Spontanremissionen und Salutogenese bei Krebs Manfred E. Heim, Sokrates Gesundheitszentrum Bodensee, Güttingen und ZIO Winterthur, ESIO 12.9.2019 Herzlich Willkommen
Spontanremissionen und Salutogenesebei Krebs
Manfred E. Heim,
Sokrates Gesundheitszentrum Bodensee, Güttingen und ZIO Winterthur,
ESIO 12.9.2019
Herzlich Willkommen
Pat. R.F. , 57 Jahre, seit 35 Jahren verheiratet, 2 erwachsene Kinder,
Maurer und Bauunternehmer, keine Vorerkrankungen.
Symptome: Müdigkeit, Husten, Beinschmerzen
Diagnose: Malignes Osteosarkom (Knochenkrebs) am Unterschenkelknochen (Biopsie), Lungenmetastasen (CT)
Histologisch undifferenziertes epitheliales Karzinom
Verlauf: Pat. lehnt Operation und Chemotherapie ab, Behandlung beim Hausarzt mit Mistelextrakt. Radikale Lebensveränderung, Pat. verkauft Firma, macht Testament, stellt Ernährung um, macht mit Ehefrau Schiffsreise.
Nach 1 Jahr: keine Lungenmetastasen nachweisbar (CT-Thorax)
Nach 2 Jahren: Rückbildung des Knochentumors
Nach 5 Jahren: kein Tumor mehr nachweisbar (CT)
Eine Patientengeschichte
Definition:
Eine Spontanremission ist das vollständige oder teilweise Verschwinden von Tumoren ohne medizinische Behandlung oder ohne adäquate Behandlung.
(Everson und Cole 1960)
Voraussetzung:
1. Histopathologische Sicherung
2. Objektive Messung, Bilddokumentation
3. Alle Therapien dokumentiert
Spontanremission bei Krebs
Beispiele für Spontanheilungen
⚫ Erkältungserkrankungen
⚫ Virusgrippe
⚫ Blutgerinnung bei Verletzung
⚫ Wundheilung (Schorfbildung)
⚫ Knochenbrüche
⚫ Kinderkrankheiten
• Ganz werden, Wiederherstellung der körperlichen und seelischen Gesundheit (Integrität)
• Heilung ist immer ein ganzheitlicher, körperlich-seelisch-sozialer-geistiger Prozess
• Medicus curat, natura sanat: Der Arzt behandelt, die Natur heilt.
Heilung
(Internationales Portal `bestcase-oncology.com`)
Histologisch gesichertes Malignom mit therapeutischen Interventionen im dokumentierten Verlauf:
a) Langzeitüberleben (2-facher Median d. aktuellen Zulassungsstudie Standardtherapie)
b) Objektive Remission unter CAM
c) Objektive Remission ohne Therapie (Spontanremission)
Best Case Kriterien
• Heilung eines Krebsgeschwürs am Fuß: St. Peregrinus, Schutzpatron der Krebskranken (1265 – 1345)
• 1906 Vinzent Czerny:“Über unerwartete Krebsheilungen“1. Int. Krebskongress Heidelberg
• 1964 Fauvet: 202 Einzelfallbeobachtungen 1866 -1960
• 1966 Everson und Cole: 176 Fallberichte 1900 – 1964
• 1974 1.Kongress Spontaneous Remission in Cancer, Baltimore
• 1993 O`Regan und Hirshberg: Bibliography 1051 dok. Fälle
• 1997 Int. Symposium Spontanremissionen bei Krebserkrankungen, Heidelberg
• 2017 Kongress Salutogenese bei Krebs
Historie Spontanremissonen
und Remissionsbeurteilung bei Spontanremissionen
1. Regression des Primärtumors (histologisch bestätigt)
2. Regression von Metastasen (histologisch gesichert)
3. Regression von Metastasen ohne Histologie
4. Regression von röntgenologisch diagnostizierten Metastasen
5. Lang anhaltender Wachstumsstillstand eines Malignoms
6. Auffällig verzögerte Metastasen- oder Rezidivbildung
Sicherheit von Diagnosestellung
Häufigkeit von Spontanremissionen bei Krebs
• Malignes Melanom:
• Primärtumor 1 – 15%
• Metastasen 0,3%
• Nierenzellkarzinom (Metastasen pulm.) 1 – 8%
• Niedrig maligne NHL, Chronisch lymphatische Leukämie 1-20 %
• Basalzellkarzinom Haut 10-20%
Sonderfälle: Kindliches Neuroblastom Stad.IV s: 80%
Transiente Myeloproliferation bei Trisomie 21: 80%
Solide Organtumoren Schätzung 1:60-80.000 (? Bashford 1906)
Ergebnisse, die vor Spontanremissionen beobachtet und als mögliche Ursache angesehen wurden
• Bakterielle oder virale Infektionen
• Operative Eingriffe oder Bestrahlung des Primätumors
• Hormonelle Veränderungen (z.B. Schwangerschaft, Menopause)
• Bluttransfusionen
• Elimination von Karzinogenen
• Veränderungen in der Psyche oder im Verhalten
Mögliche Ursache von Spontanremissionen
für spontane Rückbildung von Tumoren:
• Zelldifferenzierung
• Apoptose
• Immunaktivierung (Infekte, Vakzinierung, Absetzen Immunsuppression u.a.)
• Endokrine Faktoren (z.B. Schwangerschaft)
• Hemmung der Blutgefässneubildung
• Elimination Karzinogene
• Psychoneuroimmunologische Mechanismen
Mögliche Mechanismen
Verlauf:Bei 9 Patienten mit CLL Stad. A0-A2 kam es über einen Zeitraum von 3-28 Jahren zu einer spontanen Regression der Lymphozyten in den Normbereich bei weiter nachweisbarem neoplastischem Clon mit klinischer Remission.
Charakteristika:Alle CD38 und ZAP-70 negativ, IgVH u.IgVL Gene mutiert, BCR-Gene überrepräsentiert, Zytokinproduktion (IFNg, TNFa, IL-4) der T-Lymphozyten wie bei Gesunden, LGL-Zellen erhöht.
Literatur:Lymphozytenrückbildung bei CLL nach Grünteeextrakt u. Verapamilbeschrieben (Shanafell et al. Leuk Res 2006, Lemanne et al. 2015)
Spontanregression von 9 Fällen mit CLL Del Guidice et al. 2009
Ilaria Del Giudice et al. Blood 2009;114:638-646
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Lymphocyte counts over time.
Diagnose:Adenokarzinom transversales Colon Typ 2, 30x30mm, hohe Mikrosatelliten Instabilität (MSI-H), zahlreiche tumorinfiltrierende Lymphozyten im Stroma
Verlauf:Operation nach 2 Monaten: Narbe, histologisch keine Tumorzellen nachweisbar, keine Therapie erfolgt.
Fazit:Colon-Ca Pat. mit MSI-H sprechen schlecht auf Chemo an und sind Kandidaten für Immuntherapie (Anti-PD-1-AK)
Spontane Regression Colon-Karzinom (Karakuchi et al 2019)
• Psychopathogenetische Theorien
• Salutogenetische Theorien
• Spirituelle Ebene als Sonderform (Heilung durch göttliche Wirkung)
Psychosoziale Hypothesen bei Spontanremissionen
Diagnose ,Histol. Primärtherapie Rez., Metastasen Verlauf
Mamma-Ca Mastektomie Lunge, lok.Rez.Regr. Lungen- Mets nach 18 Mon. NED
CLL ohne Langs. Regr., n.KM
Lungen-CA Resektion Rez. , mediast.LK Regr.6Mon, NED
Nierenzell-Ca Nephrektomie Lunge,Leber Regr.Mets, CR
Melanom Resektion Lungenmets. CR n. 13 Mon.
Osteosarkom Nur Biopsie Knochen, Lunge CR Lunge n.14 M.
Hoden-CA Orchiektomie Lungenmets. Regr. 6M.,NED
Lungen-Ca ohne Primär-TU Regr. über 27 M.
Dokumentierte Spontanremissionen (Heim u. Köbele)
von Interviews mit 7 PatientInnen mit Spontanremission
Themenschwerpunkte:
1. Beschäftigung mit Tod und Sterben
2. Infragestellung gelebter Verhaltensmuster
3. Neudefinition Lebenssinn
4. Veränderung von Erlebens- und Verhaltensmustern
5. Veränderung in Übereinstimmung mit der sozialen Umwelt
Köbele 1998
Inhaltsanalytische qualitative Auswertung
Was hat sich geändert?
⚫ Neudefinition Lebenssinn
⚫ Infragestellung gelebter Verhaltensmuster
⚫ Beschäftigung mit Tod und Sterben („Ich lebe mit dem Tod“)
⚫ Auflösung von Zeit- und Raumperspektiven
⚫ Veränderung von Erlebens- und Verhaltensmuster
⚫ Ressourcen: Optimismus und Lebenswille, soziale Unterstützung, an das Göttliche glauben
Faktoren aus Interviews mit Patienten, die eine Spontanremission erlebt hatten (Kelly Turner: Radical Remission, 9 Wege in ein krebsfreies Leben)
Was hat mich geheilt?
1. Starke Gründe für das Leben haben
2. Verantwortung für die Gesundheit übernehmen
3. Der eigenen Intuition folgen
4. Positive Emotionen stärken
5. Unterdrückte Emotionen zulassen
6. Soziale Unterstützung zulassen
7. Spirituelle Verbindung vertiefen
8. Ernährung umstellen
9. Kräuter und Nahrungsergänzungsmittel
Plazebo: „Ich werde gefallen“
⚫ Scheininterventionen ohne Wirkung oder Medikamente ohne wirksame Inhaltsstoffe
⚫ Plato (427 – 347 v.Chr.:„Gesprochene Worte haben die Wirkung Kranke zu heilen“
⚫ Auslösende Wirkung:
1. Suggestion/Erwartungshaltung
2. Lernmechanismen, Konditionierung
⚫ Curabo-Effekt: Positive Erwartungshaltung des Arztes
⚫ Nocebo-Effekt: Negative körperliche Reaktion auf Grund einer Erwartungshaltung
Beispiele für Plazeboeffekte
Schmerzbehandlung: 15 randomisierte Doppelblindstudien:35% Ansprechen auf Plazebo, Endorphinausschüttung, Hemmung von Neuronen im Rückenmark
Scheinoperation (Hautschnitt) vs. Operation bei Kniegelenkarthrose: 90% Zufriedenheit nach 2 Jahren
Spannungskopfschmerz: Botulinustoxin vs. Plazebo:70% Schmerzrückgang in beiden Gruppen
Immunsuppressivum und grünes Getränk:verminderte Immunreaktion nach wiederholter Gabe nur bei Getränk
⚫ Injektionen und Infusionen sind wirksamer als Tabletten
⚫ Operationen sind wirksamer als Medikamente
⚫ Bunte und große Tabletten sind wirksamer als kleine weisse
⚫ Teure Plazebos sind wirksamer als billige
⚫ Bittere Pillen wirken besser als süsse
⚫ Rezeptpflichtige Plazebos wirken besser als frei verkäufliche
⚫ Medikamente, die mit Mitgefühl und Begeisterung abgegeben werden wirken stärker
von der Erwartungshaltung
Die Plazebowirkung ist abhängig
Das Kohärenzgefühl (stimmige Verbundenheit, Urvertrauen)mit seinen Komponenten
• Verstehbarkeit• Handhabbarkeit• Sinnhaftigkeit
Entsteht durch zwischenmenschliche Beziehungen, hilft Stressoren abzuwehren und Widerstandsressourcen(z.B. soziale Netzwerke) aufzubauen.
durch Kohärenzempfinden
Salutogenese (Gesundung)
zu Spontanremissionen bei Krebs (Heim und Schwarz 2000)
Analyse von 87 Rückmeldungen in 2 Jahren:
56 Krebspatienten
7 Angehörige
24 Patienten ohne Krebserkrankung
28 Krebspatienten mit Histologie
38 Krebspatienten mit schulmedizinischer Therapie
63 Rückmeldungen mit klarer subjektiver Heilungstheorie
Studie subjektive Theorien
1. „Eingebildete Spontanremission“ bei lege artisTumortherapie
2. „Eingebildete Krankheit“, Symptomatik verschwindet ohne Tumornachweis
3. „Pseudoregression“, gutartige Erkrankung, oder Krebs persistiert, vom Patienten geleugnet
Studie Typen subjektiver Theorien
bei Patienten mit angenommener Spontanremission (n=63)
• „Biologische“ (unkonventionelle) Therapien 10• Gottesglaube 8• Diäten 9• Imagination, Psychotherapie 7• Geistheilung 6• Kombinationskonzepte 6• „Hamer“-Konzept 4• Meditation, Reiki 4• Kosmische Heilkräfte (nach Bruno Göhring) 3• Gebete 3• Positives Denken 3
Subjektive Heilungstheorien
Was kann ich selber für mich tun
• Informationen einholen, Selbsthilfegruppe suchen
• Soziales Netz aufbauen, in Anspruch nehmen
• Körperliche Bewegung
• Ernährung, ggf. Mikronährstoffe
• Naturheilverfahren nutzen (Strukturierung der inneren und äußeren Lebensordnung)
• Komplementärmedizin
• Psychologische Hilfe in Anspruch nehmen
• Mentale Fokussierung (innere Bilder, Imaginationen)
• Spiritualität
den Verlauf einer Krebserkrankung? (Faller 2004)
Psychosoziale Faktoren sind prognostische Indikatoren (Prädiktoren), aber keine kausalen Risikofaktoren, die
den Krankheitsverlauf (z.B. Überlebenszeit) beeinflussen. Zur Prüfung von
Kausalzusammenhängen sind Interventionsstudien mit randomisiertem, kontrollierten Design notwendig.
Beeinflussen psychologische Faktoren
Zusammenfassung
• Jeder Mensch verfügt über Selbstheilungskräfte, die die Gesundheit bzw. Krankheit beeinflussen können.
• Spontanremissionen (SR) bei Krebserkrankungen treten, wenn auch selten, auf.
• Die Ursachen für SR sind vielfältig, eine wichtige Rolle spielen Veränderungen des Immunsystems.
• Die Untersuchung von SR kann wichtige Impulse für die Therapieforschung geben.
• Das gesicherte Auftreten von SR auch bei fortgeschrittenen Tumorerkrankungen kann Patienten Hoffnung geben.
Wunder sind also nicht wider die Natur, sondern nur gegen die uns bekannte Natur.
(Augustinus (354-430 n. Chr.) De civitate Dei)
.“So in the era of genomic medicine a single case (n=1) couldbe far more valuable than some large clinical trial. For those in the oncological community who are clinicians at heart, welcome back, we need you.“
Jose Basalgia 2013, Ann. Oncol
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit
Manfred E. Heim
Im Park 38594 Güttingen
[email protected]. +41 (0)71/694 55 44
Salutogenese Modell von Antonovsky
⚫ Kohärenzgefühl (sence of coherence) als umfassendes und dynamisches Gefühl von Vertrauen (Lebensorientierung)
⚫ Komponenten:
⚫ Verstehbarkeit (comprehensibility): Ereignisse erklärbar
⚫ Handhabbarkeit (managebility): Lebensaufgaben meistern aus eigener Kraft oder mit Hilfe anderer
⚫ Sinnhaftigkeit (meaningfulness): Motivation, Bedeutsamkeit
• Spontanregression
• Spontanheilung
• Unerwartete Genesung
• Radical Remission (Turner)
• Wunderheilung
• Ungewöhnlicher Verlauf
• Erlebte Genesungsgeschichte (Oda)
• Salutogenese
Spontanremission Synonyme ?