this fractal system that the individual is not only partible but also andro-gynous, because he or she objectifies both the male and female persons who brought ‘him’ or ‘her’ into existence. In Strathern’s scheme, Melanesian ceremony and ritual constitute a kind of ‘technology’ that draws these variously gendered social relations out of the androgy-nous person, the particular relations extracted being dependent on the context – marriage, initiation, and so on – and what the ritual is attempting to realize. Some rituals might bring out a female gender in what we would see as a female body; but others may bring out a male gender in what we would take as a female body, and vice-versa. Melanesians can be male in some ceremonial contexts, female in others, and androgynous at yet other times.

Although it was seldom picked up in the archaeological literature, a ‘relational’ ontology – assuming such a thing exists – would have fundamental implications for the structure and organization of small-scale social systems. In these systems, the individual would be seen not as the ‘naturally’ asocial being he or she is taken to be in the West, but as ‘naturally’ sociable. The essential attributes of the person would not be autonomy, independence and aggressiveness, but relatedness and dependency on others, a combination that induces peace-ability and connectedness, not aggression and hostility, towards others.

Elaborating this idea for lowland New Guinea, Harrison (1993; cf. Roscoe 1996) has argued that the people of the Middle Sepik do not see themselves as ‘natural-born kill-ers.’ Rather, they must learn to kill, and this is one of the prime aims of their male initia-

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person as essentially androgynous, with this androgyny periodically ‘opened’ in ceremonial activity – i. e., exposed as temporarily male or female – before being ‘closed’ up to become once again androgynous. Strathern seems to be drawing here on a widespread Melanesian trope that casts males as females (and, to a lesser extent, females as males) in ceremonial activ-ity. Among the Yangoru Boiken, for example, I found the ceremonial exchange of pigs and other commodities to be shot through with representations of males as females. A man’s pig-exchange partner, for instance, can be spoken of as a wife. This, I was told, is partly because to confer gifts on an equal is to ‘screw’ (i. e., have intercourse with) them. Partly, it is because the gifts conferred (pigs, yams, and soup) are like the food that a wife stereotypi-cally provides her husband. And partly, it is because the exchange partner, like the wife, is one’s partner; exchange partners depend on one another’s actions for their prestige as do a husband and wife (Roscoe 1995). Thus, in pig-exchange ceremonies, receivers – those who are being ‘screwed’ – place bright red hibiscus flowers or particular ferns in their hair because they conjure images of the vagina and say, “I’m like a woman; they’re ‘screwing’ me here!”. If an exchange partner is delinquent in reciprocating gifts of pigs, yams, and soup, one might reproach him in anger: “I’ve screwed you, and screwed you, and screwed you. You must be heavily pregnant by now; better go off and give birth to this child!”

Indeed, in seeming to acknowledge this androgyny, the Yangoru Boiken go beyond ceremonial occasions. They have, for instance, two kinship terminologies, deployed in both reference and address. The first is a unilineal, Omaha type, and it is used in formal or pub-lic settings, including (though not limited to) ceremonial occasions. The second, which is used in informal contexts, as for instance when relatives are chatting around the fire at night, extends nuclear kin terms bilaterally but with

relationship between persons and things – Gosden and Marshall (1999, 173) used Strath-ern’s analysis as an illustration of the starkly different ways in which objects can become invested with meanings that seem foreign to Western sensibilities. “While Westerners understand objects to exist in and of them-selves, Melanesians see objects as the detached parts of people circulating through the social body in complex ways” (1999, 173). Thomas (2002, 34), drawing on Strathern for ethno-graphic authority, insists that it is a Western conceit to theorize the individual and society as analytically divisible when, in reality, both are inseparable. And so on.3

It is testimony to Strathern’s allusive (and elusive) style that some archaeologists have managed to deploy her ‘ethnographic cases’ in support of theoretical viewpoints that are actu-ally opposed (Knapp / van Dommelen 2008, 20). Theoretical differences notwithstanding, though, archaeologists (and many anthropolo-gists) assume that Strathern has uncovered an ethnographic reality – i. e., an actual Mela-nesian world in which ‘dividuals’ subscribe to a relational ontology. Since she speaks so authoritatively about how Mt Hagen people and other highlanders think and behave, this inference might seem reflexively obvious. Yet, I am compelled to ask: does Strathern’s partible, androgynous Melanesian Other actually exist?

I raise this issue because I have had more than two years’ of interaction with a range of interlocuteurs in one small part of Mela-nesia, yet I have found it a chronic challenge to recognize Strathern’s version of Melanesian ontology in what I learned about their lives. Certainly, her analysis can seem to make sense of what Melanesians say and do. Consider, for instance, her claim that Melanesians see the

3 For other archaeological references to Strathern’s analysis, see, e. g., Chapman 2000; Meskell 1999, 33; Meskell / Joyce 2003, 17–18; Rowlands 1993.

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lacked the ethnographic perspicacity required to detect a radically different Other among the Yangoru Boiken. Perhaps, I unreflexively imposed a Euro-American ontology onto eve-rything they told me, with the perverse result that I ended up mistakenly discovering myself in them. Several considerations, though, lead me to question Strathern’s relational represen-tation of Melanesian ontology.

To begin with, it may be telling that the the-oretical impact of Strathern’s analytical frame appears to be in inverse proportion to the empirical utility ethnographers have found in it. Although her arguments have had an enor-mous influence on theoretical debates in Mela-nesian and general anthropology, few Melane-sianists4 and even fewer ethnographers in other parts of the world (though see, e. g., Mosko 1992) seem to have discovered and found use-ful her notions of ‘dividuals’ or androgynous persons. Gell might as well have been describ-ing how Strathern’s work has been deployed in anthropology as how poorly understood it is, when he observed: “Her writings are con-ducive to scholarly abuse, that is, citation for effect rather than sense, and the picking out of little snippets of ideas from here and there, without any real reference to the structure of the argument from which these snippets are drawn” (Gell 1999, 29).

Perhaps Melanesianists and others find her scheme difficult to apply because, as one high-lands’ ethnographer commented to me, the people among whom they worked seem too much like ‘little Hobbesians’? Recently, for instance, Gillison (2013) has questioned the veracity of Strathern’s arguments in scath-ing terms, a critique with particular force since Gillison’s ethnography of the Gimi was instrumental in Strathern’s efforts to extend

a twist. The mother’s brothers and mother’s brother’s sons are called ‘mother,’ while the father’s sister and father’s sister’s children are called ‘father.’

Strathern’s theory of Melanesian androgyny, of a bi-gendered being temporarily opened into its male and female parts before being closed up again, offers a seductive frame within which to interpret the dizzying gender kalei-doscope I encountered in Yangoru. But the analysis only works if we deny to the Yangoru Boiken a metaphorical intent that they make all too explicit. A primary clue is their laugh-ter when they use this transgendered imagery. They do not mean it seriously; it is intended, rather, as a clever pun. “It’s pretend (ina kalik) talk; it’s not true (yerekai) talk,” one man said when I queried the matter explicitly. “No, no!” said another in agreement. “It’s just talk from the mouth, talk…. No! It’s like this: I don’t [actually] screw him [the exchange partner]. It’s just talk; we say, ‘You are like a woman’” (emphasis added).

A Strathernian analyst might argue that these metaphors take the form they do pre-cisely because they stem from the relational Melanesian ontology she has identified. In other words, men choose to metaphorize themselves as women – as opposed to, say, animals, spirits, plants, astronomical bodies, or whatever – because their metaphors are struc-tured by a Strathernian ontology. Perhaps so. But, in Yangoru at least, people could (and vol-untarily did) relate these gendered images to a wider semiotic context in which intercourse and gifts of pigs were spears being thrown; exchange partners were enemies and donated pigs were their ‘killed’ bodies; and so on. There was, in other words, a semiotic system in place that had little to do with the relational ontol-ogy imagined in Strathern’s Melanesia.

It is difficult to know whether I am alone in finding the Melanesians I lived with to have an ontology that overlapped considerably with my own ‘realist’ one. Quite possibly, I simply

4 Though see, e. g., Foster 1990, 432; Hess 2009, 51–52; Mosko 2010.

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“We do not, of course, have to imagine that these ideas [the idealist Melanesian system she proposes] exist as a set of ground rules or a kind of template for everything that Melanesians do or say. Rather, as in the manner in which West-erners may think about the relationship between individual and society, they occur at moments when Melanesians dwell on the reasons or causes for actions. They are the (cultural) form that their thoughts take – tantamount to a theory of social action” (Strathern 1988, 15–16, emphasis added).

So her scheme, then, is what a Melanesian proto-social-scientist might think about his or her world, when provoked to do so – which is not necessarily what guides actual Melanesian thought and behavior as people go about their daily lives. But even this, it seems, is not her intent. In her conclusion, she seems to present yet another goal:

“I have not authored [in this book] ‘a perspective’ on Melanesian society and culture; I have hoped to show the differ-ence that perspective makes … I have not presented Melanesian ideas but an anal-ysis from the point of view of Western anthropological and feminist preoccupa-tions of what Melanesian ideas might look like if they were to appear in the form of those pre-occupations. … I have tried to expand the metaphorical possibilities of our own language of analysis.” (Strathern 1988, 309, emphasis added).

In his (largely sympathetic) attempt to expli-cate The Gender of the Gift, Gell drew attention to the abstracted level on which Strathern’s analysis seemed to lie, referring to it as sys-tem M, where ‘M’ could stand for Melanesia or Marilyn (i. e., Strathern).

her analysis from Mt Hagen to highland New Guinea generally. “The ‘dividual’ does not cor-respond to social reality among the Gimi,” Gil-lison states. “Strathern’s ‘dividual’ is a travesty of life in New Guinea, now or in the past, and represents exactly the kind of projection of Western stereotype and ‘orientalist’ fantasy it is supposed to replace. The ‘dividual’s’ outland-ish success gives rise to the need … to ques-tion the state of anthropology” (Gillison 2013, 118). Gillison finds Strathern guilty of replac-ing “old-style ethnocentrism” with a “care-less narcissism” (2013, 119). Referring to ele-ments of Gimi myth, ritual and exchange that Strathern drew on to formulate her concept of the ‘dividual,’ Gillison concludes that Strath-ern “mistook a virulently anti-female [Gimi] ideology – including a fantasy in which men may subsume or incorporate certain aspects of female anatomy – for benign accommoda-tion between the sexes” (Gillison 2013, 118; for a critique of the Amerindian version of the ontological turn, see Bessire / Bond 2014).

As withering as Gillison’s critique is, I fear she may be making the same mistake as many other anthropologists and most archaeologists. They have taken Strathern’s work to be much like any other ethnographic monograph, albeit one couched in a particularly dense form. They have read it as a representation of how Melanesians really view the world: “Melane-sians conceptualize themselves and their rela-tionships as X, Y, Z…”, and this is what earlier anthropologists would have recognized had they not been blinded by the cultural freight of a capitalist state. Certainly, this is the impres-sion that Strathern leaves us with in much of her writing. But that oeuvre – as Gell noted – can be so ambiguous that it is difficult to be sure, and it contains some confounding claims.

In her introduction, in fact, Strathern implies that her analysis is not a representation of Mel-anesian thought and behavior but rather an attempt to represent what Melanesians think about their thought and behavior:

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Schiffer contends that, “if archaeology is to realize its full potential as the science of beha-vioral change … then a trial separation from cultural-anthropological theories is overdue” (2011, 28). Citing a shift in contemporary cul-tural anthropology towards “varieties of vulgar idealism” (ibid. 22), Schiffer maintains that the cumulative contributions of the discipline to explaining behavioral diversity and change are “too minuscule to measure.” (ibid. 23).

“In the end, few cultural anthropolo-gists are interested in artifacts, the natu-ral environment, or long-term behavio-ral change, and fewer still care to craft scientific generalizations. So why should archaeologists adopt their theories du jour, research questions, and constructs, which are tailored to short-term – essen-tially synchronic – mentalist phenom-ena?” (ibid. 23).

Although a social-cultural anthropologist mys-elf, I find it difficult not to sympathize with Schiffer’s exasperation even as I find it oversta-ted. More than a ‘few’ cultural anthropologists – including some behavioral ecologists, evo-lutionary ecologists, economic anthropolo-gists, and environmental anthropologists – find only limited use for vulgar idealism, and there is still considerable concern in these quarters with topics relevant to archaeology. But Schif-fer is right that mainstream cultural anthropo-logy, at least, has shifted towards interests that are rather narrowly focused on the culturally particular and the historically contingent, to the virtual exclusion of generalization; and on idealist explanations, almost to the exclusion of behavior, material phenomena, and their recursive influences on the contents of ideolo-gical systems.

The conclusions I draw in this chapter, moreover, rather confirm Schiffer’s dismal assessment of the value of cultural anthropol-ogy’s ‘theories du jour.’ Quite a number of

“It is important to underline the fact that [in Strathern’s work] ‘Melanesia’ stands for an intellectual project rather than a geographic entity because the methodo-logical usefulness of Strathern’s interpre-tative technique is not restricted to (geo-graphic) Melanesia, as opposed to Africa, America, Asia or anywhere else … Per-haps the best way to think about Strath-ern’s Melanesia, especially for those who feel rather resistant to postmodernist rel-ativism on other grounds, is to think of Melanesia as the anthropological equiva-lent of Abbot’s Flatland: that is, the setting for a sustained thought experiment.” (Gell 1999, 24, emphasis added).

In other words, it would be a grave mistake to suppose that Strathern is describing Mela-nesian ethnography, what is in Melanesian minds and its relation to what motivates their behavior. Rather, The Gender of the Gift descri-bes something that is in her own mind, the pre-occupations of a British Melanesianist and feminist anthropologist.

It is for this reason that I think Strath-ern’s work is a dark and treacherous land-scape for those archaeologists who have tried to explore it. Most have taken it as a source of ethnographic analogies for the thought and behavior of the Other when it is noth-ing of the sort. Until this landscape is better illuminated, therefore, they would be wise to exercise extreme caution towards notions of androgynous dividuals, partible persons, and their implications for gifts and gift-giving as a source of ethnographic analogy. A critical per-spective on the ontological turn would seem, by extension, to be equally prudent.

Conclusion

In a recent article on the relationship between cultural anthropology and archaeology, Brian

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a nation-state, participants in a capitalist, mar-ket system, profoundly shapes our views of humanity – and, if we are not scrupulously careful, of the Other. An industrial nation-state could not function, for instance, with-out a reflexively accepted notion of time as something that can be partitioned, quantified, and coordinated. In industrialized minds, time becomes a monetizable commodity (“Time is money”), a means of precisely coordinating and regulating action (“Let’s meet at noon”; “School starts at 9 am prompt”), and a mode of disciplining a life (“Once you have fin-ished with school, you will serve two years of National Service. After that, you will be free to seek employment. Once you reach 65 years of age, you can retire.”) The Other, suffice it to say, likely has different notions of time. He or she may share our notion that time flows in a linear fashion from the past through the pre-sent and into the future (though even this has been questioned). But if they are members of a small-scale society, dependent on cultivation or pastoralism for their subsistence, it is unlikely that they will have our commoditized view of time, a difference with significant implications for how they conceptualize and live out the cycles of their days and lives.

It is less clear whether we should accept contentions that the Other subscribes to a relational ontology that has the effect, as Gil-lison notes, of erasing “affect, agency, identity and other essential features of human beings” (2013, 118). It is not just that these portrayals are empirically suspect, as I have argued for the Melanesian case. It is also that they tend “to dichotomize the gap between Western-ers and non-Westerners in terms of opposed, heuristic ideal types” (Harris / Robb 2012, 668; see also Bessire / Bond 2014, 442–445). In consequence, they leave no room for human similarities, for anything that all humans share, such as the capacity to formulate interests, to experience moods and emotions, or to see the material world in roughly similar ways. In the

archaeologists have attended to the ontologi-cal critique, but as I have tried to demonstrate they should be wary, at least, of Strathern’s influential version of the critique.

Having said this, I do not want to leave the impression that the ontological critique has nothing at all to offer archaeology. In draw-ing attention to the fact that social science is the product of a specific social milieu – the capitalist nation-state – and that social scien-tists bring a particular suite of western cate-gories and conceptions to bear on the repre-sentation of the Other, the critique does raise the important question that this Ringvorlesung volume targets. What can we do to transcend our Western cultural freight in the struggle to comprehend a long-ago Other?

It may well be a stretch too far to oppose the Other to the Self in the stark terms that the ontological critique deploys. To claim that the Other has no conception of the individual as a unitary entity or of agency, that the Other views ‘things’ purely as gifts, never as commod-ities, and that the Other understands sociality in idealist and relational rather than realist and regulatory terms is without any sound empiri-cal warrant. But to pose these oppositions, at the very least, should sensitize archaeologists, as much as anthropologists, to the frames we unwittingly place around our portraits of the Other. If we are to understand lifeways of the past, Fowler quite properly notes, “it is neces-sary first to interrogate some of our common-sense understandings of what it means to be a person, loosen their grip on our imaginations, and then illuminate some other conceptions of personhood. The reward of this approach is a far richer picture of what past people were like” (2004, 1). If they do nothing else, onto-logical critics alert us to just how naïve, how profoundly ethnocentric we may have been – and still perhaps are – in trying to imagine the Other across time and space.

As these critics assert, it is also indisputable that our cultural background as members of

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other hand, even after 50 years of interaction with Westerners, it was abundantly clear that they had neither a concept of nor any interest in commoditizing time.

Palec ek and Risjord (2012) argue that the ontological turn in anthropology is useful to philosophers because it firms up Donald Davidson’s (1984; 2001) antirepresentational-ist philosophy in a way that navigates between “the untenable alternatives of a severe scien-tific realism on one side and a skepticism, con-structivism, or antirealism on the other” (ibid. 20). For our purposes, the utility of the onto-logical turn can perhaps be summarized as a couple of claims that should be uncontrover-sial to anyone with a passing familiarity with the philosophy and sociology of science. First, different people and different groups of peo-ple inhabit different worlds in the sense that they have different ontologies, sometimes pro-foundly different ontologies. Second, no one of these people and groups can claim that their ontology is somehow privileged over others, that it is the one True Ontology (Palec ek / Risjord 2012, 18). How could we ever be sure that our ontology is True, after all, unless we already knew ahead of time what the Truth is?

This latter claim may seem provocative to the more scientistic amongst us, but really, all it calls for is humility rather than pretense in our archaeological and anthropological claims and a much greater sensitivity than is currently apparent in Euro-american social science to just how very different other ontologies may be from our own. If archaeologists are willing to accept these stipulations, then they might be better served in imagining the Other by looking not to ontological anthropology but to recent work in cognitive anthropology. I am thinking in particular, of anthropologist Joseph Henrich and his psychology colleagues (2010) and their survey of WEIRD people. WEIRD people are members of Western, Educated, Industrialized, Rich and Democratic societies.

ontological critique, there is only cultural dif-ference, nothing more. Thus, the analysis goes, we in the West think X, Y, Z; but non-Western societies think not-X, not-Y, not-Z. We in the West see the individual as unitary, for instance; Melanesians therefore see the individual as not-unitary, as partible. The possibility that non-Western people might think partly-X and partly-not-X, Y to some degree but not wholly, etc., goes unconsidered.

In fairness, this binary structure to the ontological critique could be the unintended consequence of a mode of argumentation. In focusing for critical purposes on the contrasts between western and small-scale cultures, pro-ponents may have inadvertently created an impression that they see these differences as categorical and mutually exclusive. Inadvert-ent or not, however, the idea that cultures are categorically unlike one another resonates with a marked shift in cultural anthropology over the least three decades towards a focus on cultural difference, coupled with a declining interest in cultural commonalities and a rising hostility to cross-cultural comparison and its assumption that cultures (and Others) can be similar in some respects and different in others (Brown 1991; Roscoe 2006).

Archaeology, by and large, seems more dis-posed to view humans and their cultures as both sharing similarities and manifesting cul-tural differences. From this perspective, we are likely to recognize ourselves in the Other even as we concede that there is much about the Other we must struggle to comprehend. So, for example, we and the Other may conceptu-alize time in very different ways, but it is prob-lematic to suppose that our conceptions are completely incompatible. In practical contexts, the Yangoru Boiken seemed to regard time much as I did, as a linear flow from a past into a present towards a future. It is difficult for me to imagine, in fact, how such a large fraction of our communications and interaction could otherwise have been so unproblematic. On the

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that, like psychologists, they may be among the least well equipped humans on earth to do this. We are obliged to recognize and tackle this problem.

In in so doing, I suggest that Henrich et al.’s empirically grounded findings provide a more secure starting-point than analogies derived from ‘ethnographies’ influenced by the onto-logical critique. In particular, we should attend to two of the major findings in Henrich et al.’s survey. The first is that, contra the binary structure erected by ontological critics to sever Western from small-scale societies, an array of psychological traits appear to be common to humans. To put this another way, the Other is not so foreign as the ontological critique would have us believe.

Henrich et al. also found systematic psy-chological differences between WEIRD and small-scale societies, though, and these are especially relevant to archaeological efforts to imagine the Other. Research on optical illu-sions, for example, reveals that people in small-scale societies actually perceive some aspects of the world more faithfully than do those in WEIRD societies. Notions of fairness appear to be more developed in market-economy societies than in other types of community. WEIRD children raised in an urban environ-ment follow a different sequence in developing folkbiological classifications than their coun-terparts in small-scale societies. WEIRD sub-jects also appear to use a means of envisioning themselves in space that is different from that deployed in small-scale societies. Other evi-dence suggests differences in time-discounting rates between WEIRD and other societies.

Surprisingly, however, the most striking dif-ference between WEIRD and small-scale soci-eties had some similarities to that asserted in the ontological critique. Members of WEIRD societies are more likely than those in small-scale societies to view the world in terms of sepa-rate entities rather than relationships, and to inter-pret the world in terms of categories and laws

Drawing on a wide range of experimental stud-ies conducted in many types of society across the globe, Henrich and his colleagues provided an array of data that showed marked differ-ences in the way WEIRD people and those in other societies perceive the world, their place in it, and themselves. Of particular note, their survey revealed marked differences in norms, conceptions of the Self, and perceptions of the world between members of industrialized and small-scale societies; between Westerners and non-Westerners, such as Asians; between Americans and other Westerners; and within the United States, between highly educated Americans and everybody else.

Henrich and his colleagues were concerned about the problem these results posed for psy-chology. More than any other social science, psychology is dominated by American research; and much of that research has been conducted on the psychology of American college stu-dents. Yet “members of WEIRD societies are among the least representative populations one could find for generalizing about humans. Overall … we need to be less cavalier in addressing questions of human nature, on the basis of data drawn from this particularly thin and rather unusual slice of humanity.” (Hen-rich / Heine / Norenzayan 2010, 61, emphasis in original).

We need not be psychologists, though, to recognize that these findings have fundamen-tal implications for any discipline that pretends to make comparative claims about global cul-tures. The problem exists in archaeology as well, where the aspiration is to represent the world and its temporal development. Like psy-chologists, though, we do so in a distinctively WEIRD way. Too often, we picture the Other as a Western Self, and we analyze the actions of that Self in terms of quantifiable, primarily material entities, discrete events, and distinct temporal sequences. In trying to envision the Other, therefore, archaeologists, anthropolo-gists, and other academics need to recognize

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Acknowledgements

I deeply appreciate comments on this paper and / or discussions with: Ulrike Claas, Terry Hays, Tobias Kienlin, and Hans-Peter Wotzka. None of these individuals, however, are in any way responsible for the errors and idiocies that I have surely perpetrated.

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Antikenideal und Alterität. „Echtes Antikisieren“ als künstlerisches Programm des 19. Jahrhunderts

Alexandra Karentzos

spiel wird im 19. Jahrhundert zu „Isar-Athen“ stilisiert (vgl. zu solchen Athen-Bezügen all-gemeiner Lehmbruch 2008). Glyptothek und Antikensammlung stellen nicht nur die antike Kunst aus, sondern machen sie sich auch zu eigen, indem sie selbst Tempelgestalt anneh-men (Abb. 1).

Ähnlich lässt sich der Parlamentsbau in Wien einordnen (Abb. 2). Er erfüllt eine vergleichbare Repräsentationsfunktion im Rückgriff auf den Mythos. Durch den Rekurs auf die Antike wird das Staatswesen verklärt – die Moderne, in der eine Repräsentation des Gesamtsystems problematisch geworden ist, scheint mit den Anleihen bei der Antike eine solche Repräsentation nachzubilden. In derartigen Konstruktionen personifiziert Athena das griechische „Mutterland“2, das ‚Eigene‘, die Identität des kulturellen Selbst (freilich nur im Sinne einer Projektion – ist das Programm des Historismus doch nicht darauf angelegt, die Antike zu wiederholen, sondern sie als Referenzpunkt angesichts

Die historistische Kunst des 19. Jahrhunderts kann im Zusammenhang der damaligen Bemü-hungen gesehen werden, die Nation kulturell zu profilieren. Den „kulturell legitimierte(n) Nationalstaat“ des 19. Jahrhunderts beschreibt etwa Bazon Brock (1997, 14–15) als „ein Pos-tulat jenseits aller historischer Wahrheit“, als „eine Vorstellungskraft besetzende Fiktion, eine kontrafaktische Behauptung“; die Durch-setzung dieser Fiktion sei mit „Kulturkämp-fen“ einhergegangen. Der Begriff „Nation“ habe eine „politische Manifestation von eth-nischer, rassischer, religiöser, eben kultureller Identität“ bezeichnet (ebd.). Im Folgenden soll auf künstlerische Konzepte fokussiert wer-den, die im 19. Jahrhundert zu diesem Projekt der Konstruktion kultureller Identität beige-tragen haben. Am Beispiel des Historismus in München und Wien wird deutlich, dass der Rückbezug auf die griechische Antike dazu dient, eine eigene kulturelle Identität zu bean-spruchen, zu stiften und zu definieren. Dabei verschränken sich zeitliche und räumliche Kategorien, wie zu zeigen sein wird.1

Figuren wie Athena dienen in diesem Kon-text dazu, den Ursprung der Kultur zu ver-körpern, und üben dadurch eine Repräsen-tationsfunktion für moderne Staaten aus, wie ich im ersten Teil meines Beitrages vor Augen führen möchte. Die Stadt München zum Bei-

1 Die folgenden Ausführungen setzen einige Über-legungen aus meinem Buch Kunstgöttinnen (Ka rentzos 2005) fort.2 Dies ist ein nicht nur im 19. Jahrhundert gängi-ger Begriff für das griechische Festland, vgl. dazu z. B. Baumgarten et al. (1913, 67).

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talisch-anderem Ort situiert, wodurch in der Kunst des 19. Jahrhunderts häufig exotistische Imaginationen bedient werden. Diese Ambi-valenz des ‚Anderen‘ führt dazu, dass Kon-struktionen des ‚Eigenen‘ dynamisiert werden. An diesem Beispiel zeigt sich exemplarisch, wie Europa sich selbst beschreibt und eine eigene Identität ausbildet.

Antikenideal und Nation

Damit komme ich zu meinem ersten Punkt, dem Rekurs auf die griechische Antike.

Leo von Klenze (1784–1864), Architekt des Ensembles der Propyläen und der Glyptothek am Königsplatz in München, setzt program-matisch das Ziel, anstatt zu kopieren, „durch ächtes Antikisiren ... einen ... zeitgemäß neuen Baustyl“ (Klenze 2000, 94) zu schaffen.

genuin moderner Repräsentationsprobleme zu nutzen, vgl. Karentzos 2005, insbes. 11–14; 20–24).

Dieses ‚Eigene‘ wird indessen durch den Ausschluss des ‚Anderen‘ konstituiert: sei es etwa, dass jenes ‚Andere‘ als ‚barbarisch‘, ‚unkultiviert‘, ‚primitiv‘, ‚wild‘, ‚animalisch‘ verstanden wird. Die Differenz zwischen dem ‚Eigenen‘ und ‚Anderen‘ ist dynamisch: Das ‚Andere‘ erscheint bedrohlich und abstoßend, zugleich aber auch anlockend, verlockend, Wünsche und Begierden auf sich ziehend. Illustrieren möchte ich diesen Gesichtspunkt im zweiten Teil meines Beitrags insbeson-dere am Beispiel der Figur Kleopatra: Kleo-patra, einerseits als Weiße dargestellt und dem Geschlecht der Ptolemäer in der Nachfolge Alexanders des Großen zugeordnet, steht inso-fern in einer hellenischen Tradition, anderer-seits aber ist Kleopatra in Ägypten als orien-

Abb. 1: Leo von Klenze: Propyläen und Königsplatz, Ansicht von Westen 1848. Öl auf Leinwand, 87,5 × 130,2 cm (Münchner Stadtmuseum; nach R. Baumstark 1999, 596).

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Ironisch wird diese Tendenz von den Zeit-genossen rezipiert: „Man ist dermaßen grie-chisch in München, daß man in Athen notge-drungen bayerisch sein muss ...“.3 Athen, das bis ins 19. Jahrhundert hinein zum Osmani-schen Reich zählt, ist von 1832 an tatsächlich ‚bayerisch‘ und wird – vom bayerischen König Otto regiert – zur „Ottonopolis“ (Papage-orgiou-Vanetas 1999).4 Als Hauptstadt des

Diese Formulierung mag zunächst paradox erscheinen: Wie kann im Antikisieren etwas Zeitgemäßes liegen? Und inwiefern kann es „echt“ genannt werden, wenn das Antikisie-ren nachahmend und nachträglich geschieht? Das „echte Antikisieren“, das zeitgemäß sein soll, bedeutet nicht Wiederholung, sondern Neu-Setzung unter modernen Bedingungen. Durch die Adaption griechischer Architek-tur in Bayern sollte eine Art neuer deutscher Nationalstil entstehen (Nerdinger 1999, 190).

Als eine Art ‚Keimzelle der europäischen Zivilisation‘ erfüllt Griechenland reprä-sentative Aufgaben in der Selbstdarstellung moderner Staaten. Auch im ‚Isar-Athen‘ soll ein philosophisches und kulturelles Zentrum entstehen. Die Propyläen führen in Mün-chen dementsprechend zu den ‚Tempeln‘ der Moderne: zur Glyptothek und zur Antiken-sammlung, die die antike Kultur beherbergen.

Abb. 2: Theophil Hansen: Parlament Wien (Ringstraßenfront) 1871–1883. Minervabrunnen von Karl Kundmann, ca. 1878 (Marmor, Bronze, Gold) (nach Kalmár / Lehne 1999, 79).

3 Gérard de Nerval 1839 nach einem München-Auf-enthalt (zitiert nach: Wünsche 1999, 16).4 1832 wird Otto, Sohn Ludwigs I., zum König von Griechenland durch die griechische Nationalversamm-lung unter Mitwirkung der europäischen Großmächte ernannt. 1833 kommt er in Nauplia an, und bis zur seiner Volljährigkeit 1835 übernimmt ein vierköp-figer Regentschaftsrat die Regierung. Von 1835 an ist er alleiniger Regent. Nach Abzug des bayerischen Schutzkorps 1843 wird er durch einen Militärputsch

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Schinkel in seinem Gemälde Blick in Griechen-lands Blüte entworfenen Tradition steht. Antike Architektur, die in Klenzes Vision gemäß den damals aktuellen Funden als polychrome dar-gestellt wird, verbindet sich hier mit christ-licher Religion: Im Vordergrund der Szene-rie ist die Predigt von Paulus an die Athener dargestellt. Damit erinnert das Gemälde an die „Christianisierung der antiken Welt“, wie Adrian von Buttlar betont: „Die Botschaft für den zeitgenössischen Betrachter lautete, dass die angeblich heidnische Architektur der Antike für eine moderne Renaissance im christlichen Abendland prädestiniert sei“ (von Buttlar 1999, 532).

Zusammenfassend kann man im Hinblick auf Klenzes Programm von einer doppelten Idealisierung sprechen, indem er Athen ide-

‚Neuen Hellas‘ soll Athen zu einem klassizisti-schen Ort werden, in dem die Antike wieder-auferstehen soll. Dass es Klenze nicht um eine bloße Rekonstruktion, sondern um eine ide-alisierende Konstruktion geht, wird deutlich in seiner Idealen Ansicht der Stadt Athen mit der Akropolis und dem Areopag (mit Athena Proma-chos) von 1846 (Abb. 3). Dieses Gemälde kann als Programmbild des klassizistischen Histo-rismus gesehen werden, das ganz in der von

gezwungen, eine Landesverfassung zu erlassen und eine Nationalversammlung in Athen einzuberufen. Er kehrt 1862 nach einer Militärrevolte ohne förmliche Abdankung nach Bayern zurück. Vgl. dazu: Stichwort: Otto I., König von Griechenland, Personenregister, auf der CD-ROM zum Ausstellungs-Katalog Klenze 2000.

Abb. 3: Leo von Klenze: Ideale Ansicht der Stadt Athen mit der Akropolis und dem Areopag (mit Athena Proma-chos) 1846. Öl auf Leinwand, 102,8 × 147,7 cm (München, Neue Pinakothek; nach Baumstark 1999, 532).

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beschirmt nun das Bürgertum Wiens. Hegel beschreibt Athenas umfassende Bedeutung folgendermaßen: Athena „ist die Stadt selbst in ihrer Gesamtheit und die Göttin als der Geist dieser Gesamtheit“ (Hegel 1837/1955, 122). Das Staatswesen wird durch den Antikenbezug idealisiert.

Philhellenismus und Orientalismus

Den Identitäts- und Kulturvorstellungen des Europäischen, die in solchen Konzepten kon-struiert werden, stehen im 19. Jahrhundert Visualisierungen des ‚Anderen‘ entgegen, die insbesondere vom Orientalismus im Sinne Edward Saids geprägt sind.

Dies liegt unter anderem in den griechi-schen Unabhängigkeitskämpfen gegen das Osmanische Reich begründet und in den im Philhellenismus gepflegten ‚Freund‘-‚Feind‘-Schemata. Um diesen Zusammenhang kurz vor Augen zu führen, lässt sich exemplarisch Eugène Delacroix’ Griechenland auf den Ruinen von Missolonghi aus dem Jahr 1827 heranziehen, auf dem die Niederlage Griechenlands gegen-über den Osmanen dargestellt ist (Abb. 4). Die Personifikation Griechenlands kniet auf den Trümmern der Stadt, unter denen die Toten liegen, im Hintergrund ist der ‚Feind‘ durch einen schwarzen Turbanträger repräsentiert. In dem Bild verbinden sich die Exotismen der Orientmalerei mit der Darstellung des euro-päischen ‚Eigenen‘, hier durch den oranten Gestus der Christin markiert.

Entscheidend ist für meine folgenden Über-legungen, dass das orientalische ‚Andere‘ im 19. Jahrhundert nicht nur als bedrohliches Feindbild kursiert, sondern darüber hinaus auch eine eigene Faszinationskraft ausübt. Die Ambivalenz des Orientalischen, das zwischen dem Grauenerregenden und dem Lustvollen changiert, zeigt sich besonders deutlich an Delacroix’ Gemälde Der Tod des Sardanapal, für das der Philhellene Lord Byron mit seinem

alisiert und dieses idealisierte Bild der anti-ken Stadt wiederum auf München überträgt. Klenze war überdies maßgeblich an der klas-sizistischen Umgestaltung Athens im Rahmen der Thronbesteigung Ottos I. beteiligt, der als bayerischer Prinz erster König des neuen Grie-chenland wurde, und entwarf das städtebau-liche Konzept. Mit Klenzes Ansatz ist der von Theophil Hansen5 vergleichbar, der in Athen griechische und hellenistische Baukunst stu-dierte und dort auch für zahlreiche Bauten verantwortlich war. Seine Ideen übertrug er dann auf Wien (Wagner-Rieger / Reissberger 1980; Papageorgiou-Venetas 2007).

Während Klenze also das Stadtbild Mün-chens geprägt hat, gilt dies für Theophil Han-sen in Bezug auf Wien. Hansens opus mag-num, der Parlamentsbau, der zwischen 1874 und 1883 errichtet wurde, lässt sich ebenfalls einem Programm der Antikisierung zuordnen. Der Eingang des Parlaments verweist durch den Giebel und die korinthischen Säulen auf antike Tempelarchitektur. Auf dem Vorplatz findet sich ein monumentaler Minervabrunnen, der von Carl Kundmann nach einem Entwurf Hansens 1902 fertiggestellt worden ist und der das Parlament nahezu wie einen „Tempel-bezirk“ der Göttin erscheinen lässt (Kalmár /Lehne 1999, 79). Die monumentale Athena steht auf einer Komposit-Säule, und unter ihr liegen die Personifikationen der größten Flüsse Österreich-Ungarns. Der Brunnen steht genau in der Mittelachse des Parlaments-baus von Theophil Hansen. Die Stadtgöttin Athens, der Polis, die seit der Französischen Revolution als Wiege der Demokratie gilt,6

5 Hansen studierte bereits 1838 Klenzes Bauten in München, bevor er nach Athen reiste. Sein Bru-der, Hans Christian Hansen, war zudem Hofarchitekt König Ottos I. von Griechenland.6 Die Göttin der Demokratie, mit den Insignien der Athena, wurde bereits während der französischen Revolution bei Festen gefeiert (vgl. Karentzos 2005, bes. 149–156).

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Provokativ ist Delacroix’ Darstellung nicht zuletzt dadurch, dass Sardanapal hier gelassen und emotionslos, distanziert wie ein Dandy, das Geschehen verfolgt, wenn nicht gar ignoriert. Es entsteht ein Phantasieraum der Begierde und des Sadismus, der Tyrannei. Sexuelle Inbesitznahme und Mord werden als Verhei-ßung absoluten Genusses inszeniert (absolut im wörtlichen Sinne: ein Genuss, der losgelöst ist von Moral). Die Ausschweifung wird durch die pastose Malweise hervorgehoben, der Künstler nimmt gleichsam am Gemetzel teil.

Die Kunsthistorikerin Linda Nochlin beschreibt in ihrer einschlägigen Studie The Imaginary Orient die europäische Orientmale-rei des 19. Jahrhunderts als Teil eines Macht-diskurses, in dem sich die koloniale Dominanz über den als homogen imaginierten Orient manifestiert (Nochlin 1987). Mit einem sol-chen Verständnis des Orientalismus schließt sie dezidiert an Edward Saids 1978 erschie-nenes grundlegendes Werk Orientalism an, der allerdings seinerseits nicht auf die bildende Kunst eingeht (vgl. Said 1978 / 2003). Noch-lin erweitert Saids Untersuchungsfeld, indem sie herausarbeitet, welche Funktion Kunst-werken im Zusammenhang des Orientalismus zukommt, etwa indem Bilder die orientalische Gesellschaft als mythisch und zeitenthoben vorstellen. Nochlin problematisiert anhand von Delacroix’ Tod des Sardanapal auch die geschlechtlich codierten Herrschaftsverhält-nisse, die durch solche Bildfindungen in den ‚Orient‘ projiziert werden (vgl. auch Lewis 1996).

In den weiteren Kontext des Orientalismus gehören auch die Kleopatra-Darstellungen des 19. Jahrhunderts, allerdings mit der Beson-derheit, dass Kleopatra nicht nur als Andere markiert ist, sondern zugleich auch Europa zugeordnet ist. Im Kontext der Antikisierun-gen besetzt sie beide Seiten der Differenz, von Eigenem und Fremdem, ist sie doch als ägypti-sche Pharaonin dem Orient zugeordnet, steht aber zugleich als Ptolemäerin in der Nach-

Theaterstück Sardanapalus die Vorlage lieferte, auf ein durch Herodot überliefertes Narra-tiv zurückgreifend (Abb. 5). Das Bild situiert das Geschehen in einer mythischen Vorzeit und verstärkt mit der Darstellung des assyri-schen Herrschers, der seinen ganzen Besitz zerstören und seine Frauen umbringen lässt, das Sinnlich-Erotisch-Sadistische des Orient-konstrukts. Hier wird das scheinbar natürliche Recht des orientalischen Mannes über den Körper der Frau thematisiert. Der Farbklang mit den Gold-, Braun- und Rottönen wird im 19. Jahrhundert oft in der Malerei übernom-men und prägt das Stereotyp vom sinnlich-schwülen Orient.

Abb. 4: Eugène Delacroix: Das sterbende Griechen-land auf den Ruinen von Missolonghi 1827. Öl auf Leinwand, 213 × 142 cm (Musée des Beaux-Arts, Bordeaux; nach Katalog Delacroix 1987, 39).

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ist situiert in einem opulenten orientalisierten Ambiente mit Tigerfellen und purpurroten und goldenen Stoffen – diese textile Üppig-keit imaginiert einen Harems-Innenraum, wie ihn ähnlich auch Delacroix inszeniert.

Dabei liegt Kleopatra aber wie eine Renais-sance-Venus auf ihrem Lager, so dass hier die ikonographischen Muster verschmelzen: Auf der ikonographischen Ebene wird mit-hin deutlich, dass Kleopatra als Orientalin und zugleich als griechische Göttin gilt. Tizi-ans Venus mit dem Orgelspieler etwa diente Makart später auch als Vorbild für ein Lünet-tenbild der Venus Tizians im Kunsthistorischen Museum in Wien (Abb. 7).

folge Alexander des Großen, so dass sie einer hellenischen Tradition verpflichtet ist.

Wie dieses Spannungsverhältnis der Figur in der Kunst visualisiert wird, möchte ich an zwei Kleopatra-Gemälden von Hans Makart exem-plarisch zeigen. Makart inszeniert den Tod der Kleopatra (Abb. 6) in der Tradition von Dela-croix’ Bild Der Tod des Sardanapal. Vor allem die malerisch-koloristische Atmosphäre des Kleo-patra-Gemäldes greift das in Delacroix’ Bild entworfene Stereotyp vom sinnlich-schwülen Orient auf. In den Bildern vom Tod der Kleo-patra zeigt sich die erotische Komponente vor allem auch durch die Inszenierung der nackten Königin mit der Schlange an ihrer Brust. Sie

Abb. 5: Eugène Delacroix: Der Tod des Sardanapal 1827–1828. Öl auf Leinwand, 395 × 495 cm (Musée du Louvre, Paris; nach Katalog Delacroix 1987, 39).

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sich, dass auch Sklavinnen auf diese Weise gekennzeichnet werden müssen, um die Dif-ferenz zur Königin deutlich zu machen.

Kleopatras besonders weiße Haut leuchtet hervor und wird durch den dunkel gehaltenen Hintergrund und die dunkelhäutigen Sklavin-nen betont. Ihre „Leichenblässe“7 thematisiert zum einen die Schwelle zwischen Leben und Tod, zum anderen betont sie aber auch die Hautfarbe.

Der Körper wird über die Diskursmus-ter der Fremdheit produziert: Die Hautfarbe

Kleopatra in Makarts Bild ist wie Delacroix’ Sardanapal auf einem Bett drapiert. Auf dem Boden neben der ‚verderblichen‘ Kleopatra in Makarts Darstellung liegt – auch dem Orient-bild Delacroix’ ähnlich – eine tote Sklavin: Die dunkle Haut und die Blauarabesken auf dem Arm und der Brust markieren den Status der Dienerin. In Europa wird die Tätowierung zur Stigmatisierung der Ausgeschlossenen ver-wendet, der Straffälligen oder der Seefahrer etwa (vgl. Meyer-Drawe 2002). Es liegt auf der gleichen Linie, wenn Adolf Loos (1908 / 1962) in seinem Aufsatz Ornament und Verbrechen die Tätowierung und das Ornament den „Dege-nerierten“ und Häftlingen zuordnet und im selben Aufsatz das Ornament als Merkmal des Wilden und der Frauen beschreibt. So erklärt

7 Siehe dazu Steinhauser (1973, 168). Vgl. auch Vin-centi (1876 / 2000, 120): „Es liegt ein todesberauschen-der Zauber in diesem Bilde“.

Abb. 6: Hans Makart: Tod der Kleopatra 1875. Öl auf Leinwand, 191 × 255 cm (Staatliche Museen Kassel; nach Katalog Makart 2000, 121).

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rasa –, die dunkle Haut als ihr Pendant ver-standen wird: „Die ‚farbige‘ Haut wird somit, im Gegensatz zur hellen, als markierte inter-pretiert; sie wird zu einer von der neutralen Norm abweichenden“ (ebd.). Die weiße Haut wird demnach als unmarkierte Instanz und universale Norm gesetzt, indem die dunkle Haut als Alterität definiert wird. Dadurch wird die Vorstellung einer ‚natürlichen‘ Differenz hervorgebracht.

Die in Makarts Bild dargestellten männ-lichen Körper bedürfen einer solchen Mar-kierung der Andersheit, sowie auch die Skla-vinnen. Letztere sind dunkelhäutig, während Kleopatra als Königin weiß ist.9 Durch die Hautfarben wird eine Hierarchisierung ins Bild gesetzt.

ist primäres Merkmal, nach dem ethnische Differenz bestimmt wird – die Semantik der Inkarnate prägt ein „koloristisches Bedeu-tungssystem“ (Schmidt-Linsenhoff 2001). Der Opposition von schwarz-weiß kommt damit zentrale Wirksamkeit zu. In dem Monumen-talgemälde8 Die Nilfahrt der Kleopatra aus dem Jahr 1875 wird die nackte weiße Haut zweier Frauen mit der schwarzen Haut der Männer kontrastiert, so dass erstere besonders her-vorleuchtet (Abb. 8). Die Hautfarbe fungiert als visuelle Kategorie der Andersheit (Ben-thien 1999, 174). Claudia Benthien beschreibt am Beispiel Johann Gottfried Herders, dass die ‚weiße‘ Haut wie in der Drucktechnik oder Malerei als eine Art farbneutrale Lein-wand oder unbeschriebenes Blatt – als tabula

Abb. 7: Hans Makart: Tizian 1882–84. Öl auf Leinwand, ca. 178 × 356 cm (Lünettenbild im Treppenhaus des Kunsthistorischen Museums, Wien; nach Kriller / Kugler 1991, 243).

8 Das Bild misst 189,5 cm × 506 cm (Frodl 1974, Kat.-Nr. 251).

9 Lucy Hughes-Hallett beschreibt in ihrem Buch über Kleopatra deren Entwicklung zur „Fremden“ (Hughes-Hallett 1990, bes. 252–280).

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im vorderen Bereich der Barke wie ein Eros-knabe erscheint.13 Im gleichen Zug werden die Sklaven und Sklavinnen im Wasser zu Tri-tonen und Nereiden, die die Begleiter und Begleiterinnen der Aphrodite bei ihrer Meer-geburt sind.14 Kleopatra changiert damit zwi-schen der mythischen, verführerisch schönen Frau, verkörpert durch Venus, und der absolu-ten ‚historisch belegten‘ femme fatale.

Bei Hans Makart avanciert Ägypten zu einem Konstrukt historistischer Imagina-tionen. Diese Darstellungen bedürfen keiner Verifikation am Ort, da sie eine U-topie, einen Nicht-Ort, zeigen. Indem als Vorlage ein The-aterstück dient, das bereits genannte Antonius und Kleopatra von Shakespeare, referiert das Bild von vornherein auf künstlerische Fiktion

Die Alterität Ägyptens gegenüber Europa geht bei Makart einher mit der Darstellung von Weiblichkeit und Sinnlichkeit: Erotik und Exotik fallen zusammen.10 In dem Bild Die Nil-fahrt der Kleopatra zeigt sich die Pharaonin auf einem blumengeschmückten Boot in prächti-gen Kleidern und mit großem Halsschmuck, dessen Anhänger ihr zwischen den entblößten Brüsten hängt und den Blick geradezu da- rauf lenkt. Entsprechend dem Vergleich, den Shakespeare in Antonius und Kleopatra zieht, erscheint Kleopatra „farbenstrahlender als jene Venus, / Wo die Natur der Malerei erliegt“.11 So sitzt sie in Makarts Bild auf dem Boot wie eine liegende Venus,12 so dass der kleine Junge

10 Dabei ist es von geringer Bedeutung, ob es sich um Frauen aus Nordafrika oder Japan handelt. Makart stellt etwa eine Japanerin dar, die ein Gewand trägt, das die Brüste unbedeckt lässt, vgl. Die Japanerin aus dem Jahr 1875 (Frodl 1974, Kat.-Nr. 254).11 Shakespeare 1623 / 1979, 116, 2. Aufzug 2. Szene. Dass Kleopatra auf einem Boot auf dem Nil fährt, wird im 19. Jahrhundert ein gängiger Topos. So beginnt Théophile Gautiers Erzählung Eine Nacht der Kleopatra mit einer ausführlichen Beschreibung der Barke (Gau-tier 1839 / 1990, 7 ff.).12 Ikonographisch lässt sich diese Parallele bis hin zur Venus in der Muschel in der Casa II 3, 1.2.3, der so genannten Casa della Venere in Conchiglia in Pompeji

Abb. 8: Hans Makart: Die Nilfahrt der Kleopatra 1874/75. Öl auf Leinwand, 189,5 × 506 cm (Staatsgalerie Stuttgart; nach Husslein-Arco / Klee 2011, 44).

zurückführen, ein Typus, der in zahlreichen Darstellun-gen der römischen Antike zu finden ist. Eine Analogi-sierung von Kleopatra und Venus findet sich bereits in der Antike (Hamer 1993, 111 ff.).13 Bei Shakespeare heißt es: „Zu beiden Seiten ihr holdselge Knaben, / Mit Wangengrübchen, wie Cupid lächelnd, / Mit bunten Fächern ...“. Shakespeare 1623 / 1979, 2. Aufzug 2. Szene, 116. Makart hält sich sehr eng an die Textvorlage.14 In Shakespeares Text werden sie als „Nereiden, Meerweiber“ beschrieben. Shakespeare 1623 / 1979, 2. Aufzug 2. Szene, 116.

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zen und auf diese Weise in Bewegung geraten. So kann Kleopatra in diesen Imaginationen griechische Göttin und orientalische Königin zugleich sein.

‚Wieder-Erzählungen‘ der Vergangenheit

Im ersten Teil meines Beitrags hat sich gezeigt, dass die historistische Kunst zu einem gro-ßen Teil darauf angelegt ist, zur Stiftung kul-tureller Identität den Schein einer homoge-nen europäischen Tradition als Legitimation der Nationenbildung herzustellen; hingegen wurde im zweiten Teil deutlich, dass solche Konzepte hybrid und brüchig sind. Wie Homi

stärker denn auf Realgeschichte. Entsprechend stand für Makarts theatralisch-pompös-deka-dentes Bild der Kleopatra die Wiener Schau-spielerin Charlotte Wolter Modell. Der Ori-ent ist damit bei Makart per se ein artifizielles Konstrukt. Das Exotische wird zum Kunst-raum. In seiner Abweichung vom Alltag fas-ziniert das Fremde. Das Atelier Makarts ist ein Spiegel dessen: Palmen, orientalische Teppi-che, Leopardenfelle, Ottomanen bilden neben altitalienischen Truhen, chinesischen Gongs, Straußeneiern, altdeutschen Türen und vielen anderen Objekten ein historistisches Ensem-ble, in das sich seine Bilder perfekt einfügen (Abb. 9). Das Atelier wird auf diese Weise zum Mikrokosmos des Fremden und Vergange-nen,15 in dessen Zentrum die Gemälde Kleo-patras stehen.

Am Beispiel von Makarts Kleopatra-Darstel-lungen wird deutlich, wie der Exotismus zum Programm gemacht wird, indem die Kunst sich auf das Ferne, ‚Fremde‘, Ausgeschlossene kapriziert. Dabei zeigt sich, dass Kategorien der Andersheit in der Figur der Kleopatra mit den Konstruktionen des Eigenen verschmel-

Abb. 9: Hans Makarts Künstlerwerkstatt in Wien, Gußhausstraße 25. 1870, Holzstich von V. Katzler nach Photographie von J. Löwy (akg-images).

15 Auch andere Künstler dieser Zeit richten sich exo-tisch ein. So baut etwa der englische Künstler Frede-ric Lord Leighton eine arabische Halle an sein Haus in London – ein Raum mit Kuppel, einem Brunnen in der Mitte und maurischen Fliesen an den Wänden (Campbell 1996, 10–16).

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‚Griechische Archäologie‘. Eine Archäologie des Fremden?

Beat Schweizer

Hellenism“ (Hamilakis 2007, 57–123) geprägt, also durch eine Identitätskonstruktion, in der auch die byzantinische Epoche im Raum des modernen Griechenland berücksichtigt wird. Als problematisch wird inzwischen gesehen, wie eine derartige auf Kontinuität zwischen Antike und Gegenwart festgelegte Konzep-tion – „Grundsätze und Obsessionen des 19. Jahrhunderts“ – mit den Realitäten einer modernen „multikulturellen griechischen Gesellschaft“ in Übereinstimmung gebracht werden kann (Damaskos 2011, 81; 84).

Was das Quellenmaterial der Archäologie betrifft, wird in der angeführten Einleitung auch eine Einschränkung vorgenommen, nämlich die auf gegenständlich Vorhandenes, das dann offensichtlich dem visuell Erfassba-ren gleichgesetzt wird und nicht nur Texte im traditionellen Sinn ausschließt: „Archäologie ist, in einem allgemeinen Sinn, die Wissen-schaft von den gegenständlichen, visuell erfaß-baren Zeugnissen vergangener Gesellschaften. Sie umfaßt sowohl die allgemeine materielle Kultur als auch speziell die verschiedenen Gattungen der ‚Kunst‘, besonders Bild- und Bauwerke“ (Borbein / Hölscher / Zanker 2000, 7). Damit wird einerseits der fachlichen Aus-differenzierung – ‚Griechische Archäolo-gie‘ etwa gegenüber der Gräzistik und Alten Geschichte – Rechnung getragen, jedoch

Einleitung

Sich dem Thema „‚Griechische Archäologie‘. Eine Archäologie des Fremden?“ anzunähern, setzt zunächst eine Definition dessen voraus, was unter ‚Griechische Archäologie‘ verstan-den werden soll. In einer Facheinführung wird Klassische Archäologie definiert als: „speziell die Archäologie des ‚klassischen‘ Altertums: der griechischen, etruskischen und römischen Kultur, einschließlich ihrer kulturellen Vorstu-fen und Nachwirkungen, ihrer Randgebiete, ihrer Beziehungen zu benachbarten Kulturen sowie die Geschichte ihrer Erforschung bis in die Gegenwart“ (Borbein / Hölscher / Zan-ker 2000, 8). Dieser Konzeption folgend soll hier ‚Griechische Archäologie‘ als ein Teilbe-reich einer auf das ‚klassische Altertum‘ aus-gerichteten Klassischen Archäologie im Vor-dergrund stehen, die noch bis in die 1960er Jahre mit einem Geschichtsbild universalen Geltungsanspruchs verbunden war. Aus der Sicht etwa einer ‚nationalen‘ Archäologie im modernen Griechenland, in der Antiken das zentrale symbolische Kapital des Landes (Hamilakis 2007, 51) darstellen, würde eine Stellungnahme anders ausfallen. Deren par-tikulares Geschichtsbild ist seit dem 19. Jahr-hundert durch einen aus dem „Western Hellenism“ hervorgegangenen „Indigenous

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Beat Schweizer94

Die Akropolis von Athen

„erblickten wir vom Meer aus die Akro-polis und den Parthenon. Ich traute kaum meinen Augen; wahre Feerei! … Wie ein Traum, wie berauscht! der Eindruck dieser Trümmerstadt läßt sich nicht beschreiben.“

Die Worte in einem Brief des Geographen Carl Ritter an seine Frau aus dem Jahr 1837 (Kramer 1875, 43–44) beschreiben eine Erfah-rung von Monumenten im landschaftlichen Zusammenhang in einer wohl nur in jener Zeit möglichen Intensität. Bezeugt wird die Annäherung des Bildungsbürgers an einen Fixpunkt seiner eigenen kulturellen Welt. Im Fokus stehen konkrete Denkmäler am Ort, angeschlossen wird aber an einen Raum des kulturellen Gedächtnisses mit den zugehö-rigen Mythen oder Narrativen der histori-schen Überlieferung. Die Sichtweise wurde seinerzeit von Gebildeten und Experten, also Fachwissenschaftlern geteilt. Im Rahmen einer gerade erst, nach Gründung des grie-chischen Staates institutionalisierten Archäo-logie war begonnen worden, diese kulturelle Welt wieder zu gewinnen, zu re-konstruieren. Archäologie war zugleich eine ausgrabende und eine die Monumente wiederherstellende Wissenschaft, von daher eng verbunden mit der Konstruktion eines Weltbilds. Dies zeigt der Vergleich von zeichnerischen Rekon-struktionen der Akropolis aus den 1830er und 1840er Jahren mit einem ‚Programmbild‘ des Klassizismus – ‚Ideale Ansicht der Stadt Athen mit der Akropolis und dem Areopag‘ von Leo von Klenze (Abb. 1). Das Weltbild hat jedoch auch die archäologische Praxis geprägt. Die Akropolis von heute ist ein auf Bauwerke eines einzigen Jahrhunderts – die Propy-läen, der Parthenon, das Erechtheion und der Nike-Tempel – purifizierter Ort (Schnei-der / Höcker 1990, 52). Diesem Bild – „von

auch ein sektoraler Kulturbegriff (vgl. Gotter 2001, 257–265) vorausgesetzt. Es sind damit bestimmte Präferenzen, Einschränkungen, aber auch Möglichkeiten und Vorteile der Inter-pretationen und Diskurse vorbestimmt. Denn Vergangenheit liegt nur medial vermittelt vor, sodass die Rekonstruktion oder Konstruktion der Vergangenheit auch den Beschränkungen dieser Medien und den Diskursen um diese Medien unterliegt.

Auch wenn andere methodisch und theo-retisch umfassendere, auf einem holistischen Kulturbegriff basierende Konzeptionen einer Klassischen Archäologie möglich sind,1 soll die über Dinge, Bild- und Bauwerke eines ‚klassischen‘ Altertums definierte Archäologie hier im Fokus stehen, und zwar in Hinblick auf die Fragen: Wird innerhalb der Klassischen Archäologie nicht das kulturell oder sozial Fremde als das kulturell und sozial Identische konstruiert? Kann ‚Griechische Archäologie‘ eine Archäologie des Fremden sein? Dieser Problemstellung wird für die archäologischen Quellenkategorien der Heiligtümer und der Statuen am Beispiel einzelner Denkmäler nachgegangen und dabei werden Diskurse um Erinnerungsorte und den Zusammenhang von Bildwerken und Geschichte behandelt.2 Darauf aufbauend soll abschließend die Frage nach der Archäologie als einer Wissenschaft des Fremden und auch die des ‚Fremden‘ im Rahmen der ‚Griechischen Archäologie‘ auf-genommen werden.

1 Vgl. z. B. Snodgrass 1987; Altekamp / Hofter /Krumme 2001; Lang 2002; Voutsaki 2008. Oder: „Der be-fundorientierten Archäologie geht es … um die Rekonstruktion von Prozessen und Strukturen, also um etwas, das … zwischen den Dingen liegt“ (Schnei-der 1985/86, 24).2 Beispiele wie Diskurse sind in anderen Beiträgen (Schweizer 2009; 2011; 2012; 2014) teils ausführ-licher – mit der relevanten Forschungsliteratur – teils in Hinblick auf andere Aspekte schon behandelt worden. Überschneidungen ließen sich nicht vermeiden.

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‚Griechische Archäologie‘. Eine Archäologie des Fremden? 95

In der Antike waren die Bauten der Athe-ner Akropolis jedenfalls „Monumente stol-zer Selbstdarstellung Athens mit deutlichem Bezug auf Vergangenheit“ (Schneider 1999, 254). Kollektives Gedächtnis stellte sich als Konstruktion aus Bauwerken und Denkmä-lern dar. Verhandelt wurden darüber Demo-kratie, Bürgerschaft, Politik, Freiheit, aber auch der Gegensatz von Griechenland und Orient. Daher kann die auf Athen fokussierte griechi-sche und damit frühe europäische Geschichte auch als „Ergebnis der Selbst-Historisierung dieser Stadt“ (T. Hölscher 2010, 130) beschrie-ben werden. Dass diese Verknüpfung von Griechenland und Europa mit den Monu-menten des ‚klassischen‘ Athen ohne eine klassizistische Tradition nicht denkbar ist, zeigt das Buch „Erinnerungsorte der Antike. Die griechische Welt“ (Stein-Hölkeskamp / Höl-keskamp 2010). Den Schutzumschlag ziert ein Ausschnitt aus von Klenzes Programmbild des Klassizismus. Dass diese ‚Rekonstruktion‘, die die Leerstelle eines Bildes des ‚ursprünglichen‘

Kultur schlechthin, ‚abendländischer Kultur‘“ (Schneider 1999, 254) – ist der Zustand vom Anfang des 19. Jahrhunderts gegenübergestellt worden (Abb. 2): „farbige Ablagerung einer jahrtausendealten wechselhaften, im übrigen nicht nur griechischen, sondern ebenso byzan-tinischen, italienischen, slavischen, albanischen, bulgarischen und türkischen Geschichte – einer nicht schmerzfreien Geschichte“ (ebd. 260). Ein Blick auf das Fremde, das Fremd-artige ist damit selbstverständlich noch nicht gewonnen, es handelt sich nur um eine andere Form der Identitätskonstruktion. Den einer-seits auf eine konsistente, auf die Klassik, ande-rerseits auf das Fragmentarische, Widersprüch-liche und Hybride zielenden Konstruktionen scheinen in erster Linie unterschiedliche Kon-zeptionen von Kultur zugrunde zu liegen.3

3 Vgl. dazu ganz allgemein den Zugriff auf Kulturbe-griffe über Gegensatzpaare bei Haller (2005, 28–37).

Abb. 1: Die Akropolis von Athen, vom Befund zur Imagination. „Die Propyläen.“ a: (nach dem Titelblatt von: L. Ross / E. Schaubert / Ch. Han-sen, Die Akropolis von Athen nach den neuesten Ausgrabungen 1. Der Tempel der Nike Apteros. Berlin 1839). b: (nach der Beilage zu: E. Curtius, Die Akro polis von Athen. Ein Vortrag im wissen-schaftlichen Vereine zu Berlin am 10. Februar ge-halten. Berlin 1844). c: (nach dem Bild Klenzes in: Schneider / Höcker 1990, Farbtafel 2).

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gerade das ermögliche es, „sich der griechi-schen Kultur aus kritischer Distanz heraus und unter neuem Blickwinkel wieder zu nähern“ (Lang 2002, 10). Es wird „die normative Gel-tung der griechischen und römischen Kultur als Vorbild und Maßstab für die Gegenwart“

Zustands im 5. Jh. v. Chr. quasi authentisch füllt, an dieser Stelle eingesetzt werden kann, belegt die Verwobenheit von monumentalen und metaphorischen Erinnerungsorten unter-schiedlicher Zeiten von der Antike über den Klassizismus und die klassische Bildung bis zum Europa-Gedanken.4 Archäologische Stät-ten sind denn auch kein Quellenmaterial der Archäologie, sondern Medien des kollektiven und kulturellen Gedächtnisses.

Von daher führt jedenfalls kein Weg zu der zuletzt in den Einführungen in das Fach klar und deutlich eingeforderten Archäologie des Fremden. Denn: „Uns sind die Griechen des klassischen Altertums ‚fremd‘ geworden.“ Aber

4 Ähnlich Borbein (2011, 56): „Nur noch selten finden wir heute Orte, an denen antike Ruinen und Landschaft, Spuren der Vergangenheit und Leben der Gegenwart als Einheit erlebt werden können – so wie Goethe die römische Campagna auf dem berühmten Gemälde von Johann Heinrich Tischbein aus dem Jahre 1786. Die Landschaft, die seit der Antike weitge-hend unverändert dieselbe geblieben war, … “

Abb. 2: Die Akropolis von Athen an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert (nach: E. Dod-well, Views in Greece. London: 1821. a: View of the Parthenon from the Propylaea; b: Westfront of the Parthenon).

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die Antike einschließt“ (Hölscher 1995, 202). Aus Sicht der Alten Geschichte wurde als eine Herausforderung formuliert, die „Antike bewußt als das Fremde, das Andere“ zu begrei-fen, die üblichen fachlichen Routinen hinter sich zu lassen, um Verhaltensweisen und Prak-tiken zu untersuchen (Gehrke 1995, 177).

Die Akropolis des 5. Jhs. v. Chr. war nicht nur ein Ensemble von Bauten klassischer Formgebung, sondern als Ort wichtiger Hei-ligtümer der Polis Athen auch Zielpunkt der wichtigsten Festprozessionen der Stadt, der Panathenäen – und damit war die Akropolis architektonischer, räumlicher Rahmen zen-traler religiöser Riten der Polis, nämlich gro-ßer Tieropfer (Bruit Zaidman / Schmitt Pan-tel 1994, 33–37).6 Im Rahmen soziologisch ausgerichteter Herangehensweisen an antike Religion, im Rahmen einer soziologischen Opfertheorie verbürgt das Opfermahl die Zugehörigkeit des Individuums zur Opferge-meinschaft, also der Polis. Am Ort selbst, auf dem Fries des Parthenon ist diese Prozession repräsentiert (Burkert 1977, 165). Götter und Bürger und auch die Opfertiere sind in klassi-sche Form gebracht. Zwar scheinen die Rin-der auf Platten des Nord- und des Südfrieses (Himmelmann 1997, 37 Abb. 22–23; 39 Abb. 24–25) nicht ganz so gelassen und unberührt wie auf attischen Tongefäßen der gleichen Zeit (vgl. Durand / Schnapp 1985, 73–82). Diese zeigen das Neigen des Kopfes (Himmelmann 1997, 18–20), auch beim Trinken, was als Ein-verständnis des Opfertiers ‚gedeutet‘ wurde (ebd. 45–47; Moraw 2002, 76–77). Dement-sprechend gab es Erzählungen darüber, dass das Tier „‚freiwillig‘ zum Opfer schreitet“ (Burkert 1977, 101).7 Aber selbst mit den nach vorne drängenden Kühen am Nord- und Süd-

in Frage gestellt. An der Bezeichnung ‚Klassi-sche Archäologie‘ könne nur „im Sinn einer wertneutralen geographischen und chrono-logischen Definition“ festgehalten werden.5 Gefordert wird für das Fach: „einen Beitrag dazu zu leisten, daß die griechische und römi-sche Kultur im interkulturellen Vergleich ins Verhältnis zu anderen Kulturen gesetzt wer-den kann“ (Borbein / Hölscher / Zanker 2000, 8). Zu beachten sind dagegen aber auch For-mulierungen wie: „Im Spektrum der Weltkul-turen stellen das antike Griechenland und das Römische Reich Optionen dar, die Europa und das ‚Abendland‘ in vieler Hinsicht, positiv wie negativ, geprägt haben.“ Und: „Diese Tra-dition, zu der die archäologische Wissenschaft selbst gehört, kritisch bewußt zu machen und zu erforschen, ist eine besondere Aufgabe der ‚Klassischen‘ Archäologie gerade in Europa“ (ebd.). Bleibt Klassische Archäologie – „gerade in Europa“ – damit nicht an den europäischen Referenzrahmen gebunden, wird ihr so nicht nur eine andere, jetzt nicht mehr affirmative, sondern kritische Stellung im Europadis-kurs zugewiesen? In einer Bestandsaufnahme der Altertumswissenschaften am Ende des 20. Jahrhunderts war das noch prononcier-ter vertreten worden. Gesprochen wurde von einer komparatistischen Sicht in dreifacher Hinsicht, synchron in Hinblick auf antike Kulturen, diachron in Bezug auf die Neuzeit und drittens systematisch komparatistisch „im Rahmen einer imaginären Geschichte der Weltkulturen, die die eurozentrischen Veren-gungen überwindet. Es müßte eine ‚Herme-neutik der Fremdheit‘ entwickelt werden, die

5 Selbstverständlich kann die Bezeichnung ‚Klassi-sche Archäologie‘ nicht wertneutral sein. Diese bei-zubehalten, wäre allerdings zu begründen. Versuche dazu liegen vor, etwa bei Snodgrass (1987) oder bei Altekamp, Hofter und Krumme (2001). Die Bezeich-nung ‚wertneutral‘ zu verwenden, heißt die Wertungen implizit weiter zu führen.

6 Allgemein zu Prozession und Opfer: Bremmer 1996, 45–51. 7 Knapp zur Diskussion des ‚Schuldbewusstseins‘ als Basis einer Opfertheorie: Bremmer 1996, 48–50.

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‚klassischen‘ Griechenland zeigen: „Tierop-fer ist Blut vergießen; daß die Altäre blutig werden, ist Charakteristik des Opfervollzugs überhaupt“ (Burkert 1977, 106). Nicht zuletzt gehörten dazu auch Gerüche aller Art, auch die des Feuers (ebd. 109–110). Die Bilder der opferwilligen Tiere aus dem Athen des 5. Jahr-hunderts können aus heutiger Sicht als „Bilder, die lügen“ (Moraw 2002) bewertet werden. Aber auch die Opfer nicht nur als blutige, son-dern auch als „unappetitliche Angelegenheit“ (ebd. 74) zu bezeichnen, kann den Blick auf die Fremdheit der Riten jedoch wieder verstellen. Es geht nicht nur darum, die „unheimliche“ Seite der „Klassik der Griechen“ (T. Hölscher 1989) oder Gewalt als „die andere Seite der Klassik“ (vgl. Moraw 2002) zu entdecken, son-dern das Fremde der „klassizistischen“ Seite. „Die Fremdheit einer Kultur setzt nicht erst in den inhaltlichen Einstellungen zur Gewalt ein, sondern schon in den formalen Strukturen, wie Texte und Bilder über Gewalttätigkeiten berichten“ (Muth 2008, 8). Eine Option der Annäherung ist der strukturalistische Blick auf die Bilderwelt der attischen Gefäße, die „cité des images“ (vgl. Durand / Schnapp 1985).

Die sogenannten Tyrannenmörder

Im Myrtenzweige tragen will ich mein Schwert,so wie Harmodios und Aristogeiton,da den Tyrannen sie erschlugen,gleiches Recht den Athenern schufen.

Athenaios, Deipnosophistai 15,6959

Das Beispiel der sogenannten Tyrannenmör-der soll dazu dienen, anhand eines spezifi-schen Denkmals des frühklassischen Athen

fries des Parthenon scheint „Opferwilligkeit“ ausgedrückt (Himmelmann 1997, 37–46).

Eine realistischere Vorstellung der Riten auf der Akropolis in klassischer Zeit lässt sich über – aktualistische – Analogien von Festen gewin-nen, in denen eine größere Zahl von Tieren geopfert werden. Für Betrachter der ‚west-lichen‘ Welt, in denen Schlachtvorgänge mehr oder minder räumlich abgesondert und damit auch verdrängt werden (Himmelmann 1997, 7 mit Anm. 1), ist dies durch das mit Gebe-ten verbundene Schlachten von Tieren beim Opferfest etwa in Großstädten der islamischen Welt gegeben. Die Tiere streben selbstver-ständlich nicht dem Opfer entgegen, sondern werden gebunden, zu Boden gedrückt, sind nicht auf der Stelle tot, der Kopf wird abge-trennt und den Tieren die Haut abgezogen, sie werden zerlegt, das Fleisch herausgetrennt und zerkleinert. Dies alles kann auf der Straße stattfinden.8 Derartige mit Opfern von Tieren verbundene Feste erlauben es trotz des ande-ren Kontextes, sich dem, was die Akropolis des 5. Jhs. v. Chr. ausmachte, auf neue Weise, in Ausrichtung auf das Fremdartige der grie-chischen Kultur zu nähern. Während der gro-ßen Panathenäen wurden einhundert – eine Hekatombe – oder auch weit mehr Rinder mitgeführt und geopfert, das heißt, geschlach-tet, den Göttern geweiht, also verbrannt, größ-tenteils aber auch unter den Bürgern verteilt, geröstet oder gekocht und gegessen (Bruit Zaidman / Schmitt Pantel 1994, 109). Mit Bildern der Prozession, auch des Parthenon-frieses, waren also ganz andere Assoziationen verbunden, als sie Bücher zur Bilderwelt des

8 S. etwa C. Wenger, „Aus Dhaka (Bangladesch) berichtet C. Wenger“: http: // archive-ch.com /page / 342243 / 2012-09-30/http: // www.maz.ch /arbei-ten / deza / wenger / bericht.asp. Bilder des Opferfestes lassen sich über eine Internetrecherche leicht auffinden. Sie werden auch politisch – als abschreckende Beispiele einer Gegenwelt – instrumentalisiert.

9 Die Übersetzung hier nach U. und K. Treu: Athe-naios von Naukratis, Das Gelehrtenmahl. Sammlung Dieterich 329. Leipzig: Dieterich 1985, 432–433.

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‚Griechische Archäologie‘. Eine Archäologie des Fremden? 99

schaftlich aber als ‚Tyrannenmörder‘ bezeich-net. Die Bedeutung dieser zweiten Gruppe (Abb. 3) im öffentlichen Leben Athens ist durch Bezugnahmen in anderen – bildlichen und an Schrift gebundenen – Medien des 5. und 4. Jhs. v. Chr. bezeugt.

Auch um die Mitte des 20. Jahrhunderts standen die Namen Harmodios und Aristo-geiton für mehr als zwei Figuren griechischer Statuen. In einem Gedicht von Karl Wolfs-kehl – ‚Zu Schand und Ehr‘ – war die geistige Haltung des konservativen Widerstands unter dem Schlagwort ‚Hellas‘ gefasst worden. Und zwei Mitglieder des George-Kreises, Claus und Berthold von Stauffenberg, waren Har-modios und Aristogeiton gleich gesetzt wor-den: selbstverständlich nur auf der abstrakten Ebene der ‚Attentäter‘, handelte es sich doch einerseits um ein Brüderpaar, andererseits um ein Männerpaar unterschiedlicher Lebens-

der üblichen Praxis der Gegenstandser-schließung und Gegenstandssicherung in der Klassischen Archäologie nachzugehen und zugleich gesellschaftliche Aktualisierungen und wissenschaftliche Interpretationen mate-rieller Kultur in Bezug auf schriftliche Über-lieferung zu verfolgen. Die historische Basis bildet ein Ereignis des Jahres 514 v. Chr.10: Während der Vorbereitung des Panathenä-enzugs wurde Hipparchos, einer der Söhne des vormaligen Tyrannen Peisistratos, von Harmodios und Aristogeiton aus dem Adels-geschlecht der Gephyräer getötet. In Versen eines wohl kurz darauf entstandenen Trink-lieds wurde der Anschlag mit der Isonomie, der Gleichheit politischer Rechte, verbunden, ein gegen die Tyrannis gerichteter, politischer Leitgedanke, der dann im späten 5. Jh. v. Chr. auf die Gründung der athenischen Demokra-tie bezogen wurde. Sowohl in der antiken als auch der modernen historischen Forschung wurde diese Verknüpfung jedoch bezweifelt, dem Attentat also der Ereignis charakter abge-sprochen. Harmodios und Aristogeiton, die im Zusammenhang des Attentats beziehungs-weise kurz danach ebenfalls umgebracht wurden, begegnen jedoch in Diskursen zu klassischer Plastik. Denn Statuengruppen der heroisierten Attentäter waren auf der Agora von Athen errichtet worden: eine erste des Bildhauers Antenor war 480 v. Chr. von den Persern geraubt und 477 / 76 v. Chr. durch eine Bronzegruppe von Kritios und Nesiotes ersetzt worden. Letztere ist durch römische Marmorkopien überliefert und wird in römi-schen Quellen als ‚Tyrannentöter‘, wissen-

Abb. 3: Die Tyrannenmörder von Kritios und Nesio-tes, Rekonstruktion im Gipsabguss. Roma, Uni-versità, Museo dei Gessi (nach: Schweizer 2009, 241 Abb. 1).

10 Für die umfangreiche historische und archäologi-sche Literatur zum Ereignis und zur Statuengruppe, zur Rezeption von Ereignis und Gruppe vor allem in Medien des 5. und 4. Jhs. v. Chr. und auch zur For-schungsgeschichte sei hier nur auf Schweizer (2006; 2009) und darüber hinaus auf F. Hölscher (2010) ver-wiesen.

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für die athenische Demokratie affirmative Charakter der Bildwerke und ihre Bedeutung als erstes politisches Denkmal gewürdigt.

Innerhalb der Archäologie ist diese seit den 1970er Jahren vertretene politische Erklärung zuletzt erweitert worden, indem die zuvor nur für die Rekonstruktion der Gruppe herangezogenen Darstellungen von Tat und Monument in anderen Medien, vor allem den Gefäßbildern, in die Interpretation einbezogen wurden. Darüber hinaus kann die Rezeption des Attentats des Jahres 514 v. Chr. sowie der Statuen der dann heroisier-ten Attentäter von 477 / 476 v. Chr. allgemein über verschiedene Medien – Münz- und Gefäßbilder, Trinklied, Komödie, Geschichts-werk – verfolgt werden. Für das letzte Viertel des 5. und den Beginn des 4. Jhs. v. Chr. ist die Rolle von Harmodios und Aristogeiton als Medienikone (Abb. 4) in affirmativen oder subversiven Perspektiven zu fassen (Schwei-zer 2009, 21–24).

Die ‚Tyrannenmörder‘ sind im Rahmen der unterschiedlichen Medien mit jeweils anderen Bedingungen der Verbreitung und der Rezep-tionskontexte Elemente eines spezifischen politischen Diskurses jener Zeit: Der politi-sche Gegner wurde prinzipiell der Errichtung einer Tyrannis verdächtigt. Auch der Tyran-nenmörderexkurs des Thukydides (VI 54–59) bezieht sich auf den Verdacht einer Tyrannen-verschwörung, nämlich der des Alkibiades. Wie am Ende des 5. Jhs. v. Chr. das Attentat sowie das mit zentralen Orten und Verfahren der Demokratie verbundene Denkmal auch zur Zielscheibe des Spotts werden konnte, illustrieren Verse in einigen Komödien des Aristophanes,12 etwa Lysistrate:

Ich durchschaue das Gewebe, Männer: das ist Tyrannei!

alter. Eine andere politische Aktualisierung etwa derselben Zeit stellt ein wissenschaftli-cher Artikel des dem George-Kreis nahe ste-henden Archäologen Karl Schefold im 1944 neu gegründeten ‚Museum Helveticum‘ dar, diesmal jedoch nicht mit den historischen Personen, sondern den statuarischen Grup-pen als Bezugspunkt. Als Einleitung dienten die Verse des Trinklieds – und zwar in der Übertragung Hölderlins (Schweizer 2009, 242–243). Die politische Botschaft wurde allerdings implizit, nur durch die Wahl des Gegenstands, ausgedrückt. Angelegt war der Beitrag als Teil der Diskussion um die Gestalt, das Gesamtbild der Skulpturengruppen, seinerzeit ‚großes‘ Thema der Klassischen Archäologie, auch zu den ‚Tyrannenmör-dern‘. Zuvor, seit Mitte des 19. Jahrhunderts war die Forschung auf Kopienkritik der Einzelfiguren ausgerichtet gewesen. Auf der Ebene des Materials wurde dieser ältere Dis-kurs abgeschlossen, nachdem unter den 1954 aufgefundenen römischen Gipsabgüssen von Baiae ein zum Kopf des Aristogeiton gehö-riges Fragment identifiziert wurde, das als Abguss des klassischen Bronzeoriginals gilt. Als die Funde von Baiae dann 1985 pu bliziert wurden, hatte sich das Forschungsinteresse jedoch zu einer politischen Ikonologie ver-schoben. Die ‚Tyrannenmörder‘ werden in dieser Perspektive – auch in ihrer formalen Gestaltung – als erstes öffentliches Denkmal einer sich selbst verwaltenden politischen Gemeinschaft gedeutet.11 Das zweite, das in klassischer Zeit im Zentrum Athens sichtbare Statuenpaar wird als politisches wie visuel-les Leitbild des demokratischen Athen gese-hen, auch in Hinblick auf die Verkörperung bestimmter Verhaltensideale, Wertvorstellun-gen und Handlungskonzepte. Im Rahmen der Klassischen Archäologie wird daher der

11 Vgl. etwa Fehr (1984), zuletzt F. Hölscher (2010).12 Acharner 978–980; 1093; Wespen 1224–1226; Lysistrate 630–635; Weibervolksversammlung 681–683.

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‚Griechische Archäologie‘. Eine Archäologie des Fremden? 101

wurde gleich zu Beginn eine Liebesgeschichte als Motiv der Tat genannt.

Dementsprechend wird die Tat auch in der archäologischen und althistorischen For-schung gesehen. Die Feier der Tyrannenmör-der im alten Athen – im „offiziellen Gedächt-nis der Polis, inszeniert in den kollektiven Ritualen“ – ist dann nach „den Maßstäben eines Historikers“ – „pure Geschichtsklit-terung“ (Flaig 2004, 58). Schon Thukydides interpretierte die Geschehnisse des Jahres 514 v. Chr. nach den politischen und historischen Maßstäben seiner Zeit, also nach den Krite-rien des späten 5. Jhs. v. Chr. Demnach galt eine Tat mit Eros, Demütigung und gekränk-ter Ehre als Motiven nicht als politisch begründet. Tatsächlich können von Thukydi-des für seine Argumentation herangezogene Fakten aber als Spuren eines in archaischer Zeit geforderten Verhaltens gelten, die Fami-lienehre zu bewahren, und somit auch einer – nach Kriterien jener Zeit – politischen Handlungsweise. Das Fremdartige der grie-chischen Kultur an der Wende des 6. zum 5. Jahrhundert v. Chr. wird also nicht nur

Doch tyrannisieren sollen sie mich nie: ich hüte mich,Und „im Myrtengrün mein Schlacht-schwert werd’ ich tragen“ fürderhin,Auf dem Markt in voller Rüstung bei Aristogeitons BildWerd’ ich stehn – wie er zu großer Tat berufen steh’ ich da!Dir, du gottverhaßte Vettel, alle Zähne schlag ich ein!

Aristophanes, Lysistrate 630–63513

Für Thukydides war das Attentat dagegen Beispiel der Erläuterung seiner historischen Methode, falschen „Nachrichten von Frühe-rem“ durch Prüfung entgegenzutreten, her-kömmliche Meinungen und dichterische Dar-stellung durch Forschen nach Wahrheit und Argumentation zu ersetzen. Nach Thukydides (I 20) ist Hipparchos nicht als Tyrann Athens getötet worden. Im Tyrannenmörder-Exkurs

Münze Gefäß Statuengruppe Trinklied Komödie Historie

Antenor510/09? um 500?

Nach 487/86?

HarmodiosliedEnde 6. Jh.

Kritios/Nesiotes

477/76 Stamnos/Skyphos Figuren 470–50er

Grablekythos Statere Kyzikos

Zyklusschalen Theseus

Bezug auf Lied Acharner/Wespen

420er Herodot

Panathenäische Preisamphoren

Denkmal um 400 Choenkannen

Bezug auf Lied und

Denkmal Lysistrate/Weibervolks-versammlung um 400

Thukydides argumentiert

mit Monumenten

Abb. 4: Die Tyrannenmörder. Die Attentäter und die Statuengruppe des Kritios und Nesiotes in den Me-dien des 5. Jhs. v. Chr. Grau unterlegt die Artefakte des Mediendiskurses um 400 v. Chr. (nach: Schweizer 2009, 260 Tabelle 2).

13 Übersetzung von L. Seeger: Die Komödien des Aristophanes. Berlin: Schneider 1940.

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„Ich befand mich in einer völlig fremden Welt. Denn wie die Jahrhunderte sich aus dem Ernsten das Gefällige bilden, so bilden sie den Menschen mit, ja erzeugen ihn so. Nun sind unsere Augen und durch sie unser ganzes inneres Wesen an schlankere Baukunst hingetrieben und entschieden bestimmt, so daß uns diese stumpfen, kegelförmigen, enggedrängten Säulenmassen lästig, ja furcht-bar erscheinen. Doch nahm ich mich bald zusammen, erinnerte mich der Kunstge-schichte, gedachte der Zeit, deren Geist sol-che Bauart gemäß fand, vergegenwärtigte mir den strengen Stil der Plastik, und in weniger als einer Stunde fühlte ich mich befreundet ...“

Zum anderen ist durch den Begriff Erin-nerungsort doch definiert, dass auch „das antike Griechenland … Europa und das ‚Abendland‘ in vieler Hinsicht, positiv wie negativ, geprägt“ hat. Es ist dies eine „Tradi-tion, zu der die archäologische Wissenschaft selbst gehört“ (Borbein / Hölscher / Zan-ker 2000, 8). Die Klassische Archäologie ist also wie alle anderen Wissenschaften des ‚klassischen Altertums‘ selbst Erinne-rungsort. Aktualisierungen der griechischen Geschichte und Kultur finden sich etwa beim Beispiel der ‚Tyrannenmörder‘ nicht nur außerhalb der Wissenschaft noch Mitte des 20. Jahrhunderts, sondern auch innerhalb der Wissenschaft, etwa wenn seit den 1970er Jahren die Funktion als politisches Denkmal betont wurde, zuletzt aber die Homoerotik der Attentäter (Stewart 1997, 73; Neer 2010, 78–80). Auch Historische Wissenschaften spielen im Rahmen der Traditions- und Kon-tinuitätsstiftung sowie der Ab- und Ausgren-zungspraktiken moderner Gesellschaften eine besondere Rolle. Dabei wurde insbesondere die Archäologie als ‚Spurensuche‘ der Selbst-vergewisserung zugeordnet (Gehrke 1994, 258). Diesen Zusammenhang kritisch aufzu-brechen, galt der Gedanke, „Antike bewußt

durch den modernen Referenzrahmen über-deckt. Schon in den Medien der Wende des 5. zum 4. Jahrhunderts v. Chr. wurde die Tat in einer Weise interpretiert und verhandelt, nach der Politik als eigene autonome Sphäre verstanden wird, und die dementsprechend auch dem modernen Interpreten, dem His-toriker wie dem Archäologen, näher steht.

Fremdheit – Alterität – Alienität

„Uns sind die Griechen des klassischen Alter-tums ‚fremd‘ geworden“ (Lang 2002, 10): Damit ist zunächst gemeint, dass die direk-ten, zugleich aus heutiger Sicht auch freien bis sehr freien Aneignungen der Antike nicht mehr möglich sind. Das ‚klassische Altertum‘ hat nicht mehr den Status des selbstverständ-lichen kulturellen Referenzrahmens (Borbein 2011, 45), der die Basis für die bildungsbür-gerliche Annäherung an die Akropolis im 19. und wohl auch 20. Jahrhundert oder auch die zumindest in hermetischen Kreisen noch mögliche Rezeption der ‚Tyrannenmörder‘ in der Mitte des 20. Jahrhunderts bildete.14 Die Antike hat „unter den Dingen, die uns fern gerückt sind, auch ihre privilegierte Stel-lung verloren“ (ebd.). Ein Buch zu Erinne-rungsorten des antiken Griechenland (Stein-Hölkeskamp / Hölkeskamp 2010) ist so zum einen Ergebnis wissenschaftlicher Arbeit, in Klassischer Archäologie, Gräzistik und Alter Geschichte. Aneignung auch ‚des Klassischen‘ ist also Arbeit am Fremden, wie im 18. Jahr-hundert, als Goethe in seiner Italienischen Reise von 1817 zum 23. März 1787 gegenüber den Tempeln von Paestum schrieb (vgl. Mertens 2010, 150):

14 Borbein (2011, 45–47) knapp zur Bedeutung der Antike für die Kunst um 1900 und des frühen 20. Jahr-hunderts.

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‚Griechische Archäologie‘. Eine Archäologie des Fremden? 103

Perspektive des interkulturellen Vergleichs der ‚griechischen Kultur‘ mit anderen Kulturen, sondern durch eine Anthropologisierung des Forschungsfelds.

Zweitens ist Fremdheit eine relationale Zuschreibung (Schreiber 2013, 77), die sich in unterschiedlichen Zeiten und in Bezug auf unterschiedliche soziale Gruppen je anders darstellen kann (Wimmer 1997, 1066–1067). In einem Beitrag zur Anwendung des Kon-zepts der Akkulturation in der altertums-wissenschaftlichen Forschung ist festgestellt worden: „Was als eigen und was als fremd angesehen wird, ist deutungsabhängig. Die Gruppe, die eine fremde Kultur rezipiert und gleichzeitig ihre kulturelle Identität repro-duziert, interpretiert bestimmte Praktiken, Techniken, Symbole als fremd und als nicht fremd“ (Flaig 1999, 81). Dies betrifft dann auch Archäologie, und somit ‚Griechische Archäologie‘ als eine Wissenschaft des Frem-den. Unterstellt man für den Moment, dass für die behandelten Beispiele der Akropolis von Athen und der ‚Tyrannenmörder‘ Wege zu einer Archäologie des Fremden referiert oder aufgezeigt worden sind, so gilt dies nur aus der Perspektive einer westlichen, euro-päischen Archäologie, und damit würde ein Prozess der Aneignung des Fremden begon-nen haben. Im Rahmen einer Archäologie des Fremden wäre also ein andauendes Aus-greifen auf das Unvertraute gefordert. Jedoch bestehen lange Traditionen der Anthropolo-gisierung des ‚klassischen Altertums‘ für den Bereich der antiken Religion (Baudy 1999), aber auch den der Ökonomie (Gehrke 1995, 178–180), ohne dass das Unvertraute, Fremde gänzlich eingemeindet worden und damit verschwunden wäre. Auch besteht dafür offensichtlich auch ein gewisses Unbehagen, etwa wenn gefragt wird: „Sinnvoll ist gewiss die Perspektive des Ethnologen, der ‚regard éloigné‘. Aber ist der nicht gelegentlich zu forciert verfremdend und neigt er nicht dazu, die tatsächliche Privilegierung einer Epoche,

als das Fremde, das Andere“ (Gehrke 1995, 177) zu begreifen.15

Auch das ‚griechische Altertum‘ wird also zum einen als ‚fremd geworden‘ und ‚fern gerückt‘ eingeschätzt, die Dinge, die Monu-mente und Texte der Antike sind jedoch teil-weise konstituierende Bestandteile moderner Geschichtsbilder, die wiederum die Interpre-tationen desselben Quellenmaterials prägen, sodass ein bewusstes ‚als fremd begreifen‘ als heuristisches Mittel gelten kann. Aus diesen Perspektiven ergeben sich für eine „Herme-neutik der Fremdheit“ (Hölscher 1995, 202) prinzipiell mehrere Probleme. Erstens ist die ‚Griechische Archäologie‘ dann – ebenso wie die Alte Geschichte und die Gräzistik – eine, wenn auch disziplinierte Praxis der Aneig-nung des Fremden (Schreiber 2013, 98–100, zu einigen kritischen Aspekten). In Bezug auf Dinge, Quellenmaterial der Archäologie in der hier verfolgten Konzeption, kann Aneig-nung des Fremden ganz allgemein als Über-nahme mit der Konstruktion neuer Bedeutun-gen, Zuordnung zu neuen Objektkategorien, Inkorporierung, Umgestaltung, Traditionali-sierung und Authentifizierung (ebd. 79–81) und damit insgesamt als – zumindest parti-elle – Aufhebung der Fremdheit gesehen wer-den. Es ist festgestellt worden, dass die nach wie vor dominierende typo-, chrono- und chorologische Praxis, die Vergangenheit nach Kulturen, Zeitabschnitten oder Typen zu ord-nen, die Behandlung kulturwissenschaftlicher Pro blemstellungen ausschließt (Johnson 2006, 123). Auch über die übliche Anwendung stilis-tischer oder formaler Methoden ist die Fremd-heit kultureller Kontexte nicht zu erreichen. Voraussetzung dafür wäre, kulturelle Praktiken der Antike mit denen anderer Kulturen zu ver-gleichen, aber nicht in einer interdisziplinären

15 Borbein (2011, 68–72) parallelisiert dies mit der ‚Verfremdung‘ der Antike in der zeitgenössischen Kunst.

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fernter kultureller und sozialer Kontexte ganz aufgegeben wurde. Gesprochen wird in diesem Zusammenhang auch von ‚Veranderung‘ oder ‚Othering‘, der Fremde wird fremder gemacht, als er ist, als Gegenbild zur je eigenen Identität. Man spricht von Orientalisierung und Okzi-dentalisierung (Haller 2005, 19). Diese Pro-blemlage muss immer mitbedacht sein, wenn „Antike bewußt als das Fremde, das Andere“ (Gehrke 1995, 177) begriffen werden soll.

In Bezug auf die ‚Griechische Archäologie‘ ist dies jedoch kaum zu erwarten. Der herr-schende Rahmen für den Zusammenhang von Traditions- und Kontinuitätsstiftung und Ab- und Ausgrenzungspraktiken in der historischen Forschung – intentionale Geschichte (Gehrke 2004) – ist nach wie vor eurozentrisch in dem Sinne, dass der Orient als das Fremde schlecht-hin gilt. Eine Durchsicht allein der Aussagen zu der sogenannten Orientalisierenden Zeit lässt für lange Phasen ein verfestigtes Gegen-bild zum ‚Westen‘, dem kulturellen Kontext der Wissenschaft aufscheinen (Schweizer 2005, 356–360; 2012, 202–209).

Interpretationen zur ‚Orientalisierenden Zeit‘ operieren in der Regel mit den großen kulturellen Blöcken Griechenland und Ori-ent (vielleicht im Sinne großer Weltkulturen), selbst wenn vereinzelt geschrieben wird: „On the non-existence of the Orient“ (Purcell 2006, 25–26), oder auch: „there is no such thing as a singular ‚Greek society‘ in the Archaic period“ (Hall 2004, 42–43). Und typisch sind Charak-terisierungen beider Blöcke mit Adjektiven wie kreativ gegenüber dekorativ, aber auch rational gegenüber magisch, phantastisch oder exotisch.

Nicht nur diese, sondern alle Archäologien des Fremden sind Bestandteil der Identitäts-konstruktion „in langfristigen, Vergangenheit wie Zukunft umgreifenden Kommunika-tions- und Sinnhorizonten“, sobald Kulturen „als mit großem Aufwand in Gang gehaltene Gedächtnissysteme“ verstanden werden (Ass-mann 2011, 286).

der klassischen Antike in der europäischen Tradition, zu übersehen und die daraus resul-tierende Nähe zu unterschätzen?“ (Gehrke 2005, 46).16

Folgt man drittens einer Differenzierung der Fremdheit in die Aspekte des Anderen, der Alterität einerseits, und des Unvertrauten, der Alienität andererseits (Schreiber 2013, 77),17 so können die behandelten Beispiele und auch die Konzeptualisierungen des ‚fremd gewor-den‘ und des ‚als fremd begreifen‘ mit Fremd-heit im Sinne des Unvertrauten verknüpft werden. Alienität wird allerdings in manchen kulturwissenschaftlichen Entwürfen auch als das radikal Fremde gesehen, das einem Fremd-verstehen nicht zugänglich ist (Wimmer 1997, 1075–1076). Der andere Aspekt der Fremd-heit, der der Alterität wirft demgegenüber die Frage nach der Verknüpfung von Identität und Alterität auf. Diese führt zum einen zur Mög-lichkeit des Fremdverstehens – Alterität als das übersetzbare Andere –, unterstellt aber ande-rerseits das Fremde einer Machtbeziehung (Wimmer 1997, 1069–1072). Im Rahmen der Ethnologie ist unter dem Schlagwort ‚writing culture‘ der Zusammenhang des Schreibens über Kulturen mit der Konstruktion von Kul-turen thematisiert worden (Berg / Fuchs 1993; Wimmer 1997, 1073–1074), und zwar bis zu dem Punkt, dass der Anspruch einer adäquaten Repräsentation zeitlich oder räumlich ent-

16 An anderer Stelle dann auch die Feststellung, dass die Antike „bei den größeren Integrationen auf euro-päischer und globaler Ebene zwangsläufig deshalb ins Spiel [kommt], weil sie jenseits der nationalen Traditi-onen die verbindende Geschichte schlechthin darstellt und ohnehin bei der Herausbildung des europäisch-okzidentalen Selbstverständnisses eine wesentliche Rolle gespielt hat“ (Gehrke 2005, 39).17 Ein anderes Schema (Wimmer 1997, 1068–1069) unterscheidet für die Beziehungen zum Fremden zwi-schen einer axiologischen, wertenden Ebene (etwa: gut – böse), einer praxeologischen (etwa: Annäherung – Distanzierung) und einer epistemologischen Ebene (etwa: Wissen – Unwissen).

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Korrelationen des Wandels. Die Formierung von Identität und Fremdheit bei Thukydides*

Christoph Ulf

um sich ihrer Position innerhalb der eige-nen sozialen Gruppe sicher werden zu wol-len, mit anderen Personen derselben Gruppe vergleichen. Solche Vergleiche sind beinahe zwangsläufig kompetitiv. Derartiges Verhalten bestimmt auch die Festlegung des Verhältnis-ses zwischen ganzen (sozialen) Gruppen. In diesen Fällen verstärkt sich die Neigung zur Polarisierung, mit der eine Intensivierung des Wettbewerbs einhergeht (Brewer 2003, 87).

Der aus Athen stammende Historiograph Thukydides erlebte im fünften Jahrhundert v. Chr. einen beinahe dreißig Jahre währen-den Krieg unter den Griechen, in dessen Zentrum die Hauptkontrahenten Sparta und Athen standen. Dieser Krieg entwickelte sich langsam, nahm dann immer schärfere Züge an, wurde durch eine labile Friedenszeit unter-brochen, um dann in noch größerer Heftig-keit weitergeführt zu werden. An der Darstel-lung dieses Krieges durch Thukydides soll im Folgenden gezeigt werden, dass im Zuge der Verschärfung der Gegensätze in dem Krieg

Die Beschäftigung mit dem Fremden in der Antike wurde häufig mit der Analyse eth-nographischer Texte und des Barbarenbilds gleichgesetzt. Dieses Vorgehen wurde inzwi-schen mit dem Hinweis darauf kritisiert, dass man auch die Perspektive der Anderen ein-nehmen müsse und dass sich dann die Defi-nition des Fremden verändert, aber ebenso die Urteile über das Fremde nicht mehr dieselben sind. Doch wenn man dem, was als das Fremde gilt, gerecht werden will, reicht es nicht aus, nur die Vorzeichen der Bewertung des Ande-ren umzukehren.

Der genannte ethnographische Blick setzt voneinander abgrenzbare und einander gegen-überstehende Einheiten voraus, seien das Völ-ker oder Kulturen. Das aus der Romantik stammende Konzept ‚Volk‘ wurde inzwischen durch das der Ethnogenese mit guten Grün den korrigiert. Analysen von Kulturbegegnung und Kulturtransfer zeigen, dass auch ‚Kultu-ren‘ keine essentialistisch aufzufassenden Ein-heiten darstellen, sondern sich aus verschiede-nen Formen von Identitäten zusammensetzen, die selbst wiederum nicht stabil sind. Zum besseren Verständnis derartiger Identitäten und ihres Verhältnisses zueinander kann die Sozial-psychologie verhelfen. Ein Ergebnis sozialpsy-chologischer Untersuchungen (Brewer 2003, 35–40) ist der Sachverhalt, dass Individuen,

* Obwohl überarbeitet, wurde der mündliche Duk-tus beibehalten. Die vielfältigen Debatten über den Text des Thukydides können nicht einmal angedeutet werden. Zur grundlegenden Information: Sonnabend 2011; Rengakos / Tsamakis 2006; Luschnat 1970.

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gen sein, dass neben den genannten Zeitstufen auch diese zeitliche Differenzierung innerhalb des Krieges Rückwirkungen auf die Art der Selbstdefinition der historischen Akteure hat und diese mit der jeweiligen Einschätzung des Anderen in direkter Beziehung steht.

Die Hellenen der fernen Vergangenheit sind wie die ‚Barbaren‘ fremd

In den letzten Jahrzehnten wurde deutlich herausgearbeitet, dass sich die Griechen bis in die Zeit der Perserkriege nicht als eine geschlossene Einheit betrachteten.1 Das kommt nicht zuletzt bei Thukydides selbst zum Ausdruck. Um die besondere Dimension des von ihm beschriebenen Kriegs zu belegen, blickt er kurz auf die frühesten, ihm (durch den Mythos) zugänglichen Zeiten zurück. Das „was heute Hellas heißt“, war noch nicht fest besiedelt (I 2, 2). Unter den in diesem Gebiet lebenden Völkerschaften (éthne) breiteten sich die Pelasger am weitesten aus (I 2–3), nur die in der kleinen Landschaft Phthiotis, im süd-lichen Thessalien lebenden Menschen hießen Hellenen. Sie siedelten neben und gemeinsam mit Barbaren an den Küsten des Festlandes und auf den Inseln, und sie alle lebten von See-fahrt und Piraterie (I 2, 5). Die kleine Gruppe der Hellenen der Frühzeit wird also ‚kultu-rell‘ auf dieselbe Stufe gesetzt wie alle ande-ren und unterscheidet sich nicht von diesen ‚Barbaren‘. Daneben verwendet Thukydides auch für die aus dem (mythischen) Krieg um Troia Zurückkehrenden den Namen Hellenen und erweitert damit dessen Ausdehnung u. a. auf Ionien, Italien und Sizilien. Doch es wird eigens festgehalten, dass die Hellenen in dieser Zeit keinen irgendwie gearteten Zusammen-halt kannten.

der jeweilige Kontrahent immer stärker mit den Charakteristika des Fremden ausgestattet wurde und sich dabei gleichzeitig auch die Eigensicht veränderte.

Fremdheit und zeitliche Distanz im Text des Thukydides

Thukydides will den „Krieg der Pelopon-nesier gegen die Athener“ (I 1, 1) nicht nur beschreiben, sondern auch eine Erklärung dafür liefern, warum es zu ihm überhaupt gekommen ist. Zu diesem Zweck trifft er eine in der Geschichte der Historiographie viel gerühmte Unterscheidung zwischen Ursache und Anlass. Nicht weniger wichtig für seine Analyse ist jedoch seine Überzeugung, dass Zeitstufen als Phasen menschlicher Entwick-lung mit bestimmten Zuständen und Verhal-tensformen zu verbinden seien. Er unterschei-det von einer ersten und langen, nur durch mythische Erzählungen bekannten ‚Anfangs-phase‘ die zweite wesentlich jüngere Zeit der Perserkriege am Beginn des 5. Jahrhunderts v. Chr. Fünfzig Jahre nach den Perserkriegen beginnt dann der Krieg zwischen den Pelo-ponnesiern und Athen. Dessen Verlauf wird von Thukydides in drei große Abschnitte gegliedert: ein erster zehn Jahre währender Krieg, eine Phase eines labilen Friedens, ein Wiederausbrechen des Kriegs, den Thukydi-des aber nur bis zu dem Zeitpunkt berichtet, als er den Hellespont erreicht. Nicht aus der Perspektive der Verlaufsgeschichte und auch nicht mit deren Grundgliederung in Einklang stehend wird im fünften Kriegsjahr durch den Erzählerkommentar eine entscheidende Zäsur gesetzt (Hornblower 1991, 477–490; Gomme 1962, 385–386). In dem Bürgerkrieg auf der Insel und Stadt Kerkyra wird zum ersten Mal eine neue Qualität von Grausamkeit und „Sit-tenverderbnis“ (kakotropía) beobachtet, die sich ab jetzt durch die Konflikte der Hellenen zie-hen wird (III 83). Im Folgenden wird zu zei-

1 Vgl. dazu Ulf 1996; Hall 1997; Timpe 2000; Hall 2002.

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Bund einen Beamten mit dem programma-tischen Titel „Schatzmeister von Hellas“, um den weiteren Krieg gegen die Perser zu finan-zieren (I 95).

Obwohl sich selbst in den Perserkriegen keine einheitliche Identität der Hellenen ausgebildet hatte, wurde über die durch den Krieg beförderte Feindtopik ab jetzt ein nega-tives Barbarenklischee verfügbar. Thukydides rekurriert darauf in seiner Beschreibung der beiden Phasen dieses Kriegs: „Zehn Jahre nach dem Sieg der Athener bei Marathon kam der Barbar wieder, um Hellas zu versklaven“ (I 18, 2). Der aus dem Erfolg über die Perser mög-lich gewordene Topos der eigenen Superiori-tät wird ab diesem Zeitpunkt auf alle Barbaren übertragen und konnte in ganz unterschiedli-chen Situationen abgerufen werden.

Ein extremes Beispiel dafür ist die Nach-richt bei Thukydides darüber, dass die in der Anfangsphase des peloponnesischen Kriegs gegen eine Allianz aus ‚barbarischen‘ Amphi-lochiern und Athenern unterlegenen Ampra-kier zu den attischen Schiffen geschwommen seien, weil es besser sei, durch die Athener den Tod zu erleiden als durch die Amphilochier, die verhassten Barbaren (III 112, 7). Ein ande-res Beispiel ist die Warnung des Nikias an die Athener, Syrakus beziehungsweise Sizilien anzugreifen. Ihn hält auch die Anwesenheit der Gesandten aus dem barbarischen Egesta nicht ab zu fordern, nicht auf den Rat von Männern fremder Herkunft (VI 9) hin einen Krieg beginnen. Die Entscheidung gehe auch nicht um die Egester, ein Barbarenvolk (vgl. II 7), sondern darum, dass die Athener vor Sparta auf der Hut sein müssten. Wertet der athenische Feldherr die intellektuelle Quali-tät der Barbaren ab, so macht dies der Sparta-ner Brasidas ähnlich mit deren militärischen Fähigkeiten. In seiner Ansprache beim Zug mit Perdikkas gegen Arrabaios (IV 126) sta-chelt er die Soldaten mit dem Argument an und auf, dass sie als Peloponnesier ebensowe-nig Angst vor der Fremdheit hätten wie vor

Die Perserkriege: Der Barbar als Feind wird fremd

Barbaren lebten Seite an Seite mit den Helle-nen, ohne dass deswegen ein negatives Urteil über sie gefällt würde. Erst mit den Perserkrie-gen wird das anders, ohne Zweifel deshalb, weil die Perser zu einer direkten Bedrohung für einen Großteil der Griechen geworden waren. In der zweiten Phase des Krieges gegen die Perser führten die Lakedaimonier die sich am Krieg beteiligenden Hellenen an. Nach dem Sieg über die Perser zeigte sich die Labi-lität dieses keineswegs alle Griechen umfas-senden Bündnisses. Denn danach unterstellten sich die vom persischen König abgefallenen Hellenen teils Athen teils Sparta (I 18). In unserem Zusammenhang ist die Begründung bemerkenswert, welche die Ioner für die Wahl der Anführerschaft Athens geben: sie berufen sich auf ihre gemeinsame (ionische) Abkunft (I 95). Das ist deswegen von Bedeutung, weil in archaischer Zeit versucht wurde, über eine auf den fiktiven Ahnen Hellen zurückfüh-rende Genealogie eine Einheit der Hellenen zu begründen. Aiolos, Doros, Xouthos und Ion wurden dabei in eine verwandtschaftliche Relation zueinander gebracht. Diese Helle-nen-Genealogie konnte jedoch in verschiede-nen Varianten erzählt werden, was zeigt, dass ihr keine schon vorhandene Realität gegen-überstand.2 Aus den unterschiedlichen Positi-onierungen der Söhne und Enkel des Hellen in ihrem Verhältnis zu diesem geht aber auch hervor, dass mit der Genealogie unterschied-liche Machtansprüche transportiert wurden, die noch nicht entschieden worden waren. Die Athener griffen die Möglichkeit sofort auf, über eine genealogische begründete Ver-wandtschaft eine politische Verbindung zu begründen, und installierten in dem neuen

2 Vgl. Ulf 1996; Ulf 2015; etwas anders: Hall 2002, 85–89. Überblick über die ältere Argumentation bei Hornblower 1996, 61–80.

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diesen Anspruch der Lakedaimonier, aber auch an ihre eigene Leistung: Denn von allen Böo-tern haben nur sie zur Befreiung von Hellas mitgekämpft (II 71). Die Mytilenäer machen die Spartaner darauf aufmerksam, dass sie sich den Athenern angeschlossen hatten – nicht zur Unterwerfung der Hellenen unter Athen, sondern zur Befreiung von den Persern für Hellas (III 10). Auch der Syrakuser Hermo-krates argumentiert in seiner Rede in Kama-rina mit der Freiheit der Hellenen, allerdings mit anderer Akzentsetzung: weder die Athener noch die Hellenen insgesamt haben dem Per-ser wegen der Freiheit für Hellas widerstan-den; die Athener zielten auf die Unterwerfung unter ihr eigenes Joch, die anderen Hellenen tauschten nur die Herrschaft (VI 76).

Es ist kein Zufall, dass diese Art des Ver-gleichs auf wenige, wenn auch im Text wich-tige Fälle beschränkt bleibt, weil dabei Freiheit als Merkmal zur Unterscheidung der Helle-nen von den Barbaren implizit in den Kontext der Unterscheidung zwischen Hellenen trans-feriert wird (Raaflaub 1985, 72–79; 102–108; 123–125; Raaflaub 2003, 60). Dadurch wird die Differenz zwischen Eigenem und Frem-den signifikant verschoben.

Hellas und Hellenen – ein labiles Gebilde

Die in wissenschaftlichen Kommentaren immer wieder – häufig mit bedauerndem Unterton – getroffene Feststellung, dass die Griechen keine politische Einheit gebildet haben, setzt als selbstverständlich voraus, dass sich die Griechen als eine Einheit gefühlt hat-ten. Gerade das ist jedoch auch im Text des Thukydides nicht eindeutig der Fall (Price 2001, 371–377). Thukydides bezieht sich nie auf eine Einheit, sondern nur auf eine vage Vorstellung von den Hellenen. Die größte Einheitlichkeit vermittelt noch der von den Hellenen bewohnte Raum dadurch, dass er den Namen Hellas, trägt. Dieses Hellas wird mehrfach als Bezugspunkt benützt: wenn von

einer Menge von Barbaren, weil diese nicht gefährlich seien, sich nur durch Geschrei her-vortäten, aber keine feste Aufstellung kennen würden. Es erscheint wie eine Folge dieser Argumentation, dass die Barbaren von Brasi-das und seinen Hellenen ablassen (IV 127; vgl. IV 128).

Ein Konstrukt: die Hellenen in der Gegenwart

Angesichts der Gleichsetzung von Barbaren und Fremden wäre zu erwarten, dass diesem Fremden eine ebenso klare Vorstellung des Eigenen, des Hellenen gegenübersteht. Doch wie festgestellt, ist das keineswegs so. Es ent-stand auch nach den Perserkriegen keine politische Einheit der Hellenen. So bleibt Thukydides nur die Möglichkeit, eine helleni-sche ‚Kultur‘ zu finden, um einen Maßstab zu erhalten, an dem er das Verhalten der Akteure in dem von ihm beschriebenen peloponnesi-schen Krieg messen kann.

Freie Hellenen – fremde Barbaren

Im Gegensatz zu den Barbaren sind die Helle-nen durch Freiheit ausgezeichnet. Doch diese Freiheit ist kein absolut zu bestimmender Zustand, sondern nur eine relationale Größe, die sich aus dem Vergleich mit dem jeweiligen Anderen ergibt. Daher kann die schon zitierte Vorstellung, dass der Barbar, das heißt die Per-ser, kamen „um Hellas zu versklaven“ (I 18), manchmal als Vergleichsfall benützt werden, um auf diese Weise die eigene Gegenwart zu beurteilen.

Die Korinther versuchen die Spartaner zum Kampf gegen die Athener zu bewegen. Sie erinnern sie daran, dass sie sich selbst „Befreier von Hellas“ nennen, aber jetzt nicht gegen die Athener vorgehen wollen (I 69). Ähnlich argumentieren die Platäer angesichts ihrer Bedrohung durch Sparta. Auch sie erinnern an

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mussten: „Man kann wohl sagen, dass dieses Ereignis von allen in diesem Krieg das bedeu-tendste war, meines Erachtens sogar von allen, die wir aus der Überlieferung der Hellenen kennen, für die Sieger der größte Ruhm, für die Untergegangenen das größte Unglück“ (VII 87). Doch auch saloppe Formulierungen wie die, dass die jungen Leute in Syrakus die „Dümmsten aller Hellenen“ seien (VI 38), oder solche, dass der athenische Tyrann Hip-pias in seinen Tagen „der Allererste in Hellas“ war (VI 59) und dass die Spartaner von sich meinen, die „angesehensten von allen Helle-nen“ zu sein (IV 18), machen den Raum der Hellenen zum Bezugspunkt.

Angesichts der Selbstverständlichkeit, mit der diese Vergleiche gezogen werden, ist die bekannte Tatsache bemerkenswert, dass es keine Institution gibt, die eindeutig hellenisch ist. Hier sind nur die olympischen Spiele zu nennen, die als ein hellenisches Kommunika-tionsforum und gleichzeitig auch als eine den griechischen Staaten übergeordnete In stanz fungieren können. Denn von den Spielen kann man nicht nur ausgeschlossen werden, sondern deren Organisatoren, die Eleer, kön-nen auch Sanktionen verhängen, an deren Befolgung die Hellenen insgesamt ein klares Interesse zeigen.

Hellenische nómoi – zwischen Tradition und Neuerung

Die Korinther argumentieren in ihrer Rede in Sparta noch vor dem Ausbruch des Krieges mit der Vorstellung, dass ganz Hellas misshan-delt werden kann (I 68). Damit setzen sie für den Raum der Hellenen geltende Normen voraus, mit deren Hilfe richtiges und falsches Handeln voneinander unterschieden werden kann. Sie fordern von Sparta, diesen Nor-men gegenüber Athen Geltung zu verleihen und unter den Hellenen wieder Gleichheit und Gerechtigkeit herzustellen (I 71). Dafür müssten sie als Widerpart zu den Athenern als

Hellenen innerhalb und außerhalb der Pelo-ponnes (I 13) die Rede ist, oder davon, dass der größte Teil von Hellas Athen untertan ist (I 88), oder dass es um die Hellenen bis zu den Thermopylen geht (II 101). Der spartanische König Pausanias hat Hellas befreit (II 71), die Spartaner sind sich einig, dass „das übrige Hel-las“ gegen sie nicht ankommen kann (IV 19), oder die Spartaner können sich durch eine militärische Tat von dem „in Hellas“ erhobe-nen Vorwurf der Feigheit befreien (V 75).

Auch der Hellenen-Begriff wird zum Raum-Begriff, wenn etwas Herausragendes gekennzeichnet werden soll. Die Seeschlacht zwischen Korinth und Kerkyra war die nach der Zahl der Schiffe „weitaus größte See-schlacht“, die bis dahin Hellenen mit Helle-nen geschlagen hatten (I 50); das spartanische Heer, das gemeinsam mit den Verbündeten gegen Argos ausrückt, wird zum „schönsten hellenischen Heer“, das je bis dahin beisam-men war (V 60). Das athenische Heer, das gegen Sizilien mit seiner Flotte ausfährt, war „so kostbar und prachtvoll“ wie keines je bis zu dieser Zeit unter den Hellenen (VI 31); die Schlacht von Mantineia im Jahr 418 war die weitaus bedeutendste seit längerer Zeit in Hellas (V 74).

Innerhalb des Raumes der Hellenen wer-den auch Superlative für das Verhalten verge-ben. Die Niederlage der Amprakier war „das Schlimmste“, was je in diesem Krieg eine ein-zelne Hellenenstadt in gleich wenigen Tagen betraf (III 113); dass sich die Spartaner auf der Insel Sphakteria den Athenern ergeben, war in dem ganzen Krieg für die Hellenen „die größte Überraschung“ (IV 40); wenn die Syrakuser die Athener samt ihren Verbündeten besiegten, würden sie „in den Augen der Hel-lenen einen herrlichen Sieg“ errungen haben (VII 55). Ebenfalls in den Kontext der beson-deren Größe des Kriegs gehört der Kommen-tar des Erzählers über das schreckliche Schick-sal, das die Athener nach ihrer Niederlage in den Steinbrüchen von Syrakus erdulden

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die nómoi Macht als den allein entscheiden-den Faktor ins Spiel: sie haben „die Sache von Hellas“ bei Salamis mit ihrer Flotte ent-schieden (I 74), deswegen würden sie nach der Natur der Dinge und auch der menschlichen Natur Herrschaft ausüben (I 75; dazu: Reng-akos 1984). Um dagegen die Normen wieder in ihr Recht zu setzen, wie das die Korinther verlangen, müssen eben diese Normen über-schritten werden: mit dem Einsatz von Gewalt, vor dem Sparta solange wie nur möglich zurückschreckt, weil er die Gleichheit ver-letzen würde.5 Ihr Dilemma wird im Vorwurf der Athener sichtbar, dass sich jeder einzelne der Spartaner, wenn er in der Fremde ist, sich weder an die eigenen Bräuche noch an sonsti-gen Hellenbrauch hält (I 77). Das ist nicht aus der Luft gegriffen, wie das Verhalten des spar-tanischen Königs Pausanias zeigt. Er fuhr nach dem Sieg über die Perser auf eigene Faust zum Hellespont, um hier mit dem Großkönig über die Herrschaft (basileia) in Hellas zu verhan-deln, nicht aber, um „den hellenischen Krieg“ zu führen (I 128). Dazu passt, dass er sich wie ein tyrannischer Perser verhält: er ist stolz und aufbrausend, frönt dem Luxus und ist von einer Leibwache umgeben (I 130–134). Und doch haben auch die Spartaner recht. Das ergibt sich aus der zentralen Bedeutung des Bürger-kriegs in Kerkyra für den gesamten Aufbau des Textes. Wie sich der Konflikt in Kerkyra entwickelt hat, ist nichts anderes als die konse-quente, durch keine nómoi mehr eingegrenzte Fortschreibung der Anwendung von Gewalt. Zum ersten Mal sei hier die rohe Auseinan-dersetzung (óme stásis) erkennbar geworden, die sich dann auf die ganze hellenische Welt ausgebreitet hätte (III 82, 1).

leidenschaftlichen Neuerern (I 70) von ihrer zögerlichen „altväterischen Lebensform“ (I 71, 2) abgehen und ihre Kriegsmacht gegen Athen einsetzen (vgl. Leppin 1999, 99–100; Luginbill 1999, 82–104).

Damit relativieren die Korinther das, was in anderen Situationen immer wieder als Maß-stab für das Handeln genannt wird: die Sitten der Väter.3 Denn früher hatten sie behauptet, dass es genügend Rechtsgründe gemäß den herkömmlichen Regeln der Hellenen (katà tous hellénon nómous) gebe, gegen Athen mili-tärisch vorzugehen (I 41).4 Als solche helle-nische Regeln werden im Lauf der Darstel-lung genannt: Die Einhaltung von Verträgen, das Opfer an die Götter (I 126; V 18) und der Schutz ihrer Tempel samt den darin befind-lichen Weihegaben (IV 118) sowie die Einhal-tung des „Festfriedens“ (VIII 19). Wer gegen solche Regeln verstößt, ist mit einem Fluch belegt (Athener Kylon: I 126; Lakedaimo-nier: I 128). Das Verhältnis zu den Göttern ist insgesamt von Bedeutung: Wer einen Krieg beginnt, sollte die Billigung der Götter dafür besitzen (vgl. I 118, 128; II 54, 74; III 59).

Ähnliche Regeln des politischen Handelns werden an anderen Stellen noch konkreti-siert: es sollen keine Bündnispartner abspens-tig gemacht werden (I 66), Abtrünnige wer-den zwar aufgenommen, aber verachtet (III 9), und es gilt unter allen Hellenen als verdächtig, durch das Land des Nachbarn ungefragt mit einem Heer hindurchzumarschieren (IV 61).

Der Widerspruch in der Forderung der Korinther nach normengerechtem Verhalten und gleichzeitig des Abgehens von den väter-lichen Sitten legt die Schwäche ihrer Argu-mentation offen. In ihrer Antwort wollen die Athener die an sie gerichteten Vorwürfe gar nicht entkräften, sondern bringen gegen

3 Vgl. z. B. I 42; II 2; II 11; II 62; II 71; III 65.4 Vgl. IV 97; VII 71.

5 Eben dazu wollen aber auch die Thebaner die Spar-taner bringen. Diese sollen Platää angreifen, weil die Platäer den Nomos der Hellenen übertreten hätten: III 61, 65, 67, 6.

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ergeben, nach denen das Gebilde ‚Hellenen‘ konstruiert ist.

Tyrannische Herren – Fremde unter den Hellenen

In den Debatten über die Rechtfertigung des peloponnesischen Krieges wird immer wieder auf den Vorwurf rekurriert, dass der jeweils Andere die Freiheit der Hellenen bedrohe oder nicht respektiere. Die politische Freiheit der Hellenen insgesamt kann durch Hellenen bedroht werden, einzelne hellenische Städte können durch hellenische Städte die Freiheit verlieren, aber sie kann aber auch aus der Polis heraus durch Mitbürger in Gefahr geraten.

Diese Verkehrung der Verhältnisse, dass näm-lich aus der Freiheit vor den Persern Knecht-schaft (douleia) für Hellenen durch Hellenen geworden sei, wird aber nicht ausschließlich den Athenern vorgeworfen. In der vom Autor formulierten Grunderklärung für den Krieg heißt es vorerst: Athen zwang die erschreckten Spartaner zum Krieg (I 23). Explizit dann das Urteil, dass die Athener die anderen Hellenen, die freiwillig zu ihren Verbündeten wurden, wie ein Tyrann behandle (I 122, 3, vgl. I 63, 2).6 Daher fordern die spartanischen Gesand-ten in Athen, dass die Athener die Hellenen in die Selbständigkeit entlassen sollen (I 139).

Dieser Appell bleibt ohne Erfolg. So heißt es nicht viel später aus dem Mund der von den Athenern mit Macht niedergehaltenen Bewohner der Stadt Mytilene auf der Insel Lesbos, dass sie kein Bündnis zur Unterwer-fung der Hellenen mit den Athenern geschlos-sen hätten, sondern eines zur Befreiung von Hellas von den Persern. Deshalb rufen sie die

Damit ist die Suche nach den hellenischen nómoi an einem toten Punkt angelangt, oder anders formuliert: es existieren offensichtlich unterschiedliche Diskurse darüber, was den Hellenen angemessen sei. Auf der einen Seite steht das Lob für den spartanischen Feldherr Brasidas für sein gerechtes und maßvolles Auf-treten (IV 81); auf der anderen die Rechtfer-tigung von Themistokles in seiner Rede in Sparta, dass die Athener sich sehr „wohl auf ihr eigenes und das allgemeine Beste“ verste-hen würden (I 91). Der normativen Festle-gung des Richtigen wird die perspektivische Interpretation des Besten gegenübergestellt. Den sich daraus ergebenden Spielraum nützt wie immer Alkibiades aus. Als er die Athener dazu bringen will, den Kriegsbeschluss gegen Sizilien zu fassen, bezieht er sich zuerst auf die hellenischen Regeln: wegen seines Auftretens als Festbote in Olympia hätten die Helle-nen Athen für „noch größer“ und mächtiger gehalten, als es tatsächlich sei. Von hier ausge-hend stellt er nach etlichen Zwischenschritten den hellenischen nómoi die des eigenen Staates gegenüber. Die Menschen würden ihren Staat am sichersten erhalten, „die von den bisheri-gen Sitten und Gesetzen, seien sie auch min-der vollkommen, am wenigsten abweichen.“ (VI 16, 18).

Gegenwärtige Realität: die Hellenen sind sich selbst fremd

Der Schwebezustand, in dem sich befindet, was als hellenisch gelten kann, betrifft auch jede Antwort auf die Frage, wer die Hellenen waren oder gegenwärtig sind. Doch um die ihm zeitgenössische Welt ordnen und bewer-ten zu können, bleibt Thukydides gar nichts anderes übrig, als sich auf dieses vage Gebilde beziehen. Da diese Welt durch den Krieg gra-vierend verändert wird, verschieben sich die Abgrenzungen zwischen Eigenem und Frem-den, die sich aus dem Rekurs auf die Kriterien

6 Die Korinther exemplifizieren, was unter dieser Tyrannis zu verstehen ist: Athen nahm mit der Zeit den Städten (außer Chios und Lesbos) die Schiffe weg und verlangte Abgaben in Geld, um damit seine Herrschaft zu finanzieren (I 69–70).

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5: oikeios pólemos) und bezeichnet es als hei-lige Pflicht, der Bedrohung durch die Athener gemeinsam zu begegnen und untereinander einen ewigen Frieden zu schließen. Freiheit sei eben dann nicht gegeben, wenn man Frem-den (allóphyloi), das sind auch die herbeigeru-fenen Athener (IV 61, 8: epíkletoi), untertan sei. Wenn sie sich aussöhnten, würden sie sich von den Athenern ebenso wie vom inneren Krieg befreien und wären dann alle gemeinsam als Sizilier ein freies Land (IV 64, 5).

Doch auch die Spartaner treffen solche Vor-würfe (z. B.: I 93; II 67). Die Platäer fordern vom spartanischen König Archidamos, ihre Unabhängigkeit zu respektieren, die gerade der im Anschluss an die Perserkriege zum ‚König‘ (basileus) mutierte Spartaner Pausanias mit einem Eid garantiert hatte (II 71, 2–4). Von den Lakedaimoniern auf Leben und Tod bedroht, kommen sie darauf zurück: wenn die Spartaner die Platäer töteten, würden sie das Land gerade an der Stelle, wo Hellas in den Perserkriegen (endgültig) frei geworden war, unterjochen. Der im realen Verhalten enthal-tene Bruch mit dem Hellenendiskurs wird an den damit verbundenen Folgen kenntlich gemacht. Die Lakedaimonier würden auch die Tempel der Götter, zu denen sie vor dem Sieg über die Perser beteten, verfallen lassen, die die Väter der jetzigen Generation begründet hat-ten (III 58, 5). Tatsächlich kümmern sich die Spartaner um solche Argumente nicht, son-dern erobern gemeinsam mit den Thebanern die Stadt Platää.

Freiheit ist Autonomie – Hellenen als die Anderen

Knapp vor Kriegsausbruch fordern die Spar-taner noch einmal, dass Athen seine Verbün-deten in die Autonomie entlasse (I 139, 3). Im Krieg selbst entwickelt der spartanische Feld-herr Brasidas in einer Rede vor den Bewoh-nern von Akanthos, einer Apoikie der Insel Andros, ein regelrechtes Freiheitsprogramm

Spartaner an, sich als (ihre) Befreier zu erwei-sen (III 10–13). Obwohl die Thebaner nicht zu den Verbündeten Athens gehören, lautet ihr Vorwurf an die Athener sehr ähnlich: Platää soll sich aus der Verbindung mit den Athenern lösen, weil diese „ganz Hellas“ unterwer-fen wollen. Die Freiheit von Athen wird mit der Freiheit von den Persern auf eine Ebene gestellt (III 62–63) – umgekehrt der Angriff der Athener auf Syrakus mit dem Verhalten der Perser (VI 33). Athen wird zum Tyrannen und damit zum Fremden.

Die gegenüber der Perserkriegszeit ver-änderte Einschätzung, wer der Andere, der Fremde ist, geht auch daraus hervor, dass die Athener gar nicht leugnen, Herrschaft über Hellenen auszuüben. Sie beharren nur darauf, dass ihre Herrschaft gemäß der menschlichen Natur (I 76, 2: anthropeios tropos) den ande-ren gut tue und dass die Verbündeten das von den Persern ertragen und sich gefallen lassen hätten (I 77, 5). Aus der berühmten Selbstein-schätzung, die Perikles den Athenern vorträgt, ergibt sich die Rechtfertigung dafür. Wir sind die einzigen, die nicht so sehr aus Berechnung des Vorteils wie aus sicherer Freiheit furcht-los anderen Gutes tun (II 40, 5). Er stellt auch mit unverhohlenem Stolz fest, dass noch nie Hellenen über so viele Hellenen geherrscht hätten (II 64, 3). Und um die Zustände im Vergleich mit dem sich auf die hergebrachten Normen beziehenden Hellenendiskurs end-gültig auf den Kopf zu stellen, beruft er sich auf eine Verpflichtung der Athener gegen-über ihren Vätern, die Freiheit der Athener zu bewahren und so das Gemeinsame (tò koinón), das heißt aber (nur) Athen zur retten (II 61, 4; vgl. II 65, 4).

Mit dieser eindeutigen Verengung der Per-spektive des feindlichen Fremden auf andere Hellenen operiert auch der Syrakuser Hermo-krates in einer Rede vor einer Versammlung der Sizilier in Gela. Er vergleicht das Verhält-nis zwischen den Städten Siziliens mit einem Krieg unter den Bürgern einer Polis (IV 64,

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Die Diskrepanz zwischen eigenem Macht-streben und den zu dessen Realisierung einge-setzten Argumenten ist offensichtlich. Weder die Athener noch die Spartaner sind tatsäch-lich willens, Gleichheit unter den Hellenen herzustellen, wie das von den Korinthern vor dem Beginn des Krieges als Ziel definiert wird (I 69–70). Das zeigt der die erste Phase des Krieges abschließende Friedensvertrag zwischen Sparta und Athen, der die beiden großen Mächte bevorzugt. In dieser für alle anderen Hellenen unbefriedigenden Situation schlägt (wiederum) Korinth vor, einen Bund zu gründen, an dem alle hellenischen Städte teilnehmen können (V 27) – ein Vorschlag, den Argos aufgreift. Von der Aufnahme in die-sen Bund sollen jedoch Sparta und Athen aus-genommen sein (V 28).

Der Kreislauf von Machtstreben und Abwertung der jeweils anderen Hellenen wird auch so nicht durchbrochen. Stattdessen wird nach Rechtfertigungen für die Herrschaft über andere Hellenen gesucht, unter anderem dadurch, dass diese fremden Feinden angenä-hert werden.

Der Bürgerkrieg: der Fremde im Inneren der Polis

Die mit dem Bürgerkrieg in Kerkyra im Ablauf des peloponnesischen Krieges gesetzte Zäsur wird ausführlich als eine Steigerung des vorher schon in Athen im Gefolge des Aus-bruchs der Pest beobachtbaren Fehlverhaltens beschrieben (II 53). Korinth entließ gefangene Kerkyrer in ihre Heimatstadt mit der Auflage, dass sie Kerkyra in ein Bündnis mit Korinth führen. Die Kerkyrer entschieden sich jedoch für eine Art von Neutralität als Verbündete Athens und gleichzeitig „wie bisher“ Freunde der Peloponnesier (III 70). Dagegen wird in Kerkyra mit einer Klage vorgegangen, der eine Gegenklage gegen die fünf reichsten Bürger entgegengestellt wird. Darauf suchen diese reichen Bürger sofort im Asyl gewährenden

(IV 85–87; vgl. Hornblower 1996, 276–278). Er sei zu nichts anderem gesandt, als Hellas zu befreien (vgl. IV 105–106, 108, 114, 120). Dafür sei es nötig, die Athener zu bekämpfen. In diesem Bemühen wolle er ihnen jedoch keine nicht dem Recht entsprechende Frei-heit aufdrängen. Als Verbündete Spartas wären sie selbständig (IV 86, 1: xýmmachoi autónomoi). Die Lakedaimonier mischen sich nicht in die inneren Verhältnisse einer Stadt ein; das wäre eine Fremdherrschaft, die Herrschaft eines anderen Stammes (allophýlou arché). Doch soll-ten sie sich auch nicht gegen diese Freiheit sträuben; denn die Verpflichtung auf das für sie alle gemeinsam Beste (IV 87: koinón agathón) verpflichtet die Spartaner zur Befreiung der Hellenen aus der Knechtschaft (IV 87: douleia) durch die Athener.7

Auch die von den Spartanern verspro-chene Autonomie ist nicht vollständig. Schon ganz am Beginn des Textes heißt es, dass die Lakedaimonier zwar ihre Verbündeten nicht abgabenpflichtig machen, aber doch darauf achten, dass durch eine Oligarchie die Dinge in ihrem Sinn gelenkt werden (I 19). Und natürlich versuchen die Athener zu lancieren, dass Sparta gegen die eigenen Verheißungen verstößt (III 109). Tatsächlich handelt sich der spartanische Feldherr Alkidas, der in Teos alle Gefangenen niedermachen lässt, von den Gesandten der Samier den Vorwurf ein, dass das „nicht rechte Art (sei), Hellas zu befreien“ (III 32, 1–2).8

7 Vgl. auch I 124. Auf diese Selbstdarstellung der Spartaner reagieren positiv: Thasos (VIII 46, 64), Torone (IV 114), die Skionier (IV 120). Aus anderer Perspektive erscheint Ähnliches. Der Böotarch Pagondas behauptet, dass es ererbte Art der Böoter sei, ein Heer fremder Abkunft (stratos allophylos) zurückzuschlagen, insbeson-dere wenn es aus Athen kommt, das alle anderen zu Sklaven zu machen sucht (IV 92, 4: doulousthai).8 Vgl. zur Reaktion der Spartaner auf solche Vorhal-tungen: V 25, 77, 79.

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Peloponnesiern und Kerkyrern brandschatzen die Peloponnesier das Festland. Die in Kerkyra herrschenden Führer des Volks erschlagen jeden Gegner, dessen sie habhaft werden; fünf-zig Schutzflehende, die sich einem Gericht stellen, verurteilen sie zum Tode (III 81).

Der Kommentator dazu ist eindeutig: „So ins Unmenschliche steigerte sich dieser Bür-gerkrieg und wurde desto stärker empfunden, als er der allererste dieser Art war. Später frei-lich ergriff das Fieber so ziemlich die ganze hellenische Welt (tò hellenikón)“ (III 82). Die Nichtbeachtung der nur mühsam eruierba-ren hellenischen nómoi bedeutete das Zusam-menbrechen der Kommunikation (Price 2001, 190–204) und eine völlige Umwertung aller Werte und Regeln: „man schaffte sich viel-mehr einen guten Namen, wenn es gelang, gerade durch den Schönklang eines Wortes eine Tat des Hasses zu vollführen“ (III 82, 8; vgl. auch I 31).

Aus Hass wurden Hellenen einander zu Feinden, aber auch zu Fremden. Wenn auch nach Thukydides dieses Verhalten mit dem Bürgerkrieg in Kerkyra beginnt, bietet er selbst einige Beispiele, die dafür als Vorläufer anzuse-hen sind (z. B. II 63, 1; III 64, 4; 67, 5).9 Diese Gedankenlinie im Text scheint auf das Jahr hinzuleiten, in dem Thukydides‘ Darstellung endet, im Jahr 411 v. Chr. mit dem oligarchi-schen Umsturz in Athen – mit dem dem Volk von Athen hundert Jahre nach der Befreiung von der Tyrannis die Freiheit wieder genom-men wurde (VIII 68,4; vgl. Hornblower 2008, 953–954).

Umfeld von Altären Schutz. Das zeigt, dass das Pro blem nicht (mehr) innerhalb der dafür vor-gesehenen Prozeduren zu lösen ist. Es beginnt sich eine Spirale der Gewalt zu drehen.

Der Vertreter Athens in Kerkyra, Angeklag-ter im ersten Prozess, wird ebenso wie Rats-leute ermordet. Die Gruppe der Reichen übernimmt die Führung in der Stadt und schickt Gesandte nach Athen, um das Bünd-nis aufzukündigen. Diese werden in Athen als Aufrührer behandelt und auf der Insel Aigina festgesetzt. Daraufhin werden mit der Unter-stützung spartanischer Gesandter die „Macht-haber des Volkes“ in Kerkyra angegriffen (III 72). Um sich in dem unter dieser Voraus-setzung nicht zu vermeidenden Bürgerkrieg zu stärken, versprechen beide feindlichen Gruppen den auf den Landgütern arbeiten-den Sklaven die Freiheit (III 73). Mit deren Unterstützung, aber auch mit der der Frauen (!), siegt das „Volk“ in der nun folgenden Schlacht (III 74). Die „Adligen“ reagieren darauf mit Brandlegung eines größeren Teils fremder, aber auch eigener Häuser.

Es ist interessant, dass sich der inzwischen eingetroffene athenische Feldherr Nikostratos nicht einfach auf die Seite ‚des Volkes‘ schlägt, sondern der Gewalt ein Ende zu setzen ver-sucht. Er erreicht einen Friedensschluss zwi-schen den Gruppierungen, aber auch einen Vertrag mit Athen. Sein vorerst akzeptierter Vorschlag wird wegen des zwischen den Grup-pierungen herrschenden Hasses sofort wieder ausgehebelt. Die „Führer des Volkes“ über-geben dem athenischen Feldherrn eine Liste mit Namen aus den Reihen der Begüterten, die ihm als Soldaten mitgegeben werden sol-len. Diese fliehen ins Heiligtum der Diosku-ren. Weitere Vierhundert von ihnen begeben sich ins Heiligtum der Hera, obwohl sie von Nikostratos geschützt werden.

Wegen der intensivierten Involvierung der Peloponnesier und Athens sind der Anwen-dung der Gewalt ab jetzt keine Schranken mehr gesetzt. Nach einer Seeschlacht zwischen

9 Von lang anhaltenden inneren Kämpfen ist mehr-fach die Rede: Lesbos (III 18), Notion (III 34), Megara (IV 66–74), Chaironeia (IV 76), Parrhasos in Arka-dien (V 33) sowie Sikyon, Argos, Akragas, Thurioi und Metapont (VII 46).

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der Dorier gewesen sein. Mit dem Namen der Landschaft wird die seit dem sechsten Jahrhundert v. Chr. geläufige dorischen Her-kunft der Lakedaimonier in den Vordergrund gespielt.12 Die Landschaft Doris findet außer-halb des thukydideischen Textes kaum eine Erwähnung, wird hier jedoch zur Metropolis der Lakedaimonier. Ganz offensichtlich soll durch die ungewöhnlich prominente Positio-nierung der Landschaft Doris und die Grün-dung von Heraklea der dorische Charakter der Spartaner außer Zweifel gestellt werden – das auch damit, dass sich an der Gründung der Stadt, mit Ausnahme besonders der Ioner und Achä er, alle Hellenen beteiligen durf-ten (III 92). Nicht nur das, auch die extrem kurze Lebenszeit der Stadt verleihen ihr einen eigentümlichen Charakter: wegen des herri-schen Verhaltens der Spartaner (III 93) wird die Stadt von den umliegenden Gruppen ein-genommen (V 51), und die Böoter bemäch-tigten sich der Stadt (V 52).

Komplementär zu dem hier beobachtbaren Vorrücken des ethnischen Diskurses ist, dass an Sparta und Athen nach den Perserkrie-gen eine besondere innere Geschlossenheit hervorgehoben wird. In der weit zurücklie-genden Vergangenheit sei Sparta unter den griechischen Staaten zwar am längsten durch innere Kämpfe erschüttert worden, aber auch am frühesten zu Gesetz und Ordnung gekom-men.13 Athen als Metropolis der kleinasiati-schen Ioner und der Inseln wird in der in der Rede des Perikles formulierten Selbstsicht zu einem Vorbild für ganz Hellas. In dieser Dar-stellung wird die Verbindung der für Athen spezifischen Freiheit mit der für die Gefah-

Dorier und Ioner: eine neue Dimension von Fremdheit

Mit dem Fortschreiten des peloponnesischen Kriegs tritt das genealogische Argument in der Gestalt des Gegensatzes zwischen Ionern und Doriern immer stärker in den Vordergrund.10 Im Kontext der in Athen ausgebrochenen Seuche wird erwähnt, dass sich die Älteren in Athen an einen alten Spruch erinnert hätten: „Kommen wird einst der dorische Krieg (dori-akós pólemos), ihm folgt die Seuche“ (II 54, 2). Auch wenn der ethnische Gegensatz schon von den Korinthern in ihrer Begründung für ihre Forderung an die Lakedaimonier, die Stadt Potideia militärisch zu unterstützen, Anwendung fand (I 124), bringt doch erst der Bürgerkrieg in Kerkyra das direkte Eingrei-fen der Peloponnesier und Athener auf Seiten der einander bekämpfenden Gruppierungen. Die Folgen daraus werden an zwei direkt an die Ereignisse in Kerkyra geschilderten Vor-kommnissen vorgeführt.

Das erste führt auf den Schauplatz Sizilien. Hier stehen sich die dorischen Städte und die Leontiner gegenüber. Die Letzteren wollen die Unterstützung von Athen auch mit dem Argument erreichen, dass sie beide Ioner seien (III 86, 3). Tatsächlich schicken die Athener auch mit dem Verweis auf diese Verwandtschaft (oikeiótes) Schiffe nach Sizilien.11

Noch deutlicher wird der Gegensatz ‚Dorier versus Ioner‘ zur treibenden Kraft für den Konflikt im daran anschließend geschilderten, mitten im Krieg erfolgten lakedaimonischen Gründung einer Apoikie genannten Stadt namens Heraklea in der Landschaft Trachis. Der Anlass dafür soll ein Hilferuf der Trachi-nier und der Bewohner der Landschaft Dorís,

10 Zur trennenden Funktion von Genealogien vgl. IV 120 (Skione), V 31 (Elis), I 141 (Sparta). 11 Athen definierte sich keineswegs seit jeher als ioni-sche Stadt; vgl. III 104.

12 Zur komplizierten Quellensituation vgl. Ulf 1996, bes. 259–264; teilweise anders Hall 2002, 82–89.13 I 18; damit stimmt die Charakterisierung von Sparta durch den König Archidamos überein (I 84); allerdings heißt es in I 118, dass Sparta zur Zeit der Pentekontae-tie noch „durch inneren Krieg gelähmt“ war.

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und Inselvölker und angespültes Gesindel, zu besiegen und aus dem Land zu jagen (VII 5, 4).

Durch seine Anreicherung mit Ethnizität wurde das bisher offene Konzept der Ver-wandtschaft in einem bisher nicht gekann-ten Maß emotionalisiert. Ein deutliches Indiz dafür sind Begriffe wie Freiheit, Feinde und Verrat, derer sich Hermokrates in solchem Kontext bedient (VI 77, 80).14 Der Athener Demosthenes instrumentalisiert diese eth-nisch fundierte Emotionalität im umgekehr-ten Sinn: er lässt in der Schlacht um Amprakia die Messenier vorgehen und die Amprakier in ihrer dorischen Sprache anreden, um deren Vertrauen zu erwecken (III 112; ähnlich: IV 3; IV 24). Damit ist klar, dass die von Thukydi-des mühsam ausfindig gemachten hellenischen Regeln durch ethnische ersetzt worden sind. Daraus erhält die Feststellung ihren Sinn, dass der sizilischen Stadt Gela bei ihrer Gründung dorisches Gesetz gegeben wurde, während sich in Himera das Gesetz von Chalkis durch-setzte, obwohl die dort gesprochene Sprache eine Mischung aus chalkidisch und dorisch war (VI 5). Den wohl stärksten Ausdruck fin-det die durch die Ethnisierung angestrebte Polarisierung darin, dass Personen auftreten, die nach dem Ethnos benannt wurden: Von Brasidas wurde ein Doros als Bote von Hera-kleia aus nach dem Norden geschickt (IV 78), Dorieus ist spartanischer Feldherr (VIII 35, 1) und Tydeus, der Sohn des Ion, wird in Chios wegen Athenerfreundlichkeit hingerichtet (VIII 38).

ren des Kriegs nötigen Kühnheit, wird der Konflikt mit den äußeren Gegnern zum Kitt für den Zusammenhalt der Polis (II 34–45). Die sich daraus ergebende Gegenüberstellung eines Sparta frei von inneren Konflikten und der inneren Geschlossenheit von Athen hat ganz im Sinn der Sozialpsychologie zur Folge, dass die Welt des jeweils anderen nur mehr als ein scharfer Gegensatz verstanden wer-den kann. Ab dem Wendepunkt Kerkyra wird daher der Gegensatz ‚Dorier versus Ioner‘ in den Reden besonders der Feldherrn der bei-den Kontrahenten zum Hauptargument in der Begründung ihrer feindlichen Haltung zueinander.

Brasidas macht seinen Soldaten vor dem Kampf um Amphipolis mit dem Klischee Mut, dass Dorier die Ioner gewöhnlich besie-gen (V 9, 1). Boten aus Egesta erinnern die Athener daran, dass Syrakus eine dorische Stadt sei und daher zu befürchten, dass sie als Tochterstadt von Korinth einmal den stamm-verwandten Doriern zu Hilfe eilen könnte (VI 6, 2). Für den Athener Euphemos sind die Ioner seit jeher Feinde der Dorier (VI 82, 2). Der athenische Feldherr Nikias hofft, dass die Städte Naxos und Katane wegen ihrer Stammverwandtschaft auf der athenischen Seite kämpfen würden (VI 20–23). Atheni-sche Gesandte fordern mit diesem Argument die Unterstützung von Rhegion ein (VI 44). Umgekehrt wirft der pro-athenische Teil der Bewohner von Mytilene seinen Gegnern vor, mit den ihnen verwandten (xyngenés) Böo-tern gemeinsame Sache zu machen (III 2, 3). Der Syrakuser Hermokrates stellt die Dorier, die ihre eigenen Herren sind (VI 77), den Ionern gegenüber, die immer irgendeinem Herrn unterworfen sind (VI 80). In der Rede des spartanischen Feldherrn Gylippos nimmt schließlich der ethnische Diskurs dann seine volle Schärfe an. Er spornt die Syrakuser und ihre Verbündeten mit dem Hinweis an, dass es empörend wäre, wenn sie, Peloponnesier und Dorier, nicht entschlossen seien, die Ioner

14 Der chronologisch erste derartige Fall, das Miss-trauen der Spartaner gegenüber den Athenern anläss-lich des Helotenaufstands in Messenien, weil diese Fremdstämmige seien, ist Anlass zur Verwunderung, aber (noch) kein Grund, einen grundsätzlichen ethni-schen Gegensatz zu postulieren (I 102).

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durch Stammverwandtschaft“ sich zusammen-gefunden hatten, sondern „wie Vorteil oder Zwang sie gerade leitete“. Daher kämpften auch Menschen gleicher Abkunft gegeneinan-der: „Äoler gegen Äoler, nämlich gegen die Böoter auf Syrakus’ Seite … und die Platäer als einzige Böoter geradewegs gegen Böoter“ (VI 56–57). Dasselbe wird auf Seiten der Syra-kuser festgestellt, und nicht viel anders verhält es sich in den nachfolgenden Schlachten in beziehungsweise vor Kleinasien (z. B. VIII 25).

Damit ist der Weg auch frei für eine Auf-hebung der nach dem Perserkrieg gezogenen Grenze gegenüber den barbarischen Persern. Diese werden ab jetzt zum gleichberechtigten Partner im Kampf um die Macht. Wie immer hat diese Haltung ihre Vorläufer, doch jetzt mit Fortdauer des Kriegs benötigt sie keine Rechtfertigung mehr (vgl. I 82, 1–2, 109, 115; II 80–81). Nach den Perserkriegen ver-suchte der spartanische König Pausanias mit der Unterstützung des Perserkönigs die Herr-schaft über Hellas (helleniké arché) zu erreichen (I 128, 3) und verlor deshalb noch Leib und Leben (I 134); Themistokles versuchte Ähn-liches (I 135–38). Dann schicken die Lake-daimonier selbst Gesandte zum persischen König und anderen Barbaren, von denen sie sich Hilfe erwarten (II 7, 1; weitere Gesandt-schaften: II 65; II 67; IV 50). Die Athener wol-len in Sizilien gemeinsam mit Sikelern, aber auch Iberern kämpfen (III 103; VI 88; VI 90), Syrakus versucht, auch italische Städte neben Korinth und Sparta zum gemeinsamen Kampf zu gewinnen (VI 88).

Die Unterscheidung von Hellenen und Barbaren spielt in dieser neuen Definition von Zugehörigkeit keine Rolle (vgl. III 82; VIII 46–48, 53–54, 81–82, 108). Auf der Grundlage solchen Denkens gewinnen die Kontakte zwischen Hellenen und Persern nach der Niederlage der Athener in Sizilien eine neue Qualität. Ein charakteristisches Merkmal dafür ist, dass der Anspruch der Perser auf die hellenischen Städte in Kleinasien nicht mehr

Die Gier nach Macht lässt alle einander fremd werden

Schon für die Frühzeit wurde von Thukydides angenommen, dass der Faktor Macht für die Schaffung eines politischen Großgebildes ent-scheidend ist. Das dafür im peloponnesischen Krieg am häufigsten zitierte Beispiel ist der so genannte Melierdialog zwischen den Ratsleu-ten der Insel Melos und den Abgesandten der Athener (V 84–116). Die Insel Melos wollte nicht zum Verbündeten von Athen werden. Daraufhin verwüsteten die Athener das offene Land, schickten dann Gesandte, um den Meli-ern klar zu machen, dass es das Beste für sie sei, sich Athen anzuschließen. In dem daraus entstehenden Dialog versuchen die Melier mit dem Verweis auf die hellenischen nómoi, auf die Gerechtigkeit, auf die Götter und auf das mit ihnen verwandte Sparta die Athener von ihrem Fehlverhalten zu überzeugen. All dem entgegnen die Athener nur, dass entsprechend der Natur des Menschen nur Macht und Herrschaft zählen. Unter dieser Perspektive sei es doch besser beziehungsweise nützlicher für sie, von Athen abhängig zu sein als sich zu widersetzen, weil sie dann vermeiden würden, vernichtet zu werden (V 84).

Mit dieser Aufhebung der Gültigkeit aller ‚kulturellen‘ Regelungen korreliert die Ein-schätzung des realen Vorgehens der Athener. Schon im Erzählerkommentar am Beginn des Feldzugs gegen Sizilien heißt es, dass die Hilfe für Stammverwandte nur ein Vorwand gewe-sen war, um Sizilien als Ganzes unterwerfen zu können (VI 6). Und der nach Sparta geflohene athenische Politiker Alkibiades denunziert dort das Ziel Athens als die Herrschaft über die ganze hellenische Welt (VI 90, 4).

Die Folge der Aufhebung aller Regeln ist ein Kampf, in dem die Grenzen zwischen den auf diesen Regeln beruhenden Gruppie-rungen verschwimmen. In der Beschreibung der Belagerung von Syrakus heißt es, dass die Kontrahenten nicht „nach Rechtstiteln oder

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bisher mit Tissaphernes ausgehandelten Ver-träge, weil Gebiete, über die der König und seine Ahnen früher geherrscht, jetzt wieder von ihm beansprucht würden. Das bedeute ja, dass die Spartaner den Hellenen statt Freiheit eine persische Oberhoheit gebracht hätten. Doch daraus folgt für Lichas zu diesem Zeit-punkt dennoch nicht (mehr), dass die Spar-taner sich nur mit Hellenen verbünden soll-ten, sondern er will vom Perser Tissaphernes nur günstigere Bedingungen für Sparta errei-chen (vgl. auch VIII 39, 58, 84). Tissaphernes verließ daraufhin erbittert die Verhandlungen (VIII 43, 4). Obwohl die Beschreibung und Erklärung des Krieges im Text des Thukydi-des davon getragen wird, dass Macht der über alles entscheidende Faktor, aber auch die trei-bende Kraft für den Krieg ist, wird bis zuletzt eine Alternative zu den Grauen des Krieges benannt. Diese Alternative bestünde in der Einheit der Hellenen und von Hellas, aber er findet nirgendwo einen Ansatz für deren Rea-lisierung in der historischen Realität.

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bestritten wird. Die als Subtext propagierte Einheit der Hellenen ist damit auch politisch aufgegeben. So sucht zum Beispiel der persi-sche Satrap Tissaphernes die Hilfe von Sparta, um Abgaben in Ionien einzutreiben, was bis-her wegen Athen nicht möglich war (VIII 5). Die Chier und Tissaphernes betreiben das gleiche Anliegen (VIII 6). Parallel dazu wer-den vom anderen Satrapen Pharnabazos die Verbannten Kalligeitos aus Megara und Tima-goras aus Kyzikos nach Sparta geschickt, um dort Schiffe zu erhalten, mit denen sie am Hellespont Abgaben einheben sollen. Gleich nach dem Abfall Milets kommt es zwischen Tissaphernes und Chalkideus zum ersten Bündnis zwischen dem Großkönig und Sparta (VIII 17, 4; vgl. Hornblower 2008, 800–802) und damit der offenen Aufgabe der ideolo-gischen Verbrämung der Perserkriege. Die Städte, die früher persisch waren, sollen das wieder sein und deren Abgaben ab jetzt an die Perser und Sparta gehen. Gemeinsam wollen sie Krieg gegen Athen führen (VIII 18).

So zeigt sich im Text des Thukydides eine deutliche Entwicklung von verschiedenen Formen von Identitäten, die mit Formen des Fremden beziehungsweise der Fremdheit in direkter Korrelation stehen. Das sollte zur Vor-sicht gegenüber klaren Kategorien wie Helle-nen und Barbaren, Doriern und Ionern, aber auch dem Eigenen und dem Fremden mahnen. Deren Abgrenzung ist flexibel.15 Das Gewicht der dahinter stehenden zeitgenössischen Dis-kurse hängt von der Entwicklung der politi-schen Lage ab. Das ergibt sich auch daraus, dass auch die durch die Änderung der politischen Situation verdrängten Diskurse da und dort durchscheinen. So empört sich zum Beispiel Lichas, der neue Gesandte aus Sparta, nach der sizilischen Niederlage der Athener über die

15 Zu modernen Vergleichsbeispielen vgl. Baberows - ki / Kaelble / Schriewer 2008.

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Kolonialismus des Geistes.Orientalismus und Geschichtsphilosophie

bei Herder und Hegel

Dietmar Till

Form kultureller Diskriminierung, die ver-schiedene Bereiche betrifft, wobei sich Said vor allem für zwei Felder interessiert hat, zwischen denen insofern ein Übergängigkeitsverhältnis besteht, als dass ein Bereich den anderen fun-diert. Ich meine natürlich die beiden Systeme von Wissenschaft und (imperialer) Politik. Said arbeitet in seiner Studie heraus (vor allem am Beispiel von England und Frankreich), wie der akademische Diskurs des Orientalismus den imperialen ideologisch fundiert und des-sen koloniales Expansionsstreben damit legiti-miert und vorantreibt. Das meint Said, wenn er den Orientalismus als ‚akademische Tradi-tion‘2 von der „tatsächlichen Seite des Orien-talismus“ (Said 2009, 11) abtrennt:

„Nimmt man in sehr grober Annähe-rung das späte 18. Jahrhundert als Aus-gangspunkt, so stellt sich der Orientalis-mus als institutioneller Rahmen für den Umgang mit dem Orient dar, das heißt

Einleitung: ‚Orientalismus‘ als Konzept

Edward Saids Orientalism handelt auf einer ersten Ebene von der Problematik der Reprä-sentation des Ostens durch den Westen (des Orients, Asiens durch den Okzident – wir werden sehen, dass diese Begriffe, die für uns heute klarer getrennt sind, im 18. und frühen 19. Jahrhundert noch mehr oder weniger in eins fallen), wobei Said die These vertritt, dass diese Repräsentation inakkurat ist, weil sie fal-sche Bilder auf den Orient projiziert.1 In die-sem Sinne ist ‚Orientalismus‘ ein diskursives Phänomen, das Said bis in die Antike zurück-verfolgt, bis zu den Persern des Aischylos: Orien talismus gibt es in der westlichen Tra-dition also immer schon, und er hat insofern auch für den Okzident / den Westen eine zen-trale fundierende Funktion (zur Kritik an Said vgl. Polaschegg 2005; vgl auch Varisco 2007).

Wir könnten also sagen, dass es eine bestimmte stereotype Topik der Orient-Repräsentation gibt, die als „gesellschaft- liche Einbildungskraft“ (um diesen Begriff aus der rhetorischen Topiktheorie Lothar Born-scheuers zu nehmen, vgl. Bornscheuer 1974) Wahrnehmungen des Orients auf einer unbe-wussten, also basalen Ebene reguliert und präjudiziert. Orientalismus ist damit also eine

1 Wobei sich Said für diese Frage nach Wahrheit / Richtigkeit – die „Lügen und Märchen“ (Said 2009, 15) – nicht sehr interessiert, sondern für die machtstra-tegische Funktion des zugrundeliegenden Diskurses.2 Hierzu speziell mit Blick auf die deutsche Tradition S. Marchand (2009).

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keine wertfreie und unpolitische Wissenschaft, das akademische Wissen etwa um Indien oder Ägypten sei „von den politischen Gewaltver-hältnissen“ durchsetzt und geprägt (ebd. 20). Vielmehr sei von einer „prekären Symbiose“ (ebd. 22) unterschiedlicher „Machtinstanzen“ auszugehen,

„darunter die politische (in Form des Kolonialismus oder Imperialismus), die intellektuelle (in Form von Leitwis-senschaften, etwa der vergleichenden Linguistik und Anatomie oder Berei-chen der modernen Politologie), die kulturelle (in Form von Geschmacks-, Texte- oder Wertekanons und anderen Orthodoxien), die moralische (gestützt auf Annahmen darüber, was ‚wir‘ tun, ‚die‘ aber nicht so verstehen können wie ‚wir‘). Ich meine also, dass der Ori-entalismus ein konstitutiver und nicht nur beiläufiger Bestandteil der moder-nen politisch-intellektuellen Kultur ist – und als solcher weniger mit dem Orient selbst als mit ‚unserer‘ Welt zu tun hat.“ (ebd. 22).

Wissenschaftliche und (in engerem Sinne) ‚politische‘ Fragen gehen also Hand in Hand. Said umreißt das Spektrum möglicher Fragen an eine Erforschung (die bei ihm zugleich die Aufdeckung einer Art geistesgeschichtlichen Komplottes ist) in folgender Weise:

„Welche … geistigen, ästhetischen, ethi-schen und kulturellen Energien flossen in die Entstehung einer imperialistischen Tradition wie der orientalistischen? Was trugen Philologie, Lexikographie, Geschichtswissenschaft, Biologie, Poli-tologie, Ökonomie, Lyrik und Prosa zur generell imperialistischen Weltanschau-ung des Orients bei?“ (ebd. 25).

für die Legitimation von Ansichten, Aussagen, Lehrmeinungen und Richt-linien zum Thema sowie für ordnende und regulierende Maßnahmen. Kurz, der Orientalismus ist seither ein west licher Stil, den Orient zu beherrschen, zu gestalten und zu unterdrücken“ (ebd.).

Said greift an dieser Stelle auf die Diskurstheo-rie von Foucault zurück. Er arbeitet heraus, wie ‚orientalistische‘ Diskurse unsere Auffassungen vom Orient normalisieren und naturalisieren – und wie auf dieser Grundlage handfeste Fra-gen nach Macht, Einfluss und Hegemonie zu sehen sind. Es geht also um Fragen des stra-tegischen Einsatzes von Wissen, um dadurch Macht zu generieren und auszuüben. Said (2009, 12) scheibt: „Mit einem Wort, dank des Orientalismus ging (und geht) mit dem Ori-ent eine Reglementierung des Denkens und Handelns einher“. Man sieht an diesen Zita-ten: Edward Saids ‚Orientalismus‘-Konzept ist gerade für Rhetoriker, die ja untersuchen, wie man durch Kommunikation Einfluss ausüben kann, äußerst spannend, ja man könnte sagen, dass auf der Ebene des Diskurses ‚Orientalis-mus‘ ein rhetorisches Phänomen ist (s. auch Osterhammel 1997).

Zentral für den ‚Orientalismus‘ ist die Vor-stellung einer Überlegenheit des Westens (vgl. Said 2009, 16), die zugleich dessen Hegemo-niestreben zu legitimieren vermag. Aus diesem Überlegenheitsstreben, so Said, geht der Ori-ent erst hervor: „zunächst aufgrund allgemei-ner Prinzipien darüber, wer oder was als ori-entalisch zu gelten hatte, und dann nach einer speziellen Logik, die indes nicht einfach der empirischen Realität folgte, sondern einem ganzen Bündel von Bedürfnissen, Verdrängun-gen, Unterstellungen und Projektionen“ (ebd. 17). An diesem erst mittelbar geostrategischen Orientalismus hat die Wissenschaft vom Ori-ent entscheidenden Anteil – nach Said gibt es

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der Philosophie wiederum hat Vorstellungen und Konzepte von Geschichte zum Gegen-stand, im Falle Hegels eine ziemlich harte Konzeption von Fortschritt und Richtung des historischen Prozesses (darauf wird später noch eingegangen). Allgemein grenzt man den His-torismus und die Geschichtsphilosophie à la Hegel als diametrale Konzepte voneinander ab: Historismus betont die Eigengesetzlichkeit von Epochen, arbeitet nicht mit Wertkonzep-ten wie ‚Fortschritt‘ und hierarchisiert deshalb Epochen nicht, die Hegel’sche Geschichtsphi-losophie tut genau das Gegenteil. Wir werden sehen, dass diese Differenz in der Praxis nicht ganz so fundamental ist, wie die Theoreti-ker (wie etwa Friedrich Meinecke in seinem bedeutenden Werk über den Historismus) es postulieren.

Zweitens ist für den Diskurs des Orienta-lismus interessant, dass mit Vorstellungen wie derjenigen vom ‚Fortschritt‘, von ‚Entwick-lung‘ oder von ‚Zielen‘ und dem ‚Ende‘ der Geschichte, die metaphorisch etwa in Kon-zepten von Aufstieg und Abstieg gedacht werden, immer auch eine Bewegung von der Peripherie ins Zentrum (also nach Europa, den ‚Westen‘) verknüpft ist. Häufig wird diese Vorstellung durch Allegorien der Lebensalter ausgedrückt, also mit dem Orient als ‚Kind‘ und dem ‚Westen‘ als Erwachsenem, oft mit der Vorstellung einer Geschlechterdichoto-mie verbunden, die den Osten / Orient an das Weibliche (und die Einbildungskraft / Phan-tasie), den ‚Westen‘ / Okzident an das Männ-liche (und die Rationalität / Vernunft) bindet. Geschichte verläuft also nicht nur durch die Zeit als Aufstieg etwa von Rationalität, Sub-jektivität oder ähnlichem, sondern sie lässt sich auch geographisch durch die Bewegung von der Peripherie auf ein Zentrum (den Westen) hin verstehen.

Wie diese beiden Aspekte bei Herder und Hegel unterschiedlich (aber eben komplett anders) aussehen, möchte ich im Folgenden zeigen. Zwischen beiden Texten / Textgrup-

Hegel und Herder – Historismus und Geschichtsphilosophie

In dieses Spektrum möglicher Fragen reihen sich die nachfolgenden Überlegungen ein, die mit Johann Gottfried Herder (1744–1803) und Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770–1831) zwei Theoretiker mit Blick auf ihren Standpunkt zu ‚Orientalismus‘ befragen, die bei Said selbst keine zentrale Rolle spielen (Herder wird einige Male genannt, Hegel gar nicht). Insgesamt konzentriert sich Said, was in der Forschung auch immer wieder kri-tisch angemerkt wurde, auf die englischen und französischen Quellen. Dass es tatsächlich auch einen intensiven ‚deutschen Orientalis-mus‘ gibt (und zwar einen Orientalismus ohne Imperialismus, also ohne Kolonien – die es ja dann erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts gab), das ist erst richtig deutlich geworden durch die grundlegende Studie von Suzanne Marchand German Orientalism in the Age of Empire von 2009. Es gibt also einen Orien-talismus, der – jedenfalls potenziell – koloni-ales Machtstreben gedanklich vorbereitet, also einen Diskurs der Normalisierung, der ‚dem Westen‘ eine bestimmte hegemoniale Macht-position gegenüber ‚dem Orient‘ zuweist, also Wegbereiter für praktisch-machtpolitisches Handeln sein kann.

Zwei Gesichtspunkte sind bei Herder und Hegel mit Blick auf den Diskurs des Orienta-lismus interessant:

Erstens werden Herder und Hegel mit dem Begriff des Historismus einerseits und dem Konzept einer säkularen Geschichtsphilo-sophie andererseits verbunden. Historismus meint hier die mit dem 18. Jahrhundert ver-bundene Vorstellung von der Eigengesetzlich-keit der Zeit-Epochen, also der Vorstellung, dass man in einer als individuell verstandenen Jetztzeit lebt, kurzum: die Idee der Geschicht-lichkeit. Davon hängt dann der moderne Kol-lektivsingular von ‚der Geschichte‘ unmittel-bar ab. Geschichtsphilosophie als Teildisziplin

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‚vernünftigen‘ Westen des 18. Jahrhunderts als Ziel) eine Abwertung des ‚Orients‘ als Vorläu-fer (der eben auf einer Stufe des noch-nicht-Aufgeklärt-Seins verharrt) unmittelbar und mit zwingender Logik bedingt: Geschichts-philosophische Diskurse dienen also der Legi-timation und sind insofern Grundlage des ‚Orientalismus‘. Zudem stellte sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts auch die Frage nach der ‚Nützlichkeit‘ der Geschichte (vor dem Hintergrund des ciceronischen Topos von der historia als magistra vitae; vgl. Koselleck 1989) sowie die Frage, wie man die Geschichte als Textgattung vom (ja ebenfalls erzählenden) Roman abgrenzen sollte (dies ist ein etwa von David Hume diskutiertes Pro-blem: rekonstruiert der Historiker Geschichte oder konstruiert er sie nicht vielmehr? Vgl. Rothermund 1994, 44). Letzteres zeigt, wie sehr die Dinge am ‚Vorabend‘ der modernen Geschichtswissenschaft noch im Fluss sind.

In der Frage, ob ‚die‘ Geschichte einem Pro-gressionsverlauf folgt, also ob es geschichtlichen ‚Fortschritt‘ gibt, äußert sich Herder vermit-telnd. Ein absolutes Ziel der Geschichte gibt es für ihn nicht, gleichwohl aber eine Abfolge von Kulturen, zwischen denen es die Vorstel-lung einer ‚Entwicklung‘ gibt – ein Konzept von Entwicklung allerdings, das früheren Kul-turen als Bedingung der Existenz späterer, entwickelter Kulturen doch so etwas wie ein ‚Eigenrecht’ belässt. In der Epochenfrage nach Progression versus Historismus nimmt Her-der eine durchaus raffiniert zugeschnittene Zwischenposition ein. Das betrifft auch seine Einschätzung der Kulturen des sogenannten ‚Orients‘, die Herder durch das Etikett eines patriarchalen Despotismus charakterisiert. Zen- tral dabei ist, von welchem Standpunkt aus man diese Kulturen bewertet. Herder plädiert hier für einen relativierenden, historisierenden Standpunkt, den er durch eine Lebensalter-Allegorie und Metaphern aus dem Bereich der Biologie illustriert: Das Morgenland ist Kindheit und Keim und damit zwar – für sich

pen liegen etwa fünfzig Jahre: Herders Auch eine Philosophie der Geschichte der Menschheit erschien anonym 1774 in Riga, Hegels Vorle-sungen über ‚Philosophie der Weltgeschichte‘ wurden zwischen 1822 und 1831 fünfmal vorgetragen.3

Herder

Herders Abhandlung Auch eine Philosophie steht am Beginn der Entstehung der moder-nen Geschichtsphilosophie (der Begriff selbst wurde in dieser Zeit auch noch nicht termi-nologisch und mit einer gewissen semanti-schen Unschärfe verwendet). Im Jahre 1765 war Voltaires äußerst einflussreicher, kontro-vers diskutierter Essay Philosophie de l’histoire erschienen. Voltaire, radikaler Aufklärer und deshalb radikaler Kritiker des Klerus, richtet seine Geschichtskonzeption in erster Linie gegen eine christliche Historiographie, wie es etwa Bossuet am Ende des 17. Jahrhun-derts vertreten hatte (solche Positionen waren auch fast ein Jahrhundert später noch gängig): Gemeint ist das Verständnis von Geschichte als Heilsgeschichte (als Eschatologie), der ein Plan innewohnt, den Gott als Lenker und Leiter der Geschichte verfolgt (vgl. Dierse / Scholtz 1974, 417). Wie aber sollte ‚Geschichte‘ – verstan-den als begründeter, eben nicht kontingenter Zusammenhang von historischen Einzelereig-nissen – verstanden werden? Als Fortschritt mit dem Ziel der ‚Vernunft‘? Für die Frage nach der Bewertung des Orients haben solche geschichtsphilosophischen Fragen unmittel-bare Relevanz, denn es ist etwa klar, dass das Modell der Geschichts-Progression (mit dem

3 Ich beziehe mich im Folgenden auf die Edition im Rahmen der Suhrkamp-Theorie-Werkausgabe unter dem Titel Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte. Die Vorlesungen wurden erst durch den Hegel-Schüler Heinrich Gustav Hotho zum Druck befördert.

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wirtschaftlichen, staatstheoretischen und ver-waltungsmäßigen Ebenen; letztlich geht sein ganzheitlicher Blick auf die Entwicklung der einzelnen Kulturen sogar bis in den Bereich der Ethik: Ackerbau, Städteleben, sogar ein „Bürgersinn“ entsteht nun, wobei diese Ent-wicklung auch aus dem Mangel und einer produktiven Adaptationsleistung heraus erklärt wird (ebd. 16). Ägypten ist am Ende von Her-ders Ausführungen ein „Knabe[n] von sieben Jahren“ (ebd. 17), mit dem sich also „noch nicht, wie mit Greis und Manne, vernünfteln“ lässt (ebd.). Man sieht hier, wie Herder zwi-schen den beiden Polen schwankt: Einerseits gibt es – gemessen an seinem eigenen Jahr-hundert der Aufklärung – ein klares Defizit an Rationalität, doch die eigentlich negative Dia-gnose fehlender Vernunft wird gleich wieder positiviert. Denn der Knabe

„mußte eingeschlossen sein. Eine gewisse Privation von Kenntnissen, Neigungen und Tugenden mußte da sein, um das zu entwickeln, was in ihm lag und jetzt in der Reihe der Weltbegebenheiten nur das Land, die Stelle entwickeln konnte! Also waren ihm diese Nachteile Vorteile oder unvermeidliche Übel, wie die Pflege mit fremden Ideen dem Kinde, Strei-fereien und Schulzucht dem Knaben – warum willt [sic!] du ihn von seiner Stelle, aus seinem Lebensalter rücken – den armen Knaben töten?“ (ebd. 18)

Zielscheibe von Herders Kritik an einer falsch verstandenen Vorstellung historischer Pro-gression im Sinne von ‚Überwindung‘, von Abwertung und Negierung des Vergangenen ist Johann Joachim Winckelmanns einfluss-reiche Geschichte der Kunst des Altertums von 1764. In einer längeren Passage kritisiert er dessen gräcozentrischen Schönheitsbegriff, der die griechische Plastik als Ideal, ägyptische Kunst von diesem Ideal ausgehend als deviant abwertet:

genommen – noch nicht entwickelt (und also sozusagen ‚primitiv‘), aber doch zugleich in dieser Perspektive des Wachstums Vorläufer und Grundlage – Herder spricht von „Kei-men“ und „Grundsäulen“ (Herder 1774 / 1990, 10), manchmal auch von „Grundsteine[n]“ (ebd. 11) – der eigenen Kultur:

„Und siehe, was jedem einzelnen Men-schen in seiner Kindheit unumgänglich not ist: dem ganzen Menschengeschlecht in seiner Kindheit gewiß nicht weniger. … Jahrhunderte haben drüber gebaut, Stürme von Weltalter haben sie wie den Fuß der Pyramiden mit Sandwüsten überschwemmet, aber nicht zu erschüttern vermocht – sie liegen noch! und glücklich, da alles auf ihnen ruht.“ (ebd. 10–11)

Herder pocht hier also gewissermaßen auf das ‚Eigenrecht‘ früherer Kulturen: „jeder ver-nünftelt doch nur nach seiner Empfindung“ (ebd. 10; Hervorhebung D. T.) heißt es. Ein weiteres Zitat:

„Wie töricht, wenn du diese Unwissen-heit und Bewundrung, diese Einbildung und Ehrfurcht, diesen Enthusiasmus und Kindessinn mit den schwärzesten Teufelsgestalten deines Jahrhunderts, Betrügerei und Dummheit, Aberglaub’ und Sklaverei brandmarken, dir ein Heer von Priesterteufeln und Tyrannengespens-tern erdichten willt, die nur in deiner Seele existieren!“ (ebd. 13; Unterstrei-chungen D. T.)

Die geschichtliche Entwicklung läuft für Her-der aus dem Osten gewissermaßen auf das Zentrum ‚Westen‘ zu, das es trotz einer histo-ristischen Sicht auf die historischen Prozesse bei Herder klar gibt. Auf den Orient mit sei-nem System des Patriarchalismus und Despo-tismus folgt das alte Ägypten. Herder diagnos-tiziert Veränderungen auf mehreren sozialen,

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phern – das Bild der Leiter. Mit dem Ausruf „Entwickelung, Fortgang, Stufen der Leiter!“ (ebd. 16) beschreibt Herder in Auch eine Philo-sophie einmal seinen geschichtsphilosophischen Ansatz: Historisches Bewusstsein ist damit für ein angemessenes Verständnis vergange-ner und fremder Kulturen notwendig, mehr aber noch für eine angemessene Einschätzung vom erreichten Stand der eigenen Kultur, die als Produkt des Durchgangs und der Refle-xion früherer Kulturstufen beschrieben wird. Herders eigenes Zeitalter steht am Ende der Stufen-Leiter, die doch nicht um- oder weg-geworfen kann, will man der Kultur nicht ihr Fundament und ihren Stand entziehen.

Herder ist also – um wieder zu meiner Aus-gangsfrage zurückzukehren – kein ‚Orientalist‘ im Sinne Edward Saids. Doch er ist auch kein Relativist. Am absoluten Vorrang der griechi-schen Kultur etwa lässt er keinen Zweifel, an der Defizienz der orientalischen Lebens- und Gesellschaftsformen aber auch nicht.

Hegel

In Hegels Vorlesungen zur Philosophie der Geschichte verläuft vieles eindeutiger und kla-rer als bei Herder. Vorgetragen wurden diese Vorlesungen in den Jahren 1822–1831 an der Berliner Universität (Hegel selbst starb 1831); Herder und Hegel trennt also ein knappes halbes Jahrhundert. Neben den geschichtsphi-losophischen Vorlesungen findet sich Mate-rial zu Hegels Haltung zum Orient übrigens noch in den Ästhetik-Vorlesungen und in den Vorlesungen über die Geschichte der Philoso-phie. Diese beiden Werkkomplexen stehen am Beginn der nachfolgenden Ausführungen, weil sie erste Hinweise zu Hegels Orient-Konzept geben. In den philosophiehistorischen Vorle-sungen gibt es am Ende des ersten Teils (also noch vor dem eigentlichen geschichtlichen Durchgang) einen Abschnitt ‚Orientalische Philosophie‘, dessen Fremdkörpercharakter

„Der beste Geschichtschreiber der Kunst des Altertums, Winckelmann, hat über die Kunstwerke der Ägypter nur nach grie-chischem Maßstabe geurteilt, sie also ver-neinend [= abwertend] sehr gut, aber nach eigner Natur und Art so wenig geschildert, daß fast bei jedem seiner Sätze in die-sem Hauptstück das offenbar einseitige und Schielende vorleuchtet. … Und da es den Ägyptern meist so geht, daß man zu ihnen aus Griechenland und also mit bloß griechischem Auge kommt – wie kanns ihnen schlechter gehen?“ (ebd. 18).

Auf die Ägypter – ich raffe an dieser Stelle Herders Argumentation etwas – folgen die Phönizier, die als schlechterdings „unvergleich-bar“ (ebd. 20) bezeichnet werden, und darauf schließlich die Griechen, wobei wir auf der Stufe des Jünglings angekommen sind (da rauf folgt dann Rom, aber das interessiert uns nicht mehr). Für Herder wird Griechenland durch die Idee der demokratischen Staatsform ver-körpert, und er lässt keinen Zweifel daran, dass er diese für die optimale hält. Noch ein-mal wird klar, wie vorsichtig und abwägend er mit dem Problem historischer Entwick-lung umgeht. Denn einerseits ist erst mit der attischen Demokratie die beste Regierungs-form erreicht, andererseits führt dies nicht zu Abwertung orientalischer Despotie, ägyp-tischem Zunftwesens und phönizischer Aris-tokratie als bloßer ‚Vorstufen‘. Einmal mehr Herder:

„Die Regimentsform, mußte sie sich nicht vom orientalischen Vaterdespotismus durch die ägyptischen Landzünfte und halbe phönizische Aristokratien herab-geschwungen haben, ehe die schöne Idee einer Republik in griechischem Sinne … statthaben konnte?“ (ebd. 22).

Zentral für Herders Modell historischer Ent-wicklung ist – neben den biologischen Meta-

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Veränderungsfähigkeit“ inne (Hegel 1970a, 74), „ein Trieb der Perfektibilität“, ein „Fort-gang zum Besseren, Vollkommneren“ (ebd.). Zwar ist Geschichte damit ohne Ziel und auch ohne Zweck (ebd. 75) – insofern ist Hegel Gegner einer Vorstellung der Heilsge-schichte –, aber die Veränderung zum Besse-ren hin ist doch ein formales Prinzip, das den Verlauf der Geschichte organisiert. Dabei ist der Begriff der ‚Freiheit‘ zentral, insofern der „Stufengang der Entwicklung“ einem Bewusstsein von der Freiheit korreliert, des-sen Endpunkt Hegel als „Selbstbewußtsein und Selbstgefühl des Wesens der Geistigkeit“ bestimmt (ebd. 77). Geschichte ist insofern ein Reflexionsmedium der Entwicklung des Selbstbewusstsein; ohne Geschichte bleibt auch die politische Organisation des Gemein-wesens rückständig:

„Die Geschichte ist aber immer für ein Volk von großer Wichtigkeit, denn dadurch kommt es zum Bewußtsein des Ganges seines Geistes, der sich in Gesetzen, Sitten und Taten ausspricht. Gesetze als Sitten und Einrichtungen sind das Bleibende überhaupt. Aber die Geschichte gibt dem Volke sein Bild in einem Zustande, der ihm dadurch objektiv wird. Ohne Geschichte ist sein zeitliches Dasein nur in sich blind und ein sich wiederholendes Spiel der Will-kür in mannigfaltigen Formen.“ (Hegel 1970b, 203–204).

Staatlichkeit ist für Hegel der Beginn der Geschichtlichkeit, insofern zählt er die Mythen des Orients (und damit den Orient überhaupt) ‚noch‘ nicht zur Geschichte: Geschichte sei prosaisch, heißt es, nicht poetisch wie die Fabel. Abstraktes Denken, Formulierung von Gesetzen, die Trennung von Immanenz und Transzendenz sind zentrale Indikatoren. Hegel macht das u. a. am Gottesbegriff der Orien-talen fest, insofern weltliches und göttliches

unter anderem schon dadurch deutlich wird, dass er nicht in die sonst durchgängige Kapi-tel- und Abschnittszählung integriert ist. Die, so Hegel, „sogenannte orientalische Philoso-phie“ trete „nicht in den Körper und Bereich unserer Darstellung“; sie sei „nur ein Vorläufi-ges“, mehr „religiöse Weltanschauung“ (Hegel 1971, 138) als ‚seriöse‘ Philosophie. Ursache hierfür ist der Grad der Individualisierung des Subjekts, der im Christentum hoch sei („das Subjekt [ist] frei“ ebd. 140), im Orient aller-dings schlechterdings nicht (noch nicht) vor-handen sei. Resümierend spricht Hegel vom „Mangelhafte[n] des Orientalismus“ (ebd. 169), der dem „harte[n], europäische[n] Ver-stand“ (ebd.) gegenübergestellt wird. Diese Exklusion des Orients aus der Philosophie (wie sie etwa das Schema ‚Vom Mythos zum Logos‘ des Altphilologen Wilhelm Nestle 1940 in seinem wichtigen Buch prägte; vgl. Nestle 1940) auf der Basis eines Emanzipationsnar-rativs ist bis heute in einer eurozentrischen Philosophiegeschichtsschreibung prägend. Sie findet sich analog auch in Hegels Ästhetik-Vorlesungen, genauer in den Abschnitten über die symbolische Kunstform. Das Symbol, so argumentiert Hegel, ist ein Konzept, das im Verlauf der Geschichte der Entwicklung der Kunst zugunsten von Konzepten wie Idee und Form überwunden werden muss. Das Symbol, so schreibt er, mache den „Anfang der Kunst“ aus, die deshalb „gleichsam nur als Vorkunst zu betrachten [sei], welche hauptsächlich dem Morgenlande“ (Hegel 1970b, 393) zugerech-net werden müsse. Erst die Auflösung der symbolischen Kunstform markiert die Grenze zur eigentlichen Kunst, der ‚klassischen‘ Kunst der Griechen (ebd.).

Deutlicher noch wird diese Linie in den Geschichtsphilosophie-Vorlesungen. Hegel beginnt mit einer Entgegensetzung von Natur und Geist: Während es in der Natur nur den Kreislauf gibt, aber nichts Neues, ist erst der menschliche Geist zur Veränderung in der Lage. Dem Menschen wohnt eine „wirkliche

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ist hier noch nicht die Reflexion über die Natur der Handlung selbst vorauszu-setzen.“ (ebd. 162)

Indien erscheine im Gegensatz zum ‚prosa-ischen‘ China „als ein Wunderreich, als eine verzauberte Welt“: Es ist für Hegel das „Land der Phantasie und Empfindung“ (Hegel 1970b, 174), eine Schatzkammer der Natur, in der neben Diamanten und Perlen auch „Wohlge-rüche, Rosenöle, Elefanten, Löwen usw.“ (ebd. 178) zu finden sind. Deren Ausbeutung durch westlich-imperiale Mächte liegt für Hegel in der Logik der Weltgeschichte: „Die Engländer, oder vielmehr die Ostindische Kompanie, sind die Herren des Landes, denn es ist das not-wendige Schicksal der asiatischen Reiche, den Europäern unterworfen zu sein, und China wird sich auch einmal diesem Schicksale fügen müssen“ (ebd. 179). Aufgrund der Fixierung der Inder auf die ‚poetische‘ Einbildungskraft sind sie nicht in der Lage, zu geschichtlichem Bewusstsein zu gelangen. „Denn Geschichte“, so Hegel, „erfordert Verstand, die Kraft, den Gegenstand für sich freizulassen und ihn in sei-nem verständigen Zusammenhange aufzufas-sen. Der Geschichte, wie der Prosa überhaupt, sind daher nur Völker fähig, die dazu gekom-men sind und davon ausgehen, daß die Indivi-duen sich als für sich seiend, mit Selbstbewußt sein, erfassen“ (ebd. 202). Logische Folge die-ser Geschichts-Unfähigkeit ist die Amoralität der Inder; ihre Einbildungskraft verkehrt die Realität „zum Fiebertraum“: „Wahrhaftigkeit [ist] das Gegenteil ihrer Natur, sie lügen sogar wissentlich und vorsätzlich, wo sie es besser wissen.“ (ebd. 203)

Erst mit den Persern, so heißt es, „treten wir … in den Zusammenhang der Geschichte“ (ebd. 215). Im Gang von Osten nach Wes-ten, der die Geschichtsfähigkeit der Völker und Kulturen bestimmt und Hegels Darstel-lung strukturiert, markiert Persien also eine Schwelle hin zur Geschichtlichkeit. Hegel macht das daran fest, dass Persien untergegan-

Recht unter der Konzeption einer Theokratie in eins fallen (ebd. 143):

„Was wir Gott nennen, ist im Orient noch nicht zum Bewußtsein gekommen, denn unser Gott tritt erst in der Erhe-bung zum Übersinnlichen [also über das Sinnliche hinaus, ins Abstrakte] ein, und wenn wir gehorchen, weil wir das, was wir tun, aus uns selbst nehmen, so ist dort [im Orient] das Gesetz das Gel-tende an sich, ohne dieses subjektiven Dazutretens zu bedürfen“ (ebd. 143).

Anders als Herder hat Hegel einen wei-ter gefassten Begriff vom Orient: Er fasst da runter auf Grundlage einer naturräum-lichen Gliederung (Hegel spricht von „Ter-rains“): China und die Mongolei, Ganges und Indus (Indien, das vor allem durch Friedrich Schlegels Sanskrit-Forschungen zu Beginn des 19. Jahrhunderts prominent wurde), Per-sien und die Ebenen von Euphrat und Tigris, schließlich Ägypten und die Ebene des Nil. Mit China nun beginnt für Hegel die eigent-liche Geschichte, deren Darstellung auf dem Wertungsprinzip des ‚noch nicht‘ basiert: Die Länder und Gegenden des Orients werden an einem – westlichen – Ideal gemessen, das dort eben noch nicht realisiert ist. Erst Griechen-land markiert, so Hegel, den „Übergang in die Weltgeschichte“ (Hegel 1970b, 146), wäh-rend China und Indien „noch außer der Welt-geschichte liegen“ (ebd. 147). Diese Völker haben, so heißt es weiter, „uralte Traditionen, aber keine Geschichte.“ (ebd. 147) Was das Recht anlangt, so vergleicht Hegel die Chine-sen mit Kindern: Diese kennten die „Subjek-tivität der Ehre nicht; sie unterliegen mehr der Zucht als der Strafe, wie bei uns die Kinder“ (ebd. 162). Denn:

„Bei der Züchtigung ist der Abhaltungs-grund nur Furcht vor der Strafe, nicht die Innerlichkeit des Unrechts, denn es

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logik notwendig abwertet und gerade dadurch leicht zur Legitimation eines imperialen, auf Expansion angelegten Orientalismus dienen konnte. Uns heutigen mag Hegels Darstellung des Orients seltsam artifiziell und willkür-lich erscheinen und ihre Wertungen scheinen vielfach nicht mehr akzeptabel. Machttheo-retisch dienen solche geschichtsphilosophi-schen Entwürfe aber der Etablierung eines Orient-Diskurses, der solche für uns heute bestenfalls kontingenten Narrative als akzep-tiertes ‚Normalwissen‘ einer Epoche instal-liert. Schon Said hat darauf hingewiesen, dass uns ein gewaltiger Fehler unterlaufen würde, wenn wir die Stereotypen des Orientalismus bloß als Lügen und Märchen ansähen (Said 2009, 15): „In meinen Augen liegt sein beson-derer Wert nicht darin, einen wahrheitsgemä-ßen Diskurs über den Orient zu begründen – als der er sich in seiner akademischen oder wissenschaftlichen Form der Orientalistik aus-gibt –, sondern vielmehr in seiner Funktion als Symbol der europäisch-atlantischen Macht über den Orient“ (ebd.). Geschichtsphilo-sophien haben daran in besonderem Maße Anteil, denn es handelt sich um Diskurse basa-ler Natur, die fachwissenschaftliche und dis-ziplinäre Diskurse mit großer Nachhaltigkeit und gleichsam unsichtbarer Hand fundieren können. Das bedeutet der Titel dieses Beitrags: „Kolonialismus des Geistes“.

Bibliographie

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Dierse / Scholtz 1974U. Dierse / G. Scholtz, Artikel „Geschichtsphilo-sophie“ In: J. Ritter (Hrsg.), Historisches Wör-terbuch der Philosophie. Band 3. Basel: Schwabe 1974, Sp. 416–439.

Hegel 1970aG. W. F. Hegel, Vorlesungen über die Philosophie

gen ist. Während China und Indien „statarisch bleiben“ (ebd. 215) und ein „vegetatives Dasein bis in die Gegenwart fristen“, gewinnt Persien gewissermaßen historische Größe durch sei-nen Untergang, denn nur Entwicklungen und Umwälzungen sind Ausdruck des „geschicht-lichen Zustand[s]“ (ebd. 215). Hegels Rekon-struktion basiert also auf einem Narrativ des ‚Durchbruchs‘ zum Historischen. Ähnlich wie bei Herder ist es auch bei Hegel der „Über-gang zu Griechenland“ (ebd. 273), der die eigentliche Wende zur Geschichte markiert: Die Selbstbefreiung des Geistes überwindet Limitationen und Widersprüche des orien-talischen Geistes: „Hier ist es zuerst, wo der Geist herangereift sich selbst zum Inhalt seines Wollens und seines Wissens erhält“ (ebd. 275). Zugleich fühlt man sich in Griechenland, wie Hegel schreibt, „sogleich heimatlich“, wir sind also im Westen, in Europa, im Okzident ange-kommen, wo das „eigentliche Aufsteigen ... des Geistes zu suchen“ ist (ebd. 275). Achill und Alexander sind die beiden entscheiden-den Schlüsselfiguren; sie konstituieren sich bezeichnenderweise erst im „Kampf gegen Asien“ (ebd. 276), also in der Negation der Orients.

Schluss

Herders und mehr noch Hegels geschichts-philosophische Überlegungen sind sprechende Beispiele für Edward Saids Bemerkung, dass der „Orient keine simple Naturgegebenheit ist. … Als gleichermaßen geographische wie kulturelle – um nicht zu sagen historische – Konstrukte sind auch Gegenden, Regionen, geographische Zonen wie ‚Orient‘ und ‚Okzi-dent‘ bloßes Menschenwerk“ (Said 2009, 13). Vor allem Hegel kennt und verwertet in sei-nen Vorlesungen die Erkenntnisse des wissen-schaftlichen Orientalismus seiner Zeit. Sie flie-ßen ein in eine Geschichtsphilosophie, die den Orient mit einer historischen Entwicklungs-

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Dietmar Till134

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Minoische Moderne, Thalassokratie und orientalische Despoten. Zwischen Orientalismus und Globalisierung

in der Archäologie des östlichen Mittelmeerraumes*

Constance von Rüden

spricht er das Fremde in seiner abstrakteren Form an – repräsentiert durch Bilder, Nor-men, dem Image weit entfernter Regionen oder „exotischer“ Gesellschaften. Auf diesen Aspekt geht er nur ganz am Rande ein, indem er schreibt: „Andrerseits gibt es eine Art von ‚Fremdheit‘, bei der gerade die Gemeinsam - keit auf dem Boden eines Allgemeineren, die Parteien Umfassenden, ausgeschlossen ist; hier-für ist etwa das Verhältnis der Griechen zum bárbaros typisch, all die Fälle, in denen dem Andern gerade die generellen Eigenschaften, die man als eigentlich und bloß menschlich empfindet, abgesprochen werden. Allein hier hat ‚der Fremde‘ keinen positiven Sinn, die Beziehung zu ihm ist Nicht-Beziehung …“ (Simmel 1908, 512). Es ist eher diese abs-trakte Konstruktion von Fremdheit, ohne den gegenwärtigen Migranten, die ich im Folgen-den zum Thema machen möchte, auch wenn

Einführung: Das Fremde als das Andere

Fremdheit als sozialwissenschaftliche Kate-gorie, das zentrale Thema des vorliegenden Bandes, lässt einen fast unweigerlich an Georg Simmels Exkurs über den Fremden zu Beginn des 20. Jahrhunderts denken (Simmel 1908, 509–512), dessen zentraler Gegenstand der Fremde als Element einer Gruppe darstellt. Simmel interessierten dabei sowohl Zuweisungen zum Fremden wie angebliche Eigenschaften und Gewohnheiten als auch Wechselwirkun-gen mit dem „lokalen“ Rest der Gruppe. Sein zentrales Thema war dabei die „Gleichzeitig-keit von Nähe und Ferne“, die im Fremden vereint schien. Für ihn ist der Fremde „… ein Element der Gruppe selbst, … – ein Element, dessen immanente und Gliedstellung zugleich ein Außerhalb und Gegenüber einschließt“ (Simmel 1908, 509–510). In seinen Über-legungen wird damit dieses Spannungsfeld zwischen Innen und Außen, zwischen dem Eigenen und dem Anderen deutlich, er betont aber zugleich die Inkorporierung des Ande-ren und der damit verbundenen Assoziationen und Bilder in die Lebenswelt der Gruppe. Die Inkorporation des Fremden wird demnach festgemacht an einem tatsächlich gegenwär-tigen Menschen, dem Migranten. Seltener

* An dieser Stelle möchte ich Tobias Kienlin sowohl für die Einladung zur Vortragsreihe „Fremdheit – Pers-pektiven auf das Andere“ am Institut für Ur- und Frühgeschichte der Universität Köln als auch für die Gelegenheit, das dort vorgestellte Thema hier zu publi-zieren sehr herzlich danken. Der Artikel baut zum Teil auf einem von mir 2013 publizierten Beitrag mit dem Titel Beyond an East-West-Dichotomy in Levantine Wall Paintings auf.

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Constance von Rüden136

heit zu erlangen (Leone / Potter / Shackel 1987, 285) oder in Kategorien wie „richtig“ oder „falsch“ zu denken, sondern nach der sozia-len Bedingtheit von Wissen zu suchen (vgl. Blakey 1987, 292). Somit sind die materiellen Kulturen des 2. Jts. v. u. Z. nur in indirekter Weise Gegenstand, vielmehr stehen einige der im wissenschaftlichen Diskurs des letzten und diesen Jahrhunderts herausgebildeten Pers-pektiven auf dieses Material im Zentrum. Wie positionieren sich einzelne Forscher_innen oder Forscher_innengruppen, wie konstruie-ren sie das Eigene oder Fremde oder wie wer-den solche Dichotomien auch wieder aufge-löst; hier offenbaren sich Entwicklungen, die zumeist eng mit den zeitgleichen Haltungen der (bürgerlichen) Öffentlichkeit und des Zeit-geistes, mit den Sphären von Politik und auch den wirtschaftlichen Interessen verwoben sind (s. dazu White 1973). Es gilt also den Ort der geschichtlichen Konstruktion mit Walter Ben-jamins Worten nicht als „homogene und leere Zeit“ sondern als „von Jetztzeit erfüllte“ zu betrachten (Benjamin 1992, XIV).

Dichotomien in der Archäologie des östlichen Mittelmeerraums

Die Archäologie des östlichen Mittelmeer-raums, der Region zwischen „Orient und Occident“, ist gerade hinsichtlich einer Aus-einandersetzung mit Formen transkultureller Verwobenheit ein beliebtes Laboratorium. Ver-

ich Georg Simmel in der absoluten Gegen-sätzlichkeit, also in der Nicht-Beziehung nicht zustimme. Gerade auch die Projektionen anderer Lebenswelten wie die des Barbaren, die exotische Ferne in der Malerei oder auch profanere Dingen wie die Phototapete tro-pischer Strände der 1980er Jahre setzen eine Beziehung voraus, sogar eine durch Ausein-andersetzung entstehende Integrierung „des Fremden“ in die eigene Lebenswelt. Damit kann es mit dem „Anderen“, wie es beispiels-weise hinsichtlich der Entwicklung des Selbst-bewusstseins bei Lacan oder Sartre thematisiert wird, in Verbindung gebracht werden (Lacan 1997; Sartre 2003, 459–471). In ganz direktem Zusammenhang steht es aber mit den post-kolonialen Diskursen in den Kulturwissen-schaften und der Anthropologie wie beispiels-weise in Edward Saids Orientalism (1978) oder Johannes Fabians Time and the Other (1983). Letzterer bemerkt hinsichtlich der Verwoben-heit zwischen dem Anderen und dem Selbst sehr treffend, dass „our ways of making the Other are ways of making ourselves“ (Fabian 1990, 756). Unweigerlich stellt sich damit die Frage inwiefern das Andere hierbei tatsäch-lich noch als explizit fremd oder eben eher als Eigenes zu betrachten ist. Sicherlich kön-nen die Konstruktionen von Bildern, Werten und Normen über eine andere – vergangene oder gegenwärtige – Gruppe, Gesellschaft oder auch Kultur in verschiedenster Hinsicht wirken: mal als Gegenbild zur Festigung der eigenen Zusammengehörigkeit, mal als Sehn-suchtsort. Gerade dieses Spannungsfeld, diese Ambivalenz in der archäologischen Forschung soll im Folgenden Thema sein.

Beziehen werde ich mich hierbei weniger auf antike Realitäten; vielmehr möchte ich mich im Sinne der Kritischen Theorie oder auch Kritischen Archäologie1 den wissen-schaftlichen und auch öffentlichen Konstruk-tionen nähern, die letztlich in unserer Narra-tion von Geschichte münden. Ziel ist es dabei, nicht ein besseres Wissen über die Vergangen-

1 Blakey 1987; Leone / Potter / Shackel 1987; von Rüden, Der Tigersprung ins Vergangene – ein Plädo-yer für eine Kritische Archäologie. Forum Kritische Archäologie 1, 2012: http: // www.kritischearcha-eologie.de / fka / article / view / 9 / 9 (4.9.2014); Auto-renkollektiv 2012, Diskussion: Was ist eine kritische Archäologie? Forum Kritische Archäologie 1, 2012: http: // www.kritischearchaeologie.de / repositorium /fka / Forum_Kritische_Archaeologie_2012_1.pdf (4.9.2014).

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Minoische Moderne, Thalassokratie und orientalische Despoten 137

Minet el Bheida, dem Hafen Ugarits, beob-achtet werden (Abb. 1). Die Liste der Publi-kationen, die sich mit diesem Objekt beschäf-tigen, ist lang und zumeist mit der Hoffnung verfasst, seinen Produktionsort durch eine materialanalytische, motivische oder stilisti-sche Analyse zuweisen zu können (z. B. Gates 1992; Rehak / Younger 1998, 259; Poursat 1999, 684). Interessanterweise scheint sich der Deckel nicht so leicht in unser Kategorisie-rungssystem einzufügen. Die oftmals verin-nerlichten Ost-West-Denkmuster lassen uns dieses Stück in seine Einzelelemente zerlegen. Wir erkennen eine ‚orientalische‘ Potnia The-ron in ‚ägäischem Gewand‘ in einer ‚ägäischen Landschaft‘ und verstellen uns somit den Blick auf einige wesentliche Herausforderungen des Stückes. Fragen, wie es letztlich zu einem solchen ikonographischen Gesamtkonzept gekommen ist und in welcher Weise es sowohl in der lokalen als auch überregionalen Kon-sumption eingebettet war, finden höchstens am Rande Beachtung. Offensichtlich ist der Wunsch nach eindeutigen Kategorien stark und dieses Bedürfnis scheint durch die an sich natürlich berechtigte Suche nach dem Pro-duktionsort zumindest oberflächlich befrie-digt zu werden. Aber nur wenn man sich dar-auf beschränkt, können Objekte unverändert einer klar abgegrenzten Gruppe eindeutig zugeordnet werden, wenn man ihr wandelba-res „soziales Leben“ berücksichtigt aber nicht (Appadurai 1986). In einem Raum, der immer als Paradebeispiel überregionaler Beziehungen und wechselseitiger Einflüsse herangezogen wird, ist eine solche Reduktion recht erstaun-lich und wirft Fragen auf.

Die Tendenz an unveränderlichen, sich nicht im Prozess befindlichen Kategorien festzuhalten, scheint sich durch die häufig eher unbedarfte Verwendung ethnischer oder pseudo-ethnischer Termini zur Benennung materieller Kultur noch zu verstärken (s. Dis-kussion in S. Sherratt 1994, 237) – aus dem Hilfsbegriff der „minoischen Kultur“ wurde

stärkt werden seit den 1990ern2 und insbeson-dere seit Homi Bhabhas einflussreichem Werk The Third Place (Bhabha 1994) altbekannte und oft allzu liebgewonnene Kategorien „archäo-logischer Kulturen“ immer mehr hinterfragt. Der Terminus Hybridität, wenn auch oft in verallgemeinerter Form als Allheilmittel über-bewertet, erfährt in diesem Zuge eine immer größere Beliebtheit (s. dazu beispielsweise auch Knapp 2008, 57–61; Maran / Stockham-mer 2012). Trotz dieses allgemeinen Trends verharren einige Ideen über diesen Raum in vergleichsweise starren traditionellen Ord-nungskriterien, die zum Teil immer noch von einer materiellen Kultur als eher statische und klar abgeschlossene Formation ausgehen.

Beispielsweise fanden im Diskurs über die so genannte ‚Minoische Malerei‘ in Westasien und Ägypten trotz der Komplexität und der Variabilität der Befunde Mehrdeutigkeiten nur selten Raum. Vielmehr bevorzugte man es diese Malerei, unabhängig ihres Kontextes, meist einem eindeutig minoischen Kultur-raum zuzuordnen. Damit war die Suche nach dem ‚Ursprung‘ der Techniken und der Iko-nographie im Zentrum des Interesses. Dass die Malereien mindestens im Zusammenspiel mit der jeweils lokalen Palastarchitektur einen hyb-riden (nicht in Homi Bhabhas Sinne) Raum produzierten, wurde marginalisiert (eine Aus-nahme ist Feldman 2007, zur Diskussion s. von Rüden 2013 mit Literatur). Sie wurden ähnlich einem Bild einer Gemäldegalerie ent-kontextualisiert und konnten auf diesem Weg „bis auf weiteres Minoisch“ bleiben, um Uta Halles Titel hier etwas zu entfremden (2002).

Ein ähnliches Festhalten an traditionellen archäologischen Kategorien kann an der wis-senschaftlichen Auseinandersetzung mit einem elfenbeinernen Pyxisdeckel aus einem Grab in

2 Eine Ausnahme bildet hier sicherlich Helene Kan-tor (1947).

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Constance von Rüden138

Bernal 1987; 1991). Sie schwingt implizit in vielen Thesen zum östlichen Mittelmeerraum auch heute noch mit und scheint die katego-rische Abgrenzung archäologischer Kulturen zu verstärken. Zusammen sind diese Beobach-tungen vielleicht ausreichend Anlass, die For-schungsgeschichte genauer zu beleuchten und die Frage zu stellen, inwieweit politische und soziale Zusammenhänge diese Kategorien, die sich häufig in einem Herausstellen von Ost-West-Dichotomien äußerten, unterstützten oder vielleicht sogar erst inspirierten.

im Laufe des 20. Jahrhundert häufig „die Minoer“ und aus der materiellen Kultur der Levante und Ägyptens „die Kanaanäer“ und „Ägypter“ unserer archäologischen Narrati-onen (s. z. B. Niemeier 1991, 195). Diese oft wenig reflektierte Ethnisierung der archäolo-gischen Hinterlassenschaften, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts eingesetzt hat, stellt einen direkten kausalen Zusammenhang zwischen Artefakt und moralischem Charakter, ethni-scher Identität und kognitiven Fähigkeiten ihrer Produzenten her (Preziosi 2002, 35–36;

Abb. 1: Pyxisdeckel aus Minet el Bheida (nach Aruz / Benzel / Evans 2008, 408 Kat.-Nr. 261).

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Minoische Moderne, Thalassokratie und orientalische Despoten 139

nicht mit dem „anderen Babylon“ in Verbin-dung gebracht werden wollte.

Im Vergleich zu diesen frühen imperialen Tätigkeiten in Westasien und der Konstruk-tion des ‚Alten Orients‘, begannen Arthur Evans’ Arbeiten in Knossos vergleichsweise spät im Jahre 1900. Eine Phase, in der in Groß-britannien, wie auch in den meisten anderen europäischen Staaten, eine zutiefst nationalis-tische Stimmung vorherrschte. Im Kreise des zumeist klassisch gebildeten Bürgertums fand Deutschlands, Frankreichs und Großbritanni-ens Wettlauf um Kolonialgebiete auch einen Widerhall in der archäologischen Forschung. Für Evans galt es demnach, Heinrich Schlie-manns Führung bei der Entdeckung des vor-homerischen Griechenlandes in Mykene, Tiryns und Troia herauszufordern und Knos-sos mindestens auf dieselbe Ebene zu stellen (s. auch Zeitungsberichte, die auf diesen Berich-ten basieren wie The Westminster Gazette im Jahr 1900: S. Sherratt 2009, 622). Dass Schlie-mann samt seines Lebenswerkes auch nach seinem Tod 1890 in der Öffentlichkeit präsent war, dafür hatte der deutsche Ausgräber zum Teil selbst gesorgt. Einer der einprägsams-ten Denkmäler dieser Selbstheroisierung ist vielleicht das durch Ernst Ziller entworfene Mausoleum auf dem Athener Nekrotapheion I, geschmückt mit einem Fries zu seinen Gra-bungen in Troia (Klöckner / Wulfmeier 1991, 34). Aber die Öffentlichkeitsarbeit von Evans stand dem in nichts nach: Als ehemaliger Jour-nalist besaß er herausragende Fähigkeiten die Presse und damit auch das öffentliche Inte-resse zu manipulieren (S. Sherratt 2009, 639). Die Entdeckung der Archive von Knossos nutze er beispielsweise, um Kreta mit den Schriftkulturen des Orients zu vergleichen und somit im Sinne des damals vorherrschen-den Fortschrittsgedankens als im Vergleich zu Troia und Mykene höherentwickelte Kultur zu kategorisieren, was ihm zumindest einen Punktesieg gegenüber Heinrich Schliemann ermöglichte. Publikumswirksam bezeichnet

Sir Arthur Evans, Knossos und die Entstehung des Eigenen

Eng verwoben mit der Kolonialgeschichte Europas begann spätestens ab der Mitte des 19. Jahrhunderts die archäologische Erfor-schung Westasiens. Vor allem im Auftrag der großen europäischen Museen wurden die zum Teil durch die Bibel oder Herodot bekann-ten großen Fundplätze nach repräsentativen Schätzen ‚umgegraben‘ (z. B. Larsen 1996; Oates 2010; Chevalier 2010; Cobet 2010). Die besondere Anziehungskraft lag auch in der Exotik und Fremdheit der bei Herodot oder in der Bibel beschriebenen Lebensweisen, die man dort meinte vom Staub der Jahrhunderte zu befreien. Die im Zuge dieser Tätigkeit für die europäischen Museen abtransportierten Objekte wurden in zum Teil kuriosen Aus-stellungen dem Bürgertum der europäischen Metropolen präsentiert und fanden auf die-sem Wege Eingang in die ‚westliche‘ Lebens-welt. In ihrer Dinglichkeit vereinten sie somit nicht nur die Nähe und Ferne, sondern auch die Vergangenheit mit der Gegenwart. Damit bedienten sie das Bedürfnis nach Exotik in den bürgerlichen Kreisen und inspirierten ein Bild des „Alten Orients“ als das „Vergangene Andere“, das im Gegensatz zu ihrer westlich, angeblich rationalen Welt der europäischen Metropolen stand (T. Bennett 1995). Die Bedeutung dieses Gegenbildes für die Kon-struktion des bürgerlichen Eigenen in Zen-tral- und Westeuropa wird vielleicht anhand des späteren Babel-Bibel-Streites deutlich: Der Aufschrei, den Friedrich Delitzsch durch seine These auslöste, dass die jüdische Reli-gion und damit das Alte Testament der Chris-ten auf babylonische Wurzeln zurückzufüh-ren sei (Delitzsch 1904), kann vielleicht nicht allein auf religionsgeschichtliche Divergenzen und die Vorstellung einer Offenbarungsfunk-tion biblischer Texte zurückgeführt werden. Eine Rolle spielte sicherlich auch das vorherr-schende konservativ-christliche Selbstbild, das

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Constance von Rüden140

Seine Forschungen als ein explizit nationa-les, britisches Unterfangen sollen auch eine patriotische Unterstützung erfahren, um andere Nationen beim Wettlauf um die Vor-geschichte Griechenlands in den Schatten zu stellen. Zentral ist aber, dass er die kretische Bronzezeit dabei als die Urquelle der eige-nen Zivilisation bewarb und damit das mino-ische Kreta zum Urahn und zum integralen Bestandteil der nationalen Identität machte. Evans betrachtete wohlgemerkt die Griechen als direkte Nachfahren der ‚Minoer‘, während er die ‚Mykener‘ lediglich als provinzielle Vari-ante einschätzte (Bintliff 1984, 36; Evans 1921, 278; 281–282). Damit verband er die damals wie heute am antiken Griechenland aufge-hängten europäischen Identitätsnarrationen (s. z. B. Herzfeld 1987) unmittelbar mit seinen ‚Minoern‘. Ein Aspekt, der gerade vor dem Hintergrund der erst kürzlich vom „orientali-schen Joch“ „befreiten“ Kreter, über eine ganz besondere politische Schärfe verfügt (J. Bennet 2002, 216). Im Gegensatz zur Konstruktion des ‚Alten Orients‘ als zumeist ‚das Andere‘ stilisiert Evans also bereits um 1900, also direkt nach den ersten Grabungen, das minoische Kreta zum nationalen ‚Eigenen‘.

Die Kategorisierung der ‚Minoer‘ als das Eigene spitzte Evans in der folgenden Phase noch durch die Konstruktion einer moder-nen Zeitlichkeit zu, indem er wiederholt die „minoische Kultur“ Kretas mit der Gegenwart der europäischen Moderne in Verbindung bringt und sie somit näher an die eigene Kul-tur heranrückte. Für ihn antizipierte beispiels-weise der Thron von Knossos gotisches Design und die auf den Fresken dargestellte Frauen-kleidung bezeichnete er als „truly Parisian“ und assoziierte sie mit der damals aktuellen Pariser Mode, sozusagen mit dem letzte Schrei um 1900 (Westminster Gazetter 1900: S. Sher-ratt 621). Das kommt auch in der Bezeich-nung Evans’ „La Parisienne“ für eine Frauen-darstellung auf einem Fresko zum Ausdruck (Abb. 2). Solch programmatische Bezüge lie-

er zudem bereits im Jahre 1900 Knossos als „Palace of Minos“ und verknüpfte es damit direkt mit dem mythologischen Wissen des britischen Bürgertums. Er versah diesen Aus-druck zwar mit Anführungszeichen, wusste wahrscheinlich aber nur zu gut, dass die Presse den ihr zugeworfenen Ball spielen würde und fortan die mythologischen Figuren Daida-los und Minos im Kampf um Aufmerksam-keit an seiner Seite stünden (S. Sherratt 2009, 621). Nicht unähnlich dem heutigen Kampf um Drittmittel, sah sich auch Evans gezwun-gen den damaligen Zeitgeist zu bedienen, um für seine durch private Mittel finanzierte Gra-bung Sponsoren an Land zu ziehen (S. Sher-ratt 2009, 628) und dies tat er auch, indem er das Nationalgefühl seiner Landsleute für seine Interessen instrumentalisierte. Seine Tätigkei-ten auf Kreta präsentierte er in Konkurrenz zu den dortigen italienischen und französischen Missionen sowie auch Schliemanns Arbeiten in Mykene und Tiryns und damit als eine Art Wettlauf um wissenschaftliche Vorherrschaft. Für die Unterstützung seiner Tätigkeit warb er mit den Worten „for the honnour of British science“ und in einem zusammen mit David George Hogarth verfassten Bericht verglichen sie ihre Arbeiten ganz unverblümt mit denen ihrer Konkurrenten (s. S. Sherratt 2009, 623). Von besonderer Bedeutung für unsere Frage ist aber Evans Charakterisierung seiner eige-nen Ausgrabungstätigkeit mit den folgenden Worten:

„the exploration that we have taken in hand is not one confined to the back-waters of antiquarian research. It lies about the fountain-head of our own civilization… In this field at least British archaeological enterprise has been for-tunate enough to obtain the lead, and it rests with the public to see that it is main-tained.“ (Bericht zitiert bei S. Sherratt 2009, 624).

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Minoische Moderne, Thalassokratie und orientalische Despoten 141

des Thema in den Vereinigten Staaten. In Ame-rican Weekly wurde im Januar 1922 ein Text mit folgendem Titel veröffentlicht:

„ Jazz, Corsets and Bathtubes in Old Knossos 5000 Years Ago. New excava-tions Reveal the Astonishing Up-to-Dateness of Social Life, Fashions, Plumb-ing and Even Apartment Houses in the Wicked City of the Minotaure Before It Became Time-Crumbled Ruins.“ (zitiert bei S. Sherratt 2009, 631 Anmerkung 65).

ßen schließlich auch die Presse außerhalb Griechenlands und Großbritanniens aufhor-chen: Die Zeitschrift Journal de Mons bestätigte 1901 die Modernität der kretischen Kleidung und eine Woche zuvor stellte die Zeitschrift Le Temps in einem Artikel Le palais du roi Minos – Modes anciennes et nouvelles heraus, dass Pa rallelen zu diesen extraordinären Kleidern nur in „unserem 19. Jahrhundert“ zu finden seien (Le Temps 8th June 1901: S. Sherratt 2009, 631). Auch noch nach dem Ersten Weltkrieg ist die „Modernität der Minoer“ ein packen-

Abb. 2: „La Parisienne“ (nach Evans 1935, Taf. XXXII).

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Constance von Rüden142

‚Europäische Moderne‘ und Orientalismus

Nach dem ersten Weltkrieg setzt sich diese Haltung prinzipiell fort, auch wenn natür-lich einige Veränderungen im archäologischen Zeitgeist zu erkennen sind. V. Gordon Childe, selbst ein Schüler Evans’ und auch durch-aus von dessen Ideen beeinflusst (A. Sherratt 2006), kann man wohl als guten, und vor allem sehr einflussreichen Repräsentanten dieser Phase heranziehen. In der ersten Ausgabe sei-nes wohlbekannten Buches The Dawn of Euro-pean Civilization beschreibt er 1925 die Zivili-sationen Europas nicht als:

„… the result of miraculous birth, but the result of the diffusion and adaption of the discoveries of the Orient … In the process of diffusion and creation the isle of Crete played a foremost role. Its geo-graphical position enabled the Cretans to take advantage of advances made in the South and East without becoming dependent either on Egypt or on Sumer.” (Childe 1925, 24).

Gemäß seines diffusionistischen Weltbildes deklarierte er die Ähnlichkeiten im Nahen Osten und Europa eindeutig als aus dem „Ori-ent“ stammende Einflüsse oder „Fortschritte“. Aber dennoch ist in den darauf folgenden Abschnitten eine deutliche Ambivalenz zu erkennen. Offensichtlich verspürte er ein Bedürfnis, Kretas kulturelle Besonderheit her-vorzuheben und erklärt einige Seiten weiter:

„We have seen that Minoan civilization was deeply indebted both to Egypt and Mesopotamia. Now I must insist that it was no mere copy of either, but an origi-nal and creative force. As such Crete stands out as essentially modern in outlook. The Minoan spirit was thoroughly European and in no sense oriental. A comparison

Im öffentlichen Diskurs näherte sich die Zeit-lichkeit von Minos und seinem Palast immer mehr der Moderne an, was auch mit einer ‚Ko-Erfindung‘ von Moderne und Antike in den Museen dieser Zeit in Verbindung gebracht werden kann (Preziosi 2002, 36). Johannes Fabians Überlegungen zur Zeit können uns einen Hinweis für die Interpretation dieses Phänomens liefern. Durch seine Reflektio-nen über die Zeitlichkeit der Anthropologen und ihres konstruierten Gegenübers, ihres Studien subjekts, kommt er zu dem Schluss, dass die Zeit des Anthropologen meist als moderne, bewegliche Zeit dargestellt wird, die Zeit des zu studierenden Anderen hingegen als statisch, weniger entwickelt und älter. Fabian bezeichnet dies als „denial of coevalness“ und als „allochronic discourse“, worin für ihn eine politische Agenda liegt: „the Politics of Time“ (Fabian 1983). Das Aberkennen der Gleich-zeitigkeit des Anthropologen mit dem zu stu-dierenden Anderen rechtfertigt nach ihm die koloniale Dominanz über den Anderen, der im westlich-evolutionären Denken als zurück-liegend und damit weniger fortgeschritten gilt. Die durch Fabian sensibilisierte Wahr-nehmung für die politische Dimension von Zeitlichkeit ermöglicht uns nun eine neue Perspektive. In dem für uns gewohnten linea-ren, evolutionären Zeitverständnis des Westens mag es vielleicht noch eingängig wirken den ‚Alten Orient‘ als das Vergangene zu konst-ruieren, aber was geschieht, wenn wir eine in unserem westlichen Zeitverständnis vergan-gene Gesellschaft mit der Moderne assoziie-ren? Es liegt nahe, Fabians These umzudrehen und zu argumentieren, dass zu Beginn des 20. Jahrhunderts die ‚minoische Kultur‘ zu etwas zeitgleichem Eigenen gemacht wurde, zum britischen, französischen oder vielleicht europäischen Eigenen, während der ‚Alte Ori-ent‘ das vergangene Andere darstellt, von dem sich die europäischen Nationalstaaten, ‚der Westen‘ abheben kann.

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Minoische Moderne, Thalassokratie und orientalische Despoten 143

dem Kon strukt ihrer Gleichzeitigkeit mit dem betrachtenden Archäologen, setzten sich wei-ter fort. Neu ist hingegen die explizit europäi-sche Dimension, die nach den Erfahrungen des Ersten Weltkriegs vielleicht einer Sehnsucht nach einer europäischen Identität geschuldet ist oder aber Childes marxistischer Haltung. Aber auch europäische Kategorien sind bereits bei Evans zu erkennen, der trotz der von ihm vielfach postulierten anatolischen, afrikani-schen und westasiatischen Migrationsströme nach Kreta ganz besonders betonte, dass es sich dabei sicherlich um europäische Elemente handelt und es eine Absurdität sei „to confuse the European-like Libyan element with Neg-ros!“ (McEnroe 2002, 70), womit er auch eine deutlich rassistische Haltung an den Tag legte. In jedem Fall deklarierte Childe die minoi-sche Kunst und Freskomalerei als explizites Kennzeichen für Kretas „modernem Natu-ralismus, dem wahrhaft westlichen Lebens-gefühl“ (Childe 1925, 29). Er machte sie zu einem Symbol der „Europäischen Moderne“ und kontrastierte sie nun direkt mit dem Ori-ent. Trotz seiner zahlreich aufgezeigten Bezüge zwischen beiden Regionen, konstruierte gerade er eine Dichtomie zwischen „Orient und Okzident“, die auch weiterhin die For-schungen im östlichen Mittelmeerraum prä-gen sollte.

In der Ambivalenz verwandt sind auch Leo-nard Woolleys Ausführungen zu seinen Gra-bungen in Alalach in den Jahren direkt vor und nach dem Zweiten Weltkrieg. In einem Vortrag im Jahre 1953 legte er als Ziele sei-ner Forschung in der Region Hatay, also der Region um Alalach, fest „to contribute to our knowledge of civilization‘s progress“ (Woolley 1953, 13–14) und „to throw light on the ori-gin and development of Cretan art“ (Woolley 1953). Ganz im Sinne Childes scheinen Dif-fusionismus und Fortschrittsgedanke Woolleys Leitbilder zu sein und dabei verpflichtete er sich gerade auch der Erforschung der „europä-ischen Zivilisation“. Da beide einem Kreis von

with Egypt and Mesopotamia will make the contrast plain. We find in Crete none of those stupendous palaces that betoken the autocratic power of the oriental des-pot. Nor do gigantic temples and extrav-agant tombs like the pyramids reveal an excessive preoccupation with ghostly things. The consequences of this distinc-tion are reflected in Minoan art. The Cretan artist was not limited to perpetu-ating the cruel deeds of a selfish despot nor doomed to formalism by the innate conservatism of priestly superstition. Hence the modern naturalism, the truly occidental feeling for life and nature that distinguish Minoan vase painting, frescoes and intaglios. Beholding these charming scenes of games and processions, animal and fishes, flowers and trees we breathe already a European atmosphere.“ (Childe 1925, 29; ebenso zitiert bei A. Sherratt 2006)

Seine Abgrenzung eines „europäischen“, „modernen“ Kreta von einem „despotischen“, „mit geisterhaften Dingen“ beschäftigten Ori-ent ist ein wunderbares Beispiel für das, was Edward Said als Orientalismus beschreibt (1978). Zuweisungen wie „Irrationalität“ und eine Vorliebe für „Despoten“ produzie-ren ein Bild vom Nahen Osten, das in der ‚westlichen‘ Literatur, Kunst und Forschung gut bekannt war und ist und als das ‚Andere‘ der so genannten ‚Westlichen Welt‘ herhalten muss(te). Seine gleichzeitige Bewunderung für den Fortschritt aus dem Nahen Osten ist eine Ambivalenz, die in den verschiedenen Aus-führungen des Orientalismus gut bekannt ist. Es ist erstaunlich, wie Childe in seinem dif-fusionistischen Konzept des „ex oriente lux“ eine westliche Überlegenheit integrierte, ver-körpert durch die „europäischen Minoer“, die eine „rationale“ Kultur ohne Despoten auf-bauten. Die bereits bei Evans beobachteten Vorstellungen einer ‚Minoischen Moderne‘,

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Freskotechnik als etwas beschreibt, das zum Temperament der „Minoer“ passt (Niemeier 1991, 195) und dabei auf Wolfgang Schierings rhetorische Frage aus dem Jahr 1960 verweist: „Welche Technik hätte diesem quecksilbrigen Temperament der Kreter besser entsprochen als die ganz aus dem Moment schaffende Fres-komalerei?“ (Schiering 1960, 36). Ungeach-tet der Tatsache, dass Freskomalerei sicherlich nicht ein Handwerk ist, das aus dem Moment entsteht, ist für unsere Fragestellung relevant, dass hier eine direkte Verbindung zwischen Technik und der Mentalität einer Gruppe vor-gebracht wird. Dabei wird deutlich, dass die Bezeichnung „Minoer“ hier nicht einfach als terminus technicus, sondern als eine Art Label einer ethnischen Gruppe verwendet wird, die sich durch ein spezielles Temperament auszeichnet, das anderen nicht zugestanden wird. Eine solch problematische Zuweisung erschwert es, einen Transfer über ethnischen Grenzen hinweg überhaupt zu denken und erinnert an Childes Annahme der spezifisch „westlichen Natur minoischer Kunst“.

Minoische Thalassokratie: vom Empire zum Freihandel

Neben Kunst und Kultur existiert noch eine weitere Identifikationsfläche ‚westlicher‘ Sehnsüchte: die ‚minoische Thalassokratie‘. Bereits 1901 publizierte die Zeitschrift The Navy and Army Illustrated auf der Basis von Evans’ Berichten einen Artikel mit dem Titel Sea Power Four Thousand Years ago (Abb. 3), der die Meinung verbreitete, dass König Minos über die erste Seemacht verfügte. Von militä-rischem Interesse war in diesem Zusammen-hang, dass Knossos keine schützende Mauer besaß und demnach auch eine Seemacht wie Großbritannien zum Schutze Londons keine Befestigung in Surrey benötigte (S. Sherratt 2009, 629). Evans proklamierte selbst zwar nie eine ‚minoische Thalassokratie‘, bescheinigte

Wissenschaftlern angehörten, der sich regel-mäßig in Evans’ Haus in Youlbury bei Oxford traf (Green 1981, 61), sind ihre konvergieren-den Ansätze nicht vollkommen überraschend. Vielleicht resultierte daraus die erstaunliche Vehemenz, mit der Woolley Knossos und Ala-lakh in Verbindung brachte. Vor allem in einem Vortrag von 1942, als Syrien im Zweiten Welt-krieg durch die Alliierten besetzt war, betont er enthusiastisch die „erstaunliche Ähnlich-keit“ in der Bauweise sowie der Maltechnik und -ikonographie beider Paläste (Woolley 1942, 11). Die Ausführungsweise der Male-rei charakterisierte er als impressionistisch und „unmissverständlich im Geiste kretischer Kunst“ (Woolley 1955, 231) und das nicht erhaltene obere Stockwerk des Palastes ließ er in einem „typically Cretan design“ als „piano nobile“ wiedererstehen (Woolley 1946, 186). Ausdrucksweisen, die irritieren, wenn man bedenkt, dass er aus chronologischen Grün-den3 davon ausging, dass Kreta „owes the best of its architecture, and its frescoes, to the Asi-atic mainland“ (Woolley 1953, 11–12; 74). Sie vermitteln den Eindruck, dass es ihm schwer fiel, diese Elemente der Architektur und Kunst, die von Childe zuvor als „im Geiste einer europäischen Moderne“ kategorisiert wurden, mit letzter Konsequenz dem „Orient“ zuzu-ordnen, obwohl sie dies gemäß seiner eigenen Interpretation wären. Macht eine bewusste oder unbewusste Tradierung dieser Assoziatio-nen es uns auch heute noch schwer, die Fres-komalerei in Westasien wenigstens auch als Teil lokaler materieller Kultur zu begreifen? Sind Fresken vielleicht schon zu lange und zu eng mit unserer westlichen europäischen Identität verknüpft als dass wir sie mit unseren ‚östlichen Nachbarn‘ teilen könnten? Es ist bezeichnend, dass Wolf-Dietrich Niemeier noch 1991 die

3 Die damals gängige Chronologie von S. Smith (Smith 1940) datierte Alalakh mindestens ein Jahrhun-dert früher als Knossos.

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Abb. 3: Navy and Army Illustrated 1901.

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F. A. Schaeffer im Jahre 1942 ersichtlich. Darin setzte er seine damalige Ausgrabungstätigkeit in Ugarit in die Tradition von Bonapartes Expedition nach Ägypten und Ernest Renans Expedition im Jahre 1860, als Frankreich seine Truppen an die syrische Küste schickte, um angeblich die christlichen Araber zu unterstüt-zen (Schaeffer 1942, 185).

Damals wie heute waren die Sphären von Wissenschaft, Öffentlichkeit und Politik keine separaten Felder, sondern ideologisch eng ver-woben. Deshalb ist es auch nicht verwunder-lich, dass in dieser Phase, nach über 20 Jahren, wieder verstärkt über eine ‚Minoischen Tha-lassokratie‘ geschrieben wurde. 1924 wurde Evans in der Zeitschrift Peking and Tient-sin Times zu seinen Forschungen beglück-wünscht, durch die er herausgefunden habe, dass eine Zivilisation auf Kreta große Teile des östlichen Mittelmeerraums kontrollierte. The Singapore Free Press erklärte im selben Jahr, dass das minoische Empire größer war als zuvor angenommen und wohl weit nach Klein-asien, über die Levante bis hin zur Küste des Roten Meeres und vielleicht darüber hinaus reichte (S. Sherratt 2009, 629). Das Aufkom-men der „Minoer“ als eine frühe „europäische Seeherrschaft“ in der Presse der Zwischen-kriegszeit, in direktem Anschluss an das Sykes-Picet-Abkommen, ist daher vielleicht nicht als Zufall zu werten (dazu allgemein: Starr 1955, 291; Hamilakis 2002b, 3).

Diese politischen Umstände mögen viel-leicht auch die Inspiration für die Interpre-tation archäologischer Funde im östlichen Mittelmeerraum als minoische Präsenz gewe-sen sein. Trotz der noch dünnen Befundlage in diesen frühen Jahren wurde den ‚Minoern‘ eine Dominanz im Handel und ein Beherr-schung des Meeres zum Teil bis an die levan-tinische Küste zugeschrieben. Während Evans und Childe lediglich die kretische Initiative im Handel betonten (Evans 1928, 571; 626; 757; dargelegt von A. Sherratt 2006, 115), wollte Woolley in den ägäischen Scherben aus Uga-

den „Minoern“ aber eine Initiative im Han-del und legte den Grundstein dieses Gedan-kens, indem er Knossos mit dem mythologi-schen König Minos in Verbindung brachte, der gemäß den Texten von Thukydides (I 4, 1) und Herodot (III 122) eine Seeherrschaft ausgeübt haben soll. Er konnte sicherlich dar-auf zählen, dass sich sein klassisch gebildetes Pu blikum dem bewusst war. Seine volle Wir-kung sollte dieses Bild aber erst ein paar Jahre später entfalten.

Während des Ersten Weltkrieges unter-zeichneten Großbritannien und Frankreich das geheime Sykes-Picot-Abkommen mit dem Ziel, die politische Zukunft Westasiens nach dem Fall des Osmanischen Reiches zu bestimmen. Während also Großbritannien noch offiziell all denen Regionen Autonomie versprach, die sich durch die arabischen Auf-stände befreiten, beinhaltete dieses geheime Abkommen bereits den Plan Westasien in eine französische und eine britische Einfluss-sphäre aufzuteilen. Beide Mächte garantierten sich gegenseitig gleiche ökonomische Rechte innerhalb der von ihnen kontrollierten Regi-onen, einschließlich der Nutzung wichtiger Häfen wie Haifa oder Alexandretta (§5 des Abkommens). Offensichtlich war der leichte Zugang zu Häfen, Handelsrouten und damit Märkten ein zentrales Anliegen dieser franzö-sisch-britischen Unternehmung, unbeachtet etwaiger Interessen der lokalen Bevölkerung.

Noch bevor dieses Abkommen 1922 vom Völkerbund ratifiziert wurde, kontrollierten französische Truppen die nördliche Levante. Hand in Hand mit dieser militärischen Unter-werfung eignete sich auch die archäologische Forschung diesen Raum wieder an – das Mili-tär besetzte das Land, die Archäologen die Tells und damit die Geschichtsschreibung dieser Region. Dass letztere damals nicht nur passi-ver Spielball politischer Gegebenheiten waren, sondern sich auch durchaus mit diesem impe-rialistischen Vorgehen identifizierten, wird anhand einer Vortragseinleitung von Claude

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kratie“ gedeutet werden (E. und Y. Sakellarakis 1984, 202), geht man heute zumeist von einer bescheideneren Rolle der Einwohner_innen Kretas im östlichen Mittelmeerraum aus. Ein direkterer Einfluss der materiellen Kultur Kretas kann in der Ägäis, vorwiegend auf den Kykla den, der Dodekanes und der kleinasiati-schen Küste, verzeichnet werden. In wie weit auf dieser Basis von einer Seeherrschaft gespro-chen werden kann, sei dahingestellt. Auch wenn die ‚minoische Thalassokratie‘ nur noch selten in direktem Bezug zu Westasien und Ägypten gesetzt wird, so ist sie immer noch ein wichtiger Topos, der anhand von Keith Branigans Modell zu den „Minoischen Kolo-nien“ (Branigan 1984) immer noch rege dis-kutiert wird (z. B. Hägg / Marinatos 1984) und auf diese Weise weiterhin das Bild des überle-genen ‚minoischen‘ Seefahrers und Händlers perpetuiert. Eine Dominanz, die deshalb so erstaunlich ist, da im Gegenzug nur vergleichs-weise wenige Stimmen für eine ‚kanaanäische‘ oder explizit ugaritische Seeherrschaft plädie-ren, obwohl zahlreiche schriftliche Quellen zur Seefahrt und zum Bootsbau eine solche Annahme für das 14. und 13. Jh. v. Chr. nicht weniger abwegig erscheinen lassen (Ausnah-men: Sasson 1966; Knapp 1983).

Fazit und Ausblick: auf dem Weg zur Globalisierung

Es ist wohl kaum zu übersehen, dass einige der dominanten Diskurse der Archäologie des östlichen Mittelmeerraums in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entsprechend des damaligen Zeitgeistes stark von kolonialem Gedankengut und von Orientalismen geprägt gewesen waren. Trotz diffusionistischer Para-digmen wurde das ‚Minoische‘ als das Eigene konstruiert und vom Anderen des ‚Alten Ori-ents‘ abgehoben. Versehen mit einer moder-nen Zeitlichkeit, mit ihrer ‚up-to-dateness‘ in

rit ein konkretes Anzeichen einer möglichen Ostexpansion minoischer Kultur erkennen (Woolley 1942, 10). Von einer minoischen Kontrolle des Seehandels ging auch Schaef-fer aus, der Ugarits geographische Lage im Jahre 1942 folgendermaßen beschreibt: Uga-rit „could not fail to attract the attention of the Cretans, who, as you know, then con-trolled the sea trade of the Eastern Mediter-ranean“ (Schaeffer 1942, 189). Und nur vier Jahre später verknüpft Woolley die These einer minoischen Seeherrschaft mit der Mentalität der „Minoer“, „who had none of that fear of the open sea which kept the Phoenician hug-ging a friendly coast“ (Woolley 1946, 187). Auch hier findet man wieder die Dichotomie, die Said als Kennzeichen des Orientalismus anspricht: auf der einen Seite die furchtsamen Einwohner Ugarits, die „passiven Orienta-len“, auf der anderen die aktiven, furchtlosen „Minoer“, die Beherrscher des Meeres. Im Weltbild der Kolonialmächte liegt eine Identi-fikation der „westlichen“ Mächte mit den das Meer beherrschenden „Minoern“ (McEnroe 2002, 68–70) ebenso nahe wie eine Identifika-tion der unterworfenen Bevölkerung Syriens und der Levante mit den „furchtsamen Phö-nikern“.

Um die Mitte des 20. Jahrhunderts wurde jedoch immer deutlicher, dass die Keramik, die in vergleichsweise großen Mengen an der Levante und im Nildelta zu finden war, weniger der so genannten ‚minoischen Kul-tur‘ oder Kreta als Produktionsort zugeordnet werden konnte, sondern in erster Linie mit der so genannten ‚mykenischen Kultur‘ des 14. und 13. Jh. v. Chr. assoziiert werden musste. Hingegen halten sich bis heute die ‚mino-ischen‘ Importe an der Levante, auf Zypern und in Ägypten in Grenzen (z. B. Merrillees /Kemp / Edel 1980, 278–279). Auch wenn man noch vereinzelt liest, dass die in den ägypti-schen Beamtengräbern abgebildeten Keftiu als Anzeichen einer „minoischen Thalasso-

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Hilfe Renfrews Thesen mit historischer Auto-rität versehen werden:

„Europe‘s first great civilizations arose from private trade. Starting perhaps around 7000 B. C. E., a resourceful mari-time people who became known as Mino-ans established themselves in Crete. They were ancient history to Homer. They brought copper from Cyprus, tin from Asia Minor, elephant Tusks from Syria and diorite from the Nile Valley – and Minoan pottery made its way to Egypt“.5

Der Kommentar erschien am 29. Juli 2012 in Forbes.com, einer der erfolgreichsten Wirt-schaftsmagazine, während die Finanzkrise noch immer die Welt in Atem hielt. Erschre-ckenderweise stilisiert er den privaten Händler der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft als Heilsbringer unserer Schwierigkeiten – sicherlich ein gutes Argument, die Verstrickun-gen von Politik, Zeitgeist und archäologischer Forschung auch in Bezug auf rezentere For-schungen immer wieder zu beleuchten.

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Kunst und Kultur, sowie einer der britischen Seeherrschaft entsprechenden Thalassokratie dienten ‚die Minoer‘ als ideale Identifikati-onsfläche der ‚westlichen‘ Moderne. Gerade hinsichtlich ihrer Dominanz über das Meer scheint sich aber sukzessive ein Wandel in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts abzu-zeichnen. Auch wenn die kolonialen Vorstel-lungen des Eigenen und Anderen, von europä-ischer Moderne und Orientalismus weiterhin bewusst oder unbewusst die wissenschaft lichen und öffentlichen Diskurse prägten, scheinen sie langsam in den Hintergrund zu treten, während in den Köpfen der Wissenschaft-ler_innen die Bedeutung des Welthandel, des freien Marktes und der Globalisierung zunah-men. Spätestens mit Colin Renfrews Arbeiten beginnt sich der Gedanke des Privathandels als zentraler Antrieb des kulturellen Fort-schritts immer mehr durchzusetzen (Renfrew 1972 / 2011, 440–475; zur Kritik z. B. Bintliff 1984, 34).4 Ein politisch agierendes Empire und militärische Dominanz treten im Kontext der ägäischen Archäologie allmählich in den Hintergrund. Nun scheinen in erster Linie Händler das östliche Mittelmeer zu bevöl-kern, die auf Grundlage marktwirtschaftlicher ‚Mechanismen‘ Kultur und Fortschritt in die entlegensten Regionen bringen. Diese neoli-beralen Konstruktionen finden ihre dankbaren Abnehmer auch in der gegenwärtigen politi-schen Agitation. Mit einem direkten Bezug auf die Arbeiten von Renfrew publiziert das CATO Institut, einer der einflussreichsten liberalen Think-Tanks der USA, einen Kom-mentar mit dem Titel No President Obama, It Was Private Business That Made Our Roads and Bridges Possible, in dem ihre Argumente mit

5 J. Powell: http: // www.cato.org / publications / com-mentary / no-president-obama-it-was-private-busi-ness-made-our-roads-bridges-possible (21.8.2014).

4 Erste Vorstellung eines kultur- und fortschrittsbrin-genden Handels sind natürlich, wie oben angedeutet, schon bei Evans und Childe, aber gerade auch bei Kan-tor (1947) zu beobachten.

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All Heroes in Their Armour Bright and Shining? Comments on the Bronze Age ‘Other’

Tobias L. Kienlin

recent European past. By implicitly assuming that prehistoric farmers were as immobile as their historic counterparts, archaeologists have failed to grasp the specific historic character of the Bronze Age: they have failed to recognise its ‘otherness’” (Kristiansen / Larsson 2005, 32, see also 367–368).

Instead, the authors go on to argue that the Bronze Age is characterised by a high degree of mobility and travelling to distant places,

Introduction

In their widely read synthesis The Rise of Bronze Age Society Kristian Kristiansen and Thomas B. Larsson argue “... that the study of later European prehistory, and especially the Bronze Age, has failed to make convinc-ing progress because among other things it is dominated by a farming or peasant ideology of immobility which is derived from a more

He cased his limbs in brass; and first aroundHis manly legs, with silver buckles boundThe clasping greaves; then to his breast appliesThe flaming cuirass of a thousand dyes;Emblazed with studs of gold his falchion shoneIn the rich belt, as in a starry zone:Achilles’ shield his ample shoulders spread,Achilles’ helmet nodded o‘er his head:Adorn’d in all his terrible array,He flash’d around intolerable day.Alone untouch’d, Pelides’ javelin stands,Not to be poised but by Pelides’ hands:From Pelion’s shady brow the plant entireOld Chiron rent, and shaped it for his sire;Whose son’s great arm alone the weapon wields,The death of heroes, and the dread of fields.

(The Iliad, Book XVI; translated by Alexander Pope)

In memory of Manfred O. Korfmann

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by others right from the start.1 Among several other points it has been noted that regional variability is systematically subdued up to the point that evidence to the contrary seems to have been deliberately ignored. The same certainly holds true for opposing theoretical approaches.

Such problems are closely related to the spe-cific narrative style of their presentation that in some places borders on epic writing instead of scientific prose. It is well worthwhile, therefore, in a volume concerned with ‘alterity’ and our representations of the archaeological, historical or contemporary ‘other’ to have a closer look at the strategies involved in the presentation of this particular ‘Bronze Age’ and to draw atten-tion to some alternative views.

There are different avenues such an attempt at deconstructing The Rise of Bronze Age Soci-ety may take, not least the heavy reliance of Kristiansen and Larsson’s study on the ethno-graphic work of Mary Helms (e. g. 1979; 1988) to support their notion of Bronze Age ‘travel-lers’ and their impact on Bronze Age society (e. g. Kristiansen / Larsson 2005, 2; 17; 39–41; 45–47; 51–57). Instead, we will focus here, firstly, on a specific reading of the Homeric poems throughout the volume. This has much the same effect of drawing attention to the agency of a specific type of ‘alpha’ male to the neglect of a historically contextualised under-standing of social action in Bronze Age and Early Iron Age societies respectively.

Secondly, Kristiansen and Larsson’s argu-ment heavily depends upon some kind of core and periphery model with prehistoric Europe situated on the margin of Mediterra-

especially on the part of newly emergent war-riors or ‘chiefly’ elites, and the transmission of foreign esoteric knowledge that these people were able to draw upon back home in order to enhance their social standing. Consequently, the Bronze Age is thought to have seen a far-ranging alignment of socio-political and ideo-logical ‘institutions’ alongside the more con-ventional intensification of trade and exchange and the general economic upturn expected in the wake of bronze metallurgy (e. g. Kristian-sen / Larsson 2005, 32–61).

In a way this is a particularly eloquent phrasing of a widely held view in Bronze Age research which has it that the Bronze Age was qualitatively different from the pre-ceding Neolithic and historically unique on a pan-European scale. We are led to expect the emergence of (proto-) urban settlements that more or less successfully drew upon agricul-tural and other resources from their surround-ings and controlled the exchange in valuable objects and raw materials from abroad. Such sites were home, supposedly, to some kind of functionally and politically differentiated pop-ulation with peasants and craft or other spe-cialists. And there were some in charge of all this – a warrior elite that developed new forms of male habitual expression amongst others by their command of shining bronze weaponry; aggrandisers whose competitiveness propelled Bronze Age society onto a new stage of social evolution. Thus, although European commu-nities and elites never quite reached the core area’s scale and splendour, prehistoric Europe is seen to develop along broadly the same lines previously taken by the ancient Near East or the Aegean Bronze Age.

However, the work of Kristiansen and Lars-son goes beyond most of this ‘traditional’ archaeological reasoning, for it is more consist-ently argued, and it features a powerful narra-tive and construction of a Bronze Age ‘other’. This is why their study is so enormously attrac-tive for some, and has attracted fierce criticism

1 For a critical review and assessment of this work, the problems it poses both on the empirical side and on the theoretical one see, for example, Harding (2006) and Nordquist / Whittaker (2007). For a more balanced overview of Bronze Age Europe see, for example, Harding (2000), Primas (2008) and Fokkens / Harding (2013).

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were written down in the way we know them. Quite to the contrary, theirs is still the main-stream position, and this is how Early Iron Age ‘heroes’ and their specifically Early Iron Age aspirations and concerns enter the archaeolo-gical literature on the Bronze Age.2

The present author cannot lay claim to any particular expertise in ancient Greek history or philology nor is he specialising in Aegean Bronze Age archaeology. Even so it is imme-diately apparent that the issue of Homer and the Bronze Age is highly controversial among those specialising in this field.3 It is no good for academic discourse to wipe away such competing paradigms in the nonchalant man-ner apparent in The Rise of Bronze Age Society. For Kristiansen and Larsson, this debate, which has been going on at least since the ground-breaking work of Moses I. Finley in 1954 (Finley 1977 / 2002), clearly boils down to the usual ups and downs of theoretical fashions in philology and ancient history that will eventu-ally be settled with archaeological support in favour of historical ‘truth’ – meaning in this case acceptance of the Mycenaean origins of the epics by all the overly critical disbelievers (e. g. Kristiansen / Larsson 2005, 229; 257).

This entirely misses the true issue at stake. Archaeologists and others involved in the broad field of material culture studies have long worked hard to establish a notion of material culture as being meaningfully constituted and of its significance for the construction of social ‘reality’ (e. g. Tilley et al. 2006 with further references). Material culture conveys cultural meanings, it shapes our habitus and it is drawn upon in a specific discourse with a logic of

nean urban or palatial centres that developed from the earlier work of one of the authors (e. g. Kristiansen 1987; 1998). In The Rise of Bronze Age Society such elements derived from World System Theory are still present, but there is a shift towards ritual and a Bronze Age elite ethos which supposedly held the ‘system’ together (cf. Harding 2013, 383–384). Very much like before, however, ‘institutional’ simi-larity, ‘systemic’ interrelation and the effect of contact on ‘peripheral’ society are still taken for granted rather than being demonstrated. Interaction studies and postcolonial stud-ies imply that such an approach is problem-atic because the meaning of exotic objects in peripheral or marginal groups is taken to be identical with their origins instead of being understood as renegotiated in local contexts. In a more general sense, we are led to believe in ‘passive’ peripheries opposite overwhelming outside influence. Instead, we may choose to direct our attention to the different ways in which foreign ‘prestigious’ objects were actu-ally recontextualised and to the active appro-priation of foreign cultural traits into specific social and cultural contexts of ‘Barbarian’ Europe.

The Great Divide I: Homer, Heroes and the Bronze Age

Homer and Archaeology: Different Logics and False Expectations

It has been noted before, that “[m]ost of what Kristiansen and Larsson have to say on the Homeric poems is nonsense” (Nordquist /Whittaker 2007, 81). However applicable such a statement may seem, it cuts short a more complex issue. Kristiansen and Larsson are by no means the only archaeologists still to believe in the historicity of what Homer has to tell us about a ‘Bronze Age’ world that had long passed by when the Iliad and Odyssey

2 cf. Treherne 1995; Demakopoulou et al. 1999a; 1999b; Karlsruhe 2008; Hansen 2013.3 Compare, for example, the different approaches represented in the volumes by I. Morris / Powell (1997 / 2011), Latacz (2001), Cairns (2001), Ulf (2003a), S. Morris / Laffineur (2007) and Ulf / Rollinger (2011).

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when such narratives are eventually cast into epic poetry and script.4 To the adherents of this approach the concerns of Homer when writing down the Iliad and the Odyssey were thoroughly Early Iron Age and so was in large part his knowledge of the ‘Bronze Age’ world which he chose as a setting for his poems. It is argued he was drawing on myths and on what Bronze Age ruins may still have been vis-ible at his time, rather than on historical ‘facts’ that were continuously handed down to him. Also it is shown that in composing the Iliad and Odyssey he was guided by a specific per-ception of the shortcomings of his own Early Iron Age society and the perceived necessity to establish moral standards of political leadership in the early Greek world.

It will be further discussed below why it is no good for archaeology to ignore such approaches. In the meantime, however, let us first turn shortly to what Kristiansen and Lars-son have to tell us about the Homeric poems. At the very heart of their argument is the assumed continuity from Mycenaean times until the age of Homer of a specific social and political world depicted in the Iliad and Odys-sey.5 This is established by reference to the sup-posed stability of proper names (people / gods and places) from Linear B times onwards and oral traditions in general: “... oral tradition was persistent and able to transmit songs and myths over half a millennium or more with-out major changes ...” (Kristiansen / Larsson

its own. Things are ‘potent’ precisely because other than linguistic statements their commu-nicative potential is seldom consciously delib-erated. Things cannot be ‘read’ like texts while still disclosing meaning etc.

Now, for Kristiansen and Larsson, the same obviously does not apply to language and text. For their understanding of the Homeric poems is one of historical documents composed and written down at some stage to fix and to con-vey true historical ‘facts’ (Kristiansen / Larsson 2005, 20–24; 60–61; 227–229; 254–257). In spite of all distortions that may have occurred through time, the epics are expected still to retain most of their original ‘true’ meaning after many centuries. Somehow contrary to our readings from the linguistic turn and from subsequent post-structuralism, this would seem to be a common misconception shared by many archaeologists, who tend to be fas-cinated by the superior ‘quality’ of written sources compared to the somewhat ‘defec-tive’ material remains of past human activity at their own disposal only.

If archaeologists thus tend to deny a logic of their own to language and text and to ignore intentionality in their use, quite contrary to their growing readiness to allow for it in material culture studies, the opposite is cer-tainly true in ancient history and philology. To make this point quite clear right from the start: It is not claimed that an agreement has been achieved on the historicity of the Homeric poems. Obviously, the opposite is true. How-ever, there is a strong tradition of research into the shifts of meaning that invariably take place through time in oral traditions and into the narrative strategies further distorting any original meaning which possibly remained

4 See, for example, papers in I. Morris / Powell (1997 / 2011), Ulf (2003a) and Ulf / Rollinger (2011); see also, in particular, Scodel (2002) and Montan-ari / Rengakos / Tsagalis (2012).

5 See, for example, Kristiansen / Larsson (2005, 61): “This new heroic cosmology is echoed in the first appearance of heroic texts, such as Gilgamesh, the Iliad and the Odyssey, and the Celtic myths and sagas. Although sometimes written down at a much later time, they maintain the cultural ethos of the Bronze Age, through the continued tradition of bards and reli-gious specialists. These people maintained the mytho-logical heritage of Bronze Age societies, an accumu-lating mythological time-space continuum ... over centuries and even millennia ...”.

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to the overall narrative (e. g. Kristiansen / Lars-son 2005, 23–24; 61; 257).

The latter point, of course, also concerns the occasional reference by Homer to cer-tain groups of objects such as weapons of Bronze Age date. These are accepted through-out The Rise of Bronze Age Society as evidence of the antiquity and overall continuity of the Homeric poems in the above sense (e. g. Kris-tiansen / Larsson 2005, 227; 247), rather than considering alternative options discussed in the relevant literature: Is it possible that we see a conscious attempt by the author ‘Homer’ to give his poem the appearance of antiquity by reference to ancient objects (and places etc.)? Or, in a more general sense, has the reference made to individual objects of great antiquity anything to say at all about the antiquity or the integrity of the whole story or poem?

However, another aspect is more impor-tant, namely the attempt to bridge the tempo-ral, social and cultural gap between the Early Iron Age and the Bronze Age by reference to episodes from the Homeric poems. Take as an example a passage referring to Late Bronze Age seaborne trade, the famous Uluburun shipwreck off the coast of modern Turkey, and the journey of king Menelaos back home from Troy mentioned in the Odyssey, which is explicitly thought to reflect Bronze Age trade routes and palatial exchange (Kristiansen /Larsson 2005, 101–105). This is all very nicely told, but in its catchiness it conceals that two different sociopolitical systems are bracketed and their characteristic forms of interaction, trade and exchange are mixed up.

Uluburun is firmly set in a specific Late Bronze Age eastern Mediterranean system of exchange, where gift exchange among (pala-tial) elites and rulers established the condi-tions for more commercial forms of bulk exchange and trade (e. g. Yalçın / Pulak / Slotta 2005; Pulak 2008). By contrast, what Homeric heroes do in order to acquire wealth is actu-ally more akin to raiding parties and piracy

2005, 22 see also 28).6 Here, as throughout The Rise of Bronze Age Society, what is actu-ally highly controversial, i. e. the origins and the permanence of the Greek hexameter (e. g. Wiener 2007, 9–12; Grethlein 2014, 57–58 with further references), is depicted as a fact with only the slightest and / or distorting men-tion of contrary opinion. And if in doubt, archaeological evidence – in itself controver-sial, but apparently felt more within the reach of authoritative statements by the authors – prevails over linguistic or historical considera-tions: “The Iliad and the Odyssey on the other hand transmit a genuine Bronze Age ethos, supported archaeologically and textually. Thus, while we accept the historical context of their writing (Morris 1986), we do not accept the far-reaching implications drawn from this about their age and origin, as it goes against the archaeology” (Kristiansen / Larsson 2005, 24). At least certain quarters of archaeology and ancient history would strongly disagree7 – but such is the attempt to immunise one’s argument against critique that is characteristic of meta-narratives like The Rise of Bronze Age Society.

If on the whole of society there is continu-ity, of course, this also should apply to the parts, and here appear the Homeric ‘heroes’ – in their threefold incarnation as a) an archetype of the Bronze Age ‘warrior’, ‘chief ’ or ‘travel-ler’, b) as a link to bridge the gap between the Early Iron Age and the Bronze Age, and c) in an illustrative use to throw light on various aspects of Bronze Age life and lend credibility

6 On a slightly different matter, Nordquist / Whit-taker (2007, 82) point out that such passages indicate a problematic and outdated understanding of ‘culture as a package’ (see also, for example, Kristiansen / Larsson 2005, 28).7 e. g. Bennet 1997 / 2011, 511–514; 531–533; I. Morris 1997 / 2011, 538–539; 2001, 68–76; Raaflaub 1997 / 2011, 625; S. Sherratt 2010; Maran 2011b, 171; 2014, 176.

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approach for Bronze Age research. In a general sense, what authors adhering to ‘Neoanalysis’ and ‘Narratology’ do is to draw attention to the complexity of the Iliad in terms of its con-tent and its narrative structure that go much beyond ‘simple’ heroic songs.9 In contrast to such older predominantly oral traditions, it is argued that true epics like the Iliad and the Odyssey were deliberately composed in wri-ting, and that this took place in a specific his-torical context. Such epics have a true author, even if we are not able to pinpoint him, and his way of creatively handling whatever older myths or songs and contemporaneous written sources were at his disposal was guided by his intention to comment upon, for example, spe-cific ethic or moral issues of his own time.10 Among such possible concerns of Homer, the avoidance or the handling of internal conflict, the ethical foundations of legitimate leader-ship and the limitations of mortal man’s aspi-ration to honour, fame and memory have been identified.11 Such issues may have become of widespread concern when social hierarchies started to consolidate after the Dark Ages and aristocratic ideals were formulated and negotiated. They are to be understood, for example, in the context of Greek ethnogenesis and the construction of ancient Greek iden-tity (Gehrke 2003, 70–77; Ulf 2011a, 21–22) and the confrontation of the ‘Greeks’ with the older and culturally more advanced civilisa-tions of the ‘Orient’ – such as the expanding neo-Assyrian empire that may have added a sense of immediate political or military threat to this cultural encounter at more or less the

(e. g. Ulf 2009, 86–87; 2011b, 265–269; 276). Advocates of this approach see a qualitative difference between the gift exchange taking place among Homeric ‘big men’ and the ‘dip-lomatic’ exchange of gifts circulating among the institutionalised political centres of the Late Bronze Age eastern Mediterranean. Kris-tiansen and Larsson, on the other hand, as may be expected, set the two in one and inflate the whole system ultimately to the Baltic Sea (Kristiansen / Larsson 2005, 100; 104). On a related matter, it has been shown that Homer actually lacks a notion of large-scale warfare such as may have occurred between Bronze Age Near Eastern kingdoms and urban cen-tres. His ten year struggle for Troy is in fact composed by drawing on elements from small-scale aristocratic revenge or raiding par-ties and territorial conflicts between emergent poleis of the 8th to 7th centuries BC (Raaflaub 2003, 316–323; 2011, 352–363; cf. van Wees 2004, 153–165).

Homer: Alternative Readings

This list could easily be continued,8 but let us turn instead to alternative readings of Homer, which seek to understand his epic poetry in its own right, and to the implications of this

8 For example, the Homeric horses of the Argolid as evidence of Bronze Age ‘horse breeders and chariot-eers’ from the Carpathian Basin to Sintashta and Hattu-sha (Kristiansen / Larsson 2005, 170), or the Bronze Age warrior’s death as a ‘trauma’ illustrated by Patroklos and Hektor (Kristiansen / Larsson 2005, 240). Such is part of a narrative strategy found throughout The Rise of Bronze Age Society that generalises from illustrative but contingent events described by Homer or individual archaeological findings to the ‘nature’ of Bronze Age society. An archaeological example of this procedure would be the reference to occasional multiple burials as evidence of the ‘careless’ disposal of these dead and consequently Bronze Age ‘slavery’ (Kristiansen / Larsson 2005, 133–135, fig. 48; for further discussion see also below).

9 e. g. de Jong 1997 / 2011; Patzek 2003; Ulf 2003b; 2008; 2010; 2011a; Willcock 1997 / 2011; Kofler 2011; Montanari / Rengakos / Tsagalis 2012; Grethlein 2014, 57–62.10 e. g. Scodel 2002, 13–16; 48–53; 88–89; Ulf 2003b, 279–283; 2009, 82; 2010, 297–301; 2011a, 17–20.11 Raaflaub 2009, 565–568; Ulf 2009, 84–85; 2010, 288–297; Haubold 2011, 376; 385.

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the Bronze Age walls of Hisarlik tepe. Some of those involved may have been called Achil-les and Hector or Agamemnon and Priamos. However, we would not be able to establish this from the epic poetry (nor indeed from the archaeological remains and ruins as well). First and foremost, this is an Early Iron Age creation loosely drawing on an unspecified ‘Bronze Age’ past or rather different Bronze Age ‘pasts’. It features an impressive personnel of at times more than life-size ‘heroes’ and employing a specific style of artificial or ‘secondary’ orality to lay claim to antiquity and to lend authority to the text and its argument.13

If this seems too aloof, one may also ask what Homer has to tell us on the Bronze Age? Does this, in fact, constitute ‘true’ historical knowledge which can be confirmed by other sources? ‘Neoanalysis’ and ‘Narratology’ imply that the choice of a setting and the dramatis personae are largely fictitious in the sense of being subject to relocation and recombina-tion governed by narrative requirements. This is also precisely what emerges from recent debates on the importance of Bronze Age Troy, the historicity of the Trojan war and lastly the controversial attempt at relocating Homer and his Iliad to Cilicia (Ulf 2003a; Ulf / Rollinger 2011): It is possible that Homer had in mind a specific landscape and Bronze Age ruins in Asia Minor, with the Troad still ahead of other options. However, this ‘original’ landscape is superimposed by symbolic features corre-sponding to the internal logic of the poem and to the necessities of its plot. In effect any specific landscape that Homer may have borne in mind may be entirely unrecognisable in his Iliad. Or, the other way round, features men-tioned in the text may find their match in real-ity in a number of different locations.

assumed time of Homer (ca. late 8th / 7th cen-tury B. C.) (Lanfranchi 2011, 230–233).

If this is the case, Homer’s Iliad is neither a historical document nor is it, however dis-torted, the result of a continuous tradition of oral poetry. Rather, it was newly created, and in doing so the author had at his disposal a number of different oral and textual sources. Additionally, he was in command of specific narrative strategies to confer meaning to or to claim authority for his epic poem, and he was ‘interacting’ with his audience and its specific expectations and prior knowledge of the story material used (Scodel 2002, 1–41). Unlike what is implied by Kristiansen and Larsson (e. g. 2005, 60–61, 256–257), there is some agree-ment that the society of the Iliad is broadly that of Homer’s own times or somewhat ear-lier only.12 Indeed, such would have been the precondition for the general acceptance and the widespread interest taken in the poem (Raaflaub 2011, 342–344; 348–350). Agam-emnon wrongly claiming first Chryseis and thereafter Briseis, and Achilles refusing to fight and almost bringing disaster upon the Greeks were thus acting out and negotiating broadly Early Iron Age concerns of rightful leadership, elite conduct and elite obligations to their fol-lowers. This was expressed by drawing upon and reformulating older Greek songs as well as eastern sources and epics, such as potentially the Gilgamesh (S. Morris 1997 / 2011; Patzek 2011, 396–404), in a creative way that renders it both impossible and inappropriate to deter-mine the historical ‘truth’ either of Homer’s text itself or indeed of the various traditions or templates he was using (Ulf 2010, 284–288).

There may have been a war waged by Mycenaean Greeks on Troy. Such may have taken place in today’s Troad and in front of

12 e. g. Finley 1977 / 2002; Ulf 1990; 2009; 2011b; I. Morris 1997 / 2011; 2000; 2001; Bennet 1997 / 2011; Raaflaub 1997 / 2011; Grethlein 2014, 59–62.

13 Ulf 2003b, 281–282; 2010, 299–300; 2011a, 20; see also Scodel 2002.

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in broadly (early) historical times more famil-iar to Homer himself. Much the same applies to material culture in general, with certain objects mentioned clearly being reminiscent of the Bronze Age, while the overall mate-rial setting was Iron Age and would have been broadly familiar to Homer and his contempo-raries (Sinn 2003, 54–55 with further refer-ences such as the Archaeologia Homerica series). Again, the Iliad is not a historical document. Homer did not aspire to greatest possible pre-cision in his description of ancient times but to a ‘heroic’ background that would have been plausible and in accordance of the expecta-tions of his audience.

Implications for Archaeology

Even if some of this is still controversial, many of the arguments shortly outlined above are widely accepted in ancient Greek history and philology. Archaeology is ill-advised following Kristiansen and Larsson (2005) in their decis-ion to ignore any more complex picture than suggested by their overly simplistic reading of Homer as directly referring to a Bronze Age past. Importantly, this is not just a question of our readiness to follow debates in neighbou-ring disciplines and to accept a logic of their own for narratives, poems and epics. Rather, neglecting to do so also impoverishes our understanding of genuinely archaeological data. In particular, by equating Homer’s depic-tion of Early Iron Age ‘heroic’ society with the Late Bronze Age, we deny historical change and set in one what would otherwise appear to be fundamentally different societies.

Interestingly, this can be shown by reference to both textual evidence and material cul-ture from both periods. For contrary to the assertion by Kristiansen and Larsson (2005, 61 annotation 2; 229 annotation 18), Linear B texts not only throw light on different aspects of Late Bronze Age social reality than the Homeric poems are supposed to do, namely

Much the same applies to the famous ‘Cata-logue of Ships’ and the Mycenaean homeland of the Greek heroes and leaders such as Nestor and Agamemnon fighting in front of Troy. With regard to Messenia and the palace of Nestor at Pylos, it has been shown that there is little match between the territory assigned to it by Homer and the territory of the Mycenaean palace at Pylos and its subdivision known from Linear B tablets (Eder 2003, 297–301 fig. 1; Dickinson 2007, 236). Rather it seems that the mention of Pylos in the Iliad is only vaguely reminiscent of the great importance of this polity during the Bronze Age, while the actual territory assigned to it reflects the historical setting from the 8th century onwards. Simi-larly, in the Argolid Homer’s description of the political landscape is a complex mixture of ref-erences to Bronze Age ruins still visible in the landscape at his time, vague reminiscences of an earlier ‘Bronze Age’ heroic period, presum-ably later Greek myths and the political reality developing from Homer’s times onward (Eder 2003, 304–306; Wiener 2007, 18–19; Dickin-son 2007, 235): Argos features prominently in the ‘Catalogue of Ships’, despite the fact that it only expanded its rule over the Argolid during the Archaic period, while important Myce-naean centres like Midea are missing. On the other hand, the remaining part of the Argolid, which is assigned to Mycenae that according to archaeological sources most likely domi-nated this landscape at least during certain periods of the Late Bronze Age, is so small that it was apparently felt necessary to add to it further territories in Corinthia and Achaia to match the central role of Agamemnon in both the myth and the plot of the Iliad.

Quite clearly, it was important for the mes-sage meant to be conveyed that the Iliad be located in ancient ‘heroic’ times and settings, but the actual knowledge that was still avail-able of that ‘Bronze Age’ period and landscape was limited. It was mixed up with younger myths and the importance of specific places

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some later stage it was monumentally framed and enclosed within the Cyclopic Late Hel-ladic IIIB wall of Mycenae. The shaft graves as such were followed by generations of lavish tholos tombs. However this system worked in detail, and whatever the duties and rights of the wanax and lawagetas on top of the Mycenaean political hierarchy actually were, we see noth-ing of this kind among the Homeric elites.

For these heroes, be they referred to as kings or basileis, more like ‘big men’ are caught up in a constant negotiation of their standing vis-à-vis their peers and followers,14 and they are engaged in activities such as raiding and piracy that would not seem entirely appropriate in a system of orderly taxation, palatial control and economy (Dickinson 1994, 81; see also Wie-ner 2007, 8–9). In the end, Agamemnon has to give in to Achilles’ claims, and it becomes increasingly clear that he is in no way superior to his fellow leaders – rather to the contrary (Ulf 2011b, 273). So among Homer’s Iron Age heroes the overall impression is one of the fra-gility of political leadership and social emi-nence.15 This stands in marked contrast to the development of Mycenaean palaces and their gradual elaboration which eventually resulted in a sophisticated architectural framing of political power (fig. 1; e. g. Maran 2006; 2011b; 2012a; Siennicka 2010). The palaces at Myce-nae, Tiryns and Pylos etc. all have evidence of different economic and political practices than those suggested by Homer for Early Iron Age society. The political and parts of the eco-nomic domain were set apart. The palatial control of production, goods and redistribu-tion was well established.16 Access or partici-

aristocratic life and deeds. Instead, their mere existence is among the strongest evidence of fundamental differences in culture and society that one could think of. For these are adminis-trative texts concerned with the management of a palatial economy and the upholding of palatial control over political territories (e. g. Galaty / Parkinson 2007; Shelmerdine / Bennet 2008) – whereas Homeric heroes generally seem unaware of script as such and certainly of its administrative potential. Theirs is by and large a pre-literate society, from which poet-writers like Homer were only just about to emerge, and with script initially put to quite different usages than during the Late Bronze Age, i. e. the foundation of a common Greek identity, the negotiation of moral standards or just the commemoration of past heroes – choose whatever you prefer.

One may continue then and ask what the ‘heroes’ of both periods actually did and how this was mediated through material culture. At first glance, then, we see a similar interest in the bodily and material expression of war-like ‘alpha’ male identity and a focus on the remembrance of past heroes and heroic deeds. Still, the notoriously rich burials in the Myce-naean grave circles and the interest taken by Homer in heroes fighting to attain eternal fame opposite certain death, getting killed and elab-orately buried honourably (most prominent in the Iliad, of course, Patroklos) are rooted in quite different cultural traditions and social contexts. Surely, the elites we encounter in the Mycenaean grave circles had also developed from modest beginnings and from a Middle Helladic social background which for a long time had discouraged any such aggrandising behaviour and elaborate individualising burial ritual (Wright 2008; Maran 2011a, 285–286). However, eventually there clearly was a tradi-tion and a genealogy of leadership and elite families. Grave circle A at Mycenae was con-tinuously drawn upon in order to legitimise claims to tradition and ancestral power. At

14 e. g. Raaflaub 1997 / 2011, 633–636; 643–646; Ulf 1990, 85–98; 2003b, 274; 2009; 2011b.15 Ulf 2009, 83–86; 88–92; 2011b, 260–261; 263–264; 269–274; Grethlein 2014, 60.16 e. g. Bennet 1997 / 2011, 520–523; Galaty / Par-kinson 2007; Shelmerdine / Bennet 2008; Nakas-sis / Galaty / Parkinson 2010.

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Fig. 1: The Upper Citadel of the Mycenaean palace at Tiryns in the Argolid. Circles indicating ‘liminal’ points used to control access and increase exclusivity as one moves towards the central megaron (after Maran 2012a, 151 fig. 1).

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beyond all this there is broad agreement that there actually was discontinuity, and that we see a historical break and decline. This must not be concealed by projecting backwards in time Homer-style ‘heroes’ and Homeric soci-ety in general to the Mycenaean period.

Joseph Maran (2011a, 284–287; 2014, 172–175) has recently argued that the specific ‘bel-licose’ character of Mycenaean warrior elites was actually an intercultural ‘misunderstand-ing’ in consequence of their knowledge of a more militaristic attire of Minoans abroad than we tend to recognise with our focus put on the remains of the ‘peaceful’ inward side of Minoan culture on Crete itself. In any case, the development of Mycenaean palatial soci-ety and the specific habitus of the Mycenaean warrior or ‘hero’ was contingent upon specific historical conditions, such as for example their early interaction with the more sophisticated Minoan palaces on Crete. The same, of course, applies to the Iron Age ‘heroes’ described by Homer, who were living in a different histori-cal setting, who potentially held different val-ues and notions of the world, and who were drawing upon different networks of exchange and knowledges of an outside world than their predecessors (cf. I. Morris 1997 / 2011, 543; 2000, 195–256). There is neither linear social evolution nor does history repeat itself. And there is no archetype ‘hero’ irrespective of social and cultural context. Even if male aspirations to heroic grandeur were universal, human agency is firmly tied to historical con-text. There is no immutable outcome to any such aspirations and social strategies.

The Toumba building at Lefkandi (fig. 2; Popham / Calligas / Sackett 1990; 1993) or the Late Helladic IIIC building T on the acropo-lis at Tiryns (fig. 3) may be taken to exemplify what had remained and what newly emerged from the ruins of Late Bronze Age Mycenaean Greece. Building T, in particular, shows that tradition and claim laid to the ruins of the Bronze Age palace at Tiryns were still impor-

pation was denied to large groups of people, mind the unequal access to Mycenaean court yards or the central megaron and the restricted participation in institutionalised feasting going on there. Political hierarchies were stable and inscribed into administrative texts as well as into architecture and material culture, all of which would in turn have reinforced related practices and the perception of inequality.17

Against this Bronze Age background, it does not really matter how one wishes to refer to positions of social and political leadership during the Dark Ages and in Homeric times – be they ‘big men’ or simple chiefs. It is the structural difference from the preceding Late Bronze Age that matters, and that is appar-ent in all aspects of material culture including architecture and textual evidence. Assuredly, attention has been drawn to the possibility of an earlier beginning, already in LH IIIB, than previously expected of the problems encoun-tered by the Mycenaean palatial system (e. g. Deger-Jalkotzy 2008, 387–392; 396–398; 403–406). There are debates as to the causes of the disaster that eventually struck the palatial centres and brought an end to their political and economic system at the turn to LH IIIC (e. g. Dickinson 2006, 24–57; 2010). There are also clear indications of an afterlife of Myce-naean society from a number of sites, in par-ticular from the Argolid itself with Mycenae and Tiryns (e. g. Morgan 2009; Maran 2012a). Also it is disputed when precisely disconti-nuity occurred, traditions were lost and the Bronze Age world became a foreign ‘other’ to new (Early Iron Age) elites and population in general: already during LH IIIC or some-time later during the Dark Ages.18 However,

17 For an overview see, for example, the handbooks by Dickinson (1994), Shelmerdine (2008) and Cline (2010).18 e. g. I. Morris 1997 / 2011, 543; 558–559; 2000, 77–106; 195–256; Maran 2011b, 171–175; 2014, 176–177.

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Fig. 2: Plan of the Toumba building with the ‘hero’ burial and the adjacent later cemetery at Lefkandi on Euboea; reconstruction of the Toumba apsidial building (after Morris 2000, 220 fig. 6.5 and 223 fig. 6.8).

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Fig. 3: Plan and reconstruction of the Late Helladic IIIC building T in place of the previous central mega-ron on the acropolis at Tiryns (after Maran 2000, 2 fig. 1; 2012a,160 fig. 6).

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central European hinterland that never quite reached the core areas scale and splendour.

For this reason, The Rise of Bronze Age Soci-ety has been rightly classified “neo-diffusion-ist” (Chapman 2013, 331). Its authors certainly take sides with all those scholars specialising in the European Bronze and Iron Ages who are spellbound by the impressive palatial or urban centres of the Mediterranean and the Near East that coexisted with their own less ‘impres-sive’ objects of study. However, while for many adherents of this approach it is simply a matter of fact that evidence of contemporaneity and contact with the superior societies of the east-ern Mediterranean equals eastern influence on the less sophisticated but receptive groups of ‘Barbarian’ Europe, for Kristiansen and Lars-son things are somewhat more complex. They subscribe to some kind of a core and periph-ery model that seeks to account in explic-itly systemic terms for the effect of interre-gional interaction and asymmetric exchange on European Bronze Age societies. This kind of thinking goes back to World System The-ory as proposed by Immanuel Wallerstein (1974 / 2011), and basic assumptions central to the original model are still perceptible in the various modifications that seek to adapt this approach to pre-capitalist societies.

In order to understand the second narra-tive strategy in The Rise of Bronze Age Society under discussion here, it is necessary, there-fore, to review some central tenets of World System Theory, its adaptations and its current applications.20 It will become clear that often ‘systemic’ interdependence is not adequately demonstrated. Our understanding of specific local trajectories requires an approach that encompasses the internal logics of culture

tant for what elites remained and had to nego-tiate their social standing. However, in terms of visibility, accessibility and its lack of mon-umentality this architecture offered entirely different options to be drawn upon in social and political discourse than previously was the case.19 This is the proper context for a discus-sion of the origins of Homeric social order, the context from which Homeric heroes emerge and against which their actions and specific concerns evident in the Iliad have to be understood. They are thoroughly Iron Age, not Bronze Age. Any meta-narratives that try to bridge the cultural and social gap between the two epochs lead us astray.

The Great Divide II: Bronze Age Centres and Peripheries

If Kristiansen and Larsson’s (2005) account of the Bronze Age ‘other’ heavily relies on bridging the gap between the Early Iron Age Homeric heroes and the Mycenaean Bronze Age, it depends just as much on overcoming another divide, namely that between the Late Bronze Age Mycenaean palaces and wider Bronze Age ‘Barbarian’ Europe. This fits in nicely with a traditional ex oriente lux para-digm in prehistoric archaeology and wide-spread diffusionist notions of foreign influence and Mediterranean impact on European socie-ties of prehistory. The result is much the same as in the above example of Mycenaean and Homeric society, for groups are linked which are widely different in social and cultural terms: Mycenaean and beyond that, of course, Minoan palatial society firmly rooted in the tradition of eastern Mediterranean Bronze Age civilisation and peasant or ‘proto-urban’ communities of the wider southeastern and

20 See Kümmel (2001) and Harding (2013) for an in-depth discussion of some of the aspects and problems of World System Theory in archaeology only touched upon here superficially.

19 Maran 2011b, 173–174; 2012a, 158–160; 2012b, 126–130; 2014, 176–183.

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ern core and periphery relations themselves (e. g. Wolf 1982 / 2010, 22–23; 297–298; Sahl-ins 1994, 412–416; Kümmel 2001, 23–24), it is somewhat surprising that this approach was so readily accepted into archaeological dis-course. Wallerstein (1974 / 2011, 15–129; 162; 301–344) himself had made it quite clear that he regarded his World System as the conse-quence of a historically specific constellation, i. e. industrialisation and the development of capitalism in the modern West. With regard to earlier, pre-modern periods his position was akin to substantivism in that he thought such economies and their potential interac-tion qualitatively different from modern times (cf. Rowlands 1987, 3; Kohl 1987, 13–14; Champion 1989, 5–8). He claimed that at best political structures or ‘world empires’ may have evolved in pre-modern times. These were lacking, however, the technological and organ-isational potential to establish stable structures of economic domination that extended over wider areas for any extended period of time (Wallerstein 1974 / 2011, 15–17; 348–351; cf. Champion 1989, 6).

In view of these limitations, the impact of Wallerstein’s World System Theory on archae-ological thought can only be understood as a response to the then prevalent Processual Archaeology with its heavy emphasis on local trajectories. World System Theory was adopted to shift back focus to the importance of long-distance interaction, interregional exchange and the effect this may have had on local sys-tems (e. g. Rowlands 1987, 3–11; Champion 1989, 1–2). Given Wallerstein’s own reluctance in these matters, an important strand of this debate is concerned to establish the applicabil-ity of his model to pre-modern groups. Most of this ultimately refers back to Jane Schnei-der’s (1977 / 1991) influential review, where it was claimed Wallerstein had unduly limited the range of his own model by denying the exchange of luxury goods a similar impact on local economy and society as postulated for

systems and the agency of individual people or social groups. It cannot be replaced by the outside view or the supposed logic – be it economic or other – of the structural compo-nents of an overarching abstract interregional system. Instead, an emphasis on local agency vis-à-vis foreign contact or foreign goods is required, and a focus on local re-contextuali-sations and re-valuations of material culture as well as externally derived immaterial concepts.

World Systems in Archaeology

‘World System Theory’ after Wallerstein (e. g. 1974 / 2011, xvii–xxx; 3–17; 347–357) repre-sents an attempt to account for the emergence of underdevelopment in the wake of Euro-pean colonisation and imperialism in terms of structured interaction, systemic (economic) dependency, geographical division of labour and unequal exchange. It is supposed, that all of these were to the disadvantage of periphe-ral societies which were confronted with an industrialised, politically ‘superior’ European core area represented by colonial powers such as Spain, Portugal, France and, in particular, Great Britain. This was an advance over previ-ous accounts for the ‘rise of the West’ in essen-tialising terms of an inherent superiority of European culture and society as well as over earlier ‘Dependency Theory’ (cf. Rowlands 1987, 1–3; Champion 1989, 2–9). Yet, Wal-lerstein himself was accused of morally ‘well-meant’ Orientalism (Washbrook 1990, 492), because his periphery is assigned the role of a passive victim to European expansion. It is denied internal social or cultural dynamics and agency opposite outside invaders, foreign material culture or immaterial concepts such as imperial rule, ideology or religious beliefs (Sahlins 1994, 412–413; Stein 1999a, 16–23; 1999b, 154–157).

Setting aside the criticism aimed at the adequacy of World System Theory to under-stand the structure and development of mod-

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World System Theory have become increas-ingly blurred, this discussion will revolve around two slightly different aspects – namely problems with the notion of ‘systemic’ inter-dependence and passive peripheries related to more ‘orthodox’ applications of World System Theory, and the supposed convergence on a pan-European scale of a distinctly Bronze Age elite ethos and ideology characteristic of more recent works which transcends World System Theory proper.

Kristiansen’s use of World System Theory has been rightly classified as ‘macrohistorical’ (Kümmel 2001, 90; 94–97), since in his work elements of World System Theory are incor-porated into ever wider syntheses of the evo-lution of European Societies of the Bronze and Iron Ages (see also Kienlin 1999, 109–123). Starting on a relatively modest scale, in his paper on Center and Periphery in Bronze Age Scandinavia, Kristiansen (1987, 81–84) drew on Ekholm and Friedman’s (1985, 114–115) concept of dependent and independent struc-tures to allow for regional variability in prehis-toric Europe. Unsurprisingly, Scandinavia was declared dependent on central Europe. Both areas were thought to have been linked by an unbalanced exchange of bronze objects that peripheral Scandinavian elites were claimed to have drawn upon to attain their status. This is, of course, the classic prestige good exchange modification to Wallerstein’s original model that is widely used in archaeology, although Kristiansen (1987, 77–79) from the begin-ning added a distinctly ritual ‘flavour’ by refer-ence to the work of M. Helms (1979; plus, of course, in Kristiansen’s subsequent work, refer-ence to Helms 1988; 1993; 1998). Thus, eco-nomically derived power, social preeminence derived from control over (foreign) prestigious objects and ‘mythical’ power related to outside contacts, control of wondrous foreign objects and esoteric knowledge attached to them all tend to be set in one (Kristiansen 1987, 77). From Wallerstein this takes the interest in sys-

bulk exchange of raw materials and industrial goods in the modern World System.

Subsequently, there was a pervasive use of various brands of ethnographically derived ‘prestige good economies’ to account for the emergence of inequality in prehistoric European groups. Not every such attempt to identify a ‘prestige good system’ in operation is linked to wider notions of the society in question being situated on the ‘periphery’ of a Mediterranean or Near Eastern civilisation or ‘core’ area. However, both debates are close in their joint interest in the structuring potential of foreign derived (prestige) goods on social relations (cf. Rowlands 1987, 4–8; Champion 1989, 8; 11–13; Kümmel 2001, 26–33; 73–76). The spread of World System terminology was favoured by the ready-made mechanism that this model provided to account for the nature and the perceived effect of structured interregional interaction by reference to elite exchange of valuables. Thus, more and more constellations of prehistoric European groups and beyond are discussed in terms of ‘core’ and ‘periphery’ or ‘margin’ (cf. Chase-Dunn / Hall 1991; Hall / Chase-Dunn 1993), although they would seem widely different in terms of their internal organisation as well as with regard to the mechanisms and the intensity of their interaction.21

Among the authors of The Rise of Bronze Age Society it is K. Kristiansen, in particular, who is known for his long-standing interest in the application of such core and periphery models in archaeology. It is necessary, there-fore, to have a look at some of his various rel-evant studies over the last decades in order to highlight the difficulties with this approach in an European context. Since central tenets of

21 e. g. Kristiansen 1987; 1994; 1998; Frank 1993 (including the comments to Frank’s paper); A. Sher-ratt 1993a; 1993b; 1994; 1997; Parkinson / Galaty 2009a; 2009b.

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lopment. It is also true, that evidence for trade or exchange and the presence of foreign (pres-tigious) objects need to be accounted for, and their significance for local people and economy has to be evaluated. Yet, if World System The-ory may theoretically hold promise to explain at least some such constellations, in practice its explanatory power is severely hampered by the common failure to demonstrate the presence of systemic interlinkage and the operation of specific intra-system mechanisms central to the applicability of this approach. Such pro-blems have, of course, been noted for some time now, both by adherents of World System Theory themselves and by their opponents.22 They refer to key assumptions of World Sys-tem Theory and may be roughly summarised as follows: a) problems of definition and deli-miting perceived ‘core’ area(s) and ‘peripheries’ including problems of demonstrating structu-ral difference between the two in aspects rele-vant to the operation of the system;23 b) failure to demonstrate structured interaction and syste-mic (economic) dependency between percei-ved core and periphery (instead of mere con-temporaneity, general contact and exchange); c) partly related to points a) and b) failure to demonstrate asymmetry in structured interac-tion to the disadvantage of the periphery (e. g. division of labour and terms of trade favouring the core) and consequent dominance of core polities and elites over peripheral groups;24 and d) failure to establish why (and how) ‘asym-metric’ exchange – as defined by the contem-porary archaeological observer – should always

temic dependency and unbalanced exchange (although of a different kind than in the origi-nal) – elements, that also feature prominent in Kristiansen’s subsequent papers and in his major work Europe Before History (Kristiansen 1998). Here, the logic of the system and the mechanisms involved are the same as before, namely asymmetric elite exchange networks (e. g. Kristiansen 1998, 249–252). However, the scope of the study is widened to com-prise a Bronze Age and (Early) Iron Age World System that is thought to have incorporated entire Europe and the Mediterranean (Kris-tiansen 1998, 359–419). In addition, there is an explicit interest taken in cyclical evolution-ary patterns that is also derived from World System Theory (e. g. Kristiansen 1998, 50–53, 407–417). Finally, in the 2005 synthesis The Rise of Bronze Age Society (Kristiansen / Lars-son 2005), all of these elements are still pre-sent, yet there is a distinct shift towards the “intangible” (Harding 2013, 383–384; see also Galaty / Tomas / Parkinson in press), since what links centres and outer peripheries is not pre-dominantly economy or politics any more, but rather ritual and cosmological power that trav-elling elites derived from esoteric knowledge and foreign objects (e. g. Kristiansen / Larsson 2005, 4–7; 10–13; 20–31; see also Kristiansen 2011). Much of this reasoning leaves World System Theory behind, most clearly in that concern is not so much with dependency any more, but rather with convergence, since in the end it is fundamentally the same Bronze Age ideology with its accompanying symbols and institutions that is detected all over the Old World during the Bronze Age (e. g. Kris-tiansen / Larsson 2005, 142–250).

Critique and Alternative Perspectives on Prehistoric ‘Peripheries’

It is certainly true that prehistoric groups must not be studied in isolation, if we want to come up with a realistic understanding of their deve-

22 e. g. Rowlands 1987, 3; 11; Kohl 1987; 2011; Cham-pion 1989, 14–15; 18; Sahlins 1994; Stein 1999a; 1999b 2002; Kümmel 2001; van Dommelen 2006; Harding 2013; Ulf 2014; Galaty / Tomas / Parkinson in press.23 For example, geographical division of labour or the existence of a ‘technological gap’ between the two; see e. g. Kohl (1987, 16–18; 2011, 81–85).24 e. g. Kohl 1987, 16; Stein 1999a, 23–24; 1999b, 155–159; 2002, 904–905.

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unpredicted degree of ‘freedom’ and options in negotiating terms of trade with core areas that is not matched by the original model (Kohl 1987, 16). Given that in addition most technologies involved were still easily transfer-able, or even originated from the periphery, Kohl suggests it is unlikely that there was a structural disadvantage to peripheral groups. It is hard to see then why interaction, that certainly took place between various groups on different levels of complexity, should have been on unequal terms and favoured periph-eral ‘underdevelopment’ (Kohl 1987, 16–24; 2011, 81–82; see also Kümmel 2001, 70–73). With its emphasis on exchange and technol-ogy, this may still be thinking in the same broad economic categories that were also employed by Wallerstein. Yet, the important point is cer-tainly valid, that the efficacy and the asymme-try of an exploitative modern World System should not be transferred to (pre-)historic groups all too readily.

A related criticism was formulated in vari-ous studies by Gil Stein (1999a; 1999b; 2002), who concluded that applications of Waller-stein’s World System Theory (and its various modifications) tend to exaggerate the power of the core and the effect of unequal exchange on peripheral economy and society. Impor-tantly, this critique goes beyond mere dem-onstration of the different structural logics of prehistoric interregional interaction and modern core and periphery relations, a point that is also acknowledged by the advocates of archaeological World System models. Rather, the important objection is raised, that for-eign symbols of power and prestige may be employed in peripheral groups without con-sequent economic and political modifications (Stein 1999a, 36–37; 44–46; 2002, 905–908). This runs counter to the commonly supposed logic of such prestige good systems and World System Theory but Stein (1999b, 155) makes it quite clear that “... the specific effects of exter-nal forces from the core vary widely because

translate into growing disparity between core and periphery (Kümmel 2001, 86–88). This latter point, of course, refers to the unproven assumption that peripheral ‘prestige good sys-tems’ will politically end up in competition and ‘spiraling asymmetries’, while economic-ally specialisation to serve unequal exchange will in the long-run have a devastating effect on peripheral society and cause decline rela-tive to the core of the system.

Before turning back to the European situ-ation, it is interesting to note that much of this criticism of World System Theory was launched early on in Near Eastern archae-ology – i. e. in an area where the outside observer would have expected comparatively little difficulties in the application of World System Theory (e. g. Algaze 1993 / 2005; Beau-jard 2011). If anywhere in prehistory, should not the emergent urban centres of Mesopota-mia or the Egyptian civilisation qualify as core areas? Should they not have dominated their respective peripheries, such as Anatolia or the Zagros mountains, in economic terms by sup-plying elaborately crafted goods and textiles in return for raw materials such as metal, stone or wood that were not available on the flood-plains? And should not this constellation bear the greatest potential to resemble a modern colonial encounter with its systemic interde-pendence and exchange to the disadvantage of less developed peripheral groups? Yet, it is here that some of the more prominent critiques of World System Theory took their onset.

For example, Philip Kohl (1987; 2011) has repeatedly demonstrated that World System Theory does not adequately describe struc-tured interaction in the ancient Near East. In particular, he has drawn attention to the pres-ence of multiple cores and the absence of a marked ‘technological gap’ between core areas and peripheries. The presence of multiple cores, instead of just one in Wallerstein’s mod-ern World System, and their inherent instabil-ity would have allowed peripheral polities an

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processual concern with agency and the nego-tiation of local identities via material culture in specific historical contexts.25 The outcome of this line of thought can be observed in recent volumes such as Interweaving Worlds. Systemic Interactions in Eurasia, 7th to 1st Millennia BC (Wilkinson / Sherratt / Bennet 2011) or Mate-riality and Social Practice. Transformative Capaci-ties of Intercultural Encounters (Maran / Stock-hammer 2012). Although this turn is often phrased without explicit leave from earlier World System approaches, it is only a minority of authors that still adhere to simple notions of systemic dependency, core dominance and external causation to account for economic and cultural change in ‘peripheral’ groups (e. g. Beaujard 2011). More often, central tenets of World System Theory and its applications in archaeology are critically reviewed. In numer-ous case studies a much more complex picture of ‘core’ and ‘periphery’ relations emerges than just dependency, subordination of the latter and “the development of underdevelopment” (Frank 1966; see also Frank 1993; contra, for example, Kohl 2011, 80–81).

Drawing on the earlier finding, that in pre-history even politically centralised and eco-nomically strong ‘core’ states lacked the tech-nological and infrastructural ability to project their power over large distances (Stein 1999a, 55–64; 1999b, 160–165), there is a growing awareness that culture, too, in the form of local traditions, local values, systems of knowledge or notions of the world and society may delay or forestall core dominance over peripheral groups (e. g. Wengrow 2011, 136–137; 141; Bachhuber 2011, 164–171). Without denying

they are mediated differentially through local ideologies.” Prestige goods, too, are socially constructed and subject to continuous rene-gotiation rather than being “immutable social facts” (Stein 1999a, 36) that will always prompt the same mechanism of social dynamics and modifications to economic structure. In each case, therefore, it has to be demonstrated rather than assumed that elite demand for exotic symbols of power and prestige in fact led to an increased dependency on a more ‘civilised’ core area (Stein 2002, 907–908).

In essence, Stein suggests that a) the abil-ity of ‘core’ states to exert power – both direct coercive power and indirect economic power derived from the successful manipulation of rates of exchange – was strictly limited by dis-tance under prehistoric conditions; and that b) our emphasis on asymmetric exchange (be it bulk trade or exchange of valuables) prevents us from recognising internal difference and dynamics of peripheral societies (Stein 1999a, 44–64; 1999b, 159–165; 2002, 905–908). In fact, peripheral needs and local understand-ings have an important role to play in the acceptance and adaptation of foreign goods or ideologies. For this reason, an approach to the study of interaction is called for that sees interaction “... as the observed outcome of short-term decision making by multiple indi-viduals and institutions with different, overlap-ping, and often conflicting goals” (Stein 1999b, 160). This would be an approach that, instead of essentialising ‘peripheral’ groups into a uniform ‘periphery’ that falls victim to core expansion, “... allows for the roles of individual agency and multiple forms of social identity as key factors affecting political economy and developmental trajectories ...” (Stein 1999b, 160; see also Stein 2002, 905–908).

A corresponding critique of World System Theory is advanced by a growing number of authors from the field of Mediterranean or Near Eastern Archaeology, who seek to inte-grate interaction studies with a broader post-

25 Prominent, of course, is the work of M. Dietler (e. g. 1989; 1998; 2006) who has repeatedly shown that the potential of Mediterranean influence and imports to bring about social and economic change in Early Iron Age Hallstatt Europe is overemphasised by the advo-cates of core and periphery models.

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tion to establish its specific positioning and role in local practice and discourse.29 For sure, this is not an easy matter to study archaeologi-cally, and the appropriation of foreign elements may turn out to be highly variable depend-ing on local cultural and social context as well as on the group(s) of person(s) involved. However, such reinterpretation did occur, and divergent valuations as well as the specific use made of foreign objects in new fields of social discourse clearly have to be taken into consid-eration. Hence, for example, it cannot be taken for granted that some foreign ‘prestigious’ or ‘sacral’ objects automatically received the same appreciation in peripheral groups and were drawn upon to support elite claims to exotic foreign knowledge.30 This is all the more true, when such objects had ‘dripped’ down some contingent line of exchange rather than being handed over directly with an accompanying narrative to support their significance (Bach-huber 2011, 166; Legarra Herrero 2011, 274). Both ‘import’ by whatever means and local emulation involve a transformation of mean-ing (e. g. Stein 1999a, 66), and neither systemic interdependence nor asymmetry of exchange is an indispensable consequence of contact.31

contact and interaction, these authors find it difficult to demonstrate systemic dependency as previously postulated and turn away from the study of interaction in mere economic terms. Instead, attention is drawn to the differential outcomes of contact and exchange depending on local valuations, specific historical trajec-tories and peripheral choice or agency oppo-site outside ‘influence’.26 On different levels of study this may range from employing the concept of heterarchy to characterise asym-metric, but non-hierarchical relations between core and peripheral polities (e. g. Flammini 2011, 210–212) to an explicit concern with the agency of individuals or social groups in the adaptation of foreign ideologies or objects (e. g. Legarra Herrero 2011, 271–273; Maran 2011a, 284–289).

It is increasingly agreed upon, that neither comprehensive concepts such as an ideology of legitimate political power, social strate-gies and practices, nor symbolically charged objects such as valuables or prestige goods are likely to remain unaffected in their specific meaning and potential to be drawn upon in local discourse when transferred from ‘core’ to ‘periphery’.27 Rather, there is, in the first place, on the receiving side an active choice for selecting concepts or objects that ‘fit’ into existing notions of the world or social strate-gies.28 And, second, any foreign element that makes its way is likely to undergo an act of ‘translation’, i. e. an active reinterpretation of its meaning and an effective recontextualisa-

29 Dietler (2006, 225): “... cross-cultural consump-tion is a continual process of selective appropriation and creative assimilation according to local logics that is also a way of continually (re)constructing culture.” See also Greenberg (2011, 232–233), Bachhuber (2011, 164–171), Legarra Herrero (2011, 269–273), van Dom-melen / Rowlands (2012, 21–27) and Knapp (2012, 43–46).30 See Bachhuber (2011, 160): “We are ... at risk of imposing archaeological knowledge of the origins of exotic objects and materials onto the knowledge of the ancient consumers of exotic objects and materials ...”. In a similar vein, see also Panagiotopoulos (2012) showing that the exotic ‘otherness’ of foreign objects may have worn off rather quickly, and they actually were held in esteem for quite different reasons in their new local context.31 e. g. Dietler 1989, 135–136; Stein 1999b, 157; 2002, 907–908; Kohl 2011, 80–81.

26 e. g. Dietler 1989, 127–128; 134–136; 1998, 297–301; 2006, 224–227; Broodbank 2011, 28–29; cf. Sahl-ins 1994, 414–416.27 e. g. Dietler 2006, 228–229; Legarra Herrero 2011, 268–269; 276–277; Maran 2011a, 282–284.28 See, for example, Dietler (1989, 134–136; 1998, 303–307; 2006, 232–235) on the selective acceptance of Mediterranean imports – wine and high-status drink-ing gear – into the Hallstatt area and their incorpora-tion in local political strategies and feasting practices.

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taken, however, to exemplify the pitfalls result-ing from such a widespread ignorance of more recent interaction studies. But, let us turn first to World System ‘orthodoxy’ and its impact on the earlier work of K. Kristiansen, since this is where the problems start. In fact, most of the general criticism applies here that was directed against archaeological reasoning inspired by World System Theory during the last decades (see also Harding 2013).

For example, systemic dependency between Europe and the Mediterranean or between different parts of Europe is not demonstrated anywhere. Instead, the existence of a system is proclaimed, and its development through time and its specific regional expressions are discussed in terms of the internal logic of the system and the approach taken (e. g. Kristian-sen 1998, 13–14; 52; 56; 359–394). The same applies to ‘world economy’ and asymmetric exchange. Referring to Kristiansen (1998, 56–62), one may ask, which Bronze Age poli-ties in Europe beyond the Mycenaean pal-aces themselves had ever obtained territorial control and did exert military and economic power beyond that territory, thus constituting an early economic system? And why should exchange between such ‘cores’ and ‘peripher-ies’, if any, have been asymmetric (e. g. Kris-tiansen 1998, 252)? Already in the debate following Wallerstein’s (1974 / 2011) original publication it was noted that he had failed to demonstrate why exchange between core and periphery should always be asymmetric and to the disadvantage of the periphery, and why the whole capitalist World System should be doomed to expand (cf. Kümmel 2001, 23). The same criticism applies to its archaeologi-cal variant with prestige good exchange sup-posedly drawing peripheries into a spiral of elite competition and growing dependency on core valuables (cf. Dietler 1989, 130, 135; Kümmel 2001, 87–88).35 This is an approach that systematically fails to acknowledge local agency in the appropriation of foreign ele-

The effect of contact and exchange, that is to say, must not be taken for granted. The occur-rence of foreign derived immaterial notions and material culture has to be studied by refer-ence to their actual use in a new context. For-eign elements have to be understood in terms of their specific reworking by local communi-ties and individuals. Their potential to destabi-lise local traditions and social order must not be unduly emphasized.

With few exceptions such as the work of Michael Dietler (1989; 1998; 2006) referred to above, little of this theoretical development has so far been applied to the European ‘periphery’ of a postulated prehistoric World System. This is particularly true for Bronze Age research, which in the wake of spectacular finds like the Nebra sky disc rather sees a return to the old ex oriente lux paradigm in recent years.32 To many, of course, who never subscribed to the proces-sual paradigm of autochthonous development (e. g. Schauer 1984 or papers in Kolloquium Mainz 1990), this is simply the return to what they have known all along,33 and The Rise of Bronze Age Society is hailed from this side for its elegant and comprehensive review of our perceived state of knowledge.34 It can also be

32 See, for example, papers in Meller (2004) and Mel-ler / Bertemes (2010).33 This group can also be characterised by their attempts to reconcile traditional chronological links between Europe and the Mediterranean with the long radiocarbon chronology – most prominent perhaps in the meticulous studies by S. Gerloff (1993; 2007; 2010).34 Interestingly, in archaeometallurgy there is a simi-lar reaction to processual claims for an autochthonous development of metallurgy, for example, on the Balkans (e. g. Renfrew 1969), with a younger generation argu-ing in favour of diffusion and single core development on the basis of a review of relevant finds that accu-mulated throughout Eurasia since Renfrew’s original studies (e. g. Roberts / Thornton / Pigott 2009). On the other hand, there are also still those using new excava-tion data and scientific analyses to argue against diffu-sion and for multiple core development (e. g. Radivoje-vic et al. 2010).

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of ‘asymmetry’ in such systems adequately reflects emic notions that both ‘partners’ held of the relative ‘success’ of exchange, and their respective ‘gain’ drawn from contact and the objects, knowledge etc. they had obtained. We see relatively few groups of exotic objects and materials moving to and fro in Europe. It has been called into question, whether social reproduction is likely to have come to depend on such exchange (Dietler 1998, 297; Küm-mel 2001, 87–88). Under prehistoric condi-tions interaction is contingent upon innumer-able imponderabilities, and the consumption of foreign objects may have unintended con-sequences beyond the foresight of social actors (Dietler 2006, 229–230). Hence, there has to be positive evidence that it was possible to rely on outside contacts – be it bulk trade or exchange in valuables – for the social repro-duction of local systems. In prehistoric Europe, at least, this would seem a risky business (cf. Dietler 1989, 132). It is unlikely for practi-cal reasons (distance, transportation etc.) that peripheral status in the sense of World System Theory was achieved.

For precisely this reason, in more recent work, the systemic status of ‘Barbarian’ Europe is reduced to that of a ‘margin’ (e. g. A. Sherratt 1993a; 1994), and Europe is understood to have remained largely unaffected by direct depend-ency from an eastern Mediterranean core in a prehistoric World System (cf. Harding 2013, 383). Here, once again, a line can be drawn from the beginnings of World System Theory to the present if one considers the notions of what a ‘periphery’ (or a ‘margin’) actually is: It was Eric R. Wolf (1982 / 2010, 23) who drew attention to the fact that ‘periphery’ to Waller-stein is a catch-all term for traditional groups that no real interest is taken in (cf. Kümmel 2001, 24). Much the same applies to ‘margin’. The vagueness of this term makes application of core, periphery and margin terminology attractive. However, it also marks the almost complete deflation of World System Theory in

ments (see above). And it is certainly unclear, why mere ‘contact’ should bring about culture change in the margin. For example, peripheral elites in the Carpathian Basin may well have been drawing on Mycenaean ornaments and armour. Yet, (early) Mycenaean elites them-selves had come to depend for their social reproduction, for instance, on amber from the north and in part elaborately crafted exotic objects from Minoan Crete (e. g. Maran 2011a, 284–289; Rutter 2012, 79–82). It is entirely unclear, if in such exchange any side would have been in a stronger position, or if this is the right question to ask at all. For Myce-nae it has been shown that amber objects which ultimately derived from Wessex were put to different uses other than just jewellery like in their country of origin. The mean-ings ascribed to them where different, possi-bly magic or apotropaic. We see evidence of a complex process of ‘translation’, which also affected Minoan derived objects, rather than just simple transmission of foreign objects and their associated meanings (Maran 2011a, 289; 2013, 147–151; 157–159; 161).

The same certainly applies to ‘Barbarian’ Europe. The movement of goods and objects is the result of the negotiation of specific needs and interests on both sides that are involved in exchange. These interests may be economically, socially and / or culturally motivated. We do not know how these motivations are distrib-uted on the ‘core’ and ‘periphery’ sides respec-tively. We cannot be sure that our perception

35 See Dietler (1998, 298) on the Iron Age situation: “... it is a serious analytical error to assume that asym-metrical relations or structures of power that ultimately appeared in later periods were necessarily a feature of the first stages of the encounter rather than a product of a subsequent complex history of interaction and entan-glement.” For sure, this also applies to earlier Bronze Age Europe, when evidence of contact and exchange with the Mediterranean is much weaker and even less likely to have been ‘systemic’ than during the Iron Ages.

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of people involved in interregional interac-tion and the importance of cultural traditions which affect the readiness and the way for-eign ‘influence’ is integrated in local discourse. Hence, it can still be said that the presence of a Mycenaean sword or spiral motif in the Car-pathian Basin equals the adoption of Myce-naean warrior ideology, while, for example, in Minoan studies Egyptian scarabs etc. in Cretan tombs are understood to be drawn upon in a specifically Minoan way to express local iden-tities and negotiate social power.37

On a higher level, therefore, studies like The Rise of Bronze Age Society (Kristiansen / Lars-son 2005) are a brilliant example of the dan-gers and the rhetorical strategies involved in neo-diffusionism and World System Theory inspired reasoning. The grand scale of the nar-rative and its distance from the evidence on the ground tend to immunise underlying the-oretical assumptions against critical assessment. Regional variability in both the core and the periphery is ignored. At no point an attempt is made to study the actual strategies of their use and the recontextualisation of foreign elements – material and immaterial – in the periphery. Instead, by and large the meaning of foreign objects and goods is taken for granted (e. g. Kristiansen / Larsson 2005, 29; 142–150). With regard to the above mentioned findings of Mediterranean and Near Eastern Archaeology, such convergence and largely identical mean-ings on both sides should come as a surprise. In any case, this assumption would require careful demonstration. The same holds true for Kris-tiansen and Larsson’s claim that they are able to identify social ‘institutions’ from their (sym-bolic) material remains (e. g. Kristiansen / Lars-son 2005, 10–31), and for their conviction that the intact transmission of such symbolic

(European) archaeology of most of its origi-nal content (cf. Harding 2013, 384–385).36 For what else than loose unspecified ‘con-tact’ remains when marginal society does not experience structured interaction, systemic (economic) dependency, geographical division of labour and unequal exchange? This is the state of the art that Anthony Harding has in mind when he describes the approach taken by many current applications of World Sys-tem Theory: “... identify trade networks, place them within a WST framework, but ignore the need to demonstrate that there was a sys-tem of any sort in operation, let alone a ‘world system’, with the specific conceptual baggage that the term brings with it.” (Harding 2013, 384). Irrespective of our theoretical approach, be it derived from World System Theory or other, in order to produce meaningful state-ments on past culture contact and interaction the impact of foreign derived material culture, if any, on local systems needs to be carefully considered. The presence of exotic objects as such does not prove that exchange of what-ever kind was asymmetrical and to the disad-vantage of a presumed periphery or margin.

Beyond Neo-Diffusionism: Implications for Bronze Age ‘Barbarian’ Europe

It would seem that little harm is done by such an application of ‘World System Theory’ if it did not carry forward from both older diffusio-nism and World System Theory the conviction that somehow ‘contact’ makes a difference and will affect culture and society on the margin. In doing so, it invites us to neglect local vari-ability. We fail to consider the different groups

37 e. g. Wengrow (2009, 147–150) and Legarra Her-rero (2011, 269–271); see also above Maran (2013) on the Mycenaean appropriation of amber.

36 A related point is made by Stein (1999a, 24–25) and Kohl (2011, 80) with reference to the modifications to World System Theory for archaeological use sug-gested by Hall and Chase-Dunn (e. g. 1993). See also, for example, Kardulias (2009) and S. Sherratt (2009).

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egy is employed that uses specific pieces of evi-dence (e. g. some multiple burials and victims of aggression in an otherwise highly standard-ised Early Bronze Age burial tradition) to illus-trate ‘institutions’ that thereby attain the status of confirmed historical ‘fact’ (i. e. Bronze Age slave labour and warfare; both examples taken from: Kristiansen / Larsson 2005, 133–135). Rather, one could argue that the examples chosen are contingent upon specific historical circumstances and run counter to the findings of a broader contextual analysis of the Bronze Age groups under discussion.39 A fairly typical example of this procedure and the decontex-tualisation of foreign elements, the meaning of which is taken for granted, is provided by the following passage on the Bronze Age ‘tell cul-tures’ of the Carpathian Basin:

“Visitors to the chiefly courts in the northwestern Carpathians during the seventeenth and sixteenth centuries BC would have met a shining world of painted / decorated houses in east Medi-terranean imitation, chariots, new weap-ons and new exotic rituals of drinking and feasting ... The chiefly courts of the tell cultures combined a strong innova-tive local tradition in pottery and met-alwork with exotic cultural traits from the Minoans and Mycenaeans, whom they met regularly at some of the trad-ing points. Even script – the mysterious powerful script – did they want to adopt. Not for recording their possessions or tribute payments ... but as a powerful, esoteric ritual.”

(Kristiansen / Larsson 2005, 167).

structures or institutions is easier the more complex the package of related knowledge and skills actually is (e. g. Kristiansen / Lars-son 2005, 21–22; 28–29). Rather the opposite seems likely with regard to current approaches, that stress the renegotiation and the transfor-mation of identities, of meaning and practice in contact situations. Kristiansen and Larsson’s is an invitation to believe in identical mean-ings and institutions throughout Bronze Age centre and periphery. Postcolonial studies, on the other hand, would stress the ‘fuzziness’ of social life and the hybridity or hybridisation of material culture and social practices as a result of contact and interaction.38 Either way, this has to be demonstrated by reference to specific situations of contact, to the local consumption of foreign material culture and the social con-text in which such interaction takes place. It is here that Kristansen and Larsson take ref-uge in empathy and authoritative statement rather than provide a careful examination of the archaeological evidence: “... Bronze Age society was obsessed with travel and esoteric knowledge brought home from outside. ... The city-states of the third and second mil-lennia BC shared with less developed prestate societies a developed mythical cosmology to describe and have direct contacts with the outer world.” (Kristiansen / Larsson 2005, 43). It is possible or even likely that Bronze Age space was “... loaded with dangers, monsters, myths and powers ...” (Kristiansen / Larsson 2005, 43). Yet, it is certainly not demonstrated which dangers, monsters, myths and powers and whether they were the same throughout Europe and the Mediterranean.

The resulting kind of narrative is catchy, while at the same time suspending basic rules of archaeological procedure. A narrative strat-

39 See, for example, Kienlin (1999; 2010; 2012). Kris-tiansen and Larsson (2005, 132–138) themselves are, of course, aware of evidence to the contrary (for example: “Somewhat against this picture we have the local set-tlement evidence around the mines. It suggests work-ing camps with little or no evidence of hierarchy ...”

38 Compare, for example, van Dommelen (2006, 118–119), van Dommelen / Rowlands (2012, 25; 27–28) and Knapp (2012, 33).

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development (e. g. Kristiansen 1998, 359–391; 412–419; Kristiansen / Larsson 2005, 105–107; 211–212). Apart from essentialising groups like the ‘Minoans’ and the ‘Mycenaeans’ and overt simplification in the presentation of Mediter-ranean and European sequences,41 there is no demonstration other than broad contempora-neity why and by what mechanism change in one part of the ‘system’ should have affected society in another. Again, it is the narrative strategies involved that require deconstruc-tion: We are used to accept a phrase like “... the three phases [of Minoan / Mycenaean devel-opment and contact; TLK] outlined above also correspond to important changes in European Bronze Age societies” (Kristiansen 1998, 364) as a meaningful statement that implies sys-temic integration and parallel cycles of social evolution. It is not. Instead, we are faced with a narrative structure that masks the failure to establish meaningful links between ‘core’ and ‘periphery’ and to explicate the mechanisms of systemic interaction thought crucial for cycli-cal change.

It is not argued here that the impact of interregional exchange on local systems is irrelevant. Yet, surely, it has to be demon-strated rather than just assumed, and it is only one facet of a more complex ancient reality. Whether in a more traditional sense the eco-nomic impact of long-distance trade in metal and other commodities is stressed or instead the social dynamics of prestige good systems drawing on exotic objects, advocates of neo-diffusionism have us believe in social and cul-tural dynamics and ultimately in convergence in consequence of contact and exchange.

This is itself epical writing, not scientific prose, but more importantly it follows the general pattern of argument criticised above. Script, we learn, was adopted in the chiefly courts of Bronze Age tell communities of the Carpathian Basin. What chiefly courts, one may ask then, and what evidence of script?40 However, let us dwell instead on the supposed implications of this ‘finding’: Bronze Age communities in the Carpathian Basin are thought to have adopted fundamental institutions of Minoan / Myce-naean civilisation, such as ‘exotic rituals of drinking and feasting’. Other elements, such as writing and script are thought to have been adapted to local context and somehow trans-formed to a ‘powerful, esoteric ritual’ (Kris-tiansen / Larsson 2005, 167). Yet, in total, it is suggested we see a process of adoption and convergence, and this ‘shining world’ in ‘Medi-terranean imitation’ is clearly thought to have seen the direct transmission of religious and social institutions (e. g. Kristiansen / Larsson 2005, 150–167). Now, one might argue, that even if the tell communities under discussion had in fact used Mediterranean script, this use as ‘mysterious signs of powerful and esoteric ritual’ would point to the exact opposite of what Kristiansen and Larsson suggest: namely recontextualisation and appropriation into a local context and local practices different from the Mediterranean rather than the transmission of institutions (e. g. palace administration; see above on the economy of Mycenaean palaces).

Finally, a related point can be made regard-ing the notion of cyclical patterns in the broad tradition of World System Theory, that suppos-edly linked the Mediterranean and European

41 e. g. notions like the “Mycenaeans” taking over the “Minoan” trade empire (Kristiansen / Larsson 2005, 88) or the rise of the Mycenaeans being linked to “their conquest of the Minoans” (Kristiansen 1998, 363), for-tified Minoan towns and palaces, purposive Minoan “colonisation” or a Minoan maritime “thalassocracy” etc. (Kristiansen / Larsson 2005, 96–97).

[Kristiansen / Larsson 2005, 133]), but it is usually sub-ordinated to the great historical narrative, i. e. in this particular case the rise of Bronze Age metallurgy and social differentiation.40 For a more detailed discussion see also Kienlin (2012).

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‘political economies’ (e. g. Earle / Kristiansen 2010), one may opt for an impartial, struc-tured comparison of divergent local trajecto-ries. Particular emphasis may be placed then on the social use of space, for surely it was rather the built environment of Bronze Age communities that reflected and shaped com-monly accepted values and perceptions than the occasional prestigious (foreign) metal or amber item etc. Social space and architecture framed daily activities as well as ritual and social action. They were drawn upon in social discourse, and by their specific quality they encouraged some notions held and strategies pursued while discouraging others, just by their mundane presence and by withdrawing attention from alternative options.

It can be shown then, that both areas, the Mediterranean and ‘Barbarian’ Europe, expose cultural complexity, but it was only in the Mediterranean that this translated into the development of explicitly politically differen-tiated societies, i. e. the Late Helladic Myce-naean palaces already referred to above. Even in the Mediterranean, however, this develop-ment did not take the form of linear social or cultural evolution from simple to most complex and hierarchically structured soci-eties. Rather, starting with the Early Bronze Age (Early Helladic II) corridor houses (cf. Hägg / Konsola 1986), for example the ‘House of the Tiles’ at Lerna in the Argolid (fig. 4), we see the emergence and the possibility of quite different forms of complexity, variable notions of the individual and society and a different ethos of political leadership. It does not really matter for the argument developed here, if one considers the House of the Tiles the seat of a simple chief in charge of redistri-bution or if one envisions a group of lineage heads feasting (e. g. Renfrew 1972, 108–109; 389–390; Pullen 1994, 43–46; Maran 1998, 193–197). Rather, it is the sophisticated differ-entiation of social space into broadly ‘public’ and more ‘private’ sections (e. g. Shaw 1987,

That is to say, they use the evidence of per-sonal mobility and / or objects moving to and fro to bridge the gap between structurally different communities and societies, in our case between the Bronze Age Aegean or the wider eastern Mediterranean and the ‘Barbar-ian’ hinterland of prehistoric Europe. In the preceding paragraphs it has been argued that this approach has to be counterbalanced by an awareness of the complex processes involved in the recontextualisation of exotic foreign objects. Particular attention must be paid to the ways these were actually drawn upon by social actors in local discourse. Beyond local meanings and uses of foreign objects, however, the more important implication of this cri-tique is that we are clearly entitled to consider that long-term stability of structural difference between groups coexisting in time and space is indeed a possibility; and that mere proof of contact does not equal demonstration of ‘core’ impact on the less developed ‘periphery’.

A comparable narrative strategy disguising structural difference was identified above with regard to the use of Homeric heroes as a blue-print for Bronze Age Mycenaean society. The inherent contradictions of this approach were illustrated by reference to the stark contrast in the organisation of social and political space in Mycenaean palaces such as Tiryns and the quite different architectural setting and options to negotiate claims to social preeminence dur-ing subsequent post-palatial (e. g. the LH IIIC building T at Tiryns) or Early Iron Age times (e. g. the Protogeometric Toumba building at Lefkandi). Now this line of thought can be taken up and developed further. We should leave behind essentialising concepts of ‘core’ and ‘periphery’, and allow for the variability and historicity of potentially interacting local groups – both from the Bronze Age Mediter-ranean and from ‘Barbarian’ Europe. Instead of glossing over variability and / or forcing dif-ferent traditions of living and ‘working’ onto the Procrustean bed of supposedly universal

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different occasions in response to individual or collective aspirations,42 as opposed the ultimate focus of Late Helladic palatial architecture on

61–65; 75–79; Wiencke 1989, 503–505; Pullen 2008, 32–35), which is noteworthy, and even more so the manifold options this architecture offered for involvement and action of indi-viduals or groups of people (Peperaki 2004; 2010). As in the above discussion on Myce-naean and Homeric society, it is the irrefutable difference that matters: the inherent openness of the corridor houses to be drawn upon on

Fig. 4: Plan of the ‘House of the Tiles’ at Lerna in the Argolid (after Peperaki 2004, 217 fig. 12.2; 220 fig. 12.3).

42 See, for example, Peperaki (2004, 226): “A sense of complexity ‘in the making’ is evoked, that is contin-gent on expedient and strategic action. Such complex-ity arises not simply from the drawing of lines between

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nities of the Carpathian Basin inhabiting the tell sites mentioned above in likeness of Med-iterranean civilisation. Not every occasional import find of Mycenaean origin which may come to light in Bronze Age communities to the north must be used to overcome the fun-damental divide that sets apart palatial society of the Aegean Bronze Age from such segmen-tary ‘tribal’ groups (figs. 5 and 6). Rather than being a weak reflection of palatial society, it can be shown that Bronze Age settlement in the Carpathian Basin is a complex and vari-able phenomenon – in chronological and regional terms as well as in socio-political and cultural ones. This tends to be ignored when likeness with Mediterranean developments is expected and in the words of M. Dietler (1998, 297) “... otherwise sensible scholars [start] to see things that are not there and to ignore crucial developments ... in an effort to impose [foreign; TLK] structures...”. Our perception, which is derived from Mediterranean pala-tial prototypes, of such long-lived settlement mounds of prehistoric peasant communities as dominating the landscape in economic and / or political terms is partly misleading. This is not to say that the Bronze Age com-munities of the Carpathian Basin and beyond were egalitarian. However, the way they organised their social space is informative of concerns other than competition among indi-viduals or corporate groups and attempts to establish or to reproduce political hierarchies. We do not know when and where decisions were made in Bronze Age tell-‘building’ com-munities and what groups of people precisely were involved on various levels of decision-making (see also Kienlin 2012). Yet, surely the ‘feel’ of it and the general outlook on the world was different from the sophisticated interplay of people and architecture unfolding in and around the (earlier) corridor houses, with the numerous possibilities for individuals or groups to assemble, to show and to with-draw from sight etc. And it was fundamentally

just one person, the wanax, and his ‘court’; the utterly different ways people were supposed to or were able to move in and around the House of the Tiles than on the citadel of Tir-yns; the different perceptions of social ‘reality’ and one’s options to act upon it which a cor-ridor house would have encouraged than the central megaron at Pylos etc.

The sequence from the Early Helladic cor-ridor houses, via the Late Bronze Age Myce-naean palaces to the Toumba building at Lefkandi is important precisely because the internal logic of the architectural remains and of social space is so entirely different. Archae-ology is called upon to study such historically specific constellations, not to reduce them to a cyclical pattern of albeit unsuccessful onsets towards the same ‘type’ of hierarchical society. It is certainly important to know, who was in charge of the Early Helladic corridor houses or Mycenaean megaron buildings respectively, which kind of authority and / or power he, she or they were in command of, and if it was derived from control over agricultural surplus, craft production and / or control of prestige goods etc. Yet, the application of such sup-posedly timeless or universal categories falls short of an appropriate understanding of the historically specific quality of social space and architecture; an understanding of this specific architecture as a medium of social action by past human beings and their social and cultural ‘reality’ thus created (cf. Barrett 1994).

Finally, for the same reason, we must be wary not to model the Bronze Age commu-

social categories, but more essentially from the provi-sion of ways in which some of those boundaries could at times be crossed or even blurred. It is achieved by establishing a co-operative atmosphere (‘outbursts of togetherness’ to paraphrase Bauman 1992: xix), while also leaving room for skillful and timely demonstrations of authority, and by allowing competing interpretations and constructions of social reality.”

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may have communicated the ‘strength’ of cor-porate groups such as an economically suc-cessful, well-ordered “village” community (cf. Roscoe 2009, 72; 89–90). There is no differ-ence between on-tell and off-tell households. And the ever increasing height of the mound itself would have added to a sense of commu-nity and shared tradition vis-à-vis the outside world. Clearly, the widely visible ancestry of such places may also have provided the oppor-

different as well from the deliberate architec-tural framing of political power evident in the (later) Mycenaean palaces. By contrast, apart from obviously not featuring palaces etc. the Bronze Age tells of Carpathian Basin seem to include as well as to set apart people or regulate access to their central multi-layer tell part. Their demarcation by massive ditches is often beyond mere functional necessity for defence and indicative of social signalling that

Fig. 5: The Bronze Age site of Emo d-Nagyhalom (Hatvan to Füzesabony period) on the Borsod Plain of northern Hungary. Greyscale plot (+/- 10 nT) and interpretation of the magnetometer data of the central part of the site and part of the outer settlement (after Fischl / Kienlin / Seres 2012, 34 fig. 12; Fischl / Kienlin 2013, 15 fig. 6).

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While the Aegean sequence is characterised by the rise and decline of the corridor houses and the Mycenaean palaces respectively, each showing quite distinct features of social (and political) complexity, the European sequence exposes more of a continuous development. Far into to Iron Age ‘Barbarian’ Europe may have seen ‘tribal cycling’ rather than upward bound ‘social evolution’. There is no overarch-ing pattern or logic of development that binds both regions together – Bronze Age ‘Barbarian’ Europe and the Bronze Age Mediterranean. Approaches that have us believe so impoverish our understanding of prehistoric Europe and the Mediterranean respectively.

tunity to draw on the symbolic capital accu-mulated. However, there were limits to such individual aggrandisement. Communal values were sanctioned and protected opposite pass-ing ambitions which were negotiated every now and then in the off-tell burial grounds of these communities. For this is precisely what we see: the long-term stability of a traditional way of life. There was continuity of the norms and values structuring these communities and their social space opposite both foreign (Mediterranean) models of hierarchical soci-ety, if such were indeed known, and the ever present individual ambition to become more equal than the others.

Fig. 6: Aerial photograph of the Bronze Age site of Tard-Tatárdomb (Hatvan to Füzesabony period) in the foothill zone of the Bükk Mountains of northern Hungary (after Fischl / Kienlin 2013, 19 fig. 8).

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ential work of Gordon Childe and his Urban Revolution, whereas in parts of Continental academia there is a tendency to see the Euro-pean Bronze Age as historically unique simply due to its impressive record of bronze artefacts and the largely unchallenged notion of a sig-nificant impact of metallurgy on society.

Such notions of the rise of Bronze Age soci-ety, of course, are deeply rooted in an evolu-tionist tradition of Western thought which expects to see change for the better, inevi-table technological progress and increasing socio-political differentiation etc. The Bronze Age past, then, is represented in teleological terms and in coherent narratives which make ‘sense’ of the available material remains of that period. Such narratives may also be found in neighbouring disciplines, for sure, and they are important heuristic devices to explore the past and to find meaning in it for the present. However, in spite of the well-established post-processual critique in prehistoric archaeology, it would seem that Bronze Age research is still particularly prone to mistake such narratives for objective representations of the past and a prehistoric ‘other’.

It tends to be ignored, therefore, that a work like The Rise of Bronze Age Society as well as others like it is not just drawing on the evi-dence or data available at any given time to provide us with a ‘true’ picture of the Bronze Age. Rather, the perception and the use made of the data at hand is governed at least in part by the world-view of the author(s). Here is where the problems start, when all the same claims are made to historical ‘truth’ and deconstruction is discouraged. This involves specific narrative strategies that are not normally reflected upon when archaeological texts are considered as ‘scientific’ rather than the historical narratives which in fact they are.

The Rise of Bronze Age Society is notorious in this respect. We are entitled, therefore, to ask not only what evidence is ignored, but also how this blends into a broader narrative

An ‘Other’ Bronze Age?

This paper took its start from the claim by K. Kristiansen and Th. B. Larsson that we may fail to adequately consider the fundamental ‘otherness’ of Bronze Age society. Their own ‘Bronze Age’, as we have seen, carries for-ward notions from a traditional archaeologi-cal paradigm such as technological progress, socio-political evolution and the dependency of European Bronze Age society ultimately on the Near East. However, this is condensed into a particularly powerful narrative that promi-nently features Bronze Age warrior elites or ‘heroes’ and a specific Bronze Age elite ethos and cosmologically derived power, which are thought to link a Mediterranean urban or palatial ‘core’ area and the outer ‘peripheries’ of Barbarian Europe.

What is most striking about the resulting picture is its neglect of variability in Bronze Age groups widely set apart in space and time. That is to say, Kristiansen and Larsson’s approach is reductionist and essentialising (cf. Nordquist / Whittaker 2007, 82) in that the authors want us to believe in convergence on a pan-European scale of Bronze Age social ‘insti-tutions’ and elite ideology. It has been shown above that this requires specific narrative strate-gies most fundamental among them, of course, a running text with numerous illustrations that largely avoids controversial discussion of data or divergent theoretical approaches in favour of a continuous narration of what is perceived as historical ‘truth’.

More than any other period of prehistory, it seems, the Bronze Age invites such historical imagination. In the Near East it saw the rise of urban civilisation, in the eastern Mediter-ranean and in the Aegean palatial centres like Knossos or Mycenae emerged – and beyond that many see a general upturn in the wake of metallurgy and trade for metals. In Anglo-American archaeology, of course, such notions can be traced back in particular to the influ-

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in likeness of far-off Mycenaean palatial soci-ety. In two instances we are thus invited to set in one phenomena that are widely set apart in space (the Mycenaean palaces and the Bronze Age groups of their European hinterland) or in time (‘Homeric’ society and the Bronze Age). More importantly, we are invited to ignore structural difference in culture and society of the regions and periods involved. This is how archetype ‘heroes’ emerge, when in fact Myce-naean and Early Iron Age ‘Homeric’ warriors were living in quite distinct historical set-tings and potentially were aspiring to different riches and different kinds of fame. This is also how the villages or hamlets of tribal groups come to be compared with the administrative centres of Mycenaean polities.

This, it was argued here, is a problematic (mis-)representation of the Bronze Age ‘other’. It is so, not because the present author disa-grees and would prefer a different narrative, but because it lays claim to historical ‘truth’, because of the narrative strategies involved in doing so, and because alternative readings are concealed. It is so, not because some finds are ignored while others are given greater weight than they deserve, but because we are led to believe in a rectified Bronze Age with knowl-edgeable agents reduced to dummies acting out a preformulated ‘ideology’ where archae-ology should aim at a contextual understand-ing of the structuring of social relations and cultural knowlegde under specific material and historical conditions.

Acknowledgements

I am deeply grateful to Anthony Hard-ing, Brigitte Röder and Christoph Ulf for their comments on an earlier version of this paper. The errors remain my own, and they would not, of course, agree with all the views expressed here.

structure that invites us to neglect variability in the archaeological record and to think in essentialising terms of ‘cores’, ‘peripheries’, ‘institutions’ or ‘esoteric knowledge’, instead of allowing for the agency of prehistoric peo-ple and the historicity of all the different social and cultural constellations subsumed to one governing model.

It has been shown above that in The Rise of Bronze Age Society this ‘aim’ is achieved by ignoring both archaeological evidence to the contrary and current debates in ancient Greek history (i. e. the critique of equating ‘Homeric’ society with the Bronze Age) and recent interaction studies (i. e. the critique of World System Theory). The result is a rec-tified past, instead of looking into histori-cally specific constellations, the variable role of material culture in the social discourse of different Bronze Age groups and the chang-ing motivations and perceptions of the social agents involved. The decision to do so and to lend credibility to the overall narrative by an illustrative use of some finds while ignoring others constitutes a powerful narrative strat-egy. It is not a chance product. As such, the narrative rests on two pillars, in particular, that were discussed at length above: Namely, on the one hand, the author’s denial of discontinu-ity between the Late Bronze Age Mycenaean period and the Early Iron Age ‘Homeric’ one; and, on the other hand, their bridging the gap between the Mycenaean palaces and wider Bronze Age Barbarian Europe.

It is this attempt to immunise one’s argu-ment against controversial discussion and critical assessment that justifies classifying The Rise of Bronze Age Society as a highly problem-atic meta-narrative. As a result, we have seen Homer-style heroes projected back in time against the Cyclopic walls of Mycenaean pal-aces with their fundamentally different politi-cal and administrative organisation; and we have seen the modelling of broadly tribal soci-eties of the Bronze Age European hinterland

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Zwischen Lokalität und Kolonialität – alternative Konzepte und Thesen zur Archäologie eines

indigenen Kultplatzes auf dem Monte Iato (Westsizilien: 7. Jh. v. Chr. – 1. Jh. n. Chr.)*

Erich Kistler

zusammenkamen, konsumierte man bei fest-lichen Anlässen feinste Schlemmereien und keramische Raritäten aus Athen, lag dabei auf Klinen und trank aus griechischen Schalen. In diesem rein griechisch anmutenden Ambiente kam es aber auch zur Konsumption ‚uralter‘ indigener Keramiken, die der rituellen Welt der Ahnen und Vorfahren zu entstammen scheinen. In demselben Raum also, in dem die Welt des Kolonialen präsenter war als sonst irgendwo auf dem spätarchaischen Iato, wurde

Das Scheitern ethni(zisti)scher Analysekategorien auf dem spät-archaischen Monte Iato

Mitten im gebirgigen Binnenland Westsiziliens haben jüngste archäologische Untersuchun-gen auf dem Monte Iato ein überraschen-des Paradoxon zutage befördert (Abb. 1 und 2): Im spätarchaischen Haus (ca. 510–470 / 60 v. Chr.), in dessen repräsentativ hergerichte-ten Banketträumen Eliten von Nah und Fern

Abb. 1: Die Bauten im Heiligtum um den Aphrodite-Tempel auf dem Monte Iato, 500–470 / 60 v. Chr. (Institut für Archäologien der Universität Innsbruck).

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Erich Kistler196

Im Zuge der postcolonial studies wurde schon seit den 1990er Jahren eine Dekolonisierung der Archäologie gefordert.2 Diese führte gerade auch in Hinblick auf die archäologische Erfor-schung der indigenen Bevölkerungsgruppen im vorrömischen Mittelmeerraum zu einer Reihe neuer Ansätze und Arbeiten, die dem ehemals imperialistischen und später dann neo-kolonialen3 Konzept „Von den Griechen als Meistern der Colonisation“ (Curtius 1883) sehr kritisch gegenüberstanden (etwa Leigh-ton 1999, bes. 8–9; 220–221). Der Prozess der

zugleich an ein (imaginiertes) Zeitalter prä-kolonialer einheimischer Authentizität rück-erinnert.1 Dieser paradox anmutende Befund verspricht zweifellos wichtige neue Einsichten in das lokale Funktionieren einer kolonialen Kontaktzone. Nur lässt sich der historische Prozess in seinem Zustandekommen nicht mehr mit den Mitteln einer ethni(zisti)schen Kulturanalyse erschließen, die bei der Veror-tung von Kultur allein zwischen den Optio-nen des ‚Eigenen‘ oder ‚Fremden‘ respektive des ‚Indigenen‘ oder ‚Kolonialen‘ hin- und herpendelt.

Abb. 2: Rekonstruierter Querschnitt durch den zweigeschossigen Osttrakt des spätarchaischen Hauses, kurz vor 500–470 / 60 v. Chr. (Institut für Archäologien der Universität Innsbruck).

* Für die Diskussion des Manuskripts und anregende Kritiken sei hier Christian Heitz, Martin Mohr, Birgit Öhlinger und Christoph Ulf herzlich gedankt.1 Zu diesem Befund ausführlicher auf S. 202–209.

2 van Dommelen / Rowlands 2012, bes. 20–21; van Dommelen 2011; Dietler 2010, 3–4; Gosden 1999, 15–116.3 Etwa John Boardman in seinem epochalen Werk zu den Griechen in Übersee: „Im Westen hatten die Grie-chen nichts zu lernen und viel zu lehren“ (Boardman 1981, 223).

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Zwischen Lokalität und Kolonialität 197

von Roland Robertson (1998) zum adäquaten Analyseinstrumentarium, um die archaische Mittelmeerwelt als eine vorglobale Interakti-onswelt untersuchen zu können. Zu diesem Zweck begreift Hodos die ‚Große Kolonisa-tion‘ der Griechen als eine (kulturelle) Bewe-gung vorglobaler Bedeutungsdimension, die bei den indigenen Lokalgruppen rund ums Mittelmeer unterschiedliche local responses provoziert habe (Hodos 2010a und b; 2009; 2006).

Trotz dieser methodisch-theoretischen Neu - ausrichtung scheinen jedoch die Einheimi-schen oder Lokalen auf dem Feld der archäo-logischen Untersuchung nach wie vor als (misch)ethnische Kollektive auf. Nur sind sie jetzt nicht mehr rein passiv reagierende, adap-tive Bevölkerungsgruppen, sondern selbstbe-wusste Ethnien, die nur selektiv und nur inso-weit die Welt des Kolonialen aneignen, wie dadurch ihre Kernidentität als Einheimische nicht gefährdet wird. Kulturmateriell bleibt es damit aber noch immer bei ethnischen Blöcken, die sich im einen Fall dem Koloni-alen gegenüber bewusst öffnen, sich diesem im anderen Fall aber gezielt entgegenstellen. Letzteres wird in der Forschung zuweilen zu einem regelrechten Widerstand der Einhei-mischen gegenüber der kulturellen Domi-nanz der kolonialen Herren hochstilisiert, was mitunter – wie etwa in Hinblick auf den ‚Sikulerführer‘ Duketios – als Keim zum poli-tischen oder gar militärischen Widerstands-kampf angesehen wird.6

Kolonialisierung wurde nicht mehr eingleisig als eine mission civilisatrice begriffen, sondern zweigleisig, als ein Aushandeln zwischen den Griechen als Neuankömmlingen und den Indigenen als Alteingesessenen (van Dom-melen / Rowlands 2012, 21; Dietler 2010, 10). Diese fremdkulturellen Aushandlungsprozesse finden nach Iraq Malkin in symmetrischen Begegnungs- und Machtzonen statt, in soge-nannten middle grounds (Malkin 2011, 143-170).4 Dies führte dann laut Carla Antonaccio schon auf dem archaischen Sizilien zu kultu-rellen Überlappungen und zu daraus resultie-renden mischkulturellen Neuschöpfungen, die sie in Anlehnung an Homi Bhabha (1984) als Materialisierungsformen von hybridity begreift (Antonaccio 2010; 2013).5 Tamar Hodos umschreibt diese dagegen als ein Globalizing the Local, oder umgekehrt – sozusagen aus der Sicht des Dorfes als ein Localizing the Global. Damit erhebt sie das Konzept der glocalization

4 Dreh- und Angelpunkt zur Adaption des middle-ground-Konzepts von Richard White (1991), der dieses zur Beschreibung und Analyse der kulturellen Kontakte zwischen den Franzosen und den Algonkins in den letzten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts entwickelt hat, ist bei Malkin bezeichnenderweise das archaische West-sizilien. Dementsprechend definiert er dieses „as a place of mutual negotiation within the Mediterranean net-work“ (Malkin 2004, 360). Allerdings macht Christoph Ulf (2014, 470) auf den zu berücksichtigenden Aspekt einer Fehlübersetzung des middle ground durch Malkin aufmerksam. Denn dieser stellt kein machtsymmetri-sches Feld zwischen den kolonialen Kontaktpartnern dar. Vielmehr signalisiere „der aus der Ethnologie stam-mende Begriff middle ground … eine Kontaktzone, in der der potentiell mögliche Einsatz von Machtmitteln wegen der dann auftretenden Kosten nicht opportun erscheint. Eine solche Situation versetzt die schwächere Seite in die Lage, Elemente des kulturellen Codes der stärkeren Seite aufzunehmen, aber diese in ihrer Bedeu-tung zu variieren. Der nur vorgeblich missverstandene Code wird dann so verwendet, als ob er der tatsächliche Code der stärkeren Seite wäre; er wird dieser gegen-über in die eigene Argumentation eingebaut, um so die stärkere Seite mit ihrem gleichsam eigenen Code zu überzeugen.“

5 Zur Vorsicht bei der Adaption solcher biologisti-scher Metaphern aus den postcolonial studies auf die mate-riellen Befunde gerade in kolonialen Kontexten war-nen P. van Dommelen und P. Rowlands (2012, 27–29) sowie Michael Dietler (2010, 50–53 bes. 52): „For one thing, if … métissage is originary and an omnipresent process in all cultures, then one has to explain what is distinctive about it in colonial contexts and how it helps us to explain the history of specific colonial situa-tions. Simply labeling something as hybridity does not, in and of itself, perform any analytical work.”

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Erich Kistler198

Kolonialität und Lokalität als janusartige Figurationen9 der Bildung und Zerschlagung von Macht in kolonialen Kontaktzonen

In den Latin Subaltern Studies wird im Gegen-satz zu den Altertumswissenschaften oder Mittelmeerraum-Studien schon seit längerem strikt zwischen Kolonialismus und Kolonia-lität unterschieden: „Colonialism denotes a political and economic relation in which the sovereignty of a nation or a people rests on the power of another nation, which makes such nation an empire. Coloniality, instead, refers to long-standing patterns of power that emerged as a result of colonialism, but that define culture, labor, intersubjective relations, and knowledge production well beyond the strict limits of colonial administrations“ (Maldonado-Torres 2007, 243). Diese Faktoren und Prozesse der Machtbildung, die zwar erst durch koloniale Kontakte ausgelöst werden, aber auch noch nach dem Wegbrechen kolonialer Verwaltung in postkolonialer Zeit wirksam sind, können und sollen den Latin Subaltern Studies zufolge aus der Sicht der davon betroffenen Einheimi-schen und nach Möglichkeit in deren dekolo-nialisierten Kategorien des Denkens beschrie-ben werden.10

Durch die Vorgabe einer solchen „Episte-mologie des Südens“ (de Sousa Santos 2009) wird selbst die (südamerikanische) Archäolo-

Letztlich entsprechen all diese anti- oder postkolonialen Konzepte im Grunde noch immer dem colonialist paradigm, wie jüngst wieder Jonathan Hall betont hat: „in fact, notions such as ‘hybridity’ or ‘in-between-ness’ implicitly accept the prior existence of distinct, bounded cultures – that of the col-onizer and that of the colonized …” (Hall 2012, 21; so auch Dietler 2010, 51–53; 55–56). Folglich bleiben trotz oder gerade wegen des postcolonial turn einheimische Akteure, die das Koloniale teilweise befürworten und zur Fes-tigung ihres sozialen Vorsprungs im indigenen Umfeld nutzen, mehr oder weniger unsicht-bar.7 Wohl gerade deshalb versucht Ian Morris den Blick auch auf Asymmetrien zu refokus-sieren, den koloniale Kontaktnahmen beson-ders im archaischen Westsizilien nach sich gezogen haben. Zu diesem Zweck führt er als Alternative zur hellenization das Konzept der mediterraneanization ein. Diese definiert er in Anlehnung an die heutige Globalisierungs-forschung als ein „speeding-up of connectiv-ity that increased competition, creating new winners and losers“ (Morris 2009, 80; 2003).8 Um hier noch eine stärkere binnendifferen-zierende Trennschärfe zwischen ‚Gewinnern‘ und ‚Verlierern‘ im (post)kolonialen Ambiente der Einheimischen zu erzielen, haben jedoch Denker des lateinamerikanischen Postkoloni-alismus schon in den mittleren 90er Jahren des letzten Jahrhunderts das Konzept der Koloni-alität entwickelt.

9 „Die jeweils gruppenspezifische Kombination aus Regeln, Akteuren und Raum lässt sich mit dem von Norbert Elias entlehnten Begriff der Figuration eigens erfassen. Mit Figuration wird aber nicht nur der Sachverhalt bezeichnet, dass sich eine bestimmte Gruppenkonstellation aus den gemeinsamen Ziel- und Verhaltensvorgaben der Gruppe entwickelt, sondern auch eine gemeinsame Gruppenkultur, die sich in der Eigenwahrnehmung als ein spezifischer Selbstwert aus-zeichnet“ (Kistler / Ulf 2012, 39).10 Grosfoguel 2010, bes. 319; Grosfoguel 2011; Castro-Gómez 2008, bes. 280–283; Mignolo 2000; Quijano 2000.

6 So noch Hodos (2000, 53): „By this time we are left only with tales of Ducetius, endeavouring to preserve Sikel continuity in reaction to the ‘frustrations of cul-tural contact’ with Greek society in Sicily.“7 Macht als zentraler Faktor bei der Figuration von Kontaktzonen hat bereits Ulf (2014, 476–478; 2009, 95–102) wiederholt herausgestellt.8 Dazu siehe auch De Angelis (2013, bes. 4).

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Zwischen Lokalität und Kolonialität 199

‚(post)koloniale Situation‘ auf Westsizilien wie-der fast bis zur archäologischen Unsichtbarkeit ausgedünnt hat.12

2. These

Die Asymmetrien, die durch diese ‚(post / prä)koloniale Situation‘ geschaffen werden, bezie-hen sich weniger auf das Fernverhältnis zu den fremden Kontaktpartnern (De Angelis 2010, 34–40) als vielmehr auf das Entstehen sozialer Ungleichheit im eigenen binnenlän-dischen Umfeld. Das macht Kolonialität auch für indigene Machtaspiranten überaus attrak-tiv (Dominguez 2012, 213–15; Hodos 2010b, 98): Denn sie verhilft ihnen zur Macht, darü-ber zu verfügen, wer an der sozialen Exklu-sivität des (Prä / Post)Kolonialen dauerhaft, wer nur sporadisch und wer daran gar nicht teil-haben darf. (Prä / Post)Kolonialität ist daher ein zentrales Instrument der Machtbildung und Macht erhaltung, sowohl in big men societies als auch in chiefdoms.13

3. These

Die janusartige Kehrseite der (Prä / Post)Kolo-nialität ist die forcierte Rückbesinnung auf eine (imaginierte) Zeit vor den ersten kolo-nialen Kontakten. Anhand ‚uralter‘ Erb stücke, Gräber und altgemachter Requisiten, die als archäologische Evidenzen in die münd-liche Lokalüberlieferung eingebettet werden, kommt es gerade bei Festen zum regelrechten Re-enactment einer vorkolonialen Authen-tizität und Identität.14 Aus der ‚Totalen‘ der Globalisierungsforschung gesehen, handelt es sich dabei um Re-Konstruktionen von

gie zur postkolonialen Kritik „and explores the role of local processes in the constitution of colonial societies“ (Villelli 2011, 86). Tat-sächlich hat das Konzept der Kolonialität den Vorteil, dass es keinen kulturellen Zustand, sondern eine soziale Situation, eben die Kolo-niale Situation und damit primär Asymmetrien in indigenen Sozialgefügen im Fokus hat. Und aus diesem Blickwinkel bleibt die Situation solange kolonial, wie solche Asymmetrien in der lokalen Lebenswelt Bestand haben – selbst dann noch, wenn die Herrschafts- und Verwal-tungsstrukturen der Kolonialmacht wegge-brochen sind (Maldonado-Torres 2007, 243). Folglich behält das Konzept der Kolonialität vor allem die Wirkungsmacht der kolonialen Machtmatrix in dekolonisierten Bevölke-rungsgruppen im Auge (Mignolo 2000, 43). Doch welchen Nutzen soll nun dieses post-koloniale Konzept für die Erforschung koloni-aler Prozesse im antiken Mittelmeerraum und insbesondere im westsizilischen Binnenland haben? Dazu sechs Thesen als mögliche Ant-worten darauf:

1. These

Wenn die postkoloniale Situation trotz Deko-lonialisierung ‚(post)kolonial ‘ geblieben ist, dann stellt auch das ‚(prä)koloniale ‘ Zeitalter Siziliens eine ‚(post)koloniale ‘ Situation dar. Denn Kolonialität erreicht Sizilien nicht erst mit der ‚Großen Kolonisation‘ der Griechen!11 Vielmehr setzt sie mit den ersten überseeischen Kontakten und Importen ein, die auf der Insel sozialen Vorsprung und lokales Ansehen akku-mulierbar machten (Dominguez 2010, 30–33; Ulf 2009, 94; Gosden 2004, 39). Dies ist spä-testens mit der Westexpansion der Mykener der Fall, auch wenn sich beim Übergang von der Bronze- zur Eisenzeit die nachfolgende

12 Chapman 2013, bes. 35; 39; De Angelis 2012, 130; De Angelis 2010, 22–27; 31–32; Blake 2008; Leighton 1999, 6–8; 223–225.13 Mullins 2011, 136–139; Dietler 2010, 63–64; 218; 220; Ulf 2009, 92–94.14 Mühlenbock 2013, 401–403; Dietler 2010, 70: „revitalization movements“; Morris / Tusa 2004, 77; Hall 2002, 23: „ancestralizing strategies“.

11 Dietler 2010, 47; Albanese Procelli 2008; Domin-guez 2008.

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oder durch die römische Okkupation ganz unterschiedliche lokale Ausprägungsformen erfahren hat.16 Zum anderen können Koloni-almächte sich einer direkten oder indirekten Herrschaftsform bedienen, wodurch das inter-dependente Paar Kolonialität / Lokalität weni-ger historisch als vielmehr machtsoziologisch und so regional völlig unterschiedlich figuriert werden kann (Kistler 2014a, 72–90).

5. These

Als identitäre Situationen definieren Koloni-alität und Lokalität zwei konträre Konsumland-schaften (consumptionscapes: Ger / Belk 1996).17 Im ersteren Fall dominiert der Gebrauch des ‚neuen‘ Kolonialen, in letzterem jener des ‚alten‘ (und / oder auf Alt gemachten) Loka-len. Dies führt an binnenländischen Sied-lungsplätzen – und dort insbesondere an den Kultstätten18 – zu divergierenden materiellen Niederschlägen im archäologischen Befund. Ist die Funddichte von Importen und von lokalen Adaptionen kolonialer Technologie, Architektur, Küche etc. am größten, dann ist von einer consumptionscape auszugehen, die auf Kolonialität und empowerment ausgelegt war (Kistler / Mohr im Druck). Ist das Koloniale hingegen nahezu absent, ist von einem kon-sumeristischen Schauplatz von Lokalität und Machtzerschlagung auszugehen (van Domme-len / Rowlands 2012, 24). Je nach der histori-schen Figuration der kolonialen Machtmatrix können die beiden consumptionscapes – jene der machtgenerierenden Kolonialität und jene der

Lokalitäten als originär indigenen Lebensräu-men, die koloniale Orte wieder zu den ihren machen sollen, zu Orten indigener Selbst-verortung (Hodos 2010b, 91–92; Appadurai 1996, 178–199). Lokalität ist folglich ebenso-wenig wie Kolonialität ein räumlich fixierter Ort, sondern ein identitärer Locus, an dem die Sehnsucht nach einer authentischen Welt der Einheimischen ohne koloniale Asymmetrien geweckt und genährt wird. Insofern ist diese ritualisierte Rückbesinnung auf den (ima-ginierten) lokalen Urzustand immer wieder auch gekoppelt an den Impuls, in diese egali-täre Vorzeit zurückzukehren und deshalb Hier- archien zu heterarchisieren und Kapital zu dezentralisieren, was hier als Ausgleichen von Machtasymmetrien begriffen werden soll.15

4. These

Lokalität beginnt mit Kolonialität – respektive: Die Sehnsucht nach der ‚Alten Welt‘ setzt ein mit dem Umbruch zur ‚Neuen Welt‘, der durch die ‚ersten‘ überseeischen Kontakte eingelei-tet wird (Mühlenbock 2013, bes. 408; Hodos 2010b, 92). Lokalität und Kolonialität sind demnach zwei kontrakulturelle Situationen und Strategien des Machtdiskurses innerhalb indigener Lokalgruppen in (prä / post)koloni-alen Kontaktzonen. Die Intensität dieses Dis-kurses sowie das Dominieren der einen oder anderen Situation (bzw. Strategie) sind dabei ganz von der jeweiligen historischen Figura-tion des kolonialen Prozesses abhängig. Das heißt zum einen, dass gerade im Fall Westsizi-liens das wechselwirksame Verhältnis zwischen Kolonialität und Lokalität durch den Stummen Handel mit den Phöniziern, durch die ‚Grie-chische Kolonisation‘, karthagische Epikratie

15 siehe etwa González-Ruibal (2012, 67; 80): „egali-tarian ethoi“; Sigrist 2005, 176–178: „Teilzwang“.16 Kistler 2014a, 72–99; Prag 2013; Spatafora 2013, 43; Blasetti Fantauzzi / De Vincenzo 2012; Helas 2011; Dietler 2010, 57; Spatafora / Vasallo 2007.

17 Zur Anwendung des Konzepts der Konsumption und der consumptionscape auf den antiken Mittelmeer-raum siehe Dietler (2010, 56–64) und Kistler (2012, 229). Zur consumptionscape als einem sozialen Feld des „kulturellen Akteurs“ siehe Kistler und Ulf (2012, bes. 22–24; 45–49). Der consumptionscape nächst verwandt ist auch das Konzept der local / situated agency von Dietler (2010, 56).18 Öhlinger im Druck; Ferrer Martin 2013, Öhlinger 2012; Urquhart 2010.

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Zwischen Lokalität und Kolonialität 201

metrischer Forschung. Erst dann besteht die Chance, den materiellen Niederschlägen beider consumptionscapes, jener der Koloniali-tät oder der Lokalität, an ein und demselben Kultplatz systematisch nachzuspüren.

Zwischen Aphrodite-Tempel und spätarchaischem Haus: die sechs Thesen getestet am Monte Iato

Unter Anwendung der Thesen 1 bis 6 wird die binnenländische Kult- und Siedlungsstätte zwischen Aphrodite-Tempel und spätarcha-ischem Haus (Abb. 1) zu einem archäologi-schen Untersuchungsfeld, auf dem der lokale Machtdiskurs zwischen machtgenerierender Kolonialität und machtnivellierender Lokali-tät unter den unterschiedlichen historischen Figurationen ‚(prä / post)kolonialer Situationen‘ zu ganz verschiedenen Prozessen archäologi-scher Befundbildung geführt hat. Damit ist die einmalige Chance gegeben, diesem kon-trakulturellen Wechselspiel zwischen lokaler Identitäts- und Machtbildung in einer Lang-zeitperspektive (7. Jh. v. Chr.–1. Jh. n. Chr.) nachzugehen, die divergente Figurationen der kolonialen Kontaktzone ‚Westsizilien‘ durch Phönizier, Griechen und Römer beinhaltet.20 Leider erlaubt der Stand der Forschung erst eine ausführlichere Behandlung des zweiten figurativen Settings von Kolonialität auf dem Monte Iato, nämlich jenes während des späten 6. und frühen 5. Jhs. v. Chr. (Kistler / Öhlinger im Druck). Noch wenig erforscht sind dage-gen das 7. / 6. und 3. / 2. Jh. v. Chr., also die Zeiten vor und nach diesem kolonialen Kul-minationspunkt. Folglich können sie nur kurz gestreift werden, um wenigstens ihr künftiges

machtnivellierenden Lokalität – an ein und demselben Ort im absoluten Sinne eines Ent-weder-Oder wirkungsmächtig sein. Wie aber der Schutt aus den Banketträumen des spät-archaischen Hauses vom Monte Iato belegt, kann es zuweilen auch zum Durchbruch eines Sowohl-als-Auch kommen, das zum Macht-erhalt als Brückenschlag zwischen der Kon-sumlandschaft der Kolonialität und jener der Lokalität unumgänglich geworden ist. Ein Paradebeispiel für eine derartige Politik des Sowohl-als-Auch scheint schließlich die Figur des Duketios abzugeben. Dieser stellt näm-lich zumindest in der Überlieferung Diodors so etwas wie einen Archetypen des indigenen Herrschers dar, der sich beiderorts – sowohl in der binnenländischen Welt der sikulischen Clans als auch in der Welt der griechischen Aristokraten – mit Erfolg zu bewegen wusste (Diodor 11, 76–12, 30).19

6. These

Grundsätzlich lässt sich den materiellen Spu-ren der consumptionscape der Kolonialität leich-ter als den Materialisierungen von Lokalität nachspüren, da erstere aufgrund der Objekti-vierung und Verdauerung von Macht in aller Regel an Monumentalität gekoppelt ist, was im Allgemeinen bessere Auffindungs- und Erhaltungsbedingungen im archäologischen Befund schafft. Letztere hingegen, die Figu-ration der Lokalität, tendiert infolge der mit ihr verbundenen Machtzerschlagung zu eher temporären Bauten, welche archäologisch oftmals kaum sichtbar sind (De Angelis 2010, 27; Renfrew / Bahn 2009, 131–136, bes. 132). Gerade der Nachweis solcher rückstandsarmer Konsumgüter und -gewohnheiten bedarf folg-lich einer Art ‚Tatort-Archäologie‘ unter Ein-satz aller analytischen Möglichkeiten archäo-

19 Fragoulaki 2013, 295; Giangiulio 2010, 18–19; Jackman 2006, bes. 39–42.

20 Dietler (2010, 9) benennt dies als die „verti-kale Strategie“, die neben der „horizontalen“ bei der Analyse von kolonialen Kontaktzonen immer mit zu berücksichtigen sei.

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Höhensiedlung ihre erste Blütezeit von inter-regionaler Bedeutung und Reichweite (Isler 2009, 148–151; 153–210). Dies bezeugt insbe-sondere der Kultbezirk um den sogenannten Aphrodite-Tempel im Westquartier der späte-ren hellenistischen Stadt Iaitas (Abb. 1). Dieser wurde im dritten Viertel des 6. Jhs. v. Chr. von einer griechischen Bauhütte errichtet (Isler 2009, 167–169). In der Folgezeit entstanden östlich und westlich von ihm weitere archai-sche Sakral bauten im griechischen Typus des Oikos, einem repräsentativen Langbau mit zwei hypotaktisch gegliederten Innenräumen und tönerner Ziegelbedachung (Perifanakis 2014; 2013, 74; Isler 2009, 169–174). Kurz vor 500 v. Chr. wurde westlich des Aphro-dite-Tempels eine gewaltige Rampe errichtet. Diese bestand aus einer mehr als 90 cm brei-ten Stützmauer im Trockenmauerverband und mächtigen Hinterfüllungen über den anste-henden älterarchaischen Kulturschichten, die von einer steinernen Schüttung abgedeckt waren. Insgesamt wies die Rampe eine Länge von 19,7 m auf und verband den Altarplatz

Potential zur Erforschung der Interpendenz zwischen kolonialer Machtmatrix und lokaler Rückwendung herauszustreichen.

Kolonialität / Lokalität zwischen 500 und 460 v. Chr.

Der Monte Iato liegt rund 30 Kilometer süd-westlich von Palermo und erhebt sich mit den steilen Felsklippen an seiner Nordseite bis auf 852 m über dem Meeresspiegel (Abb. 3). Mit seiner markanten Nasenspitze im Westen überragt er majestätisch das 400 m unter ihm liegende Tal. Dieses besaß im ca. 35 km lan-gen Fluss Iato einen natürlichen Zugang zur Nordwestküste Siziliens am Golf von Castel-lamare. Und über den Fluss Belice gelangte man zu den Häfen des rund 77 km entfern-ten Selinunt an der südwestlichen Küste. Wohl nicht zuletzt aufgrund dieser verkehrsstrate-gisch zentralen Lage wurde das Hochplateau auf dem Rücken des Monte Iato schon im frühen 1. Jt. v. Chr. besiedelt. Bereits im spä-ten 6. und frühen 5. Jh. v. Chr. erlebte diese

Abb. 3: Der Monte Iato und die Topographie Westsiziliens (Institut für Archäologien der Universität Inns-bruck).

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chaischen Hauses seine engsten architektur-typologischen Parallelen in den Gräbern im sogenannten Dreizellen-Typus in den Nekro-polen der Etruskerstadt Caere (Prayon 1975, 70–74). Dabei erschöpft sich die Parallelität keineswegs allein in der übereinstimmenden Grundriss-Typologie, die durch den korri-dorartigen Querraum zur Erschließung der drei dahinterliegenden Räume definiert wird. Es ist vor allem auch die darüber hinausge-hende Nutzung aller Räume – einschließlich des korridorartigen Querraums – als Klinen-räume, welche die Dreizellen-Gräber in Caere zum Banketthaus-Trakt auf dem Monte Iato nächst verwandt macht. Für den Querraum des iaitinischen Obergeschosses bezeugen dies Reste des roteingefärbten Fußbodens im Kor-ridor des Erdgeschosses, die jeweils eine unter-schiedliche Dicke von entweder 6 oder 10 cm besitzen sowie einzelne wulstartige Über-gangsstücke, die es offenbar als Abschlussfrag-mente eines Klinensockelrandes anzusprechen gilt. Im Fall der caeretanischen Dreizellen-Gräber im Typus D sind es primär die Nach-gestaltung von Klinen und Klinenbändern, die dort eine symposiale Verwendung des korri-dorartigen Querraumes indizieren (Kistler im Druck; Isler 2009, 176–182; Kistler 1997).

Mit seinen repräsentativ ausgestatteten Ban-ketträumen, der Zweigeschossigkeit, Ziegel-bedachung und den großzügig bemessenen Dimensionen verkörpert das spätarchaische Haus eine High-Tech-Architektur, wie sie ansonsten nur in den Metropolen und zen tralen Heiligtümern der damaligen Welt vertreten war. Ein Vergleich mit dem Wohnkomplex einer indigenen Führungsfamilie auf dem benach-barten Monte Maranfusa (Spatafora 2003), macht diese Kluft zwischen mondäner, west-mediterraner Repräsentativarchitektur und lo- kaler Lebens- und Subsistenzweise überaus deutlich (Abb. 4). Passend zur neuen koloni-alen Welt wurde im spätarchaischen Haus im Gegensatz zum Maranfusa beim Bankett auch nicht mehr nach altem Brauch gesessen. Son-

vor dem Aphrodite-Tempel mit dem knapp 3 m höher anstehenden Außenniveau nörd-lich eines sehr großen, mehrräumigen Gebäu-dekomplexes (Kistler / Öhlinger / Steger 2014, 233–237). Dieser monumentale Bau wurde zusammen mit der Rampe kurz vor 500 v. Chr. errichtet. Er besitzt einen L-förmigen Grund-riss, der von Norden nach Süden 17,1 m und von Osten nach Westen 27,3 m misst.

Die ungewöhnliche Grundrissdisposition resultiert aus einem zweigeschossigen Haupt-trakt mit einem 20,8 m langen Korridor, der drei parataktisch angeordneten Rückräumen von 5 m Breite und 6 bis 8 m Länge vorgela-gert ist. An diesen Kernbau schließt im Wes-ten ein eingeschossiger Nebentrakt mit drei Räumen und im Norden ein Lichthof an, die beide gleichfalls über den Korridor 1 erschlos-sen waren. Insgesamt wies dieser mächtige Gebäudekomplex mit seinem zweigeschossi-gen Haupttrakt eine bedachte Nutzungsfläche von mehr als 600 m2 auf, was ihn zu einem der größten Bauten seiner Zeit macht, der kein Tempel war.

Das zweite Geschoss über dem Osttrakt bestand, wie das durch die Grundrissdisposi-tion im Erdgeschoss angezeigt wird, aus einem langen Querraum, der drei dahinter liegende Räume erschloss. Dieser Querraum war von Norden her direkt über das planierte Außen-niveau betretbar, das 2,4 m höher ansteht als das Gehniveau im Korridor des Erdgeschosses (Abb. 1 und 2). Als Festplatz war dieses Außen-niveau über die rund 20 m lange Rampe direkt mit dem Altarplatz verbunden, welcher der Ostfassade des Aphrodite-Tempels vorgelagert war. Dadurch waren die Räumlichkeiten des Obergeschosses unmittelbar in den Kult- und Festbetrieb um den Aphrodite-Tempel ein-gebunden, auch wenn die Räume des Erdge-schosses einerseits dem Bereich des repräsen-tativen Wohnens und andererseits jenem des Lagerns zuzuordnen sind.

Erstaunlicherweise besitzt nun das in den Kult integrierte Obergeschoss des spätar-

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Diese heißt „myttotós“ und enthält Knob-lauch, Lauch, Käse, Honig, Olivenöl und Eier.21

Zu solchen teuren und höchst prestige-trächtigen Gaumenfreuden, wofür die sizili-sche Küche in Athen schon im 5. Jh. v. Chr. berühmt war (Dalby 1996, 16–124), passt in den Banketträumen des spätarchaischen Hau-ses auch die Konsumption von schwarz- und rotfigurigen Spitzenstücken aus Athen. Dazu zählen insbesondere der rotfigurige Kantha-ros des Syriskos, der Deckel der Pyxis des Tali archos, die Schale des Chaireas-Schale-Malers22 und das Wandfragment einer rotfi-gurigen nikosthenischen Pyxis (Abb. 5; Kist-ler et al. im Druck).23 Dass dies nicht allein

dern man lag im Habitus des eleganten Sym-posiasten auf einer kunstvollen Kline, wie es um 500 v. Chr. der haut culture der Eliten rund um die Küsten des Mittelmeers entsprach. Hinzu kommt eine überraschend raffinierte Küche. Dies indizieren zum einen Reibeisen, die nicht nur im iaitinischen Obergeschoss-Schutt, sondern überall entlang den Küsten des Mittemeers in Elitegräbern und sakralen Machtzentren zutage traten (Kistler 2014b, 191–192; 2009). Zum anderen kamen im Kanal des Korridors Zubereitungsabfälle wie Eierschalen, Austernschalen, Seeigelstachel und Schuppen von Meeresfischen zum Vor-schein (Forstenpointner / Weißengruber im Druck). Ob diesen Zubereitungsarbeiten auch die auffallend vielen Oliven- und Trauben-kerne zuzurechnen oder allein auf den Genuss importierter Oliven und Trauben zurückzu-führen sind, lässt sich aufgrund ihrer Ablage-rung in den Sedimenten des Kanals nicht mehr feststellen (Thanheiser im Druck). Auf alle Fälle erinnern aber diese archäobotanischen und -zoologischen Kanalfunde in Kombina-tion mit dem Reibeisen an eine Dip-Sauce, deren Genuss Anianus zu Fischen anempfiehlt.

21 Dalby 1996, 107; 244 mit Anm. 48 mit Hinweisen auf die antiken Quellen.22 K 26121, K 22753, 17058; zu diesen drei attisch frührotfigurigen Gefäßen auch in Hinblick auf ihre Malerbestimmung siehe ausführlich Trenkwalder (im Druck) und Isler (2009, 197–202).23 Im Übrigen sind auch Augenschalen des Charter-house-Malers wie K 17113 und Werke des Theseus-Malers, wie der Skyphos I-K 666, exklusive Gefäße und stellen bisher im Westen des Mittelmeerraums absolute

Abb. 4: Rekonstruktion des archaischen Einheimischensitzes im Campo A auf dem Monte Maranfusa, 550–480 v. Chr. (Spatafora 2003, 70 Abb. 93).

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Zwischen Lokalität und Kolonialität 205

ritzverzierten und attisch rotfigurigen Gefä-ßen divergierende Vernetzungspolitiken und Reichweiten der binnenländischen Kult- und Festplätze verbergen, gilt es nun noch etwas genauer auszuloten.

Bereits der Blick auf eine Karte mit den Fundorten früher attisch-rotfiguriger Kera-mik zeigt, dass es sich bei ihr um ein äußerst rares Gut handelt (Abb. 6). Denn nur gerade an zwölf von 76 bekannten Siedlungsplätzen des west- und mittelsizilischen Binnenlandes sind rotfigurig verzierte Scherben spätarcha-ischer und frühklassischer Zeit ans Tageslicht gekommen.24 Selbst im Fall einer bedeuten-den Kolonie wie Agrigent gibt es Kultbezirke

dem Fundzufall zuzuschreiben ist, lehrt auch die Absenz des frühen Attisch-Rotfigurigen auf dem Monte Maranfusa (Spatafora 2009, 741–742) und im Kriegergrab von Montagna di Marzo (Albanese Procelli 2006, 111–115). Inwieweit sich hinter diesen auffälligen Absen-zen respektive Präsenzen von einheimisch

spätschwarzfigurige Raritäten dar (Kistler / Öhlinger /Steger 2014, 250–251; Isler 2009, 187–197).24 Siehe hierzu die einschlägigen Beiträge von E. De Miro, A. Calderone / E. Tramontana, N. Allegro / M. Chiovoro / M. C. Parello, M. de Cesare, C. Greco / V. Tardo, R. Panvini und F. Spatafora in Fortunelli / Mas-seria 2009.

Abb. 5 a–c: Attisch frührotfigurige Importe aus dem Zerstörungsschutt des spätarchaischen Hauses. d: Wandfragment einer attisch-rotfigurigen Nikosthenischen Pyxis aus dem Depot auf dem Außenniveau (Institut für Archäologien der Universität Innsbruck).

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Erich Kistler206

21 Fragmente vom raren Früh-Rotfiguri-gen ans Tageslicht (Müller / Rösch 2012, 212; Greco / Tardo 2009; Paoletti 1996).

Die Gestalt eines solchen interregionalen Heiligtums mit möglichem Emporion-Cha-rakter weist letztlich auch der Kultbezirk um den Aphrodite-Tempel auf dem Monte Iato auf (Abb. 1). Denn um 480 v. Chr. waren dort die drei Oikos-Bauten K, M25 und N lose um den Altar vor dem Aphrodite-Tempel gruppiert (Isler 2009, 170). Die insgesamt vier repräsen-tativen Sakralbauten attestieren der iaitinischen Kultstätte zweifellos eine überregionale Bedeu-tungsdimension. Wie in den griechischen Küs-tenstädten geht daher der Konsum des frühen attisch-rotfigurigen Geschirrs auch an diesem binnenländischen Kultbezirk mit der Funktion

wie etwa die area sacra an der Rupe Atenea oder das santuario extra-urbano di Sant’Anna, in denen ebenfalls keine frühe attisch rotfigurige Keramik zu liegen kam. Im Gegensatz dazu steht die beachtliche Präsenz des frühen Rot-figurigen, darunter eine Schale des Erzgie-ßerei-Malers, im Temenos für die sogenann-ten Chthonischen Gottheiten westlich jenes Stadttores von Agrigent, das zur Küste hin-abführt (Trombi 2009). Mit seinen 15 Altären und drei megaronartigen Sakralbauten erin-nert dieser ummauerte Kultbezirk unmittelbar an die herodoteische Schilderung des emporion in Naukratis (Herodot 2.178; zum Chtho-nischen Heiligtum siehe Hinz 1998, 79–90). Einen solchen Eindruck erweckt mit seinen Altären, Bothroi und Megaronbauten auch das Demeter-Malophoros-Heiligtum in Selinunt, in dem Reisende sich unter dem Schutz der Altäre treffen, austauschen und gemeinsame Gastmähler abhalten konnten. Wohl kaum zufällig kamen auch in diesem Kultbezirk

25 Neueste Nachuntersuchungen stellen allerdings die Interpretation dieser breiten und mächtigen Mauer-züge als Oikosbau wieder in Frage (Perifanakis 2014).

Abb. 6: Fundplätze von attisch-rotfigurigen Importen der frühen Produktionszeit (510–480 v. Chr.) (grau) und bezeugte einheimische Siedlungsplätze in West- und Mittelsizilien (schwarz) (Institut für Archäolo-gien der Universität Innsbruck).

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handwerkliches Können, das ohne die Töp-fertechnologie des frühen 5. Jh. v. Chr. mit schnell drehender Töpferscheibe und Brenn-ofen undenkbar ist. Insofern dokumentiert also der auf Alt gemachte Incisa-Trinkbecher einen ganz bewussten Rückgriff auf die Welt der Ahnen und Vorfahren aus einer vorkoloni-alen Zeit (Hoernes im Druck; Kistler / Öhlin-ger / Steger 2014, 253–254). Dies aber tut er bei seinem Gebrauch in einem architektoni-schen und sozialen Umfeld, wo die Dichte der Kontakte und des Kulturtransfers mit Grie-chen so groß ist, wie sonst nirgendwo auf dem spät archaischen Iato.

Dieses scheinbare Paradoxon, das die mate-rielle Manifestation indigenen Traditionalis-mus und das Ambiente höchsten Hellenisie-rungsgrades im gleichen architektonischen Raum verortet, lässt sich am ehesten als ein Sowohl-als-Auch begreifen: Gerade dort, wo die kulturelle Beeinflussung durch das Grie-chische am größten ist, ist die Rückbesinnung auf die eigene Herkunft als Indigener offenbar am stärksten.

Dieser Umstand identitärer Resistenz gegen- über dem Griechischen, den die lokalen Eli-

eines interelitären Begegnungs- und Kommu-nikationszentrums einher. Diese interregiona-len Zentren sind schließlich die Knotenpunkte im transmediterranen Netzwerk der Eliten in der archaischen Mittelmeerwelt. Über sie wer-den Gastfreundschaften, politische Koalitio-nen, Güter, Moden und Ideen immer wieder neu ausgehandelt und transferiert.

Die janusartige Kehrseite des frühen Rot-figurigen bildet im Fall des spätarchaischen Hauses der Gebrauch von ritz- und stempel-verzierter Keramik, die eigentlich dem kul-turellen Horizont des späten 7. Jhs. v. Chr. entspricht und so im frühen 5. Jh. einen aus-geprägten Traditionalismus ausstrahlt. Dies gilt insbesondere für die Fragmente eines trichter-förmigen Incisa-Bechers, dessen Fragmente (K 26018 und I-K 418) im Obergeschoss-Schutt mit den Scherben des Skyphos des Theseus-Malers fundvergesellschaftet waren. Einerseits weisen Form und Dekor dieses indigenen Trinkgefäßes zweifellos auf das lokalkultu-relle Gesicht des 7. Jhs. zurück. Andererseits bezeugen die feine Magerung des Tones, der überaus harte und gleichmäßige Brand sowie die tektonisch wirkende Formgebung ein

Abb. 7: Ritzverzierter Trichterbecher des späten 6. bzw. frühen 5. Jhs. v. Chr. aus dem Zerstörungsschutt des Obergeschosses des spätarchaischen Hauses (Institut für Archäologien der Universität Innsbruck).

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mählern nach offenbar traditionellem Ritus (Opferfleisch von Hirschen, Rindern, Schafen und Ziegen zusammen mit Weizenbrot und Gerstenkuchen; dazu Forstenpointner / Weis-sengruber im Druck; Thanheiser im Druck) sowie einem tönernen Votivhorn in der Opfer-grube auf dem Festplatz vor dem Banketthaus rituell bestattet. Bezeichnenderweise fand sich unter diesen keramischen Opferrückständen kein einziges Fragment eines griechischen Gefäßes. Im offenbar religiös übersteigerten Ethnizitätsgefühl der lokalen Bevölkerung hatte das Griechische gar keinen Platz (Kistler et al. im Druck).

Abschließend lässt sich für die Figuration des kontrakulturellen Wechselspiels zwischen Kolonialität und Lokalität während des späten 6. und frühen 5. Jhs. v. Chr. folgende Bilanz ziehen: Die Inszenierung archaisch-indige-ner Riten und die Manifestation kolonialer (Belohnungs-)Macht im Innern des spätar-chaischen Hauses bildet offenkundig eine

ten Westsiziliens bei der Bildung ihrer bin-nenländischen Machtbasis zweifellos mitzube-rücksichtigen hatten, gibt schließlich auch ein Depotfund zu erkennen, der auf dem Festplatz unmittelbar vor der Eingangsfront zu den Banketträumen des spätarchaischen Hauses gemacht werden konnte (Abb. 1 und 8). Kon-kreter geht es um die darin zutage getrete-nen Scherbenfunde. Bei ihnen handelt es sich nämlich um Auslesestücke von ritzverziertem Zeremonialgeschirr, das bekanntlich der matt-bemalten Keramik vorausging und eben ins späte 7. und frühe 6. Jh. v. Chr. datiert. Wie aber durch die Scherbe einer rotfigurigen nikosthe-nischen Pyxis aus Athen (Abb. 5d) angezeigt wird, die mitten in der Schicht unmittelbar unter dem Depot lag, erfolgte die intentionelle Zerscherbung dieser jahrhundertealten Ritz-keramik erst im frühen 5. Jh. anlässlich eines Opferfestes. In ausgewählten Einzelstücken wurde dieses Ahnengeschirr dann zusammen mit Überresten und Auslesen von Opfer-

Abb. 8: Sammelscherbenaufnahmen des Depotfundes (Institut für Archäologien der Universität Inns-bruck).

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Mit dem Kollaps der kolonialen Machtmat-rix um 470 / 60 v. Chr.27 kam es auf dem Monte Iato zu einer nachhaltigen Rückwendung zu lokaler Authentizität und traditioneller Auto-rität. Dabei wurden das spätarchaische Haus und mit ihm zusammen wohl auch der Aphro-dite-Tempel sowie die umliegenden oikoi ritu-ell zerstört (Kistler im Druck). Noch später zog dieses Zerschlagen der kolonialen Macht-strukturen offenbar eine so drastische Hete-rarchisierung, Dezentralisierung und Anti- Monumentalisierung nach sich, dass die klassi-sche Siedlungsphase auf dem Iato weitgehend materiell unsichtbar geblieben ist (Russen-berger 2010). Erst im Zuge der karthagischen Epikratie kam es während des späten 4. und vor allem in der 1. Hälfte des 3. Jhs. v. Chr. zum erneuten kolonialen empowerment, das den Wiederaufbau der alten archaischen Tem-pel zur Folge hatte (Isler 2012; 2011).

Kolonialität / Lokalität zwischen 300 und 100 v. Chr.

Die Wiedererrichtung und erneute Benut-zung der alten Tempel belegen die Kontinu-ität eines lokalen Kult-Gedächtnisses von der Archaik bis in den Hellenismus (Isler 2009, 169; 175; Isler 1984, 59–60). Wie die Träger dieses Lokalgedächtnisses während der iaiti-nischen dark ages von 460 bis 300 v. Chr. sie-delten (Käch 1997, 50–51), lässt sich bisher nur anhand des Wohnkomplexes südwestlich des Peristylhauses II aufzeigen (Abb. 9). Des-sen Anfänge liegen in den Kulturhorizonten des 6. Jhs. v. Chr. begründet, auf die aber bis spätestens im frühen 3. Jh. v. Chr. verschiedene Umbau- und Überbauungsphasen folgten (Russenberger 2014; 2012). Diese Hausstelle wurde unter Anwendung derselben Opfer-

kulturelle Strategie sozialer Distinktion: sie grenzt die neue koloniale Elite drinnen von den ‚alten‘ Autoritäten draußen auf dem Fest-platz ab. Dies gibt sich primär im archäolo-gischen Befund des Benutzungshorizontes des Festplatzes vor den Banketträumen des Obergeschosses zu erkennen. Erstens sind dort Importkeramiken, die in den Banketträumen gleich zu Hunderten zum Vorschein gekom-men sind, praktisch absent;26 zweitens fand sich ein präkolonial anmutendes Depot, das frühes-tens um 500 v. Chr. auf dem Festplatz angelegt worden war, aber anstelle von üblichen Impor-ten nur ‚vorkoloniale‘ Keramik des 7. und frü-hen 6. Jhs. v. Chr. beinhaltete. In diesem Depot konnten bezeichnenderweise auch nur Rück-stände traditioneller Gerichte diagnostiziert werden, wohingegen im Innern des spätarcha-ischen Hauses Küchenabfälle von kolonialen, jedenfalls mit logistischem Beschaffungsauf-wand verbundenen Spezialitäten wie Oliven, Trauben, Eier, Meeresfische, Seeigel und Dip-Saucen zu beobachten waren (Forstenpoint-ner / Weissengruber im Druck; Thanheiser im Druck). Im Gegensatz zur kolonialen Welt, welche das Innere der Banketträume prägte, war der identitäre Habitus auf dem Festplatz auf traditionelle Autorität und Lokalität aus-gelegt. Auf diese lokal-autoritative consumpti-onscape, an die eine Absenz des Kolonialen als Impuls der Machtzerschlagung gekoppelt ist, antworten im Innern der Banketträume archa-isierende Riten und Keramiken. Diese sollten offenbar dazu dienen, über das Reenactment der Kultherrschaft der ‚Alten‘ einen unmit-telbaren Bezug der ‚ jungen‘ Machtaspiranten im kolonialen Drinnen zur Gefolgschaft der ‚alten‘ Clans auf dem Festplatz draußen her- und sicherzustellen (vgl. auch Kistler 2014a, 97–99; Kistler 2010, 79–86).

26 Abbildungen und Auflistung der entsprechenden Fragmente mit Inventarnummern siehe Kistler et al. (im Druck).

27 Zur Krise Westsiziliens in der zweiten Hälfte des 5. Jhs. v. Chr. umfassend S. Vasallo (2000).

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Aphrodite-Tempel und spätarchaischem Haus aus? Traten dabei die beiden Peristylhäuser I und II das koloniale Erbe des spätarchaischen Hauses an, indem sie in ihrem Innern die koloniale Welt und die lokalelitäre Anteilhabe daran mit ihren Säulenhöfen und im 1. Stil stuckierten Banketträumen prunkvoll zur Schau stellten? Welche Rolle spielte dabei das hellenistische Banketthaus westlich des Aphro-dite-Tempels (Kistler / Öhlinger / Steger 2014, 238–240)? Und last but not least: wie verhält sich zu all dem die Wiederbenutzung und der Umbau des spätarchaischen Hauses um 270 v. Chr. zu einem eher ärmlicher ausgestatteten Hofhaus (Kistler 2014b)? Wie dicht oder eher ausgedünnt war in diesem Hofhaus die Welt des Kolonialen im Vergleich zum benachbar-ten Peristylhaus I? Wohnten darin gewöhn-liche Einheimische, die noch kurz zuvor wie jene im hüttenartigen Wohnkomplex westlich des Peristylhauses II siedelten? Und sind dann nur die Kernfamilien der neuen chiefs in die

rituale wie bei der rituellen Zerstörung des spätarchaischen Hauses um 250 v. Chr. aufge-lassen (Russenberger 2011, 89–91). Dadurch wurde in seinem Auflassungsschutt die lokale Lebensart mit ihrer traditionellen Keramik und Küche rituell ‚eingefroren‘ (Russenberger 2010) und zwar zu einem Zeitpunkt, als Kolo-nialität und empowerment auf dem Iato erneut zu dominieren begannen, wie der Bau impo-santer Peristylhäuser, das Anlegen der Agora mit ihren Hallen und Ratshäusern sowie die Errichtung des Theaters bestens bezeugen (Abb. 10; Isler 2012; 2011). Es ist wohl sogar von einer neugegründeten Stadt auszugehen, die nach dem Vorbild der hellenistischen Polis organisiert war und deren Elite der griechi-schen Sprache mächtig war (Taeuber 2003; Isler 1994; Müller 1976). Doch wie war diese Hellenisierung unter der historischen Figu-ration der karthagischen Epikratie überhaupt möglich? Wie wirkte sich dieser erneute kolo-niale Prozess auf Kult und Leben zwischen

Abb. 9: Archaisch / frühhellenistischer Wohnkomplex westlich des Peristylhauses II (Institut für Archäolo-gie der Universität Zürich).

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Zwischen Lokalität und Kolonialität 211

Aphrodite-Tempel gab, der zwischen 550 und 525 v. Chr. errichtet worden war? Denn über-regionale Kult- und Festaktivitäten können in diesem Bereich bis ins 7. Jh. oder vielleicht gar 8. Jh. v. Chr. nachgewiesen werden (Isler 2009, 141–144). Doch wie verhält und gestaltet sich im Vergleich zu diesem kultischen Zentrum, in welchem überregionale Vernetzung und externe Einflüsse schon früh wirkungsmäch-tig sind, die Konsumption des Lokalen und Traditionellen in den umliegenden kontem-porären Kultur- und Siedlungsschichten? Und wie konnte es gerade in diesem kultischen Bereich auf dem an sich konservativen Feld der Religion mit dem Bau des Aphrodite-Tempels zum monumentalen Durchbruch des Kolonialen kommen? War dazu vorher bereits ‚Glas und Tand‘ der Phönizier notwendig, das bereits ab dem späten 8. Jh. v. Chr., also noch in ‚präkolonialer‘ Zeit, eine ortskonstante Siedlungsweise der Indigenen auf dem Hoch-

Peristylhäuser eingezogen? Weshalb wurde der gesamte Bereich zwischen Aphrodite-Tempel und spätarchaischem Haus kurz nach dem Zweiten Punischen Krieg ohne Rücksicht auf ältere Hausstellen neu parzelliert? Wird damit eine neue Figuration von Kolonialität ange-zeigt, nämlich die römische Okkupation? All diesen Fragen gilt es in künftigen Forschun-gen systematisch nachzugehen.

Kolonialität / Lokalität zwischen 700 und 500 v. Chr.

Die Figuration der janusköpfigen Koloni-alität / Lokalität ist für die Zeit vor dem ers-ten kolonialen Kulminationspunkt auf dem Iato, also für die Zeit vor 500 v. Chr., nahezu unerforscht. Umso mehr Bedeutung kommt daher dem FWF-Projekt „Zwischen Aphro-dite-Tempel und spätarchaischem Haus II“ in den kommenden Jahren zu.28 In dessen Fokus stehen Fragen wie: Welche Rolle spielte das sozio-religiöse Feld zwischen Aphrodite-Tem-pel und spätarchaischem Haus, bevor es das spätarchaische Haus, ja bevor es überhaupt den

28 http: // www.uibk.ac.at / zentrum-alte-kulturen /fwf-p22642-g19 / (29.9.2014).

Abb. 10: Zentrum und Westquartier der hellenistischen Polis auf dem Monte Iato, 300 v. Chr.–50 n. Chr. (Institut für Archäologie der Universität Zürich).

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Erich Kistler212

bildete weniger ein Kulturkontaktmodell, das derzeit in akademischen Debatten oder politi-schen Diskursen besonders virulent wäre. Viel-mehr war und ist es der archäologische Befund beziehungsweise das zu Beginn beschriebene kulturmaterielle Paradoxon. Dieses führte uns zur (post)kolonialen Archäologie Lateinameri-kas und der „Epistemologie des Südens“, um daraus für die koloniale Kontaktzone ‚Westsi-zilien‘ eine konsumarchäologische Alternative abzuleiten, welche in Kombination mit der Perspektive des „kulturellen Akteurs“ (Kist-ler / Ulf 2012) die Komplexität der materiellen Befunde auf dem Monte Iato in ihrem Zustan-dekommen besser zu erklären vermag als bis-herige Modelle. Inwieweit diese Alternative auch wirklich neue beziehungsweise andere Einsichten hinsichtlich einer Anthropologie des Kolonialismus30 zu eröffnen vermag, soll die künftige Forschung auf dem Monte Iato zeigen.

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Conclusio

Auch wenn viele Fragen aufgrund des derzeiti-gen Forschungsstandes noch offenbleiben müs-sen, so zeigen die ergrabenen Befunde zwischen Aphrodite-Tempel und spätarchaischem Haus schon jetzt, dass Jonathan Hall völlig zu Recht ein neues Erklärungsmodell einfordert, „that takes adequate account of both active agency and historical contingency and offers a more dynamic characterization of culture as con-tinuously and situationally constructed“ (Hall 2012, 34). Die Erprobung und Weiterentwick-lung eines solchen Modells wird und soll auch künftig auf dem Iato über die Annahme einer janusartigen Figuration von Kolonialität und Lokalität vorangetrieben werden. Dabei sollen Kolonialität und Lokalität als zwei kontrakul-turelle Strategien ein- und desselben lokalen Machtdiskurses in kolonialen Kontaktzonen begriffen werden. Dadurch kann an einem bin-nenländischen Siedlungsplatz wie dem Iato auf die Fundansprache ‚indigen‘ genauso verzich-tet werden wie auf das schon länger umstrittene Label des ‚Griechischen‘.29 Als Alternativen zu den Termini und Etiketten ‚griechisch‘ und ‚indigen‘ fungieren die Kategorien ‚Kolonia-lität‘ und ‚Lokalität‘. Diese richten den Fokus primär auf den Gebrauch von Importen und Lokalprodukten aus der emischen Perspektive binnenländischer Fundvergesellschaftung. Im Vordergrund steht also eine Sozialarchäolo-gie zur innergesellschaftlichen Konfliktdyna-mik zwischen Machtbildung und Machtni-vellierung – was in kolonialen Kontaktzonen bedeutet: zwischen Kolonialität und Lokalität. Den Ausgangspunkt zu diesem Analysekonzept

30 Dietler 2010, 10: „Colonialism is not a process that takes place, or can be explained, at the level of abstract structures, especially crudely economic ones. It is an active, historically contingent process of creative appro-priation, manipulation, and transformation played out by individuals and social groups with a variety of com-peting interests and strategies of action embedded in local political relations, cultural perceptions, and cos-mologies.”

29 Kistler 2012, 221–225; Giangiulio 2010; Antonac-cio 2010, 31–34; Hodos 2009, 224–228.

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Alteritäten und Identitäten.Perspektivenwechsel in der Frühmittelalterarchäologie

Sebastian Brather

scheidung zwischen Franken und Alemannen. Es gilt, ‚Stämme‘ und ‚Völker‘ anhand ihrer Sachkultur voneinander zu unterscheiden.

Alteritäten werden auf diese Weise also im frühen Mittelalter ausgemacht und zwar zwi-schen damaligen politischen Gruppierungen und kulturellen Räumen. Identität scheint man dagegen in der Gegenwart zu empfin-den, wenn es um wissenschaftliche Unter-suchungen zur Merowingerzeit geht. Bevor auf diese Perspektiven einzugehen ist, müs-sen erstens der Begriff der ‚Identität‘ und ihr Pendant, die ‚Alterität‘, umrissen werden. Nach einem Überblick über die erwähnten, hier aushilfsweise ‚kulturhistorisch‘ genannten Ansätze zweitens, folgt drittens eine Skizze zu alternativen Konzepten, die in den letz-ten beiden Jahrzehnten etabliert worden sind. Diese kehren den Blick gewissermaßen um und betrachten das Frühmittelalter insgesamt zunächst als prinzipiell ‚fremd‘ und analysie-ren dann Identitätsgruppen in der Vergangen-heit. In einem abschließenden Vergleich seien viertens moderne ebenso wie antike Außen- und Innenperspektiven gegenübergestellt, um die Gegensätzlichkeit beider Perspektiven zu betonen.

„Perspektiven auf das Andere“ zu eröffnen, ist das Anliegen kulturgeschichtlicher Forschung. Das ‚Andere‘ dient dabei zugleich der Selbstre-flexion, die wie in einem Spiegel das ‚Eigene‘ deutlicher werden lässt. Die mitteleuropäische Frühmittelalterarchäologie nimmt traditionell sowohl das Eigene als auch das Fremde in den Blick. Wie dies ein großer Teil von ihr tut, ist methodisch und wissenschaftsgeschichtlich aufschlussreich. Zum einen wird die Merowin-gerzeit oft nicht als kulturell ‚fremd‘ wahrge-nommen, sondern werden in ihr die ‚eigenen‘, d. h. die modernen politischen Verhältnisse gespiegelt. Stellvertretend lässt sich auf die Mannheimer, Pariser und Berliner Ausstellung über die Franken als „Wegbereiter Europas“ 1996 / 1997 verweisen, die ein „multikulturel-les“ Merowingerreich verschiedener „Völker“ präsentierte. Dieses Reich ähnelte erkennbar der Europäischen Union, die sich als Europa der Regionen versteht. Zum anderen inter-pretiert man häufig Unterschiede in der Sach-kultur – v. a. Kleidungsbestandteile und Grab-formen, aber auch Waffen und Gefäße – als Beleg für jeweils ‚Andere‘ in der Merowin-gerzeit. Darauf beruht letztlich die ethnische Deutung in der Archäologie – z. B. die Unter-

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Sebastian Brather220

ser Natur gehören ebenso dazu wie ethnische oder regionale Netzwerke. Deren Vielfalt lässt erkennen, wie komplex Identität(en) Einzelner nicht nur sein können, sondern tatsächlich sind.

Damit sind soziale Gruppen angesprochen. Sie können nur existieren, wenn sie auch eine Identität ausbilden. Das hat seinen Grund darin, dass die tatsächliche Unterschiedlich-keit der Gruppenangehörigen überdeckt wer-den muss, um Zusammenhalt zu erreichen. In vielfacher Hinsicht – lässt man die herausge-stellte Zuschreibung einmal beiseite – beste-hen Unterschiede, seien sie durch Geschlecht, Alter, Familie, Besitz oder ähnliches bestimmt. Je nach Kontext werden sie jedoch zielgerich-tet ausgeblendet, weil eine andere Zuordnung im Vordergrund steht und sie als zweit- oder drittranging erscheinen lässt. Komplexe Über-lagerungen sind typisch. Individuen gehören ja nicht nur zu einer Gruppe, sondern gleich-zeitig zu verschiedenen. Daraus ergeben sich Probleme, aber Widersprüche müssen ‚ausge-halten‘ werden, weil sich Identitätsüberlage-rungen nicht vermeiden lassen. Welche Identi-tät jeweils betont wird, hängt von der aktuellen Situation ab. Andere Zuordnungen werden dann zeitweise nachrangig, können aber rasch aktualisiert und vorgebracht werden.

Identität kann sich nur entwickeln, wenn es Andere gibt, zu denen Unterschiede betont werden. Sie braucht den Spiegel, in dem man sich erkennt. Analytisch nennt man diese Eigenschaft des Gegenübers Alterität. Erst durch sie lässt sich eine Vorstellung von den eigenen Kennzeichen gewinnen, die wiederum der Gruppe nach innen Festigkeit und Dauer verleihen sollen. Die klassischen Griechen etwa wurden sich jenseits ihrer zahlreichen Poleis, auf die sie sich zuvor besonnen hatten, erst in der Konfrontation mit den Persern um 500 v. Chr. ihres ‚Griechentums‘ bewusst. Das dabei entwickelte Perserbild – die von den Griechen konstruierte Alterität – entsprach kaum einer nuancierten Betrachtung, sondern einem schwarz-weiß gefärbten Feindbild oder

Identität als komplexe Balance: zwischen Fragmentierung und Totalität

Aufsätze und Bücher zu „Identität“ sind heute nicht mehr zu überblicken. Zu viel ist pu bliziert, zu viele Überlegungen sind ange-stellt worden. Mit Lutz Niethammers volu-minöser Studie zur kollektiven Identität ist außerdem offenbar geworden, auf welche „heimlichen Quellen“ die „unheimliche Kon-junktur“ des Begriffs zurückgeht (Nietham-mer 2000). Er sollte weder zu ‚hart‘ (essentia-listisch) noch zu ‚schwach‘ (konstruktivistisch) verwendet werden, so dass sich analytisch auch die genauere Untersuchung von „Identifika-tion und Kategorisierung, Selbstverständnis und soziale[m] Standort, Gemeinsamkeit und Verbundenheit“ empfiehlt (Brubaker 2007, 13). Dennoch dürfte der Begriff bei reflektier-tem Gebrauch manchen analytischen Gewinn versprechen können. Seine Bedeutung liegt gerade darin, dass er die Behauptung von Identität betont. Der Anschein verdeckt und soll verdecken, dass dahinter nicht unerhebli-che Differenzen existieren, die aus bestimm-ten Gründen in spezifischen Situationen und nach außen negiert werden (sollen). Identitä-ten stellen Zuschreibungen und damit „soziale Konstruktionen“ dar, die nichtsdestotrotz von einiger Bedeutung und Brisanz sind. Ohne sie gibt es keinen sozialen Zusammenhalt (vgl. zum Folgenden Brather 2004, 97–117; 2012a; 2012b).

Zunächst sind es Individuen, die eine Iden-tität besitzen. Das gilt in ganz direkter Weise, indem Jede und Jeder einzigartig – mit sich identisch – ist. Jenseits dieses wörtlichen Wort-gebrauchs nehmen Einzelne Rollen in spezifi-schen sozialen Kontexten ein. Sie entstammen einer Familie, über die sich Verwandtschaft definiert. Damit können Prestige oder Status verbunden sein; des Weiteren sind Geschlecht und Alter wichtige Bezüge, die über Identi-täten mitentscheiden. Einbindungen religiö-

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Alteritäten und Identitäten 221

von Identität sein, die sozialen Zusammenhalt ermöglicht und damit zentrale Bedürfnisse gesellschaftlicher Gruppen erfüllt. Zuordnun-gen und Abgrenzungen folgen auch Interes-sen. Sie sind nicht einfach vorhanden oder haben sich unbewusst entwickelt. Dann besä-ßen sie nicht die Bedeutung, die sie für soziale Gruppen und Gesellschaften haben. Sie sind inte ressengeleitet; man verfolgt Ziele, und um diese zu erreichen, sind Zuschreibungen von Nutzen. Einer je nach Kontext stärke-ren Gruppe anzugehören, verschafft Vorteile – Ressourcenzugang, Status, Besitz. Deshalb werden Identitäten zielgerichtet eingesetzt, und sie können sich mit sich wandelnden Interessen ebenfalls verändern.

Das lässt sich verallgemeinern. Bedeutung gewinnen Identitäten erst, wenn sie ausge-drückt und vorgeführt werden. Man kann sie nicht für sich behalten, wenn sie Relevanz erlangen sollen. Dann muss man sich – und das heißt wiederum angemessen und situations-abhängig – so verhalten, dass Zugehörigkeiten und Abgrenzungen sichtbar werden (können). Ihre Wahrnehmung und Anerkennung ent-scheiden dann über den Erfolg. Man könnte das als Performanz charakterisieren – als auf Wirkung bedachte Vorführung. Zugleich ist damit gesagt, dass spezifische Handlungen, Habitus oder Symbole den Ausschlag geben, wo Grenzen gezogen und welche Zuord-nungen betont werden. Zur Unterscheidung geeignete Kennzeichen steigert man in ihrer unterscheidenden Bedeutung bzw. Wirkung – sie werden instrumentalisiert und ‚ideo-logisch‘ überhöht. Sie dienen einer klaren Grenzziehung, wo tatsächliche Unterschiede durch Nachbarschaft und Kontakt oft recht gering sind, und sie marginalisieren Binnen-differenzen, die in anderen Kontexten eine große Rolle spielen können. Ethnizität „wirkt nicht nur, ja nicht einmal besonders, in und durch abgegrenzte Gruppen, sondern in und durch Kategorien, Schemata, Begegnungen, Identifikationen, Sprachen, Geschichten, Ins-

einer ‚Gegenwelt‘. Auch in anderen Fällen wie z. B. der römischen Barbarenethnographie verrät die Außenperspektive mehr über die Beobachter als über die tatsächlichen Verhält-nisse bei den Beobachteten (Dauge 1981).

Damit sind Innenansichten und Außen-wahrnehmung eng verknüpft, jedoch in einem ‚reziproken‘ Verhältnis. Beide bedingen einan-der, wobei eine Fremdzuordnung wenig über das tatsächliche Selbstbild der Beschriebenen aussagt. Denn sie stützt sich nicht auf deren Maßstäbe, sondern auf diejenigen der Beob-achter. Sie kann deren Identität über kurz oder lang beeinflussen, wenn es sich um ungleiche Machtverhältnisse oder um langfristige Kon-taktsituationen handelt. Identität wiederum nutzt die Fremdwahrnehmung, um das Eigene herauszustellen. Diese Wahrnehmung stützt sich auf Kategorisierungen, Ordnungsmuster und Stereotype (Brubaker 2007, 107–115).

Identitätskonstruktionen sind stets von der Situation bestimmt, in der sie entstehen bzw. aufgegriffen werden. Individuen agieren je nach Kontext verschieden, denn es kommt jeweils darauf an, sich ‚richtig‘ zu verhalten. ‚Richtig‘ bedeutet, dass in der spezifischen Situation Abgrenzung und Zuordnung funk-tionieren müssen. Im familiären Zusammen-hang gelingt dies auf andere Weise als in der Öffentlichkeit, die wiederum anderen Regeln und Erwartungen als im beruflichen Kontext oder bei kulturellen Ereignissen folgen. Situ-ativität betrifft aber ebenso das Agieren von Gruppen. Sie können Sprache oder Habitus, kulturelle Merkmale, soziale oder religiöse Unterschiede zum Anlass nehmen, Differenz oder Zusammengehörigkeit herauszustellen.

Dabei werden die Einen in die Gruppe ein-geschlossen, und das bedeutet zugleich den Ausschluss von Anderen. Das Ziehen von Grenzen besitzt zwangsläufig diesen Doppel-charakter. Ähnlich wie Identität und Alteri-tät gehen Inklusion und Exklusion Hand in Hand und sind nur in der Kombination denk-bar. Primär dürfte es die integrative Wirkung

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Sebastian Brather222

Die eigene Gesellschaft stand im Mittelpunkt, war aber weitaus überschaubarer und ‚natür-lich‘ im Zentrum angesiedelt; das entsprach den eigenen Maßstäben.

Dem Bochumer Sozialpsychologen Jürgen Straub verdanke ich neue Einsichten dazu, wie Identität sozialwissenschaftlich einzuordnen ist und welche Bedeutung sie für Gesellschaf-ten, Gruppen und Einzelne besitzt. Straub (2004) zufolge kann man sich Identität, wenn sie die Einheit von Differenzen bewerkstel-ligen soll, auf einer weiten Skala vorstellen (Abb. 1). Deren Enden bilden Extreme, die nur theoretisch denkbar, aber in der sozialen Praxis unmöglich sind. Ein Skalenende wäre durch vollständige Fragmentierung charakte-risiert, so dass kulturelle und soziale Differen-zen jeder Art nicht überbrückt würden – eine derart zersplitterte Gesellschaft könnte nicht existieren. Ebenso unrealistisch erscheint das andere Extrem, bei dem die Differenzen nivel-liert und totale Gleichheit erreicht wäre; auch dies ist ‚praktisch‘ und historisch unmög-lich. Dennoch ist Identität nicht statisch, sta-bil und fest – ihr Ort auf der abstrakten Skala ist mobil. Straub macht auch deutlich, dass die beiden Skalenenden zugleich modernen gesellschaftspolitischen Modellvorstellungen nahe kommen. Totalität – oder anders gesagt: Homogenität – weist Übereinstimmungen mit

titutionen, Organisationen, Netzwerke und Ereignisse“ (Brubaker 2007, 12). Vielmehr lässt sich analytisch „Ethnizität als Form des Ver-stehens, Interpretierens und Einordnens von Erfahrung“ analytisch verstehen (ebd. 127). Sie bedeutet die politische Mobilisierung kul-tureller Differenz(en), und in dieser Grund-sätzlichkeit gerät sie zur nicht zu hintergehen-den Absolutheit oder Unveränderlichkeit – im Konfliktfall mit fatalen gewaltsamen Auswir-kungen.

Dass ethnische Zugehörigkeiten – und da- mit Ethnizität als Ausdruck ethnischer Identität (wenn man nicht beide Begriffe verwechselt) – besonderes Interesse erfahren, hängt mit dem Ideal des modernen Nationalstaats zusammen. Dieses zielt auf Homogenität in sprachlicher und kultureller Hinsicht. Differenzen werden ihm genau deshalb zum Problem, weil sie sei-nen Zielen widersprechen, und daraus resultie-ren auch ‚Minderheitenprobleme‘ und ‚Über-fremdungsängste‘. Kann man diese modernen, wenngleich nun langlebigen Vorstellungen ohne weiteres als überall und jederzeit existie-rende Verhältnisse vo raussetzen? Die Antwort muss differenzieren. Fraglos dürfte es häufig lokale und regionale Zuschreibungen geben und gegeben haben, doch waren diese meist weniger absolut und ausschlaggebend, als sie es unter nationalstaatlichen Bedingungen sind.

Abb. 1: Identität als Einheit von Differenzen. Beide Skalenenden sind lediglich hypothetisch denkbar, um die flexible Mittelposition von Identität zu verdeutlichen, aber in der sozialen Wirklichkeit unmöglich.

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Alteritäten und Identitäten 223

ten von Bestattungen (6). Verbreitet sind diese Friedhöfe von Britannien über Nordgallien bis nach Pannonien und die Iberische Halb-insel (Abb. 2).

Die häufig anzutreffende Vorstellung, es handle sich bei den in den Reihengräbern Bestatteten um Germanen, geht bereits auf das 19. Jahrhundert zurück (Fehr 2010, 177–254; Effros 2012). Sie bezieht ihr Argument im Wesentlichen aus der Vorstellung, dass sol-che Gräber bei den Römern unüblich gewe-sen seien. Unter dieser Prämisse lassen sich Germanen von Römern unterscheiden. Die zweite Unterscheidung betrifft verschiedene Germanengruppen, die sich an Kleidung und Habitus erkennen lassen soll. Auf diese Weise trennt man ‚Stämme‘ und ihre Siedlungsge-biete voneinander. Ältere Studien stützten sich oft auf typologische Unterschiede von Fibel-formen, deren geographische Verbreitung sie unmittelbar ethnisch erklärten (Koch 1998; Bierbrauer 2008).

Jeweils ein Beispiel mag diese Ansätze ver-deutlichen:

1. Zunächst zur Trennung von Germanen und Römern, wobei in der deutschsprachigen Forschung für letztere die Bezeichnung „Romanen“ bevorzugt wird. So macht V. Bierbrauer (1996) „Romanen im frän-kischen Siedelgebiet“ aus. Grundlage dafür ist die Definition zweier „Kulturmodelle“, die mit ihren „unverfälschten Merkmalen“ als Idealtypen vorgeführt und von jenen Regionen abgeleitet werden, in denen etwa Romanen „völlig unberührt von Akkul-turationserscheinungen durch die Über-schichtung germanischer Bevölkerungs-gruppen blieben“ (Bierbrauer 1996, 111). „Wichtigstes Kennzeichen [für Romanen – S. B.] ist die regelhafte, das heißt als Regel eingeführte Beigabenlosigkeit [;] als Folge der Christianisierung“ (ebd.). Im 6. und 7. Jahrhundert wurde „die regelhafte Bei-gabenlosigkeit nun öfters durchbrochen“,

totalitären Konzepten auf, indem sie die un- mögliche Gleichheit (Identität im strengen Sinn des Wortes) Aller zugrundelegt. Frag-mentierung auf der anderen Seite wäre ein Zustand, der durch Laissez-faire zustande käme und mangels auch nur marginaler Gemein-samkeiten den sozialen Zusammenhalt ver-hinderte. Straubs Konzept macht deutlich, dass beides nicht funktionieren kann – Identität bedarf stets einer mittleren Position, wenn-gleich dieser ‚Ort‘ beweglich und Identität veränderlich ist. Er entscheidet darüber, wer dazugehört und wer die Anderen sind.

Kulturhistorische Sicht: Alteritäten und Totalitäten

Die Archäologie der Merowingerzeit – zwi-schen 450 und 750 n. Chr. – stützt sich über-wiegend auf Grabfunde, und das macht das breite Interesse an ihr aus. Inzwischen sind Zigtausende von Reihengräbern ausgegra-ben worden. Sie bilden aufgrund der umfang-reichen Grabbeigaben eine hervorragende Grundlage, um zeitliche und räumliche Ent-wicklungen zu erfassen. Typologie, Chronolo-gie und Fundverbreitung sind deshalb bevor-zugte Gegenstände der mitteleuropäischen Frühmittelalterarchäologie (Siegmund 1998; Koch 2001).

Als Reihengräberfelder bezeichnet man die typischen merowingerzeitlichen Bestattungs-plätze; sie besitzen aus analytischer Sicht sechs Kennzeichen, vier primäre und zwei sekun-däre (Fehr 2008, 77 Abb. 1): es handelt sich um Körperbestattungen (1) in West-Ost-Ausrich-tung (2), wobei Frauen oft mit Kleidungsbe-standteilen bzw. Schmuck (3) und Männer oft mit Waffen (4) beigesetzt wurden. Eine mehr oder weniger reihenförmige Anordnung der Gräber (5) ist dabei – entgegen der etablier-ten Bezeichnung – nicht zwingend vorauszu-setzen, und allein bei längerfristiger Belegung ergeben sich große Friedhöfe mit Hunder-

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Sebastian Brather224

Bierbrauer aber wohl um religiöse Diffe-renzen. Denn nicht nur die „romanische Beigabenlosigkeit“ wird mit christlichen Glaubensvorstellungen erklärt, sondern auch die Grabausstattungen bei Germa-nen werden „mit alten heidnischen Jen-seitsvorstellungen“ verbunden (Bierbrauer 1996, 120; 2012). Damit gelten die Gräber als Ausdruck religiöser Zugehörigkeit, was nicht recht zur politischen Situation der Zeit passt: das Merowingerreich war ein christliches Reich, und die Franken waren christlich – Chlodwig hatte sich um 500 taufen lassen. Die Grabausstattungen hatten andere als religiöse Gründe, wie spätantike Texte verdeutlichen (entgegen Bierbrauer 2012; vgl. Brather im Druck).

ohne dass man darin eine „zeitlich befristete und partielle Frankisierung der Romanen“ erblicken müsse (ebd.). Demgegenüber hät-ten Germanen ihre Toten mit umfangrei-chen Grabbeigaben bestattet. Veränderungen der beiden „unverfälschten Kulturmodelle“ betrachtet Bierbrauer als „Akkulturation“, als ausschließliche Anglei-chung einer Seite an die andere – als wesent-liche Veränderung, wenn nicht Aufgabe eth-nischer Identität. Akkulturationsprozesse führten demnach „im Endergebnis im Wes-ten des fränkischen aufgesiedelten Gebietes letztlich zu einer dauerhaften Romanisie-rung der Franken und im Osten zu einer dauerhaften Frankisierung der Romanen“ (Bierbrauer 1996, 113). Tatsächlich geht es

Abb. 2: Reihengräberfelder als kulturelle Neuorientierung an der Peripherie des spätrömischen Imperi-ums nach der Mitte des 5. Jahrhunderts.

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Alteritäten und Identitäten 225

Verbreitung christlicher Glaubensvorstel-lungen, sondern gingen auf einen Wandel im Bestattungsritual zurück.

3. Beim dritten Beispiel handelt es sich um F. Siegmunds „Kulturmodelle“. Sie unter-scheiden nicht zwischen Germanen und Romanen, sondern zwischen verschiedenen „Stämmen“ – hauptsächlich Franken und Alemannen. Siegmunds (2000; 2009) Aus-gangspunkt ist die Häufigkeit bestimmter Grabausstattungen. Im Wesentlichen unter-sucht er statistisch die Anteile von Gefäß-beigaben aus Keramik und Glas einerseits sowie Waffenausstattungen andererseits. Als Prämisse gilt, dass die Unterschiede wie-derum nicht allein geographisch bedingt, sondern auf die Identität der Beteiligten zu beziehen sind. Das Argument dafür bleibt jedoch letztlich ein geographisches, denn es lässt sich entgegen Siegmunds Auffas-sung nicht erkennen, dass an den „Gren-zen“ die Unterschiede besonders deutlich würden. Vielmehr bleibt es dort bei diffusen Übergängen, während in ihrem jeweiligen „Zentrum“ die „Kulturmodelle“ besonders typisch erscheinen (Brather / Wotzka 2006).

Diese Beobachtung führt zu einer anderen, wiederum einfacheren Erklärung. Kommu-nikation und Austausch dürften die entschei-denden Faktoren gewesen sein, die zu einer regional unterschiedlichen Häufigkeit bei-trugen. Für Glasgefäße und Drehscheiben-keramik dürfte das Vorkommen im Rhein-land und Nordgallien deshalb größer gewesen sein, weil dort Produktionsstätten lagen, die Knowhow seit der Antike besa-ßen. Fernab der Herstellungszentren – in der Alamannia – war es deutlich schwieriger und teurer, an diese Produkte zu gelangen. Bei den Waffen muss anders argumentiert werden. Bei ihnen zeigt sich jedoch jenseits regional unterschiedlicher Häufigkeiten, dass im Zeitverlauf dieselben Entwicklun-gen zu beobachten sind: gleich bleibende Rolle von Spatha und Lanze, Verschwinden

2. Eine lokale Perspektive mag den Befund noch deutlicher werden lassen. Beim loth-ringischen Audun-le-Tiche wurde ein Reihengräberfeld des 7. Jahrhunderts aus-gegraben, für das F. Stein (2004) eine kul-turgeschichtliche Interpretation aufgrund der Ausgrabungspublikation vorgelegt hat. Stein zufolge wurde die lokale fränkische Bevölkerung in der zweiten Hälfte des 7. Jahrhunderts „romanisiert“. Diese These stützt sich im Wesentlichen auf den deut-lichen Rückgang der Grabbeigaben nach 650, die zuvor noch viele Kleidungsbestand-teile und Waffen umfassten. Der Befund ist offensichtlich und eindeutig – doch was soll „Romanisierung“ eigentlich erklären? Stein geht davon aus, dass umfangreiche Grabbeigaben „typisch“ germanisch und in diesem Fall typisch fränkisch sind; wenn die Bevölkerung auf sie zunehmend verzichtet, müsse dies einen ethnischen Wandel bedeu-ten – eben hin zu den Romanen und damit gewissermaßen zurück zur Antike. Paral-lel sieht sie ebenso wie andere darin eine durchgreifende „Christianisierung“, denn Grabbeigaben seien prinzipiell heidnisch. Für beides gibt es keine Stütze in zeitge-nössischen Texten; vielmehr handelt es sich um Rückprojektionen moderner Konzepte. Am einfachsten lässt sich der Rückgang der Grabbeigaben durch eine sich wandelnde, aktive Repräsentation während der Bestat-tung erklären. War es im frühen 7. Jahrhun-dert noch von Bedeutung, sozialen Status durch aufwendige Grabausstattungen vor der Lokalgesellschaft zu demonstrieren, so änderte sich das in den folgenden Jahrzehn-ten. Nun stiftete man eher an die Kirche, um für das eigene Seelenheil vorzusorgen: das liturgische Totengedenken begann sich durchzusetzen, und damit stieg der Einfluss der Kirche auf die Bestattung. Die Verän-derungen hatten also nichts mit Romanen oder Romanisierungs- und „Ausgleichs-prozessen“ zu tun und auch nicht mit der

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Sebastian Brather226

Dies ist auch der Grundlage aller ethnischen Interpretationen in der frühgeschichtlichen Archäologie (Brather 2004; Niculescu 2012). Sie setzen letztlich Homogenität und Kon-gruenz von Kultur, Sprache, politischer Orga-nisation und physischer Konstitution voraus. Ist dieser Ausgangspunkt festgelegt, lassen sich Kontinuitäten bis zu einem vermeintlichen ‚Ursprung‘ verfolgen und umgekehrt Wande-rungen bis zu Fremden in der Fremde rekon-struieren. Veranschaulichen lässt sich das einer-seits mit einem Zeitstrahl (Brather 2004, 161 Abb. 21); andererseits liegt ein zweifacher Zir-kel vor (Abb. 3): Ausgehend von Texten wird ein mutmaßliches „Territorium“ ermittelt und dieses mit archäologischen Verbreitungs-karten verglichen; bei Übereinstimmungen werden daraus „ethnische Symbole“ abge-leitet und wird bei entferntem, sporadischen Vorkommen auf „Fremde“ in der Fremde geschlossen (Hakenbeck 2011, 39 Abb. 1). Die zentrale Prämisse aber ist das entscheidende Problem: diese Homogenität und Kongruenz gibt es nicht.

Ähnlich wie Identitätskonstruktionen von Beteiligten blendet auch diese analytische Sicht die tatsächliche Komplexität der Verhältnisse aus; Differenzen werden sofort als ethnische betrachtet, die man zugleich für die wichtigs-ten hält. Denn zu allen ethnischen gibt es alter-native (kulturelle, wirtschaftliche oder soziale) Interpretationen, die im Einzelfall gegenein-ander abzuwägen sind. Das räumliche Argu-ment, das die Archäologie gern bemüht, ist keines. Alle Funde und Befunde besitzen Ver-breitungsgebiete, wenn auch aus ganz unter-schiedlichen Gründen. Letztere zu ermitteln, ist die Herausforderung – nicht, sie zu konsta-tieren. Dazu bedarf es der Kontextualisierung, denn nur über zusätzliche Informationen lässt sich überlegen, ob das Vorhandensein einiger, analytisch ausgewählter Kennzeichen mit dem subjektiven und situationsabhängigen Zusam-mengehörigkeitsgefühl (groupness) der Zeitge-nossen in Verbindung gebracht werden kann.

der Äxte und Zunahme der Saxe. Dahinter stehen wohl Repräsentation und Waffenge-brauch.

Wonach fragen diese Untersuchungen pri-mär? Es geht ihnen prinzipiell und vorran-ging um die Identifizierung unterschiedlicher ‚ethnischer‘ Gruppen im Frühmittelalter. Sie zielen also auf die Bestimmung merowinger-zeitlicher Alteritäten, die sie aufgrund regio-naler Unterschiede von archäologischen Fun-den und Befunden rekonstruieren. Während V. Bierbrauer die schriftliche Überlieferung einer solchen Gruppe zur Voraussetzung macht (Bierbrauer 2008, 5), sieht F. Siegmund auch „archäologische Ethnien“ als gegeben an (Siegmund 2000, 307). Obwohl in Anleh-nung an andere Arbeiten mitunter mit dem Identitätsbegriff operiert wird, geht es zentral um die Bestimmung von Fremdheit. Nicht die Vergangenheit wird als ‚fremd‘ angesehen, sondern die kulturellen Differenzen werden als Fremdheit verschiedener Gruppen verstan-den, als bewusst gesetzte Differenz zwischen Ethnien.

Identität liegt tatsächlich jedoch auf einer anderen Ebene vor. Die skizzierten ethnischen Interpretationen setzen nämlich nach innen homogene, nach außen distinkte Gruppie-rungen voraus. Sie im frühen Mittelalter zu postulieren, heißt nicht allein den politischen (und nicht kulturellen) Charakter ethnischer Zuschreibungen zu missverstehen, sondern ebenso die kulturelle Homogenisierungskraft des politisch bestimmten Merowingerreichs zu überschätzen. Vielmehr steckt eine Erwartung dahinter, die sich aus modernden Verhältnis-sen ergibt: das Ideal des Nationalstaats zielt auf sprachliche, kulturelle und ethnische Homo-genität. Und es wird auf das Frühmittelalter zurückprojiziert, das damit als ähnlich – man könnte auch sagen, identisch – mit der Gegen-wart konzeptualisiert wird. Vergangenheit ist damit nicht fremd, sondern vertraut, und wird mit den eigenen Maßstäben gemessen.

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halb noch außerhalb des Imperiums Vorbil-der gab. An der Peripherie des spätrömischen Reichs sah sich die Bevölkerung veranlasst, angesichts zunehmender Unsicherheit soziale Zugehörigkeiten und Differenzen zu beto-nen, und dazu bot sich wohl die während der Bestattung sichtbare Grabausstattung an.

Diese Überlegungen führten zu einer ent-gegengesetzten Perspektive. Sie betrachten frühmittelalterliche Gesellschaften primär nicht von außen, sondern bemühen sich um den Blick in ihr Inneres, um ihre Strukturen und Funktionieren zu verstehen. Da auch die Überzeugung ins Wanken geraten ist, Gräber seien „Spiegel des Lebens“ und reflektierten Sozialstrukturen unmittelbar, scheint zunächst ein analytisches Problem aufzutauchen. Die Performativität von Bestattungen bedingt, dass Grabausstattungen den untersuchenden Archäologen etwas über die Vorstellungen der seinerzeit Beteiligten ‚mitteilen‘; eher als soziale Verhältnisse wird man etwas über ihre Zurschaustellung erfahren können. So gese-hen verwandelt sich der beklagte Nachteil in einen analytischen Gewinn – einen Zugang zu Identitäten frühmittelalterlicher Lokalgesell-

Perspektivenwechsel: komplexe Identitäten und Kontexte

Betrachtet man das regionale Vorkommen der Reihengräberfelder, so fällt auf, dass sie fast ausschließlich innerhalb des früheren spät- antiken Imperiums vorkommen: von Britan-nien über Nordgallien und das Rheinland bis nach Raetien, Noricum und Pannonien, ebenso auf der Iberischen Halbinsel, in Nord-italien und auch im Osten. Zwei Ausnahmen – das Maingebiet und Thüringen – dürften das Bild bestätigen, waren sie doch zur Kai-serzeit durch intensive Kontakte zu Rom gekennzeichnet. Dabei sind es stets periphere Regionen und nicht die politischen Zentren, in denen lokale Gesellschaften ihre Toten mit umfänglichen Grabbeigaben begruben. Bis-lang sind alle Versuche ergebnislos geblieben, eindeutige Vorbilder in der Germania jenseits der antiken Reichsgrenzen auszumachen (Fehr 2008; Halsall 1997). Alle drei Beobach-tungen (Verbreitung, Lage, Vorbildlosigkeit) weisen darauf hin, dass es sich beim Aufkom-men der Reihengräberfelder tatsächlich um etwas Neues handelte, für das es weder inner-

Abb. 3: Zwei ineinandergreifende Zirkel der ethnischen Interpretation. Aus Textquellen abgeleitet, werden einerseits „Siedlungsgebiete“ eines „Stammes“ lokalisiert und diese mit archäologischen Verbreitungskar-ten verglichen. Daraus leitet man andererseits „ethnische Symbole“ ab und identifiziert „Fremde“ in der Fremde (erweitert nach Hakenbeck 2011, 39 Abb. 1).

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benen und seiner Familie vorzuführen. Wenn das zutrifft, dann verlangt die Rekonstruktion von Identitätsgruppen eine sorgfältige Unter-suchung, um die komplexen Überlagerungen zu entwirren und damit zu plausiblen Ergeb-nissen zu gelangen (Abb. 4). Einige Identitäts-gruppen lassen sich m. E. mithilfe zusätzlicher Anhaltspunkte unterscheiden:1. Religion: Oben war bereits die Rede von

vermeintlich christlicher Beigabenlosig-keit und heidnischen Grabbeigaben. Antike Textzeugnisse belegen zwar, dass für Chris-ten aufwendige Begräbnisse überflüssig waren; dennoch bestatteten auch Christen ihre Toten prunkvoll, weil sie darin keine religiöse Aussage, sondern eine Betonung sozialer Zugehörigkeit erblickten. Christen konnten mitunter Totenkleidung als für sie

schaften zu gewinnen. Dann ist es auch nach-rangig, wer welche Grabbeigaben deponierte und aus wessen Besitz sie stammten (Brather 2008; 2009; Barbiera 2012).

Hilfreich ist es zunächst, nach den Adres-saten zu fragen, an die sich die Präsentation sozialer Zugehörigkeiten und Abgrenzungen richtete. Wer waren die Zuschauer, vor denen sich Bestattungen abspielten und die den betriebenen Aufwand wahrnehmen konnten? Es waren nicht ethnisch Fremde, sondern die Nachbarn und damit die lokale Gesellschaft, vor deren Augen Angehörige zu Grabe getra-gen wurden. Situationsspezifik von Identitäten bedeutet in diesem Fall nicht, dass wesentliche Zuschreibungen fehlten; vielmehr dürfte die Bestattung eine Gelegenheit geboten haben, ein möglichst umfassendes ‚Bild‘ vom Verstor-

Abb. 4: Identitäten in lokalen Gesellschaften. Da jedermann verschiedenen Gruppen angehört, überlagern sich mehrere Zuschreibungen auf komplexe Weise. Sie zu entwirren, ist Ziel der Analyse.

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Alteritäten und Identitäten 229

Monogramm im Ring lässt sich nicht allein als REGINE lesen, was ungewöhnlich wäre, da sonst nur Namen und nicht Titel abge-kürzt wurden, sondern auch als Wiederho-lung des Namens selbst (Meier 2002, 153).

3. Geschlechter / gender: Auch wenn in der Frühmittelalterarchäologie immer wieder archäologische Geschlechtsbestimmungen vorgenommen werden, ist eine biologisch-anthropologische Analyse unerlässlich. Erst auf dieser Basis lässt sich beurteilen, wie Geschlechterrollen kulturell markiert wur-den. Für mitteleuropäische Erwartungen ist es wohl überraschend, dass Zopfspangen und Ohrringe bei awarischen Männern vor-kommen. Im merowingerzeitlichen Westen lässt sich eine ganze Reihe geschlechtsspezi-fischer Grabbeigaben feststellen: Kleidungs-bestandteile und Schmuck bei Mädchen und Frauen, Waffen und Gürtel bei Jun-gen und Männern (vgl. Barbiera 2005). An ihnen kann man ermitteln, welche Aspekte für die Lokalgesellschaften von Bedeutung waren. Neben den auf jeweils ein Geschlecht (weitgehend) begrenzten Grabausstattun-gen gab es Beigaben, die sowohl Frauen als auch Männern ins Grab gestellt wurden. Sie werden daher auch als ‚neutrale‘ Grabbeiga-ben bezeichnet. Dazu gehören etwa Gefäße oder Mobiliar, und sie dürften primär sozi-ale Zugehörigkeiten demonstriert haben.

4. Alter: Unterschiedliche soziale Rollen las-sen sich daran erkennen, dass Grabausstat-tungen deutlich vom Sterbealter abhängen. Das trifft längst nicht für alle Gesellschaften zu, aber für die Merowingerzeit in beson-derer Weise (Brather et al. 2009). Bei beiden Geschlechtern steigt der Umfang der Grab-beigaben beginnend mit der Kindheit an, erreicht bei adulten und maturen Erwach-senen sein Maximum, bevor die Zahl der Grabbeigaben im höheren Alter wieder abnimmt. Als Grund darf man annehmen, dass eher altersspezifische Rollen als indi-viduelle Wertschätzung dafür verantwort-

wichtige Jenseitsausstattung begreifen. Die von M. Müller-Wille (1998) als „zwei reli-giöse Welten“ gegenübergestellten Gräber Childerichs in Tournai und seines Sohnes Chlodwig in Paris unterscheiden sich pri-mär durch den Ort: auf einem Gräberfeld bzw. in einer (von Chlodwig selbst gestifte-ten Apostel-) Kirche. Ob sie unterschiedlich reich ausgestattet waren, lässt sich nicht fest-stellen, da das Chlodwiggrab (noch) nicht gefunden worden ist. Wahrscheinlich war der Aufwand bei Chlodwig jedoch nicht geringer, galt es doch, einen König ange-messen zu beerdigen. Die Unterschiede dürften im Bestattungsritual gelegen haben, das vor und in der Kirche wohl anders als 30 Jahre zuvor in Tournai veranstaltet wurde. Jedenfalls sind es primär die rituellen Hand-lungen, die Bestattungen religiös prägen (Brather-Walter / Brather 2012), auch wenn sie archäologisch nur schwer zu fassen sind (vgl. Gärtner 2009).

2. Person: Jedes Grab enthält – von Mehrfach-bestattungen einmal abgesehen – ein Indi-viduum; es reflektiert daher auch dessen individuelle Anerkennung und Tüchtigkeit. Selten lässt sich durch Inschrift der Name ermitteln und damit eine historische Per-sönlichkeit identifizieren, sofern sie aus zeit-genössischen Texten bekannt ist. Meist sind es Siegel- oder Namensringe, wofür etwa das Childerichgrab in Tournai stehen mag. Zufälligkeiten schließt man meist aus und nimmt an, der Besitzer sei mit seinem Ring bestattet worden. Manchmal ist die Identifi-zierung problematisch, etwa bei Arnegunde aus St.-Denis. Ihr Namensring (mit seiten-richtiger Inschrift) hat die Diskussion darü-ber ausgelöst, ob es sich bei der Toten um die Frau König Chlothars I. (511–561) handelt. Auch wenn die Mehrheit der Archäologen für die Identifizierung plädiert (Périn 2012), bleiben Zweifel: archäologisch gesehen wäre das Grab später zu datieren als die Lebens-zeit der Arnegunde (Roth 1986). Und das

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Sebastian Brather230

verlässlichen Schlüssen lässt sich aber erst gelangen, wenn zuvor Geschlecht und Alter berücksichtigt sind. Angesichts geschlechts-spezifischer Ausstattungen fällt ein direkter Vergleich zwischen Frauen und Männern schwer, denn Kleidung und Waffen sind nur schwer in ihrem ‚Wert‘ gegenüberzu-stellen. Hinsichtlich des Alters kann man allein innerhalb derselben Altersgruppe ver-gleichen, denn Kinder und Alte werden in den meisten Fällen anders ausgestattet als Erwachsene mittleren Alters. Unter diesen Voraussetzungen lassen sich „Qualitätsgrup-pen“ unterscheiden, wie sie R. Christlein vor 40 Jahren vorschlug (Christlein 1975). Für den großräumigen Vergleich bieten sie ein noch immer herangezogenes Hilfsmit-tel, auch wenn zeitliche und geographische Einschränkungen offensichtlich sind. Für die Rekonstruktion lokaler Gesellschaf-ten und ihres Vergleichs muss man jedoch detaillierter ansetzen.

7. Tätigkeit: Wenngleich es ‚Berufe‘ erst in sehr viel späterer Zeit gab, finden sich unter den Grabbeigaben Geräte und Werkzeuge, die auf bestimmte wirtschaftliche Tätigkei-ten verweisen. Beachtung haben vor allem ‚Schmiedegräber‘ gefunden, in denen etwa Hammer, Amboss und Zangen vorkom-men. Die damit Bestatteten gelten allge-mein als Schmiede (Henning 1991; Tobias 2009). Landwirtschaftliche Geräte sind noch weitaus seltener als Schmiedewerk-zeuge, und das überrascht. Den Großteil der Bevölkerung stellten Bauern, die mit Ackerbau und Viehhaltung vertraut waren. Es muss deshalb überlegt werden, ob eine Pflugschar oder ein Sech mehr bedeutet – etwa Verfügung über Grund und Boden (Fingerlin 1998). Jüngst hat J. Henning ver-mutet, Pflugschare wiesen auf eine bestan-dene Wahrheitsprobe hin – mit glühenden Scharen (Henning 2007); allerdings setzt die Textüberlieferung erst deutlich später ein (Bartlett 1986, 10). Insgesamt ist der

lich sind. Verweise auf Kinder, Eltern und Hofbesitzer sowie Großeltern mögen hier genügen, um das weite Feld zu skizzie-ren. Da diese ‚Funktionen‘ nicht streng an ein kalendarisches oder biologisches Alter gebunden sein können – bereits das indivi-duelle Heiratsalter hängt von vielen Bedin-gungen ab –, bleiben die zu erkennenden Abhängigkeiten von Ausstattungsumfang und Sterbealter etwas undeutlich, in ihrer Tendenz aber überaus klar. Sie zu unter-suchen, setzt biologisch-anthropologische Altersbestimmungen voraus, die für jüngere Individuen präziser als für erwachsene und alte ausfallen.

5. Verwandtschaft: Auf Reihengräberfeldern erkennbare Gruppen von Gräbern lassen danach fragen, ob sie mit Verwandtschafts-beziehungen zu erklären sind. Da auch andere Gruppierungen denkbar sind, bedarf es zusätzlicher Indizien. Sie können nur teil-weise durch anthropologische Analysen zur Verfügung gestellt werden, denn diese lie-fern ausschließlich Daten zur Deszendenz. Wichtiger ist aus archäologischer Sicht die Affiliation – die Etablierung von Heirats-allianzen. So müssen weitere Anhaltspunkte gewonnen werden, die aus der Struktur der Grabgruppen abzuleiten sind: wenn es sich nicht um Areale handelt, die einem Geschlecht, einer Altersgruppe oder einem sozialen Verband zugerechnet werden kön-nen, dann dürfte es sich um verwandt-schaftlich organisierte Gruppen gehandelt haben. Dass sich Familien anhand bestimm-ter Fibel- oder Gefäßtypen unterscheiden lassen (so Koch 2001, 374–389), ist eher unwahrscheinlich; sie reflektieren wohl Modephasen, wie F. Siegmund (2004) für das mittlere 6. Jahrhundert plausibel anhand „thüringischer“ Funde argumentiert.

6. Rang: Dass sich Umfang und Qualität von Grabausstattungen auf sozialen Rang beziehen lassen, ist eine naheliegende Ver-mutung (Steuer 1982, 309–416; 2011). Zu

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diese Weise komplexe Bezüge und Netzwerke erhellen. Diese Einsichten gilt es zu erweitern. So dürften weitere Vergleiche verschiedener Bestattungsplätze miteinander klarer erkennen lassen, was lokale Besonderheiten darstellte und was im Trend der Zeit lag. Allerdings gilt es bei allen Analysen zu bedenken, dass meist unklar bleibt, ob mit einem Bestattungsplatz auch die gesamte lokale Gesellschaft erfasst ist: so können mehrere Gräberfelder zu einer Siedlung und ebenso umgekehrt gehört haben, und ab dem 7. Jahrhundert gab es mit dem Reihengräberfeld oder Gräbern an separater Stelle, in der Siedlung oder bei der Kirche mehrere „komplementäre“ Bestattungsplätze (Theuws 1999, 345 Abb. 6), die erst zusammen die Lokalgesellschaft repräsentieren, aber sel-ten gleichzeitig entdeckt und untersucht sind. Darüber hinaus kommt es auf eine detaillier-tere chronologische Unterscheidung an, um dynamischere Rekonstruktionen als bislang zu erreichen.

Fazit: frühmittelalterliche und moderne Außen- und Innen-perspektiven

Im Vergleich beider Perspektiven wird ihre entgegengesetzte Ausrichtung deutlich. In jüngerer Zeit mehren sich Untersuchungen, die nach vielfältigen Identitäten und Grup-pen in frühmittelalterlichen Gesellschaften fragen. Damit interessieren sie sich für Wahr-nehmungshorizonte und Handlungsmöglich-keiten der Zeitgenossen, und das bedeutet einen Blick nach innen. Das Konzept von ‚Identität‘ besitzt dafür heuristischen und ana-lytischen Wert, indem es Konstitution und Handeln sozialer Gruppen erklärt. Alterität ist dabei inbegriffen, wenn ohne sie Identität nicht zu denken ist – beide sind miteinander verschränkt. Allerdings lassen sich Identitäts-gruppen innerhalb von Lokalgesellschaften leichter rekonstruieren, weil die Adressaten

Zusammenhang von Geräten und damit ausgeübten Tätigkeiten nicht so eindeutig wie oft gedacht, wenn es darum geht, ob der damit Bestattete tatsächlich selbst mit ihnen gearbeitet hatte.

8. Region: Schwierig bleibt die Interpretation regionaler Häufungen und Unterschiede. Denn welche Ursachen hinter den Kartie-rungen stecken, ließe sich wiederum nur durch Zusatzargumente begründen – diese können aber kaum beigebracht werden. Ob regional begrenzte Vorkommen bestimmter Gegenstandstypen identitätsrelevant waren oder aber sich durch Kommunikation und Austausch ergaben, ist selten zu entschei-den. Darüber hinaus spiegeln archäologi-sche Verbreitungskarten meist weiträumige Vorkommen wider, die wohl viel weiter rei-chen, als es regionale oder ethnische Iden-titäten normalerweise können (sieht man von Eliten ab). Sie wären in Kleinregionen zu erwarten, doch fallen dann die archäo-logisch erfassbaren Unterschiede zu gering aus, um noch sichtbar sein zu können. Des-halb dürfte es in den meisten Fällen dabei bleiben, dass sich Gegenstandsverbreitungen zunächst als Kommunikationsphänomene beschreiben lassen. Sofern bislang Isoto-penuntersuchungen unternommen worden sind, zeigen auch sie ein komplexes Bild (Pollard 2011), das gut zu den in die glei-che Richtung weisenden archäologischen Überlegungen passt.

Insgesamt sei betont, dass Rückschlüsse auf Identitäten nicht aus den Grabbeigaben und ihren Kombinationen direkt gezogen werden können, sondern allein indirekt über verfüg-bare Zusatzinformationen. Erst wenn sie den Kontext klarer werden lassen, ist methodisch weiterzukommen. Für manche Aspekte gelingt die Kontextualisierung besser (Geschlecht, Alter), für andere Zuordnungen weniger gut (Verwandtschaft, Tätigkeit, Region), und für manche womöglich gar nicht (Religion, Eth-nie). Komplexe Grabausstattungen können auf

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Sebastian Brather232

ihre Bedeutung für soziales und politisches Handeln. In dieser Perspektive gerät mehr in den Blick als die politische Unterscheidung von Franken, Alemannen, Goten oder Lango-barden – nämlich die zahlreichen, situativen Gruppenidentitäten innerhalb von Lokal- und Regionalgesellschaften. Das kulturelle Bild der Vergangenheit wird damit komplexer und nuancierter, was zugleich den einstigen Reali-täten näher kommen dürfte.

In gewisser Weise gleicht der kulturhistori-sche archäologische Blick antiken Ethnogra-phien. Wie diese trifft er von außen auf die-jenigen Regionen und Gruppen, um deren Kategorisierung und Ordnung, Beschreibung und Erklärung er sich bemüht. Einer solchen ‚totalen‘ Außenperspektive fällt es schwer, ihren Gegenstand zu verstehen, d. h. in die Binnenperspektive einzudringen. Darum ging es den Beobachtern auch nicht; sie wollten eine prinzipielle Grenze zwischen Zivilisa-tion und Barbarei ziehen (Abb. 5). Dabei ergab sich zwangsläufig eine weitgehend dichotome Unterscheidung – etwa zwischen griechischer Demokratie und persischer Despotie oder zwi-schen Römern und Barbaren (Dauge 1981).

Anders als antike Ethnographien konzipie-ren kulturgeschichtlich orientierte Archäolo-gen ihren Gegenstand jedoch nicht als fremd oder als Gegenentwurf zu ihrer eigenen Welt. Ihre Interpretation neigt dazu, kulturell homogene und geschlossene Gruppen voraus-zusetzen und diese damit dem vertrauten Ideal moderner Staaten anzunähern. Fremdheit bzw. Alteritäten werden dann zwischen den gentes vorausgesetzt, die ihre Differenzen unterein-ander in Kleidung und Habitus ausgedrückt haben sollen, woran sich die einzelnen Sied-lungsräume unterscheiden ließen. Abgrenzung von ‚den Anderen‘ wird damit zu einem zen-tralen Handlungsmotiv des frühen Mittel alters – sie habe das Leben der Menschen mehr bestimmt als alles andere. Wenn man wie jüngst Ch. Eger (2012, 280) ethnische Deutung und Suche nach ethnischer Identität voneinander

greifbar werden: das andere Geschlecht, andere Altersgruppen, andere Familien innerhalb der Nachbarschaft. Dort lässt sich beobachten, wie die lokale Balance zwischen Fragmentierung und Totalität (Straub 2004) erreicht wurde.

Vergleicht man Regionen miteinander, wird es schwierig: es fehlen Bezugspunkte, auf die Unterschiede in den Grabbeigaben zurückgeführt werden können. Und je grö-ßer die berücksichtigten Regionen sind, desto unwahrscheinlicher wird eine tatsächliche Verknüpfung mit Identitäten und Alteritäten. Kommunikation und Mobilität waren zwar auch im frühen Mittelalter erstaunlich weit-räumig und intensiv, doch gerade deshalb sind viele Verbreitungsmuster der Sachkultur zunächst damit und nicht primär mit Identitä-ten zu erklären (Brather / Wotzka 2006). Iden-titäten hielten politische Verbände zusammen, die ethnische Bezeichnungen trugen; kulturell waren sie heterogen, heterogener jedenfalls, als es moderne Vorstellungen (bis hin zu „Nati-onalindustrien“ der Völkerwanderungszeit; Effros 2012, 145–187; Fehr 2010, 201–204) lange suggerierten. Das belegen die Textzeug-nisse, und das politisch zusammen gehaltene Frankenreich war kulturell vielfältig.

‚Identität‘ ist für die genannten Ansätze der Leitbegriff, doch er wird neuerdings auch in anderen Studien verwendet (Bierbrauer 2008, 63). Dort dient er dazu, die Trennung frühmit-telalterlicher Ethnien anhand der Grabausstat-tungen zu begründen. Ein solches Vorgehen scheint mir die Begriffe ‚Identität‘ und ‚Alte-rität‘ bzw. ihre Bedeutung zu vertauschen. Die Welt des frühen Mittelalters ist heute zunächst das kulturell Fremde – bevor man ein histori-sches Verständnis dieser Zeit erreichen kann, muss sie eingehend analysiert werden. Agie-ren und Habitus der Zeitgenossen lassen sich erst erklären, wenn man ihre eigene soziale und kulturelle Wahrnehmung rekonstruieren kann; damit geht es um die Charakterisierung von Identitäten, d. h. die Gruppenzuschrei-bungen und das Gruppenverständnis sowie

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Alteritäten und Identitäten 233

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unterscheiden will, beschränkt man sich auf kulturelle Beziehungen jenseits der Ethnizität; tatsächlich bleibt es jedoch beim ethnischen Blickwinkel, wie die gewählten Bezeichnun-gen für Kleidungszubehör oder Grabformen verraten. Das Ergebnis ist eine contradictio in adiecto.

Diese Sicht stützt sie sich weitgehend auf ein geographisches Argument – das räum-liche Vorkommen bestimmter Grabbeigaben. Identitäten sind jedoch durch soziale Bedin-gungen und Wahrnehmungen bestimmt, eth-nische Symbole daher ‚willkürlich‘ – und Raum ist eine soziale Konstruktion (Löw 2001; vgl. Brather 2014). Daraus ergeben sich drei Schlüsse: 1. der Raum kann nur dann eine Rolle als Erklärungsmuster spielen, wenn er als sozial bestimmt betrachtet wird; 2. es bedarf zumindest der Abwägung ethni-scher gegen andere Interpretationsvarianten; 3. weit mehr als Ethnizität – die wohl für poli-tische Eliten eine Rolle spielte – bestimmten alltägliche Identitäten und Zuordnungen das Leben der Zeitgenossen. Für die Frühmit-telalterarchäologie scheinen mir lokale und kleinregionale Identitäten vielversprechender als ethnische Alteritäten zu sein.

Abb. 5: Idealtypische Zivilisations- und Fortschrittsvorstellungen der Römer. Die hier systematisch zu-sammengestellten Konzepte sahen die Römer in einer Mittelposition – zwischen den auf einer niedrige-ren zivilisatorischen Stufe befindlichen Barbaren und der erhabenen Götterwelt (verändert nach Dauge 1981, nach 676).

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Jäger sind anders – Sammlerinnen auch. Zur Deutungsmacht des bürgerlichen Geschlechter-

und Familienmodells in der Prähistorischen Archäologie

Brigitte Röder

des ‚tierischen‘, ‚primitiven‘ und ‚brutalen‘ Urmenschen mit Keule1 ist aus (populär-)wis-senschaftlichen Kontexten mittlerweile gänz-lich verschwunden. In den letzten Jahren hat sich die Kluft zwischen den ‚Urmenschen‘ und ‚uns‘ weitgehend geschlossen: Gezeichnet oder als lebensechte Figuren lächeln Nean-dertaler freundlich ihr Gegenüber an (Abb. 1). Fürsorglichkeit signalisieren Szenen, in denen eine Homo erectus-Frau einen alten Mann füt-tert bzw. ein schlafendes Baby hält, das sich vertrauensvoll an ihren Körper schmiegt. Ein Neandertaler in der Pose des Denkers von Auguste Rodin suggeriert Intelligenz, und schöne junge Frauen mit halb geöffneten Lip-pen oder Schmollmund könnten Aspirantin-nen für das Schaulaufen bei Germany’s next Topmodel sein. Schließlich transportiert auch das beliebte Sujet des Neandertalers, der auf der Rolltreppe oder in anderen Kontexten inmitten heutiger Menschen kaum auffällt, die Botschaft, dass die urgeschichtlichen Vorfahren Menschen sind wie du und ich. Die Identi-fikation geht mittlerweile so weit, dass die Neandertaler in den Medien als „Die ersten

So fern und doch so nah: mit Urmenschen auf du und du

Zwischen unserem heutigen Leben und der rund 2,6 Millionen Jahre umfassenden Urge-schichte liegt eine enorme zeitliche und kulturelle Distanz. Deshalb wäre eigentlich zu erwarten, dass uns die urgeschichtlichen Lebensverhältnisse ‚fremd‘ erscheinen. Mög-licherweise gab es in dieser langen Zeit sogar Formen des Zusammenlebens, die weder aus der jüngeren Geschichte noch von zeitgenös-sischen Gesellschaften bekannt sind, und die wir uns folglich gar nicht vorstellen können. Aus dieser Perspektive wäre anzunehmen, dass wir allergrößte Mühe hätten, uns in das urge-schichtliche Alltagsleben sowie in die Gefühls- und Gedankenwelt der damaligen Menschen hineinzuversetzen und uns mit ihnen zu iden-tifizieren. In der Regel ist jedoch das Gegen-teil der Fall: Obwohl wir die Alltagserfahrun-gen urgeschichtlicher Menschen höchstens in geringem Maß teilen, erscheinen sie uns letzt-lich als ‚Menschen wie du und ich‘.

Dieses Gefühl fast schon unerschütterlicher Vertrautheit ist verblüffend. Aufgrund bild-licher Darstellungen von ‚Urmenschen‘ ist anzunehmen, dass es sich dabei um ein jün-geres Phänomen handelt: Der im 19. bis ins 20. Jahrhundert hinein vorherrschende Topos

1 Boëtsch / Gagnepain 2008; Ducros / Ducros 2000; Vénus et Caïn 2003; Weltersbach 2007.

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Brigitte Röder238

Deutschen“ oder als „Die ersten Europäer“ figurieren – sie also zu einem Medium natio-naler und europäischer Identitätspolitik avan-ciert sind (Röder 2010a, 88–89). Die biolo-gische Differenz zwischen den Neandertalern und den modernen Menschen scheint seit der Analyse des Neandertaler-Genoms (Green et al. 2010) immer mehr an Bedeutung zu ver-lieren. Stattdessen wird darauf abgehoben, dass bis zu vier Prozent der DNA heute lebender Menschen vom Neandertaler stammen kön-nen. Und so hat das Neanderthal Museum den lebensgroßen Neandertaler im Business-Anzug, den es zu seinem 75-jährigen Bestehen herstellen ließ, „Mister 4 %“ – bzw. wegen sei-nes schicken Aussehens auch „Steinzeit-Cloo-ney“ – genannt (Abb. 2).

Abb. 2: „Mister 4 %“ bzw. „Steinzeit-Clooney“: le-bensgroßer Neandertaler im Business-Anzug, den das Neanderthal Museum zu seinem 75-jährigen Bestehen herstellen ließ. Sein Name spielt darauf an, dass bis zu vier Prozent der DNA heute leben-der Menschen vom Neandertaler stammen kön-nen (Photo: H. Neumann, Neanderthal Museum).

Abb. 1: Vom ‚tierischen‘, ‚primitiven‘ und ‚brutalen‘ Urmenschen zum freundlichen Gegenüber – das Bild der Urmenschen hat sich gewandelt (Photo: H. Neumann, Neanderthal Museum).

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Jäger sind anders – Sammlerinnen auch 239

häufig – ganz selbstverständlich und ohne wis-senschaftliche Bedenken – in die Vergangen-heit projiziert werden und die Urgeschichte zu einer Art ‚Themenpark zur Bürgerlichen Gesellschaft‘ machen. Der Beitrag wird zwi-schen diesen Themenbereichen hin- und herpendeln. Um die Verflechtung von kultu-rellen Konzepten und wissenschaftlicher Wis-sensproduktion zu beleuchten, werden in die Betrachtung auch Rückgriffe einbezogen, die im gesellschaftlichen Kontext auf die Urge-schichte gemacht werden.

Verliebt, verlobt, verheiratet?

Im Sommer 2007 führte das Schweizer Fernse-hen ein als „Living-Science-Projekt“ angekün-digtes Experiment durch: Vor laufenden Fern-sehkameras lebten zwei Schweizer Familien vier Wochen lang in zwei eigens dafür errichteten Pfahlbauten an einem abgelegenen Weiher im Kanton Thurgau. Während dieser Zeit wurde das Fernsehpublikum allabendlich über die Herausforderungen informiert, die das ‚Stein-zeitleben‘ an unsere Zeitgenossen stellte.2 Wis-senschaftlich begleitet wurde das Projekt von Urs Leuzinger, einem ausgewiesenen Experten für Seeuferarchäologie vom Amt für Archäolo-gie des Kantons Thurgau. Er sorgte dafür, dass die Pfahlbauten mitsamt ihrer Ausstattung so originalgetreu wie irgend möglich waren. Die materielle Kultur war also perfekt ‚steinzeit-lich‘. Doch wie sollten die beiden Familien 5700 Jahre zurück in die Vergangenheit versetzt werden? Das Konzept des Schweizer Fernse-hens sah dafür eine Zeitreise vor. Der Weiher diente dabei zur symbolischen Überbrückung der Kluft zwischen Gegenwart und Vergangen-heit: Vom ‚gegenwärtigen‘ Ufer aus, wo sich

Gemäß dieser kurzen Einstimmung werde ich das Thema dieses Bandes gewissermaßen gegen den Strich bürsten und mich statt mit ‚Fremdheit‘ mit ‚Vertrautheit‘ beschäftigen. Ich werde dem Phänomen nachgehen, dass uns urgeschichtliche Menschen trotz der zeit-lichen, kulturellen und biologischen Distanz, die uns von ihnen trennt, erstaunlicherweise gerade nicht fremd, sondern vielmehr höchst vertraut erscheinen. In Umkehrung des Titels dieses Bandes, der „Fremdheit“ als „Perspek-tiven auf das Andere“ fasst, wird im Folgen-den die These entwickelt, dass die konstatierte Vertrautheit mit den ‚Urmenschen‘ als ‚Per-spektive auf das Eigene‘, konkret als eine Form der Selbstbespiegelung und Selbstvergewisse-rung, zu deuten ist. Kristallisationspunkt der Betrachtung werden Vorstellungen von den urgeschichtlichen Geschlechter- und Famili-enverhältnissen sein, die sowohl in gesellschaft-lichen Kontexten als auch in der archäologi-schen Fachliteratur verbreitet sind. Ich werde darlegen, dass es sich dabei um kulturelle Kon-zepte handelt, die sich als Geschlechter- und Familienmodell der Bürgerlichen Gesellschaft identifizieren lassen.

Diese kulturellen Konzepte entfalten ihre Deutungsmacht nicht nur in der Prähistori-schen Archäologie, sondern stellen nach wie vor gesellschaftliche Leitbilder dar. Deshalb wird für die gesellschaftliche Ebene zu fragen sein, welche Bedeutung die Urgeschichte bzw. die ‚Anfänge der Menschheitsgeschichte‘ für das identifizierte Geschlechter- und Famili-enmodell haben, und welche Schlussfolge-rungen sich daraus für die Wechselwirkungen zwischen Prähistorischer Archäologie und Gesellschaft ableiten lassen. Letztlich werde ich der Frage nachgehen, weshalb die kultu-rellen Konzepte der Bürgerlichen Gesellschaft des 18. und 19. Jahrhunderts im doppelten Sinne ur-menschlich erscheinen, sodass sie trotz der aktuell stattfindenden Pluralisierung von Beziehungs- und familialen Lebensformen noch heute Leitbildcharakter haben und sie

2 Die folgende Beschreibung stützt sich auf die DVD „Pfahlbauer von Pfyn. Steinzeit live“, die vom Schwei-zer Fernsehen 2007 zur Serie produziert wurde.

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Brigitte Röder240

halten, dass die stillschweigende Annahme, in jedem urgeschichtlichen Pfahlbauhäuschen hätte eine Kernfamilie westlich-bürgerlichen Zuschnitts gewohnt, keineswegs nur bei Fern-sehmachern, sondern auch in der Archäo-logie verbreitet ist.3 Überhaupt scheinen die sozialen Verhältnisse in der Urgeschichte, wie sie in Fachpublikationen, in populärwissen-schaftlichen Büchern, in den Medien oder auch in den Schulbüchern gezeichnet werden, unglaublich vertraut zu sein.

Ein eingängiges Beispiel dafür sind die ver-schiedenen Rekonstruktionszeichnungen zu den Fußspuren von Australopithecinen, die Mary Leakey 1978 bei Laetoli in Tansania ent-deckte. Vor rund 3,6 Millionen Jahren gingen hier zwei oder drei Individuen und hinterlie-ßen ihre Fußabdrücke in einer Ascheschicht, die bei einem Vulkanausbruch abgelagert wor-den war und die Spuren konservierte. Ob es zwei oder drei Individuen waren, wird kontro-vers diskutiert (Karlisch 1998, 145–146). Wel-che Hypothese aufgrund des Befundes wahr-scheinlicher ist, spielt für unser Thema keine entscheidende Rolle, denn letztlich kreisen nahezu alle Interpretationen dieser Spuren um dasselbe Sujet – d. h., es wird fast immer ein Paar mit oder ohne Kind rekonstruiert. Stellt man sich die beiden ordentlich bekleidet vor, gingen sie als Pärchen beim Sonntagnachmit-tagsspaziergang durch. Teils legt er zärtlich-beschützend bzw. patriarchal-besitzergreifend den Arm um sie, teils geht er in der Rolle des Führers und Beschützers voraus. Auf manchen Bildern ist sie schwanger, auf anderen hat sie ein Kleinkind auf dem Arm oder hält es an der Hand. In einem Szenario balanciert ein Kind in den von den Erwachsenen eingetief-ten Spuren hinterher.4

der Beobachterposten des Fernsehteams und eine Couch für Experten-Interviews befanden, starteten die beiden Familien mit einem Ein-baum zu ihrer Zeitreise. Die Fahrt zum ande-ren Ufer sollte sie bildlich 5700 Jahre zurück in die Steinzeit, konkret in die Pfyner Kultur, versetzen. Bevor die künftigen „Pfahlbauer von Pfyn“ ihre Zeitreise antreten konnten, mussten sie jedoch ihre Kleidung und ihre Accessoires abgeben und stattdessen in Lederhemden und Leinentuniken schlüpfen. Die äußere Verwand-lung war perfekt: Als die Pfahlbauer ihr Domi-zil bezogen, gaben sie zusammen mit der urge-schichtlichen Kulisse ein stimmiges und höchst authentisch wirkendes Bild ab.

Das Ziel, auch die sozialen Verhältnisse mög-lichst authentisch zu gestalten, sah das Dreh-buch bei diesem vierwöchigen Projekt nicht vor: So mussten die Ehepaare vor der Zeit-reise mit ihren Uhren zwar ebenfalls die ana-chronistischen Eheringe abgeben – die sozi-algeschichtlich wichtige Frage, ob in jedem Pfahlbauhäuschen vor 5700 Jahren wirklich ein monogames Elternpaar mit den gemeinsa-men Kindern gewohnt und gewirtschaftet hat, wurde aber nicht gestellt. Stattdessen wurden mit allergrößter Selbstverständlichkeit heutige Formen des Zusammenlebens in die insze-nierte Vergangenheit transferiert. Im Gegensatz zur materiellen Kultur, bei der peinlich genau auf Authentizität geachtet wurde, wurde den sozialen Verhältnissen bei der Konzeption die-ses Experiments dagegen keine Aufmerksam-keit geschenkt: Diese scheinen außerhalb von Raum und Zeit zu stehen, also universal zu sein.

Nun könnte man kritisch einwenden, dass die „Pfahlbauer von Pfyn“, die vier Wochen lang täglich über die Fernsehschirme flim-merten, mit Archäologie als wissenschaftlicher Disziplin nichts zu tun hätten. Schließlich handelte es sich nicht um ein wissenschaft-liches Experiment, sondern um eine populär-wissenschaftliche Fernsehserie bzw. um eine „Doku-Soap“, wie eine Fernsehzeitschrift die Serie betitelte. Dem lässt sich entgegen-

3 Für eine Analyse zur Schweizer Seeuferarchäologie s. Lutz (2010; 2013).4 Für eine Auswahl der existierenden Rekonstruk-tionszeichnungen s. Karlisch (1998, Abb. 3–8).

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Jäger sind anders – Sammlerinnen auch 241

repräsentieren. Um es für das Fallbeispiel auf den Punkt zu bringen: Die Rekonstruktions-zeichnungen zum Befund von Laetoli bilden einen vermeintlichen ‚Naturzustand‘ ab und schreiben somit die Idee von einer als unver-änderlich angenommenen ‚Natur‘ des Men-schen fest (Karlisch 1998, 158). ‚Urmenschen‘ wären demnach ‚Menschen wie du und ich‘ – mit derselben ‚biologischen Grundausstat-tung‘ und mit denselben Wünschen, Nöten und Sorgen, die – genau wie wir heute – sich verliebten, einen gemeinsamen Haushalt und eine Familie gründeten, zusammen lebten und gemeinsam wirtschafteten, um schließlich gemeinsam alt zu werden.

Lesefunde zu einem Traumpaar

Ob diese Einschätzung korrekt ist, oder ob es sich dabei – wie von Sigrun Karlisch postu-liert – lediglich um eine Projektion heutiger Vorstellungen auf die Frühzeit der Mensch-heit handelt, ist nicht nur gesellschaftspoli-tisch, sondern auch für individuelle Lebens-entwürfe und für das eigene Selbstverständnis als Frau oder Mann relevant. Diesen Eindruck gewinnt man zumindest, wenn man verfolgt, in welchen gesellschaftlichen Kontexten auf Urmenschen Bezug genommen wird – und vor allem auch, bei welchen Themen das der Fall ist und wie mit den ‚urgeschichtlichen Vorfahren‘ jeweils argumentiert wird. Die mit Abstand häufigsten Rückgriffe auf die ‚Steinzeit‘5 finden im Rahmen von Ausein-andersetzungen mit Geschlechter- und Fami-lienverhältnissen statt. Im Folgenden werde

Die Prähistorikerin und Soziologin Sigrun Karlisch hat sich intensiv mit den wissen-schaftlichen Grundlagen der verschiedenen Szenarien befasst und dargelegt, dass letzt-lich nicht zu entscheiden ist, ob es sich um zwei oder drei Individuen handelte, welches Geschlecht die einzelnen Individuen hatten, ob eine Schwangerschaft vorlag, ob potentielle Kinder auf dem Arm getragen wurden oder an der Hand gingen, ob es sich bei ihnen um leibliche Kinder handelte – ganz zu schwei-gen davon, ob hier ein heterosexuelles Paar in trauter Eintracht nebeneinander ging und das männliche Individuum die Rolle des Füh-rers und Beschützers hatte. Sigrun Karlisch hat darauf hingewiesen, dass auch alternative Szenarien möglich wären (Karlisch 1998, 146; 154) – so z. B. zwei männliche Australopithe-cinen, die mit einigem Abstand aufeinander-folgten. Als Fazit lässt sich ziehen, dass auf Basis des Befundes, d. h. der erhaltenen Fußspuren, grundsätzlich ein weites Spektrum unter-schiedlichster Interpretationen in Betracht kommt. Das Frappierende ist, dass dieses Spek-trum nicht ausgelotet wird, sondern dass die Interpretationen auf heterosexuelle Paarbezie-hung und Kernfamilie fokussieren.

Sigrun Karlisch hat dieses Phänomen als „Mama-Papa-Kind-Syndrom“ bezeichnet. Sie kommt zum Schluss, dass auf die 3,6 Millio-nen Jahre alten Fußspuren von Laetoli aktu-elle Geschlechterrollen und das Konzept der Kernfamilie projiziert werden (Karlisch 1998, 156–157). Man könnte auch sagen, dass ein bestimmtes Geschlechter- und Familienmo-dell stillschweigend für Australopithecus afaren-sis vorausgesetzt wird. Insofern suggerieren diese rekonstruierten Paar- und Familiensze-nen, dass die Kernfamilie, basierend auf einer heterosexuellen Liebesbeziehung, schon bei den stammesgeschichtlichen Vorläufern der Menschen gang und gäbe gewesen sei. Damit scheint sie zu den biologischen Grundlagen des Menschen zu gehören und folglich seine ‚normale‘ Lebensform im ‚Naturzustand‘ zu

5 Die ‚Steinzeit‘ erscheint dabei als eine fiktive, sta-tische Epoche und fungiert als eine Chiffre für einen ‚Natur- und Urzustand‘, der wiederum als Refe-renz und Orientierung in aktuellen Debatten über Geschlechter- und Familienverhältnisse dient (Röder 2014b).

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behandelte, seit wann es Menschen mit blauen Augen und blonden Haaren gibt (Frost 2006). Neben Antworten auf diese Frage transpor-tieren die Medientexte explizit und implizit eine Reihe weiterer Inhalte. Sie vermitteln, dass die Nahrungsgrundlage die Jagd war. Da sie von den Männern ausgeübt wurde, sind diese ursprünglich Jäger und haben seit jeher die Rolle, Frau und Kind zu versorgen. Frauen sind von Männern existentiell abhängig, weil sie nicht in der Lage sind, sich selbst und ihre Kinder zu ernähren. Deshalb geht die Part-nerwahl stets von den Männern aus. Blonde Frauen waren dabei im Vorteil, da Männer Blondinen schon seit Urzeiten sexuell attrak-tiver finden. Weiter erfährt man implizit, dass die sexuelle Orientierung des Menschen grundsätzlich heterosexuell und monogam ist, und dass die übliche Familienform die Kern-familie aus einem monogamen Paar mit den gemeinsamen Kindern darstellt.

„Ganz natürliche Erklärungen“ und ein-fache Lösungen für große Probleme verspre-chen diverse Bestseller, die um die angeblich ‚biologisch vorgegebenen‘ Unterschiede zwi-schen Männern und Frauen kreisen. Mit über 20 Millionen verkauften Exemplaren beson-ders erfolgreich ist das Buch von Allan und Barbara Pease, die erklären, „Warum Männer nicht zuhören und Frauen schlecht einpar-ken“. Die Kernbotschaften wurden in einer handlichen Ausgabe für Handtasche oder Hemdtasche konzentriert (Pease / Pease 2005), und schließlich wurde das Buch sogar ver-filmt und kam 2007 in die deutschen Kinos. Auf dem Cover der DVD8 ist ein behaartes Urmenschenpaar zu sehen, das als Referenz für die ‚natürlichen‘ Geschlechterverhält-

ich einige ‚Lesefunde‘ aus den letzten Jah-ren präsentieren, die stellvertretend aufzeigen sollen, dass diese Rückgriffe hochgradig ste-reotyp sind und in der Regel mit dem Topos des ‚Jägers‘ und der ‚Sammlerin‘ erfolgen, die meist als Paar auftauchen. Und weil sie sich in ihrem Wesen, mit ihrer Arbeitsteilung und den aus ihr resultierenden Rollen so wunderbar harmonisch ergänzen, sind sie ein perfektes Traumpaar (Röder 2014b).

Wenn es bei heutigen Paaren kriselt, ist diese harmonische Ergänzung aus der Balance geraten. Diese Erfahrung macht auch der Pro-tagonist des Ein-Mann-Stücks Caveman – Du sammeln. Ich jagen! Konkret geht es um Fol-gendes: „Von seiner Frau vor die Tür gesetzt, philosophiert Tom über den kleinen Unter-schied und seine großen alltäglichen Folgen. Als männ liche Logik und begrenzte Phanta-sie ihn schnell an seine Grenzen stoßen lassen, erfährt Tom von unerwarteter Seite Hilfe. Im ‚magischen Unterwäschekreis‘ erscheint ihm sein Urahn aus der Steinzeit und lässt ihn an Jahrtausende alter Weisheit teilhaben: Män-ner sind Jäger und Frauen sind Sammlerin-nen. Eine Tatsache, die die menschliche Evo-lution bis heute nicht hat ändern können.“6 Eine griffige Botschaft, die das Theaterpubli-kum da mit nach Hause nehmen kann! Nicht weniger griffig ist die Meldung, dass Männer schon seit der Steinzeit auf Blondinen stehen. In Variationen verbreitete sie sich 2006 inner-halb weniger Tage von Brasilien bis Südkorea in der ganzen Medienwelt. Fotos prominen-ter Blondinen, die Sex-Appeal verkörpern, unter anderem Heidi Klum, Brigitte Bardot und Marilyn Monroe, suggerieren passend zum Text, dass Blondinen ‚zeitlos begehrens-wert‘ sind.7 Anlass für die Meldungen war ein Fachartikel, der unter anderem die Frage

7 Ausführlicher zu den Inhalten der Artikel s. Röder (2010a, 86–87).8 Warum Männer nicht zuhören und Frauen schlecht einparken. Regie: Leander Haußmann; Drehbuch: Rochus Hahn, Allan Pease. Constantin Film 2008.

6 Aus dem Ankündigungstext des Stückes s. u. a. http: // www.regio-info.ch / kultur / theater / musik-kabarett-mit-lass-durr.html (25.9.2014).

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Männern, Kapitalismuskompatibilität etc. – es scheint nichts zu geben, was sich nicht aus den postulierten steinzeitlichen Geschlech-terrollen herleiten oder mit ihnen erklären lässt. Das gilt auch für geschlechtsspezifische Farbvorlieben: Frauen seien in der Steinzeit auf das Sammeln reifer Beeren und damit auf die Unterscheidung verschiedener Rottöne geeicht worden, während Männer am liebsten bei schönem Wetter, also bei blauem Him-mel, jagen gingen und folglich eine Präferenz für Blautöne entwickelt hätten (kritisch dazu Grisard 2014).

Die Beispiele aus dem gesellschaft lichen Umfeld ließen sich beliebig fortsetzen, doch die Inhalte beginnen sehr schnell, sich zu wiederholen. Kurz zusammengefasst sind der Jäger und die Sammlerin deshalb ein vor-bildliches Traumpaar, weil es das vermeintlich ‚ursprüngliche‘ und ‚natürliche‘ Geschlech-terverhältnis verkörpert, es einen Bezugs- und Orientierungspunkt in der aktuellen Geschlechter debatte bietet und weil es zeigt, wie Männer und Frauen ‚von Natur aus‘, ihrem ‚anthro pologischen Design‘ und ihrem ‚tiefsten Wesen‘ nach scheinbar sind – bzw. sein sollen. Außerdem bietet es auch eine Erklärung für die angeblichen Unterschiede und heuti-gen Turbulenzen zwischen den Geschlechtern. Letztere träten dann auf, wenn die ‚natür-lichen‘, ‚ursprünglichen‘ oder ‚schöpfungs-gewollten‘ Geschlechterrollen ‚missachtet‘ würden. Für die Urgeschichte lassen sich vor diesem Hintergrund folgende gesellschaft-liche Funktionen ableiten: Durch den Blick zurück auf die vermeintlichen Anfänge bietet sie die Möglichkeit zur Selbstvergewisserung und Orientierung. Nach dem Motto Back to the roots! dient sie denjenigen, die am traditi-onellen Rollenmodell festhalten möchten, als Kulisse und Argumentationsplattform. Die Wurzeln denkt man sich dabei wohl als eine Art Pfahlwurzel, die zu einem absoluten, his-torischen Nullpunkt führt, in dem alles bereits angelegt war, und auf den man sich bei Bedarf

nisse dient. Wie wir uns diese vorzustellen haben, können wir im Kapitel „Wie wir das geworden sind, was wir sind“ nachlesen. Hier erfahren wir Folgendes: „Es war ein-mal vor langer, langer Zeit, da lebten Frauen und Männer noch glücklich zusammen und gingen in Harmonie ihrer Arbeit nach. Der Mann wagte sich Tag für Tag in eine feind-liche und gefährliche Welt hinaus, wo er als Jäger sein Leben riskierte, um seiner Frau und seinen Kindern Nahrung zu beschaffen, und zu Hause verteidigte er sie gegen wilde Tiere und andere Feinde. … Es war ziemlich ein-fach: Er war der Beutejäger, sie die Nesthü-terin. … Diese herkömmlichen Regeln wur-den jedoch in unserer modernen, zivilisierten Welt abgeschafft, und die Folgen sind Chaos, Verwirrung und Unzufriedenheit“ (Pease /Pease 2005, 16–17; 19).

Wie sich durch die sogenannte Zivilisa-tion die Geschlechterrollen verändert haben, beschäftigt auch den Philosophen Peter Sloterdijk. Er hat sich zu diesem Thema in einem Interview geäußert, dass er dem Maga-zin DER SPIEGEL anlässlich der Fußball-weltmeisterschaft 2006 gegeben hat. Darin kommt er auch auf den Jäger und die Samm-lerin zu sprechen: „Von unserem anthropo-logischen Design her sind Männer so gebaut, dass sie an Jagdpartien teilnehmen.“ Während der „innere Jäger im Mann“ heute nutzlos sei, seien die Frauen als „herkunftsmäßig[e] Sammlerinnen“ viel kapitalismuskompatib-ler, denn „aus der Sammlerin wird auf dem kürzesten Weg die Konsumentin. … In der Konsumentin zeigt sich noch immer diese stille, triumphale Genugtuung der Sammle-rin, die in ihrem Korb etwas heimbringt. Dar-aus ist dieses mysteriöse weibliche Universal der Handtasche entstanden. Ein Mann ohne Speer oder ohne Ball, das geht ja noch, aber eine Frau ohne Handtasche, das ist wider die Natur“ (Sloterdijk 2006, 70). Ob Arbeitstei-lung, Geschlechterhierarchie, Beziehungs- und Familienform, sexuelle Präferenzen von

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auch nicht auf den Prüfstand, sondern fließen als kulturell vermitteltes Vorwissen unbemerkt in die Forschung ein. Deshalb scheinen die Grundzüge des Zusammenlebens – d. h. die Geschlechter-, Familien- und Generationen-verhältnisse – in urgeschichtlichen Gesell-schaften bereits bekannt zu sein. Das mag mit ein wichtiger Grund dafür sein, weshalb in der Sozialarchäologie zu diesen Themen bis-her weitaus weniger geforscht wird als zur Rekonstruktion sozialer und politischer Hier-archien. Mir selbst wurde das eigene kulturelle Vorwissen erstmals bewusst, als ich analysiert habe, wie Alters- und Geschlechterrollen auf archäologischen Rekonstruktionszeichnun-gen (Paläolithikum bis Eisenzeit) dargestellt werden, die in Fachpublikationen und popu-lärwissenschaftlichen Büchern, in Museen, Schulbüchern etc. Einblick in das urgeschicht-liche Alltagsleben geben sollen (Röder 2004; 2010b). Vorauszuschicken ist, dass auf den Darstellungen Frauen und in noch weitaus höherem Maß Kinder, Jugendliche und alte Menschen unterrepräsentiert sind. Hätten die abgebildeten Zahlenverhältnisse nur annä-hernd den realen demographischen Verhält-nissen entsprochen, wären die betreffenden Gesellschaften innerhalb kürzester Zeit aus-gestorben. Die Rollen von Frauen, Männern, Kindern, Jugendlichen und alten Menschen sind ausgesprochen stereotyp: Männer erschei-nen als ‚Ernährer‘, ‚Versorger‘ und ‚Zivilisati-onsbringer‘, während Frauen in erster Linie als ‚Mütter‘ und ‚Hausfrauen‘ figurieren. Kinder haben lediglich eine Statistenrolle, während Jugendliche bei Tätigkeiten gezeigt werden, die ihre Integration in die geschlechtsspezi-fisch organisierte Arbeitswelt der Erwachsenen anzeigen.10

Im Hinblick auf das Thema Paarbeziehung ist festzuhalten, dass die Lebensbilder durch

beziehen kann.9 Das Urmenschenpaar steht für diesen Anfang – es mutet wie eine säkulare Variante von Adam und Eva an. Wie mit Letz-teren scheint uns auch mit dem urgeschicht-lichen Jäger und der Sammlerin eine direkte Entwicklungslinie zu verbinden. Deshalb sind sie Menschen wie du und ich, die heute immer wieder zur Selbstvergewisserung und als Refe-renz dienen können. Der enorme histori-sche Zeitraum des Vergleichs wird dabei nicht reflektiert – ein Zeitraum, in dem sich die Lebensbedingungen vielfach tiefgreifend ver-ändert haben, und dasselbe auch für die sozia-len Verhältnisse angenommen werden muss.

Das Geschlechtermodell in der Urgeschichtsforschung

Angesichts der gesellschaftlichen Omniprä-senz des Topos des ‚Jägers‘ und der ‚Samm-lerin‘ und der verbreiteten Überzeugung, dass sie die ‚natürlichen‘ Geschlechterrollen und das ‚ursprüngliche‘ Geschlechterverhält-nis repräsentieren, stellt sich die Frage, wie sich die Prähistorische Archäologie zu diesem Geschlechtermodell stellt. Schließlich findet Wissenschaft nicht im luftleeren Raum statt, sondern ist immer gesellschaftlich situiert (u. a. Haraway 1988; Nowotny / Scott / Gibbons 2005) – anders gesagt: Wie geht die Disziplin mit diesen im Alltagswissen fest verankerten Vorstellungen um? Solche Ideen und Konzepte haben auch Archäologinnen und Archäologen in ihrem ‚kulturellen Gepäck‘. Und weil sie so ‚unglaublich selbstverständlich‘, so ‚gänz-lich unbestritten‘, so ‚ungemein plausibel‘ und überhaupt als ‚allgemein menschlich‘ und folglich als ‚universal‘ erscheinen, kommen sie bei wissenschaftlichen Interpretationen häufig

10 Für Details s. Röder (2004; 2010b).

9 Zur metaphysischen Funktion der ‚Anfänge‘ und ‚Ursprünge‘ s. Röder (2014b) mit weiterführender Literatur.

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Hausarbeit und Kinderbetreuung, kann man diesen bekannten Baustein der patriarchalen Geschlechterordnung auch in diesem Text erkennen. Außer zu den Geschlechterrollen und zur Geschlechterhierarchie beinhaltet er Aussagen zur Beziehungs- und Familienform. Wir erfahren, dass Homo erectus und seine Gefährtin in einer monogamen Paarbeziehung leben und mit ihren Kindern eine ‚Familie‘ bilden. Das „Familienleben“ mit der Frau im Zentrum findet an der ‚heimischen Feu-erstelle‘ statt. Ergänzend sei hier angemerkt, dass sich die Botschaft, die heterosexuelle, monogame Dauerehe sei die einzige Form der Paarbeziehung des Menschen, in nahezu allen Fachpublikationen findet, in denen etwas zu Beziehungsformen ausgesagt wird. Lediglich vereinzelt wird auch Polygamie in Betracht gezogen; Beispiele für die Erwähnung von Polyandrie oder gleichgeschlechtlichen Bezie-hungen sind mir keine bekannt. Implizit ver-mitteln die Texte außerdem, dass die Paarbe-ziehung stets mit Reproduktion verbunden ist und somit den ersten Schritt zur Gründung einer ‚Familie‘ darstellt, die wiederum die Grundeinheit prähistorischer Gesellschaften bildet.

Doch zurück zum Text Massets – und zwar zum Dreh- und Angelpunkt der Argu-mentation. Dieser besteht in der biologi-schen Geschlechterdifferenz, speziell in der vorhandenen respektive nicht vorhande-nen Gebär fähigkeit. Aus ihr wird abgeleitet, dass es beim Menschen zwei, sich dichotom gegenüberstehende Geschlechter gibt. Aus der Mutterschaft, konkret aus der „lange[n] Abhängigkeit des Kleinkinds von seiner Mut-ter“, wie Masset an anderer Stelle ausführt (Masset 2005, 105), resultiert denn auch die beschriebene geschlechtsspezifische Arbeits-teilung, deren bipolare Organisation „uralt“, also urmenschlich ist. Aus der biologischen Differenz der Geschlechter folgt eine spezi-fische Form der Arbeits- und Rollenteilung. Es wird der Eindruck erweckt, dass sie sich

alle Zeiten – angefangen bei Australopithecus afarensis bis zu den Helvetiern – stereotyp die monogame, heterosexuelle Paarbeziehung zei-gen, die wiederum als Basis biologischer Kern-familien dient, welche die Grundeinheit der Gesellschaft bilden. Vor diesem Hintergrund versteht es sich von selbst, dass die Feuerstelle bzw. Höhle, das Zelt oder das Haus als Aufent-halts- und Wohnort einer Kernfamilie gilt. In einem Aufsatz des französischen Prähistorikers und Anthropologen Claude Masset (2005, 105) über die „Vorgeschichte der Familie“ wird das folgendermaßen auf den Punkt gebracht: „Das Feuer wiederum machte sich vor 500’000 oder 600’000 Jahren ebenfalls der Homo erectus zu eigen. Seine Gefährtin, die wegen der Kin-der nicht so mobil war wie der Mann, konnte sich nicht gleichweit vom Feuer entfernen; bestimmt mußte sie dafür sorgen, daß es nicht ausging. Die Frau bei der Feuerstelle ist wahr-scheinlich eines der ältesten Bilder des Famili-enlebens. Bei heutigen Jägern und Sammlern ist überall der uralte Gegensatz zwischen den Tätigkeiten der beiden Geschlechter zu beob-achten: Jagd auf der einen Seite, Herdfeuer-pflege und Sammeln auf der anderen.“

Diese wenigen Worte vermitteln hochkom-pakt sehr viel an expliziten und impliziten Inhalten – Inhalte, die repräsentativ für zahl-reiche Fachtexte sind und die im Folgenden deshalb ausbuchstabiert werden: ‚Mensch‘ und ‚Mann‘ sind hier gleichgesetzt – die Frau ist lediglich „Gefährtin“ des Mannes. Damit wird der Mann zur Hauptperson, und es wird eine hierarchische Beziehung zwischen ihm und seiner „Gefährtin“ suggeriert. Er ist Jäger, Ernährer, Macher und Erfinder, und so hat er sich das Feuer zu eigen gemacht. Sie ist primär Mutter, sekundär auch Hausfrau und Samm-lerin, da diese Tätigkeiten mit der Mutterrolle vereinbar sind. Führt man sich vor Augen, dass in unserer heutigen Gesellschaft die männlich konnotierte Ernährerrolle bzw. die Erwerbs-arbeit weitaus mehr gesellschaftliche Wert-schätzung genießt als die weiblich konnotierte

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als wirtschaftliche Grundeinheit, d. h. als ein Haushalt betrachtet, dessen Mitglieder unter demselben Dach gemeinsam lebten und wirtschafteten. Die jeweiligen epochenspe-zifischen architektonischen Grundeinheiten – sei es die Höhle, das Zelt bzw. das Haus – werden so zum Ort der biologischen, sozia-len und kulturellen Reproduktion. Besonders offensichtlich sind diese Vorstellungen in der See uferarchäologie, wie Sabina Lutz in einer Arbeit zum „Begriff der ‚Familie‘ in der Fach-literatur und populären Publikationen zu neo-lithischen Seeufersiedlungen auf dem Gebiet der heutigen Schweiz“ (Lutz 2010; 2013) eindrücklich gezeigt hat. Vor dem Hinter-grund ihrer Ergebnisse erscheinen die ‚Pfahl-bauhäuschen‘ als ‚Einfamilienhäuschen‘, die von ‚gutbürgerlichen‘ Kleinfamilien bewohnt wurden.11

Wie bereits erwähnt, handelt es sich bei diesen ‚gutbürgerlichen Kleinfamilien‘ in der Urgeschichtsforschung um ein verbreitetes Phänomen, das nicht auf die Seeuferarchäo-logie beschränkt ist. Die Bürgerliche Gesell-schaft mit ihrem spezifischen Geschlechter- und Familienmodell stellt in den meisten Publikationen den Sinnhorizont und folglich das implizite Analogiemodell für die sozia-len Verhältnisse in der Urgeschichte dar. Um zu erläutern, weshalb das so ist, muss etwas ausgeholt werden: Als sich die Bürgerliche Gesellschaft im 18. und 19. Jahrhundert kon-stituierte, fand in diesem Rahmen auch eine Neukonzeption von zwei grundlegenden sozialen Institutionen, nämlich des Geschlech-terverhältnisses und der Familie, statt. Von zentraler Bedeutung dafür war ein völlig neues Geschlechterkonzept. Bis dahin war in Eu-

zwangsläufig und unausweichlich aus der bio-logischen Geschlechterdifferenz ergibt und folglich eine anthropologische Konstante dar-stellt. Mit dem Verweis auf heutige Wildbeu-tergesellschaften, in denen „überall der uralte Gegensatz zwischen den Tätigkeiten der bei-den Geschlechter zu beobachten“ sei (Mas-set 2005, 105), wird die Behauptung, dass die von Masset beschriebenen Geschlechterver-hältnisse historische Invarianten und universal seien, weiter untermauert. Diese Behauptung steht im Widerspruch zu unzähligen Stu-dien der geschichts- und sozialwissenschaft-lichen Geschlechter forschung, die zeigen, dass Geschlechterordnungen gerade nicht biologisch vorgegeben sind, sondern soziale Konstruktionen darstellen und sich folglich in höchstem Maße als historisch kontingent erweisen. Wie später noch ausgeführt wird, gilt das auch für das dichotome Geschlech-terkonzept.

Als Fazit ist festzuhalten, dass die Inhalte dieses Fachtextes sich nicht auf konkrete For-schungsergebnisse beziehen, sondern mit dem Gestus des Selbstverständlichen und des Alt-bekannten kulturell vermitteltes Vorwissen reproduzieren, indem sie ein ganz spezifisches Geschlechter- und Familienmodell – näm-lich das der Bürgerlichen Gesellschaft (siehe unten) – stillschweigend für die Urgeschichte voraussetzen.

Die Bürgerliche Gesellschaft als Analogiemodell und Sinn-horizont in der Prähistorischen Archäologie

Diese vermeintlichen Gewissheiten über die Geschlechter- und Familienverhältnisse in urgeschichtlichen Gesellschaften sind in der prähistorischen Forschung verbreitet und noch weitgehend akzeptiert. Und so wird in Analogie zur Bürgerlichen Gesellschaft die biologische Kernfamilie stillschweigend auch

11 Neuerdings wird dieses Konzept kritisch hinter-fragt, was auf der Tagung „Culture, Climate and Envi-ronment. Interactions at Prehistoric Wetland sites“ deutlich wurde, die vom 11. bis 14. Juni 2014 in Bern stattfand (s. auch Gross / Röder in Vorb.).

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schiedlichen gesellschaftlichen Rollen und Handlungsmöglichkeiten“ abgeleitet (Mai-hofer 2009, 29). Für die Geschlechterrolle der Frau wird die Gebärfähigkeit zur Determi-nante: Diese prädestiniere sie für eine ‚natür-liche‘ bzw. ‚biologisch vorgegebene‘ Rolle als Mutter und Gattin (Maihofer 2009, 29–30).

Ein weiteres zentrales Element des bürger- lichen Geschlechtermodells ist die Geschlech-terhierarchie, die dadurch entsteht, dass der (bürgerliche) Mann mit ‚Mensch‘ schlecht-hin gleichgesetzt und somit Maßstab und Norm wird. Die Frau wird demgegenüber als das – defizitäre – ‚Andere‘ konzipiert. Die Geschlechterunterschiede werden durchweg komplementär konstruiert und hie rarchisch gedeutet. Festgeschrieben wurden die neu definierten Unterschiede mit dem sogenann-ten Geschlechtscharakter, den die Historikerin Karin Hausen sehr treffend als „ein Gemisch aus Biologie, Bestimmung und Wesen“ beschreibt (Hausen 1976, 367). Ein wichti-ges Popularisierungsmedium in der damaligen Zeit waren die in den bürgerlichen Haushal-ten verbreiteten Lexika. So ist im Brockhaus, dem „Conversationslexikon oder Handwör-terbuch für die gebildeten Stände“, von 1815 unter dem Stichwort „Geschlechtscharakter“ zu lesen: „Daher offenbart sich in der Form des Mannes mehr die Idee der Kraft, in der Form des Weibes mehr die Idee der Schönheit. ... Der Geist des Mannes ist mehr schaffend ..., zu Anstrengungen, zur Verarbeitung abstrac-ter Gegenstände, zu weitaussehenden Plänen geneigter; ... Das Weib ist auf einen kleineren Kreis beschränkt, den es aber klarer überschaut; es hat mehr Geduld und Ausdauer in kleinen Arbeiten. Der Mann muss erwerben, das Weib sucht zu erhalten; der Mann mit Gewalt, das Weib mit Güte und List. Jener gehört dem geräuschvollen öffentlichen Leben, diese dem stillen häuslichen Cirkel“ (zitiert nach Hausen 1976).

Um es auf den Punkt zu bringen: Das bür-gerliche Geschlechtermodell entstand im

ropa das sogenannte Ein-Geschlecht-Modell (Laqueur 1992) verbreitet, welches beinhal-tet, dass es nur ein Geschlecht gibt, und die Unterschiede zwischen Männern und Frauen nicht prinzipieller, sondern gradueller Art und damit in gewissem Maß veränderbar sind.12 So ging man davon aus, dass die Geschlechtsor-gane von Frauen und Männern grundsätzlich identisch sind, sie bei Männern infolge ihrer ‚Hitze‘ nach außen gestülpt werden, während sie bei Frauen, die weniger ‚Hitze‘ haben, im Körperinnern liegen. Wie stark dieses auf die antike Medizin und Säftelehre zurückgehende Konzept die Wahrnehmung prägte, zeigt ein-drücklich eine Zeichnung, die der Anatom Andreas Vesalius 1543 von den weiblichen Geschlechtsorganen anfertigte, die er auf-grund der von ihm durchgeführten Sektionen aus eigener Anschauung kannte: Scheide und Gebärmutterhals sehen wie ein Penis aus, die Schamlippen wie eine Eichel (Schulte-Dorn-berg 1998, Abb. 2).

Im 18. Jahrhundert setzte sich mehr und mehr das sogenannte Zwei-Geschlechter-Modell durch, das von der ‚natürlichen‘ bzw. biologisch vorgegebenen Existenz von zwei qualitativ verschiedenen Geschlechtern aus-geht. Wie die Geschlechterforscherin And-rea Maihofer ausführt, ist „Zentrales Kenn-zeichen dieses Geschlechterdiskurses …, dass nun behauptet wird, es gäbe zwei biologisch qualitativ verschiedene Geschlechtskörper, deren Unterschiede … den männlichen und weiblichen Körper im Ganzen betreffen“ (Maihofer 2009, 29). In diesem Konzept sind die Geschlechterunterschiede prinzipiell und folglich unhintergehbar. Aus der biologischen Differenz der Geschlechter werden nun „ver-schiedene … Fähigkeiten und Eigenschaften von Männern und Frauen sowie ihre unter-

12 Die folgenden Ausführungen stützen sich v. a. auf Schulte-Dornberg 1998, 66–72.

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Familienmodell auch in der Prähistorischen Archäologie für die Urgeschichte meist still-schweigend vorausgesetzt.

Aus dieser Perspektive werden urgeschicht-liche Gesellschaften implizit in einen statischen und vermeintlich ‚weitgehend bekannten‘ und in einen dynamischen, historisch wan-delbaren Bereich aufgeteilt: Die Geschlech-ter- und Familienverhältnisse werden als weit-gehend bekannt und statisch wahrgenommen. Als dem historischen Wandel unterworfen und folglich dynamisch gelten hingegen sozi-ale Stratifizierung und politische Organisation. Dies könnte mit eine Erklärung für das bereits erwähnte Phänomen sein, dass sich die Prähis-torische Archäologie intensiv um die Rekon-struktion sozialer und politischer Hierarchien bemüht, während sich mit der Frage nach den Geschlechter- und Familienverhältnissen ver-gleichsweise wenige Kolleginnen und Kol-legen befassen. Das ist auch deshalb erstaun-lich, weil Geschlechter- und Altershierarchien nicht nur das tagtägliche Zusammenleben strukturieren, sondern zugleich für soziale und politische Hierarchien von grundlegen-der Bedeutung sind.

Zwischen Reaktualisierung und produktiver Irritation: Geschlech-ter- und Familienverhältnisse auf archäologischen Lebensbildern

Wenn die Geschlechter- und Familienver-hältnisse ebenfalls als historisch veränderlich betrachtet und mit der gleichen Verve erforscht würden wie soziale und politische Hierarchien, würden sich vermutlich ganz neue Sichtwei-sen auf prähistorische Gesellschaften ergeben. In wissenschaftlicher Hinsicht wäre das ein großer Gewinn. Doch abgesehen davon gibt es auch eine gesellschaftspolitische Ebene – und damit eine gesellschaftliche Verantwortung –, mit der wir uns in der Archäologie konfron-tieren und zu der wir uns positionieren sollten:

Rahmen der Bürgerlichen Gesellschaft und ist folglich erst rund 250 Jahre alt. Es beinhaltet eine bipolare Konzeption von ‚Geschlecht‘, die mit biologischer Geschlechterdifferenz begründet und als ‚natürlich‘ und ‚ursprüng-lich‘ präsentiert wird. Damit wird diese sozi-ale Konstruktion naturalisiert und archaisiert, d. h. als ‚natürlich‘, ‚normal‘ und ‚allgemein menschlich‘ bzw. ‚universal‘ dargestellt. Natu-ralisierung, Archaisierung und Universalisie-rung sind entscheidende Mechanismen, die – noch heute – zur Legitimation und Repro-duktion des bürgerlichen Geschlechtermo-dells beitragen. Darüber hinaus ist das Modell patri archal. Es setzt Heterosexualität und Monogamie als Norm und legt ‚Männlichkeit‘ und ‚Weiblichkeit‘ sowie ‚Frauen-‘ und ‚Män-nerrollen‘ fest.

Konstitutiv mit ihm verknüpft ist das bür-gerliche Familienmodell, das wie folgt cha-rakterisiert ist: Es umfasst eine biologische Kernfamilie, die auf einer heterosexuellen Dauerehe beruht und nach dem bürger-lichen Geschlechtermodell ausgestaltet ist. Der Mann hat die Rolle des Familienoberhaupts und des Ernährers, die Frau ist Gattin, Haus-frau und Mutter. Aus diesen Rollen ergibt sich eine familiale Arbeitsteilung, bei der der Mann einer Erwerbsarbeit nachgeht, und die Frau sich um die Hausarbeit und Kinderbe-treuung kümmert. Die Familie lebt in einem gemeinsamen Haushalt zusammen und bildet eine Wirtschaftseinheit. Die Kinder wachsen ‚beschützt‘ auf, sie werden ‚versorgt‘ – sie sind aber zugleich untergeordnet und abhängig. Bereits im 19. Jahrhundert begann das Bürger-tum damit, „sein Ehe- und Familienleitbild als universal … zu postulieren“ (Kaufmann 1995, 23). Und so erstaunt es nicht, dass diese maxi-mal 250 Jahre alten sozialen Konstruktionen – zumindest in westlichen Gesellschaften – noch heute als vermeintliche Grundelemente des menschlichen Zusammenlebens gelten. Als scheinbare ‚Grundstruktur‘ aller Gesellschaf-ten werden das bürgerliche Geschlechter- und

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die eine Frauenstatuette schnitzt (Owen 2005, Abb. 35 und 36), eine exotisch-geheimnisvolle Schamanin oder eine durchtrainierte, musku-löse Jägerin (beide Landesmuseum Halle). Ein interessantes Phänomen sind zudem die ‚neuen (Groß-)Väter‘: ein Großvater, der mit seinen drei Enkeln spielt (Owen 2005, Abb. 26), ein ‚Dorfchef ‘ mit einem Kind auf dem Arm13 sowie ein Mann, der einem Kleinkind den Hintern abwischt (Abb. 3). Neben aktuellen gesellschaftlichen Veränderungen, die sich hier möglicherweise bemerkbar machen, schlägt bei diesen neuen Szenen vermutlich auch der Reflexionsprozess zu Buche, der in den letz-ten Jahren zu Lebensbildern in Gang gekom-men ist. Außer Arbeiten einzelner AutorInnen (u. a. Mainka-Mehling 2008; Sénécheau 2007) haben sich diesem Thema bereits wissenschaft-liche Kolloquien (Kaenel / Jud 2002; Fries /Rambuscheck / Schulte-Dornberg 2005) und eine Ausstellung im Südtiroler Archäologie-museum in Bozen gewidmet14. Jüngstes Bei-spiel für die Reflexion von Geschlechterrollen auf Lebensbildern und in der Prähistorischen Archäologie allgemein ist die Ausstellung „Ich Mann. Du Frau. Feste Rollen seit Urzeiten?“ im Archäologiemuseum Colombischlössle in Freiburg im Breisgau.15

Wie ist diese neue Entwicklung bei den Lebensbildern zu bewerten? Grundsätzlich ist es zu begrüßen, dass mit Stereotypen gebro-chen wird und stattdessen vielfältigere Rollen abgebildet werden. Aber gab es diese ‚neuen Väter‘ auch schon in der Urgeschichte? Und die muskulösen Jägerinnen, die gleich einem Model über den Laufsteg durch die Landschaft

Wenn die Archäologie auf den meisten ihrer Lebensbilder weiterhin bürger liche Verhält-nisse in urgeschichtlichen Kulissen in Szene setzt, reaktualisiert und reproduziert sie das bürgerliche Geschlechter- und Familienmo-dell immer wieder aufs Neue als vorgeblich ursprüngliche und universale Lebensform des Menschen. Damit trägt sie zur Persistenz die-ser Leitbilder bei.

In diesem Zusammenhang könnte man auch die Frage stellen und eine öffentliche Debatte darüber lancieren, ob es nicht absurd ist, sich bei der aktuellen Gestaltung der sozi-alen Verhältnisse auf scheinbar ‚ursprüngliche‘ und ‚allgemein menschliche‘ Beziehungs- und Familienformen in der Urgeschichte zu bezie-hen. Meines Erachtens müssen wir das hier und heute aushandeln – und dabei Formen finden, die uns hier und heute entsprechen. Wie – wenn wir es denn überhaupt wüss-ten! – paläolithische Wildbeutergruppen oder eisenzeitliche bäuerliche Gemeinschaften ihr soziales Leben gestalteten, kann angesichts der gänzlich anderen Lebensbedingungen heute nicht mehr als Referenz und Leitbild dienen. Die Entflechtung von ‚ur-menschlichen Bür-gern‘ und ‚bürgerlichen Urmenschen‘ sowie der aus ihr resultierende Rückverweis auf die eigene Gegenwart (Röder 2013; 2014b) könnte auf dem gesellschaftspolitischen Par-kett neue Blickwinkel für die aktuellen Dis-kussionen eröffnen.

Umgekehrt scheint es, dass die in der Gesell-schaft gerade stattfindende Pluralisierung und Neugestaltung von Geschlechterrollen sowie von Beziehungs- und familialen Lebensformen auch vor der Wissenschaft nicht haltmacht und in der Archäologie neue Dynamiken freisetzt. So fällt auf, dass in den letzten Jahren vereinzelt archäologische Lebensbilder entstehen, die mit den altbekannten Geschlechterstereotypen brechen und dadurch irritieren – beispiels-weise ein Sammler (Hodder 1999, Abb. 8_38), ein nähender Mann (Owen 2005, Abb. 26), eine Frau, die Silex schlägt, und eine andere,

13 Ausstellung „Lebensbilder. Immaginarsi la Preisto-ria. Überlegungen zum Alltag in der Urgeschichte“ im Südtiroler Archäologiemuseum Bozen 2006.14 s. Anm. 13.15 Zur Ausstellung erschien ein gleichnamiges Begleit-buch (Röder 2014a) mit einem Beitrag zu Lebensbil-dern (Federer 2014).

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Brigitte Röder250

stellen sollten, sind sie wichtig und produktiv: Durch die Irritationen, die sie auslösen, wird scheinbar Selbstverständliches plötzlich frag-würdig, und es werden sowohl im Fach als auch in der Öffentlichkeit neue Fragen aufge-worfen. Insofern ist zu hoffen, dass die Irrita-tionen neue Forschungsfragen generieren und neue sozialgeschichtliche Analysen auslösen, die sich den Geschlechter- und Familienver-hältnissen widmen. Damit würde ein zentraler Bereich urgeschichtlicher Lebensverhältnisse in den Fokus der Forschung gelangen, der bisher noch wenig Gegenstand empirischer Untersuchungen ist.

Plädoyer für (mehr) Fremdheit

Eine wichtige Voraussetzung für die Realisie-rung dieser Visionen ist, dass sich „Die Archäo-logen“ aus der – wie auf dem gleichnamigen Gemälde von Giorgio de Chirico themati-

schreiten – sind sie vielleicht nur die Projek-tion eines gerade aktuellen weiblichen Kör-perideals auf die Urgeschichte? Lebensbilder sind stets eine Gratwanderung zwischen dem Eigenen und dem Vertrauten auf der einen und dem Fremden und Unbekannten auf der anderen Seite. Diesen Aspekt von archäologi-schen Rekonstruktionszeichnungen hat Tim Kerig sehr plastisch in seinem Aufsatz „Mam-muts, !Kung und Hairstylisten – Fremdheit und Nähe in archäologischen Lebensbildern“ (2005) geschildert. Trotz aller Reflexion, die in den letzten Jahren eingesetzt hat, entrinnen wir unserem eigenen Erfahrungshintergrund nicht: Wir spiegeln uns zwangsläufig immer in den Lebensbildern, die wir produzieren. Des-halb repräsentieren sie zu einem großen Teil stets ‚Perspektiven auf das Eigene‘ und schaf-fen so vermeintliche Vertrautheit mit Men-schen, die in der Urgeschichte gelebt haben. Doch selbst wenn die ‚neuen Bilder‘ zunächst nicht mehr als aktualistische Projektionen dar-

Abb. 3: Die ‚neuen Väter‘ sind mittlerweile auch auf Lebensbildern und in Modellen in Museen ange-kommen. Modell zur neolithischen Siedlung Pfyn-Breitenloo im Museum für Archäologie in Frauen-feld, Kanton Thurgau, Schweiz (D. Steiner, Amt für Archäologie des Kantons Thurgau, www.archaeolo-gie.tg.ch).

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Das Rituelle als erkenntnistheoretisches Problem der Archäologie*

Manfred K. H. Eggert

auch für Individuen zu, sofern es ihnen – in bestimmten Gesellschaften – freisteht, sich entweder der Abstammungsgruppe der Vater- oder der Mutterseite anzuschließen.

Seinerzeit ging es mir darum, dass Jesus nach dem Neuen Testament sowohl „des Menschen Sohn“ als auch „Gottes Sohn“ war. Vor allem im Matthäus-Evangelium bezeichnete er sich viele Male selbst auf diese oder jene Weise. Sein sozialer Vater war Joseph, der Zimmer-mann, aber sein ‚Genitor‘ oder – wenn man es so formulieren will – sein ‚himmlischer Vater‘ war der Heilige Geist. Denn Maria, seine Mutter, war nicht von Joseph, sondern vom Heiligen Geist schwanger geworden, und Joseph „berührte“ sie erst – wie Matthäus 1,25 berichtet –, nachdem sie ihren Sohn geboren hatte. Diesem Sohn gab Joseph auf Geheiß eines Engels des Herrn den Namen ‚Jesus‘.

„Religion hat es mit dem Nicht-Evidenten zu tun. ...Für Fremde scheint religiöses Handeln darum in der Regel unverständlich, verwirrlich, absurd – was dazu führt,daß man in Prähistorie und Archäologie geneigt ist,Unverstandenes rasch als ‚religiös‘ zu qualifi-zieren.“

Walter Burkert (1998, 18)

Einleitung: Fremdartiges im Neuen Testament

Bereits ein flüchtiger Blick in die vier Evan-gelien des Neuen Testaments konfrontiert den Leser – Christ oder nicht – mit zahlreichen Phänomenen, die seiner Welterfahrung wider-sprechen: Es werden darin viele Ereignisse berichtet, die nicht nachvollzogen, sondern nur geglaubt werden können. Eine kleine per-sönliche Reminiszenz an das Jahr 1976 mag als Beispiel dienen. Damals wollte ich einen Aufsatz mit dem Titel „Jesus Christ and Dou-ble Descent“ schreiben. In der sozialethnolo-gischen Terminologie bezeichnet der Begriff double descent oder ‚doppelte Abstammung‘ Gesellschaften, die sowohl durch patrilineare als auch matrilineare Gruppen charakteri-siert sind. In erweitertem Verständnis trifft das

* Dieser Text basiert auf einem Vortrag, den ich auf Einladung von Tobias L. Kienlin am 16. Mai 2013 in Köln im Rahmen der „Kölner Interdisziplinären Vorle-sung Archäologie und Kulturwissenschaften“ gehalten habe. Er wurde für die Veröffentlichung unter weit-gehender Wahrung des Redestils überarbeitet und in einigen Teilen gekürzt, in anderen erweitert. Stefanie Samida (Potsdam) danke ich sehr für ihre hilfreiche Kritik einer früheren Version und Dirk Seidensticker (Tübingen / Köln) für die Anfertigung der Abbildungen.

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Manfred K. H. Eggert256

große Zahl von Veröffentlichungen; einige von ihnen werden unten zitiert.

Die folgenden Ausführungen sind – gemäß dem Rahmenthema der Ringvorlesung – einerseits dem im Motto und in der Einlei-tung angesprochenen ‚Fremdartigen‘ gewid-met, das jedweder Ritualpraxis eigentümlich ist. Dieses Fremdartige des Rituellen resultiert letztlich immer aus der besonderen Situation des gar nicht oder nur teilweise Initiierten. Es ist für jene, die nicht initiiert sind, in aller Regel unverständlich. Das gilt demgemäß auch für die Archäologie, die ur- und früh-geschichtlichen Kultpraktiken a priori igno-rant gegenübersteht und sie zudem meist nur über materielle Quellen zu erfassen vermag. Somit stellt sich in diesem Beitrag anderer-seits die Frage, ob, anhand welcher Kriterien und inwieweit die Archäologie in der Lage ist, urgeschichtliches Kultverhalten zu erkennen und zu deuten.

Es erscheint angebracht, in diesem Kontext auch einen Überblick über den Stand der Dis-kussion der Ritualthematik in der Archäolo-gie zu geben. Dies wiederum macht einige darüber hinausführende Bemerkungen zur Gesamtproblematik notwendig. Allerdings sol-len sich die Überlegungen nicht auf die Cha-rakterisierung der bisherigen archäologischen Bemühungen und auf das Methodologische beschränken. Vielmehr richtet sich der Blick auch auf jüngste ethnoarchäologische und ethnologische Untersuchungen in Westafrika. Ihre Präsentation zielt darauf, wesentliche erkenntnistheoretische Schwierigkeiten im Bereich des Rituellen mit konkreten Beispie-len zu illustrieren.

Abschließende Darlegungen sollen die verschiedenen Fäden dieses Beitrags zusam-menzuführen. Dabei ist angestrebt, die in den Ausführungen unterstellte Fremdartigkeit des Rituellen als erkenntnistheoretisches Problem der Archäologie noch einmal klar zu benen-nen und zu bewerten.

Damals erschien es mir sinnvoll, diese im Neuen Testament überlieferte ‚zweiwertige‘ Version der Abstammung Jesu Christi im Lichte sozialethnologischer Kategorien zu beleuchten. Zudem hoffte ich damals, dass sich sodann aus einer vergleichenden religionseth-nologischen Perspektive Einsichten ergeben würden, die geeignet wären, das Fremdartige dieser Überlieferung nachvollziehbarer zu machen.

Ich erwähne diese Episode aus der Phase meiner wissenschaftlichen ‚Unschuld‘ – der Aufsatz wurde niemals geschrieben – ledig-lich, um die Dimension der zu erörternden Thematik anzudeuten. Welchen Begriff man auch für bestimmte Phänomene oder einen bestimmten Handlungskontext im Universum der Sinngebungen wählt – ‚Religion‘, ‚Kult‘, ‚Ritus‘ oder ‚Ritual‘ –, es bleibt bei nähe-rem Hinsehen dabei: Das, worüber wir dabei reden oder was uns an konkreten Handlungen gegenübertritt, erscheint uns häufig fremd-artig, wenn nicht gar unverständlich. Dazu bedarf es, wie etwa in unserem eigenen religi-ösen Umfeld das Neue Testament zeigt, nicht einmal des Unvertrauten. Dieser Tatbestand kommt sehr schön in einem Bonmot von Walter Burkert zum Ausdruck, auf das Svend Hansen (2003, 113) verweist. Demzufolge sei es bereits fraglich, ob man seine eigene Reli-gion verstehe, und Hansen fügt in Klammern Burkerts Antwort hinzu: „Ich würde sagen, in der Regel nein“.

Zielsetzung

In diesem Beitrag soll es vor allem um ‚Ritu-elles‘ in der Archäologie gehen. Es ist dafür weder zweckmäßig noch möglich, die Fülle der ‚kultverdächtigen‘ Erscheinungen in irgend- einer Weise zusammenfassend zu charakterisie-ren. Über die Mannigfaltigkeit der einschlägi-gen Funde und Befunde unterrichtet eine sehr

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Das Rituelle als erkenntnistheoretisches Problem 257

tet, wobei sowohl der eine wie der andere undefiniert bleibt. Gelegentlich lässt sich eine gewisse Bevorzugung von ‚Kult‘ und ‚kul-tisch‘ feststellen, ohne dass dadurch jedoch auf ‚Ritual‘ und ‚rituell‘ verzichtet würde. Wo immer diese Parallelität praktiziert wird, erwartet man kaum präzise Begriffsbestim-mungen. Dies gilt beispielsweise für die Aus-führungen von Al fred Haffner (1995b) zum Problemkreis ‚Heiligtümer und Opferkulte der Kelten‘, für die eben diese Begriffsver-wendung kennzeichnend ist. Vor allem die Termini ‚Opferkulte‘, ‚Opferbräuche‘, ‚Kult-plätze‘, ‚Heiligtümer‘ und ‚Opferplätze‘ keh-ren in vielen Veröffentlichungen wieder, ohne dass eine systematische Bestimmung versucht würde. Hier könnte man etwa Michael Mül-ler-Willes Opferkulte der Germanen und Slawen von 1999 oder seine Heidnischen Opferplätze im frühgeschichtlichen Europa nördlich der Alpen von 1989 anführen.

Bei den meisten dieser Veröffentlichungen handelt es sich – um einen Begriff von Hansen (2003, 115) zu verwenden – um „materialge-bundene Untersuchungen“. Auch ein Beitrag von Felix Müller über „Kultplätze und Opfer-bräuche“ (1993) im sogenannten ‚keltischen Jahrtausend‘ schöpft vor allem aus der Fülle der Phänomene. Entgegen der Regel spricht er aber auch durchaus – wenngleich notwen-digerweise sehr knapp – erkenntnistheoreti-sche Grundfragen an, die sich auf die Vielfalt des Begriffsvokabulars im Zusammenhang mit ‚Religion und Kult‘ beziehen. Mit seiner Frage „Wie läßt sich die Spur von etwas auf-finden, das man selber gar nicht kennt?“ (ebd. 177) benennt er das Kernproblem. Er meint,

Zum archäologischen Umgang mit Religionszeugnissen

Von archäologischer Seite ist über ‚Religion‘ – um das in weiten Teilen recht diffuse Feld ein-mal mit diesem Schlagwort zu benennen – in den letzten Jahren ungewöhnlich viel geschrie-ben worden. Das gilt – wie viele Monogra-phien und Sammelbände zeigen – besonders für die anglophone Archäologie.1 Aber auch in der deutschsprachigen Archäologie ist dieser Trend nachweisbar. Hier kann man einerseits auf die seit Jahrzehnten andauernde Interpre-tation von Deponierungen im Allgemeinen und von speziellen Klassen von Gegenstän-den im Besonderen verweisen (z. B. Hän-sel / Hänsel 1997; Hansen / Neumann / Vachta 2012). Aber auch ‚Opferfunde‘ und ‚Opfer-kulte‘ sowie ‚Kultstätten‘ oder ‚Heiligtümer‘ verschiedenster Art sind schon lange ein inten-siv bearbeitetes Thema. Dies trifft auch für das Phänomen der Flussfunde und die sogenann-ten ‚Brandopferplätze‘ zu.2 Seit rund zehn Jahren fallen außerdem zunehmend Arbeiten auf, die astronomisch-religionswissenschaft-lich orientiert sind. Dabei besteht ein offen-kundiger Zusammenhang mit der öffent-lichkeitswirksamen Präsention der 1999 von Raubgräbern entdeckten sogenannten ‚Him-melsscheibe von Nebra‘ (hierzu im Einzelnen Samida / Eggert 2013, 58–96).

Nur wenige deutschsprachige Arbei-ten haben einen systematisch-theoretischen Anspruch.3 So werden etwa die Begriffe ‚Kult‘ und ‚Ritual‘ meist als austauschbar betrach-

1 Hierzu u. a. Garwood et al. 1991; Bradley 2000; 2005; Insoll 2001; 2004a; 2004b; 2011; Hayden 2003; Barrowclough / Malone 2007; Steadman 2009; Roun-tree / Morris / Peatfield 2012.2 Siehe etwa das Standardwerk Jankuhn 1970; ferner Stjernquist 1963; Kirchner 1968; Torbrügge 1970/71; 1996; Opfer-Kolloquium 1983; Müller-Wille 1989; 1999; Haffner 1995a; Kolloquium Kultgeschehen 1996; Weiss 1997; zusammenfassend Eggert 2012, 83–87.

3 Dies steht in einem gewissen Gegensatz zu einem Teil der entsprechenden anglophonen Literatur, insbe-sondere jener, die nach der Jahrtausendwende erschie-nen ist; siehe hier vor allem das monumentale, von T. Insoll (2011) herausgegebene Oxford Handbook of the Archaeology of Ritual and Religion.

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Manfred K. H. Eggert258

vor ihm, wertet er drei Phänomene als archäo-logische Indikatoren von Ritualen: Gegen-stände treten erstens in ähnlichem Kontext, zweitens in übereinstimmender Kombination und drittens mit gleichen Manipulationen auf. Diese Phänomene prägten – so Müller (ebd.) – „die Form der Überführung der Gaben von dem profanen Lebensbereich in eine sakrale Sphäre“. Wir werden darauf zurückkommen.

Im Prinzip ähnlich wie Müller geht Georg Kossack (1996) vor, wenn er Religiöses Den-ken in Alteuropa vom 8. bis zum 6. Jahrhundert v. Chr. Geb. untersucht: Er beginnt mit sei-ner Argumentation in Griechenland, verweilt dann in Italien, um sich schließlich mit eini-gen wenigen mitteleuropäischen Funden und Befunden zu beschäftigen. Das Licht, das auf die archäologische Überlieferung falle – so stellt er fest (ebd. 32) – werde „um so diffuser, je weiter man nordwärts“ gehe. Die Chance, „Analogien für die Interpretation sakral deter-minierter Befunde auszunutzen“, vermindere sich „mit wachsender geographischer Entfer-nung von schriftführenden Kulturen“ (ebd.).

Die gleiche Ausgangsbasis findet sich in einer drei Jahre später erschienenen Monographie von Kossack (1999), wobei er sein Netz aller-dings sowohl zeitlich als auch inhaltlich und geographisch entschieden weiter ausgeworfen hat. Dennoch, systematisch entwickelte kon-zeptuelle Darlegungen fehlen vollständig, und theoretische Reflexionen des religionswissen-schaftlichen Hintergrundes sind rar. Irritie-rend ist vor allem die Bedeutung, die er der sogenannten ‚genetischen Erkenntnistheorie‘ des Schweizer Entwicklungspsychologen Jean Piaget beimisst. Präziser gesagt, er hat Pia-get vor allem über den britisch-kanadischen Ethnologen Christopher R. Hallpike (1990) rezipiert. Hallpike wiederum hat sich einge-hend mit den Piaget’schen Thesen über die Entwicklung der kognitiven Fähigkeiten bei Kindern auseinandergesetzt und Piagets Sta-dium der Präoperationalen Intelligenz – es soll für Kinder von zwei bis sieben Jahren gelten – auf

dass für die „theoretische Durchdringung“ dieses Bereichs „die Erarbeitung einer syste-matischen ‚Phänomenologie des Sakralen‘ von archäologischen Funden und Befunden“ von besonderem Interesse wäre – sie müsse ver-suchen, durch genaue Analyse von „eindeutig sakralen“ Örtlichkeiten und Fundobjekten Regelmäßigkeiten zu formulieren (ebd.).

In seiner Monographie von 2002 über Göt-ter, Gaben, Rituale: Religion in der Frühgeschichte Europas hat Müller erfolgreich versucht, die Grundlage einer solchen Phänomenologie anhand von ausgewählten Entdeckungen und Grabungsbefunden zu entwerfen. Er möchte mit der weitverbreiteten Praxis vor allem intuitiver Ansprache und Deutung brechen, indem er anstrebt, sich potentiellen Erschei-nungen ur- und frühgeschichtlicher Religion möglichst argumentativ zu nähern (ebd. 1). Bevor er sich mit der Älteren und Jüngeren Eisenzeit sowie der Bronzezeit Mitteleuropas beschäftigt, widmet er sich daher den Kulturen Griechenlands und Roms: Ihre Ritualpraxis sei mehr oder weniger gut durch schriftliche Zeugnisse erläutert und im Idealfall könne der archäologische Befund direkt mit den historischen Informationen über Sakralorte und die dort vollzogenen Handlungen vergli-chen werden (ebd. 1–2). In diesem Sinne ist Müllers Argumentation von vornherein und uneingeschränkt retrospektiv ausgerichtet: Er schreitet vom Jüngeren zum Älteren und vom Bekannten zum Unbekannten (ebd. 3). Der griechisch-römische Ausgangspunkt für das von ihm gewählte Verfahren des Analogischen Deutens basiert auf der relativen geographisch-zeitlichen Nähe zu den ihn interessierenden eisen- und bronzezeitlichen Religionsphäno-menen Mitteleuropas (ebd. 12).

Wie Titel und Untertitel seines Buches deutlich machen, verwendet auch Müller ‚Ritual‘ und ‚Religion‘ letztlich als austausch-bar; daneben spricht er auch häufig von ‚Kult‘ – eine begriffliche Differenzierung lag ihm offenkundig fern. Wie schon andere Autoren

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Das Rituelle als erkenntnistheoretisches Problem 259

In diesem Zusammenhang muss man sich ein Vorhaben in Erinnerung rufen, das 1979 bei der Gründung der in Bonn beheimate-ten Kommission für Allgemeine und Vergleichende Archäologie des Deutschen Archäologischen In stituts unter ihrem damaligen Ersten Direktor Her-mann Müller-Karpe (bis 1986) verfolgt wurde. Er wollte in diesem Rahmen auch eine sys-tematische „Allgemeine und Vergleichende Religionsarchäologie“ ins Leben rufen (Mül-ler-Karpe 1981b).6 Müller-Karpe (ebd. 154) verstand sie als „religionskund lichen Sonder-zweig“ der von ihm propagierten „Allgemei-nen und Vergleichenden Archäologie“, und er kündigte seinerzeit sogar eine Editionsreihe an, in der systematisch „religionsarchäolo-gische Fundgruppen“ erfasst werden sollten (ebd. 155). Geplant war offenbar ein Kor-puswerk wie die Prähistorischen Bronzefunde (PBF), mit dem Müller-Karpe 1964 eine aus dem 19. Jahrhundert stammende Konzep-tion in die zeitgenössische Ur- und Frühge-schichtliche Archäologie einführte. Zu einer solchen systematisch angelegten Editionsreihe religions archäologischer Funde und Befunde – die wohl allerdings ebenso wie die PBF-Unternehmung kaum über den Status der oben genannten materialgebundenen Unter-suchungen hinausgewachsen wäre – kam es jedoch nicht; stattdessen wurden in den Jah-ren 1982 bis 2001 knapp 60 Bände der Reihe Materialien zur Allgemeinen und Vergleichenden Archäologie ediert. Sieht man von Gräbern und

das sogenannte „primitive Denken“ und „pri-mitive Gesellschaften“ übertragen (zu diesen Begriffen ebd. 9–14).4 Es irritiert, dass Kos-sack (1999, 7; 189–190) ein so fragwürdiges Konstrukt – die Umwandlung einer universal intendierten Theorie über kognitive Individu-alentwicklung in eine Theorie über kognitive Phylogenese – ohne jedwede kritische Dis-kussion übernimmt. Dieses angebliche „natur-völkisch-elementare Denken“ – so behauptet er – sei in der urgeschichtlichen „mediterra-nen Randzone fortfahrend Grundlage religiö-ser Schau, vornehmlich im mitteleuropäischen Kulturbereich“ geblieben (ebd. 189).

Aspekte einer Religions-archäologie

Die vorstehenden Ausführungen sollten als skizzenhafter Einblick in den archäologischen Umgang mit Religionszeugnissen dienen. Die folgenden Bemerkungen sind Versuchen gewidmet, die die Thematik ‚Religionsarchäo-logie‘ aus einer grundsätzlichen Per spektive angehen. Für den deutschen Sprachraum sind hier zunächst einmal bestimmte Beiträge in dem klassischen, von Herbert Jankuhn her-ausgegebenen Kolloquiumsband Vorgeschicht-liche Heiligtümer und Opferplätze in Mittel- und Nordeuropa zu nennen, besonders ein Aufsatz des Religionswissenschaftlers Carsten Colpe (1970). Wenngleich entsprechende Arbeiten von Archäologen verhältnismäßig rar sind, fehlen sie in der deutschsprachigen Literatur doch keineswegs vollständig.5

4 Hallpike schreibt auf seiner Homepage: „Hallpike also made an intensive study of Piaget’s work on how the thinking of children develops, and could see that many of the ideas common in primitive society had close parallels in the thought of children at Piaget’s ‘pre-operational’ level of cognitive development.“ (http: //hallpike.com / author.htm [24.01.2014]).5 Bereits in den frühen 1960er Jahren hat die schwe-dische Archäologin B. Stjernquist (1963) in einer auf

Deutsch geschriebenen Abhandlung die skandinavische Opferfundforschung seit dem Ende des 19. Jahrhun-derts kritisch gewürdigt und versucht, grundlegende Aspekte der Begriffsbestimmung und ‚Theoriebildung‘ herauszuarbeiten. Nur fünf Jahre später legte H. Kirch-ner (1968) Überlegungen zur selben Thematik vor. Da sie für unseren Zweck unergiebig und zudem weitge-hend überholt sind, soll auf eine nähere Betrachtung dieser beiden Beiträge verzichtet werden.6 Aus offenkundig programmatischen Gründen wurde diese Kommission 2005 in Kommission für Archäologie Außereuropäischer Kulturen umbenannt.

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Manfred K. H. Eggert260

offenkundig der von Hüttel – oder umge-kehrt. Darauf deuten jedenfalls seine knappen Bemerkungen hin: In der seinerzeit geplan-ten Editionsreihe sollten zunächst „religions-archäologische Fundgruppen“ möglichst „in einheitlicher Form behandelt und dargestellt werden“. Erst danach hätten ihr „religiöser Charakter“ und der Versuch, ihn zu verstehen, zur Diskussion gestanden (ebd. 155–156).

Insgesamt findet sich bei Hüttel (1981, 169) eine zurückhaltende Einschätzung des Potentials religionsarchäologischer Deu-tung; er meint, das sie „in vielem“ nicht über „begründete Vermutungen“ hinauskommen werde. Ähnlich argumentiert Müller-Karpe (1981b, 153), wenn er auf die Schwierigkeit hinweist, aus „gegenständlichen Kulturzeug-nissen“ auf „konkret-historische Ausprägun-gen“ des Religiösen zu schließen. Oft müssten wir uns dabei mit „ganz allgemeinen Bestim-mungen“ begnügen, könnten zwar wahr-scheinlich machen, dass bei einem bestimmten Befund „ein kultisch-religiöser Aspekt“ betei-ligt war, ohne jedoch in der Lage zu sein, letz-teren „näherhin zu erhellen“. Hansen (2003, 134, 139) schließlich macht zu Recht auf die Funktionspolyvalenz der meisten Arte- und Topofakte aufmerksam. Daher müsse es häu-fig offenbleiben, „ob ein Phänomen ‚kultisch‘ oder ‚kulturell‘“ zu deuten sei (ebd. 139–140).

Hansens Beitrag über Archäologie zwischen Himmel und Hölle stellt forschungsgeschichtlich und systematisch die bei weitem umfassendste und am besten belegte Auseinandersetzung mit der Thematik ‚Religionsarchäologie‘ dar. Obwohl bereits vor einem Jahrzehnt veröffent-licht, wird er seinen Referenzcharakter vor-aussichtlich noch für geraume Zeit behalten. Von besonderer Bedeutung erscheint Hansens nachdrücklicher Appell, religions archäologisch relevante Quellen könnten nur durch Refle-xion religionswissenschaft licher Forschungs-ansätze, nicht aber „entlang der Alltagserfah-rung der Wissenschaftler“ erschlossen werden (ebd. 140). Religions archäologie bewege sich

Gräberfeldern ab, ist davon jedoch nur ein einziger Band einer religionsarchäologischen Quellengattung im engeren Sinne – Heilig-tümer – gewidmet (Pizchelauri 1984).7

Im Rahmen der Kolloquiumsreihe der Kommission legte Hans-Georg Hüttel (1981) einen programmatischen Beitrag über „Reli-gionsarchäologische Kategorien“ vor. Darin erörtert er differenziert die Spannweite einer Religionsarchäologie vom Begriff ‚Religion‘ (ebd. 162–163) und ihrer „zentralen Katego-rie“ des ‚Heiligen‘ (ebd. 164–165) bis hin zu ‚Magie‘ (ebd. 165–166) und dem „Analogie-problem“ (ebd. 167–171). Man wird Hüttel (ebd. 171) zustimmen, wenn er Religions-archäologie als „Archäologie der religiösen Praxis“ bestimmt. Andererseits ist es irritierend, wenn er „die Religionen der archäologischen Kulturen“, also – wie er auch formuliert – „die Erscheinungsformen religiöser Praxis in den archäologischen Kulturen“ zum religions-archäologischen Forschungsgegenstand erklärt (ebd. 158). Dabei war es doch auch 1981 eine bekannte Tatsache, wie wenig die sogenannten ‚Archäologischen Kulturen‘ mit der einstigen Lebenswelt zu tun haben.8

Im Übrigen hat Svend Hansen (2003, 134 passim) mit guten Gründen dargelegt, dass Hüttels religionsarchäologischer Ansatz frag-würdig ist, da er mit einem aprioristischen Verständnis dessen operiere, was in archäologi-schem Kontext religionswissenschaftlich rele-vant erscheine. Wie Hansen zu Recht betont, dürfen geeignete Kategorien nicht vorausge-setzt, sondern sie müssen entwickelt werden. Müller-Karpes (1981b) Auffassung entsprach

7 H. Müller-Karpe hat sein persönliches Verhältnis zum Glauben und zur Religion in seinem Spätwerk behandelt (zusammenfassend: Müller-Karpe 2006; spe-ziell zu seinem gleichzeitigen Verständnis von Religi-onsarchäologie: Müller-Karpe 2009).8 Siehe etwa Eggert 1978 / 2011; zum Problem ‚Kul-tur‘ und ‚Materielle Kultur‘ zusammenfassend Eggert 2013 und Eggert 2014.

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Das Rituelle als erkenntnistheoretisches Problem 261

beruhten unsere Hypothesen dabei stets auf Axiomen.

Der Befund ist offenbar eindeutig: Wir bewegen uns in weitgehend unausgelotetem Gewässer, wenn es um prähistorische Reli-gion geht – hier im weitesten Sinn verstan-den. Aus meiner Sicht sind dafür mindestens zwei Gründe entscheidend. Zum einen geht es dabei um grundlegende klassifikatorische Fra-gen, in die zugleich vitale inhaltliche Aspekte hineinspielen. Zum anderen aber sind unserer Erkenntnis hier jene Grenzen gesetzt, die sich aus der Natur urgeschichtlicher Quellen erge-ben: Nur was dem Zahn der Zeit widerstan-den und in dieser oder jener materiellen Form überlebt hat, ist unserer Analyse zugänglich. Mit anderen Worten: Alles Nichtmaterielle, das einst für religiöse Glaubenssysteme und religiöse Praktiken besonders relevant war, ist unwiederbringlich dahin.

Doch wenden wir uns dem zentralen Pro-blem der Kategorisierung des Religiösen und seiner verschiedenen Facetten zu. Was mei-nen wir, wenn wir Begriffe wie ‚Religion‘, ‚Kult‘, ‚Ritual‘, ‚Ritus‘ und so weiter verwen-den? Selbstverständlich soll es hier nicht über rein definitorische Fragen gehen – das wäre eine unendliche Geschichte. Aber einige all-gemeine Bemerkungen, die den Bereich der Archäologie transzendieren, sind notwendig; sie sollen so knapp und pragmatisch wie mög-lich gehalten werden.

Jenseits der Archäologie

Gehen wir zur allgemeinen Orientierung von der Einsicht aus, dass es in der Archäologie an grundlegenden theoretischen Konzepten und Forschungsansätzen zu Fragen urgeschicht-licher Religion mangelt. Aus diesem Dilemma heraus erscheint es vernünftig, die Fachgrenzen zu überschreiten und sich in Nachbarfächern umzusehen, die sich mit den uns interessieren-den Konzepten und Forschungsansätzen seit

nicht im theoriefreien Raum, sondern besitze mehr oder minder klar he rausgearbeitete Anknüpfungspunkte sowohl in Theologie und Philosophie als auch in Soziologie und Ethnologie – all dies müsse bei der Begriffs- und Theoriebildung berücksichtigt werden (ebd. 132).

Konzeptuelles zur Religionsthe-matik aus Sicht der Archäologie

Colin Renfrew (1985, 4) hat sich bereits vor rund 30 Jahren kritisch mit unserer Thema-tik auseinandergesetzt. Er bedauerte seinerzeit das „Fehlen eines konsistenten theoretischen Bezugsrahmens für die Analyse und Interpre-tation religiöser Phänomene“ in der Archäo-logie und wählte für seine Monographie über das Heiligtum von Phylakopi auf Melos den Titel The Archaeology of Cult.9 Gut zehn Jahre später fragte Georg Kossack (1996, 32) nach dem „gedanklichen System“ hinter kultver-dächtigen Befunden. Ihn interessierte, welche Motivation hinter dem stand, was uns „ins dinglich Faßbare transponiert“ gegenübertritt – eine Frage, die „in den meisten Fällen ohne Antwort“ bleiben müsse. Dennoch meint er, dass „gewisse Grundzüge religiösen Denkens“ durch „kontrastive Untersuchung in Kultur-arealen mit abweichendem Sachbesitz“ sicht-bar gemacht werden könnten. Hier mag man heute etwa an die Untersuchungen von David Fontijn (2001 / 2002) zu sogenannten „Opfer-landschaften“ während der Bronzezeit in den südlichen Niederlanden denken. Allerdings – so betont Kossack (1996, 32) zu Recht –

9 Die Übersetzung aller fremdsprachlichen Zitate stammt von mir. – Später bedauerte Renfrew (2007, 9), diesen Titel gewählt zu haben. Da er nunmehr zwi-schen ‚Kult‘ und ‚Ritual‘ differenzierte (siehe unten Anm. 13) hielt er jetzt ‚Ritual‘ für angemessener – eine Ansicht, die nur schwer nachzuvollziehen ist.

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abgesonderte, verbotene Dinge, Überzeugun-gen und Praktiken beziehen, die in ein und derselben moralischen Gemeinschaft, die man Kirche nennt, all jene vereint, die ihnen anhän-gen“ (Durkheim 1912 / 1960, 65).10

Die zentralen Begriffe dieser Definition sind ‚heilig‘ und ‘Kirche‘ – beide haben zu inten-siven Diskussionen geführt. Darauf möchte ich jedoch nicht näher eingehen, sondern stattdessen eine knappe Definition von Mel-ford E. Spiro (1968, 96) zitieren. Sie lautet: „Ich definiere ‚Religion‘ als ‚eine Institution, die aus einer kulturgesteuerten Interaktion mit kulturell postulierten übermenschlichen Wesen besteht‘.“11

Im Folgenden sehe ich ‚Kult‘ und ‚Ritual‘12 beziehungsweise ‚Ritus‘ oder ‚das Rituelle‘ als austauschbar an.13 Die Kategorie ‚Kult‘

über einhundert Jahren beschäftigen. Hierbei ist vor allem an die Ethnologie, die Soziologie und die Religionswissenschaft zu denken.

Die Auseinandersetzung mit dieser Thema-tik wurde bis auf den heutigen Tag wesentlich von Émile Durkheim mit seinem berühmten, vor gut einhundert Jahren erstmals erschiene-nen Buch Les formes élémentaires de la vie reli-gieuse (1912) beeinflusst. Als besonders lang-lebig erwies sich seine Dichotomie ‚heilig – profan‘; sie wird noch heute gern in archäo-logischem Kontext verwendet. Dichotomien sind zweifellos nützlich als analytische Instru-mente, da man mit ihrer Hilfe einen guten Zugang zur empirischen Realität findet. Auf der anderen Seite ist die Realität jedoch ent-schieden zu komplex, um sie auf der Grund-lage von ‚entweder / oder‘-Kategorien verste-hen zu können. Vor allem in der Ethnologie ist deutlich geworden, dass dichotomes Den-ken der gelebten Wirklichkeit nur sehr selten gerecht wird. Dessen ungeachtet benötigen wir Kategorien, wenn sie auch nicht notwen-digerweise polar oder binär sein sollten oder gar müssten.

Als erstes möchte ich das Konzept von Religion ansprechen. Auch hier sind Durk-heims Überlegungen bis heute grundlegend. Seine Definition lautet: „Eine Religion ist ein solidarisches System von Überzeugungen und Praktiken, die sich auf heilige Dinge, d. h.

KultRitusRitual

PraxisRegelhaftes Verhalten

standardisiert= =

Abb. 1: Kult, Ritus, Ritual (Entwurf Verfasser).

10 Übersetzung von mir; die Übersetzung der Durkheim’schen Definition in der deutschen Ausgabe (Durkheim 1981, 75) ist – wie manches andere darin – unpräzis. Sehr gut hingegen ist die der englischen Aus-gabe (Durkheim 1947, 47).11 Ohne dass Spiro darauf Bezug nimmt, scheint hier deutlich die „minimale“ Religionsdefinition von E. B. Tylor (1871, 383) durch: „It seems best [...] sim-ply to claim, as a minimum definition of Religion, the belief in Spiritual Beings.“12 Für Einführungen in die Thematik ‚Ritual, Ritual-dynamik, Ritualtheorien‘ siehe Belliger / Krieger 2013; Brosius / Michaels / Schrode 2013.

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monien privater wie öffentlicher Art zählen. Ich denke dabei unter anderem an Geburts-tage, Eheschließungen, Begräbnisse, Einwei-hungsfeiern, Schul- und Universitätsfeiern, Firmenjubiläen, staatliche Gedenkveranstal-tungen und so weiter (Abb. 2). Jedoch zeigt eine nähere Betrachtung auch hier, dass es dabei durchaus zu Unschärfen kommen kann: Kirchliche Heiraten etwa sind im Gegensatz zu solchen, die vor dem Standesamt geschlos-sen werden, jedenfalls von ihrem Wesen her entscheidend religiös bestimmt; andererseits sind staatliche Jubiläen und Gedenktage bis-weilen so stark ideologisch aufgeladen, dass das Adjektiv ‚säkular‘ den wesentlichen Grundzug des Anlasses nicht hinreichend zu bezeichnen scheint. Ein besonders gutes Beispiel hierfür sind die jährlichen Gedenkfeiern anlässlich der sogenannten ‚Großen Sozialistischen Okto-berrevolution‘. Aber auch die ‚Jugendweihe‘ in der frühereren DDR könnte man hier nen-

– und damit eben auch ‚Ritual‘, ‚Ritus‘ und das ‚Rituelle‘ – betrachte ich als regelhaftes Verhalten (beziehungsweise Handlung oder Praktik), das in hohem Maß standardisiert, normengebunden und repetitiv ist (siehe Goody 1961, 158–160; 1977, 27). Daraus folgt, dass dieses Verhalten zunächst und wesent-lich in die Sphäre der Praxis, nicht in die des Glaubens fällt. Der Glaube mag eine zusätz-liche Dimension der Praxis sein – das hängt davon ab, in welchen Kontext das ritualisierte Verhalten gehört (Abb. 1). Das beträchtliche Spektrum ritualisierter Handlungen lässt sich am ehesten in zwei große Klassen untertei-len, die man mit den Bezeichnungen ‚religiös‘ und ‚weltlich‘ beziehungsweise ‚säkular‘ bele-gen könnte.14 Paradigmatisch für ein religiöses Ritual wäre in christlichem Zusammenhang etwa der Gottesdienst. Zu den säkularen Ritu-alen hingegen würde man bürgerliche Zere-

Weltliche Rituale, z. B.

Religiöse Rituale Verehrung/Anbetung

übermenschlicher Wesen

Bürgerliche/Staatliche Zeremonien (Einwei- hungsfeiern, Schul- u. Universitätsfeiern, staatliche Gedenk- veranstaltungen)

Abb. 2: Religiöse und weltliche Rituale (Entwurf Verfasser).

13 Entsprechend lehne ich auch die einst relevante Polarität von ‚Religion‘ und ‚Magie‘ (oder ‚Aberglau-ben‘) ab. Zur Problematik des Konzepts ‚Religion‘ siehe etwa Spiro (1968) sowie die knappen Ausführun-gen bei Schmidt (2008, bes. 9–12). – Eine andere Auf-fassung von ‚Kult‘ und ‚Ritual‘ vertritt Renfrew (2007, 8–9), für den ‚Kult‘ immer einen religiösen Kontext hat, während er ‚Ritual‘ umfassender als „Wiederholung konventioneller expressiver Handlung“ definiert, die

eben nicht von vornherein eine religiöse Motivation impliziere. Um sein Fazit wörtlich zu zitieren: „It does seem to be a safe generalisation ... that all cult involves ritual. All religious performance certainly involves rit-ual. But, conversely, not all ritual involves cult“ (ebd. 9).14 Siehe in diesem Zusammenhang auch die hier von mir nicht thematisierten Begriffe ‚Ritualdinge‘ und ‚Religiöse Dinge‘: Bräunlein 2014; Cress 2014.

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von einem anderen als religiös wahrgenom-men werden.17 Gleichzeitig verweist der Auf-satz auf das grundlegende epistemologische Problem, mit dem jeder Ethnograph konfron-tiert ist, wenn er von einer bestimmten Pra-xis auf das dahinterstehende Glaubenssystems schließen möchte.

Miners „Body Ritual“ soll daher dazu die-nen, eine wichtige Differenzierung zwischen zwei Blickwinkeln oder Referenzrahmen vor-zunehmen: dem des Handelnden und dem des Beobachters.18 In der ethnologischen Fach-terminologie spricht man dabei bekanntlich von der ‚emischen‘ und der ‚etischen‘ Per-spektive (Abb. 3). Jeder erfahrene Ethnograph ist sich über die kleineren und größeren Pro-bleme im Klaren, die sich in einer Situation negativ auswirken können, in der er – wenn ich mich einmal so ausdrücken darf – ‚sei-nen Akteuren‘19 von Angesicht zu Angesicht gegenübertritt: Es ist selbst in einer ethnogra-phischen Feldforschungssituation offenkundig schwierig, adäquat nachzuvollziehen, was das ‚handelnde‘ Gegenüber tut, denkt, glaubt und so weiter. Die ethnographisch-ethnologische Literatur ist voll von Missverständnissen, die diese Thematik illustrieren.

Archäologie und rituelle Praxis

Bei der Übertragung der Differenzierung zwischen Handelnden und Beobachter auf die Archäologie ergibt sich die Schwierigkeit, dass unsere Akteure schon sehr lange tot sind. Dem Beobachter, also dem Archäologen, blei-ben nur die materiellen Hinterlassenschaften

nen. Sie sollte ja die ‚Firmung‘ der römisch-katholischen und die ‚Konfirmation‘ der pro-testantischen Kirche ersetzen und verkörpert in dieser Genese gleichsam ihren ‚transsäkula-ren‘ Charakter.15 Sicher liegt in solchen Fällen kein Glaube an übermenschliche Wesen vor, so dass im Sinne unserer Definition – die der von Spiro folgt – nicht von ‚religiös‘ die Rede sein kann.16

Das Religiöse stellt die Archäologie vor ein Problem besonderer Art. Es liegt darin, ihr zentrales Kriterium in den materiellen Hin-terlassenschaften der ur- und frühgeschicht-lichen Vergangenheit zu erkennen. Denn die von Spiro und anderen Autoren als conditio sine qua non geforderten superhuman beings oder – mit Renfrew (2007, 9) – trancendental or supernatural forces – werden in ihnen jedenfalls nicht gespiegelt.

Einige interessante Rituale hat Horace Miner in seinem klassischen Bericht aus dem Jahre 1956 über Body Ritual among the Naci-rema beschrieben. Miners erkenntnistheore-tisches Anliegen lebt von der Ironie, in die er es gekleidet hat. Denn ‚Nacirema‘ ist ein Anagramm oder, genauer, ein Palindrom, das – von hinten gelesen – ‚Amerika‘ ergibt. Und bei dem „body“ oder „bath room ritual“ han-delt es sich um hygienische Allerweltsprozedu-ren in U.S.-amerikanischen Badezimmern der 1950er Jahre. Miners Aufsatz ist also sowohl eine Parodie als auch eine Art Vexierspiegel, der die Doppel- beziehungsweise Mehrdeu-tigkeit von Kategorien illustriert: Das, was von einem Standpunkt als weltlich erscheint, mag

17 Zu säkularen Ritualen siehe den Sammelband von Moore / Myerhoff 1977.18 Hierzu im Kontext von Religion und Ritual Goody 1961, 148–149; 152–156; 159–160.19 Dass er in einer solchen Situation selbst Akteur ist, versteht sich von selbst.

15 Das Beispiel der Jugendweihe verdanke ich S. Samida.16 Spiro (1968, 95–96) hingegen würde hier den Begriff ‚heilig‘ wählen, da er ihn nicht notwendiger-weise mit Religion verknüpft, sondern auch auf Phä-nomene anwendet, die für die betreffende Gemein-schaft von höchster Bedeutung (of ultimate concern) sind. Solche Rituale wären demzufolge zwar nicht ‚profan‘, gehörten aber nicht in den Bereich der Religion.

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Das Rituelle als erkenntnistheoretisches Problem 265

in den religiös-rituellen Bereich zu gehören scheinen, in den meisten Fällen nicht möglich sein, herauszufinden, worum es bei der konkre-ten Kultpraxis im Einzelnen ging, geschweige denn, welches Glaubenssystem dahinterstand.

Wie bereits gesagt, ist es im Allgemeinen sogar problematisch, Durkheims Dichotomie des Sakralen und Profanen – diese „univer-selle ‚Dualität der zwei Königreiche‘“, wie der britische Soziologe Jack Goody (1961, 149) sie einmal nannte – wiederfinden zu wollen. Das gilt durchaus auch für unsere Differenzie-rung, die ja etisch und nicht emisch ist. In der Archäologie haben wir es bekanntlich meist mit ‚Oberflächen‘-Phänomenen zu tun, und

und Spuren, die intentionell und – weit häufi-ger – nicht-intentionell von jenen Menschen überliefert sind, die die betreffenden Artefakte und Strukturen einst hergestellt und genutzt haben (Abb. 4). Wenn es also für den Ethnolo-gen schon schwierig ist, das emische Univer-sum der Leute herauszuarbeiten, mit denen er sich befasst, gilt dies in einem weit größeren Maß für den Archäologen.

Andererseits gibt es in der Archäologie einige Kriterien und Verfahren, die sich bei der Herausarbeitung von säkular-rituellen und religiös-rituellen Befunden und Objekten als nützlich erwiesen haben. Allerdings wird es selbst bei jenen Befunden, die am ehesten

Universum desHandelnden= Referenzrahmen des Handelnden= Emische Dimension

Interaktions-sphäre

Universum desBeobachters= Referenzrahmen des Beobachters= Etische Dimension

Abb. 3: Empirische Kulturwissenschaften: Handelnder versus Beobachtender (Entwurf Verfasser).

MateriellerNiederschlag

&ArchäologischeInterpretation

Universum desArchäologen= Referenzrahmen des Archäologen= Etische Dimension

Universum desHandelnden= Referenzrahmen des Handelnden= Emische Dimension

Abb. 4: Archäologie: Vergangene Handlung versus gegenwärtige Analyse / Deutung (Entwurf Verfasser).

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ler Carsten Colpe (1970, 29) unter Bezug auf Mircea Eliade als „Dialektik des Heiligen“ bezeichnet worden: alles, sogar ein Felsen oder ein Baum, könne eine „Chiffre des Heiligen“ sein.21 Über die Analyse von Mythen, die mit ‚heiligen Stätten‘ verknüpft sind, destillierte Colpe jedoch drei Indizien heraus, die er als „rituelles Urgerüst“ bezeichnete. Dabei han-delt es sich erstens um die Kategorie der Wieder-holung, zweitens um die Kategorie der Entdeckung und drittens um die Kategorie der Außergewöhn-lichkeit (Colpe 1970, 31–36; hierzu Eggert 2012, 85–87). Zwei davon, die Kategorie der Wiederholung und die der Außergewöhn-lichkeit, sind relevant für die Archäologie. Die Außergewöhnlichkeit von ritualverdächtigen Stätten wurde bereits knapp kommentiert. Was die Kategorie der Wiederholung angeht, hängt sie offensichtlich mit dem archäologischen Befund, konkret der Deponierungssituation im Bereich des ungewöhnlichen oder auffäl-ligen Platzes zusammen.

Michael Müller-Wille (1989, 7; 14) hat im Rahmen der Opferplatzdiskussion auf einen Aspekt aufmerksam gemacht, der bereits bei-läufig im Zusammenhang mit Deponierun-gen an potentiellen rituellen Stätten erwähnt worden ist. Dabei geht es um das absicht-liche Zerbrechen, Verbiegen, Verdrehen und Zusammenfalten, kurz das gezielte Unbrauch-barmachen von Gegenständen, vorzüglich von Metallobjekten, vor ihrer Deponierung. Solche Beobachtungen ließen sich unter der Bezeich-nung Kriterium der Intentionalität zusammenfas-sen. Damit hätten wir ein weiteres Kriterium gewonnen, das bei der Identifizierung ritueller Plätze und Aktivitäten in Verbindung mit den anderen Kriterien Erfolg verspricht (Abb. 5).22

nur selten gelingt es uns, einen Blick auf das zu erhaschen, was hinter der fragmentierten äußeren Erscheinung einer längst entschwun-denen Vergangenheit liegt.

Als Archäologen geht es uns also um Kri-terien, die uns möglicherweise in die Lage versetzen, überhaupt eine urgeschichtliche rituelle Sphäre zu erkennen und damit auch religiöse Riten oder Kulte. Von besonderer Bedeutung sind hierbei einerseits der gesamte Habitus einer bestimmten, möglicherweise mit kultischen Praktiken in Verbindung zu bringenden Lokalität und andererseits die Art und eventuelle Charakteristika der Befunde. 20 So stehen etwa entlegene Bergregionen, Höhe und Pässe, Felstürme sowie Felsspalten, Höh-len, Moore, Seen, Flüsse und Quellen unter – sit venia verbo – ‚Ritualverdacht‘, wenn sie denn ein charakteristisches Spektrum archäo-logischen Materials aufweisen. Hier mag man etwa an Schichten von zerscherbter Keramik, von zerbrochenen und verbrannten Tier- oder vielleicht auch Menschenknochen sowie an zerbrochene oder verbogene Metallobjekte denken.

Eine gegebene Örtlichkeit mag also durch ihre bemerkenswerte Topographie einen Hinweis auf ihre potentielle rituelle Funktion liefern, vorausgesetzt, dass sich dafür dann unterstüt-zende archäologische Indizien finden. Damit ist jedoch nicht die Gefahr gebannt, einen an sich unspektakulären und unspezifischen archäologischen Befund aufgrund der topo-graphischen Situation als rituell determiniert zu interpretieren.

Der Gesamtrahmen, in dem wir uns hier bewegen, ist von dem Religionswissenschaft-

22 Hier sei noch einmal ausdrücklich darauf hingewie-sen, dass wir dazu tendieren, die aufgelisteten Kriterien als Indikatoren für religiöse Rituale zu interpretieren. Tatsächlich lassen sich auf dieser Basis jedoch säkulare Ritualhandlungen – etwa sozialpolitisch motivierte

20 Hierzu im Einzelnen Eggert 2012, 83–85; 2011 / 2003; ferner Renfrew 1985, 14–16; 18–21; 24–26.21 Eliade (1976, 34 –35) spricht von einer „Dialektik der Hierophanien“ und der „Ambivalenz des Sakralen“ (ebd. 37, 40–41; 435–436).

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schen Kolonie Gold Coast – von 1934 bis 1937 rund zweieinhalb Jahre lang unter den Tal-lensi gelebt und geforscht. Dabei setzte er sich auch mit einer Grabstätte an einem Gehöft in Tongo in der Nähe der Tong-Berge (Abb. 6) auseinander, die einem gewissen Mosuor, dem Gründungsahnen eines bestimmten Klans der Tallensi, zugeschrieben wurde.23 Es handelte sich dabei um einen unregelmäßigen flachen Haufen großer Steine unter einem enormen Affenbrotbaum (Adansonia digitata), der für die Leute von Tongo Mosuor repräsentierte. Die dem Grab zugewandte Seite des mächtigen Stammes zeigte schmutzige Schlieren getrock-

Liegt somit ein ganzes Bündel von Krite-rien zur Ansprache von potentiellen Ritual-plätzen vor, bedeutet dies doch nicht, dass in jenen Fällen, in denen diese Kriterien ver-sagen, keine Kulttätigkeit stattgefunden hat. Vielmehr folgt aus der Eliade’schen „Ambi-valenz des Sakralen“, dass Kulthandlungen an jeder – aus unserer Sicht – beliebigen Loka-lität praktiziert worden sein können. Unsere Kriterien – gegebenenfalls einschließlich das eines etwaigen materiellen Niederschlags, der ja von der Art solcher Handlungen abhängt – würden dann einfach versagen.

Schreine in Westafrika

Im Anschluss an diese methodologischen Bemerkungen möchte ich nunmehr einige Beispiele aus Westafrika anführen. Der britisch-südafrikanische Sozialanthropologe Meyer Fortes (1945 / 1969) hat in Ghana – und zwar in den damaligen Northern Territories der briti-

Zusammentreffen mit entsprechenden Gelagen und dergleichen – häufig nicht ausschließen.23 Auf diese Schilderung von Fortes bin ich bereits in einem ähnlichen Zusammenhang eingegangen (Eggert 2003 / 2011). – Zur Lokalisierung der Feldarbeit von Fortes siehe Insoll / MacLean / Kankpeyeng 2013b, 22 mit Abb. 1.1 auf S. 14. Im Gegensatz zu Fortes bezeich-nen diese Autoren die Bevölkerung als „Talensi“.

Kriterium der Topographie/Außergewöhnlichkeit, z. B.

Lokalität ArchäologischerKontext

Gesamthabitus

Abgelegene Berggegenden Höhen, Pässe, Felstürme, Höhlen Moore, Seen, Flüsse, Quellen Kleine Inseln

Kriterium des archäo-logischen Materials z. B. Scherbenpackungen,

Knochenschichten, Metall- objekte

Kriterium der Intentionalität z. B. Indikatoren für intentionelle Beschädigung oder Zerstörung

deponierter Objekte

Kriterium der Wieder-holung

Abb. 5: Kriterien zur Ansprache potentieller Ritualplätze und Ritualaktivitäten (Entwurf Verfasser).

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Manfred K. H. Eggert268

0 100 200 km

Accra

BURKINA FASO

TOGO

ELFENBEIN-KÜSTE GHANA

TongoSc

hwar

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Volta

Wei

ßer V

olta

Abb. 6: Lokalisierung von Tongo und Arbeitsgebiet von C. Lentz am Schwarzen Volta (Rechteck) (Ent-wurf D. Seidensticker nach Insoll / MacLean / Kankpeyeng 2013b, 14 Abb. 1.1, und Lentz 2009, 123 Abb.).

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Das Rituelle als erkenntnistheoretisches Problem 269

Judith Sterner und Nicholas David (2009, 2, 4) am Beispiel der Mandara-Berge im nörd-lichen Kamerun und angrenzenden nordöst-lichen Nigeria feststellen – durch den Einfluss des Islams und des Christentums verstärkt seit dem späten 20. Jahrhundert erheblich zurück-gegangen ist. Die Schreine sind vielfältigster Art. In Nordostghana etwa reicht das zeitge-nössische Spektrum von Erd- über Ahnen- und Gemeindeschreinen bis zu Schreinen für einzelne Haushalte, Individuen und Naturgeis-ter. Die Funktionen überlappen sich teilweise und sind zudem häufig nicht klar auseinander-zuhalten. Über Schreine und damit verbun-dene Kultpraktiken im nördlichen Ghana sind wir durch ethnoarchäologisch ausgerichtete Arbeiten von Charles Mather (2003; 2009) und besonders von Timothy Insoll (Insoll /Kank-peyeng / MacLean 2009; umfassend Insoll / Mac- Lean / Kankpeyeng 2013a) vorzüglich unter-richtet. Mather (2009, 100) hat während der ethnoarchäologischen Feldarbeit für seine Dissertation rund 1600 Schreine erfasst und ursprünglich in mehr als 100 Typen unter-gliedert; daraus bildete er dann fünf Gruppen (Tab. 1).24

neten Blutes und mehlhaltigen Wassers – Spu-ren der regelmäßig vollzogenen Opferungen für Mosuor und für andere Gründungsahnen.

Fortes (ebd. 219) betonte, dass dieser als Landmarke weithin sichtbare Affenbrotbaum für die Leute von Tonga heilig, ein Schrein – ein b ghar – sei. Und doch handele es sich für sie gleichzeitig auch nur um einen ganz gewöhnlichen Baum, der als Schattenspender für alte Männer und Kleinkinder diene, wäh-rend ältere Kinder darunter spielten oder in seinem Astwerk herumkletterten und schau-kelten. Die rituelle Bedeutung dieses Baumes spiele nur bei einem entsprechenden Anlass eine Rolle.

Alte Baobab-Bäume sind in Westafrika all-gegenwärtig. Dieser bestimmte Baum in Tongo verkörperte einen in der mündlichen Überlie-ferung in den 1930er Jahren immer noch sehr präsenten Klangründer, dem an dieser Stelle regelmäßig geopfert wurde. Dieser Baobab illustriert aufs beste Colpes (1970) Wort, dass das ‚Heilige‘ keiner besonderen Erscheinungs-form bedürfe – es konstitutiert sich allein aus dem sozialen Kontext. Anschaulicher hätte die ethnographische Grunderfahrung von Reli-gion kaum zum Ausdruck gebracht werden können.

In Westafrika und im nordwestlichen Zen-tralafrika – und nicht nur dort – sind Schreine und die mit ihnen verbundenen Kultaktivitä-ten für die Bevölkerung bis heute ein wesent-licher Bestandteil ihres Lebens. Dies gilt unge-achtet der Tatsache, dass ihre Bedeutung – wie

Schreine Anzahl %Schreine für das persönl. Schicksal 454 27,9 %andere 373 22,9 %Schreine für die väterl. Vorfahren 335 20,6 %Schreine für die mütterl. Vorfahren 204 12,5 %Schreine für die Geister der Wildnis 263 16,1 %Summe 1629 100,0 %

Tab. 1: Schreine in Nordostghana (korrigiert nach Mather 2009, 101 Tab. 1).

24 Mather (2009) hat diese Gruppen knapp charakte-risiert (ebd. 101–104). Die ursprüngliche Untergliede-rung führte er 1999 in seiner unveröffentlichten Dis-sertation an der University of Calgary aus. Daran haben sich Sterner und David (2009, 6) in ihrer eigenen Klas-sifikation von Schreinen in den Mandara-Bergen ori-entiert.

c

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Manfred K. H. Eggert270

ist unmöglich, Kriterien zu benennen, mit deren Hilfe die einen von den anderen klar abzugrenzen wären. Sehr häufig fehlen dabei jene Charakteristika, die oben gleichsam ide-altypisch als topographischer Habitus von potentiellen Kultlokalitäten aufgelistet wor-den sind. Dies gilt im Übrigen auch für jene Schreine, die weder den Geistern der Ahnen noch der Erde, sondern anderen übernatür- lichen Wesen gewidmet sind. Auch die Objekte, die dort nach dem Kultvollzug zurückbleiben beziehungsweise deponiert werden, unterlie-gen keiner bestimmten Regel. Federn, Köpfe und gelegentlich auch andere Körperteile von geopfertem Federvieh finden sich zwar ebenso häufig wie Knochen von geopferten Vierbei-nern und meist mehr oder weniger stark zer-scherbte Keramik, aber auch hier lässt sich kein System ausmachen (siehe Insoll / Kankpeyeng /MacLean 2013; Mather 1999; 2009). Je nach den allgemeinen und besonderen taphonomi-schen Besonderheiten ist die archäologische ‚Sichtbarkeit‘ der damit verknüpften Ritual-praxis sehr stark eingeschränkt, sofern über-haupt vorhanden.

Wie gering die Chancen archäologischer Erkennbarkeit und Überlieferung sind, haben Insoll, Benjamin Kankpeyeng und Rachel MacLean (2013, 88–91) am Beispiel des Boar-daam-Festes, einem der beiden zentralen Feste des Ritualjahres der Tallensi, aufgezeigt. Es handelt sich dabei um ein Erntedankfest, das vom Ahnenkult dominiert wird (Insoll / Mac-Lean / Kankpeyeng 2013b, 21). Wie die Auto-ren einräumen, wird von der mit diesem Fest verknüpften komplexen Ritualpraxis, die sie Ende Oktober 2008 beobachteten, keinerlei archäologische Spur bleiben (Insoll / Kank-peyeng / MacLean 2013, 91). Dies trifft nicht nur für dieses Erntefest, sondern auch für andere rituelle Kontexte zu, in denen das Fleisch geopferter Tiere nach der Opferung verteilt und verzehrt wird, so dass auch heut-zutage nur wenig Tierknochen übrigbleiben (Insoll 2013, 186–187). Die Konsequenzen aus

Im Folgenden möchte ich mich auf einige Bemerkungen zu Schreinen – besonders zu Ahnen- und Erdschreinen – in Nord-ghana und dem angrenzenden Burkina Faso beschränken. Ahnen und damit ihre Verehrung spielen im gesamten subsaharischen Raum eine wichtige Rolle. Hingegen ist die Erde im Sinne des Bodens, auf dem und von dem man lebt, vor allem im sogenannten ‚Sudangürtel‘ von Bedeutung. Dies gilt daher auch für die mit ihr verbundenen Rituale. ‚Sudan‘ bezeich-net dabei nicht den heutigen Staat, sondern das Gebiet zwischen Senegal im Westen und Äthiopien im Osten, wobei bantu-sprechende Bevölkerungen die südliche Grenze bilden (Zwernemann 1968, 1).

Unter einem ‚Schrein‘ verstehe ich einerseits etwas Gegenständliches – ein oder mehrere wie auch immer geformte Objekte oder auch etwas Naturgegebenes – und andererseits auch den Ort, an dem sich diese Objekte befinden. Für das „Voltagebiet“ – im Wesentlichen Bur-kina Faso und Guinea – nennt Jürgen Zwerne-mann (ebd. 189) als Erdheiligtümer „markante Berge oder Hügel, Gewässer, Haine, Felsgrup-pen, Baumgruppen und Bäume, außerdem Steinhaufen“, wobei „heilige Haine“ zu den „auffälligsten Kultplätzen“ zählten. Zu einem Erdschrein gehört als Priester der sogenannte ‚Eigner der Erde‘ oder ‚Erdherr‘.

Mather (2009, 101) beschreibt Schreine der Kusasi in Nordostghana als ein oder mehrere Objekte, gewöhnlich Steine (darunter biswei-len auch Mahlsteine), Bäume und keramische Gefäße. Häufig gehören auch Parapherna-lia dazu, vor allem Tierhörner, Tierschwänze, Kalebassen und eiserne Gegenstände wie etwa Armringe. Man bringt an ihnen Tieropfer und Trankspenden für übernatürliche Wesen dar (ebd.). Diese Wesen können Ahnen, Erd- und Naturgeister oder andere Mächte sein, die zu pflegen oder zu besänftigen zweckmäßig erscheint.

Ahnen- und Erdschreine in Westafrika wei-sen eine große topographische Vielfalt auf. Es

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Bedeutung. Da diese Dimensionen einem steten, wenngleich unterschiedlich schnellem Wandel unterliegen, repräsentieren Schreine nicht nur auf kultischem Gebiet, sondern auch hier dynamische Größen. Dies soll abschlie-ßend am Beispiel von Erdschreinen im Bereich des Schwarzen Volta im südwestlichen Bur-kina Faso und nordwestlichen Ghana erörtert werden (Abb. 6).

Wird eine ethnische Gruppe in einem bestimmten Gebiet mit den Erstankömmlin-gen gleichgesetzt oder versteht sie es, diese Auf-fassung im Laufe der Zeit durch Umdeutung entgegenstehender Traditionen zu eta blieren, leitet sie daraus den Anspruch auf Land-rechte ab. Man unterstellt, wie Carola Lentz (2009, 122) formuliert, dass diese Gruppe eine besondere Beziehung zu den Geistern des Landes hergestellt und dadurch eine ent-scheidende Rolle bei der Erschließung von zuvor ‚wildem‘ Land für Siedlungen und Feldbau gespielt habe. Um die Fruchtbarkeit des Bodens und die Wohlfahrt der Gruppe sicherzustellen, errichten Erstsiedler Schreine für den Erdgott und andere übernatürliche Wesen. Andererseits wird der Anspruch auf die Zuständigkeit für einen Erdschrein mit dem Anspruch gleichgesetzt, die entsprechende Gruppe repräsentiere die Erstankömmlinge. Aus diesem Grunde pflegen der Ursprung und die Entwicklung eines Schreins sowie die daraus abgeleiteten Rechte Gegenstand inten-siver Debatten zu sein (ebd.).

Lentz (2009) hat sich unter anderem mit den Dagara26 auseinandergesetzt. Diese Gruppe gehört im Gebiet des Schwarzen Volta des süd-west-burkinischen und nordwest-ghanaischen Raums im Gegensatz zu den Sisala und Phuo

einer entsprechenden Ritualpraxis in ur- und frühgeschichtlicher Zeit liegen auf der Hand.25

Mehr noch, Insoll, Kankpeyeng und Mac-Lean (2013, 91) fügen ihrer ethnoarchäologisch inspirierten Feldforschung eine wichtige Aus-sage zur Tragfähigkeit ihrer ethnographischen Beobachtungen hinzu: Es sei wahrscheinlich, dass ihnen hinsichtlich der Tallensi-Schreine „nur die Oberfläche der Bedeutung rituel-ler Praktiken“ zugänglich gewesen sei (ebd.). Ähnlich wie bei den Schreinen der Kusasi lässt sich auch die Komplexität der Tallensi-Schreine nicht in einer hieb- und stichfesten Klassifikation abbilden. Insoll, Kankpeyeng und MacLean (ebd. 54) zufolge wäre es sinn-los, alle Schreinformen der Tallensi erfassen und in Typen gliedern zu wollen – damit würde man lediglich eine Momentaufnahme wiedergeben und dem so gewonnenen Bild den Status eines zeitlosen Befundes zuordnen. Tatsächlich aber sei festzustellen, dass sich die Funktion und Bedeutung von Schreinen im Laufe der Zeit ändern könne. Ein Schrein – so die drei Autoren (ebd. 55) – mag nicht nur aus sich wandelnden Funktionen und Kom-ponenten bestehen, sondern zugleich mehrere Funktionen besitzen.

Zur soziopolitischen Funktion von Schreinen in Westafrika

In Westafrika kommt Schreinen und den mit ihnen verbundenen Ritualpraktiken nicht nur eine religiöse Funktion im engeren Sinne zu. Vielmehr haben sie auch – wie Insoll, Kank-peyeng und MacLean (2013, 54) betonen – eine historische, politische und wirtschaft liche

26 Zum Problem der linguistisch-ethnischen Bestim-mung des Begriffs ‚Dagara‘ siehe Lentz (2009, 147 Anm. 1). Ich verwende ihn hier als Kurzformel im Sinne einer ethnischen Einheit. Das Gleiche gilt für die Bezeichnung ‚Sisala‘ und ‚Phuo‘.

25 In den Worten von Insoll (2013, 186) mit Bezug auf das Boardaam-Fest: „Hence the archaeology of ani-mal sacrifice could potentially be materially negative, even if the practice was both frequent and significant, as here.“

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schreine auch von den Sisala erworben und sich damit dann jeweils – zumindest für eine bestimmte Zeit – unter die rituelle Jurisdik-tion der Sisala begeben zu haben (ebd. 124, 134) – ganz im Gegensatz zu den Sisala, die niemals in Erwägung ziehen würden, Erd-schreine von einer anderen Gruppe bekom-men oder gar erworben zu haben (ebd. 132).

Erdschreine – so unscheinbar sie sich in der ‚phänomenalen Sicht‘ der Archäologie aus-nehmen – sind im Gebiet des Schwarzen Volta und darüber hinaus in ritueller Hinsicht der Garant für das Wohlergehen der Erde und der Bevölkerung. Zugleich begründen sie einen Rechtsanspruch auf den Boden; die sich in der oralen Tradition in mannigfachen Brechungen spiegelnde Regional- und Lokalgeschichte weist darauf hin, dass dieser Rechtsanspruch bisweilen gewaltsam, immer aber konflikt-reich ausgetragen worden ist. Wir haben es hier – wie ausnahmslos bei oralen Traditi-onen – offenkundig mit einem bis heute andauernden Prozess von Behauptungen und Gegenbehauptungen, von Ansprüchen und Gegenansprüchen zu tun, und es wäre müßig, in diesen widersprüchlichen Aussagen nach der ‚Wahrheit‘ zu suchen. Lentz (ebd. 136) hat die Schwierigkeiten, die Siedlungsgeschichte im Gebiet des Schwarzen Volta im Kontext der Teilnehmenden Beobachtung ethnohisto-risch – also durch die systematische Erfassung und Analyse der mündlichen Überlieferung – herauszuarbeiten, eindrucksvoll resümiert: Die Ergebnisse seien ebenso enttäuschend wie jene, die die britische Kolonialverwaltung in den 1930er Jahren erzielt habe.

Schlussfolgerungen und Ausblick

Wirft man von den westafrikanischen Schrei-nen einen Blick auf die methodologischen Kriterien zur Identifizierung von Ritualplät-zen und Ritualpraktiken in der Archäologie, wird deutlich, wie groß die Zahl von entspre-

nicht zu den Erstsiedlern. Dennoch hat sie es – urteilt man auf der Grundlage der münd-lichen Überlieferung – in den vergangenen rund zweihundert Jahren verstanden, nicht nur in zuvor unbesiedeltes Gebiet, sondern auch in das anderer Gruppen, vor allem eben der Sisala und Phuo27, zu expandieren und sich dort zu etablieren (ebd. 122–129). Lentz (ebd.) hat in ihrem Forschungsgebiet zahlreiche münd-liche Überlieferungen aufgenommen, die den üblichen Einschränkungen dieser Quellengat-tung unterliegen: Sowohl die Interessenlage der Befragten als auch Prozesse wie etwa das ‚Teleskopieren‘ von Vorfahren, Stationen des Wanderwegs und Ereignissen führen zu Aus-sagen, die oft nicht nur widersprüchlich sind, sondern auch mannigfach verzerrt erscheinen. Es handelt sich bei oralen Traditionen eben – wie Lentz und Hans-Jürgen Sturm (2004, 405) treffend formulieren – um „ein hochgra-dig interessebesetztes Feld“.

Lentz (2009) geht es besonders um die politisch-rituelle Rolle von Erdschreinen bei den Dagara und Sisala. Im Gegensatz zu Letz-teren sind die Dagara bis heute relativ mobil. Sie verfügen über ein hierarchisches Verständ-nis ihrer Erdschreine, dass es ihnen erlaubt, aus einem ‚Mutterschrein‘ gleichsam ‚Kinder‘ oder ‚Ableger‘ entstehen zu lassen. Ein Erd-schrein besteht bei ihnen meist aus einem Baum und einem darunter vergrabenen Stein. Dieser Stein kann nicht nur in einem Beu-tel zur Gründung eines neuen Erdschreins an einen anderen Ort verbracht werden, sondern man glaubt zudem, dass jeder beliebige Stein im unmittelbaren Umfeld des Schreins dessen rituelle Kraft aufnimmt und damit die Grün-dung eines neuen Schreins an einer neuen Lokalität ermöglicht (ebd. 126). Auf der ande-ren Seite räumen die Dagara aber ein, Erd-

27 Die Phuo lasse ich – da sie auch in den Darlegun-gen von Lentz nur eine nachgeordnete Rolle spielen – im Folgenden unberücksichtigt.

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Das Rituelle als erkenntnistheoretisches Problem 273

Diskussion stehenden rituellen Phänomens zum schriftlich dokumentierten Bezugspunkt, desto wahrscheinlicher sei eine inhaltliche Überstimmung des dahinterstehenden Glau-benssystems. Offenkundig handelt es sich hierbei in letzter Konsequenz um eine Auffas-sung, die auf einem ausgesprochen statischen Konzept des Rituellen beruht. Die Projektion eines textlich mehr oder minder gut doku-mentierten rituellen Befundes – gleichgül-tig, ob es sich um Kultplätze, Kultaktivitäten oder umfassende Kultsysteme handelt – in die Vergangenheit impliziert von vornherein eine weitgehende Konstanz dieses Befundes.

Die knappe Erörterung der westafrikani-schen Schreine dürfte zudem gezeigt haben, wie begrenzt letztlich die Möglichkeiten sind, mit ethnographisch-ethnohistorischen Mitteln in das kulturspezifische Verständnis des Ritu-ellen einzudringen. Dies ist Ethnologinnen und Ethnologen in aller Regel wohlbekannt; in der Archäologie hingegen überschätzt man diese Möglichkeiten nur allzu häufig. Für die Archäologie ergeben sich aus den Ausfüh-rungen zu den Schreinen daher auch gene-relle Folgerungen über das in diesem Beitrag behandelte komplexe Feld des Rituellen: Es ist deutlich geworden, wie eng die Grenzen des Analogischen Deutens hier gezogen sind. Für die Zukunft ist nicht zu erwarten, dass die erkenntnistheoretischen Schwierigkeiten geringer werden oder sich gar überwinden lassen könnten. Somit bleibt nur, sich ihrer bei der Archäologie des Rituellen – und das gilt eo ipso für die Archäologie der Religion – bewusst zu sein. Das ist für die Deutung der archäologisch erfassten Phänomene wenig befriedigend, mag aber vor allzeit üblichen interpretatorischen Kurzschlüssen schützen.

Es gehört zum Wesen des Rituellen, dass es dem Nichteingeweihten fremd ist. Als emische Dimension ist es immer kulturell – wenn-gleich in durchaus unterschiedlichem Maße – enkodiert. Erkenntnis und Verstehen resultiert aus der Analyse der Schnittstelle des Univer-

chenden Lokalitäten ur- und frühgeschicht- licher Zeit sein muss, die aufgrund unzureichen-der materiell-taphonomischer Ausprägung nicht erkannt werden. Dass es solche Plätze und Praktiken nicht nur in Westafrika, son-dern überall auf der von Menschen bewohn-ten Erde gibt und gegeben hat, ist eine Bin-senweisheit. Ein anderes, aber nicht minder gravierendes Problem ist das – um G. Kossack (1996, 32) zu zitieren – „gedankliche System“, das hinter ur- und frühgeschichtlichem Kult-verhalten gestanden hat. Für seine Entschlüs-selung bieten die materiellen Hinterlassen-schaften keinerlei eindeutige Hinweise.

Die westafrikanischen Beispiele haben deut-lich gemacht, welche Gefahren unsere gängige Verfahrensweise birgt, historische Phänomene zu typisieren, wenn wir uns dabei nicht stän-dig darüber im Klaren sind, dass wir sie mit ihrer Typisierung zugleich als statisch begrei-fen. Ritualplätze und Ritualpraktiken etwa sind jedoch weder wandlungsresistent noch eindimensional und monofunktional. Sie sind vielmehr ein Resonanzraum stetiger gruppen-dynamischer Abläufe, deren Ergebnis in ihrem Vollzug weder voraussagbar waren noch sich in ihrer Dynamik retrospektiv erschließen las-sen. In der ethnographisch-ethnohistorischen Annäherung zeichnen sich bestenfalls gewisse für die Gruppe essentielle Grundprinzipien der Sicherung der eigenen Wohlfahrt, der Fruchtbarkeit der Frauen und des Landes und dergleichen ab – Grundprinzipien, die in sich selbst jedoch wiederum keiner statischen Vor-gabe gehorchen.

Legt man diese Sicht zugrunde, erscheint die Retrospektive Methode, wie sie etwa von F. Müller und G. Kossack praktiziert wurde, nur vordergründig hilfreich. Sie basiert darauf, dass ein oft ‚punktuelles‘, durch Schriftquellen mehr oder weniger gut ausgeleuchtetes Kult-verhalten als Wegweiser in die schriftlose Zeit benutzt werden kann. Dabei gilt eine einfache Regel als Indikator für die Zuverlässigkeit der Deutung: Je größer die zeitliche Nähe des zur

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Autorenverzeichnis

Prof. Dr. Tobias L. KienlinUniversität zu KölnInstitut für Ur- und FrühgeschichteWeyertal 125D-50923 Kö[email protected]

Prof. Dr. Erich KistlerUniversität InnsbruckZentrum für Alte KulturenInstitut für ArchäologienFachbereich Klassische ArchäologieLanger Weg 11A-6020 [email protected]

Prof. Dr. Brigitte RöderUniversität BaselDepartement AltertumswissenschaftenUr- und Frühgeschichtliche und Provinzialrömische ArchäologiePetersgraben 51Ch-4051 [email protected]

Prof. Dr. Paul RoscoeUniversity of MaineDepartment of Anthropology5773 S. Stevens HallUSA-Orono, Maine [email protected]

Prof. Dr. Christoph AntweilerUniversität BonnInstitut für Orient- und Asien-wissenschaften (IOA)Abteilung SüdostasienwissenschaftNassestr. 2D-53113 [email protected]

Prof. Dr. Sebastian BratherAlbert-Ludwigs-Universität FreiburgInstitut für Archäologische WissenschaftenFrühgeschichtliche Archäologie und Archäologie des MittelaltersBelfortstraße 22D-79085 [email protected]

Prof. Dr. Manfred K. H. EggertEberhard-Karls-Universität TübingenInstitut für Ur- und Frühgeschichte und Archäologie des MittelaltersSchloss HohentübingenD-72070 Tü[email protected]

Prof. Dr. Alexandra KarentzosTechnische Universität DarmstadtArbeitsbereich Mode und ÄsthetikAlexanderstr. 6D-64283 [email protected]

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Autorenverzeichnis280

Prof. Dr. Herbert UerlingsUniversität TrierFB II – GermanistikNeuere deutsche LiteraturwissenschaftD-54286 [email protected]

Prof. Dr. Christoph UlfUniversität InnsbruckZentrum für Alte KulturenInstitut für Alte Geschichte und AltorientalistikLanger Weg 11A-6020 [email protected]

Prof. Dr. Thomas WidlokUniversität zu KölnKulturwissenschaften AfrikasInstitut für AfrikanistikAlbertus-Magnus-PlatzD-50923 Kö[email protected]

Jun.-Prof. Dr. Constance von RüdenRuhr-Universität BochumInstitut für Archäologische WissenschaftenAm Bergbaumuseum 31D-44791 [email protected]

Dr. Beat SchweizerEberhard Karls Universität TübingenSFB 1070 RessourcenKulturenGartenstraße 29D-72074Tü[email protected]

Prof. Dr. Dietmar TillEberhard Karls Universität TübingenSeminar für Allgemeine RhetorikWilhelmstraße 50D-72074 Tü[email protected]