1 Sprachkritische Äußerungen in Online-Foren und auf Social Network Sites RWTH Aachen, 2. Juni 2012 | Dr. Jana Kiesendahl | Dr. Birte Arendt
1
Sprachkritische Äußerungen in Online-Foren und auf Social Network Sites
RWTH Aachen, 2. Juni 2012 | Dr. Jana Kiesendahl | Dr. Birte Arendt
Erkenntnisinteresse
Welche Phänomene („Fehler“) werden wie kommentiert und korrigiert?
Welches Normbewusstsein liegt den kritischen Äußerungen zugrunde?
Welche Funktionen haben diese sprachkritischen Äußerungen? Welche Wirkung wird mit den Äußerungen erzeugt?
Untersuchungsgegenstand Sprachkritik:
„[…] eine mit Wertung verbundene Reflexion über Sprache und Sprachgebrauch […] z.B. zum Zwecke der Klärung von etwas nicht Verstandenem, zur Erläuterung des Gemeinten oder zur Kommentierung des Gesagten unter dem Gesichtspunkt seiner Form.“ (Schiewe/Wengeler 2005, 3)
sprachkritische Äußerungen: reaktive Sprachthematisierungen mit einer Bewertungskomponente
Problem „Fehler“: Erscheinungen, die von Usern als kritikwürdige Abweichung von einer Norm thematisiert werden
Analyseaspekte- theoretische Basis -
Kontextsensitivität
Abb. Arendt/Kiesendahl 2011b, 86
Inhalte: Spracheinstellungen (Arendt 2011; Tophinke/Ziegler 2006); Sprachkritik (Kilian et al. 2010); Wahrnehmungsdialektologie (Anders 2010, 2011); folklinguistics (Preston 2010); language ideology(Woolard/Schieffelin 1994)Methode: Reparaturen/Korrekturen (Schegloff 1977; Selting1987; Schwitalla 2008)
Online-Kommunikation: (Fraas 2012; Androutsopoulos 2005; Dürscheid 2005; Beck 2006)
Identität: Positionierung (Lucius-Hoehne/Deppermann 2004); Identität (Goffman 1998); Kontextualisierung (Auer 1999)
Beziehungsgestaltung: Status (Kiesendahl 2011); face/Image (Goffman 1999)
7
Korpus
Kommentare Gesamt
Sprachkritische Kommentare
BILD.de 129 33
heise-online.de 32 28
forums.d2jsp.org 11 7
facebook 4 1
Skype-Chat 1 1
8
Quelle: http://www.bild.de/unterhaltung/leute/heidi-klum/verbietet-noch-ehemann-seal-privates-preiszugeben-22458148.bild.html [5.2.2012]Quelle: http://www.bild.de/unterhaltung/leute/heidi-klum/verbietet-noch-ehemann-seal-privates-preiszugeben-22458148.bild.html [5.2.2012]
BILD.de
9
N=129N=129
BILD.de
19,4%
74,4%
6,2%
Asprachliche Bewertung
BBewertung desBezugsartikels
CMischform (sprachl. +
inhaltl. Bewertung)
Inhalte der Kommentare/Posts
10
Quelle: http://www.bild.de/ka/p/ugc/22461038 [Stand: 21.2.12]Quelle: http://www.bild.de/ka/p/ugc/22461038 [Stand: 21.2.12]
BILD.de
11
1. Bezugsausdruck2. Hinweis auf die Problematik des Ausdrucks3. Korrektur4. Ratifizierung der Korrektur
Quelle: Schwitalla (2008): Sprachkritik im alltäglichen Gespräch. In: Aptum. Zeitschrift für Sprachkritik und Sprachkultur, S. 27f.)
1. Bezugsausdruck2. Hinweis auf die Problematik des Ausdrucks3. Korrektur4. Ratifizierung der Korrektur
Quelle: Schwitalla (2008): Sprachkritik im alltäglichen Gespräch. In: Aptum. Zeitschrift für Sprachkritik und Sprachkultur, S. 27f.)
Strukturschema einer sprachkritischen Äußerung
13
Zitat des Bezugsausdrucks + negativer Kommentar: Zitat des Bezugsausdrucks + negativer Kommentar:
Hinweis auf die Problematik des Ausdrucks
14
nicht ganz dicht sein
peinlich
bescheuerten Ausdrücke
megapeinlich
ekelerregend
wie arm ist dieses Blatt
BILD Schreiberling
so blöd
linguistisch so daneben
miserable Unwörter
Pejorative Ausdrückein Bezug auf „wulffen“
15
Korrekturinitiierung durch Fremde ABER: keine Korrekturrealisierung beim Neologismus „wulffte“
Ergebnis der kontextuellen Bedingungen und des Gegenstandes der Kritik
Korrekturinitiierung durch Fremde ABER: keine Korrekturrealisierung beim Neologismus „wulffte“
Ergebnis der kontextuellen Bedingungen und des Gegenstandes der Kritik
Korrektur
16
Quelle: http://www.bild.de/ka/p/ugc/22461038 [Stand: 21.2.12]Quelle: http://www.bild.de/ka/p/ugc/22461038 [Stand: 21.2.12]
Korrektur
Claudia meierMeier
18
Keine Ratifizierung der Korrektur, aber Ratifizierung der Problemmanifestation durch
-Button
Keine Ratifizierung der Korrektur, aber Ratifizierung der Problemmanifestation durch
-Button
Ratifizierung der Korrektur
19
- Button
630
500456
AsprachlicheBewertung
BBewertung desBezugsartikels
CMischform(sprachl. +
inhaltl.Bewertung)
"Gefällt mir"-Button(auf 96 Posts/Gruppe)
- heise online -
• Kilo oder Kilogramm? – „Die saloppe Verkürzung von Maßeinheiten ist keine sprachliche Schlamperei.“
• 25.01.2012• 33 Kommentare
– meistkommentierter Artikel in 01/2012
- heise online -
• Kilo oder Kilogramm? – „Die saloppe Verkürzung von Maßeinheiten ist keine sprachliche Schlamperei.“
• 25.01.2012• 33 Kommentare
– meistkommentierter Artikel in 01/2012
AnlassRechtfertigung (Kritik der Kritik)
Kilo oder Kilogramm?von Gregor HonselNeulich beschwerte sich ein Leser, dass wir in einem unserer Stücke ein Gewicht in „Kilo“ statt in „Kilogramm“ angegeben hätten. […] Und ich werde es weiterhin tun. Ich bin der Meinung, dass Sprache zwar so genau wie nötig, aber auch so kurz wie möglich sein sollte. Und das Kriterium, an der ich die Genauigkeit messe, […] Liegt für den Leser irgendeine Verwechslungsgefahr vor?Nun höre ich schon den Einwand: Dann schreibt‘s solche Einheiten halt trotzdem hin, stört ja schließlich keinen. Doch – mich stört‘s. Solche „Über-Bestimmtheit“ mach Sprache starr, spröde und umständlich. […]
TKInsistieren (Bekräftigung der Kritik)
Kilo = ? > Kilogramm, Kilometer, Kilotone, etc.Nemo123 (1 Beitrag seit 19.06.04)
Sehr geehrter Herr Honsel,Ich habe als gebildeter Akademiker mit deutschen und österreichischen Wurzeln kein Verständnis für das was Sie unter dem Begriff „Über-Bestimmtheit“ definieren. […] z.B. werden in Österreich im Wienerischen mit Kilo 100 Euro bezeichnet und sowohl österreichische Kollegen […] als auch deutschstämmige Kollegen aus Tschechien bezeichnen 100km/h als Kilo.Für den Fall, dass Ihnen die Vielfalt des Vorsatzes Kilo alleine in der Deutschen Sprache nicht bekannt sein sollte, können Sie sich z.B. hier kundig machen: http://de.wikipedia.org/wiki/KiloMit freundlichen Grüßen, Nemo
-92%
Literatur• Anders, Ch. A. et al. (Hgg.) (2011): Perceptual Dialectology: Neue Wege der Dialektologie. Berlin, New York.• Anders, Ch. A. (2010): Wahrnehmungsdialektologie. Das Obersächsische im Alltagsverständnis von Laien. Berlin, New York.• Androutsopoulos, J. (2010): Localizing the Global on the Participatory Web. In: Coupland, N. (Hg.): The Handbook of Language and Globalisation. Oxford, S. 203-231.• Androutsopoulos, J. et al. (Hgg.) (2006): Neuere Entwicklungen in der linguistischen Internetforschung.• Androutsopoulos, J.; Ziegler, Evelyn (2003): Sprachvariation und Internet. Regionalismen in einer Chat-Gemeinschaft. In: dies. (Hgg.): "Standardfragen".
Soziolinguistische Perspektiven auf Sprachgeschichte, Sprachkontakt und Sprachvariation. Frankfurt/M. u.a. • Arendt, B.; Kiesendahl, J. (Hgg.) (2011): Sprachkritik in der Schule. Göttingen.• Arendt, B.; Kiesendahl, J. (2011b): „bunnychecker“, Tippfehler und Typographie. In: Der Deutschunterricht, S: 84-89.• Auer, P. (1999): Sprachliche Interaktion. Tübingen.• Beck, K. (2006): Computervermittelte Kommunikation im Internet. München, Wien.• Davies, W. (2010): Die Rolle (laien-)linguistischer Mythen bei der Reproduktion (sozio)-linguistischer Normen. In:Anders (2011), S. 385-408• Dürscheid, C. (2005): Medien, Kommunikationsformen, kommunikative Gattungen. In: Linguistik online 22. In: http://www.linguistik-online.de/22_05/duerscheid.html.• Fraas, C. et al. (2012): Online-Kommunikation. München• Goffman, E. (1999): Interaktionsrituale. Über Verhalten in direkter Kommunikation. 5. Aufl. Frankfurt/M.• Goffman, E. (1998): Wir alle spielen Theater. Die Selbstdarstellung im Alltag. 7. Aufl., München.• Holly, W. (2001): »Beziehungsmanagement und Imagearbeit.« In: Brinker, Klaus/Antos, Gerd/Heinemann, Wolfgang/Sager, Sven F. (Hgg.): Text- und
Gesprächslinguistik. Ein internationales Handbuch zeitgenössischer Forschung. Berlin, S. 1382–1393. • Kiesendahl, J. (2011): Status und Kommunikation. Berlin• Kilian, J. et al. (2010): Sprachkritik. Berlin, NY.• Levinson, St. C. (2000): Pragmatik. Tübingen.• Lucius-Hoene, Gabriele/Deppermann, Arnulf (2004): Narrative Identität und Positionierung. In: Gesprächsforschung – Online-Zeitschrift zur verbalen Interaktion. S. 166-
183.• Meißelbach, Ch. (2009): Web 2.0 – Demokratie 3.0? Demokratische Potentiale des Internets. Baden-Baden• Preston, D. R. (2011): Perceptual Dialectology in the 21st Century. In: Anders 2011, S. 1-27.• Tollefson, J. (1999): Language Ideology and Language Education. In: www.languages.ait.ac.th/hanoi_proseedings/tollefson.html• Schegloff, E. et al. (1977): The Preference for Self-Correction in the Organisation of Repair in Conversation. In: Language, 53, S. 361-382. • Schiewe, J./Wengeler, M. (2005): Einführung der Herausgeber zum ersten Heft. In: Aptum. Zeitschrift für Sprachkritik und Sprachkultur, Heft 1, S. 1-13.• Schwitalla, Johannes (2008): Sprachkritik im Gespräch. In: Aptum. Zeitschrift für Sprachkritik und Sprachkultur, Heft 1, S. 21-42.• Selting, Margret (1987): Fremdkorrekturen als Manifestationsformen von Verständigungsproblemen. In: Zeitschrift für Sprachwissenschaft., S. 37-58.• Woolard, K.; Schieffelin, B. (1994): Language Ideology. In: Annual Review of Anthropology.
KontaktDr. Birte Arendt Dr. Jana KiesendahlInstitut für Deutsche Philologie Institut für Deutsche PhilologieRubenowstr. 3 Rubenowstr. 317487 Greifswald 17487 Greifswald
[email protected] [email protected] 03834-863427