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SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 FEATURE DSCHUNGELKRIEGER UND ATOM-U-BOOTE ALTERNATIVE VERTEIDIGUNGSPOLITIK IN SÜDAMERIKA VON KARL-LUDOLF HÜBENER 18.06.2014 /// 22.03 Uhr Redaktion: Wolfram Wessels Prod-Nr.: 1001998 Prod.: Stuttgart, Regie 2, 24. 28.05.2014 Regie: Günter Maurer Mitschnitte auf CD von Sendungen der Redaktion SWR2 Literatur sind beim SWR Mitschnittdienst in Baden-Baden für 12,50 € erhältlich. Bestellungen über Telefon: 07221/929-26030 SWR 2 Feature können Sie auch als Live-Stream hören im SWR 2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/feature.xml Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.
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Nov 02, 2019

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SWR2 MANUSKRIPT

ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE

SWR2 FEATURE

DSCHUNGELKRIEGER UND ATOM-U-BOOTE

ALTERNATIVE VERTEIDIGUNGSPOLITIK IN SÜDAMERIKA

VON KARL-LUDOLF HÜBENER

18.06.2014 /// 22.03 Uhr

Redaktion: Wolfram Wessels

Prod-Nr.: 1001998

Prod.: Stuttgart, Regie 2, 24. – 28.05.2014

Regie: Günter Maurer

Mitschnitte auf CD von Sendungen der Redaktion SWR2 Literatur sind beim SWR

Mitschnittdienst in Baden-Baden für 12,50 € erhältlich. Bestellungen über Telefon:

07221/929-26030

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ATMO 01 (Demo): Erzähler: Ende 2012 im mondänen uruguayischen Seebad Punta del Este. Zwei Dutzend Protestierende harren in der neblig-nassen Kälte aus. Sie stimmen immer wieder Sprechchöre an. Einer hält ein Schild hoch: „Yankis go home“. Auf Flugblättern protestieren sie gegen US-Militärbasen in Südamerika. Tiefes Misstrauen äußern sie gegen Militärs, die vor nicht allzu langer Zeit schwerste Menschenrechtsverletzungen begangen haben. Sie demonstrieren gegen eine Konferenz im Luxushotel „Conrad“, einem Hotel der Reichen und der Glücksspieler. Es ist weiträumig von Hundert-schaften der Polizei abgeriegelt. Drinnen tagt die „X. Konferenz der Minister für Verteidigung“. Delegierte aus 28 Ländern des amerikanischen Kontinents nehmen teil. Von Kanada bis Argentinien. Diskutiert wird über das Interamerikanische Verteidigungssystem, UN-Friedensmissionen und regionale Antworten auf Naturkatastrophen. Sprecherin: Dschungelkrieger und Atom-U-Boote Alternative Verteidigungspolitik in Südamerika Von Karl-Ludolf Hübener ATMO 02 (Nationalhymne Uruguays) Erzähler: Nach der Nationalhymne ergreift Uruguays Verteidigungsminister Fernández Huidobro das Wort: O-TON 01 Huidobro Übersetzer Huidobro: „Der Planet stößt an unüberwindliche Grenzen seiner Ressourcen. Sollten wir diese überschreiten, werden wir ihn zerstören und unbewohnbar machen, für uns und andere Lebewesen.“ Erzähler: Endlichkeit der Ressourcen bei gleichzeitigem Wachstums- und Ressourcenhunger. Doch kein Bedrohungs- oder Kriegsszenario wird von Huidrobro beschworen. O-TON 02 Arturo Puricello Übersetzer Arturo Puricello: „Wir sind uns bewusst, dass wir ein Territorium haben, das reich an Naturreich-tümern ist. Amazonien ist die wichtigste Lunge der Welt. Sie produziert Sauerstoff. Hier liegen die wichtigsten Wasserreserven der Welt. Unsere Region hat die größten Kapazitäten der Welt für die Nahrungsmittelproduktion. Eine Region voller Energie-potential, ob es sich nun um erneuerbare oder nicht erneuerbare Energien handelt.“ Erzähler: So Verteidigungsminister Arturo Puricello, der die argentinische Delegation anführte. Für Überraschung sorgten solche Themen, die für Verteidigungsminister eher unge-wöhnlich sind. Kein Wort über innere Feinde und ihre Repression, wie in den Jahren der Militärdiktaturen, stattdessen Plädoyers für Sicherung und Verteidigung eigener Rohstoffe, ob im Regenwald oder in den Anden: Es war eine Absage an die bislang

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vorherrschende Doktrin der Nationalen Sicherheit, wie Puricellos brasilianischer Kollege Celso Amorim deutlich machte: Das internationale Verteidigungssystem, wie es nach dem Zweiten Weltkrieg entworfen worden war, hat nichts mehr mit der Welt von heute zu tun. ATMO 03 (Konferenz) Erzähler: Unter der Delegierten saßen der damalige US-Verteidigungsminister Leonardo Panetta und Douglas Fraser, Chef des Südkommandos der US-Streitkräfte. Mit unbewegter Miene hörte Panetta zu. Für die USA war Verteidigungsminister Huidobro einst ein Terrorist gewesen. Nicht nur er: Uruguays Präsident José Mujica richtete ein kurzes Grußwort an ein Publikum, in dem Uniformen und Orden den Ton angaben: O-TON 03 Mujica Übersetzer Mujica: „Niemals in meinem Leben hätte ich mir träumen lassen, eines Tages ein Treffen dieser Art zu eröffnen.“ Erzähler: José Pepe Mujica war wie Minister Huidobro Mitglied der Tupamaro-Guerrilla in Uruguay in den sechziger und siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts gewesen. Sie waren Todfeinde der Militärs. Wiederholt waren sie verhaftet worden und verschwanden schließlich über ein Jahrzehnt lang als so genannte “Geiseln des Staates“ in den Kerkern der uruguayischen Militärdiktatur. Immer wieder wurden sie gefoltert. Ein Mitgefangener schilderte später die Schrecken. ZITAT: (Rosencof ) "Es gab keine Gegenstände in den Zellen, da war nichts. Sie schliefen auf dem eisigen Betonboden, aufgeschreckt durch jedes Geräusch der Gitter oder Stiefelschritte, die eine neue Folterrunde ankündigen konnten." Erzähler: Die Tagung hatte mich neugierig gemacht. Neue Töne waren zu hören. Es gab eine klare Abgrenzung zur brutalen Vergangenheit. ATMO 04 (Militär marschiert) Erzähler: Die lateinamerikanische Wirklichkeit war in den sechziger und siebziger Jahren: Militärdiktatur und Folter - ob in Uruguay, Argentinien, Chile, Paraguay, Brasilien oder Bolivien. Sie war verbunden mit Namen berüchtigter Generäle, wie Augusto Pinochet oder Jorge Rafael Videla. ATMO 05 (Castelo Branco, historische Rede) Erzähler: 1964 hatten brasilianische Militärs den demokratisch gewählten Präsidenten João Goulart gestürzt. Eine weitreichende Agrarreform hatte das Fass überlaufen lassen.

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Die Militärs griffen ein, um das Land vor Linksextremismus zu retten, wie Diktator Humberto Castelo Branco in seiner Antrittsrede behauptete. Washington hatte beim Staatsstreich kräftig mitgewirkt. ATMO 04 (Militär marschiert) Erzähler: Hinter dieser Politik stand eine Doktrin der Nationalen Sicherheit, die ideologische Richtschnur aller Streitkräfte und Militärregime in Südamerika. Entworfen hatte sie die US-Administration nach dem Zweiten Weltkrieg, im Kalten Krieg. Sie übernahm auch gleich das ideologische Kommando in den südamerikanischen Kasernen. Die Militärs vor Ort untermauerten mit der Doktrin ihren Anspruch auf eine zentrale Rolle in Staat und Gesellschaft: Allein sie könnten nationale Interessen, Entwicklung und Innere Sicherheit garantieren. Innere Feinde waren Kommunisten, Sozialisten, Gewerkschafter, Andersdenkende. Sie wurden als interne Feinde im so genannten schmutzigen Krieg bekämpft. Das hieß willkürliche Verhaftungen, Morde, Entführungen und schwerste Misshandlungen.

ATMO 04 (Militär marschiert ausblenden ) Erzähler: Anfang der 80er Jahre zogen sich die Militärs in die Kasernen zurück und Exilierte kehrten in ihre Länder heim. In einigen wurden uniformierte Täter wegen Menschen-rechtsverletzungen verurteilt. Nicht überall, nicht in Brasilien zum Beispiel. Die Diktatoren dort hatten sich vor dem Rückzug selbst amnestiert. Ein Zeichen dafür, dass sie keineswegs an Einfluss verlieren wollten. Der demokratische Neubeginn war ohnehin schwer belastet durch Schuldenkrise und neoliberalen Raubbau, so dass die Militärfrage ein wenig in den Hintergrund rückte. ATMO 06 (Chávez auf Kundgebung) Erzähler: Anfang des neuen Jahrtausends färbte sich allerdings die politische Landschaft Südamerikas rosarot. In Venezuela, Ecuador, Bolivien, Uruguay und Brasilien. Der Aufbruch ließ aufhorchen. Die neuen Regierungen versprachen eine andere Politik, mehr Sozialprogramme und eine stärkere regionale Zusammenarbeit. Auch in den Kasernen sollte ein anderer Wind wehen. Für viele in Brasilien kam das unerwartet. Manuel Gambeses, Luftwaffenoberst, lange Zeit Dozent an der „Escola Superior de Guerra“, der „Höheren Kriegsschule“, in Rio de Janeiro und bis heute davon überzeugt, dass der Militärputsch eine Revolution war: O-TON 04 (Gambeses) Übersetzer Gambeses: „Etwas hat sich völlig verändert: das Originalkonzept der Streitkräfte war sehr stark mit der Nationalen Sicherheit verbunden, auch mit der Sicherheit der Hemisphäre und der kontinentalen Sicherheit.

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Wir mussten uns erst einmal an die neue Orientierung anpassen. Diese neue Richtlinie ging offensichtlich vom Präsidenten aus.“ ATMO 07 (Lula redet) Erzähler: Von einem Mann, der als Gewerkschaftsführer gegen die Militärdiktatur mobilisiert hatte. Mit Streiks und Massendemonstrationen. Organisiert von Luiz Inácio Lula da Silva. Noch während der Militärdiktatur hatte er die PT, die Partei der Arbeiter gegründet. Für viele Militärs ein klassischer Subversiver. ATMO 08 (Lula redet) Erzähler: Lula zog Anfang 2003 in den Präsidentenpalast in Brasilia ein. Aber anders als erwartet, bedeutete Lulas Wahl für die Streitkräfte keinen radikalen Umbruch. Nicht alles sei unter der Militärdiktatur schlecht gewesen, meinte er einmal. In einem Zeitungsartikel knüpfte er sogar an nationalistische Tendenzen im Militär an: Zitat: „Effektive militärische Fähigkeiten sind eine unverzichtbare Notwendigkeit, um unser Land in eine Macht zu verwandeln, die in der ganzen Welt respektiert wird.“ Erzähler: Die brasilianischen Streitkräfte behielten weiterhin erheblichen Einfluss auf die Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Während in demokratisch regierten Nachbar-ländern die Streitkräfte weitgehend der zivilen Gewalt untergeordnet sind, wird den brasilianischen Militärs eine fragwürdige Rolle in der Innenpolitik eingeräumt - verfassungsrechtlich verbrieft. In Artikel 142 der Verfassung wird den Streitkräften eine Wächterfunktion über Gesetz und innere Ordnung zugedacht. Anklänge an die Doktrin der Nationalen Sicherheit. Ein späteres Gesetz bestimmt allerdings, dass Soldaten nur im Inneren eingesetzt werden dürfen, wenn sich die Polizeikräfte als unfähig erweisen, die Ordnung aufrechtzuerhalten. Einsätze zur Unterstützung der Polizei sind jedoch schon fast zur Regel geworden. So kam die Armee zum Einsatz, als in den Favelas von Rio Drogenbanden vertrieben wurden, oder als. Demonstranten gegen soziale Missstände protestierten. Die Armee übernimmt auch das Oberkommando über die Sicherheitskräfte, wenn die Fußball-WM angepfiffen und die Olympischen Spiele 2016 eröffnet werden. ATMO 09 (Demonstrationen, vorher einblenden) Erzähler: Um das Land in eine Macht zu verwandeln, die in der ganzen Welt respektiert wird, verabschiedete die Lula-Regierung im Dezember 2008 eine „Nationale Verteidigungsstrategie“. Sie hat auf neue Militärdoktrinen in den Nachbarländern abgefärbt. Das größte Land Südamerikas, mit 23 000 Kilometer Grenzen, versucht damit auch seinen Anspruch als Regionalmacht und gleichzeitiger global player militärisch zu

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untermauern. Mit 368 000 Mann unter Waffen gebietet der brasilianische Präsident heute über die personalstärkste Truppe Lateinamerikas. Eckpfeiler der neuen Doktrin, die noch lange nicht vollständig umgesetzt ist, sind Aufrüstung und Abschreckung. Zum Schutz der Grenzen und – das ist eine völlig neue Aufgabe - zur Verteidigung der Rohstoffe und Naturressourcen - gegenüber „einer militärisch hoch überlegenen Großmacht“, wie es in der Nationalen Verteidigungsstrategie heißt. ATMO 10 (Flugzeug) Erzähler: Ein Großteil der Militärausgaben wird in die Kriegsmarine fließen, hatte ich dort auch gelesen. Die Marine soll damit erheblich an Bedeutung gewinnen. Also beschloss ich, nach Rio de Janeiro zu fahren, wo das Oberkommando der Marine sitzt. Das war im vergangenen Jahr. O-TON 05 Ibsen Übersetzen Ibsen: „Unsere Strategie heißt Abschreckung. Wir werden deshalb qualitativ bestens ausgerüstete und ausgebildete Streitkräfte unterhalten. Sie sind am richtigen Ort stationiert, aber auch höchst beweglich. Damit jede Form von Abenteuer oder Drohung, die entstehen könnte, abgeschreckt wird. Wer also auf unser Territorium vordringen möchte oder irgendeinen Reichtum, ob nun Erdöl, irgendein im Amazonas lagerndes Mineral, oder irgendeinen bedeutenden Fisch im Blauen Amazonas oder andere Reichtümer, wie das Trinkwasser im Grünen Amazonien, an sich reißen möchte, ist gewarnt: er wird so viele Nachteile und Schäden davontragen, dass es sich nicht lohnt, etwas bei uns zu rauben.“ Erzähler: Ricardo Ibsen Pennaforte de Campos, Kapitän der Kriegsmarine, empfängt uns auf dem Marinestützpunkt in der Guanabara-Bucht von Rio de Janeiro. Dort residiert sein Oberkommando. Die Insel ist militärisches Sperrgebiet. Absolutes Fotografierverbot. Passkontrolle. Ein-, zwei,- und dreistöckige Gebäudekomplexe. Sportplätze und Hafenanlagen. Dort ankern zahlreiche kleine und größere Kriegsschiffe. In der Ferne schimmern im bläulichen Dunst die Felsenberge Rio de Janeiros, der Zuckerhut, der Corcovado mit dem Christus-Monument. Das Operationsgebiet der Marine habe sich stark erweitert, erklärt Ricardo Ibsen: O-TON 06 (Ibsen) Übersetzen Ibsen: „Das Grüne wie das Blaue Amazonien sind heute die beiden Prioritäten in unserer Nationalen Verteidigungsstrategie.“ Erzähler: Blaues Amazonien? Ein nicht unbedingt geläufiger Begriff. Gemeint ist damit der Atlantik vor der Küste Brasiliens. Fast 8000 Kilometer lang ist die Atlantikküste. Höchste Aufmerksamkeit gilt aber auch dem Grünen Amazonas.

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O-TON 07 Ibsen Übersetzer Ibsen: „Resultat: Soldaten des Heeres, der Luftwaffe und der Marine sind in die Grenzgebiete Amazoniens verlegt worden.“ Erzähler: Amazonien ist das Stichwort für Comandante Ricardo Gomes. Er erwartet den Besucher in einem abgedunkelten Raum, hat eine Powerpoint-Präsentation vorbereitet. Schaubilder, Fotos, Statistiken, Lehrfilme, kurze Texte werden auf eine Leinwand geworfen, begleitet von seinen Erklärungen. O-TON 08 Ricardo Gomes Übersetzer Ricardo Gomes: „Hier in Brasilien, aber auch in der ganzen Welt, gibt es eine weit verbreitete Vorstellung vom Amazonas: Tropische Wälder, Biodiversität, Naturreichtümer. Das sind Kennzeichen des Amazonas. Amazonien muss deshalb geschützt werde, doch gleichzeitig weckt es Begierden.“ ATMO 11 (Regenwald) Erzähler: Der Regenwald Amazoniens erstreckt sich über neun südamerikanische Staaten und umfasst insgesamt sechs Millionen Quadratkilometer. Er würde etwas mehr als die Hälfte Europas bedecken. ATMO 11 (Regenwald) Erzähler: Weit über die Hälfte des Regenwaldes dehnt sich über brasilianisches Territorium aus. Ein Paradies der Artenvielfalt und eines für Biologen. Ein Drittel aller weltweit existierenden Tier – und Pflanzenarten beherbergt das grüne Dickicht, außerdem das größte Süßwasserbecken der Welt, ein Drittel aller tropischen Wälder sowie vielfältige Mineralien- und andere Rohstoffvorkommen. Um Missverständnissen vorzubeugen, es geht nicht um Umweltschutz in Uniform, sondern vielmehr um den Schutz der eigenen Ressourcen vor einem gegnerischen Zugriff. Die Militärs wollen Amazonien selbst nutzen und entwickeln. Das haben sie schon einmal versucht. ATMO 12 (Motorsäge) Erzähler: „Besetzen um es nicht zu verlieren“ war das Motto der Militärdiktatoren. Sie trieben die Überlandstraße „Transamazônica“ in den Regenwald, förderten Industrieanlagen, Stauseen und Rinderzucht und vernichteten Regenwald. Sie wollten gleichzeitig Amazonien besiedeln: „Land ohne Menschen für Menschen ohne Land.“ Indianer zählten nicht.

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O-TON 09 Zibechi Übersetzer Zibechi: „Wenn man mir sagen würde: es gilt, indianische Territorien zu verteidigen, dann gibt es ein glattes Nein. Die Militärs wollen über das Thema nicht einmal reden, denn es würde die nationale Einheit zerbrechen. Das könnte zu einem Konflikt führen.“ Erzähler: Raul Zibechi, uruguayischer Essayist und Analytiker, in einem Gespräch nach der Rio-Reise. Er beobachtet seit vielen Jahren die militärische Entwicklung auf dem Subkontinent, insbesondere in Brasilien: ATMO 13 (Indianisches Ritual) Erzähler: Mehr als 400 indigene Bevölkerungsgruppen leben noch im brasilianischen Amazonas-Gebiet. Viele warten auf Sicherheiten für ihr Land, auf eindeutige Grenz-ziehungen für ihre Territorien. Das bezeichnete ein General einmal als „interne Bedrohung der Souveränität Brasiliens.“ Sie käme zur externen Bedrohung hinzu, die es nach brasilianischer Lesart schon lange gibt. ATMO 12 (Motorsäge) Erzähler: Es hagelt immer wieder Kritik aus dem Ausland, wenn Regenwald vernichtet wird. Frankreichs früherer Präsident François Mitterrand empfahl den Brasilianern, eine eingeschränkte Souveränität zu akzeptieren. Der Amazonas gehöre nicht nur den Brasilianern, sondern „uns allen“, ließ der ehemalige US-Vizepräsident Al Gore verlautbaren. Das klang für viele Brasilianer wie eine Begründung für Interventionen, inklusive bewaffneten. Kategorisch erklärte deshalb der vormalige Verteidigungsminister Nelson Jobim: O-TON 10 Jobim Übersetzer Jobim: „Brasilien wird auf das brasilianische Amazonien aufpassen – im Interesse Brasiliens und der Brasilianer, aber auch der ganzen Welt. Kein anderes Land ist mit dieser Aufgabe betraut. Dafür brauchen wir eine Verteidigungsstruktur, um abzuschrecken, aber nicht um Angriffe zu führen.“ Erzähler: Wie diese Struktur denn aussieht? Kommandant Gomes lässt einen kurzen Lehrfilm auf eine Leinwand projizieren. ATMO 14 (Vereidigung in Kaserne) Erzähler: Manaus, Millionenstadt am Amazonas. In und um Manaus gibt es zahlreiche Kasernen und militärische Anlagen. Alle drei Teilstreitkräfte sind in diesem Gebiet vertreten. Manaus ist Sitz des „Unterrichtszentrum für den Krieg im Regenwald“. Ein Jahrgang von Guerreiros da Selva, wird verabschiedet, Krieger des

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Regenwaldes. Viele Krieger tragen indianische Gesichtszüge. Die Soldaten sind nun gerüstet für das Leben und kriegerische Operationen im Dickicht des Regenwaldes, auch in den unzugänglichsten und unwirtlichsten Gegenden Amazonien. Wie Gurkhas tragen die Urwaldkrieger ein langes Messer – mit der Inschrift „Krieg im Regenwald“. Der vergoldete Metallgriff formt sich zu einem Leopardenkopf. ATMO 15 (Gebet der Krieger) ZITAT: Mein Herr, der du den Kriegern des Regenwaldes befiehlst, überwinde all deine Gegner, gib uns heute für den Regenwald: Genügsamkeit, um zu widerstehen, Geduld, um einen Hinterhalt zu legen Beharrlichkeit, um zu überleben, List, um uns zu verstellen Glauben, um zu widerstehen und zu siegen Und gib uns Herr, Hoffnung und Gewissheit auf Rückkehr“ ATMO 16 (Schnellboot) Erzähler: Ein Patrouillenboot durchschneidet die ruhigen Fluten eines Nebenflusses des Amazonas. Er schlängelt sich durch das dichte Grün zu beiden Seiten des gelbbraun schimmernden Wassers. Sechs Marineinfanteristen, Maschinenpistolen im Anschlag, ducken sich hinter der Bordwand. Die Gesichter sind grün bemalt, im Einklang mit der Natur, wie auch die olivgrünen Kampfanzüge. Das Schnellboot braust auf eine weiße Sandbank zu. Die Soldaten robben auf das grüne Dickicht zu und schlagen mit Macheten eine Schneise. ATMO 11 (Regenwald) Erzähler:

Die Geschichte der Amazonas- Krieger reicht bis zur Militärdiktatur zurück, wie mir Luftwaffenoberst Gambeses vor Jahren erzählt hat. O-TON 11 Gambeses Übersetzer Gameses: "Wir haben mitten im Regenwald ein Trainingszentrum für den Kriegsfall. Ein Modell für die Welt. Dort trainieren Heeressoldaten den so genannten ‚Krieg des Widerstandes’ oder die ‚Strategie der Schwächung’: Wenn ich einem starken Mann nicht die Stirn bieten kann, dann muss ich mir etwas anderes einfallen lassen, um seinen Widerstand zu unterlaufen. Also keine direkte Konfrontation, weil ich nicht stark genug bin. Aber wenn ich Kriegsmethoden der Guerilla anwende, kann ich dem Feind Widerstand leisten.“

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Erzähler: Gambeses ließ damals durchblicken, dass mit dem Feind die nördliche Großmacht gemeint sei. Vor noch nicht allzu langer Zeit hat eine brasilianische hochrangige Militärdelegation Vietnam besucht, um mehr über den Kampf des Vietcong gegen die US-Invasoren, also gegen „einen übermächtigen Feind“, zu erfahren. ATMO 16 (Schnellboot) Erzähler: Die Marine ist nicht nur im Amazonasgebiet im Einsatz, sagt Kapitän Ibsen: O-TON 12 Ibsen Übersetzer Ibsen: „Die Nationale Verteidigungsstrategie sieht vor, dass noch andere Reichtümer geschützt werden müssen, die nicht im Grünen Amazonien, sondern in unserem Blauen Amazonien lagern.“ O-TON 13 (Ricardo Gomes) Übersetzer Ricardo Gomes: “Um unsere Bevölkerung bewusster zu machen, stellten wir eine Beziehung her: unsere maritimen Hoheitsgewässer nannten wir fortan das Blaue Amazonien. So sollte den Menschen eingetrichtert werden, dass dieses Amazonien ebenso bedeutend und reich an Ressourcen ist wie das Grüne Amazonien, nur dass es blau ist und im Meer liegt. Es war also zunächst so etwas wie eine Marketing-Idee.“ Erzähler: 300 Kilometer vor der Küste von Rio de Janeiro sind die Pré-Sal-Ölfelder entdeckt worden. Sie liegen in mehreren Tausend Metern Tiefe. Die gesamten Vorkommen werden auf mehr als 100 Milliarden Barrel geschätzt. Sie zählen damit zu den größten jemals entdeckten Ölvorkommen der Welt. Das hochwertige „Schwarze Gold“ kann zudem leicht verarbeitet werden. Kaum war der Tiefsee-Schatz entdeckt, reaktivierte Washington die IV. Flotte der US-Marine. Sie war 1950 eingemottet worden. Sie patrouilliert nun vor der Atlantik- und Pazifikküste Südamerikas. O-TON 14 Zibechi Übersetzer Zibechi: „Brasilien hat deshalb seine Streitkräfte vom Süden, wo sie auf Argentinien konzentriert waren, in den Amazonas und in die Nähe des Erdölgebiets verlegt. Deshalb auch die bedeutende Aufrüstung der Marine und das umstrittene Thema der Atom-U-Boote.“ ATMO 17 (Stimmen Marine) Erzähler: Wenn ich einen praktischen Einblick in das Thema Aufrüstung , wie sie in der Nationalen Verteidigungsstrategie gefordert wird, haben wolle, müsse ich unbedingt die LAAD besuchen, meint Kommandant Gomes zum Abschied. Sie finde gerade statt. Dort habe auch die Marine ihren Stand.

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LAAD, „Latin America Aerospace & Defense“ – das ist die größte Waffenschau Lateinamerikas. Sie findet alle zwei Jahre statt, zuletzt 2013. ATMO 18 (LAAD-Messe) Erzähler: Ich fahre in den Süden Rio de Janeiros. Eine schier endlose Reise im Bus, vorbei an Traumstränden, Favelas, Shopping Centern und luxuriösen Wohnbauten. Lang gestreckte Hallen kommen in Sicht: „Rio Center“, ein ausgedehntes Zentrum für Konferenzen und Ausstellungen. Die LAAD-Messe füllt heute alle Hallen. Mit einer einzigen hat es vor rund zwanzig Jahren begonnen. ATMO 18 (LAAD-Messe) Erzähler: Dunkle Anzüge, ordensgeschmückte Uniformen, aber auch Freizeitkleidung, Militärs, Politiker und Minister: Knapp 700 Aussteller aus über 50 Ländern zählt der fast 300 Seiten starke Katalog auf. Aus ebenso vielen Ländern kommen die Besucher. ATMO 19 (LAAD, Schüsse) Erzähler: Ein prächtiger Leopard blickt von einer riesigen Leinwand auf die Waffenschau. Davor reckt sich wie ein Phallus ein Kanonenrohr. Er gehört zu einem „Leopard“-Panzer. Der ist umringt von sekttrinkenden Männern. Das ist nicht das einzige Produkt, das Deutschland, der weltweit drittgrößte Waffenexporteur hier präsentiert. Französische und US-amerikanische Rüstungsfirmen drängen sich auf. China, Korea und andere asiatische Länder, wie auch eine staatliche russische Waffenschmiede werben mit Kriegsmaterial. Raketen, Kanonen, Helikopter, Roboter locken die Besucher. Die Rüstungsindustrie boomt – auch in Brasilien. In Sichtweite ist der Stand von „Odebrecht – Verteidigung und Technologie“. Der brasilianische Konzern ist eher für Straßenbau und Staudämme bekannt, aber er hat sich auch ins Waffengeschäft eingekauft. Es ist Zeit für die Pressekonferenz von EMBRAER, des brasilianischen Flugzeugherstellers. ATMO 20 (Pressekonferenz EMBRAER) Erzähler: Alle Sitzplätze sind belegt, als Konzerngewaltige, sekundiert vom Oberbefehlshaber der Luftwaffe, den „KC-390“ auf eine Leinwand projizieren. Das Transportflugzeug ist das größte jemals in Brasilien gebaute Flugzeug. Es kann 23 Tonnen transportieren, in der Luft aufgetankt werden und Nonstop in die Antarktis und nach Amazonien fliegen. Eine hundertprozentig brasilianische Ingenieursleistung, wie immer wieder betont wird. EMPRESA, die „Empresa Brasileira de Aeronautica“ mit Sitz im Bundesstaat Sao Paulo ist nach Boeing und Airbus der drittgrößte Flugzeugbauer der Welt. Der Konzern ist einer der größten Konstrukteure sowohl militärischer als auch ziviler

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Flugzeuge. Seine Anfänge liegen in der Zeit der Militärdiktatur. Diktator Arturo da Costa e Silva hatte per Dekret die staatliche Flugzeugfabrik EMBRAER gegründet. ATMO 18 (LAAD-Messe) Erzähler: Die Notwendigkeit von militärischen Eigenentwicklungen hat Nelson Jobim immer wieder betont. Er war führend an der Ausarbeitung der Nationalen Verteidigungs-industrie beteiligt. O-TON 15 Jobim Übersetzer Jobim: „Es reicht eben nicht, ein militärisches Instrument im Ausland zu kaufen. Das kann sogar billig sein, billiger, als wenn es hier produziert würde. Aber wenn Sie dieses Instrument im Ausland kaufen, begeben sie sich in eine brutale logistische Abhängigkeit. Und wenn dann die Logistik unterbrochen wird…“ Erzähler: Kuba musste das nach der Revolution bitter erfahren. Die USA verweigerten die Lieferung von Ersatzteilen für sein Waffenarsenal, das bis dahin aus den USA kam. Ähnlich erging es den Sandinisten in Nicaragua. Und vor nicht allzu langer Zeit legten die USA ein Veto ein, als EMBRAER Tucano-Kampfflugzeuge an das Venezuela des linken Hugo Chávez verkaufen wollte. Ein Elektronik-Teil stammt aus den USA. Wer Washington politisch nicht genehm ist, muss mit einem Embargo rechnen. Langfristiges Ziel ist deshalb die Unabhängigkeit von Waffenimporten und der Ausbau der eigenen Industrie. Brasilien will selbst die Bedingungen für Waffen-geschäfte mit ausländischen Firmen stellen. O-TON 16 Jobim Übersetzer Jobim: „Die folgende Regel ist fundamental: Vorbedingung bei allen Verhandlungen mit ausländischen Unternehmen ist der Technologietransfer. Wenn dazu keine Bereitschaft besteht, erübrigt sich jedes Gespräch.“ Erzähler: Vor wenigen Monaten las ich in brasilianischen Zeitungen, dass ein Geschäft über schwedische Jagdbomber abgeschlossen worden sei, inklusive Technologietransfer. Vorher hatte bereits Frankreichs damaliger Präsident Nicolas Sakorzy in Transfer-leistungen eingewilligt. Er unterzeichnete 2008 mit Lula einen Mega-Deal über 8,5 Milliarden Dollar. Herzstück ist der Bau von U-Booten – in Brasilien. Und die Ausbildung von brasilianischem Fachpersonal. Jobim war damals Verteidigungsminister: O-TON 17 Jobim Übersetzer Jobim: „Wir haben mit den Franzosen den Bau von vier konventionellen U-Booten der ‚Scorpène‘-Klasse ausgehandelt – und ein nuklear angetriebenes U-Boot, das in Itaguaí, im Bundesstaat Rio de Janeiro, konstruiert wird. Der Vertrag beinhaltet einen

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integralen Technologietransfer. Er gilt für den nicht-nuklearen Teil des U-Bootes, denn den nuklearen Antrieb beherrschen wir bereits. Brasilien besitzt die Kapazität, einen Atomreaktor für den Antrieb im U-Boot zu produzieren. Wir haben allerdings weder den Wunsch noch den Willen Atomwaffen herzustellen, denn das ist national wie international verboten.“ Erzähler: Brasilien hat riesige Uranvorkommen. 2006 hat das Land begonnen, selbst Uran anzureichern. Theoretisch wäre Brasilien in der Lage, Atomwaffen zu bauen. Es beherrscht den gesamten Kreislauf der atomaren Verwertung. Doch Brasilien hat 1991 den Atomwaffensperrvertrag unterzeichnet. ATMO 22 (Wasserplätschern) Erzähler: Werftanlagen und Hangars verstecken sich in einer idyllischen Bucht südlich von Rio de Janeiro, umrahmt von dichtbewaldeten Hügeln und Bergen, die wie eine Schutz-mauer wirken. Der Marinestützpunkt Itaguai. Nur ein Tunnel führt zu den kürzlich ein-geweihten Werftanlagen. 2018 soll dort das erste mit französischer Hilfe gebaute französische U-Boot vom Stapel laufen. ATMO 23 (Beifall) Erzähler: Lulas Nachfolgerin Dilma Rousseff steuert festen Schritts auf das Rednerpult in einem riesigen Hangar zu. Hunderte von Zuhörern warten auf ihre Rede: Politiker, Techniker, Arbeiter und nicht zuletzt Uniformierte. Rousseff hatte während der Militärdiktatur Widerstand geleistet, wurde geschnappt und schwer gefoltert. O-TON 18 Dilma Rousseff Übersetzerin Dilma Rousseff: “Die Verteidigungsindustrie ist vor allem eine Wissensindustrie. Hier wird Technologie produziert, von hier aus kann in großem Maße Technologie weitergegeben werden.“ Erzähler: Auch in anderen Ländern gebe die Waffenindustrie Know How an die zivile Wirtschaft weiter, versuchte die Präsidentin das Milliardengeschäft schmackhaft zu machen. Aber es ist nicht nur Wissensdurst und Technologietransfer, der die brasilianische Regierung umtreibt. O-TON 19 Dilma Rousseff Übersetzerin Dilma Rousseff: „Mit diesem Werk treten wir in einen ausgewählten Club ein: der ist identisch mit den Mitgliedern des UNO-Sicherheitsrats. Die einzigen die nuklear betriebene U-Boote haben: die Vereinigten Staaten, China, Frankreich, England und Russland.“

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Erzähler: Brasilien, siebtgrößte Wirtschaftsmacht der Welt, strebt nach einem ständigen Sitz im Sicherheitsrat der UNO. Rousseff macht gleichzeitig indirekt einen regionalen Führungsanspruch geltend. O-TON 20 Dilma Rousseff Übersetzer Dilma Rousseff: “Wir sind ein Land von kontinentalen Ausmaßen, wir leben im tiefsten Frieden mit all unseren Nachbarn. Wir sind eine Region, in dem keine Konflikte kriegerisch ausgetragen werden. Es ist eine Friedenszone.“ ATMO 23 (Beifall) O-TON 21 Bayardi Übersetzer Bayardi: „Brasilien hat alles, um die Führung zu übernehmen. Heute ist es das größte Land Südamerikas und wirtschaftlich das stärkste, das außerdem in der globalen Politik den größten Einfluss hat. Brasilien ist mehr als alle anderen südamerikanischen Länder zusammen, aber allein ist es im globalen Kontext nichts.“ Erzähler: José Bayardi steht mit dieser Meinung nicht allein: Er war Verteidigungsminister Uruguays, als 2008 die „Union Südamerikanischer Staaten“, UNASUR, gegründet wurde - auf Betreiben Brasiliens. In UNASUR sind zwölf südamerikanische Staaten organisiert: Bolivien, Kolumbien, Ecuador, Peru, Brasilien, Argentinien, Paraguay, Uruguay, Venezuela, Chile, Guayana und Surinam. Nur Französisch-Guayana fehlt. Die Vereinigten Staaten wurden ausgegrenzt. O-TON 22 Celso Amorim Übersetzer Celso Amorim: „Unsere Politik in der Region, und das ist Südamerika, heißt Kooperation. Eine gelungene Zusammenarbeit ist die beste Abschreckung. Je mehr man mit den Nachbarn kooperiert, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit von Problemen, zumindest von Staat zu Staat.“ Erzähler: Celso Amorim, früher Außenminister Brasiliens, heute Verteidigungsminister: Früher führten strittige Grenzziehungen und Rivalitäten zu bewaffneten Konflikten oder drohten in Kriege umzuschlagen. Kaufte eine Regierung neue Waffensysteme, zog der Nachbar nach. Das Wettrüsten wurde nicht selten von außen geschürt. Die Organisation Amerikanischer Staaten, OAS, bislang das Forum für Schlichtungs-verfahren in Amerika und von den USA dominiert, hat an Bedeutung verloren. Mit dem Linksruck in der Region wuchs auch das Selbstbewusstsein gegenüber dem Nachbarn im Norden. Streitfälle sollen künftig auf dem Verhandlungsweg beigelegt werden. Ohne Einmischung und militärische Interventionen der USA und ungeachtet ideologischer Gräben, die sich zwischen manchen Regierungen auftun. So wurden bereits mehrere interne und zwischenstaatliche Konflikte von der UNASUR-Gemeinschaft entschärft.

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Derzeit versucht z.B. eine UNASUR-Abordnung in Venezuela zwischen Regierung und Opposition zu vermitteln, um weiteres Blutvergießen zu vermeiden. Neben der wirtschaftlichen Integration streben die Mitglieder der Gemeinschaft langfristig eine gemeinsame Außen-, Verteidigungs- und Sicherheitspolitik an. Ali Rodriguez, der amtierende Generalsekretär von UNASUR, wird deshalb nicht müde, das Verbindende herauszustreichen: O-TON 23 Ali Rodriguez Übersetzer Ali Rodriguez “Warum sind wohl verschiedene Integrationsprojekte, die in der Vergangenheit in Angriff genommen wurden, steckengeblieben oder gescheitert? Es scheint so, als hätten sie grundlegende Aspekte außer Acht gelassen, die diese Prozesse irreversibel gemacht hätten. Wir sollten uns deshalb mit folgenden Fragen beschäftigen: Was stellen wir als Region dar? Etwa eine Militärmacht? - Nein. Eine Industriemacht? - Ebenso wenig. Eine Technologiemacht? - Auch nicht Worin besteht also das besondere Gewicht der Region? Was macht die Anziehungskraft auf der Weltbühne aus? Ohne Zweifel kommt jeder, der sich mit dem Thema befasst, zu derselben Schlussfolgerung: das besondere Gewicht der Region besteht in seinen gigantischen Naturressourcen.“ Erzähler: Das sind nicht nur die riesige Erdöl- und Gasvorkommen sondern auch die weltweit größten Mineralienreserven an Lithium, Kupfer, Silber, Zinn, Eisenerz, Nickel, Uran und Bauxit. Dazu kommen viele andere seltene Metalle. O-TON 24 Jobim Übersetzer Jobim: „Südamerika ist einer der größten Lieferanten erneuerbarer und nicht-erneuerbarer Energien. Zweitens sind wir einer der größten Produzenten von tierischen und pflanzlichen Proteinen. Und drittens besitzen wir große Reserven an Trinkwasser, in Amazonien und im Aquifer Guarani.“ Erzähler: Das ist dem Southern Command der US-Streitkräfte längst bewusst. Sicherung der Transportwege und Zugang zu Rohstoffen sind auch für das Pentagon wichtige militärische Aufgaben. Auch in Europa macht man sich Gedanken, angesichts knapper werdender Ressourcen. So sprach sich schon Karl-Theodor von Guttenberg, ehemaliger deutscher Verteidigungsminister, dafür aus, unverklemmt über Wirtschaftsinteressen zu diskutieren: Zitat „Die Sicherung der Handelswege und der Rohstoffquellen sind ohne Zweifel unter militärischen und globalstrategischen Gesichtspunkten zu betrachten.“ Erzähler: All das wird im Süden aufmerksam registriert.

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O-TON 25 Jobim Übersetzer Jobim: „Wir wollen deshalb gemeinsam Abschreckungskapazitäten aufbauen, um der Welt zu zeigen, dass diese Reichtümer von den Südamerikanern verwaltet werden – zum Wohle der Südamerikaner, aber auch der Welt.“ Erzähler: Die Gründung von UNASUR ist auch eine Reaktion auf diese internationalen Begehrlichkeiten. Dazu kommt eine weitere.. Nelson Jobim: O-TON 26 Jobim Übersetzer Jobim: „Das ist ein Organismus, der auf brasilianische Initiative hin diskutiert und geschaffen wurde. Es ist eine Initiative des Präsidenten Lula: es handelt sich um den Südamerikanischen Verteidigungsrat.“ Erzähler: Der Rat wurde 2009 gegründet. Er ist ein Gesprächsforum der Verteidigungsminister, aber noch lange keine militärische Allianz. Langfristig wird allerdings eine gemeinsame Verteidigungsstrategie, als Ergänzung zu einer gemeinsamen Außenpolitik, angestrebt. Ein schwieriges Unterfangen. Einig ist man sich, Südamerika als Friedenszone zu konsolidieren. Alle wissen: Je mehr die Regierungen wettrüsten und Gelder in Waffen stecken, desto weniger bleibt ihnen für Sozialpolitik und andere Aufgaben. Das setzt vertrauensbildende Maßnahmen unter den Mitgliedern voraus. Dazu gehören gemeinsame Manöver oder gemischte Truppen: argentinische und chilenische Soldaten üben in einem gemeinsamen Bataillon, dem „Kreuz des Südens“. Oder der Austausch von Daten, die früher geheim gehalten wurden. Auf der Waffenmesse in Rio erfuhr ich zum Beispiel, dass man sich über Militärausgaben detailliert informiert. ATMO 21 (LAAD-Messe) O-TON 27 Carlos Guilherme Übersetzer Carlos Guilherme: “Auch das erleichtert die Vertrauensbildung in der Region. Es ist eine Maßnahme gegen den Rüstungswettlauf. Statt Misstrauen also eine Kultur des Vertrauens unter den Streitkräften, zwischen den Verteidigungsministerien und zwischen den Ländern.“ Erzähler: Erklärt mir Carlos Guilherme vom UNASUR-Sekretariat. Auch UNASUR hatte einen Stand auf der Waffenmesse in Rio de Janeiro. Er will nicht so recht zu der waffen-starrenden Umgebung passen. Auch nicht die zahlreichen Fotos aus dem Regenwald: Tiere, Pflanzen, Flusswasser Amazoniens zieren die Wände des Stands. Doch dann fällt der Blick auf einen kleinen Tisch. Auf der Glasunterlage stapeln sich Prospekte zum Bau eines militärischen Trainingsflugzeugs. Ein Projekt

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aus Argentinien, dem sich andere Länder angeschlossen haben. Gemeinsam entwickelt haben Argentinien und Brasilien den Jeep „Gaucho“. Er wird derzeit in Uruguay getestet, wie José Bayardi verrät. O-TON 28 Bayardi Übersetzer Bayardi: „Die Entwicklung einer eigenen Waffenindustrie gehört zur Gründungsgeschichte des Südamerikanischen Verteidigungsrats. Das hat Brasilien so gewollt.“ Erzähler: Ziel ist eine regionale, unabhängige Rüstungsindustrie, angeführt vom waffen-technisch führenden Brasilien. Wohl nicht ganz ohne Hintergedanken: Mit dem Export von Waffen lässt sich viel Geld verdienen. Die Erste Welt macht es vor. ATMO 21 (LAAD-Messe) Erzähler: Auf der LAAD-Messe leuchtete weithin eine große Aufschrift: Südafrika. Lange farbenfrohe Gewänder tauchten zwischen Panzerrohren und Raketenwerfern auf. Militärexperten aus dem südlichen Afrika machten sich mit den neuesten Waffensystemen vertraut. Für Brasilien endet der Südatlantik oder Blaue Amazonas keineswegs an den eigenen Grenzen, wie mir schon beim Oberkommando der Marine bedeutet worden war. Das Blaue Amazonien reicht bis in den Süden und ist zudem das Tor zur Antarktis, dessen Schätze unter dem Eispanzer längst begehrliche Blicke auf sich gezogen haben. Dort lagern die größten bisher erkundeten Vorräte an Öl und Gas. Aber auch Uran, Kohle, Kupfer, Chrom, Titan, Platin, Gold. Seine riesigen Süßwasserreserven nicht zu vergessen. Der Antarktisvertrag erlaubt nur wissenschaftliche Forschung in der Eiswüste. Bis zum Jahr 2041 ist keine wirtschaftliche Ausbeutung erlaubt. Militärübungen sind untersagt. Untersagt sind aber keineswegs Kooperationen von Kontinent zu Kontinent. Brasilien hat seine Kontakte seit der Lula-Regierung ausgebaut, auch auf militärischem Gebiet. Viele afrikanische Länder sind Anrainer des Südatlantiks. Brasiliens Verteidigungsminister Celso Amorim. O-TON 29 Celso Amorim Übersetzer Celso Amorim: „Wir waren in Afrika, haben die Kapverden, Benin, Nigeria, Sao Tomé und Principe besucht. Wir bauen gerade eine militärische Diplomatie auf. Den Militärs ist die Bedeutung dieser Diplomatie bewusst. Ein Beispiel: Brasilien hat dabei geholfen, die Marine von Namibia aufzubauen.“ Erzähler: Doch die USA haben diesem Treiben nicht tatenlos zugesehen. Noch kürzlich sprach Außenminister John Kerry herablassend vom Hinterhof Amerikas. Im Strategiepapier 2018 hat das „United States Southern Command“ festgestellt: Der Subkontinent sei strategisch wichtig für die nationale Sicherheit und wirtschaftliche Zukunft der USA.

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Sie haben folglich ihr Stützpunktsystem ausgebaut, das vor allem Brasilien in Schach halten soll. Ein Halbkreis von fast 20 Militärbasen schließt sich um das Land. Die letzte wurde in Chile errichtet. 2009 wollte die kolumbianische Regierung den USA sieben weitere Stützpunkte einräumen. Doch der Oberste Gerichtshof verhinderte dies. Der größte und wichtigste Stützpunkt ist für Washington die Luftwaffenbasis Palanquero in Kolumbien. Die Befürchtungen mancher Südamerikaner bestätigt ein Dokument des Pentagon. Palanquero sei eine „einzigartige Möglichkeit, Operationen in einer „kritischen Region“ durchzuführen, deren „Sicherheit und Stabilität durch Anti-US-Regierungen bedroht sind“ heißt es in dem Papier. Von Palanquero aus kann praktisch das gesamte Amazonasgebiet sowie Peru und Bolivien abgedeckt werden. Ein umfangreiches Werk über US-Politik und Militärbasen in Südamerika hat die argentinische Journalistin Telma Luzzani vor zwei Jahren veröffentlicht: O-TON 30 Luzzani Übersetzerin Luzzani: „Es gibt noch einen anderen Typ von Basen, so genannte ‚Forward Operating Locations“, in etwa übersetzt mit „Vorwärts-Operationsbasen“. Charakteristisch für sie ist, dass sie nicht komplett neu gebaut werden müssen, sondern dass Teile bereits existierender Flughäfen und Häfen benutzt werden.“ Erzähler: Ein neuer Typ von Militärstützpunkt werde im Militärjargon auch „Seerose“ genannt. O-TON 31 Luzzani Übersetzerin Luzzani: „Damit wird angedeutet, dass man wie die Frösche von einer Blume zur anderen hüpfen kann. Denn diese kleinen Basen sind alle miteinander verbunden. Die nordamerikanischen Soldaten können von einer zur anderen hüpfen. Sie sind wiederum mit einer Zentrale verbunden. Das ist das Gehirn und auf einem Stützpunkt in Colorado untergebracht.“ O-TON 32 Zibechi Übersetzer Zibechi: „Das sind keine Militärbasen alten Stils mehr, wie wir sie noch aus Vietnam kennen – mit Installationen die Städten gleichen, mit Hunderttausenden von Soldaten, mit Wohngebäuden und Hospitälern. Heute steht da nur ein Schuppen oder ist eine Landepiste angelegt.“ Erzähler: So der uruguayische Analytiker Raul Zibechi, der ebenfalls US-Stützpunkten auf der Spur ist. ATMO 24 (Stimmen Konferenz) Erzähler: Auf der X. Konferenz der Verteidigungsminister in Punta del Este 2012 forderte der damalige US-Verteidigungsminister Leon Panetta neben einem verstärkten Kampf

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gegen Terrorismus und Drogenhandel eine stärkere Zusammenarbeit aller Streitkräfte Nord- und Südamerikas im Falle von Naturkatastrophen. Unter Führung des Pentagon! Vorarbeit war schon geleistet worden: So wollte sich das Southern Command der USA im Flughafen von Resistencia, im Landesinneren Argentiniens, mit einem „Zentrum für Notfälle“, einnisten. Unter Umgehung des Verteidigungsministeriums verhandelten US-Militärs direkt mit der lokalen Regierung. Doch der Protest der Bevölkerung machte die Pläne zunichte. ATMO 25 (Hubschrauber) Erzähler: Im Landesinneren Uruguays wollte das Southern Command eine Baracke neben einer Luftwaffenbasis errichten. Soldaten sollten dort für den Einsatz bei Natur-katastrophen fit gemacht werden. Die Regierung ahnte wohl, dass daraus in wenigen Stunden eine Operationsbasis entstehen und darüber Truppen eingeflogen werden könnten. Montevideo lehnte ab. Leichteres Spiel hatte das „Southern Command“ dagegen in diesem Jahr in Paraguay mit einem „Zentrum für Katastrophenfälle“. Dort herrscht seit zwei Jahren eine konservative Regierung, nach der umstrittenen Absetzung des linken Präsidenten Fernando Lugo im Juni 2012. Sie gab bereitwillig ihre Zustimmung. Das Pentagon lässt nicht locker: In einem neuen Handbuch für die nordamerika-nischen Streitkräfte legt es nachdrücklich Wert auf eine militärisch-zivile Kooperation mit Südamerika, um „die Herzen und Köpfe“ zu gewinnen. Es handele sich dabei um „bewaffnete Sozialarbeit“. Wie sie in Uruguay bereits ausprobiert wurde. ATMO 26 (Frente-Kundgebung) Erzähler: Das kleine Land mit seinen rund drei Millionen Einwohnern, eingeklemmt zwischen Brasilien und Argentinien, wird von den Vereinigten Staaten umworben. Seit 2005 regiert dort die linke „Frente Amplio“. Das hinderte aber den damaligen US-Präsidenten George W. Bush nicht, noch im selben Jahr Uruguay für anderthalb Tage zu besuchen. Selbst größere Länder können nicht mit so viel Aufmerksamkeit rechnen. Hochrangige Regierungsmitglieder aus Washington machten seither immer wieder Station am Rio de la Plata. Es blieb nicht nur bei Besuchen.... ATMO 27 (Busfahrt) Erzähler: Der Bus durchquert Außenbezirke von Montevideo. Es wird ländlicher. Bevor der Bus in die Arbeitersiedlung Santa Catarina einbiegt, wird der Blick auf einen flachen Klinkerbau auf einer kleinen Anhöhe gelenkt. Dahinter ein Gemeindezentrum. Ein Geschenk der Regierung der Vereinigten Staaten, wie die Plakette am Eingang verrät. Abgesprochen mit dem Verteidigungsministerium Uruguays.

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O-TON 33 Fernanda Übersetzerin Fernanda: „Als wir im Viertel erstmals von den Plänen hörten, war die Antwort: Wir sind dagegen, das wollen wir hier nicht haben. Wir möchten nicht, dass sie uns kontrollieren. Wir wollen hier keinen Stützpunkt der USA. Das wird nicht funktionieren, hieß es anfangs.“ Erzähler: Erzählt Fernanda Zapater, die im öffentlichen Dienst arbeitet. Sie fühlt sich dem linken Lager verbunden, wie viele ihrer Nachbarn in Santa Catalina. ATMO 28 (Krankenhaus) Erzähler: Unbefangen führt Fernanda durch die von den USA spendierte Poliklinik. Direkt neben dem Eingang ist eine Apotheke untergebracht. Im hellen lichtdurchfluteten Warteraum spielen Kinder, warten auf Bänken ältere und jüngere Patienten. Ob auf den Familienarzt, Gynäkologen, Zahnarzt oder Traumatologen. Reger Besuch, auch weil die nächste Poliklinik vier Kilometer entfernt ist. Der anfängliche Protest ist abgeflaut. O-TON 34 Fernanda Übersetzerin Fernanda: „Schon kurze Zeit nachdem die Poliklinik fertig gestellt war, ließ man sich vom Gegenteil überzeugen. Das gilt auch für mich. Ich muss nicht mehr bis zum Cerro-Viertel im Bus fahren oder zu Fuß laufen. Das sind immerhin vier Kilometer.“ ATMO 28 (Krankenhaus) Erzähler: Ein weiteres anderes millionenschweres Geschenk bewaffneter Sozialhilfe wurde allerdings abgelehnt: Es handelte sich um einen Poliklinik-Komplex im Landesinneren. Bedingung: US-Soldaten errichten die Gebäude. Ex-Guerrillero und Präsident José Mujica betont dagegen stets die lateinamerikanische Option, die er bevorzuge. Er stimmt sich deshalb häufig mit Brasilia ab ATMO 29 (Musik, Stimmen) Erzähler: Brasilianische Flottenverbände ankerten mehrere Tage im Hafen von Montevideo – mit wenig militärischen Klängen. Andererseits durften die berüchtigten Navy Seals, Spezialkräfte der US-Kriegsmarine, Scharfschützen der uruguayischen Marine trainieren. Für den Antiterrorkampf. ATMO 30 (Stimme Tabaré)

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Erzähler: Mujicas Vorgänger Tabaré Vazquez, der erste Präsident aus den Reihen des Linksbündnisses Frente Amplio, überraschte vor einigen Monaten nicht wenige Genossen. Vor Schülern deckte er auf: Als es während seiner Amtszeit zu heftigen Unstimmigkeiten mit Argentinien wegen eines Zellulosewerkes am Grenzfluss Uruguay kam, habe er über einen Hilferuf an die USA nachgedacht. Über bewaffneten Beistand gegen den Nachbarn. Starker Tobak für eingefleischte Antiimperialisten. Tabaré Vazquez wird wahrscheinlich im Herbst erneut ins höchste Amt gewählt. ATMO 30 (Stimme Tabaré wieder aufblenden) Erzähler: Solche irritierenden Widersprüche in der regierenden Frente Amplio sind keine Seltenheit. Ob sie gewollt oder unbeabsichtigt passieren, darüber gehen die Meinungen auseinander. Das auch, wenn die Sprache auf die „Pazifik-Allianz“ kommt. Uruguay ist assoziiertes Mitglied. Einige Regierungsmitglieder streben die Vollmitgliedschaft an. Eine Mehrheit sträubt sich aber dagegen. Raul Zibechi: O-TON 35 (Zibechi) Übersetzer Zibechi: „Die USA haben außer den Stützpunkten noch die ‚Pazifik-Allianz‘ gegründet. Mitglieder wie Mexiko, Kolumbien, Peru und Chile haben Freihandelsverträge mit den USA abgeschlossen. Eine Politik mit wirtschaftlichen aber auch militärischen Aspekten.“ Erzähler: Die Mitgliedsstaaten sollen für eine viel größere geostrategische Aufgabe eingespannt werden, wie die neue Militärdoktrin der USA zeigt: Aufgerüstet wird im pazifischen Raum: gegen China. Die Allianz ist Ausdruck einer neuen expansiven, aggressiven US-Politik. Südamerika droht in einen neuen Kalten Krieg hineingezogen zu werden. O-TON 36 Zibechi Übersetzer Zibechi: „Brasilien ist sehr stark am Frieden interessiert. Es hat begriffen, dass der Hauptgegner die USA sind. Und dass die USA ihre Strategie, China mit Konflikten einzukreisen, gerne auf diese Region übertragen würden.“ Erzähler: Eine Zwickmühle für manche südamerikanische Länder: Peking ist inzwischen zum größten oder zweitgrößten Handelspartner dieser Länder aufgestiegen. Und für die Lösung sozialer und wirtschaftlicher Probleme, sind Spannungen und Konflikte eher schwierig. Geschäfte lassen sich leichter in einer Friedenszone abwickeln. Ungemach droht auch im kommenden Herbst. Im Oktober 2014 werden in Brasilien Präsidentschafts- und Kongresswahlen abgehalten. Sollte Dilma Rousseff nicht wiedergewählt werden und ein konservativer Kandidat in den Präsidentenpalast in Brasilia einziehen, wird das nicht spurlos an der UNASUR-Politik vorbeigehen.

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Brasilien ist nun mal Dreh- und Angelpunkt der Gemeinschaft, politisch, wirtschaftlich und militärisch. Dann könnte auch eines der wichtigsten Ziele von UNASUR auf dem Spiel stehen: soziale Gerechtigkeit zu verwirklichen. Mir klingen noch die Worte José Mujicas vor den uniformierten Delegierten in Punta del Este 2012 in den Ohren O-TON 37 Mujica Übersetzer Mujica: „Auf diesem Kontinent gibt es eine riesige soziale Schuld. Der ganz große Krieg gilt deshalb der Ungleichheit und der Armut.“ Erzähler: Uruguays Verteidigungsminister Huidobro stieß damals bei seinem nordamerikanischen Kollegen auf eine versteinerte Miene, als er sich ausgiebig über verschwenderischen Konsum, Wachstumsrausch und wachsende Ungleichheit in der Welt ausließ. Das sei auch auf die kriminellen Machenschaften des internationalen Finanzsystems zurückzuführen, die schlimmer als Terrorismus, Drogen- und Waffenhandel seien. Diese höchst bedrohliche Bande dürfe man auf der Liste der Bedrohungen und Risiken nicht aussparen. O-TON 38 Huidobro Übersezter Huidobro: „Alle Soldaten dieser Welt werden nicht ausreichen, um diese Probleme zu lösen. Denn die Lösung dieser Probleme kann keine militärische sein, niemals.“ Sprecherin: Dschungelkrieger und Atom-U-Boote Alternative Verteidigungspolitik in Südamerika Feature von Karl-Ludolf Hübener Es sprachen: Andrea Hörnke-Trieß, Volker Risch, Michael Speer, Sebastian Schäfer, Philipp Heitmann, Rudolf Guckelsberger Ton und Technik: Burkard Pitzer-Landeck, Claudia Peycke Regie: Günter Maurer Redaktion: Wolfram Wessels Eine Produktion des Südwestrundfunks 2014