Universität Stuttgart // Institut für Linguistik // Wissenschaftliche Arbeit zur Erlangung des akademischen Grades Master of Arts im Studiengang Linguistik Betreuer: Prof. Dr. Jürgen Pafel // Abgabetermin: 11. August 2015
Universität Stuttgart // Institut für Linguistik // Wissenschaftliche Arbeit zur Erlangung des
akademischen Grades Master of Arts im Studiengang Linguistik
Betreuer: Prof. Dr. Jürgen Pafel // Abgabetermin: 11. August 2015
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Inhaltsverzeichnis
1 Einführung ...................................................................................................... 4
2 Universalgrammatik ........................................................................................ 5
2.1 Einführung ................................................................................................ 5
2.2 Prinzipien und Parameter als universelle Grundlage von Sprache ........... 7
2.3 Die heftige Debatte um Universalien ..................................................... 13
2.4 Innateness Hypothesis und Spracherwerb .............................................. 15
2.5 Zusammenfassung .................................................................................. 19
2.6 Kritik und alternative Erklärungen ......................................................... 20
2.6.1 Sprachübergreifende Kategorien existieren nicht ........................... 20
2.6.2 Genetik ist wenig erforscht ............................................................. 21
2.6.3 Ähnlichkeit von Sprachen und Sprachevolution ............................. 22
2.6.4 Falsifizierung ist nicht möglich ....................................................... 26
3 Sprachlicher Relativismus ............................................................................. 26
3.1 Einführung .............................................................................................. 26
3.2 Kognitive und sprachliche Unterschiede ................................................ 29
3.2.1 Kognitive Unterschiede ................................................................... 29
3.2.2 Sprachliche Unterschiede ................................................................ 33
3.3 Der Einfluss von Sprache auf die Konzeptualisierung des Raums ........ 34
4 Vereinbarkeit ................................................................................................. 39
5 Fazit ............................................................................................................... 41
Literaturverzeichnis............................................................................................... 42
Anhang .................................................................................................................. 46
4
Language acquisition seems much like the growth of organs generally;
it is something that happens to a child, not that the child does.
- Noam Chomsky
Chaque langue voit le monde d’une manière différente.
- Federico Fellini
1 Einführung
Beeinflusst Sprache das Denken? Ist die menschliche Sprachfähigkeit angeboren?
Was haben diese beiden Fragen miteinander zu tun? Im Prinzip recht wenig. Den-
noch treffen hier zwei Ansichten von Sprachen aufeinander, deren Entwicklungen
durch gegenseitige Missverständnisse und Fehlinterpretationen geprägt waren: der
sprachliche Relativismus, der einen Einfluss der Sprache auf das Denken propagiert
und der Nativismus – im Speziellen die Idee einer Universalgrammatik – der von
einer angeborenen Sprachfähigkeit des Menschen ausgeht.
Nach dem Durchbruch von Chomskys Generativer Grammatik war die Forschung
zum sprachlichen Relativismus bis zum Beginn der 1990er Jahre eher in den Hin-
tergrund gerückt (Everett, C. 2013: 20f.). Die Idee einer Tiefenstruktur und einer
zugrunde liegenden Universalgrammatik ließen die Unterschiedlichkeit von Spra-
chen nicht mehr relevant erscheinen. Einen kurzzeitigen Höhepunkt (Jackendoff
2002: 72) erreichte diese „Gleichschaltung“ als Ross (1970: 260) die Universal
Base Hypothesis formulierte: „The deep structures of all languages are identical, up
to the ordering of constituents immediately dominated by the same node.“ Die an-
genommene Homogenität führte oft dazu, dass sich Linguisten nur mit indoeuropä-
ischen Sprachen beschäftigten oder bei der Beschreibung anderer Sprachfamilien
deren Grammatiken zugrunde legten. Sprachunterschiede, eine Voraussetzung für
sprachliche Relativität, rückten damit in den Hintergrund. Auch Li & Gleitman
(2002: 266) bringen den vermeintlich sinkenden Einfluss von Whorfs Ideen im
Laufe der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit „the universalist position of
Chomskian linguistics, with its potential for explaining the striking similarity of
language learning in children all over the world“ in Verbindung.
5
Im Folgenden sollen beide Ansätze vorgestellt und damit gezeigt werden, dass sie
sich weder ausschließen noch in irgendeiner Konkurrenz zueinander stehen. Viel-
mehr treffen sie Aussagen über verschiedene Bereiche der menschlichen Kognition,
die unser Gesamtbild von Sprache vervollständigen.
Zum Schluss noch ein paar Hinweise: 1) Da ich nichts gefunden habe, das darauf
hinweist, dass es sich bei sprachlichem Relativismus und sprachlicher Relativität
um zwei unterschiedliche Dinge handelt, verwende ich die Begriffe völlig beliebig,
einfach der sprachlichen Abwechslung wegen. 2) Da es immer wieder heißt,
Chomsky würde missverstanden werden, verwende ich im Rahmen dieser Arbeit
soweit möglich immer wörtliche Zitate, wenn ich auf ihn Bezug nehme. 3) Ich habe
zwei wichtige Artikel bewusst nicht in diese Arbeit einbezogen. Das sind zum einen
Hauser, Chomsky & Fitsch (2002), die ein neues Konzept der menschlichen
Sprachfähigkeit entwickeln, und außerdem Evans & Levinson (2009), die versu-
chen sprachliche Universalien (inkl. UG) als Mythos zu entlarven. Beide Beiträge
sind hoch kontrovers und haben eine Masse an Artikeln und Gegenartikeln nach
sich gezogen, ohne deren Berücksichtigung eine Diskussion nicht angemessen
wäre. Dies ist hier jedoch aus Platzmangel leider nicht möglich.
2 Universalgrammatik
2.1 Einführung
Die Idee einer allen Sprachen zugrundeliegenden, angeborenen Universalgramma-
tik (UG) beherrscht seit den 1960er Jahren den linguistischen Diskurs. Sie entstand
jedoch nicht aus dem Nichts, denn die Annahme, dass gewisse „Ideen“ oder Prin-
zipien angeboren sind, wird schon seit Jahrhunderten diskutiert und geht zurück auf
Philosophen und Gelehrte wie Descartes, Lord Herbert, Arnauld, Cudworth, Leib-
niz und Wilhelm von Humboldt (Chomsky 1965: 48-52). Für Chomsky und seine
Anhänger basieren alle natürlichen Sprachen auf festen, universellen Prinzipien, die
nicht verletzt werden können. Unterschiede zwischen den Sprachen ergeben sich
durch im Rahmen dieser Prinzipien veränderbare Parameter (Cook & Newson
2007: 8f.). Damit wird vom Grundsatz abgerückt, dass sprachliches Wissen regel-
basiert sei:
6
A language is not, then, a system of rules, but a set of specifications for parameters in an
invariant system of principles of Universal Grammar (UG); and traditional grammatical con-
structions are perhaps best regarded as taxonomic epiphenomena, collections of structures
with properties resulting from the interaction of fixed principles with parameters set one or
another way. (Chomsky 1991: 417)
Regeln und grammatische Konstruktionen wie Passiv oder Relativsatz werden nur
als Nebenprodukt im Zusammenspiel von Prinzipien und Parametern (P&P) be-
trachtet, sie sind einfach ein Label für beobachtete Regelmäßigkeiten, existieren in
Wirklichkeit aber nicht in der UG (Cook & Newson 2007: 9).
Zusammen mit dem Lexikon bildet die Universalgrammatik das Computational
System, das nach der derzeit aktuellsten Lehre Chomskys, dem Minimalist Pro-
gram, in ein Grammatikmodell mit Interfaces zum motorischen und konzeptuellen
System eingebettet ist (Abb. 1)1. Die Logische Form dient dabei als syntaktische
Repräsentationsebene, die semantisch interpretiert wird (beispielsweise bei Ambi-
guitäten in der Oberflächenstruktur, siehe dazu auch Varsami (2015)2), während die
Phonologische Form die generierte Sprache den Äußerungsorganen (Zunge,
Stimmbänder, Hände, etc.) so zur Verfügung stellt, dass sie diese verarbeiten, also
äußern können.
Abb. 1: Grammatikmodell im Minimalist Program. PF = Phonetische Form, LF = Logische
Form (Cook & Newson 2007: 9).
Die ganze Forschung rund um die Universalgrammatik und die Sprachfähigkeit des
Menschen dreht sich im Großen und Ganzen darum, folgende grundlegenden Fra-
gen zu beantworten (Chomsky & Lasnik 1993: 508):
1. Was macht Sprachwissen („knowledge of language“) aus?
2. Wie wird dieses Wissen erworben?
1 Hierbei sei erwähnt, dass es auch Linguisten gibt, die von anderen Grammatikmodellen ausge-
hen, und ebenso die Existenz einer Universalgrammatik annehmen, z.B. Jackendoff (2002), Ja-
ckendoff (2011) und Culicover & Jackendoff (2005) mit ihrer „Simpler Syntax“ im Rahmen einer
Parallelen Architektur. 2 Herunterladbar unter http://uni-stuttgart.academia.edu/JohnyVarsami
Extern (E)
Sensomotorisches
System
Intern (I)
Konzeptuelles
System
Lexikon + UG-Prinzipien
PF LF Computational
System
7
3. Wie wird dieses Wissen angewendet?
4. Wie ist die menschliche Sprachfähigkeit („faculty of language“) entstanden?
5. Wie sind die Mechanismen, die sie ermöglichen, physisch beschaffen?
2.2 Prinzipien und Parameter als universelle Grundlage von Sprache
Der Zweck der UG ist, die unendliche Menge der potentiell möglichen Sprachen
auf die Menge aller menschlichen Sprachen zu beschränken. Dies geschieht durch
Prinzipien und Parameter, die einen universell gültigen Rahmen für die potentiell
möglichen natürlichen Sprachen abstecken: „UG is a collection of restrictions on
core grammar.“ (Cook & Newson 2007: 206). Im Theorierahmen der UG sind
sprachliche Universalien keine Phänomene, die unbedingt in allen Sprachen vor-
kommen müssen, sondern, um es etwas plastischer auszudrücken, eine Art Werk-
zeugkasten. Nicht jede Sprache muss von jedem Werkzeug Gebrauch machen:
„When you have a toolkit, you are not obliged to use every tool for every job. Thus
we might expect that not every grammatical mechanism provided by Universal
Grammar appears in every language.“ (Jackendoff 2002: 75) und „the inventory is
universal in the sense that it is rich enough to allow for the universe of languages,
not that each language exploits every possibility“ (Smith 1999: 44). Universalgram-
matik ist also nicht etwas, das alle Sprachen gemeinsam haben, sondern das sie
nutzen können, ohne, wenn sie es nicht nutzen, in irgendeiner Weise dagegen zu
verstoßen. So ist beispielsweise die Bildung von Wh-Fragen durch Bewegung ein
auf bestimmten Prinzipien basierender Parameter, der in manchen Sprachen wie
Englisch gesetzt ist und in anderen wie Japanisch nicht. Während im Englischen
(1) das Fragewort an den Anfang des Satzes bewegt wird, um aus einem Deklara-
tivsatz einen Fragesatz zu bilden, nimmt es im Japanischen (2) direkt die Position
dessen ein, wonach gefragt wird (doko statt soko).
(1) a. Johny knows Fritz.
b. Who1 does Johny know t1?
(2) a. Niwa-wa soko desu. b. Niwa-wa doko desu ka.
Garten dort ist Garten wo ist Q
‘Der Garten ist dort.ʼ ‘Wo ist der Garten?ʼ
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Nur weil einige Sprachen keinen Gebrauch von Bewegung machen, bedeutet das
jedoch nicht, dass die zugrunde liegenden Prinzipien nicht universell sind. Sie kön-
nen zwar abwesend sein, aber nie verletzt werden (Cook & Newson 2007: 20f.).
Eines dieser Prinzipien ist z.B. das Lokalitätsprinzip. Es setzt Beschränkungen, die
Bewegung über eine bestimmte Grenze hinaus nicht erlauben. So wird in (3) das
Auxiliar will an den Satzanfang bewegt, um aus einem Deklarativsatz einen Frage-
satz zu bilden. Hat der Satz jedoch zwei Auxiliare, kann nur das am nächsten lie-
gende bewegt werden (4b), Bewegungen über größere Distanzen wie in (4c) von
have sind dann ungrammatisch (Cook & Newson 2007: 37).
(3) a. The manager will fire Miriam.
b. Will1 the manager t1 fire Miriam?
(4) a. The manager will have fired Miriam.
b. Will1 the manager t1 have fired Miriam?
c. *Have1 the manager will t1 fired Miriam?
Ähnliches gilt im Deutschen und Französischen. Während im Präsens bei der Bil-
dung von Fragesätzen das Verb an den Satzanfang bewegt wird ((5b)+(7b)), ge-
schieht dies im Perfekt (6b) bzw. Passé composé (8b) mit dem Hilfsverb, denn hier
ist die Distanz am kürzesten. Wird das Verb bewegt, entstehen ungrammatische
Sätze ((6c)+(8c)) (Cook & Newson 2007: 39).
(5) a. Pablo liest das Buch.
b. Liest1 Pablo t1 das Buch?
(6) a. Pablo hat das Buch gelesen.
b. Hat1 Pablo t1 das Buch gelesen?
c. *Gelesen1 Pablo hat das Buch t1?
(7) a. Lucas lit le livre.
Lucas liest ART Buch
ʻLucas liest das Buch.ʼ
b. Lit1-il t1 le livre?
Liest-er ART Buch
ʻLiest er das Buch?ʼ
(8) a. Lucas a lu le livre.
Lucas hat gelesen ART Buch
ʻLucas hat das Buch gelesen.ʼ
b. A1-t-il t1 lu le livre?
Hat-t-er gelesen ART Buch
ʻHat er das Buch gelesen?ʼ
c. *Lu1-t-il a t1 le livre?
Lokalitätsbeschränkungen zeigen sich auch bei der Wh-Bewegung. So kann ein
Fragewort an den Anfang desselben Satz bewegt werden (9b), jedoch nicht an den
Anfang eines höheren Satzes (10b) (Cook & Newson 2007: 38).
9
(9) a. The manager fired Fritz.
b. Who1 did the manager fire t1?
(10) a. Paula asked [who1 the manager fired t1].
b. *Who2 did Paula ask [who1 t2 fired t1]?
Auch in anderen Sprachen wie Ungarisch ist Wh-Bewegung beschränkt. Während
das Fragewort bei einfachen Sätzen vor das Verb bewegt wird (11b), kann es Rela-
tivsätze nicht verlassen, ohne dass der gesamte Satz ungrammatisch wird (12b)
(Cook & Newson 2007: 40).
(11) a. János találkozott Rékával.
John traf Réka-mit
ʻJohn traf Réka.ʼ
b. János kivel1 találkozott t1?
John wh-mit traf
ʻWen traf John?ʼ
(12) a. János találkozott az emberrel [aki látta Rékát].
John traf ART Mann-mit der sah Réka
ʻJohn traf den Mann, der Réka sah.ʼ
b. *János kit1 találkozott az emberrel [aki látta t1]?
John wen traf ART Mann-mit der sah
*ʻWen traf John den Mann, der sah?ʼ
Doch das Lokalitätsprinzip gilt nicht nur bei Bewegung, sondern beispielsweise
auch bei Referenz von Reflexivpronomen. So kann in (13) nur Ilya als Antezedens
von himself fungieren. Im französischen Beispiel (14) kann se nur auf Lucas refe-
rieren und im Arabischen (15) nafsahu nur auf Zaid aber nicht auf Ahmad (Cook
& Newson 2007: 39f.).
(13) The regent thinks [Ilya talks to himself].
(14) Fiona dit que Lucas se regarde dans la glace.
Fiona sagt dass Lucas sich anschaut in ART Spiegel
ʻFiona sagt, dass sich Lucas im Spiegel anschaut.ʼ
(15) Qala Ahmad ʼanna Zayd qatala nafsahu.
sagte Ahmad dass Zaid tötete sich
ʻAhmad sagte, dass sich Zaid selbst umgebracht hat.ʼ
10
Das Lokalitätsprinzip ist im Gegensatz zu einer Regel also nicht konstruktionsspe-
zifisch und wirkt sich auf verschiedene Phänomene in verschiedenen Sprachen aus:
„It doesn’t lead to the formation of any specific construction, but applies to many
constructions“ (Cook & Newson 2007: 39). Erst das komplexe Zusammenspiel
mehrerer allgemeiner Prinzipien führt zur Bildung von bestimmten Konstruktionen.
Vielleicht lässt sich dieses Konzept am ehesten mit dem Phänomen der in der Natur
in unterschiedlichsten Bereichen vorkommenden Fibonacci-Folge vergleichen.
Diese tritt beispielsweise in der Anordnung der Schuppen von Fichtenzapfen, der
Blütenstände von Sonnenblumen oder in der Ahnentafel von männlichen Honigbie-
nen zum Vorschein. Es gibt auch Lebewesen, die keinen Gebrauch davon machen,
so wie es auch Sprachen gibt, die bei der Wh-Bewegung nicht dem Lokalitätsprin-
zip unterliegen, weil sie eben wie das Japanische keine Wh-Bewegung haben. An-
dererseits wird es vermutlich keine Beschränkung geben, die es Lebewesen nicht
erlaubt, gegen die Fibonacci-Folge zu verstoßen. So findet man in der Natur diverse
Spiralen, die nicht der Goldenen Spirale entsprechen, beispielsweise beim Nautilus.
Schon Alan Turing (1952) hat erkannt, dass manchen biologischen Prozessen wie
der Morphogenese, also die Entwicklung der Form eines Lebewesens, mathemati-
sche Prinzipien zugrunde liegen. Diese bestimmen beispielsweise wie die Streifen
eines Zebras aussehen, bzw. in welchem Rahmen diese variieren können, so wie
die P&P einen Rahmen für die Grammatik einer Sprache vorgeben.
Parameter in der UG müssen nicht immer ein Ganz-oder-gar-nicht-Wesen haben,
wie das bei Bewegung der Fall ist. Sie können auch zwei unterschiedliche Struktu-
ren erzeugen. So legt der Kopfparameter fest, ob in einer Sprache der Kopf einer
Phrase links oder rechts von einem Komplement steht. Englisch ist nach dieser Lo-
gik eine kopfinitiale Sprache, in (16) stehen die Köpfe N, V und P auf der linken
Seite der Phrase, währen Japanisch kopffinal ist, in (17) steht V rechts in der VP
und P rechts in der PP und ist damit eine Postposition (Cook & Newson 2007: 42f.).
(16) a. [NP [N education] [PP for life]]
b. [VP [V opened] [DP the door]]
c. [PP [P in] [DP the car]]
(17) a. [S [NP E wa] [VP [PP [N kabe] [P ni]] [V kakatte imasu]]].
Bild Wand an hängt
ʻDas Bild hängt an der Wand.ʼ
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Problematisch ist jedoch Ungarisch, das nicht so ganz in dieses Schema passt. Es
hat zwar Postpositionen, ist in dieser Hinsicht also kopffinal, NP sind aber kopfini-
tial (Cook & Newson 2007: 44).
Ein einziger Parameter kann also schon immense Auswirkungen auf das Wesen und
die Verschiedenheit zweier Sprachen haben. Parameter sorgen für Sprachvielfalt.
Sie sind aber nicht unabhängig voneinander. Ist ein Parameter in eine bestimmte
Richtung gesetzt, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass andere Parameter auch in
eine bestimmte Richtung gesetzt sind. Somit lässt sich eine Klassifikation erstellen,
die Sprachen anhand ihrer Parameter einordnet. Baker (2001: 183) schlägt eine Pa-
rameter-Hierarchie vor, eine Art Periodensystem der Sprachen, wie er es nennt, die
jedoch erst mal nur als reiner Vorschlag zu sehen ist, nicht als universell gültiges
Schema (Abb. 2). Im Gegensatz zum echten Periodensystem der Elemente kann sie
nämlich (noch) nicht die Existenz von bisher unbekannten Parametern vorhersagen
(Baker 2001: 174). Die Parameter-Hierarchie kann jedoch Aussagen über noch
nicht entdeckte oder wenig erforschte Sprachen treffen, z.B. dass Sprachen, die
mehr als ein Verb in einer einzigen VP erlauben (Serial-Verb-Parameter), kopfini-
tial und nicht polysynthetisch sind. In Abb. 2 betrifft das Edo und Khmer.
Die Theorie der Universalgrammatik hat nicht den Anspruch, jedes sprachliche
Phänomen zu erklären, weswegen zwischen einem Kern und einer Peripherie un-
terschieden wird. Im Kern gelten die Prinzipien und Parameter und was mit der UG
nicht erklärt werden kann, ist Teil der Peripherie:
Suppose we distinguish core language [Hervorhebung im Original] from periphery
[Hervorhebung im Original], where a core language is a system determined by fixing values
for the parameters of UG, and the periphery is whatever is added on in the system actually
represented in the mind/brain of a speaker-hearer. (Chomsky 1986: 147)
Nach diesem Schema würden unregelmäßige Verben wie gone/went oder sein/war
der Peripherie zugerechnet. Im Laufe des Spracherwerbs werden sie auch erst rela-
tiv spät beherrscht (Cook & Newson 2007: 25). Dieser Unterscheidung wird vor
allem nochmal interessant, wenn man verschiedene genetisch verursachte Sprach-
12
Abb. 2: Parameter-Hierarchie (durchgezogene Rechtecke = Parameter, gestrichelte Recht-
ecke = Sprachen, Werte der Parameter stehen neben den Verbindungslinien). Darstellung
basierend auf Baker (2001: 183).
13
störungen betrachtet, die an dieser Trennlinie ansetzen. So ist bei Kindern mit Wil-
liams-Beuren-Syndrom die unregelmäßige Flexion gestört, während die regelmä-
ßige unbeeinträchtigt ist. Betroffene mit einer spezifischen Sprachentwicklungsstö-
rung („Specific Language Impairment“, SLI) hingegen zeigen Störungen bei der
regelmäßigen Flexion, haben mit der unregelmäßigen jedoch keine Probleme (Ja-
ckendoff 2002: 98).
2.3 Die heftige Debatte um Universalien
UG-Universalien, oft auch Chomsky-Universalien genannt, sind auch deutlich zu
unterscheiden von Greenberg-Universalien, wie z.B. Greenbergs (1963: 73) Uni-
versal 29: „Wenn eine Sprache Flexion aufweist, dann weist sie auch Derivation
auf“. Während Erstere theoriegeleitet sind, haben Zweitere eine datenbasierte
Grundlage, d.h. sie werden durch Untersuchung möglichst vieler Sprachen herge-
leitet und sind direkt beobachtbar. UG-Universalien hingegen können durch gründ-
liche Analyse einer einzigen Sprachen aufgestellt werden und werden so lange als
gültig angenommen, bis sie bei der Untersuchung anderer Sprachen falsifiziert wer-
den (Cook & Newson 2007: 23). Vertretern der UG-Hypothese wird jedoch häufig
vorgeworfen, sie würden Ihre Erkenntnisse vor allem aus der englischen Sprache
ziehen. Das geschieht oft mit zweifelhaften Mitteln, denn wenn es um so etwas
Grundsätzliches wie die Frage nach der wahren Natur unserer Sprache geht, artet
der wissenschaftliche Diskurs gerne zum Glaubenskrieg aus. Dann werden Zitate
einfach aus dem Zusammenhang gerissen, wie bei folgendem schon oft geschehen,
zuletzt in einem umstrittenen Blogbeitrag von Vyvyan Evans (2014), in dem er be-
hauptet, Chomsky würde die These vertreten, alle Sprachen seien im Grunde wie
Englisch und eine Analyse anderer Sprachen somit nicht notwendig, und der in sei-
ner vereinfachenden Art wohl eher darauf ausgelegt ist, Werbung für sein neues
Buch zu machen (das er im Übrigen in jedem Blogbeitrag ziemlich oft erwähnt):
I have not hesitated to propose a general principle of linguistic structure on the basis of ob-
servation of a single language. The inference is legitimate, on the assumption that humans
are not specifically adapted to learn one rather than another human language. (Chomsky
1980: 48)
Macht man sich jedoch die Mühe, den Originaltext herauszusuchen, wird klar, dass
nicht nur der Anfang des ersten Satzes „In the examples just reviewed, I have not
hesitated [...]“ weggelassen, sondern auch der nächste Abschnitt komplett ignoriert
14
wird: „To test such a conclusion, we will naturally want to investigate other lan-
guages in comparable detail. We may find that our inference is refuted by such
investigation.“ (Chomsky 1980: 48). Diese Argumentation findet sich auch in an-
deren Beiträgen Chomskys wieder:
Deep analysis of a single language may provide the most effective means for discovering
nontrivial properties of universal grammar. Of course, the argument is nondemonstrative and
is therefore open to refutation by broader inquiry into the same language or other languages.
(Chomsky 1976: 47)
The P&P approach largely emerged from intensive study of a range of languages[.]
(Chomsky 2007: 3)
Ob solche Vorwürfe, auch Strohmann-Argument genannt, mit Absicht verbreitet
werden oder manche nur sehen, was sie sehen wollen, sei dahingestellt. Wenn
Evans aber in weiteren Blogbeiträgen mit anderen, ebenso aus dem Zusammenhang
gerissenen Zitaten auf die Kritik antwortet, kommt man nicht umhin, sich ungläubig
die Augen zu reiben. Doch auch die Gegenseite scheint manchmal ihre gute Kin-
derstube zu vergessen:
It seems that Evans really has NO answers to our very cursory critique. It's all just pronounce-
ments from on high. It's junk. Serious junk given its potential influence, but junk nonetheless.
Take every opportunity to dump on it when drinking this holiday season with friends, neigh-
bors, casual acquaintances and people you are stuck with on the metro. Spread the word:
What Evans has to say about linguistics is garbage. It is wrong, unargued, misinformed and
very very confused. (Hornstein 2014)
Lässt man sich darauf ein, tiefer in die diversen Diskussionen einzutauchen, könnte
man den Eindruck gewinnen, dass derzeit ein zweiter Linguistic War in der Blo-
gosphäre tobt. Dass in Kommentarbereichen im Internet mitunter ein sehr rauer Ton
herrscht, ist allgemein bekannt, von einem Diskurs mit seriösen Wissenschaftlern
würde man das jedoch meistens nicht erwarten. Dabei stößt man auf Phänomene
wie Trolling und Derailing, die eher bei politischen Diskussionen üblich sind. Wer
sich selbst davon überzeugen will, dem empfiehlt sich als Einstieg die Lektüre der
Kommentare unter dem Facebook-Post3 von Evans zu besagtem Blogartikel. Doch
das zeigt ebenfalls, dass inzwischen viel vom wissenschaftlichen Diskurs auch au-
ßerhalb von Konferenzen stattfindet. Kopiert man alle Kommentare der genannten
3 https://www.facebook.com/vyv.evans/posts/545113908959149 (Anmeldung für Ansicht nicht
notwendig)
15
Facebook-Diskussion in ein Word-Dokument und formatiert sie wie die vorlie-
gende Arbeit, erhält man satte 52 Seiten. Namhafte Wissenschaftler diskutieren in-
zwischen sogar zunehmend in Kommentarbereichen von Zeitungsartikeln.
2.4 Innateness Hypothesis und Spracherwerb
Der umstrittenste Aspekt im Universalismus ist die Annahme, dass die UG ange-
boren sei. Diese rührt insbesondere daher, dass natürliche Sprache ein rein mensch-
liches Phänomen ist, nur in einem begrenzten Zeitfenster nach der Geburt auf mut-
tersprachlichem Niveau erworben werden kann („Critical Period“) und somit eine
biologische Ursache haben muss: „The study of language falls naturally within hu-
man biology“ (Chomsky 1975: 123). Chomsky sieht das menschliche Sprachver-
mögen bzw. die Sprachfähigkeit („language faculty“) als Modul im Gehirn an, das
unabhängig von anderen Bereichen wie dem visuellen oder motorischen System
agiert (Cook & Newson 2007: 46). Dort sind die Prinzipien der UG wie Lokalität
und Rekursion genetisch verankert: „A plausible assumption today is that the prin-
ciples of language are fixed and innate“ (Chomsky 2000: 122). Die UG ist somit
eine Theorie über den Initialzustand S0 der menschlichen Sprachfähigkeit
(Chomsky 2000: 73; Chomsky 2002: 64), während die erworbene Grammatik eine
Theorie über den Endzustand ist, also wenn der Spracherwerb abgeschlossen ist
(Chomsky & Lasnik 1993: 507). Dennoch ist umstritten, wie dieser Initialzustand
aussieht, ob die UG von Anfang an präsent ist oder erst im Laufe der Kindesent-
wicklung anwächst, wie das auch bei Zähnen der Fall ist (Cook & Newson 2007:
217f.).
Aufgrund der genetischen Bestimmung unterscheidet sich das Sprachmodul von
Mensch zu Mensch nur geringfügig: „This language organ, or ʻfaculty of languageʼ
as we may call it, is a common human possession, varying little across the species
as far as we know, apart from very serious pathology“ (Chomsky 2002: 47). Bei zu
großen Unterschieden würde sich die Frage stellen, ob noch gewährleistet wäre,
dass jeder Mensch jede natürliche Sprache als Muttersprache erwerben kann (hier
ist übrigens immer bewusst von „erwerben“ die Rede und nicht von „lernen“, denn
Spracherwerb ist laut Chomsky (2000: 7) nicht etwas, das ein Kind aktiv vollzieht,
sondern das „ihm passiert“). Gegner der Innateness Hypothesis führen manchmal
an, dass eine genetische Disposition der Sprachfähigkeit zur Folge hätte, dass alle
16
Sprachen der Welt sehr ähnlich wären. Das ist jedoch insofern nicht haltbar, da die
Parameter der UG eben doch eine große Diversität ermöglichen. Münzt man das
Argument aber auf den Spracherwerb um, ergibt sich eine Ähnlichkeit anderer Art,
nämlich die Tatsache, dass bei der Mehrheit der Kinder weltweit der Spracherwerb
trotz Intelligenzunterschieden weitgehend normal und ähnlich verläuft. Dies spricht
dafür, dass eine populationsübergreifend relativ konstante genetische Veranlagung
für ähnliche Startbedingungen sorgt. Für Culicover & Jackendoff (2005) ist sprach-
liche Vielfalt eine Folge eben dieser genetischen Veranlagung bzw. ihrer Unvoll-
kommenheit:
The reason there are lots of languages rather than a single Universal Language is that a human
language requires too much information to be carried on the genome. In particular, there are
too many words for them all to be innate. Or, seen from a different angle, for language to be
entirely innate would have required a far more extensive evolutionary process than humans
have undergone. Linguistic diversity is an inevitable consequence of the insufficiency of the
genome. (Culicover & Jackendoff 2005: 542)
Während des Spracherwerbs im Kleinkind- und Kindesalter spricht man auch vom
Language Aquisition Device (LAD). Dieses verarbeitet den sprachlichen Input, den
das Kind von der Außenwelt erhält, indem es mit Hilfe der Universalgrammatik
Hypothesen über die Struktur der Sprache aufstellt, testet und die entsprechenden
Parameter setzt. Sprachwissen („knowledge of language“) bedeutet somit, zu wis-
sen, wie die erworbene Sprache Gebrauch von der UG macht (Cook & Newson
2007: 205). Die Begründung dafür ist, dass der erhaltene Input verglichen zur im-
mensen Komplexität von Sprache mangelhaft ist und darum nicht ausreicht, den
Spracherwerb zu vollziehen: „The native speaker has acquired a grammar on the
basis of very restricted and degenerate evidence“ (Chomsky 2006: 24). Das können
ungrammatische Sätze oder eine vereinfachte, extra für das Kind gewählte Sprech-
weise der Eltern, sogenanntes „Motherese“, und das damit verbundene Fehlen von
seltenen oder komplexen Konstruktionen sein. Angesichts der Tatsache, dass ein
Kind Sprache trotz der vielen unterschiedlichen Eindrücke, die darauf einprasseln,
erwerben kann, wäre es für Chomsky ein Wunder, wenn keine UG existierte
(Chomsky 2012a). Das Lokalitätsprinzip oder Kasusfilterprinzip beispielsweise
kann aus dem erhaltenen sprachlichen Input nicht erschlossen werden, weswegen
man davon ausgeht, dass es schon im Gehirn des Kindes vorhanden sein muss
(Cook & Newson 2007: 56f.). Ansonsten müssten Eltern auch negative Beispiele
äußern, also solche die das Prinzip verletzten, damit das Kind vergleichen kann.
17
Dasselbe gilt für alle angenommenen Prinzipien und Parameter. Sie sind gleichzei-
tig auch immer eine Theorie für den Teil der Grammatik, der nicht durch Input
erworben wird, „[s]o all the technical apparatus of P&P Theory must ultimately be
integrated with the theory of language aquisition“ (Cook & Newson 2007: 55). Die
Annahme einer UG als Konsequenz von mangelhaftem Sprachinput wird als
Poverty-of-the-Stimulus-Argument bezeichnet. Spracherwerb ist ein Vorgang,
„where we end up knowing more than we have learned“ (Smith 1999: 41). Darin
fließt auch die Tatsache mit ein, dass der Spracherwerb auch ohne negative Rück-
meldung, d.h. Korrektur durch Eltern und andere, erfolgreich stattfindet. Wenn die
Korrektur nicht von außen kommt, dann muss es bereits vorhandenes internes
Sprachwissen geben, das den Spracherwerb trotzdem erfolgreich macht.
Es ist infrage zu stellen, ob Korrekturen überhaupt einen Nutzen beim Spracher-
werb haben. Wie soll ein Kind entscheiden, ob sich eine Korrektur auf eine inhalt-
liche Aussage oder eine ungrammatische Äußerung bezieht? In (18) wird ein gram-
matikalisch korrekter Satz von der Mutter missbilligt, während in (19) ein ungram-
matischer Satz positiv verstärkt wird (Cook & Newson 2007: 199).
(18) Kind: And Walt Disney comes on Tuesday.
Mutter: No he does not.
(19) Kind: Draw a boot paper.
Mutter: That’s right. Draw a boot on paper.
Hinzu kommt, dass Kinder Korrekturen auch vehement ignorieren können, wie das
etwas bizarr anmutende Beispiel (20) zeigt (Cook & Newson 2007: 200).
(20) Kind: Nobody don’t like me.
Mutter: No, say ‘nobody likes me’.
Kind: Nobody don’t like me.
[acht Wiederholungen dieses Dialogs]
Mutter: No, now listen carefully; say ‘nobody likes me’.
Kind: Oh! Nobody don’t likes me.
Dies wird von Kulinich et al. (2015) in einer Studie mit 35 russischsprachigen Kin-
dern im Altern von 3-4 Jahren bestätigt. Sie teilten die Kinder in vier Gruppen ein
und gaben ihnen je nach Gruppe immer ein bestimmtes Feedback auf ungrammati-
18
sche Äußerungen von Verben, die in dem Alter in der Regel übergeneralisiert wer-
den: Korrektur, Nachfrage, Wiederholung der ungrammatischen Äußerung und gar
kein Feedback. Im Laufe von acht Wochen trafen sich die Gruppen viermal und der
sprachliche Fortschritt jeder Gruppe wurde dokumentiert. Am Ende stellte sich her-
aus, dass sich alle Kinder gleich schnell entwickelt (Abb. 3) und das Feedback im
Gesamten mit p > 0,1 (α = 0,05) keinen Effekt gezeigt hatte. Selbst die Wiederho-
lung der falschen Verbform durch die Studienleiter hatte keinen signifikanten Ef-
fekt.
Abb. 3: Prozentsatz der richtigen Verbformen je nach Feedback-Art zu vier verschiedenen
Zeitpunkten T1, T2, T3 und T4 (Kulinich et al. 2015)
Die biologische Besonderheit des Spracherwerbs zeigt sich auch durch die Existenz
einer kritischen Periode, in welcher dieser stattfinden muss, damit die Mutterspra-
che richtig beherrscht wird, getreu dem Motto „Was Hänschen nicht lernt, lernt
Hans nimmermehr“. Ein zu später Erwerb findet nur mit erheblicher Verzögerung
und auch nicht vollständig statt, wie Untersuchungen von Wolfskindern wie Genie
gezeigt haben. Genie wurde von ihrem Vater bis zum 13. Lebensjahr in ihrem Zim-
mer isoliert und fast von jeglichem sprachlichen Input aber auch menschlicher In-
teraktion ausgeschlossen (Curtiss 1977). Nach ihrer Rettung ist es ihr nie gelungen
eine vollständige L1-Sprachkompetenz zu erreichen. Dies zeigt auch, dass sich die
Sprachfähigkeit von anderen kognitiven Funktionen wie dem visuellen System un-
terscheidet. Ärzte waren jahrzehntelang der Ansicht, dass die Ausbildung von ste-
reoskopischem Sehen (d.h. räumliches Sehen) auch nur während einer kritischen
Periode möglich sei. Dies wurde inzwischen widerlegt. Auch Erwachsene können
19
in manchen Fällen die Fähigkeit zum stereoskopischen Sehen nachträglich erlangen
(Sacks 2006; Astle et al. 2011).
Einen weiteren Hinweis darauf, dass gewisse Spracherwerbsstrukturen angeboren
sind, liefert die Nicaraguanische Gebärdensprache oder auch Idioma de Signos Ni-
caragüense (ISN) bzw. Nicaraguan Sign Language (NSL). Sie wurde ab 1977 Jah-
ren von gehörlosen Schülern entwickelt, die vorher keine echte Gebärdensprache
erlernt, sondern nur mit rudimentären Gesten, sogenannten „Home signs“, mit ihren
Familien kommuniziert hatten. Als eine Schule für sie eröffnet wurde, in der sie
erstmals regelmäßig Kontakt zu anderen Gehörlosen hatten, entwickelten sich die
Gesten im Laufe vom mehreren Schülergenerationen erst zu einer Pidgin- und
schließlich zu einer voll ausgebauten Kreol-Gebärdensprache (Senghas et al. 2004).
Da der gesamte Prozess ohne sprachlichen Input von außen stattgefunden hat, sehen
Nativisten die ISN als Bestätigung ihrer Hypothesen.
Zusammengefasst gibt es also eine Vielzahl von Gründen, die dafür sprechen, dass
manche Aspekte von Sprache angeboren sind:
A consideration of the character of the grammar that is acquired, the degenerate quality and
narrowly limited extent of the available data, the striking uniformity of the resulting gram-
mars, and their independence of intelligence, motivation, and emotional state, over wide
ranges of variation, leave little hope that much of the structure of the language can be learned
by an organism initially uninformed as to its general character. (Chomsky 1965: 58)
Das hat sich auch 50 Jahre später nicht geändert:
There are two reasons for rejecting the claim that language can be acquired by other cognitive
processes.
The first is the overwhelming evidence of radical double dissociation of language compe-
tence from other cognitive systems, familiar since Eric Lenneberg’s classic work in 1967 that
founded the modern study of biology of language, and extensively developed since. There’s
a valuable summary by Susan Curtiss in Berwick and Piattelli, Rich Languages from Poor
Data.
The second reason, completely compelling for any scientist, is the complete absence of non-
trivial results based on this claim and the inability to deal with even the most elementary
properties of language, e.g., structure-dependence of rules to take the one case that has been
the subject of many efforts, all hopeless and irremediable failures as shown in the literature.
(Chomsky 2015, persönliche Korrespondenz, 08.08.2015, siehe Anhang)
2.5 Zusammenfassung
Die in Abschnitt 2.1 aufgeworfenen Fragen können nun auf Basis der dargestellten
Hypothesen wenigstens zum Teil beantwortet werden:
20
1. Was macht Sprachwissen („knowledge of language“) aus?
Sprachwissen bedeutet, zu wissen, wie die erworbene Sprache Gebrauch von
der angeborenen Universalgrammatik macht.
2. Wie wird dieses Wissen erworben?
Der sprachliche Input wird mit Hilfe der Universalgrammatik auf seine Struk-
tur getestet. Ist diese in einem bestimmten Bereich erkannt, werden die Para-
meter so gesetzt, dass sie diese Struktur abbilden.
3. Wie wird dieses Wissen angewendet?
Durch Generierung von Sprache durch das Computational System und die da-
rauffolgende Verarbeitung durch das konzeptuelle und das sensomotorische
System.
4. Wie ist die menschliche Sprachfähigkeit („faculty of language“) entstanden?
TBD
5. Wie sind die Mechanismen, die sie ermöglichen, physisch beschaffen?
TBD
Im folgenden Abschnitt werden ein paar Aspekte der UG-Hypothese herausgegrif-
fen und die Probleme, die sie aufwerfen, diskutiert.
2.6 Kritik und alternative Erklärungen
2.6.1 Sprachübergreifende Kategorien existieren nicht
Die Dominanz der lateinischen und später auch der englischen Grammatik und de-
ren Kategorien bei der Beschreibung von Sprachen hat schon früh dazu beigetragen,
sprachliche Universalien zu formulieren. Wenn man nur eine einzige Schablone
hat, die man über alle Sprachen legen kann, macht das die Arbeit einfach. Dennoch
besteht heute immer noch Uneinigkeit darüber, ob es beispielsweise Sprachen ohne
Adjektive gibt (Varsami 2015) oder es überhaupt Sinn macht, solch eine Kategorie
(oder andere wie Pronomen, Akkusativ, Passiv, 2. Person, Subjekt, Futur, Klitikon,
Affix, Phrase, Wh-Bewegung (Haspelmath 2010: 663)) als universell anzusehen.
Haspelmath (2007) geht davon aus, dass solche vordefinierten strukturbasierten Ka-
tegorien überhaupt nicht existieren, sondern nur individuell für jede Sprache defi-
niert werden können, als Kategorien sui generis: „So not only are similar categories
in two languages never identical, but languages also often exhibit categories that
are not even particularly similar to categories in other languages.“ (Haspelmath
2007: 123). Die Schlussfolgerung daraus ist zum einen, dass eine kategorienbasierte
Universalgrammatik nicht existieren kann und zum anderen, dass Sprachvergleiche
dennoch möglich bleiben, denn „comparison cannot be category-based, but must be
21
substance-based, because substance (unlike categories) is universal.“ (Haspelmath
2007: 126). Substance ist ein Begriff, der eher in der Zeit Hjelmslevs geläufig war.
Er gehört zum Bereich der Semantik und meint als Gegensatz zu Form/Struktur das
vorsprachliche Rohmaterial von Sprache (Martin Haspelmath, persönliche Korres-
pondenz, 27.07.2015, siehe Anhang). In einem späteren Artikel stellt Haspelmath
(2010: 665f.) ein universell anwendbares Vergleichskonzept vor, das sowohl auf
universellen semantischen Konzepten als auch allgemeinen formalen Konzepten
basiert, die sogenannten „Comparative concepts“. Es handelt sich dabei um Kon-
zepte, die allein dem Sprachvergleich dienen, nicht um etwas, das ein realer Teil
der Sprachstruktur oder einer Universalgrammatik wäre. Sie sind eine Art Metaka-
tegorie und können als Rechtfertigungsgrundlage für angenommene Universalien
wie Folgendes herangezogen werden (Haspelmath 2010: 665):
(21) In allen Sprachen mit Dativ und Akkusativ ist der Dativ-Kasusmarker min-
destens genauso lang wie der Akkusativ-Kasusmarker.
Da Problem hierbei ist, dass es keine allgemeingültige Kategorie „Dativ“ gibt, d.h.
die Dative im Russischen, Koreanischen und Türkischen beispielsweise sind zwar
ähnlich aber nicht deckungsgleich. Damit ein Vergleich doch möglich ist, wird der
Dativ als „Comparitive concept“ definiert (Haspelmath 2010: 666):
(22) Dativ ist ein morphologischer Marker, dessen Funktion unter anderem darin
besteht, das Rezipient-Argument eines physischen Transferverbs (wie geben,
leihen, verkaufen, übergeben) zu kodieren, wenn es anders als das Thema-
Argument kodiert wird.
Der Vorteil dieser Definition ist, dass sie Konzepte wie „Rezipient“, „physisches
Transferverb“, „morphologisch“ oder „Argument“ beinhaltet, die nicht auf eine be-
stimmte Sprache beschränkt und somit universell sind (Haspelmath 2010: 666).
2.6.2 Genetik ist wenig erforscht
Die große Frage ist, ob die Universalgrammatik, sofern sie existiert, wirklich ange-
boren ist, so wie das Chomsky schon seit Jahrzehnten proklamiert. Argumente ge-
gen eine genetische Disposition der Sprachfähigkeit betreffen vor allem die damit
verbundene Lokalisierung in einem bestimmten Bereich des Gehirns. So ist der
Spracherwerb dank der Plastizität des Gehirns nicht zwangsläufig auf die bekannten
Broca- und Wernicke-Areale beschränkt, wie Hemisphärektomien bei Kleinkindern
22
gezeigt haben. Selbst bei Entfernung der linken Hirnhälfte waren sie in der Lage
Sprache zu erwerben, wenn auch nicht perfekt (Jackendoff 2002: 95). Chomsky
behauptet jedoch auch nichts anderes: „Nobody seriously expects that you gonna
find a piece of the brain that you can cut out and that's language.“ (Chomsky 2012b:
29ʻ11“) und auch Jackendoff (2002: 92) stellt klar: „[I]t is not necessary to conceive
of Universal Grammar as a ‘language learning box’, isolated physically and com-
putationally from everything else.“
Was die Genetik direkt angeht, ist die konkrete Bedeutung des FOXP2-Proteins für
den Erwerb und die Funktionsweise von natürlichen Sprachen noch wenig erforscht
(Everett, C. 2013: 50). Mutationen des FOXP2-Gens führen zu Sprachstörungen,
die mehrere Bereiche des Sprachsystems gleichzeitig betreffen, wie Morphosyntax
und Wortschatz. Darum stellt sich die Frage, wie konkrete sprachliche Phänomene
wie beispielsweise Rekursion genetisch nachgewiesen werden sollen. Jackendoff
(2002: 90) räumt ein: „[A]t the moment I think there is really no hope of under-
standing in any detail the wonderfully indirect mechanisms for genetic transmission
of Universal Grammar. In fifty years, perhaps.…“ So lange ist die Behauptung einer
genetischen Veranlagung der menschlichen Sprachfähigkeit vielleicht so zu be-
trachten wie die Behauptung der Existenz von Dunkler Materie: „It is postulated
because otherwise theories don’t work.“ (Chomsky 2012a: 5).
2.6.3 Ähnlichkeit von Sprachen und Sprachevolution
Warum sind natürliche Sprachen so, wie sie sind? Everett, D. (2013) argumentiert,
dass Ähnlichkeiten zwischen Sprachen auf Beschränkungen zurückzuführen sind,
die sich durch die Funktionsweise des Gehirns, den Gebrauch und durch die Natur
von Sprache an sich (z.B. durch Hocketts (1960) Design Features of Language)
ergeben, vielleicht so wie das Wesen von Software einerseits durch den Aufbau der
Hardware und andererseits durch die zu erfüllende Funktion (z.B. Betriebssystem)
bestimmt und beschränkt ist (Block 1995):
Die abstrakten Ähnlichkeiten, auf die sich die Nativisten berufen müssen, beziehungsweise
der Werkzeugkasten, den sich einige vorstellen, könnten ebenso gut darauf zurückzuführen
sein, dass alle Sprachen die gleichen Probleme lösen müssen, egal ob es um Kommunikation
oder Reflexion geht. Aus dieser Sicht erscheinen Ähnlichkeiten zwischen Sprachen gewis-
sermaßen wie die Gleichartigkeit von Pfeilen und Bogen in aller Welt. Die Formen der Spra-
che und der Bogen sind teilweise durch ihre Funktion bestimmt, und zwar über Eigenschaften
des Gehirns, die nichts mit Sprache oder Bogen an sich zu tun haben. (Everett, D. 2013:
124f.).
23
So wie Pfeil und Bogen also überall auf der Welt ähnlich aber nicht genau gleich
sind, denn eine zu große Abweichung vom grundsätzlichen Wesen würde die Funk-
tionsfähigkeit zu sehr beeinträchtigen, so sind auch Sprachen zwar in einer sehr
grundsätzlichen Art und Weise ähnlich, aber in ihrer konkreten Ausgestaltung doch
sehr unterschiedlich. Doch wie nativistische Theorien ist auch diese Erklärung
schwer zu beweisen, denn niemand weiß, was vor 100.000 Jahren, dem vermuteten
Zeitpunkt der ersten Sprachentstehung, passiert ist. Chomsky erteilt kommunikati-
ven Zwängen eine Absage, indem er behauptet, Sprache sei nicht primär für Kom-
munikation gedacht („Communication isn’t language. [...] There is a kind of a
dogma that [...] the function of language is communication – whatever that means.“
(Chomsky 2012b: 34ʻ45“)), sondern zum Denken:
[...] language is not properly regarded as a system of communication. It is a system for ex-
pressing thought, something quite different. It can of course be used for communication, as
can anything people do – manner of walking or style of clothes or hair, for example. But in
any useful sense of the term, communication is not the [Hervorhebung im Original] function
of language, and may even be of no unique significance for understanding the functions and
nature of language. (Chomsky 2002: 76)
Diese Ansicht steht meiner Meinung nach in deutlichem Widerspruch zu Wittgen-
steins skeptischem Paradox, das laut Kripke (1987) die Existenz einer Privatspra-
che, also einer Sprache zum Ausdruck eigener Gedanken, abgekoppelt von einer
Sprachgemeinschaft, unmöglich macht. Es gäbe keine objektive Instanz, die über-
prüfen könnte, ob man mit einem Wort immer dasselbe meint oder grammatische
Regeln immer gleich anwendet. Man würde glauben, einer Regel folgen, hätte aber
keine Rechtfertigung dafür, dass man es wirklich tut:
Unser Paradox war dies: eine Regel könnte keine Handlungsweise bestimmen, da jede Hand-
lungsweise mit der Regel in Übereinstimmung zu bringen sei. Die Antwort war: Ist jede mit
der Regel in Übereinstimmung zu bringen, dann auch zum Widerspruch. Daher gäbe es hier
weder Übereinstimmung noch Widerspruch.“ (Wittgenstein 1971: § 201)
Darum ist ‚der Regel folgen‘ eine Praxis. Und der Regel zu folgen glauben ist nicht: der
Regel folgen. Und darum kann man nicht der Regel ‚privatim‘ folgen, weil sonst der Regel
zu folgen glauben dasselbe wäre, wie der Regel folgen. (Wittgenstein 1971: § 202)
Wortbedeutung und somit im Endeffekt Sprache an sich kann darum erst durch die
Praxis in der Gemeinschaft möglich werden: „Die Bedeutung eines Wortes ist sein
Gebrauch in der Sprache.“ (Wittgenstein 1971: § 43). Zusätzlich zur Intention des
Sprechers braucht es also auch die Bestätigung und Konvention in der Sprachge-
meinschaft (für eine ausführlichere Diskussion siehe Varsami (2014)) oder um es
24
mit dem Vokabular Chomskys (1986: 19-24) zu sagen, I-Language braucht die Be-
stätigung durch E-Language. Im Lichte dieser Erkenntnis kann das Verhalten von
Humpty Dumpty in Lewis Carrolls Alice hinter den Spiegeln kritisch hinterfragt
werden:
„Wenn ich ein Wort verwende“, erwiderte Humpty Dumpty ziemlich geringschätzig, „dann
bedeutet es genau, was ich es bedeuten lasse, und nichts anderes.“
Und um weiter unwissenschaftlich zu bleiben: Die Fragwürdigkeit einer Privatspra-
che zeigt auch das Beispiel des schottischen Seefahrers Alexander Selkirk, der zu
Beginn des 18. Jahrhunderts auf der unbewohnten Isla Más a Tierra ausgesetzt
wurde und als Vorbild für Daniel Dafoes Romanfigur Robinson Crusoe gehandelt
wird. Während seines vier Jahre währenden Aufenthaltes auf der einsamen Insel
hat er oft in der Bibel gelesen, um die englische Sprache nicht zu vergessen.
Schließlich bleibt festzuhalten, dass Kripkes Wittgenstein-Analyse jedoch nicht un-
umstritten ist und so stellt auch Chomsky (1986: 242f) schließlich fest: „The clas-
sical problems about rule following remain unanswered.”
Einen anderen Erklärungsansatz für die Ähnlichkeit von Sprachen liefert die Theo-
rie der Monogenese. Demnach stammen alle Sprachen der Welt von einer einzigen
Ursprache ab. Gestützt wird diese interessante Hypothese durch Untersuchungen
von Atkinson (2011), der bei der Untersuchung der Phonemvielfalt von 504 Spra-
chen in allen Teilen der Welt auf einen statistisch hoch signifikanten Serial-Foun-
der-Effekt gestoßen ist, also einer Abnahme der Phonemvielfalt mit steigender Ent-
fernung von Afrika (Abb. 4). Dies ist bereits aus der Genetik bekannt, wo man fest-
gestellt hat, dass die genetische Vielfalt von Völkern mit zunehmendem Abstand
von Afrika abnimmt. Lange Wanderungsbewegungen sind nie durchgehend, sie fin-
den meist durch Abspaltungen kleinerer Populationen statt, die jedoch nicht mehr
die genetische Vielfalt der Hauptgruppe darstellen. Von Afrika bis Australien oder
Südamerika ist ein langer Weg und dementsprechend haben viele solcher Abspal-
tungen stattgefunden. Statistische Analysen können diesen Weg zurückverfolgen.
Genauso wie das als Beweis für einen gemeinsamen Ursprung der Menschheit in
Afrika dienen soll, plädiert Atkinson aufgrund seiner Phonemanalyse für einen ge-
meinsamen Ursprung aller Sprachen in Afrika.
25
Abb. 4: Abhängigkeit der Phonemvielfalt vom Abstand zu Afrika, n = 504 Sprachen, Pearson-
Korrelation r = -0,545, Signifikanz p < 0,001 (Atkinson 2011: 348)
Als Gegenargument zur nativistischen Theorien taugt diese Erkenntnis jedoch
kaum, da eine gemeinsame Ursprache die Existenz einer angeborenen Sprachfähi-
gkeit nicht ausschließt. Antworten könnte die Sprachevolutionsforschung liefern,
tut sie aber kaum, wie Chomsky feststellt: „[T]he fact that we do not know how to
give serious evolutionary explanation of this is not surprising; that is not often pos-
sible beyond simple cases“ (Chomsky 2000: 50 nach Cook & Newson 2007: 47)
und „the processes by which the human mind achieved its present stage of com-
plexity and its particular form of innate organization are a total mystery“ (Chomsky
2006: 85). Schon allein die Antwort auf die Frage, ob sich die Sprachfähigkeit nach
und nach entwickelt hat oder durch eine Makromutation (ein Vorgang dessen Exis-
tenz an sich sogar umstritten ist), ist pure Spekulation. Daher können Culicover &
Jackendoff (2005: 543) auch nur spekulieren: „The genetic component of language
might [Hervorhebung des Verfassers] be like that: a collection of innovations, each
of which improved the kind of communication system that could be learned through
cultural transmission.“ Lewontin zeigt auch nicht gerade viel Optimismus, was die
Forschung zur Sprachevolution angeht, und empfiehlt seinen Lesern sogar:
to give up the childish notion that everything that is interesting about nature can be under-
stood. History, and evolution is a form of history, simply does not leave sufficient traces,
especially when it is the forces that are at issue. Form and even behavior may leave fossil
remains, but forces like natural selection do not. It might be interesting to know how cogni-
tion (whatever that is) arose and spread and changed, but we cannot know. Tough luck. (Le-
wontin 1998: 130)
26
2.6.4 Falsifizierung ist nicht möglich
Ein weiterer Kritikpunkt betrifft das wissenschaftliche Arbeiten an sich. Wenn
manche Sprachen von bestimmten Prinzipien keinen Gebrauch machen, wie soll es
dann möglich sein, ihre Universalität zu beweisen? Ein Falsifizieren von etwas
nicht Nachweisbarem scheint ein fragwürdiges Unterfangen zu sein, wenn auch
Cook & Newson (2007: 21) sagen, es sei nur fast nicht nachweisbar: „the variation
introduced through parameters allow principles to be all but undetectable in parti-
cular languages.“ Problematisch ist zudem die Argumentation, dass UG-Prinzipien
angeboren sein müssen, solange nicht bewiesen ist, dass sie über den Spracherwerb
erfasst werden können. Dies setzt voraus, dass Prinzipien überhaupt existieren.
Rechtfertigt man deren Existenz aber damit, dass der sprachliche Input für das Kind
nicht zum Spracherwerb ausreicht, dreht man sich nur im Kreis. Fehr (1998) geht
darum so weit, Chomskys Universalgrammatik als axiomatisches System darzule-
gen, also als ein System von nicht beweisbaren Grundaussagen oder Sätzen (Axio-
men).
3 Sprachlicher Relativismus
3.1 Einführung
Die Theorie des sprachlichen Relativismus geht davon aus, dass sich die Gedan-
kenmuster bzw. bestimmte Bereiche der Kognition von Menschen mit unterschied-
lichen Muttersprachen systematisch voneinander unterscheiden. Die Sprache eines
Menschen soll also einen Einfluss auf sein nichtsprachliches Denken haben. Dieser
Zusammenhang wird auch oft als Sapir-Whorf-Hypothese bezeichnet, ein Begriff,
der erst 1954 von Harry Hoijer in einem Konferenzbeitrag kreiert wurde (Scholz et
al. 2015), denn Edward Sapir und Benjamin Whorf haben ihre Erkenntnisse nie als
Hypothese gebündelt und vertreten, zumal sich diese auch teilweise von der aktu-
ellen Theorie unterscheiden (Everett, C. 2013: 2). Das Verhältnis zwischen Sprache
und Denken wurde schon von Platon diskutiert und relativistische Ideen finden sich
ähnlich wie bei Nativismus bereits in Schriften des 17. Jahrhunderts, weswegen
Justice (1987: 56) sogar von „Vico-Herder-Humboldt-Sapir-Whorf-Hypothese“
27
spricht. Sapir bezieht seine Annahmen vor allem auf die Wahrnehmung der Welt
und der sozialen Realität unter dem Einfluss von Sprache:
Human beings [...] are very much at the mercy of the particular language [...] [of] their soci-
ety. It is quite an illusion to imagine that one adjusts to reality essentially without the use of
language and that language is merely an incidental means of solving specific problems of
communication or reflection. The fact of the matter is that the 'real world' is to a large extent
unconsciously built up on the language habits of the group. No two languages are ever suffi-
ciently similar to be considered as representing the same social reality. The worlds in which
different societies live are distinct worlds, not merely the same world with different labels
attached. (Sapir 1949: 162)
Und Whorf ist der erste, der den Begriff „linguistic relativity“ explizit in diesem
Zusammenhang verwendet, hier seine zentralen Aussagen:
We are thus introduced to a new principle of relativity, which holds that all observers are not
led by the same physical evidence to the same picture of the universe, unless their linguistic
backgrounds are similar, or can in some way be calibrated. (Whorf 1956: 214)
From this fact proceeds what I have called the “linguistic relativity principle,” which means,
in informal terms, that users of markedly different grammars are pointed by their grammars
toward different types of observations and different evaluations of externally similar acts of
observation, and hence are not equivalent as observers but must arrive at somewhat different
views of the world. (Whorf 1956: 221)
We cut nature up, organize it into concepts, and ascribe significances as we do, largely be-
cause we are parties to an agreement to organize it in this way—an agreement that holds
throughout our speech community and is codified in the patterns of our language. (Whorf
1956: 213).
Unterschiedliche Sprachen führen also zu einem jeweils anderen Bild, das der je-
weilige Sprecher von der Welt hat, quasi wie ein Filter. Es gibt kein absolutes Welt-
bild, das wir erfassen können, sondern dieses ist immer relativ zu den Möglichkei-
ten der Sprache, die jemand spricht. Daher auch der Begriff der Relativität, der bis-
her eher mit Einsteins Theorien Bekanntheit erlangte, wonach „Zeit, Raum und
Masse [...] nur in Relation auf ein Bezugssystem und dessen Eigengeschwindigkeit
definierbar sind“ (Bußmann 2002: 577). Das ist zu unterscheiden vom sprachlichen
Determinismus, der davon ausgeht, dass Sprache das Denken nicht nur beeinflusst,
sondern auch bestimmt. Da es unterschiedliche Sprachen gibt, wäre die Konse-
quenz davon, dass jemand aufgrund der Sprache, die er spricht, einen bestimmten
Gedanken nicht haben kann (Scholz et al. 2015). Solch eine Gleichsetzung von
Sprache und Denken wird jedoch von kaum jemandem ernsthaft vertreten, auch
wenn viele Gedanken erst durch Sprache realisiert werden können (Everett, C.
2013: 29f): „[T]here may not be a lot of adult human thinking where language does
28
not play a role“ (Boroditsky 2011: 65). Eine weitere Konsequenz, die sich außer-
dem ergeben würde, wäre die Abwesenheit von Denken bei Abwesenheit von Spra-
che, was mehr als nur spekulativ erscheint, denn „as preverbal infants and even
animals have some demonstrated ability to indulge in rational activity that can be
most accurately characterized as thinking“ (Fodor nach Smith 1999: 46). Die Wi-
derlegung des Determinismus wurde jedoch gleich als Beweis dafür genommen,
„that people of all cultures think in fundamentally the same way“ (Deutscher 2010),
was sicher auch dem Relativismus als Forschungsfeld geschadet hat.
Relativisten interessieren sich vor allem dafür, wie sich Sprache auf nichtsprachli-
ches Denken auswirkt. Der Fokus dieser Arbeit liegt dabei nicht auf der diskursiven
Relativität (Lucy 1996: 52), also den Unterschieden zwischen den Sprechern der
gleichen Sprache, hervorgerufen durch deren unterschiedlichen Gebrauch, sondern
auf der strukturellen Relativität (Lucy 1996: 41), also dem Einfluss von systema-
tischen, strukturellen Unterschieden zwischen den Sprachen auf das nicht-
sprachliche Denken ihrer Sprecher.
Whorfs Untersuchungen über die Anzahl der Wörter für Schnee bei den Inuit4 oder
die Tempuslosigkeit in Hopi wurden von ihm nicht empirisch belegt und sollten
eher als Ausgangspunkt für weitere Forschung gesehen werden (Everett, C. 2013:
19). Methodische Schwächen in seiner Arbeit und die Tatsache, dass sprachlicher
Relativismus oft noch immer mit Whorf gleichgesetzt wird (obwohl die Forschung
inzwischen viel weiter ist), haben zur Folge, dass viele Linguisten der gesamten
Theorie skeptisch gegenüberstehen (Everett, C. 2013: 25f.).
Einer der größten Fehler, der beim Nachweis von sprachlicher Relativität immer
wieder gemacht wurde, ist, dass Annahmen über Kognitionsunterschiede von Spre-
chern verschiedener Sprachen ausschließlich mit linguistischen Daten begründet
wurden. Diese Annahmen müssen jedoch über Sprechergruppen hinweg testbar
sein und das ist nur möglich, wenn eine Korrelation zwischen sprachlichen und
nichtsprachlichen Unterschieden mit den jeweiligen Daten nachgewiesen wird:
4 Ein Sachverhalt, der Jahrzehnte durch Wissenschaft und Medien gegeistert ist und eine Band-
breite von Behauptungen losgetreten hat, die von neun bis zu über 200 Wörtern für Schnee rei-
chen. Martin (1986) erläutert eindrücklich die Entstehung dieses Mythos.
29
„Relativistic claims can only avoid circularity if we provide evidence for cognitive differ-
ences through some nonlinguistic behavior. Differentiated lexical encoding of a given se-
mantic category does not reflect, a priori [Hervorhebung im Original], differentiated nonlex-
ical conceptualizations of the relevant category.” (Everett, C. 2013: 23)
Doch auch das beschützt einen nicht vor Fehlschlüssen. Die Unmöglichkeit be-
stimmte Dinge 1:1 in eine andere Sprache zu übersetzen, scheint die Existenz eines
sprachlichen Relativismus zu bestätigen. Wenn Menschen einen Sachverhalt auf-
grund ihrer unterschiedlichen Sprachen unterschiedlich ausdrücken und sich diese
Unterschiede auch in ihrem Verhalten äußern, bedeutet das jedoch nicht zwangs-
läufig, dass sie unterschiedlich denken. Und wenn sie es doch tun, besteht noch
lange kein kausaler Zusammenhang zwischen Sprache und Denken, denn beides
könnte sich unter dem Einfluss dritter Faktoren (Drittvariablen) geformt haben, wie
z.B. kulturellen Gegebenheiten (Everett, C. 2013: 8; Lucy 1996: 37f.). Man muss
immer bedenken, dass Korrelation nicht mit Kausalität gleichzusetzen ist (Everett,
C. 2013: 25). Ein typisches Beispiel für solche Fehlschlüsse ist der Zusammenhang
zwischen Rauchen und Leberzirrhose, der dadurch zustande kommt, dass viele
Raucher auch nicht wenig Alkohol trinken. Oder die vermeintliche Korrelation zwi-
schen Körpergröße und Einkommen in einer ungleichen Gesellschaft, wenn das
Geschlecht nicht herausgerechnet wird. Um solche Störfaktoren zu vermeiden, gibt
es verschiedene Strategien. So können zum einen verschiedene Tests durchgeführt
werden, die dasselbe Phänomen untersuchen, um eine Korrelation mehrfach zu be-
stätigen. Oder man konfrontiert Sprecher mit einem sprachlichen Merkmal einer
anderen Sprache und untersucht, ob sie nichtlinguistische Aufgaben anders ausfüh-
ren. Eine andere Methode setzt darauf, mit Tests beide Hirnhälften unabhängig von-
einander anzusprechen. Zeigen sich über mehrere Sprachpopulationen hinweg be-
sonders stark Unterschiede in Bezug auf die linke Hirnhälfte, wird eine Korrelation
mit sprachlichen Faktoren wahrscheinlicher, da sich hier meist die Sprachzentren
beim Menschen befinden (Everett, C. 2013: 66f).
3.2 Kognitive und sprachliche Unterschiede
3.2.1 Kognitive Unterschiede
Eine Voraussetzung für sprachliche Relativität ist erst einmal, bevor man anfängt
irgendwelche Korrelationen zu ergründen, dass kognitive Unterschiede zwischen
30
Menschen und Unterschiede zwischen Sprachen überhaupt existieren. Erstere wa-
ren lange Zeit nicht klar, zum einen aufgrund des Mangels entsprechender interkul-
tureller Studien, zum anderen wegen des Fokus der Forschung auf sogenannte
WEIRD-Gesellschaften (Western, Educated, Industrialized, Rich, Democratic).
Eine Metastudie der führenden amerikanischen Psychologiezeitschriften hat erge-
ben, dass von 2003 bis 2007 99% der Autoren aus solchen Gesellschaften stamm-
ten, sowie 96% von deren Probanden. Allein 82% stammten aus englischsprachigen
Ländern (Arnett 2008: 605). Oft ist es auch so, dass aus Kostengründen nur Stu-
denten als Probanden für Studien herangezogen werden, die gewonnenen Erkennt-
nisse aber als universell für die menschliche Spezies betrachtet werden, so dass im
Endeffekt mit Hilfe eines sehr geringen, homogenen Teils der Weltbevölkerung
Schlüsse für den Rest gezogen werden. Diese Generalisierung von spezifischen Er-
gebnissen ist ja auch in der Sprachenwissenschaft bekannt, nicht zuletzt aufgrund
der jahrhundertelangen Dominanz der lateinischen Grammatik. Nichtsdestotrotz
wird die Nichtrepräsentativität von WEIRD-Gesellschaft auch von vielen ange-
zweifelt (siehe die Repliken unter Henrich et al. 2010).
Zu welch gravierenden Fehlschlüssen Übergeneralisierungen führen können, zeigt
auch die Forschung an Menschenaffen. Je nachdem, wie und wo Schimpansen auf-
gewachsen sind, machen sie unterschiedlich stark Gebrauch von Zeigegesten
(Leavens et al. 2010: 101), auch wenn alle aus demselben Genpool stammen. Wie
Abb. 5 zeigt, verwenden Schimpansen, die in einem menschlichen Haushalt aufge-
zogen wurden oder ein Sprachtraining unterlaufen haben, in den meisten Fällen
Zeigegesten, während ihre wilden Artgenossen das so gut wie gar nicht tun. Soge-
nannte BIZARRE-Schimpansen (aufgewachsen in Barren, Institutional, Zoo, And
other Rare Rearing Environments) liegen etwa in der Mitte (es ist sicher nicht un-
gerechtfertigt zu fragen, ob der Autor diesen Begriff nicht als lustige Antwort auf
WEIRD erfunden hat). Nach Leavens et al. (2010: 100) sind nun viele Forscher
schon zur falschen Schlussfolgerung gelangt, dass Menschen deklarativ zeigen (d.h.
um die Aufmerksamkeit von jemandem auf etwas zu lenken oder als Reaktion auf
die Frage nach dem Standort eines Gegenstandes), Schimpansen aber nicht. Dies
liege jedoch daran, dass WEIRD-Probanden mit wilden oder BIZARRE-Schimpansen
verglichen wurden. In Wirklichkeit gebe es jedoch sehr wohl Schimpansen, die dekla-
rativ zeigten, und andererseits auch menschliche Völker, die Zeigegesten vermieden.
31
Abb. 5: Verwendung von Zeigegesten bei unterschiedlich aufgewachsenen Schimpansen des-
selben Genpools. Manual Pointing: Streckung eines Arms und mindestens eines Fingers. Index
Finger: Zeigen mit ausgestreckten Arm und Zeigefinger. Declarative: Zeigen zur Lenkung der
Aufmerksamkeit auf ein Objekt oder Ereignis oder als Reaktion auf die Frage nach dem
Standort eines Gegenstandes. Between apes: Ein Schimpanse zeigt etwas einem anderen
Schimpansen. Comprehension: Zeigegesten von anderen verstehen (Leavens et al. 2010: 101
nach Leavens et al. und zig anderen Quellen).
Dass kognitive Unterschiede zwischen Angehörigen verschiedener Kulturen beste-
hen, zeigt für den nichtsprachlichen Bereich beispielsweise die Müller-Lyer-Illu-
sion (Müller-Lyer 1889: Tafel IX). Vor allem Menschen aus westlichen Kulturen
nehmen die waagerechte Linie des oberen Pfeils in Abb. 6 als kürzer wahr als die
des unteren Pfeils, obwohl beide in Wirklichkeit gleich lang sind. Angehörige der
San im südlichen Afrika sind hingegen nicht empfänglich für die Illusion (Henrich
et al. 2010: 64). Das ist insofern bemerkenswert als man früher angenommen hat,
dass kognitive „low-level“-Prozesse eher universeller Natur sind (Fodor 1983 nach
Henrich et al. 2010: 64; Fodor 1975 nach Everett, C. 2013: 40).
32
Abb. 6: Müller-Lyer-Illusion
Segall et al. (1966 nach Henrich et al. 2010: 64) haben bei 16 Völkern untersucht,
um wieviel Prozent der Strich des oberen Doppelpfeils verlängert werden muss,
damit beide Striche als gleich lang wahrgenommen werden. Dieser Wert wird als
„point of subjective equality“ (PSE) bezeichnet und variiert von kaum von null un-
terscheidbar bei den San bis zu fast 20% bei amerikanischen Studenten (Abb. 7).
Das zeigt, dass die menschliche Kognition bereits durch visuelle Umwelteinflüsse
geformt werden kann. Inwieweit es sich dabei um nachhaltige Veränderungen han-
delt, steht auf einem anderen Blatt. Dafür müssten Personen getestet werden, die
schon mehrere Jahre in einer Region leben, deren Bewohner einen anderen PSE-
Wert aufweisen als die Testpersonen. Dadurch könnte festgestellt werden, ob sich
die Werte angleichen oder nicht.
Abb. 7: PSE-Werte der von Segall (1966 nach Henrich et al. 2010) untersuchten Populationen.
Getestet wurden auch Kinder im Alter von 5 bis 11 Jahren. SA = South Afrika.
33
Manche halten jedoch allein den Versuch, kognitive Unterschiede oder Universa-
lien festzustellen, für aussichtslos. Dafür seien die unterschiedlichen Einflüsse auf
den Menschen zu komplex und ineinander verwoben:
It is the variable/universal dichotomy itself (and the questions it generates) that is misleading.
This is because human beings are affected simultaneously by processes of a different nature,
among them phylogeny, history in its social and cultural instantiations, and ontogeny. But
none of these processes is ever active in isolation, making it impossible to track its universal
or variable effects. Searching in any human phenomenon for the clear signature of one of
these processes in isolation is a wild goose chase. (Astuti & Bloch 2010: 84)
3.2.2 Sprachliche Unterschiede
Etwas anders sieht es mit der zweiten Grundvoraussetzung für sprachliche Relati-
vität aus, der Unterschiedlichkeit von Sprachen. Der Nachweis dafür ist eng mit der
Suche nach sprachlichen Universalien verbunden. Verfechter des Relativismus se-
hen es dabei als Bestätigung ihrer Thesen an, dass bisher kein „bedingungsloses“
Universal gefunden wurde, das nicht umstritten ist (Everett, C. 2013: 48f.). Selbst
Rekursion wurde inzwischen als fundamentale Voraussetzung von natürlicher
Sprache in Frage gestellt (Everett, D. 2005), wobei diese Debatte sehr kontrovers
und teilweise ideologisch geführt wird und darum mit Vorsicht zu genießen ist.
Weniger problematisch sind implikative Universalien wie Greenbergs Universal
34: „Keine Sprache hat einen Dual, wenn sie keinen Plural hat.“ (Greenberg 1963:
74). Dies sind jedoch Aussagen, die sich auf einen beschränkten Kreis von Spra-
chen beziehen, nicht aber auf alle Sprachen (auch wenn theoretisch jede Sprache
irgendwann einmal davon betroffen sein könnte). Sie gelten so lange, bis eine Spra-
che gefunden wird, die sie verletzen. Der Schluss liegt also nahe, dass sich Univer-
salien nur identifizieren lassen, wenn man irgendwann alles über alle Sprachen auf
der Welt weiß. Zurzeit gibt es noch um die 6000-7000 Sprachen auf der Erde, je-
doch sollen im Verlauf der Menschheitsgeschichte geschätzt insgesamt 130.000 bis
über 500.000 Sprachen existiert haben (Pagel 2000: 395). Wir haben also gerade
einmal Zugriff auf 1,2 bis 5,4 % aller bisher entstandenen Sprachen. Jede Aussage
über Universalien würde sich darum nur auf diesen sehr geringen Teil beziehen.
Wollte man wirklich Gewissheit haben, müsste man eine Sprache erfinden, die ein
vermeintliches Universal nicht besitzt oder ein bestimmtes UG-Prinzip verletzt,
diese Kleinkindern beibringen und schauen, ob die Sprache verarbeitet werden
kann, was ethisch natürlich nicht vertretbar wäre. Jedoch muss man auch bedenken,
dass Wissenschaft immer von Einzelfällen aufs Ganze schließt, also generalisiert,
34
weswegen die Wahrheit einer Hypothese nie bewiesen werden kann, sie kann nur
falsifiziert werden. Ansonsten müsste jedes einzelne Atom im Universum darauf
untersucht werden, ob es den für universell gehaltenen Naturgesetzen unterliegt.
Rochat führt die generelle Begeisterung für Universalien in der Wissenschaft gar
darauf zurück, dass sie klarer und eleganter sind und Voraussagen einfach machen.
Das führt dazu, dass Vielfalt bei der Forschung in den Hintergrund rückt:
In academia, a priori claims of universality sell better than diversity, which complicates rather
than simplifies matters. Universality claims get more attention because they are cleaner and
sharper, projecting more encompassing control and predictive power in the field. Such claims
are also better didactic tools. They have all-around greater impact and appeal. This tends to
relegate diversity to noise rather than a primary object of study. (Rochat 2010: 107)
Doch auch unabhängig von der Frage nach sprachlichen Universalien zeigt sich die
Unterschiedlichkeit von Sprachen in vielen Bereichen, sei es, dass manche Spra-
chen nur eine Handvoll Phoneme haben, während andere über hundert aufweisen,
die große Brandbreite von polysynthetischen zu isolierenden Sprachen oder seltene
semantische Kategorien wie der Mirativ (Everett, C. 2013: 51-60). Doch sind sol-
che Hinweise ausreichend? Ein Maß dafür, wie unterschiedlich Sprachen sein müs-
sen, um relativistische Effekte nachzuweisen, oder wie gleich sie sein müssen, um
solche Effekte auszuschließen, bietet meinen Wissens bisher kein Autor.
Im folgenden Abschnitt soll am Beispiel der räumlichen Wahrnehmung gezeigt
werden, wie sich relativistische Effekte äußern und wie sie empirisch nachgewiesen
werden können. Dank der Arbeit von Stephen C. Levinson ist dieser Bereich be-
sonders gut erforscht und mit einer Vielzahl von Versuchen belegt. Die gezeigten
Experimente erheben natürlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sie dienen
vielmehr beispielhaft als Hinweis auf die Existenz von solchen Effekten. Diese kön-
nen auch unterschiedlichste Bereiche wie Zeit, Mengen, Farben, Ob-
jekte/Form/Substanz oder Geschlecht betreffen.
3.3 Der Einfluss von Sprache auf die Konzeptualisierung des Raums
Räumliche Referenzrahmen dienen dem Menschen als Bezugs- bzw. Koordinaten-
system, um Objekte zu lokalisieren oder Richtungen anzuzeigen. Man unterschei-
det vereinfacht drei Referenzrahmen, von denen ein Sprecher Gebrauch machen
kann, einen intrinsischen, relativen und absoluten (Levinson 2003: 40). Wie Abb.
35
8 zeigt, liegt bei der Orientierung mit einem intrinsischen Referenzrahmen der Be-
zugspunkt, aus dessen Perspektive die Lokalisierung erfolgt, auf dem Objekt, das
in Bezug zum lokalisierten Objekt gesetzt wird, in diesem Fall also das Haus. Im
relativen Referenzrahmen ist der Sprecher der Bezugspunkt und im absoluten ein
fixes Koordinatensystem wie z.B. Himmelsrichtungen.
Abb. 8: Die drei Referenzrahmen (Levinson 2003: 40)
36
Abb. 9: Absoluter Referenzrahmen in Tzeltal (Levinson 2003: 148)
Tzeltal, das in Tenejapa/Mexiko gesprochen wird, ist eine Sprache, die einen abso-
luten Referenzrahmen verwendet. Entsprechend der dortigen Topographie werden
die vier Himmelsrichtungen als ʻbergaufʼ (Süd), ʻbergabʼ (Nord) und ʻquerʼ
(Ost/West) kodiert (Abb. 9) und dienen zur Lokalisierung jedweder Objekte, selbst
kleiner Gegenstände wie Stifte ((23)+(24)) (Brown & Levinson 1993: 55). Ein Stift
befindet sich dann nicht wie in einem relativen Bezugssystem z.B. rechts von einem
Stuhl, sondern südlich oder nördlich.
(23) te lapis ay ta ajkʼol yuʼun te limite
ART Stift EXIST PREP ʻbergaufʼ 3E.RELN ART flasche
ʻDer Stift ist bergauf von der Flasche.ʼ (südlich)
(24) ay ta ajkʼol aʼw-uʼun/k-uʼun te lapis
EXIST PREP ʻbergaufʼ von-dir/von-mir ART Stift
ʻDer Stift ist bergauf von dir/von mir.ʼ (südlich)
Die Vermutung ist nun, dass der Referenzrahmen, der in einer Sprache verankert,
also kodiert ist, die kognitive Konzeptualisierung des Raumes der Sprecher beein-
flusst. Um das zu testen, benötigt man einen Versuchsaufbau, der nicht-sprachliche
Aufgaben beinhaltet, denn es soll ja, wie in Abschnitt 3.1 bereits ausgeführt wurde,
das nicht-sprachliche Denken untersucht werden. Dafür wurde ein Proband vor ei-
nen Tisch gestellt, auf dem drei verschiedene Spielzeugtiere in einer Reihe lagen.
Nachdem er sich die Reihenfolge eingeprägt hatte, wurde er um 180° gedreht, vor
einen anderen Tisch gestellt und aufgefordert, die Tiere exakt so wie vorher wieder
aufzustellen (Levinson 2003: 157). Ja nach Ausrichtung und Reihenfolge kann so
darauf geschlossen werden, ob sich der Proband außerhalb des Sprachgebrauchs an
einem relativen oder absoluten Bezugssystem ausrichtet (Abb. 10). Abb. 11 zeigt
das konzeptuelle Design des Rotationsversuches.
37
Abb. 10: Versuch zum Nachweis des verwendeten Referenzrahmens (Levinson 2003: 156)
Abb. 11: Grundlegendes Konzept des Rotationsversuches (Levinson 2003: 132)
Der Versuch wurde mit 27 Tzeltal-Sprechern und einer Kontrollgruppe von 37
Sprechern des Holländischen durchgeführt. Dabei kam heraus, dass von Letzteren
95% die Tiere nach einem relativen Bezugsrahmen anordneten, während von den
Tzeltal-Sprechern 75% eine absolute Anordnung wählten (Abb. 12) (Levinson
2003: 158). Die Abweichung bei den Tzeltal-Sprecher kann verschiedene Ursachen
haben, wie die ungewohnte Testumgebung, der verschulte Testvorgang oder die
schwache, durchscheinende Disposition für einen relativen Referenzrahmen (Le-
vinson 2003: 159): „It is well known that when participants conceptualize a given
38
experimental task differently (perhaps because they have different beliefs about the
experimenter’s goals), they behave differently.“ (Machery 2010: 102).
Abb. 12: Ergebnisse des Rotationstests, x-Achse = Tendenz zum absoluten Referenzrahmen,
y-Achse = Anteil der Probanden in Prozent (Levinson 2003: 158)
Wie sehr die Tzeltal-Sprecher das absolute Bezugssystem verinnerlicht haben, zeigt
ein Versuch von Brown & Levinson (1993: 52), wo sie einem ihrer Informanten die
Augen verbinden und in einem dunklen Raum über 20mal im Kreis drehen. Unge-
achtet dessen ist er immer noch in der Lage, die Himmelsrichtungen richtig zu be-
stimmen. Ein unglaubliches Phänomen, dessen Untersuchung aber wohl eher in den
Bereich der Kognitionswissenschaften fällt, wenn man eine rationale Erklärung er-
halten möchte.
Um aussagekräftige Ergebnisse über systematische relativistische Effekte zu erzie-
len, müssen sie bevölkerungsübergreifend untersucht werden. Darum wurde der
Rotationstest mit sechs Sprechergruppen (insg. 85 Personen), die einen absoluten
Referenzrahmen verwenden, und fünf Sprechergruppen (insg. 99 Personen), die ei-
nen relativen Referenzrahmen verwenden, durchgeführt. Die dabei festgestellten
Unterschiede (Abb. 13) sind mit p < 0,001 (Mann-Whitney-U-Test = 1453) hoch
signifikant (Levinson 2003: 183-185). Damit ist der Einfluss von Sprache auf das
39
nicht-sprachliche räumlich-konzeptuelle Denken sehr wahrscheinlich und damit die
Existenz eines sprachlichen Relativismus.
Abb. 13: Ergebnisse des Rotationstests bei 11 Sprechergruppen, x-Achse = Tendenz zum ab-
soluten Referenzrahmen, y-Achse = Anteil der Probanden in Prozent (Levinson 2003: 184)
4 Vereinbarkeit
Die vermeintliche Unvereinbarkeit von Universalismus und Relativismus hat vor
allem mit den Zielen der jeweiligen Forschungsfelder zu tun. Relativisten betonen
die Verschiedenheit von Sprachen, während Nativisten nach deren Ähnlichkeiten
untereinander suchen. Das erscheint zunächst wie ein Widerspruch. Dieser entsteht
jedoch erst durch eine Fehldeutung der Universalgrammatik, die zu dem Schluss
führt, alle Sprachen seien im Grunde gleich (Lucy 1996: 41f.). Das ist jedoch nicht
die Konsequenz der UG, sie bietet nur einen Rahmen, in dem sich menschliche
Sprachen entwickeln und wandeln können, sie lässt Vielfalt also eindeutig zu.
Dennoch ist auch die Einstellung der Nativisten zu ihren eigenen Theorien kritisch
zu sehen. Sie bezeichnen diese sehr oft als unumstritten, was die reale Debatte über-
haupt nicht widerspiegelt: „[T]he evidence for our linguistic knowledge being
(partly) innate should be uncontroversial.“ (Smith 1999: 44). Oder: „[U]niversal
grammar is the study of the genetic basis [...] of the language faculty. There can’t
be any serious doubt that something like that exists [...] that’s not controversial.“
(Chomsky & Barsamian 2013). Wirklich Gewissheit über den Spracherwerb wird
man wohl erst erlangen, wenn man einen Scanner gebaut hat, der die Funktion jedes
40
einzelnen Neurons verfolgen kann oder es geschafft hat, das menschliche Gehirn
nachzubauen, um zu sehen, ob dieses „Gerät“ eine UG braucht oder nicht.
Missverständnisse rühren sicher auch von der Verbissenheit und Ignoranz mancher
Forscher her. So stellt Pederson (2010: 663) fest, dass „much of the work in this
area [linguistic relativity] is rather ideological in tone and argument both for and
against the possibility of an effect of language on cognition.“ Manchmal liegt der
Fokus auch irgendwo dazwischen. So zählt Everett, C. (2013: 51-60) diverse
sprachliche Phänomene aus Phonologie und Morphosyntax auf, die ausschließlich
in einer Sprache auftreten oder in vielen überhaupt nicht, und betont, dass bisher
keine absoluten sprachlichen Universalien gefunden wurden, die konsensfähig wä-
ren. Gleichzeitig führt er aber an mehreren Stellen aus, dass sprachlicher Relativ-
ismus nicht unvereinbar mit Universalien sei: „It is somewhat surprising, though,
that the universalist perspectives [...] were sometimes taken to be inherently anti-
relativistic, since proponents of linguistic relativity do not maintain that no
[Hervorhebung im Original] aspects of cognition or language might be universal or
native.“ (Everett, C. 2013: 26f.)
Es ist schwierig, weitere solcher Aussagen in der Literatur zu finden, aber es gibt sie:
Thus, contrary to popular belief, from the very beginning linguistic relativity has not been
incompatible with the belief that there are universals of language. (Duranti 2000: 220f.)
But there is no clear conflict or even a conceptual connection between Whorf's views about
language placing limits on developmental plasticity, and Chomsky's thesis of an innate uni-
versal architecture for syntax. In short, there is no reason why Chomsky's I-languages could
not be innately constrained, but (once acquired) cognitively and developmentally constrain-
ing. (Scholz et al. 2015)
Von Linguisten, die relativistische Phänomene erforschen, liest man immer wieder,
wie sie sich zur sprachlichen Universalien und der Universalgrammatik im Spezi-
ellen äußern. Während des Verfassens dieser Arbeit bin ich jedoch kaum auf Texte
von UG-Vertretern oder Nativisten gestoßen, die sich mit sprachlicher Relativität
beschäftigt hätten, das eindeutigste war ein Video einer Diskussion mit Chomsky:
„When a language disappears, a lot is lost. [...] Each language is a way of under-
standing and interpreting the world.“ (Chomsky 2014: 18ʻ58“). Darum habe ich
Vertreter der Zunft angeschrieben und nach Ihrer Meinung zur Vereinbarkeit oder
Nichtvereinbarkeit von Relativität und UG gefragt. Hier ein paar Antworten:
41
I don’t have much to say about the topic, except that in principle what you write is completely
reasonable. There is no logical path from the “unity in diversity” of human languages and its
Chomskyan explanation to a dogma that linguistic differences can never correlate with other
cognitive differences. (David Pesetsky, persönliche Korrespondenz, 06.08.2015, siehe An-
hang)
You’re quite right. [...] The only rational assumption, given what we know, is that humans
have a specific genetic endowment that provides them with the shared language capacity.
That leaves quite open the question of whether there are relativistic effects. (Noam Chomsky,
persönliche Korrespondenz, 07.08.2015, siehe Anhang)
Von UG-Seite gibt es also keine Vorbehalte, die Existenz sprachlicher Relativität
anzunehmen. Warum also nicht das Modell aus Abb. 1 erweitern, das UG-basierte
Sprachwissen, das die Konzeptualisierung der Welt beeinflusst:
Abb. 14: UG-Grammatikmodell eingebettet im relativistischen Rahmen.
5 Fazit
Es bleibt nur zu hoffen, dass sich die verschiedenen Forschungsrichtungen wieder
annähern und den Diskurs statt den Disput suchen. Nur eine konstruktive Debatte
kann zu neuen, aufregenden Erkenntnissen führen, nicht aber das Beharren auf ide-
ologischen Standpunkten. Fachlich steht dem, wie mit dieser Arbeit hoffentlich ge-
zeigt wurde, nichts im Wege.
Realität
Nicht-sprachliches Denken
Extern (E)
Sensomotorisches
System
Lexikon + UG-Prinzipien
Intern (I)
Konzeptuelles
System PF LF
Computational
System
42
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46
Anhang
A) E-Mail-Korrespondenz mit Noam Chomsky
From: Johny Varsami [mailto:[email protected]] Sent: Wednesday, August 05, 2015 5:30 PM To: Noam Chomsky <[email protected]> Subject: UG and Relativity
Dear Mr. Chomsky,
I am a linguistics student at the University of Stuttgart, Germany, and currently
writing my Master thesis about linguistic relativity and nativism. I'm claiming that
both theories don't exclude each other, unlike especially relativists who reject Uni-
versal Grammar.
As there seem to be a lot of misunderstandings regarding your theories, just like
recently shown by Vyv Evans book, I thought it's the best to ask you directly for
your opinion. Why shouldn't it be possible to have all languages based on a Uni-
versal Grammar but still causing relativistic effects on non linguistic aspects of
mind? Principles and parameters are determining how languages are learnt and
impose constraints on the functioning of natural languages, but they still allow lin-
guistic diversity, so why shouldn't this diversity cause cognitive differences across
populations?
I would be really happy to receive an answer from you!
Best regards,
Johny Varsami
--
www.bdp-stuttgart.de
www.johnyvarsami.com
Am 07.08.2015 um 21:19 schrieb Noam Chomsky:
You’re quite right. I would only add that the controversies over UG are very strange. UG is the theory of the genetic component of the language faculty. Those who question its existence are either claiming that language acquisition is magic, or that it is acquired en-tirely on the basis of other cognitive capacities, an idea massively refuted by what we know about these matters.
The only rational assumption, given what we know, is that humans have a specific ge-netic endowment that provides them with the shared language capacity. That leaves quite open the question of whether there are relativistic effects.
47
From: Johny Varsami [mailto:[email protected]] Sent: Friday, August 07, 2015 6:56 PM To: Noam Chomsky <[email protected]> Subject: Re: UG and Relativity
Thank you for your answer! After having read on your official website, that you
get hundreds of emails every day, I wasn't really expecting a reply anymore.
Well, in my opinion the problem of the debate is, that there is so much literature
with different views and understandings that nobody really knows what the state
of the art is. But this is just the perspective of a student who is overwhelmed by
the more than 200 books and texts he has gathered about this topic.
So, if the idea that language is acquired on the basis of other cognitive capacities
is massively refuted by what we know, I would be really interested if you could
name a convincing (and up-to-date) source I could cite...
Betreff: RE: UG and Relativity
Datum: Sat, 8 Aug 2015 01:54:28 +0000
Von: Noam Chomsky <[email protected]>
An: Johny Varsami <[email protected]>
There are two reasons for rejecting the claim that language can be acquired by other cognitive processes.
The first is the overwhelming evidence of radical double dissociation of language compe-tence from other cognitive systems, familiar since Eric Lenneberg’s classic work in 1967 that founded the modern study of biology of language, and extensively developed since. There’s a valuable summary by Susan Curtiss in Berwick and Piattelli, Rich Lan-guages from Poor Data.
The second reason, completely compelling for any scientist, is the complete absence of non-trivial results based on this claim and the inability to deal with even the most ele-mentary properties of language, e.g., structure-dependence of rules to take the one case that has been the subject of many efforts, all hopeless and irremediable failures as shown in the literature.
It’s the kind of claim that gives hand-waving a bad name.
48
B) E-Mail-Korrespondenz mit David Pesetsky
On Aug 5, 2015, at 11:03 PM, Johny Varsami <[email protected]> wrote:
Dear Mr. Pesetsky,
I have sent exactly the same email to Noam Chomsky, but afterwards I read on his
official website that apparently he gets hundreds of emails per day, so probably I
can't really expect to ever get an answer. So I'm sending it to you now, bearing in
mind that you even had time to participate actively in the annoying discussion on
Vyv Evans' Facebook page during Christmas :D, so maybe you have some
minutes to answer my questions:
I am a linguistics student at the University of Stuttgart, Germany, and currently
writing my Master thesis about linguistic relativity and nativism. I'm claiming that
both theories don't exclude each other, unlike especially relativists who reject Uni-
versal Grammar.
As there seem to be a lot of misunderstandings regarding your theories, just like
recently shown by Vyv Evans book, I thought it's the best to ask you directly for
your opinion. Why shouldn't it be possible to have all languages based on a Uni-
versal Grammar but still causing relativistic effects on non linguistic aspects of
mind? Principles and parameters are determining how languages are learnt and
impose constraints on the functioning of natural languages, but they still allow lin-
guistic diversity, so why shouldn't this diversity cause cognitive differences across
populations?
I would be really happy to receive an answer from you!
Best regards,
Johny Varsami
--
www.bdp-stuttgart.de
www.johnyvarsami.com
Betreff: Re: UG and Relativity
Datum: Thu, 6 Aug 2015 12:30:44 -0400
Von: David Pesetsky <[email protected]>
An: Johny Varsami <[email protected]>
Hi,
I don’t have much to say about the topic, except that in principle what you write is
completely reasonable. There is no logical path from the “unity in diversity” of
human languages and its Chomskyan explanation to a dogma that linguistic differ-
ences can never correlate with other cognitive differences.
49
I think the only reason that a contrary impression might be out there is sociologi-
cal. Much of the work that explores possible connections of the sort you’re ask-
ing about tends to come from research communities that are not only ignorant
about the results of modern linguistics but (a disease of the field) weirdly hostile
to even learning about these results and engaging with them. So the work tends to
be linguistically superficial, and its punchlines about Chomsky or “nativism” cor-
respondingly unconvincing. But that certainly doesn’t have to be the case.
Hope this helps a bit. Good luck with your masters thesis.
-David
-- David Pesetsky [pesetsk@ mit.edu] Head, Department of Linguistics and Philosophy 32-D818 Massachusetts Institute of Technology 77 Massachusetts Avenue C ambridge, MA 02139 US A (617) 253-0957 office (617) 253-5017 fax http://web.mit.edu/linguistics/www/pesetsky.home.html
C) E-Mail-Korrespondenz mit Martin Haspelmath
On 27.07.15 14:19, Johny Varsami wrote:
Sehr geehrter Herr Haspelmath,
ich bin Student an der Uni Stuttgart und schreibe zur Zeit meine Masterarbeit, in
der ich mich unter anderem auch mit Universalien beschäftige. Natürlich stößt
man dann zwangsläufig auf Ihren Artikel "Pre-established categories don’t exist",
der im Großen und Ganzen für mich nachvollziehbar ist. Nur einen wichtigen
Punkt habe ich überhaupt nicht verstanden, was ist substance?: "[...] comparison
cannot be category-based, but must be substance-based, because substance (unlike
categories) is universal."
Aus ihrem Artikel lese ich heraus, dass es sich um Semantik handelt, Hyman
(1983) schreibt, dass damit als Gegensatz zu Form alles gemeint ist, was nicht mit
Grammatik zu tun hat und des Öfteren habe ich gelesen, dass es sich um das
"Rohmaterial" der Sprache handelt.
Hätten Sie konkrete Beispiele für einen substance-basierten Sprachvergleich? Was
für Universalien sind das?
Mit freundlichen Grüßen,
Johny Varsami
--
www.bdp-stuttgart.de
www.johnyvarsami.com
50
Betreff: Re: Pre-established categories / substance
Datum: Mon, 27 Jul 2015 15:12:36 +0200
Von: Martin Haspelmath <[email protected]>
An: Johny Varsami <[email protected]>
Ja, Substanz ist ein Begriff, der nicht mehr so viel verwendet wurde – für Hjelms-
lev und andere Strukturalisten war er essenziell (vgl. http://inss.ku.dk/eng-
lish/calendar/substance-and-structure-seminar/).
Sprachliche Struktur braucht Material zum Strukturieren: Lautstruktur formt
Lautsubstanz (Artikulation und Klang), und Bedeutungsstruktur formt Denksub-
stanz.
Also "Rohmaterial" ist genau richtig. Es handelt sich um etwas Außersprachliches
oder Vorsprachliches, das deshalb leichter verglichen werden kann als Sprach-
struktur (vgl. aber meinen Aufsatz von 2010, wo ich auch auf Form-basierte Ver-
gleichskonzepte eingehe).
Schöne Grüße,
Ihr
Martin Haspelmath