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Joachim Emig, Volker Leppin, Uwe Schirmer (Hg.) Vor- und Frühreformation in thüringischen Städten (1470–1525/30) 2013 BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN
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Stadt, Residenz und Frömmigkeit am Vorabend der Reformation in Altenburg

Mar 12, 2023

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Page 1: Stadt, Residenz und Frömmigkeit am Vorabend der Reformation in Altenburg

Joachim Emig, Volker Leppin, Uwe Schirmer (Hg.)

Vor- und Frühreformation in thüringischen Städten (1470–1525/30)

2013

BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN

Page 2: Stadt, Residenz und Frömmigkeit am Vorabend der Reformation in Altenburg

Quellen und Forschungen zu Thüringen im Zeitalter der Reformation

Im Auftrag der »Historischen Kommission für Thüringen« herausgegeben von Werner Greiling und Uwe Schirmer

in Verbindung mit Joachim Bauer, Enno Bünz, Ernst Koch, Armin Kohnle, Josef Pilvousek und Ulman Weiß

Band 1

Page 3: Stadt, Residenz und Frömmigkeit am Vorabend der Reformation in Altenburg

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Umschlagabbildung: „Altenburg in Meißen“ Kupferstich eines unbekannten Meisters, vermutlich nach Matthäus Merian, um 1650 (Ausschnitt)

© 2013 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar WienUrsulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau-verlag.com

Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt.Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig.

Korrektorat: Charlotte BenschWissenschaftliche Redaktion: Falk BurkhardtGesamtherstellung: WBD Wissenschaftlicher Bücherdienst, KölnGedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier

ISBN 978-3-412-20921-6

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung durch: Sparkassen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen, Landesbank Hessen-Thüringen (Helaba), Sparkasse Altenburger Land, Thüringer Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur.

SparkasseAltenburger Land

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Inhalt Vorwort ...................................................................................................................... VII In Memoriam Joachim Emig (1958–2012) ........................................................... IX Volker Leppin Gottes Heil vor Ort. Stadt und Reformation in Thüringen .................................. 1 Hartmut Kühne Das Mirakelbuch der Fronleichnamskapelle von Heiligenleichnam bei Altenburg ............................................................................................................... 19 Stephan Flemmig Der Deutsche Orden in Mitteldeutschland am Vorabend der Reformation (1485–1517) .................................................................................. 41 Dieter Stievermann Heilsverlangen und Freiheitsstreben. Bürgerschaft und Klerus in Erfurt zwischen 1450 und 1530 .......................................................................... 71 Julia Mandry Die Stiftungen für das Erfurter Predigerkloster von den Anfängen des Klosterbaus bis zur Reformation. Statistische Analyse und Beispielbetrachtung ........................................................ 99 Thomas T. Müller Ein ehrbarer Rat, entlaufene Mönche und streitbare Weiber. Zu den reformatorischen Bestrebungen in der Reichsstadt Mühlhausen in Thüringen bis zum Jahr 1525 ............................................................................. 143 Armin Kohnle Stadt und Reformation in Nordhausen. Eine Nachlese ..................................... 155 Matthias Ludwig Das Naumburger Benediktinerkloster St. Georg zwischen Reform und Reformation ....................................................................................................... 167 Johannes Mötsch Die Grafen von Henneberg-Schleusingen und ihre Städte ............................... 183

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VI INHALT

Martin Sladeczek Die frühe Reformation in Arnstadt im Spiegel der Kirchenrechnungen ........................................................................................... 203 Stefan Michel Ein religiöses Zentrum des Vogtlandes im Wandel. Institutionelle, sozial- und frömmigkeitsgeschichtliche Aspekte der Vorreformation in Weida ................................................................................. 233 Ulman Weiß Die albertinische Amtsstadt Weißensee am Ende des Mittelalters .................. 251 Hartmut Kühne Stadt, Residenz und Frömmigkeit am Vorabend der Reformation in Altenburg ................................................................................ 273 Ernst Koch Gotha im Umbruch zur Reformation ................................................................... 307 Joachim Bauer Die Stadt Jena in vor- und frühreformatorischer Zeit ....................................... 335 Enno Bünz Die Reformation in Neustadt an der Orla. Voraussetzungen und Verlauf (1518–1527) ......................................................... 351 Volker Graupner Städtisches und kirchliches Leben in Weimar kurz vor und während der Frühreformation ........................................................................ 377 Franziska Luther Die Klöster und Kirchen Eisenachs (1500–1530). Prologe zur Reformation und wie die Geistlichkeit vermeynen die Zinse aus etzlichenn armenn zu kelterenn ............................................................................... 403 Uwe Schirmer Vor- und Frühreformation in thüringischen Städten. Eine Zusammenfassung .......................................................................................... 437 Abkürzungsverzeichnis ............................................................................................ 461 Abbildungsnachweis ................................................................................................. 462 Ortsregister ................................................................................................................ 463 Personenregister ........................................................................................................ 471

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HARTMUT KÜHNE Stadt, Residenz und Frömmigkeit am Vorabend der Reformation in Altenburg Die meisten der bis heute gültigen Überblicksdarstellungen zur Reformations-geschichte mitteldeutscher Städte wurden in der zweiten Hälfte des 19. oder zu Beginn des 20. Jahrhunderts verfasst. Mit dieser Entstehungszeit scheint es zusammenzuhängen, dass ihnen grundlegende Orientierungen gemeinsam sind, so die Fokussierung auf die Verkündigung der reformatorischen Lehre in Predigt und Buchdruck, die zentrale Frage nach dem Verhalten der Obrigkeiten im Prozess der Reformation, das Interesse an den Beziehungen der lokalen Akteure zu den Wittenberger Autoritäten. Für Altenburg hat die bisher nicht ersetzte Darstellung zur Reformationsgeschichte der Pfarrer und Regional-historiker Julius Löbe geschrieben, der 1863 einen fast schon monografischen Aufsatz über Anfang und Fortgang der Reformation in Altenburg publizierte.1 Löbes Darstellung wurde in den letzten 150 Jahren durch verschiedene Studien ergänzt, so durch Arbeiten zu dem von 1522 bis 1525 in Altenburg als Prediger und später auch als Pfarrer der Bartholomäuskirche wirkenden Wenzeslaus Link2 und seinem Nachfolger Georg Spalatin, der gegenwärtig in das Zentrum des lokalhistorischen Interesses rückt.3 Am Ende der DDR-Zeit wurden fast gleich-zeitig zwei Dissertationen abgeschlossen, die sich mit der Stadt Altenburg zur Zeit der Reformation beschäftigten und dabei im Rahmen der marxistischen Geschichtsschreibung einem sozialgeschichtlichen Ansatz folgten. Hans Joachim 1 Julius LÖBE, Mittheilungen über den Anfang und Fortgang der Reformation in Altenburg

nach gleichzeitigen Acten, Briefen, Nachrichten, in: MittGAGO 6 (1863–1866), S. 1–133 und S. 469–527. A. LÖBE, Die Reformation in Altenburg und im Altenburger Land, Altenburg 1917, bietet lediglich eine populäre Kurzfassung der älteren Forschungen.

2 Grundlegend ist die Arbeit von Jürgen LORZ, Das reformatorische Wirken Dr. Wenzeslaus Lincks in Altenburg und Nürnberg (1523–1547), Nürnberg 1978. Wichtig für die Altenburger Zeit ist vor allem Bernd MOELLER, Wenzel Links Hochzeit. Über Sexualität, Keuschheit, und Ehe in der frühen Reformation, in: Zeitschrift für Theologie und Kirche 97 (2000), S. 317–342; neu abgedruckt in: DERS., Luther-Rezeption. Kirchenhistorische Aufsätze zur Reformationsgeschichte, hg. von Johannes SCHILLING, Göttingen 2001, S. 194–218.

3 Die grundlegende Spalatin-Biografie legte 1956 Ingrid HÖß vor, die inzwischen in einer überarbeiteten Neuauflage erhältlich ist: Ingrid HÖß, Georg Spalatin 1484–1545. Ein Leben in der Zeit des Humanismus und der Reformation, Weimar 21989. Zu SPALATINS Tätigkeit in Altenburg vgl. jetzt auch die überarbeitete Leipziger Magisterarbeit von Björn SCHMALZ, Georg Spalatin und sein Wirken in Altenburg 1525–1545, Markkleeberg 2009. Seit dem Jahr 2009 versucht die Stadt Altenburg, ihre Aktivitäten zum bevorstehenden Reformationsjubiläum unter dem Motto „Spalatin – Steuermann der Reformation“ zu bündeln.

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Kessler bearbeitete Altenburgs städtische Entwicklung in der Zeit von 1485 bis 1547 im Rahmen der damals aktuellen stadthistorischen Forschungen.4 Rosemarie Jäpels Promotionsschrift über Charakter, Verlauf und Ergebnisse der Reformation in Altenburg nahm schon im Titel Abstand vom Paradigma der „Frühbürgerlichen Reformation“.5 Die Arbeit bietet instruktives Material u.a. zum Besitzstand der geistlichen Institutionen Altenburgs, das vor allem aus den gut erhaltenen, aber kaum erschlossenen Archivalia des Altenburger Stadtarchivs geschöpft wurde. Dass diese Arbeit ungedruckt blieb, ist besonders wegen der Erschließung um-fangreicher Quellen zu bedauern.

Das Bild der Reformation in der Stadt Altenburger ist deshalb bisher be-stimmt von den Predigern und Theologen Wenzeslaus Link, Georg Spalatin und Martin Luther, den Fragen nach dem Verhältnis der Obrigkeit (Rat und Landesherr) zu den geistlichen Institutionen sowie von der Situation und Inter-essenlage sozialer Gruppen und Schichten der Stadt. Demgegenüber ist das Interesse an weiteren Akteuren bzw. auch Gegnern der städtischen Reformati-on und ihren sozialen Netzwerken äußerst gering. Seit der Arbeit von Julius Löbe gibt es z.B. keine weiteren Untersuchungen über die Tätigkeit von Gabriel Zwilling, der im April 1522 als erster evangelischer Prediger nach Altenburg kam.6 Ungeklärt ist die Rolle, die der aus Wittenberg kommende Apotheker Sebaldus Nebe spielte, in dessen Haus am Markt Gabriel Zwilling Aufnahme fand und gegen den in der altgläubigen Predigt hart polemisiert wurde.7 Kaum nachgegangen wurde bisher den Laien, die aus der städtischen Gesellschaft heraus am Prozess der Reformation Anteil nahmen, wie der Altenburger Stadt-schreiber Leonhard Hase, der an der ersten evangelischen Abendmahlsfeier im

4 Hans Joachim KESSLER, Altenburg – eine kurfürstlich-sächsische Mittelstadt in der Ent-

wicklung zur territorialfürstlichen Residenzstadt zwischen der Leipziger Teilung 1485 und der Wittenberger Kapitulation 1547, masch. Diss. Karl-Marx-Universität Leipzig, Sektion Geschichte, 1991. Die Arbeit blieb ungedruckt, allerdings wurden Teile der Promotionsschrift bereits acht Jahre zuvor publiziert: Hans Joachim KESSLER, Altenburg während der Zeit der frühbürgerlichen Revolution 1515–1525 (Altenburger Geschichts-blätter; 2), Altenburg 1983. Die Benutzung dieser quellengesättigten Arbeit erschwert die meist ungenauen Nachweise der Archivalia, da in der Regel nur die Aktensignatur, nicht aber die Blattzählung angegeben wird.

5 Rosemarie JÄPEL, Charakter, Verlauf und Ergebnisse der Reformation in Altenburg, masch. Diss. Pädagogische Hochschule Leipzig 1989.

6 LÖBE, Mittheilungen über den Anfang und Fortgang der Reformation, S. 11–18. 7 Zur Person des 1517 durch Vermittlung des Kurfürsten nach Altenburg gekommenen

Apothekers, der ab 1520 bis zu seinem Tod 1533/1534 dem sitzenden Rat angehörte vgl. Friedrich WAGNER, Die Einrichtungen und Maßnahmen für die Gesundheit der Ein-wohner der Stadt Altenburg während des Mittelalters, in: MittGAGO 5 (1859–1862), S. 14–44, hier S. 24–27, sowie D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe [Weimarer Ausgabe], Briefwechsel 2: 27. Januar 1520 bis 1522, bearbeitet von Gustav BEBERMEYER/ Otto CLEMEN, Weimar 1931, Nr. 487, S. 523 f., Anm. 6. Zu seinem Engagement in der frühen Reformation vgl. auch LÖBE, Mittheilungen über den Anfang und Fortgang der Reformation, S. 13, Anm. 31 und S. 21, Anm. 66.

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Februar 1523 teilnahm,8 oder die Familie Schweizer, aus der jene Frau stammte, die Wenzeslaus Link im April 1523 heiratete.9 In diesen Zusammenhang gehört auch die Rolle, die der vermögende Altenburger Maler und Bildschnitzer Franz Geringswalde in der städtischen Reformation spielte. Die Spuren seines Lebens und seiner vielfältigen Tätigkeiten sind zwar gut dokumentiert, aber bisher nicht über die Kunstgeschichte hinaus auf Interesse gestoßen.10 Auch die Petition, mit der 77 Altenburger Bürger namentlich im Frühjahr 1522 die Einsetzung eines evangelischen Predigers forderten,11 lädt geradezu dazu ein, den perso-nengeschichtlichen Verflechtungen dieser Gruppe nachzugehen, was aber bis-her nur im Hinblick auf deren Einkommensverhältnisse erfolgt ist.12 Einige interessante Beobachtungen zu zweien der Supplikanten, Georg Nadeler und Eucharius Schneider, teilt Kessler mit.13

Obwohl zwei grundlegende Studien über den frühen Altenburger Buch-druck durch Gabriel Kantz von 1524 bis 1527 vorliegen, spielte auch dieses Thema im Rahmen der Altenburger Reformationsgeschichte bisher keine Rolle.14 Ebenso ist es bezeichnend, dass die berühmteste mit Altenburg verbundene Episode der Reformationsgeschichte, die Übergabe der „Goldenen Rose“ durch Karl von Miltitz an die Räte des Kurfürsten am 25. September 1519, bisher keine Darstellung über den Ablauf des Vorgangs vor Ort fand.15 Diese Hinweise

8 Vgl. LORZ, Das reformatorische Wirken Dr. Wenzeslaus Lincks, S. 7 mit Anm. 2. 9 Vgl. MOELLER, Wenzel Links Hochzeit, S. 197. 10 Über diesen hat Eugen Mentzel eine vorzügliche Dokumentation, u.a. auf der Grundlage

der Archivalia des Altenburger Stadtarchivs vorgelegt: Eugen MENTZEL, Franz Jheringeß-walde. Maler, Ratsfreund und Gotteskastenherr. Quellenstellen zu einem Lebensbild eines Altenburger Bürgers aus Luthers Zeit, in: MittGAGO 14 (1930–1936), S. 432–470.

11 Gedruckt bei LÖBE, Mittheilungen über den Anfang und Fortgang der Reformation, S. 41 f. 12 KESSLER, Altenburg, S. 88. Danach gehörten 9 % der Petenten zur Gruppe der vermögens-

losen Stadtbewohnet, 11 % waren „Kleinbürger“, 38 % zählten zur „mittleren Bürger-schicht“ und 23 % zu den „vermögendsten Bürgern“. JÄPEL, Charakter, Verlauf und Ergebnisse der Reformation in Altenburg, S. 49, bietet ebenfalls eine nach zu ver-steuerndem Vermögen differenzierende Analyse der Supplikanten.

13 KESSLER, Altenburg, S. 98 f. 14 Helmut CLAUS, Sächsische Kleinpressen im Dienste der Reformation. Das Schaffen von

Gabriel Kantz in Altenburg (1524 bis 1527?), in: Martin Luther. Leben, Werk, Wirkung, hg. von Günter VOGLER, Berlin 1983, S. 347–365. – DERS., Zum Buchdruck in Zwickau und Altenburg in der Reformationszeit, in: Flugschriften der Reformationszeit. Colloquium im Erfurter Augustinerkloster 1999, hg. von Ulman WEIß, Tübingen 2001, S. 17–55.

15 Die von A. LÖBE, S. 9, gebotene Schilderung, wonach sich zu diesem Anlass „der ganze katholische Pomp“ entfaltete und die „Rose […] unter dem Zulauf der Menge von Kirche zu Kirche getragen wurde“, ermangelt des Nachweises. Zur Quellenlage vgl. Wolfgang PETKE, Das Breve Leos X. an Georg Spalatin von 1518 über die Verleihung der Goldenen Rose an Friedrich den Weisen, in: Archiv für Kulturgeschichte 80 (1998), S. 67–104, hier S. 90. Einem Hinweis von Friedrich WAGNER, Die dem Kollegiatstift St. Georg auf dem Schlosse zu Altenburg untergeordneten Kirchen und Kapellen, in: MittGAGO 3 (1850–1853), S. 294–346, hier S. 301, Anm. 15, über eine Nachricht zur Prozession mit

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sollen andeuten, dass eine neue Bearbeitung der Altenburger Reformationsge-schichte durch einen Wechsel der traditionellen Perspektiven neue Einsichten erbringen könnte.

Trotz dieser ortsgeschichtlichen Desiderate darf die Reformation in Altenburg als ereignisgeschichtlich relativ gut erforschter Vorgang gelten. Ganz anders stellt sich die vorreformatorische Situation von Kirche und Frömmigkeit in Altenburg dar. Bestimmend ist bis heute eine 1853 von Friedrich Wagner publi-zierte Skizze zur Vorreformation in der Region.16 Das Fazit des Aufsatzes besteht in der Feststellung, dass die spätmittelalterlichen Verhältnisse „einer Reformation der Kirche auch bei uns vorgearbeitet“ hatten, und „es nur eines geeigneten Funkens bedurfte, um den angehäuften Zündstoff in Bewegung zu setzen“.17 Wagner listete folgende Konfliktfelder zwischen Stadt und Kirchen auf: Entziehung von geistlichen Besitzungen aus der städtischen Steuerpflicht (Schoss), Umgehung des städtischen Bierschankmonopols in der Stadt und der Bannmeile durch die Klöster, Minderung des Ansehens der Geistlichen und der Klöster durch wechselseitige Streitigkeiten und sexuelle Verfehlungen einzelner Geistlicher sowie die Reformunwilligkeit der Klöster, was besonders am Wider-stand des Altenburger Franziskanerkonvents gegen die vom Landesherren un-terstützte Klosterreform festgemacht wird. Das von Wagner entworfene Szenario bestimmt bis heute das populäre Altenburger Geschichtsbild.18 Auch in einer quellenorientierten Arbeit wie der Dissertation Hans Joachim Kesslers heißt es: „In Altenburg sind alle aufgeführten Mißstände tagtäglich für die Stadtbe-völkerung unmittelbar zu spüren“19 gewesen, nämlich „ständige finanzielle Forderungen [...] durch den Klerus“ und die „immer mehr umsichgreifende Verweltlichung in den geistlichen Orden“,20 so dass am Vorabend der Refor-mation eine „mehr oder weniger stark ausgeprägte feindliche Haltung gegenü-ber dem Klerus [...] permanent vorhanden“ war.21 Belegt wird dies mit einem Verweis auf den Aufsatz Wagners!

Man kann die von dem Quellenkenner Wagner beigebrachten Einzelzeugnisse zwar nicht bestreiten; ob sie aber das von Wagner entworfene Gesamtbild

der Goldenen Rose, die Johann Tauchwitz (1558–1633) in seinen Collectaneen B, Blatt 296 aufbewahrt haben soll, konnte der Vf. nicht mehr nachgehen.

16 Friedrich WAGNER, Beiträge zur Vorgeschichte der Reformation im Herzogthum Sachsen-Altenburg, in: MittGAGO 3 (1850–1853), S. 445–460.

17 Ebd., S. 458. 18 So ist beispielsweise auf der Webseite der Altenburger Kirchgemeinde zu lesen: „Zur

Zeit der Reformation zahlten die Klöster in und um Altenburg keine Abgaben. Sie [...] versuchten [...] ihre eigene [Gerichtsbarkeit] auf Kosten der Stadt auszudehnen, was ih-nen zusätzliche Einnahmen einbrachte. Sie vernachlässigten ihre Pflichten. Viele Insassen führten ein verschwenderisches und unmoralisches Leben.“ http://www.evangelische-kirchgemeinde-altenburg.de/cms/front_content.php?idcat=89 - letzter Zugriff 22.8.2011.

19 KESSLER, Altenburg, S. 87. 20 Ebd., S. 86. 21 Ebd., S. 87.

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vertretbar erscheinen lassen, ist fraglich. Schon 1933 hatte der Ordenshistoriker Ferdinand Doelle darauf hingewiesen, dass die Aussagen zur Reform des Alten-burger Franziskanerklosters in den 1490er Jahren nichts mit gravierenden Miss-ständen zu tun hatten, sondern vor dem Hintergrund der Auseinandersetzungen zwischen dem observanten und dem konventualen Ordenszweig der Minoriten zu verstehen sind.22 Ebenso hat Doelle festgestellt, dass es vor dem Jahr 1521 in Altenburg keine Indizien für grundsätzliche Spannungen zwischen den Franzis-kanern und der Altenburger Bürgerschaft gibt, vielmehr umgekehrt von der prinzipiellen Solidarität beider Gruppen auszugehen ist.23 Auch Markus Anhalt wies in seiner 2004 gedruckten Arbeit über das Georgenstift auf dem Altenburger Schloss darauf hin, dass es keine Hinweise auf grundlegende Konflikte zwischen Stadt und Stift gab.24

Das Bild einer am Vorabend der Reformation reformbedürftigen, aber reform-unwilligen Kirche dürfte im Falle Altenburgs wie auch sonst aus den Vorurteilen der protestantischen Historiografie des 19. Jahrhunderts entstanden sein. Um die historische Wirklichkeit hinter diesem Stereotyp zu rekonstruieren, muss auf die Altenburger Quellen selbst zurückgegriffen werden. Die in vieler Hinsicht vorzügliche Quellenlage bietet im Hinblick auf Altenburg zwar eine günstige Basis für eine Untersuchung der kirchlichen Verhältnisse und der städtischen Frömmigkeit.25 Durch die geringe Erschließung erforderte eine solche Arbeit aber weit mehr Zeit, als der Vf. sie sich als Altenburger Gast für diesen Beitrag nehmen konnte. Daher musste er sich damit begnügen, zwei exemplarische Fragestellungen aufzugreifen, nämlich die Entwicklung der kirchlichen Stiftungen und die regelmäßigen Zahlungen für fromme Zwecke in den städtischen Kämmereirechnungen. Zuvor soll jedoch ein knapper Überblick über die kirch-lichen Verhältnisse in der Stadt Altenburg um 1500 gegeben werden, um die Untersuchung in den lokalen Rahmen einordnen zu können. 22 Ferdinand DOELLE, Reformationsgeschichtliches aus Kursachsen. Vertreibung der

Franziskaner aus Altenburg und Zwickau (Franziskanische Studien; Beiheft 15), Münster 1933, S. 25 f.

23 Ebd., S. 24. 24 Markus ANHALT, Das Kollegiatstift St. Georgen in Altenburg auf dem Schloß 1413–

1537. Ein Beitrag zur Stiftsforschung, Leipzig 2004, S. 31. 25 Vgl. den kurzen Überblick zur Altenburger Quellensituation bei Bert MEISTER, Sie sollen

bruderschafft halden. Religiöses Engagement in den genossenschaftlichen Vereinigungen (Bruderschaften, Zünften, Gesellenvereinigungen) der Stadt Altenburg im Spätmittelalter, Beucha 2001, S. 34–36. Es ist zu bedauern, dass der zweite Band des von Hans PATZE bearbeiteten Altenburger Urkundenbuches, der den Zeitraum von 1351 bis 1507 umfasst, bisher nicht fertiggestellt wurde. Patze hatte sein handschriftliches Exemplar, das schon weit vorangeschritten war, bei seiner Flucht aus der DDR 1956 im Staatsarchiv Altenburg zurücklassen müssen. Es gliedert sich in zwei Teile, vom dem der erste die Jahre 1351 bis 1437 und der zweite die Jahre 1438 bis 1507 umfasst. Beide Teile sind separat paginiert. Der Vf. dankt dem Staatsarchiv Altenburg und insbesondere dessen Leiter Joachim Emig für die Möglichkeit, mit diesem Manuskript arbeiten zu dürfen. Das Manuskript wird künftig zitiert als PATZE, UB Altenburg II, 1 bzw. II, 2.

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1. Die kirchlichen Verhältnisse der Stadt Altenburg am Ende des Mittelalters Die Stadt Altenburg, die um das Jahr 1500 etwa 3.000 Einwohner zählte,26 besaß zwei Pfarrkirchen: Der Sprengel der Nikolaikirche umfasste den südlichen Teil der Stadt mit Kornmarkt und Rossmarkt, der nördliche Teil mit dem Haupt-markt gehörte zum Sprengel der Bartholomäuskirche.27 Vor der Stadt unterhalb des Schlosses befand sich die 1545 abgebrochene Martinskirche als Pfarrkirche der Immunität von Schloss und Stift.28 In der Dechanei bei der Nikolaikirche hatte der Dekan des Archidiakonats des Pleißenlandes seinen Sitz.29

Die beiden städtischen Pfarreien waren seit 1214 dem Augustinerchorherren-stift, dem sogenannten Bergekloster, inkorporiert, so dass die Pfarreien rechtlich unselbständig waren und von Mitgliedern des Konventes betreut wurden. Dieser Konvent umfasste im frühen 16. Jahrhundert 25 Chorherren, dazu kamen 26 Personen an Gesinde.30 Neben dem Augustinerchorherrenstift besaß das 1413 von Herzog Wilhelm dem Reichen gegründete Residenzstift St. Georg auf dem Schloss das größte Gewicht.31 Dem Stift gehörten im frühen 16. Jahrhundert insgesamt 41 Kleriker und zwölf Kirchendiener an.

Innerhalb des Mauerrings der Stadt befanden sich drei Ordensnieder-lassungen: Die Kommende des Deutschen Ordens,32 die von vier Brüdern und 15 Personen an Gesinde bewohnt war, das Franziskanerkloster,33 das im frühen

26 JÄPEL, Charakter, Verlauf und Ergebnisse der Reformation in Altenburg, S. 9, errechnet

auf der Grundlage des Türkensteuerregisters von 1531 2405 Personen, die innerhalb des Mauerrings wohnten und 672 Personen in den Vorstädten. KESSLER, Altenburg, S. 19, rechnet um 1500 mit einer Gesamteinwohnerzahl von 1746 Personen ohne die Vorstädte.

27 Den immer noch besten Überblick über die kirchlichen Verhältnisse um 1500 bietet: Ernst Edler VON BRAUN, Die Stadt Altenburg in den Jahren 1350–1525, Altenburg 1872. Zur Bartholomäuskirche vgl. hier S. 188–198, zur Nikolaikirche S. 199–202. Zur Geschichte der Bartholomäuskirche liegt eine Urkundensammlung vor: Eduard HASE, Zur Geschichte der Bartholomäikirche zu Altenburg, in: MittGAGO 5 (1859–1862), S. 224–330; DERS., Weitere Urkunden zur Geschichte der St. Bartholomäikirche zu Altenburg, ebd., S. 478–492.

28 Ebd., S. 205; WAGNER, Kirchen und Kapellen, S. 295–303. 29 Vgl. Heinz WIESSNER, Das Bistum Naumburg: Die Diözese (Germania sacra, NF; 35), 2

Bde., Berlin/New York 1997/98, S. 185, 237. 30 Diese Zahl wie auch die zum Personenbestand der übrigen geistlichen Institutionen

werden nach den Recherchen JÄPELS, Charakter, Verlauf und Ergebnisse der Reformation in Altenburg S. 117, Anm. 10, referiert.

31 Vgl. zum Georgenstift ANHALT, Das Kollegiatstift St. Georgen. 32 Vgl. zum Deutschen Haus in Altenburg Hanns-Conon VON DER GABELENTZ, Die

Aufhebung des teutschen Ordens-Hauses zu Altenburg und deren Folgen 1539 ff., in: MittGAGO 2 (1845–1848), S. 145–201.

33 Vgl. Friedrich WAGNER, Einige Nachrichten über das Franziskanerkloster zu Altenburg, insonderheit die letzten Jahre des Bestehens desselben, in: MittGAGO 2 (1845–1848), S. 394–401.

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16. Jahrhundert acht Brüder beherbergte, und das der hl. Maria Magdalene geweihten Reuerinnenkloster,34 in welchem etwa 14 Nonnen gemeinsam mit dem neun Personen umfassenden Gesinde lebten. Dazu kam je eine Terminei der Grimmaer Augustiner am Nikolaikirchhof und der Leipziger Dominikaner an der Bartholomäuskirche, die in der Regel mit je einem Ordensbruder besetzt waren.35 Neben den Pfarr- und Kloster- bzw. Stiftskirchen bestanden in oder bei der Stadt am Beginn des 16. Jahrhunderts noch sechs Kapellen, darunter die seit 1437 erbaute und 1450 geweihte Ratskapelle36 sowie die beiden Kapellen des Jakobusspitals vor dem Teichtor37 und des Heilig-Geist-Spitals vor dem Johannestor,38 die von den Franziskanern betreut wurden. Rechnet man die wenigen an Altären der beiden Pfarrkirchen bepfründeten Weltpriester hinzu, so lebten um 1500 knapp einhundert Kleriker und Klosterleute in Altenburg, die etwa 3 % der Einwohnerschaft ausmachten.

Zu den geistlichen Institutionen zählen auch sieben Bruderschaften: Die 1494 gegründete Jakobusbruderschaft, die das Pilgerspital betrieb, der Kaland und die Annenbruderschaft an der Nikolaikirche sowie vier an der Bartholomäus-kirche beheimatete Vereinigungen: Die Fronleichnamsbruderschaft, die Rosenk-ranzbruderschaft, die Sebastians- oder Schützenbruderschaft sowie die zweite Annenbruderschaft der Stadt. Mit diesen sieben Bruderschaften hat sich Bert Meister in seiner 2001 erschienenen Dissertation beschäftigt, so dass die Bruder-schaften das gegenwärtig am besten erforschte Phänomen der spätmittelalter-lichen Kirchen- und Frömmigkeitsgeschichte Altenburgs darstellen.39

Wie haben sich in dem hier knapp skizzierten Rahmen die Verhältnisse zwischen Bürgerschaft und Kirche am Vorabend der Reformation entwickelt? In welchen Formen drückte sich die städtische Frömmigkeit aus? Da angesichts der zeitlichen Möglichkeiten des Vf. eine Sichtung des gesamten im Altenburger Stadtarchiv und im Thüringischen Staatsarchiv Altenburg liegenden einschlägigen Quellenmaterials ausgeschlossen war, wurde die Fragestellung auf die frommen Stiftungen in Altenburg in den letzten einhundert Jahren vor der Reformation

34 Vgl. Hanns-Conon VON DER GABELENTZ, Einige Nachrichten über das Maria-Magdalenen-

Kloster in Altenburg, in: MittGAGO 6 (1863–1866), S. 217–223. – Philipp MEHLHOSE, Einige neue Nachrichten über das Marien-Magdalenenkloster zu Altenburg, in: MittGAGO 14 (1930–1936), S. 153–168.

35 Am 14. August 1436 verlieh der Altenburger Rat dem Augustinerkonvent von Grimma ein Haus im Nikolaikirchhof als Terminei: UB Altenburg II, 1, S. 664 f. Dem Leipziger Dominikanerkloster war ihr Altenburger Terminierhaus bereits 1320 vom Rat eingeräumt worden, vgl. Eduard HASE, Eine Terminei des Dominikanerordens in Altenburg, in: MittGAGO 5 (1859–1862), S. 493–497.

36 Vgl. Friedrich WAGNER, Die Kapelle des Rathauses der Stadt Altenburg, von ihrer Ent-stehung im Jahre 1437 bis zu deren Aufhebung im Jahre 1528, in: MittGAGO 4 (1858), S. 185–207.

37 Vgl. VON BRAUN, Die Stadt Altenburg, S. 207. 38 Vgl. ebd., S. 208 f. 39 MEISTER, Religiöses Engagement.

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einerseits und andererseits auf die regelmäßigen Ausgaben des Rates für religiöse Zwecke aufgrund der mit dem Jahr 1437 einsetzenden Überlieferung der Kämmereirechnungen eingegrenzt. 2. Ausgaben für religiöse Zwecke in den Kämmereirechnungen des Altenburger Rates im 15. und frühen 16. Jahrhundert In der älteren lokalhistorischen Literatur Altenburgs sind die Kämmerei-rechnungen immer wieder zur Rekonstruktion der städtischen Verhältnisse herangezogen worden. Dennoch ist auf regelmäßige Ausgaben für kirchliche Zwecke m.W. bisher nur Friedrich Wagner eingegangen, der für seine Ge-schichte der Altenburger Ratskapelle die Rechnungen durchsah und dabei fest-stellte, dass sich erst ab dem Jahr 1465 eine regelmäßige Ausgabe von fünf Schock Groschen jährlich für den in der Kapelle Dienst tuenden Altaristen findet.40 Inwiefern es sich bei dieser Summe um eine Stiftung handelt, über deren Herkunft sich bisher nichts ausmachen ließ, ist eine offene Frage. Das Einkommen des Altaristen ist jedenfalls 1485 durch die Hinzustiftung eines weiteren jährlichen Zinses von einem Schock Groschen für eine wöchentliche Messe durch eine Altenburger Bürgerin aufgestockt worden.41 Wagner listet daneben zusätzliche Aufwendungen des Rates für Bau, Ausstattung und Weihe der Kapelle auf.

Bei der Suche nach weiteren regelmäßigen Ausgaben für kirchliche Zwecke musste sich der Vf. auf Stichproben beschränken.42 Von den im Wesentlichen über die Zeit gleichbleibenden Ausgabeposten der Rechnungen wurden die an zweiter Stelle stehenden „Jahrrenten und Pfaffenzinse“ nicht berücksichtig, da es sich hierbei um Kapitalerträge handelt, die der Rat nur verwaltete, aber nicht gestiftet bzw. verantwortet hatte. Nach einschlägigen Ausgaben wurden daher vor allem unter der Rubrik „Gemeine Ausgabe“ gesucht. Die Ergebnisse dieser Recherche waren überraschend mager. Zwar finden sich allenthalben einzelne Rechnungsposten, die Zahlungen an Pfarrer und Kirchner belegen, häufig bei

40 WAGNER, Die Kapelle des Rathauses, S. 194. 41 Vgl. ebd., S. 197. 42 Da im Rahmen des von Vf. bearbeiteten Projektes „Alltag und Frömmigkeit am Vor-

abend der Reformation“ der Gerda-Henkel-Stiftung nur sehr begrenzte Zeit für die Arbeit im Altenburger Stadtarchiv zur Verfügung stand, beschränkte er sich auf die Durchsicht von zwölf ausgewählten Rechnungsbüchern aus dem Zeitraum von 1436 bis 1521. Einen Einblick in das städtische Rechnungswesen Altenburgs gibt die auszugsweise Edition der ältesten Kämmereirechnung von Eduard HASE, Ueber die älteste Kämmerei-rechnung der Stadt Altenburg, vom Jahre 1437–1438, in: MittGAGO 3 (1850–1853), S. 461–498.

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besonderen Anlässen wie Leichenbegängnissen43 oder zum Wetterläuten.44 Als besondere Dienstleistung wurde auch das Schlagen der Uhrglocke und die Betreuung der Uhr durch den Küster der Nikolaikirche regelmäßig vom Rat entlohnt.45 Auch finden sich zahlreiche Nachweise über Getränkespenden an die Geistlichkeit oder einzelne geistliche Institutionen.46 Bei der Durchsicht der Rechnungen war aber nur eine Zahlung des Rates für einen religiösen Zweck immer wieder anzutreffen, nämlich die für die Feier der „Vitusmesse“. Über den Hintergrund dieser Feier berichtet ein dem entsprechenden Rechnungsposten im Jahre 1492/93 hinzugefügter Kommentar, sie werde gefeiert „zum gedechtniß vnd begehung aller der ym streitte von vssigk erschlagen vnd do tot blibin sindt“.47

Es handelte sich also um die Gedächtnisfeier für das Altenburger Aufgebot, das an der Schlacht von Aussig am 16. Juni 1426 teilnahm, in welcher die Hussiten dem sächsisch-thüringischen Heer eine vernichtende Niederlage beibrachten. Allein aus Altenburg wurden dabei einhundert Bürger getötet, zehn Heerwagen gingen der Stadt verloren.48 Der Vitustag (15. Juni) erinnerte als Vortag der Schlacht jährlich an die Toten.49 Die Ausgaben für die Feier differieren über die Jahre. Zunächst wurde die Vitusmese nur vom Pfarrer der Bartholomäuskirche zelebriert, wofür er zwei Groschen erhielt.50 Ab dem Jahr 1446 wurde sowohl der Pfarrer der Bartholomäuskirche als auch der von Nikolai für die Vitusmesse 43 Zum Beispiel im Jahr 1440 im Zusammenhang des Todes des Landgrafen Friedrich IV., am

7. Mai 1440: „Item 10 Groschen lutholden deme kirchnere zcu ste. Bartholomeus daß her unßen gnedigin herrn deme lantgrave gelut hat deme got sellige […] Item 4 Groschen deme kirchnere zcu ste niclas das her auch deme gnatin unßem gnedigin herrn gelut hat. Item 11 Groschen deme pharrere zcu ste. Bartholomeus daß her eyne vigilie und selemesse unßem gnedigin herrn gesungin hat. Item 3 Groschen vor eyn pfunt wachs […] bie der bar und zcu der selenmessin“ Stadtarchiv Altenburg, Ratsarchiv XI. A. 2a Nr. 2 (1439/40), Bl. 55r.

44 Zum Beispiel erhält der Kirchner der Nikolaikirche 1440 drei Groschen, weil er bei „deme wetere gelut hat“, ebd,. Bl. 56v.

45 Zum Beispiel ebd., Bl. 55v. 46 Zum Beispiel reichte der Rat der „Priesterschafft“ am Fronleichnamstag des Jahres 1440

auf dem Markt Landbier für neun Groschen und sechs Heller; ebd., Bl. 59r. Nachweise über ähnliche Spenden an das Franziskanerkloster verzeichnet DOELLE, Reformations-geschichtliches aus Kursachsen, S. 24.

47 Stadtarchiv Altenburg, Ratsarchiv XI. A. 2a, Nr. 25 (1492/93), Bl. 54v. 48 Julius LÖBE/Max LÖBE, Annalen der Stadt Altenburg bis zum Jahre 1499, in: MittGAGO

10 (1888–1895), S. 1–94, hier S. 67 f. 49 Gefeiert wurde die Messe laut Rechnung von 1492/93 am Sonntag nach Viti, vgl. Anm. 47. 50 „Item 1 Groschen deme pharrer vor st. vitus messe zu singenn. Item 1 Groschen deme

kirchnere zcu der genantin messin zcu lutenn. Noch 1 Groschen 6 Heller dem schulmeister zum singen bei der messe, und 3 Groschen und 6 heller für wachs bei der messe den altarleuten.“ Stadtarchiv Altenburg, Ratsarchiv XI. A. 2a, Nr. 2 (1439/40), Bl. 55v. Ähnliche Einträge ebd., Nr. 4 (1440/1441), Bl. 49v, Nr. 7 (1443–1444), Bl. 56v. Im Jahre 1443 erhält der Pfarrer zwei Groschen, der Kirchner einen Groschen, vier Groschen und sechs Heller kostet das Wachs, sieben Groschen erhält die Fronleichnamsbruderschaft für die Feier, ebd., Nr. 6 (1442/1443), Bl. 8r.

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entlohnt.51 Aufschlussreich ist auch, dass die Fronleichnamsbruderschaft 1438 für das Singen der Vitusmesse zwei Groschen und weitere drei Groschen für Wachs zur Messe erhielt.52 Es handelt sich bei dieser Notiz um die erste Er-wähnung dieser Bruderschaft überhaupt, worauf noch zurückzukommen ist.53

Freilich waren die wenigen Groschen für die Feier der Vitusmesse ein recht bescheidener Haushaltsposten im Gesamtetat des Altenburger Rates. Aus dieser Ausgabe spricht jedenfalls kein außerordentlich großes Engagement für die Ausrichtung kirchlicher Feiern. Im Hinblick auf die kirchliche Festkultur Altenburgs geben aber einige Rechnungsposten indirekt weitere Hinweis, da in den Rechnungen gelegentlich Ausgaben für Sicherungsmaßnahmen aus Anlass eines wichtigen kirchlichen Festes auftauchen. In der Kämmereirechnung von 1466 lautet der entsprechende Eintrag „Item 3 Groschen ascensionis domini den Zusehern in der stad als das volgk zum heilgtum vf der burg was“.54 Ein Jahr später heißt es: „Item 4 Groschen, 5 Heller ascensionis domini den die in der stat bliben sint [...] die weile man das hiligtum weißete“.55 Gemeint ist damit die Reliquien- bzw. Heiltumsweisung auf dem Altenburger Schloss. Bei solchen Festen wurden die Reliquien einer Kirche in einem besonders feierlichen Ritus von einer Bühne aus dem versammelten Volk gezeigt und verkündet.

Heiltumsweisungen waren aufwändige liturgische Inszenierungen, die sich seit dem 14. Jahrhundert in deutschen Landen – zunächst an bedeutenden Bischofs-, Stifts- und Klosterkirchen – einbürgerten.56 Sie waren in der Regel mit außerordentlichen Ablässen verbunden, so dass die Hauptmotivation zum Besuch dieser Feste in der Gewinnung des Ablasses bestand, wodurch die Reli-quienfeste ganz außerordentliche Menschenmassen in Bewegung setzten. Die

51 Der Pfarrer der Nikolaikirche erhielt 1446 zusammen mit dem Kirchner vier Groschen,

denselben Betrag erhielt auch der Pfarrer der Bartholomäuskirche, ebd., Nr. 8 (1445–1446), Bl. 62v.1466 wurde nur summarisch notiert: „Item 8 gr. von sant vito messen“ ebd., Nr. 19 (1465/1466), Bl. 48r.

52 „Item ii gr. der bruderschaft des heyligen waren lichenams vor sente viti messe zcu singenn am Suntage ipso die viti“, zitiert nach HASE, S. 489.

53 MEISTER, Religiöses Engagement, S. 47, ist diese Erwähnung entgangen. Er verbucht den Vertrag vom 2. Juli 1438 über die Fronleichnamsmesse (vgl. Überblick über die Stiftung Nr. 4) als erste Erwähnung.

54 Stadtarchiv Altenburg, Ratsarchiv XI. A. 2a, Nr. 20, Bl.60v. 55 Ebd., XI. A. 2a, Nr. 21, Bl. 52v. Ähnliche Rechnungsposten verzeichnete M. J. MEISSNER,

Zur Geschichte des Frauenhauses in Altenburg, in: NASGA 2 (1881), S. 68–76, hier S. 70 f. für die Rechnungsjahre 1513/1514 bis 1519/1520.

56 Zum Phänomen der Heiltumsweisungen vgl. Hartmut KÜHNE, ostensio reliquiarum. Untersuchungen über Entstehung, Ausbreitung, Gestalt und Funktion der Heiltums-weisungen im römisch-deutschen Regnum (Arbeiten zur Kirchengeschichte 65), Berlin/ New York 2000. – DERS., Heiltumsweisungen: Reliquien – Ablaß – Herrschaft. Neufunde und Problemstellungen, in: Jahrbuch für Volkskunde NF 27 (2004), S. 43–62. – DERS. Reliquien und ihr Publikum. Spätmittelalterliche Kirchenschätze im Harzraum, in: „... das Heilige sichtbar machen“. Domschätze in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, hg. von Ulrike WENDLAND, Regensburg 2010, S. 101–116.

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Institutionalisierung dieser Feste ist im besonderen Maße im Kontext landes-herrlicher Residenzbildung zu beobachten, da Residenzstifte häufig als Veran-stalter solcher Feiern auftraten.57

Auch die Entstehung der Altenburger Reliquienzeigung ist mit der Funktion Altenburgs als Residenz in der Regierungszeit Wilhelms des Reichen am Beginn des 15. Jahrhunderts verbunden. Erstmals wird das Fest im Jahre 1423 fassbar, als Papst Martin V. den Besuchern des Georgenstifts am Himmelfahrtstag sieben Jahre Ablass versprach. Aus der Urkunde geht hervor, dass bei der Feier u.a. ein Stück des Kreuzesholzes Christi, Partikel von den Haaren und der Kleidung Marias und Reliquien der Apostel und anderer Heiliger gezeigt wurden.58 Wenige Tage später erteilte Martin V. einen weiteren Ablass von drei Jahren für den-selben Anlass.59 Papst Nikolaus V. versprach den Besuchern der Altenburger Stiftskirche am Himmelfahrtstag 1448 nochmals sieben Jahre Ablass.60 Der Versuch des sächsischen Kurfürsten Friedrich II., im Jahre 1459 bei Papst Pius II. Reliquien für das Georgenstift und Beichtfakultäten für das Reliquienfest zu erlangen, blieb zunächst ohne Erfolg.61 Aber 1480 erwirkte Kurfürst Ernst während seiner Romfahrt u.a. auch ein Privileg Papst Sixtus’ IV., das dem Georgenstift neue Ablassgnaden und Beichtfakultäten verlieh. Die Empfänger-ausfertigung dieser Urkunde hat sich nicht erhalten, aber ein Einblattdruck sorgte für die Bekanntmachung dieser Gnaden,62 und auch das kurz vor 1500

57 Zur Verbindung von Heiltumsweisung und Residenz vgl. neben der in Anm. 56 genannten

Lit. auch Carola FEY, Die Reliquienstiftung Kurfürst Ruprechts I. von der Pfalz als Spiegel fürstlicher Frömmigkeit und materieller Kultur im späten Mittelalter, in: Archiv für mittel-rheinische Kirchengeschichte 58 (2006), S. 131–147. – DIES., Zu Schmuck und Zierde, zu Trost und Heil. Sakrale Schätze und ihre Inszenierungen an bayerischen Fürstenhöfen, in: Fürstenhof und Sakralkultur im Spätmittelalter, hg. von Werner RÖSENER/Carola FEY, Göttingen 2008, S. 125–140. – Hartmut KÜHNE, Die Wallfahrt zur Querfurter Eselswiese – Fakten und Fiktionen, in: Bruno von Querfurt. Lebenswelt, Tätigkeit, Wirkung, hg. von Arno SAMES, Querfurt 2010, S. 101–111.

58 Urkunde Papst Martins V. vom 8. Juli 1423, gedruckt in: MittGAGO 1 (1841–1844), Heft 2, S. 81–83. Die Urkunde befindet sich im Thüringischen Staatsarchiv Altenburg unter der Signatur: Geschichts- und Altertumsforschende Gesellschaft des Osterlandes, Handschriften Nr. 210. Auf der Rückseite findet sich der Vermerk „Bulla indulgentiarum de ostensione reliquiarum in die Ascensionis.“ Ein Faksimiledruck bei Friedrich SCHNEIDER, Ausgewählte Urkunden zur Geschichte von Altenburg, Rudolstadt 1925, Bl. 4.

59 Urkunde Papst Martins V. vom 30. Juli 1423, gedruckt bei Friedrich WAGNER, Die Ur-kunden zur Geschichte des Kollegiatstiftes S. Georg auf dem Schlosse zu Altenburg, in: MittGAGO 4 (1858), S. 349–362, hier S. 360–362: Nr. 15.

60 Gedruckt in: MittGAGO 1 (1841–1844), S. 86 f. 61 Vgl. Karl VON WEBER, Instruction des Kurfürsten Friedrich des Sanftmütigen für seine

Gesandten an den Papst Pius II. zum Tag von Mantua, in: Archiv für Sächsische Ge-schichte 5 (1867), S. 113–129, hier bes. S. 124 f.

62 Falk EISERMANN, Verzeichnis der typographischen Einblattdrucke des 15. Jahrhunderts im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation, 3 Bde., Wiesbaden 2004, S. 147, S. 518. Eine Transkription des Textes findet sich als editorischer Anhang zu meinem Beitrag

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gedruckte Mirakelbuch der Kapelle von Heiligenleichnam bei Altenburg erwähnt diese Privilegierung durch Papst Sixtus IV.63 Die päpstlichen Ablässe und die landesherrliche Protektion haben das Altenburger Reliquienfest zu einer zu-mindest regional bedeutenden Veranstaltung gemacht. Vom wallfahrtsmäßigen Besuch des Reliquienfestes zeugt auch die Produktion von Pilgerzeichen, die an die Besucher verkauft wurden. Zumindest eines dieser Zeichen hat sich als Abguss auf einer Glocke in Obergreißlau, heute ein Ortsteil von Langendorf (Burgenlandkreis, Sachsen-Anhalt), erhalten (Abb.). Das hochrechteckige Zeichen stellt unter einem Kielbogen den auf einem Pferd reitenden Hl. Georg dar, wie er seine Lanze dem Drachen zu seinen Füßen in den Rachen stößt. Unter dieser Szene findet sich ein zweigeteiltes Feld mit zwei Wappenschilden: Der rechte zeigt die Rose der Burggrafschaft Altenburg, der linke wahrscheinlich den Löwen der Markgrafschaft Meißen.64 Sehr wahrscheinlich trug auch eine der Glocken in Kosma (heute ein Ortsteil von Altenburg) einen solchen Pilgerzeichenabguss.65

In den Kämmereirechnungen der Stadt Altenburg erscheint das Reliquien-fest des Georgenstiftes meist unter dem Namen „der Ablass“. Beispielsweise gehört „der Ablass“ in den Registern über die Zahlungen des städtischen Bordells („Rotschild“) an die Stadtkasse zu den üblichen Terminen. Bezeichnenderweise wurden zu diesem Termin die höchsten Abgaben des ganzen Jahres abgeführt, was Rückschlüsse auf einen starken Besuch der Stadt zum Reliquienfest zulässt.66

„Das Mirakelbuch der Fronleichnamskapelle von Heiligenleichnam bei Altenburg“ in diesem Band.

63 Vgl. ebd. unter Blatt Aiv. 64 Das Pilgerzeichen wurde schon von Paul LIEBESKIND, Pilger- und Wallfahrtszeichen auf

Glocken (Teil 2), in: Die Denkmalpflege 7 (1905), S. 117–120 und 125–128, hier S. 118 mit Abb. 6 entdeckt, aber nicht gedeutet. Eine Beschreibung samt Abbildung findet sich bei Franz JÄGER, Die Inschriften des Landkreises Weißenfels (Die Deutschen Inschriften; 62), Wiesbaden 2005, S. 56: Nr. 73 mit Tafel XIX, Abb. 40. Die Identifikation als des Meißnischen Löwen im linken Wappenbild schlägt LIEBESKIND vor; der heutige Zustand des Abgusses macht eine Überprüfung dieser Behauptung kaum möglich.

65 Günter HUMMEL u.a.: Die Dorfkirche Kosma „Unserer lieben Frauen“ (Der kleine sakrale Kunstführer; 20), Altenburg 2011, S. 14.

66 Dies bemerkte schon MEISSNER, Zur Geschichte des Frauenhauses in Altenburg, S. 70. So wurden beispielsweise im Rechnungsjahr 1519/1520 zu 15 Terminen Einnahmen zwischen einem und fünf Groschen gebucht, der höchste Betrag von fünf Groschen nach dem „Ablass“: Stadtarchiv Altenburg, Ratsarchiv XI. A. 2a, Nr. 41, Bl. 11v. Diese Stadtrechnung ist im Übrigen die letzte, in der Einnahmen aus dem „Rotschild“ verzeichnet wurden. Das folgende Rechnungsbuch enthält zwar noch das Rubrum „Rotenschildes Eynnaham wochlichen was man haben kann“, der für die Eintragungen vorgesehene Platz ist aber leer, ebd., Nr. 42, Bl. 10v. In den folgenden Jahren fehlt der Einnahmeposten ganz, im Rechungsjahr 1524/1525 wurde das Frauenhaus auf Kosten der Stadt abgebrochen: vgl. MEISSNER, Zur Geschichte des Frauenhauses in Altenburg, S. 76. Die Schließung der städtischen Frauenhäuser im Prozess der Reformation ist ein bekannter Vorgang. Aller-dings ist das Aussetzen der entsprechenden Einnahmen in Altenburg im Frühsommer 1520 außerordentlich früh, so dass in diesem Fall dem Zusammenhang mit dem mentalen Umbruch der Reformation gründlicher nachzugehen wäre.

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Das letzte Mal wird das Ablassfest in den Stadtrechnungen m.W. 1520 erwähnt, als sich der Rat während des Ablasses in der „Kavete“ des Rathauses versammelte, um „auffrur zcu verhuthen“.67 Zieht man eine ähnliche Feier am Wittenberger Allerheiligenstift zum Vergleich heran, so wurde auch dort die Reliquienweisung im Jahre 1520 letztmals in der traditionellen Form gehalten; im Jahr 1521 ver-zichtete man auf die Verkündigung des Ablasses, und es kam zu Störungen; 1522 wurde die Feier abgesagt.68 Allerdings lässt der 1523 von Wenzeslaus Link in den Druck gegebene Sermon Von Anrufung der Heiligen einen Fortbestand der Altenburger Feier zumindest bis 1523 vermuten. Der Sermon wurde in der Kreuzwoche, d.h. in der Woche von Himmelfahrt, zum Druck gebracht. Link begründete diesen Zeitpunkt damit, dass in dieser Zeit „layder [...] grosser mißbrauch vnn gottes lesterung beschicht vnn sunderlich alhie zu Aldenburg, da der Baalitische gotzdienst der Cerimonien so fast vbermenniget ist, das man auch im passion spielen [...] vnn im heyltumb umb tragen vnd ausruffen [...] got vermainet zu dienen.“69 An einer anderen Stelle des Sermons spricht er davon, dass die Priesterschaft in Altenburg „mit got der passion spilen oder sunst jre todten bain vnd ander geugkelwerk für heylthumb außruffen und zeygen.“70

Möglicherweise wurde die Heiltumsweisung also im Jahre 1523 im Georgen-stift noch gefeiert, allerdings können sich die Aussagen Links auch allgemein auf die traditionelle Praxis an sich beziehen. Auch der Hinweis Links auf das Altenburger Passionsspiel lässt sich nicht ohne weiteres sicher einordnen. Die Nachricht, dass im Jahre 1474 ein Passionsspiel in Altenburg aufgeführt worden sei, findet sich schon in der älteren Literatur.71 Bernd Neumann ist in seiner Dokumentation zur Aufführungspraxis geistlicher Spiele diesen Hinweisen nachgegangen und hat in den Altenburger Kämmereirechnungen für Ostern 1475 Ausgaben zur Aufrichtung der Bühne und für Getränkespenden „zcum spil […] de passione domini“ gefunden, die eine Aufführung am zweiten und dritten Ostertag auf dem Altenburger Markt belegen.72 Unklar blieb aber, ob es 67 Den Auszug publizierte schon MEISSNER, Zur Geschichte des Frauenhauses in Altenburg,

S. 70. 68 Vgl. KÜHNE, ostensio reliquiarum, S. 421 f. 69 Wilhelm REINDELL, Wenzel Lincks Werke, Teil 1: Eigene Schriften bis zur zweiten

Nürnberger Wirksamkeit, Marburg 1894, S. 125. 70 Ebd., S. 124. 71 Im Jahr 1474 „eine Woche vor und zwei Wochen nach Ostern stellte eine ambulante

Bande auf einem Brettergerüst auf dem Markte die Leidensgeschichte Christi dar“, vgl. LÖBE, Mittheilungen über den Anfang und Fortgang der Reformation, S. 87. VON BRAUN, Die Stadt Altenburg, S. 157 geht von mehrmaliger Aufführung „in der katholischen Zeit“ aus.

72 Vgl. zur Interpretation der Belege Bernd NEUMANN, Zeugnisse mittelalterlicher Auffüh-rungen im deutschen Sprachraum. Eine Dokumentation zum volkssprachigen geistlichen Schauspiel, Köln 1979, S. 106–109. Die Auszüge aus der Kämmereirechnung sind ge-druckt von Bernd NEUMANN, Geistliches Schauspiel im Zeugnis der Zeit. Zur Auffüh-rung mittelalterlicher religiöser Dramen im deutschen Sprachgebiet, T. 1, München u.a. 1987, S. 114.

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sich um einen einmaligen Vorgang oder eine regelmäßig oder unregelmäßig gepflegte Praxis handelt. Möglicherweise würde eine gründliche Durchsicht der gesamten Kämmereirechnungen noch weitere Belege für die Aufführung von Osterspielen in Altenburg erbringen.

Auch wenn künftige Untersuchungen der Altenburger Rechnungsüber-lieferung, die auch die Kirchenrechnungen mit einschließen sollten, ein weitaus bunteres Bild der religiösen Stadtkultur liefern könnten, so erscheinen die ein-schlägigen Aufwendungen des Rates etwa im Vergleich zu dem für das Reliquien-fest des Residenzstiftes vorauszusetzenden Engagement der Landesherrschaft als außerordentlich bescheiden. Eine vom Rat getragene städtische Frömmigkeit lässt sich aus den Kämmereirechnungen wohl nicht rekonstruieren. 3. Kirchliche Stiftungen Da keine Darstellung zum Altenburger Stiftungswesen im Mittelalter vorliegt, hat sich der Vf. bemüht, aus der lokalhistorischen Literatur eine Übersicht für das Jahrhundert vor der Reformation zu erarbeiten, wofür insbesondere der von Hans Patze als Manuskript hinterlassenen zweiten Teil des Altenburger Urkun-denbuches (1351–1507) hilfreich war.73 Dabei wurde der Zeitraum ab dem Jahr 1420 in den Blick genommen. Da die von Hans Patze erfassten Quellen faktisch im Jahr 1500 abbrechen, ist für das frühe 16. Jahrhundert nur eine geringe Zahl von Stiftungen erfasst worden. Ein Überblick in Form kurzer Regesten ist dem Aufsatz als Anhang beigefügt.

Für den Zeitraum von 1420 bis 1500 ließen sich 37 Stiftungen finden. Je eine Stiftung ging an das Augustinerchorherrenstift,74 die Deutschordenskom-mende,75 den Franziskanerkonvent,76 das Reuerinnenkloster77 und die Rats-kapelle.78 Je zwei Stiftungen wurden zugunsten der Nikolaikirche79 und des Georgenstiftes80 errichtet, vier zugunsten des Spitals vor dem Johannestor81 und 21 für die Bartholomäuskirche.82 Man wird bei einer Bewertung dieser Zahlen zwar in Rechnung stellen müssen, dass die Überlieferungschancen der

73 Vgl. oben Anm. 25. 74 Vgl. Anhang Nr. 6. 75 Vgl. Anhang Nr. 4. 76 Vgl. Anhang Nr. 11. 77 Vgl. Anhang Nr. 15. 78 Vgl. Anhang Nr. 25. 79 Vgl. Anhang Nr. 8 und 31. 80 Vgl. Anhang Nr. 3 und 12. 81 Vgl. Anhang Nr. 9, 13, 14, 17. 82 Vgl. Anhang Nr. 1, 2, 5, 7, 10, 16, 18, 19, 21f, 24, 26–30, 32–37.

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klösterlichen Stiftungen geringer waren, aber dennoch ist die Dominanz der Bartholomäuskirche sicher nicht allein auf Zufälle der Überlieferung zurückzu-führen.

Im Hinblick auf die zeitliche Schichtung der Stiftungen kann man im Ver-lauf des 15. Jahrhunderts eine deutliche Zunahme der Stiftungen feststellen, die in gewissen Schüben erfolgte. So stehen z.B. zehn Stiftungen im Zeitraum von 1420 bis 1450 15 Stiftungen im letzten Viertel des 15. Jahrhunderts gegenüber. Erweist der Vorrang der städtischen Pfarrkirche und die Zunahme der Stiftungen am Vorabend der Reformation die auch sonst bekannte stadtbürgerliche Stiftungs-mentalität? Dieser Frage soll im Folgenden mit drei Stichproben nachgegangen werden: 1. im Hinblick auf die Gründung der Fronleichnamsbruderschaft, 2. im Hinblick auf die Stiftung der Predigerstelle an der Bartholomäuskirche und 3. im Hinblick auf die um 1480 augenfällige Stiftungswelle, zu der auch die Gründung der Rosenkranzbruderschaft zählt. 3.1. Die Fronleichnamsbruderschaft Da das Schriftgut der Fronleichnamsbruderschaft – wie das aller anderen Bruder-schaften Altenburgs – verloren ist, lässt sich die Gründung nicht exakt datieren.83 Erstmals ist die Bruderschaft in den städtischen Kämmereirechnungen von 1437/1438 zu belegen, da im Juni 1438 eine Zahlung an die Bruderschaft für die Feier der Vitusmesse ausgewiesen ist.84 Klarere Konturen gewinnt die Bruderschaft in einer Urkunde vom 2. Juli 1438, in der zwischen dem Propst des Bergeklosters, den Altarleuten der Bartholomäuskirche und den Vorstehern und Verwesern der „bruderschaft und messen des heiligen waren lichenams“ Abmachungen über die Feier der Fronleichnamsmesse und die dabei anfallenden Opfer getroffen wurden.85 Die Fronleichnamsmesse soll an jedem Donnerstag als Frühmesse von einem Mitglied des Klosterkonvents in der Bartholomäus-kirche gefeiert werden: „zcu troste und zcu hulfe alle unsern altfurdern seylen und darnach und, den unseren und allen unsern nachkommelingen [...] das darvon getrost und erlost mogen werden alle betrubte, enelende und vorgessen selen.“ Dafür erhielt das Bergekloster eine einmalige Zahlung von zehn Schock Groschen. Über die Entstehung dieser Fronleichnamsmesse teilt der Vertrag mit, dass der inzwischen verstorbene Kone Kramer „eyn anheber [der Messe] geweset ist“ und diese Stiftung jetzt nur vermehrt werde. Auch diese Urkunde vom 25. Januar 1425 ist überliefert, in welcher der Altenburger Bürger Kone Kramer den Altarleuten der Bartholomäuskirche jährliche Zinsen von einem halben Schock Groschen übereignet, damit die Messe zum Heiligen Leichnam 83 Zur Fronleichnamsbruderschaft vgl. den Überblick bei MEISTER, Religiöses Engagement,

S. 47–58. 84 Vgl. oben, Anm. 52 f. 85 Vgl. Anhang Nr. 5.

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gesungen werde mit Schülern und Geläut als sein Seelgerät.86 Die Memorienstif-tung Kone Kramers wurde also zwölf Jahre später durch Hinzustiftung der Bruderschaft in eine kollektive Gedenkstiftung umgewandelt, die nicht nur den Mitgliedern der Bruderschaft zu Gute kommen sollte. Die Belege der Kämmerei-rechnungen über die ursprüngliche Feier der Vitusmesse für die in der Schlacht von Aussig erschlagenen Bürger durch die Bruderschaft sprechen dafür, in ihr eine Institution zu sehen, die im besonderen Maße die Gesamtheit der Stadt repräsentierte. Auch die von Bert Meister vorgelegten Analysen der sozialen Zusammensetzung dieser Bruderschaft weisen sie als Korporation aus, in der die städtische Oberschicht und die Unterschichten gleichermaßen stark vertre-ten waren.87 War sie daher ein Phänomen städtischer oder bürgerlicher Fröm-migkeit? Auch wenn der Anlass zur Gründung der Bruderschaft nicht sicher zu ermitteln ist, gibt ein um 1498 in Leipzig gedrucktes Mirakelbuch der Wallfahrt-kapelle von Heiligenleichnam in der Nähe Altenburgs m.E. einen wichtigen Hinweis.88 Da das Büchlein bereits in meinem Beitrag „Das Mirakelbuch der Fronleichnamskapelle von Heiligenleichnam bei Altenburg“ in diesem Band vorgestellt wurde, sei für alle inhaltlichen Fragen auf diesen Text verwiesen. Wichtig ist in unserem Zusammenhang der Bericht über den Handwerksgesellen, der in der Fronleichnamsoktav des Jahres 1435 eine silberne Monstranz aus der Altenburger Bartholomäuskirche zusammen mit der darin ausgestellten Hostie gestohlen hatte. Als er sich auf den Weg nach Zwickau machte, um das Silber zu verkaufen, warf er die geweihte Hostie an jener Stelle fort, wo später die Fronleichnamskapelle gegründet wurde. Der Kirchendieb wurde in Zwickau erkannt, verhaftet, nach Altenburg überstellt und hingerichtet. Die geschändete Hostie holte die Geistlichkeit und Bürgerschaft Altenburgs mitsamt dem Rasen-stück, auf dem sie gelegen hatte, feierlich in die Altenburger Bartholomäus-kirche zurück. Von hier verschwand die Hostie aber des Nachts und kehrte mehrfach an den Ort ihrer Auffindung zurück, wo bald ein Gnadenort ent-stand, den der sächsische Kurfürst Friedrich der Sanftmütige mit einem Kapellen-bau versah. Noch Wenzeslaus Link polemisiert in den 40 Artikeln von 1524 ausdrücklich gegen diese Wallfahrt, was ihr Fortleben bis in die Reformation indirekt bezeugt.89

86 Vgl. Anhang Nr. 2. 87 Vgl. MEISTER, Religiöses Engagement, bes. S. 52–55. 88 Das ist der applas vnd die genad mit den wundertzeichen. der Capellen des heyliegen

warleichnams bey Allemburgck [Leipzig bei Wolfgang Stöckel, um 1498] GW-Nr. 0000910N. Vgl. die Edition als Anhang zu meinen Beitrag „Das Mirakelbuch der Fron-leichnamskapelle von Heiligenleichnam bei Altenburg“ in diesem Band.

89 „10. derhalben die walfarten zur Aachen, heyligen leychnam und dergleichen unchristenlich seint, zu vertilgung des glaubens und lybe vom teufel erfunden.“ REINDELL, Wenzel Lincks Werke, T. 1, S. 144. Zum Kontext der Altenburger Disputation vgl. jetzt auch Bernd MOELLER, Zwinglis Disputationen. Studien zu den Anfängen der Kirchenbildung im Pro-testantismus, Göttingen 2011, S. 76.

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Nach dem Mirakeldruck verblieb der Bartholomäuskirche das Rasenstück, auf dem die Hostie gefunden wurde. Es wurde noch am Ende des 15. Jahrhunderts „vnversert“ in der Bartholomäuskirche gezeigt.90 Mit diesem Objekt scheint die Bartholomäuskirche einen kleinen Ableger der größeren Wallfahrt besessen zu haben. Dies erklärt m.E. auch eine Passage in der Urkunde vom 2. Juli 1438 über die Einrichtung der Fronleichnamsmesse, worin festgelegt wurde, dass die am Fronleichnamsaltar niedergelegten Opfer, „es sei an wachße addir an czeychen [d.h. wächsernen Votivgaben] [...] und [...] an gelde“, je zur Hälfte an den Propst des Bergeklosters und an die Bartholomäuskirche fallen sollen.91 Es liegt daher nahe, dass die seit 1435 vom Landesherrn und seinem Residenzstift geförderte Fronleichnamswallfahrt in Heiligenleichnam den Anstoß zur Gründung der Fronleichnamsbruderschaft gewesen ist. 3.2. Die Predigtstiftung an der Bartholomäuskirche In dem Tagungsbeitrag von Volker Leppin ist bereits auf die Stiftung von Predigerstellen als Ausdruck einer verinnerlichten Frömmigkeit am Ende des Mittelalters hingewiesen worden.92 Dabei wurde auch die Predigerstelle in der Altenburger Bartholomäuskirche genannt, wo seit 1465 eine Stiftung bestand, durch die ein Prediger besoldet wurde.93 Über die Stiftung von Predigerstellen im späten Mittelalter und die Bedeutung dieser Prädikaturen für die frühe Reformation hatte bereits 1931 Rudolf Herrmann ausführlich gehandelt94 und war dabei auch auf die Altenburger Stiftung eingegangen.95 Herrmann hielt die Predigerstelle an der Bartholomäuskirche für einen besonders signifikanten Fall stadtbürgerlicher Frömmigkeit, weil die Begründung der Stiftung, wonach sie „unserm Stadtvolgke zu eyner geistlichen Narunge“ dienen sollte, auf die „Laienerkenntnis“ verweise, die darin bestehe, dass „Predigten für die Gemein-den wichtiger seien, als Messen“.96 Diese Interpretation ist aber schon deshalb problematisch, weil sie nicht von einem Stadtbürger und Laien ausging, sondern von dem am Georgenstift bepfründeten Domherrn Magister Andreas Gruner. Er stiftete 1465 einen jährlichen Zins von acht Schock Groschen, den er beim Altenburger Rat erwarb, um damit die Prädikatur auszustatten.97 Schon 1457

90 Das ist der applas, Bl. Aiiiiv, vgl. auch die Edition im Anhang zu diesem Text. 91 Vgl. Anhang Nr. 5. 92 Vgl. den Beitrag von Volker LEPPIN in diesem Band. 93 Vgl. Anhang Nr. 16. 94 Rudolf HERRMANN, Die Prediger im ausgehenden Mittelalter und ihre Bedeutung für die

Einführung der Reformation im Ernestinischen Thüringen, in: Beiträge zur Thüringischen Kirchengeschichte 1 (1929–1931), S. 20–68.

95 Ebd., S. 39–41. 96 Ebd., S. 40. 97 Vgl. Anhang Nr. 16.

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hatte Andreas Gruner eine Stiftung zugunsten einer Predigerstelle am Altenburger Georgenstift errichtet, deren Inhaber unter anderem „alle große veste suntage und süst heilige tage wenne dy gefallen [...] als sich das gebürt predigen und das volg vließig das beste underwyßen und lernen“ sollte.98 Die Einkünfte dieser Stelle waren sogar mit einem jährlichen Zins von 20 Schock Groschen ausge-stattet, so dass diese deutlich über den Einkünften der Predigerstelle in der Bartholomäuskirche lagen. Die Stelle des Stiftspredigers hatte bis zur Aufhe-bung des Stiftes in der Reformation Bestand.99

Diese beiden Prädikaturen sind auffallend frühe Predigtstiftungen – es waren die ältesten derartigen Stiftungen im Bistum Naumburg.100 Warum gerade ein am Georgenstift bepfründeter Priester zwei derartige Stiftungen ins Leben rief, wirft Rückfragen zur Person des Stifters auf. Markus Anhalt hat in seiner Arbeit zum Georgenstift die bekannten Personaldaten für Andreas Gruner zusammen-getragen, kam dabei aber nicht über die beiden genannten Urkunden zu den Predigtstiftungen hinaus. Da Gruner nach 1465 nicht mehr in den Urkunden des Stiftes auftaucht, wird er bald nach dem Jahre 1465 verstorben sein. 101 Ich vermute aber, dass der Altenburger Domherr mit jenem Magister Andreas Gruner identisch ist, der 1436 in der Matrikel der Leipziger Universität auf-taucht.102 Bekannt ist Andreas Gruner, der Leipziger Magister der Artisten-fakultät, als Autor einer in der Mitte des 15. Jahrhunderts weit verbreiteten Rhetorik, die später fälschlich seinem berühmten Namensvetter Vinzenz Gruner zugeschrieben wurde. Erst die Forschungen Franz Josef Worstbrocks haben seine Autorschaft kürzlich wiederentdeckt.103 Andreas Gruner wurde im Sommersemester 1410 an der Universität Leipzig immatrikuliert und erwarb zwei Jahre später das Bakkaulareat, bei welcher Gelegenheit seine Herkunft aus Ehrenfriedersdorf in der Matrikel notiert wurde; anschließend hat er zumindest zeitweise als Schulrektor in Dresden gewirkt.104 In dieser Zeit verfasste er auch seine Rhetorik, wobei Worstbrock die Entstehung auf die Zeit zwischen 1415 und 1419 eingrenzt.105 Eine in Augsburg bewahrte Handschrift mit Widmungen an Papst Martin V., König Ladislaus von Polen und Kurfürst Friedrich II. von Sachsen muss zwischen 1428 und 1431 entstanden sein.106 Seine Rückkehr an

98 Vgl. Anhang Nr. 12. 99 Vgl. ANHALT, Das Kollegiatstift St. Georgen, S. 144 f. 100 WIESSNER, Das Bistum Naumburg, S. 399. 101 ANHALT, Das Kollegiatstift St. Georgen, S. 70. 102 Paul Wilhelm ULLRICH, Die Anfänge der Universität Leipzig. Personalverzeichnis von

1409 bis 1419, Leipzig 1895, S. 24. 103 Franz Josef WORSTBROCK, Art. Gruner (Grüner), Andreas, in: Verfasserlexikon. Die

deutsche Literatur des Mittelalters, Bd. 11, Berlin 22004, Sp. 559–661. 104 Vgl. ebd., Sp. 559. 105 Vgl. ebd., Sp. 560. 106 Hardo HILG, Lateinische mittelalterliche Handschriften in Quarto der Universitäts-

bibliothek Augsburg. Die Signaturengruppen Cod. I.2.4° und Cod. II.1.4°, Wiesbaden 2007, S. 211 f.

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die Universität Leipzig im Jahre 1436 war nur von kurzer Dauer, denn nach der Übertragung des Dekanats im Sommersemester 1438 erscheint er hier nicht mehr. Worstbrock verweist auf eine Urkunde des Meißner Bischofs Johannes IV. vom 4. Januar 1445, die dieser auf Bitten des Magisters Andreas Gruner („peticio […] venerabilis viri magistri Andree Gruner“) ausstellte, der in der Freiberger Marienkirche befründet war.107 Diesem bisher letzten bekannten Lebenszeichen ist aber eine zweite Freiberger Urkunde hinzuzufügen: Wohl derselbe Magister Andreas Gruner erscheint in einer am 21. Februar 1468 vom Meißner Bischof Dietrich ausgestellten Urkunde: Auf Bitten des Freiburger Pfarrers Heinrich Spangenberg bestätigt der Bischof darin die von dem verstorbenen Magister Andreas Gruner vollzogene Stiftung, mit welcher das Einkommen eines Altars in Gauernitz im Umfang von zwölf Schock Groschen auf die Predigerstelle in der Freiberger Marienkirche übertragen wird.108 Es ist naheliegend, den Stifter der Freiberger Predigerstelle mit dem Altenburger Domherren zu identifizieren, der kurz zuvor die Prädikatur in der Bartholomäuskirche dotierte. Die Freiberger Urkunde bestätigt im Übrigen die Vermutung, dass der Altenburger Domherr Andreas Gruner bald nach 1465 verstorben ist. Vor allem macht sie aber deutlich, dass sein Engagement für die Einrichtung von Prädikaturen über den Altenburger Bereich hinausreichte. Eine gründliche Suche in den Urkundenbeständen sächsischer Städte würde möglicherweise noch weitere Mosaiksteine der Biografie Gruners zu Tage fördern.109

So bruchstückhaft das Bild der Person des Leipziger Magisters und des in Freiberg und Altenburg bepfründeten Priesters auch bleibt, so kann man im Hinblick auf seine Stiftungen feststellen, dass er die Seelsorge und geistliche Belehrung von Laien im Blick hatte. Aber man wird diese Stiftungen nicht als Ausdruck der „Laienfrömmigkeit“ interpretieren dürfen. Vielmehr wird der Grund für dieses ungewöhnliche Engagement zugunsten der geistlichen Bildung des Kirchenvolkes in der universitären Ausbildung Gruners und seiner päda-gogischen Praxis als Lehrer an der Dresdner Stadtschule und der Leipziger Universität zu suchen sein.

107 Urkundenbuch der Stadt Freiberg in Sachsen, hg. von Hubert ERMISCH, Bd. 1 Codex

Diplomaticus Saxoniae Regiae, 2. Hauptteil , Bd. 12), Leipzig 1883, S. 170 f.: Nr. 246. 108 Ebd., S. 233–235: Nr. 350. Auf die Identität des Stifters der Altenburger und der Freiberger

Predigerstelle hat schon Georg MÜLLER in seiner Rezension von Theodor KOLDES 1. Band der Lutherbiografie hingewiesen, vgl. NASGA 6 (1885), S. 157 f.

109 Wahrscheinlich bezieht sich auch eine Eintragung im Dresdner Stadtbuch vom 16. Oktober 1454 auf ihn: Die drei ältesten Stadtbücher Dresdens 1404–1476, bearbeitet von Jens KLINGNER/Robert MUND (Die Stadtbücher Dresdens und Altendresdens 1), Leipzig 2007, S. 338.

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3.3. Die Stiftungswelle um 1480 und die Rosenkranzbruderschaft Unter den sieben Altenburger Bruderschaften, die – abgesehen vom Kaland an der Nikolaikirche – sämtlich erst im 15. oder frühen 16. Jahrhundert entstanden sind, fällt nur die Rosenkranzbruderschaft aus dem regional üblichen Bruder-schaftswesen heraus.110 Kalande, Fronleichnams-, Annen-, und Schützen-bruderschaften sind in den Städten der Region auch sonst bezeugt.111 Eine Rosenkranzbruderschaft ist im Bistum Naumburg sonst nur noch aus Werdau bekannt.112 Die für die Gründungsgeschichte der Altenburger Rosenkranz-bruderschaft wichtigsten Nachrichten enthält die Bestätigungsurkunde, die der Naumburger Bischof Heinrich II. am 13. Mai 1478 auf Bitten der Margarethe von Österreich, der Witwe des sächsischen Kurfürsten Friedrich II., ausstellte.113 Aus der Urkunde geht hervor, dass die Altenburger Bruderschaft nach dem Vorbild der Kölner Rosenkranzbruderschaft gegründet worden sei und daher auch die Ablassprivilegien der Kölner Bruderschaft besitze. Die Kölner Rosenk-ranzbruderschaft war erst 1475, knapp drei Jahre vor der Altenburger Bruder-schaft, gestiftet worden.114 Ihre Entstehung hängt mit der Bedrohung der Stadt Köln durch das burgundische Heer in der Kölner Stiftsfehde im Jahre 1474 zusammen. In dieser Situation wurden angeblich Jacob Sprenger, der Prior des Kölner Dominikanerkonvents, und der dortige Lesemeister Michael Francisci von Kölner Bürgern um Rat gebeten, wie diese Gefahr abzuwenden sei. Darauf-hin hätten beide die Andachtsübung des Rosenkranzgebetes als geeignetes Mittel zur Wiederherstellung des Friedens empfohlen. Als der Friedensschluss zwischen Karl dem Kühnen und Kaiser Friedrich III. im Mai 1475 die drohende Erobe-rung von der Stadt abwendete, war die Wirksamkeit dieser Gebete bestätigt.115 An der formellen Gründung der Kölner Rosenkranzbruderschaft am 8. September 1475 sollen neben Kaiser Friedrich III. zahlreiche Reichsfürsten teilgenommen haben, die auch in die Bruderschaft aufgenommen wurden, darunter auch der

110 Zum Bruderschaftswesen im Bistum Naumburg vgl. WIESSNER, Das Bistum Naumburg,

S. 415–424. 111 Zu den Kalanden vgl. ebd., S. 417–421; zu den Fronleichnamsbruderschaften ebd., S. 421 f.,

zu den Schützenbruderschaften ebd., S. 423. Zu den Annenbruderschaften vgl. neben den Verweisen ebd., S. 422, die geografischen Übersichten bei Angelika DÖRFLER-DIERKEN, Vorreformatorische Bruderschaften der hl. Anna (Abhandlungen der Heidelberger Aka-demie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse; 1992/93), Heidelberg 1992.

112 Die Rosenkranzbruderschaft wurde in Werdau allerdings erst 1512 gegründet, vgl. WIESSNER, Das Bistum Naumburg, S. 422.

113 Vgl. Anhang Nr. 19. 114 Zur Gründung der Kölner Rosenkranzbruderschaft Siegfried SCHMIDT, Die Entstehung

der Kölner Rosenkranzbruderschaft von 1475, in: Der heilige Rosenkranz. Eine Aus-stellung der Diözesan- und Dombibliothek Köln zum Rosenkranzjahr 2003, hg. von Heinz FINGER, Köln 2003, S. 45–62 mit der älteren Lit.

115 Vgl. ebd., S. 45–47; zur kritischen Beurteilung dieser traditionellen Darstellung vgl. ebd., S. 55–57.

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sächsische Kurfürst Ernst und sein Bruder Herzog Albrecht, die Söhne der Margarethe von Österreich.116 Die Popularisierung des gegenüber älteren Formen stark vereinfachten Rosenkranzgebetes durch die Kölner Rosenkranz-bruderschaft gab der Laienfrömmigkeit im Reich einen entscheidenden Im-puls,117 auch wenn diese Wirkungen bisher vor allem in den süddeutschen und den niederrheinischen Gebieten und weniger in Mitteldeutschland registriert wurden.118

Die Kölner Bruderschaft stellte einen neuen Bruderschaftstypus dar, der im Gegensatz zu den traditionellen Kommunitäten nur einen geringen Grad an Organisation und Kontrolle erforderte und in gewisser Hinsicht als Vorläufer der barocken Sodalitäten anzusprechen ist. Für die Mitgliedschaft in ihr war die gebührenfreie Eintragung in das Bruderschaftsbuch ausreichend. Neben dem wöchentlichen Gebet von 150 Ave Maria und 15 Vaterunser in der Form des Rosenkranzes gab es keine weiteren Verpflichtungen, und auch diese Pflichten unterlagen nur der Selbstkontrolle des Einzelnen.119 Die Kölner Bruderschaft war daher nicht ortsgebunden, Mitglieder aus dem niederdeutschen Gebiet sollten sich in das Bruderschaftsbuch des Kölner Dominikanerkonvents ein-tragen, Oberdeutsche in das der Augsburger Filiale.120

Vor diesem Hintergrund ist die in der Bestätigungsurkunde des Naumburger Bischofs behauptete Gleichförmigkeit der Altenburger Rosenkranzbruderschaft mit dem Kölner Vorbild problematisch, denn die Altenburger Kommunität glich in ihrer Organisationsform den anderen Altenburger Bruderschaften.121 Möglicherweise hat die unterstellte Verbindung zur Kölner Bruderschaft vor allem mit deren Ablassprivilegien zu tun, die im Mai 1478 durch Papst Sixtus IV. erweitert wurden.122

In den Zusammenhang der Entstehung der Altenburger Rosenkranzbruder-schaft gehört auch ein Vertrag vom 5. April 1478, in welchem der tägliche Gesang des „Salve regina“ in der Bartholomäuskirche geregelt wurde – um die Verbreitung des Gesangs dieser marianische Antiphon bemühte sich auch die

116 Vgl. MEISTER, Religiöses Engagement, S. 59, der darin der Darstellung von Aegidius

GELENIUS, De Admiranda, Sacra, Et Civili Magnitudine Coloniae Claudiae Agrippinensis Augustae Ubiorum Urbis. Libri IV., Köln 1645, S. 105–108 folgt.

117 Vgl. SCHMIDT, Die Entstehung der Kölner Rosenkranzbruderschaft, S. 60 f. 118 Vgl. ebd., S. 61 f. 119 Vgl. ebd., S. 49–54; Klaus MILTIZER, Laienbruderschaften in Köln in Spätmittelalter und

früher Neuzeit, in: Kölnische Liturgie und ihre Geschichte: Studien zur interdisziplinären Erforschung des Gottesdienstes im Erzbistum Köln, hg. von Albert GERHARDS und Andreas ODENTHAL, Münster 2000, S. 222–242, hier bes. 240 f.

120 SCHMIDT, Die Entstehung der Kölner Rosenkranzbruderschaft, S. 61. In Köln sollen sich bis zum 15. März 1476, also innerhalb eines halben Jahres 8.000 Personen eingetragen haben, in der Augsburger Filiale bis zur Jahresmitte 1476 nochmals 3.000 Personen; ebd.

121 Vgl. MEISTER, Religiöses Engagement, S. 58–67. 122 Vgl. Christiane NEUHAUSEN, Das Ablaßwesen in der Stadt Köln vom 13. bis zum 16.

Jahrhundert (Kölner Schriften zur Geschichte und Kultur; 21), Köln 1995, S. 76.

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Kölner Rosenkranzbruderschaft. In dem Vertrag zwischen dem Bergekloster sowie dem Altenburger Rat und den Altarleuten der Bartholomäuskirche wurde der Ablauf bis in die liturgischen Feinheiten hinein festgelegt.123 Für die zu erbringenden Mehrleistungen entschädigte man den Schulmeister des Berger-klosters, den Pfarrer und den Kirchner mit jährlich insgesamt vier Schock Groschen. Bemerkenswert ist, dass in diesem Zusammenhang die Rosenkranz-bruderschaft nicht genannt wird. Auch bei der Stiftung des im Mai 1481 für ihre Zwecke in der Bartholomäuskirche errichteten Marienaltars handelte nicht die Bruderschaft, sondern ein anonymer Stifter stellte das Kapital für die Pfründe zur Verfügung, über die der Rat das Patronat erhielt.124

Ein Jahr später erschienen die Vorsteher der Bruderschaft gemeinsam mit den Altarleuten und dem kurfürstlichen Geleitsmann Conrad Triller vor dem Propst des Bergeklosters, um eine wöchentliche Prozession um die Kirche aus der Stiftung eines wiederum ungenannten Mitglieds einzurichten, was genehmigt und anschließend durch den Naumburger Bischof Dietrich IV. bestätigt wurde.125

In den folgenden Jahren ist eine Welle von Stiftungen zu verzeichnen, die alle zunächst vom Propst und Konvent des Bergekloster genehmigt und anschließend vom Naumburger Bischof bestätigt und meist auch mit Ablass ausgestattet wurden. Diese Stiftungen gehen auf den Altenburger Bürger und kurfürstlichen Geleitsmann Conrad Triller zurück. 1483 stiftete er eine jährliche Rente zur feierlichen Begleitung des Krankensakraments.126 1487 folgte eine Stiftung zur feierlichen Begehung der vier Marienfeste, eine Aufgabe, die eigentlich in die Kompetenz der Rosenkranzbruderschaft hätte fallen müssen.127 1489 schloss sich die Stiftung einer Freitagsmesse zum Leiden Christi auf dem Kreuzaltar der Bartholomäuskirche an.128 1495 schenkt er dem Marienaltar der Rosenkranz-bruderschaft einen jährlichen Zins.129 Schließlich folgt 1496 die Stiftung des Wolfgangsaltars in der Bartholomäuskirche.130 Vor dem Hintergrund dieser Stiftungen Conrad Trillers und seiner offensichtlichen Verflechtungen in die Obliegenheiten der Rosenkranzbruderschaft ist zu vermuten, dass er auch bei den beiden „anonymen“ Stiftungen des Marienaltars und der wöchentlichen Prozession 1481/1482 seine Hand im Spiel hatte.

Die überwiegende Zahl der kirchlichen Stiftungen Altenburgs in den Jahren 1480 bis 1496 geht damit auf eine einzige Person, den Geleitsmann Conrad Triller zurück. Obwohl Conrad Triller in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts nicht nur im Hinblick auf das Stiftungswesen eine wichtige Rolle in der Altenburger

123 Vgl. Anhang Nr. 18. 124 Vgl. Anhang Nr. 21. 125 Vgl. Anhang Nr. 22. 126 Anhang Nr. 24. 127 Anhang Nr. 27. 128 Anhang Nr. 28. 129 Anhang Nr. 29. 130 Anhang Nr. 30.

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Geschichte spielte, ist wenig über ihn bekannt.131 Er war ab 1455 im Altenburger Rat vertreten,132 amtierte mehrfach als Altenburger Bürgermeister und starb 1506. Als Geleitsmann war er der wichtigste kurfürstliche Beamte im Amt Altenburg133 und scheint über besonders enge Beziehungen zu den wettinischen Landesherren verfügt zu haben.134 Kann man vor diesem Hintergrund die zahl-reichen Stiftungen Conrad Trillers als Ausdruck seiner stadtbürgerlichen Menta-lität bewerten? Auch wenn dies nicht völlig von der Hand zu weisen ist, so wird man mit dem gleichen Recht auch seine Funktion als kurfürstlicher Geleits-mann in Anschlag bringen müssen. Auch der Umstand, dass die mit seinem Namen verbundene Stiftungswelle in Altenburg zu einer Zeit einsetzte, da das Altenburger Schloss für die Witwe des Kurfürsten als Residenz diente, dürfte nicht zufällig sein, zumal die Beteiligung der Margarethe von Österreich bei der Entstehung der Rosenkranzbruderschaft deutlich ist. Versucht man, aus den hier vorgetragenen Einzelbeobachtungen ein Gesamtbild über die kirchliche Situation und die Frömmigkeitspraxis in Altenburg vor der Reformation zu entwerfen, so ist vor allem deutlich, dass es sich nicht um ein mehr oder weniger geschlossenes System „städtischer“ Kirchlichkeit oder Frömmigkeit handelte. In Altenburg überlappen sich am Ausgang des 15. Jahr-hunderts auch und besonders in Fragen der kirchlichen Praxis die „Stadt“ und die landesherrliche Residenz. Bestimmende Impulse gingen von der Residenz aus, und zwar sowohl vom Residenzstift als auch von den im Umkreis von Schloss und landesherrlicher Verwaltung agierenden Personen. Bei den kirchlichen Stiftungen insgesamt, auch bei den Predigtstiftungen und sogar im Bereich der städtischen Fronleichnamsbruderschaften stößt man immer wieder auf Impulse und Akteure, die direkt mit der landesherrlichen Residenz zusammenhängen. Auch im Zu-sammenhang der örtlichen Festkultur dominierte „der Ablass“, das vom Georgen-stift gefeierte Reliquienfest. Die Residenz gab so der Frömmigkeitspraxis in Altenburg ein spezifisches Gepräge. Eine wünschenswerte künftige Bearbeitung der Reformationsgeschichte Altenburgs sollte daher das späte 15. Jahrhundert mit in den Blick nehmen und den beiden Polen „Stadt“ und „Residenz“ sowie ihrer gegenseitigen Durchdringung besondere Aufmerksamkeit widmen. 131 Ein von Friedrich WAGNER am 21. November 1855 gehaltener Vortrag über die Familie

Triller und insbesondere Conrad Triller blieb ungedruckt, vgl. MittGAGO 4 (1858), S. 378. 132 Die Angabe nach Wilhelm SCHÄFER, Der Montag vor Kiliani vor 400 Jahren. Irrungen

und Rechtsstreit zwischen Kurfürst Friedrich II. und Conrad von Kauffungen und der dadurch am 7./8. Juli 1455 herbeigeführte Prinzenraub, Dresden 1855, S. 135.

133 Zu den Aufgaben des Altenburger Geleitsmannes vgl. Brigitte STREICH, Das Amt Altenburg im 15. Jahrhundert. Zur Praxis der kursächsischen Lokalverwaltung im Mittel-alter, Weimar 2000, S. 131–140. Da die Darstellung nicht über die Mitte des 15. Jahrhun-derts hinausreicht, ist hier allerdings kein Material zu Conrad Triller verzeichnet.

134 Vgl. u.a. Max VORETZSCH, Die Beziehungen des Kurfürsten Ernst und des Herzogs Albrecht von Sachsen zur Stadt Altenburg. Ein Gedenkblatt nach vier Jahrhunderten, Altenburg 1900, S. 22.

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Abb. Abguss eines Pilgerzeichens des Altenburger Georgsstiftes auf der Glocke von

Untergreißlau.

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4. Anhang Überblick über die frommen Stiftungen in Altenburg von 1420 bis 1520 Nr. 1. 16. Oktober 1420 Der Burggraf Albrecht von Starkenberg beurkundet den Kauf eines jährlichen Zinses von einem Schock Groschen durch den Altenburger Bürger Hans Schymow zur Ausstattung seines Seelgeräts in der Bartholomäuskirche von Altenburg. (HASE, Zur Geschichte der Bartholomäikirche, Nr. 8, S. 239 f.) Nr. 2. 25. Januar 1425 Der Altenburger Bürger Kone Kramer kauft acht Acker Feld und übereignet die jährlichen Zinsen von einem halben Schock neuer Groschen den Altarleuten der Bartholomäuskirche, damit die Fronleichnamsmesse gesungen werde mit Schü-lern und Geläut zum Seelgerät für den Stifter. (PATZE, Altenburger UB II, 1, S. 599–601.) Vgl. dazu: 29. Januar 1425: Der Burggraf Albrecht von Starkenberg beurkundet den Kauf eines jährlichen Zinses von einem halben Schock Groschen durch den Altenburger Bürger Kone Kramer für die Fronleichnamsmesse in der Bartholo-mäuskirche von Altenburg. (HASE, Zur Geschichte der Bartholomäikirche, Nr. 9, S. 240 f.) Vgl. auch: 4. Juli 1425: Konsens des Propstes und des Konvents des Bergeklosters zur genannten Stiftung. (Ebd., Nr. 10, S. 241–245.) Nr. 3. 7. Mai 1429 Die Herzöge Friedrich und Sigismund bestätigen die Stiftung der neuen Vikarie am Altar St. Christophorus im Georgenstift durch ihren obersten Schreiber Gregor Nebeltau aus dem Burglehen, das ehemals Philipp Stange besaß. (PATZE, Altenburger UB II, 1, S. 625–630.) Nr. 4. 1. Oktober 1436 Der Altenburger Bürger Conrad von Louwitz und seine Frau Margarete schenken dem Deutschordenshaus in Altenburg das Vorwerk in Nauendorf. Sie erhalten zu Lebzeiten dafür jährlich drei neue Schock Groschen, nach ihrem Tode ver-bleibt der Ertrag als Seelgerät beim Deutschordenshaus, um jährlich ein „ewiges Testament“ zu halten. (PATZE, Altenburger UB II, 1, S. 666.) Nr. 5. 2. Juli 1438 Vertrag zwischen dem Propst Johann von Dolen und dem Konvent des Bergeklos-ters, den Altarleuten der Bartholomäuskirche (Nikolaus Dornbach, Bürgermeister, und Nikkel Hoffeler) und den Vorstehern und Verwesern der „bruderschafts

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und messen des heiligen waren lichenams“ (Merten Scholen, Bürgermeister, Claus Osterich, Hans Ritter und Hencze Gerwer) über die Fronleichnamsmesse und die dabei anfallenden Opfer: Der inzwischen verstorbene Kone Kramer war „eyn anheber“ dieser Messe, die jetzt gemehrt wurde „zcu troste und zcu hulfe alle unsern altfurdern seylen und darnach und, den unseren und allen unsern nachkommelingen [...] das darvon getrost und erlost mogen werden alle betrubte, enelende und vorgessen selen.“ Die Fronleichnamsmesse wird an jedem Donnerstage von einem „unser hern und prister“ aus dem Stift als Frühmesse gehalten. Dafür hat der Propst und das Kloster zehn Schock neue Groschen erhalten, die zum Nutzen des Klosters verwendet wurden. Was wäh-rend der Messe auf den Altar an Geld gelegt wird, erhält der Propst, was zu anderen Zeiten auf den Altar oder in den Kasten gelegt wird, es sei „an wachße addir an czeychen [ ...] und [...] an gelde“, erhält zur Hälfte der Propst, zur anderen Hälfte die Bartholomäuskirche. (HASE, Zur Geschichte der Bartholomäikirche, Nr. 10, S. 241–245.) Nr. 6. 27. August 1439 Jahn von Döhlen bestätigt als Propst des Bergeklosters die Stiftung des Altars des hl. Bartholomäus und der Heiligen Drei Könige in der Klosterkirche durch Barbara, die Witwe des Jan Bemen: Die Stifterin übergibt dem Kloster eine jährliche Rente von 5 Schock und zwanzig Groschen neuer Freiburger Münze aus einem Kapital von 200 Gulden zum Seelgedächtnis ihres Mannes sowie seiner und ihrer Eltern. Dafür soll ein Priester montags eine Messe zur Ehre Gottes und zum Gedächtnis der genannten Seelen lesen; nach der Messe, wenn der Priester die Kasel ausgezogen hat, soll er in der Albe zum Grab gehen und ein „De pro-fundis“ mit einer Kollekte sprechen. Weiter soll ein Priester am Mittwoch eine Heilig-Geist-Messe und am Samstag eine Messe „unßer liben frawen“ lesen. Ferner soll der Propst an den Quatembern zehn Priestern jeweils zwei Groschen geben, damit diese jeweils zur Vigil und am nächsten Morgen je eine Seelmesse für die Familie der Stifterin halten. (PATZE, Altenburger UB II, 2, S. 33–38.) Nr. 7. 6. Mai 1440 Die „Alterleute“ der Bartholomäuskirche Martin Schkolen und Hans Sporner bestätigen die Stiftung eines Seelgeräts durch den Altenburger Bürger Nyczsche Pfhlichtendorff und seine Frau Margarete: Die Stifter haben beim Altenburger Rat für 24 Schock Groschen eine jährliche Rente von insgesamt zwei Schock Groschen erkauft, die je zur Hälfte auf Michaelis und Walpurgis fällig wird. Bis zu ihrem Tode erhalten die Stifter den jährlichen Zins, nach ihrem Tode ist er zu ihrem Seelgerät bestimmt. Dafür soll am Montag der gemeinen Woche (der Woche nach Michaelis, 29. September) eine Vigil gehalten werden und am fol-genden Tag eine Seelmesse, bei welcher der Stifter und ihrer Eltern namentlich gedacht werden soll. (HASE, Zur Geschichte der Bartholomäikirche, Nr. 11, S. 245–247.)

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Nr. 8. 1. Febr. 1441 Der Altenburger Bürger Hans Zcymer kauft vor dem Rat für 13 Schock Groschen eine jährliche Rente von einem Schock Groschen für sein Seelgerät in der Nikolai-kirche. Von der Rente sollen zwei Seelbäder und zwei Begängnisse mit Vigil bezahlt werden, die in der Woche vor Palmarum und in der dritten Advents-woche gehalten werden. Die Altarleute sollen für jedes Begängnis dem Pfarrer, den Schülern zur Messe, und für das Aufstecken der Kerzen zehn neue Groschen zahlen. (PATZE, Altenburger UB II, 2, S. 44–46.) Nr. 9. 2. April 1440 Der Altenburger Rat bestätigt, dass ein ungenannter Wohltäter für seine Seele vom Rat für drei Schock neue Groschen und 20 Groschen für das Hospital eine halbe Tonne Schankbier und ein halbes Fuder „Konvent“ (Getreide) gekauft hat. Das Bier wird an die Hospitalinsassen zur Hälfte zu Pfingsten und zur Hälfte zu Mariae Würzweihe (15. August) verteilt, das Getreide, wenn die Ernte ein-gebracht wird. (PATZE, Altenburger UB II, 2, S. 47 f.) Nr. 10. 24. August 1442 Die Altarleute der Bartholomäuskirche Mertin Schkolen und Hans Sporner bestätigen die Stiftung des Hans Hund zu Kossow und seiner Familie. Die Stif-tung umfasst ein Kapital von 21 Schock Groschen, das die Altarleute erhalten haben. Davon wird eine jährliche Rente von eineinhalb Schock Groschen zum Seelgerät, „alz man andere hern und fromen lute in der gnanten kirchen begehit“, bestimmt, nämlich mit Läuten und Lichtaufstecken, dazu jährlich ein Seelbad, eine Kornspende von zwei Scheffeln sowie für den Pfarrer vier Groschen, „daz her vor dy selen bittet“. (HASE, Zur Geschichte der Bartholomäikirche, Nr. 12, S. 247 f.) Nr. 11. 25. Nov. 1455 Der Guardian des Franziskanerkonvents von Altenburg bekennt, dass ihm Johannes Meltzer, Pfarrer in Breitenborn, zehn Schock neue Groschen für den Bau des Kloster gezahlt hat. Dafür sagt der Konvent zu, täglich vor der Hoch-messe die Antiphon „Alma redemptoris mater“ als Seelgerät für den Stifter zu singen. Ferner sollen nach seinem Tod vier Wochen die Seelmessen und Vigilien für ihn wie üblich gehalten werden; sein Name wird in den Totenbrief des Klosters geschrieben, und im Kloster werden für ihn die quatuor tempores gehalten wie für die Mitglieder des Konvents. Weil das Kloster in der Stadt Altenburg liegt, wird der Rat zum Wächter über die Leistungen des Seelgeräts bestimmt. (PATZE, Altenburger UB II, 2, S. 117–119.)

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Nr. 12. 25. Juni 1457 Andreas Gruner, Domherr des Georgenstiftes, stiftet eine Dompredigerstelle am Georgenstift. Dafür kauft er von einem Kapital von 850 Rheinischen Gulden jährliche Renten von 20 Schock Groschen, die Gruner auf Lebenszeit erhält. Nach seinem Tod soll der Domherr Urban Munczke bis zu dessen Tod davon zehn Schock jährlich erhalten. Nach Gruners Tod soll ein Prediger „gleich eyme anderen vicaryen“ angestellt werden, „der sal alle große veste suntage und süst heilige tage wenne dy gefallen [...] als sich das gebürt predigen und das volg vließig das beste underwyßen und lernen“, und wöchentlich vier Messen lesen. Nach dem Tod von Urban Munczke soll die Predigerstelle mit der gesamten Rente von 20 Schock Groschen ausgestattet werden. (PATZE, Altenburger UB II, 2, S. 127–133.) Nr. 13. 3. November 1463 Liborius Winkler aus Rochlitz verkauft dem Altenburger Rat 80 alte Schock Groschen. Dafür erhalten die Siechen im Spital vor dem Johannestor jeden Freitag weißes Brot für vier alte Groschen und Messwein. (PATZE, Altenburger UB II, 2, S. S. 181–184.) Nr. 14. 13. Dezember 1463 Hans Supan verkauft dem Altenburger Rat 22 Schock gute Groschen für einen jährlichen Zins von einem Schock Groschen. Dieser Zins soll den armen Leuten im Spital vor dem Johannestor zu Gute kommen, indem zu den vier Terminen Weihnachten, Ostern, Pfingsten und am Sonntag nach Peter und Paul je 15 Groschen an sie ausgezahlt werden. (PATZE, Altenburger UB II, 2, S. 185–187.) Nr. 15. 4. April 1464 Anna und Heinrich von Wildenfels übergeben dem Maria-Magdalenen-Kloster jährliche Zinse von 25 Groschen. Dafür sollen am Tag nach St. Andreas (30. November) 20 Groschen gleichmäßig unter die Schwestern und fünf Groschen an den Priester verteilt werden, damit am Abend dieses Tages die Vigil und am folgenden Tag die Seelmesse für die Stifter und deren Eltern gefeiert wird. (PATZE, Altenburger UB II, 2, S. 188–190.) Nr. 16. 3. Februar 1465 Andreas Gruner, Domherr des Georgenstiftes, stiftet eine Predigerstelle in der Altenburger Bartholomäuskirche, die mit einem jährlichen Zins von acht Schock neuer Groschen ausgestattet wird. Die Anstellung des Predigers erfolgt durch den Propst des Bergeklosters, während der Altenburger Rat den jährlichen Zins verwaltet. (HASE, Zur Geschichte der Bartholomäikirche, Nr. 19, S. 259 f.)

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Vgl. dazu: 12. März 1465: Bekenntnis des Altenburger Rates über den Kauf eines jährlichen Zinses von acht Schock Groschen aus einem Kapital von 160 Schock Groschen durch Andreas Gruner. (Ebd., Nr. 18, S. 257–259.) Nr. 17. 3. Februar 1466 Die Vikare des Georgenstifts kaufen beim Altenburger Rat jährlich Zinsen von 30 Schock Schildgroschen. Dafür sollen die Siechen im Spital vor dem Johannes-tor jährlich 40 Ellen graues Tuch für ihre Kleidung erhalten. (PATZE, Altenburger UB II, 2, S. 205–208.) Nr. 18. 5. April 1478 Der Propst Laurentius Untervogt und der Konvent des Bergeklosters regeln nach Absprache mit dem Altenburger Rat, den Bürgermeistern und Ratmannen sowie mit den Altarleuten der Bartholomäuskirche die Einführung des täglichen Singens des „Salve Regina“ am Abend nach der Vesper. Singen darf nur der Schulmeister des Bergeklosters mit seinen Schülern. Nach dem „Salve Regina“ soll jeweils ein liturgisch passendes Responsorium mit Antiphon gesungen wer-den, was im Detail geregelt wird. Die Altarleute der Bartholomäuskirche geben dem Schulmeister jährlich siebeneinhalb alte Schock Groschen in zwei Raten zu Ostern und zu Michaelis, dem Pfarrer für das Singen und das Lesen der Kollekte jährlich 55 Groschen, dem Kirchner, der täglich dazu läutet, ebenfalls jährlich 55 Groschen. (PATZE, Altenburger UB II, 2, S. 294–299.) Nr. 19. 13. Mai 1478 Der Naumburger Bischof Heinrich II. von Stammer bestätigt die Altenburger Rosenkranzbruderschaft und verleiht einen Ablass. Die Bruderschaft wurde nach dem Vorbild der Kölner Gründung von Herzogin Margarethe initiiert. Zu den Aufgaben der Bruderschaft gehört die Pflege des „Salve Regina“-Gesangs. Zu diesem Zweck soll in der Bartholomäuskirche auch ein Marienbild aufgestellt werden. Allen Christen wird unter den üblichen Bedingungen für die Anwesen-heit beim Gesang des „Salve Regina“ und für das Gebet vor dem genannten Marienbild ein Ablass von 40 Tagen gewährt, der „quotiens-totiens“ gilt. (HASE, Zur Geschichte der Bartholomäikirche, Nr. 20, S. 260–264.) Nr. 20. 18. Februar 1481 Der Pfarrer Simon Han von Löda kauft vom Altenburger Rat für 45 Rheinische Gulden einen jährlichen Zins von 41 Groschen für sein Seelgerät. Dafür sollen am Sonntag Exaudi eine Vigil mit neun Lektionen und am folgenden Montag fünf Seelmessen von fünf Priestern gehalten werden. Zweieinhalb Groschen sollen armen Leuten nach der Stillmesse gereicht werden. Der Pfarrer erhält für die Vigil fünf Groschen, die fünf Priester für die Seelmessen insgesamt zehn Groschen, die Chorschülern 1½ Groschen, der Kirchner vier Groschen, weil er

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die Bahre eindecken soll mit Kelch und Lichtern, wie es bei dem Begängnis eines Geistlichen üblich ist. Das restliche Geld erhält der Pfarrer für sein allwöchent-liches Gebet am Sonntag für den Stifter. (PATZE, Altenburger UB II, 2, S. 309–314.) Nr. 21. 17. Mai 1481 Der Prior Heinrich Knobloch, der Kustos Peter Krewdenitz, der Sangmeister Caspar Teckeweitz und der Konvent des Bergekloster gestatten dem Rat von Altenburg die Errichtung eines Altars in der Bartholomäuskirche, welcher der Rosenkranzbruderschaft und der Schützenbruderschaft dienen soll. Die finan-zielle Ausstattung stammt aus einer Stiftung „etzliche[r] innige[r] Menschen“. Der Rat besetzt dieses Altarlehen. (HASE, Zur Geschichte der Bartholomäikir-che, Nr. 22, S. 266–269.) Vgl. dazu: 3. April 1482: Konsens des Propstes Laurentius Untervogt zur Er-richtung des genannten Altares. (Ebd., Nr. 23, S. 269 f.) Vgl. auch: 16. April 1482: Der Naumburger Bischof Dietrich IV. von Schönberg bestätigt die Stiftung des genannten Altars. (Ebd., Nr. 24, S. 270–273.) Vgl. auch: 23. August 1482: Kurfürstin Margaretha von Österreich bestätigt die Stiftung des genannten Altars. (Ebd., Nr. 25, S. 273 f.) Nr. 22. 2. September 1482 Der Propst Laurentius Untervogt und der Konvent des Bergeklosters genehmi-gen und beurkunden auf Bitten der Vorsteher der Rosenkranzbruderschaft, der Altarleute der Bartholomäuskirche und von Conrad Triller, des Geleitsmanns von Altenburg, die Stiftung eines ungenannten Mitglieds („ein gut mensche“) der Bruderschaft. Der jährlich Zins von zwei Schock Groschen soll für die Einrichtung einer bereits üblichen Prozession am Sontag nach der Vigil durch die Rosenkranzbruderschaft um den Kirchhof und einer an jedem Montag zu haltenden Seelmesse zugunsten der Familie des Stifters, der Verstorbenen aus der Bruderschaft und „allenn christglaubigenn vergessen zelenn“ verwendet werden. (HASE, Zur Geschichte der Bartholomäikirche, Nr. 26, S. 275–278.) Vgl. dazu: 3. Sept. 1483: Der Naumburger Bischof Dietrich IV. von Schönberg bestätigt die Bestimmungen der genannten Urkunde und erteilt für die Teil-nahme an der Prozession einen Ablass. (Ebd., Nr. 27, S. 278 f.) Nr. 23. 17. Dezember 1482 Conrad Triller, Geleitsmann in Altenburg, bestätigt die Bestimmungen der Gemeinde Niederpauwertitz vor Altenburg über zwei Kerzen, die die Gemeinde zur Mehrung des Gottesdienstes unterhalten will. (PATZE, Altenburger UB II, 2, S. 341–344.)

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Nr. 24. vor dem 19. Dezember 1483 Der Propst Laurentius Untervogt und der Konvent des Bergeklosters genehmi-gen die Stiftung Conrad Trillers, des Geleitsmanns in Altenburg, damit das Sak-rament, das bisher in der Stille zu den Kranken getragen wurde, mehr geehrt wird, so dass künftig der Pfarrer der Bartholomäuskirche, der Kirchner, die Chorschüler und die Schüler das Sakrament mit Fahnen, Lichtern und Gesang begleiten sollen. Dafür hat der Stifter einen jährlichen Zins von einem Schock und 40 Groschen erworben, aus dem der Pfarrer, der Kirchner, die Chorschüler und die Schüler jährlich jeweils 20 Groschen erhalten. Die übrigen 20 Groschen sind für den Kauf von Wachs bestimmt. (HASE, Zur Geschichte der Bartholomäi-kirche, Nr. 28, S. 279–281.) Vgl. dazu: 19. Dez. 1483: Der Naumburger Bischof Dietrich IV. von Schönberg erteilt allen, die dem Sakrament beim Versehgang folgen, 40 Tage Ablass. (Ebd., Nr. 29, S. 282.) Nr. 25. 16. Mai 1485 Die Altenburger Bürgerin Apollonia, Witwe des Peter Schneider, stiftet für ihr und ihrer Familie Seelenheil eine wöchentlich montags am Altar der Ratskapelle zu haltende Messe, die mit einem jährlichen Zins von einem Schock Groschen aus-gestattet wird, die der Rat verwaltet. (WAGNER, Die Kapelle des Rathauses, S. 197.) Nr. 26. 4. Juli 1486 Die Altarleute und Kirchväter der Bartholomäuskirche beurkunden die Seel-gerätstiftung der Brüder Jakob und Simon Wigener. Die Brüder haben den Altar-leuten das Kapital von 132 Rheinischen Gulden für einen jährlichen Zins von zwei Schock und 12 Groschen übergeben. Davon soll ein Schock Groschen am Dienstag nach der Kirchweihe an arme Leute gespendet werden. Am selben Tag soll ein Seelbad für 28 Groschen bezahlt werden. Am Montag nach der Kirchweihe sollen Vigilien gehalten und am folgenden Dienstag acht Seelmessen gefeiert werden. Für die anschließende Hochmesse vom Leiden Christi erhält der Pfarrer sechs, der Kirchner drei und der „Coralis“ zwei Groschen. (HASE, Zur Geschichte der Bartholomäikirche, Nr. 30, S. 283–285.) Nr. 27. 17. Oktober 1487 Der Naumburger Bischof Dietrich IV. von Schönberg bestätigt eine Stiftung Conrad Trillers zur feierlichen Begehung der vier Marienfeste Empfängnis, Visi-tatio, Himmelfahrt und Geburt Mariae in der Bartholomäuskirche in Altenburg, die er mit Konsens von Propst und Konvent des Bergeklosters errichtet hat. Dir Stiftung umfasst einen jährlichen Zins von einem Schock und 30 neuen Groschen. Ferner erteilt der Bischof allen Gläubigen unter den üblichen Be-dingungen bei der Teilnahme an den Feiern 40 Tage Ablass. (HASE, Zur Ge-schichte der Bartholomäikirche, Nr. 31, S. 285–288.)

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Nr. 28. 20. Januar 1489 Der Propst Laurentius Untervogt und der Konvent des Bergeklosters erklären ihren Konsens zur Stiftung einer Messe zum Leiden Christi am Kreuzaltar in der Bartholomäuskirche durch Conrad Triller. Für die Feier dieser Messe wurde von einem Kapital von 100 Rheinischen Gulden ein jährlicher Zins von einem Schock und 40 Groschen erworben, wovon die Ausgaben für den Propst und Konvent des Bergeklosters, einen Chorschüler und den Kirchner der Bartholo-mäuskirche sowie die Kosten für Wachs jährlich an Martini gezahlt werden sollen. (HASE, Zur Geschichte der Bartholomäikirche, Nr. 32, S. 288–290.) Vgl. dazu: 9. Januar 1489: Der Naumburger Bischof Dietrich IV. von Schönberg bestätigt die vorgenannte Stiftung und verleiht allen Teilnehmern, die zur Zeit der Messe die Kirche besuchen und drei Ave Maria, drei Vaterunser und ein Glaubensbekenntnis sprechen, unter den üblichen Bedingungen einen Ablass von 40 Tagen. (Ebd., Nr. 33, S. 291–293.) Nr. 29. 27. Juli 1495 Conrad Triller schenkt dem Altar der Rosenkranzbruderschaft in der Bartholo-mäuskirche einen jährlichen Zins von zwei Rheinischen Gulden. (HASE, Zur Geschichte der Bartholomäikirche, Nr. 38, S. 303 f.) Nr. 30. 17. Oktober 1496 Der Propst Laurentius Untervogt und der Konvent des Bergeklosters erklären ihren Konsens zur Stiftung des Wolfgangsaltars in der Bartholomäuskirche durch Conrad Triller. Das Patronat des Altars liegt bei dem Stifter und seinen Söhnen und soll nach ihrem Tod an den Altenburger Rat fallen. Die Pfründe soll nur an ein Stadtkind vergeben werden. Dieses ist verpflichtet, wöchentlich zwei Messen am Wolfgangsaltar zu lesen. (HASE, Zur Geschichte der Bartho-lomäikirche, Nr. 39, S. 304 f.) Vgl. dazu: 17. Oktober 1496: Der Naumburger Bischof Johann III. von Schön-berg bestätigt die genannte Stiftung. (Ebd., Nr. 40, S. 306–309.) Nr. 31. 7. März 1498 Der Propst Laurentius Untervogt und der Konvent des Bergeklosters erklären ihren Konsens zur Stiftung des Annenaltars in der Nikolaikirche auf Bitten des Altenburger Rates. Der Stifter ist der alte Stadtschreiber Bartholomeus Boley, dessen Stiftung „zcu geistlicher spryße und erqwickung aller gleubigen selen“ dienen soll. (PATZE, Altenburger UB II, 2, S. 494–498; zur Stiftung vgl. auch MEISTER, Religiöses Engagement, S. 77.) Vgl. dazu: 14. April 1498: Der Naumburger Bischof Johann III. von Schönberg bestätigt die genannte Stiftung. (Ebd., S. 499–503.)

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Nr. 32. 16. Oktober 1500 Der Propst Laurentius Untervogt und der Konvent des Bergeklosters erklären ihren Konsens zur Stiftung des Annenaltars in der Bartholomäuskirche, worum der Altenburger Rat im Namen einer Reihe von Stiftern, darunter auch eines ungenannten Geistlichen, nachsucht. (HASE, Zur Geschichte der Bartholomäi-kirche, Nr. 41, S. 309–312.) Nr. 33. 2. Mai 1502 Der Altenburger Bürgermeister Conrad Triller und der Rat bezeugen, dass Johann Leutold, Pfarrer von Bornsau, für 100 Rheinische Gulden einen jährlichen Zins von zwei Schock Groschen erworben hat, der nach seinem Tod dem Annenaltar in der Bartholomäuskirche mit der Verpflichtung, dort an jedem Montag eine Messe für sein Seelenheil zu lesen, zu Gute kommen soll. (HASE, Zur Geschichte der Bartholomäikirche, Nr. 42, S. 312 f.) Nr. 34. 11. Februar 1505 Der Altenburger Bürgermeister Martin Sparbrot und der Rat bezeugen, dass die Witwe Gertrud Liboria Wilkerin ein Kapital von 60 Gulden und die Miete ihres Hauses am Alten Markt zur Einrichtung einer ewigen Messe am Annenaltar in der Bartholomäuskirche bestimmt hat und regelt die Modalitäten der Zahlungen. (HASE, Zur Geschichte der Bartholomäikirche, Nr. 43, S. 313–315.) Nr. 35. 13. Juli 1506 Der Naumburger Bischof Johann III. von Schönberg bestätigt die Stiftung eines den Hll. Sebastian und Fabian geweihten Altars in der Bartholomäuskirche durch die Schützenbruderschaft. (HASE, Zur Geschichte der Bartholomäikirche, Nr. 44, S. 315–319.) Nr. 36. 4. April 1510 Der Naumburger Bischof Johann III. von Schönberg bestätigt (nochmals) die Stiftung des Annenaltars in der Altenburger Bartholomäuskirche. (HASE, Zur Geschichte der Bartholomäikirche, Nr. 45, S. 319–323.) Nr. 37. 29. August 1513 Die Kirchväter der Bartholomäuskirche in Altenburg bezeugen, dass ihnen Elisabeth, die Witwe des Andreas Naumann, 22 Gulden übergeben hat. Dafür soll jährlich am Tag nach Mariae Himmelfahrt eine Singmesse „zur seligkeit“ ihrer Freundschaft, ihrer Eltern und ihres Ehemanns gefeiert werden. (HASE, Zur Geschichte der Bartholomäikirche, Nr. 46, S. 324 f.)

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