PHILOSOPHEN
Eisige EinsamkeitMartin Heidegger war ein erotischer Abenteurer,
der nicht nur Hannah Arendt liebte. Das belegen die jetzt
verffentlichten Briefe des Denkers an seine Ehefrau.FAMILIE
HEIDEGGER
D
ie ganze Woche ber: Was ist Wille? Was ist Vernunft? Welche
Kategorien begrnden welche Urteile? Griechische Philosophie,
mittelalterliche Scholastik. Seit einem Jahr tobt der Erste
Weltkrieg. Und nun, am Freitagabend nach Tagen des Denkens, spricht
das Gefhl: Komm, Seelchen, und ruh Dich an meinem Herzen, ganz tief
u. ewig lang will ich in Deine Mrchenaugen schauen sind meine Hnde
heilig genug um die Deinen bebend zu umfassen, ist meine durch alle
Schauer des Zweifels hindurchgepeitschte Seele der wrdige Schrein,
um Deine Liebe in Ewigkeit drin wohnen zu lassen verzeih Deinem
Bub, verzeih, dass ich Sonntags so voll Unruh war. Der Bub, das ist
der junge Freiburger Philosoph Martin Heidegger, 26 Jahre alt und
immerhin schon habilitiert mit einer strengen Arbeit ber Die
Kategorien- und Bedeutungslehre des Duns Scotus. Das Seelchen heit
Elfride Petri, ist zu dieser Zeit 22 Jahre alt, studiert
Nationalkonomie und wird zwei Jahre spter, 1917, die Ehefrau des
bedeutendsten deutschen Philosophen des 20. Jahrhunderts. Die
fruchtbare Spannung zwischen ernster, hochfahrender
Begriffsstrapaze und anrhrend alltglichem Herzensglck, zwischen
Hlderlin-Exegese und der Bitte um Pltzchen und Zucker sollte knapp
60 Jahre anhalten, bis zu Heideggers Tod 1976. Die Briefe, die das
belegen, die Briefe Martins an Elfride, werden jetzt erstmals in
einer umfangreichen Auswahl publik. Herausgeberin ist Gertrud
Heidegger, Enkelin des Philosophen und Tochter seines Sohnes Jrg*.
Jrg wurde 1919 geboren, ein Jahr spter kam Hermann zur Welt, der
noch heu-
Philosoph Heidegger, Ehefrau Elfride (1917): Ganz tief und ewig
lang
FAMILIE HEIDEGGER
te die Gesamtausgabe der Schriften und Vorlesungen Heideggers
betreut seines Stiefvaters. Dass der Philosoph nicht wirklich sein
Vater war (was dieser wohl wusste), erfuhr Hermann schon im Alter
von 14 Jahren. Damals beichtete ihm Elfride, sein Erzeuger sei ihr
Jugendfreund Friedel Caesar, ein Arzt, der Hermanns Patenonkel war
und 1946 starb. Elfride nahm Hermann das Versprechen ab, solange
sie lebe (sie starb 1992), drfe er niemandem diese Vaterschaft
verraten, auer seiner knftigen Frau. Hermann hat sich daran
gehalten und befreit sich, wie er in einem Nachwort zu dieser
Brief-Edition formuliert, jetzt mit einer knappen Erklrung von
einer mich 71 Jahre lang bedrckenden und qulenden Last. Der
folgenreiche Seitensprung Elfrides, knapp drei Jahre nach der
Hochzeit, schockiert den heutigen Leser weniger als diese heroische
Schweigeleistung ber sieben Jahrzehnte. Heideggers Frau wollte
unbedingt jeden Riss in der Fassade ihrer Ehe mit dem sptestens
seit der Verffentlichung von Sein und Zeit im Jahr 1927 berhmten
Professor verhindern. Nur so wird auch verstndlich, weshalb sie
ihren Zorn ber seine, wie sich jetzt herausstellt, sehr zahlreichen
Affren mit kaum jemandem geteilt hat bislang kannte man allenfalls
Heideggers ber Jahrzehnte immer wieder aufackernde Liebesbeziehung
zu der jdischen Philosophin Hannah Arendt, die Elfride ja
irgendwann halbwegs akzeptierte. Einen erschtternden Einspruch
gegen seine von tiefsinnigem GrunderfahrungsVokabular erfolgreich
begleitete erotische Abenteuerlust legte Elfride dem Konvolut
seiner Briefe bei, das sie der Enkelin Gertrud vermacht hat. Es ist
der einzige Brief* Gertrud Heidegger (Hg.): ,Mein liebes Seelchen!.
Briefe Martin Heideggers an seine Frau Elfride. 1915 1970. Deutsche
Verlags-Anstalt, Mnchen; 416 Seiten; 22,90 Euro. d e r s p i e g e
l 3 7 / 2 0 0 5
Heidegger-Post (vom 30. Juli 1918)
in diesem Buch, der mit der Anrede Lieber Martin beginnt;
abgeschickt hat sie ihn nicht. Darin liest sie dem Schwerenter die
Leviten: Er werde wohl nie begreifen, schreibt sie am 28. Juni
1956, wie ich durch Dich aus meiner Mitte geworfen bin. Sie msse
den unmenschlichsten Missbrauch ihres Vertrauens nicht einmal,
sondern immer wieder durch 4 Jahrzehnte ertragen; kann denn das ein
Mensch, wenn er nicht oberchlich ist oder versteinert? Immer wieder
sagst u. schreibst Du, dass Du mir verbunden seist was ist das
Band? Liebe ists nicht, Vertrauen ists nicht, bei anderen Frauen
suchst Du ,Heimat ach Martin wie siehts in mir aus und diese eisige
Einsamkeit. Unter den Frauen, die der vielreisende Denker in jenen
Jahren liebte, sind auch die adligen Damen Margot von
SachsenMeiningen und Sophie Dorothee von Podewils. Die Qual der
Wahl zwischen M., wie Margot in den Briefen genannt wird, und
Elfride trgt 1946 dazu bei, dass der Professor, der wegen seiner
Rolle als Mitlufer des NS-Regimes nicht mehr lehren darf, psychisch
zusammenbricht. 1970 weilt Heidegger in Augsburg, wo er wiederum
ein Rendezvous hat. Da kommt es schlimmer: Schlaganfall. Ein
Krankenwagen bringt ihn nach Hause, Elfride pegt ihn gesund. Das
Ehepaar bezieht bald danach einen kleinen Alterswohnsitz, den es
sich im hinteren Gartenteil seines Freiburger Hauses bauen lsst.
Fortan sind sie nur noch selten, und dann kurz, voneinander
getrennt keine Affren mehr, auch keine Briefe mehr. Am 26. Mai 1976
ist Heidegger morgens nicht mehr aufgewacht. In der Nacht darauf
schlft Elfride im gemeinsamen Ehebett neben dem Toten. Wenigstens
das herzallerliebste Seelchen hat wohl wirklich geliebt.Mathias
Schreiber
Pltzchen und Zucker 206
Kultur
Totale Herrschaft
im 20. Jahrhundert hat beide immer wieder beschftigt: den
Historiker Joachim Fest, 77, und die jdische Philosophin Hannah
Arendt (1906 bis 1975). Als Fest Hannah Arendt 1964 kennen lernte,
hatte er gerade seine Studie Das Gesicht des Dritten Reiches (1963)
verffentlicht, den Vorlauf zu seinem spteren Bestseller Hitler.
Eine Biograe (1973). Hannah Arendts Hauptwerk ber Elemente und
Ursprnge totaler Herrschaft (1951) war fr Fest nicht nur Quelle
zahlreicher Einsichten, sondern auch eine frhe Ermutigung,
strukturell zu vergleichen, was aus deutscher Sicht
unvergleichlich
erscheint: die Terrorsysteme unter Hitler und Stalin. Noch in
den achtziger Jahren kam es ber diesen Vergleich zum so genannten
Historikerstreit, an dem Fest beteiligt war. Vergleiche der Art wie
Hitler, so Stalin wagte Arendt schon 1951 gewiss einer der Grnde
dafr, dass Fest in seinem Erinnerungsbuch Begegnungen. ber nahe und
ferne Freunde, das nchste Woche im Rowohlt-Verlag erscheint, der
Philosophin ein groes Portrt-Kapitel gewidmet hat. Der SPIEGEL
druckt daraus Auszge, die vor allem Arendts Beziehung zu dem
Philosophen Martin Heidegger in neuem Licht zeigen als einzig wahre
Liebe eines ganzen Lebens.
BERT BOSTELMANN / ARGUM
Autor Fest
DENKER
Das Mdchen aus der FremdeHannah Arendts schwierige Liebe zu
Deutschland und Heidegger / Von Joachim Festannah Arendt war
Schriftstellerin, Politikwissenschaftlerin te sie. Sie sei weder
links noch rechts, weder liberal noch prinziund Philosophin. Trotz
aller Entschiedenheit im Auftreten pienstreng und glaube nicht
einmal an irgendeinen Fortschritt und Meinen ging etwas schwer
Bestimmbares von ihr aus. sei es in der Moral, sei es im Blick auf
die gesellschaftlichen VerEs uerte sich in der Breite und Vielfalt
ihrer Vorlieben sowie der hltnisse. Selbst als Auenseiter habe sie
niemals gelten wollen, Erregbarkeit ihrer Interessen. Sie besa eine
leidenschaftliche sondern immer nur vertreten, was ihr das Richtige
schien. Aus dieWachheit, die sich bis zum Eindruck stndig
gefhrdeter, un- sem Grund habe sie keine Theorie entwickelt und
werde, zum schwer erschtterbarer emotionaler Balance steigerte.
Ihre enge Kummer vieler Freunde, auch keine hinterlassen. Theorien
seien, Freundin, die Schriftstellerin Mary McCarthy, hat von Hannah
ergnzte sie ein andermal, pompse Masken fr drre Kpfe, die auf dem
intellektuellen Karneval Arendts groer Verletzlichkeit
geherumspringen. Ich gehe da nicht sprochen, ihrem Getriebensein,
hin. Die Aufgabe, die mich in Andem sie den Anschein zu geben
spruch nimmt, lautet ganz einfach: versuchte, sie sei zu stndig
neudie Welt und die Menschen zu veren Aufbrchen unterwegs.
Gleichstehen. Es gebe da keine Verwohl ist sie jeweils die ganze
Wegbotsschilder. Nach allem, was das strecke zu Ende gegangen, die
ein Jahrhundert der Welt angetan hat, Gedanke verlangte, und
oftmals verlange gerade das Bse die in provokantem Mutwillen ber
ganze Erkenntniskraft. Wer da mit das Ziel hinaus. Denken mu dem
Kopf kapituliert, sei auch im man mit Haut und Haaren, Wirklichen
nicht weit davon weg. uerte sie in einem unserer Wer ihr Leben
berblickt, stt frhen Gesprche. Oder man denn auch immer wieder auf
ablt es bleiben gebrochene, oft in Verstimmung Nach ihrer
aufflligsten Eigenendende Zugehrigkeiten, weil sie schaft befragt,
hat ihr Verleger Wilnicht bereit war, den Gedanken liam Jovanovich
gesagt, mehr als irgendeiner taktischen berlegung alles andere
bewundere er Hannah anzupassen oder gar zu unterwerArendts
Tapferkeit, und als ihr die fen Nach unserem ersten, anuerung
hinterbracht wurde, hat nhernd drei Tage whrenden sie mit der
burschikosen Ironie, Zusammentreffen im Herbst 1964 die sie einmal
mein schnstes notierte ich mir, da sie bei aller deutsches oder
eigentlich berliniselbstentuernden Verve einen sches Erbteil
nannte, gesagt: Ich seltsam ortlosen Eindruck maraufe nun mal gern!
che. Womglich ging diese berIm kleinen Eckladen des Denlegung nicht
zuletzt darauf zurck, kens, den sie querab von der da sie im
Verlauf unseres ausgeZeit betrieb, wie sie mit Vorliebe dehnten
Gesprchs ber Heimat, sagte, war sie glcklich ber jeden
Emigrationsverlust und neu erBeistand, der ihr zuteil wurde,
worbene Heimat sagte, sie sei sich doch mute er aus der Freiheit
des durchaus bewut, wie tief und unUrteilens kommen: Wo von
geistiverbesserlich deutsch sie sei: In gen Lagern die Rede ist,
herrscht meiner Art zu denken und zu urmeistens der Ungeist,
versicherPhilosophin Arendt (1963): Er rief, ich kam142d e r s p i
e g e l 3 8 / 2 0 0 4SDDEUTSCHER VERLAG
H
teilen komme ich noch immer aus Knigsberg. Manchmal verheimliche
ich mir das. Aber es ist so. Amerikanerin bin ich sozusagen nur und
zugleich von ganzem politischem Herzen. Nach einer kurzen Pause
fgte sie hinzu: Genaugenommen war und bin ich, wohin ich auch kam,
immer das Mdchen aus der Fremde gewesen, von dem ein Gedicht
Schillers spricht in Deutschland nur ein bichen weniger fremd als
in Amerika. Und hier wie da, am wenigsten noch im geliebten
Italien, hat mich die Angst begleitet, ich knnte zuletzt mir selber
verlorengehen Nach einem lngeren Interview-Termin im Sdwestfunk
lieen wir uns hinunter nach Baden-Baden fahren. Sie wolle endlich
einmal auf der Lichtenthaler Allee spazierengehen, sagte Hannah
Arendt, im fernen Knigsberg sei das der Inbegriff des vornehmen
Miggangs gewesen. Sie erzhlte von ihrem Elternhaus, vom frhen Tod
ihres Vaters und wie sie im Alter von vierzehn Jahren Kants Kritik
der reinen Vernunft gelesen und sozusagen vom Fleck weg beschlossen
habe, Philosophie zu studieren. Sie lachte ber das, was sie ihr
frhreifes Ungestm nannte, setzte aber mit einer kleinen
Feierlichkeit im Ton hinzu, an diesem Entschlu habe sich niemals
etwas gendert. Das war wirklich ernst!
ach einem kurzen Blick zu ein paar eilig hinziehenden Wolken
sagte sie: Die Wolken da oben sind sehr deutsch. Die gibt es in
Amerika nicht. So wechselnd, so umrilos und hastig. In lyrischen
Stimmungen kann man da viel hineinlesen. Ich kenne die Versuchung.
Doch mehr als diesen Anblick bentige ich nicht, um ihr zu
widerstehen. Und nach kurzem Nachdenken noch: Glcklich macht mich
das Bild trotzdem. bergangslos fragte sie dann, ob ich aus frhen
Jahren hnlich bestimmende Leseerfahrungen htte wie sie, und ich
berichtete kurz ber mein Elternhaus und die halbwchsigen
Unentschiedenheiten zwischen mancherlei historischen Werken und der
Literatur im engeren Sinn. Von Piper oder einem der Freunde in den
Staaten hatte sie offenbar dies und jenes von meinen privaten
Umstnden gehrt und fragte nach Einzelheiten. Kaum hatte ich
geendet, begann sie gleichsam im Austausch von ihrer ersten
Begegnung mit Martin Heidegger zu reden. Mit noch nicht achtzehn
Jahren habe sie im akademischen Rumor erstmals von ihm gehrt und
augenblicklich beschlossen, in Marburg, wo er lehrte, mit dem
Studium zu beginnen. Es war eine Entscheidung wie keine andere,
fuhr sie fort. Heidegger hat mich die Welt sehen und begreifen
gelehrt und mir bei alledem das Empnden verschafft, er fhre mich zu
mir selbst. Das galt fr das Denken wie fr das Fhlen und fr das mir
damals schon so wichtige Verstehen auch. Heidegger hat mich in
jedem Sinne zum Leben erweckt. Nach einigen anekdotischen Einschben
setzte sie hinzu, sie sei ber die Jahre hin ihre
Schulmdchenbefangenheit vor Heidegger nicht losgeworden. Sie habe
das oft erzhlt: wie sie bald nach Beginn des Studiums zur
Vorstellung bei dem Theologen Rudolf Bultmann erschien und ihm mit
dem ganzen Hochmut meiner achtzehn Jahre erklrte, da sie sich jede
antisemitische Philosoph Heidegger (1968): Er war auch ein Dichterd
e r s p i e g e l 3 8 / 2 0 0 4
N
uerung von ihm wie von einem der Seminarteilnehmer aufs
entschiedenste verbitte. Bultmann habe sie dann einigermaen
beschmt, sagte sie, indem er lchelnd erwiderte, gemeinsam wrden sie
mit allen denkbaren Rpeleien schon fertig werden. Bei Heidegger
hingegen, sagte sie, den sie um die gleiche Zeit aufsuchte, habe
sie kaum ein Wort hervorgebracht und sich schon gar nichts
verbeten: Ich habe nur zugehrt, dann und wann ein paar Schritte
mitzugehen versucht, verzaubert von seiner Poesie, denn er war ja
auch, bei aller Erkenntnisschrfe, ein Dichter. Immer wieder habe
sie sich im Verlauf der Unterredung dabei ertappt, da sie ihn im
sprachlichen Ausdruck unwillkrlich nachzuahmen versuchte, und etwas
spter ja auch eine gedichtartige Reexion fr ihn verfat. Kurzum,
meinte sie zusammenfassend, wie und was ich bin, geht auf Heidegger
zurck; ihm verdanke ich alles! Und nach mehreren abgebrochenen
Anlufen sagte sie: Zugleich hat er alles verdorben! Als ich in die
entstandene Pause hinein fragte, wie das zu verstehen sei,
erwiderte sie schlielich: Man knne das nicht sagen! Es klinge
unendlich sentimental oder sogar kitschig wie jede erzhlte Affre,
wenn nicht gerade Shakespeare der Erzhler ist. Also: Nach ungefhr
zwei Jahren rettete ich mich durch Flucht. Ich nahm meine
Siebensachen und machte mich davon. Nur eines lie ich in Marburg
zurck und habe es mir nie zurckholen knnen: die Liebe. Dann lchelte
sie halb verlegen, halb entschlossen: Kitschig genug? fragte sie.
Erst in einem weiteren Gesprch, Jahre spter, hat mir Hannah Arendt
Nheres ber den Liebessommer 1924 erzhlt: wie Heidegger bei jenem
ersten Besuch, whrend es drauen bereits dmmerte und sie gerade
aufbrechen wollte, pltzlich vor ihr auf die Knie gestrzt sei und
sie mit stammelnd hervorgestoenen Worten an den Hften umklammert
habe. Ihr ohnehin schwaches Widerstreben sei unter dem berfall
einfach weggeschmolzen. Was kann man, fgte sie hinzu, als
unerfahrenes und auerdem bewunderndes Mdchen schon tun? Sie sagte
das in ihrer Wohnung am Riverside Drive, whrend sie mit
irgendwelchen Verrichtungen zwischen Kche und Etisch beschftigt
war, und trug das alles in einem etwas angestrengt beilugen Ton
vor
S
ie kam spter darauf, wie sie die Rendezvous in Heideggers
Arbeitswohnung und in ihrer Dachkammer verabredeten, ein System der
Geheimhaltung entwickelten mit Lichtsignalen, toten Briefksten und
anderen Verschlsselungen; wie sie allezeit bereit war, sich seinen
Wnschen zu fgen: Wir Weiber sind nun mal Sklavinnen! bekannte sie
und erzhlte von einer nchtlichen Verabredung auf einem abgelegenen
Provinzbahnhof: Er rief, ich kam auch noch, als ich Marburg
seinetwegen schon verlassen hatte. Lange Zeit war das mein Problem
immer wieder. Damals jedenfalls. Zum Glck ist die Jugend irgendwann
vorbei. Natrlich war nichts vorbei. Doch meine Notizen ber Hannah
Arendts frhe Affre mit Martin Heidegger brechen an dieser Stelle
ab. Weitere im folgenden vermerkte Ausknfte, vor allem ber den
spteren Verlauf der Liebesgeschichte, stammen berwiegend von Mary
McCarthy, die wie143
DIGNE MELLER MARCOVICZ
Kulturwollte das nicht. Wer seine paar Sinne beisammen hatte,
konnte mit Hnden greifen, wie aussichtslos alles Reden war. Die
Ernennung Hitlers zum Kanzler sei denn auch kein Schock fr sie und
ihre Freunde gewesen, setzte sie hinzu: Der Weltuntergang stand
doch schon lange auf allen Programmzetteln, und eigentlich habe der
30. Januar nur besiegelt, was jeder von uns ohnehin wute. Nun muten
wir politisch werden, sagte sie. Ich erinnere mich, im Frhjahr 1933
zu Gnther Anders gesagt zu haben: ,Aus dem schnen Paradies der
luftleeren Rume, wo wir so frei atmen konnten, hat uns der Hitler
schon vertrieben. Bald werden wir auch das Land verlassen mssen. Da
Hannah Arendt stellungslos war und keine Aussicht auf irgendeine
Beschftigung hatte, bat die Zionistische Vereinigung sie, eine
Sammlung antisemitischer uerungen aus jngster Zeit anzulegen. Mit
Freuden, hat sie spter versichert, habe sie nicht nur deshalb
zugesagt, weil sie darin ebenso wie in der Zuucht, die sie seit dem
Reichstagsbrand verfolgten Freunden bot, eine sinnvolle Aufgabe
sah. Vielmehr habe jede gefhrliche Ttigkeit zugleich ihre
Abenteuerlust befriedigt. Als der Ausschnittdienst nach kurzer Zeit
aufog, hat sie hinzugesetzt, war mein erster, etwas verrckter
Gedanke: groartig! Auch wenn es zu nichts gefhrt hat. Aber
wenigstens bin ich nicht unschuldig! Denn das wre das Schlimmste,
was einer wie Hitler mir nachsagen knnte: da ich uf hnliche Weise
hat Heimich mir nichts, dir nichts zur degger die vielbegehrte
Schlachtbank fhren lie. Ich htjunge Frau in den folgente mir das
nie verziehen! den Jahren zu jedem Verehrer, Hannah Arendt wurde
festgevon dem er erfuhr, beglcksetzt, verblieb aber nur acht Tage
wnscht, so da Hannah Arendts in Haft. Zu ihrem Glck gelang es
Bemhungen, die Eifersucht ihres ihr, den Gestapo-Beamten, der sie
Geliebten zu erregen, ein ums anber Stunden verhrte, mit ihrem dere
Mal ins Leere liefen. Von seiCharme gewissermaen zu vernen eigenen
Ansprchen lie Heifhren. Ich beflirtete ihn nach degger gleichwohl
nicht ab, und allen Regeln der Kunst, hat sie sie kam, wenn er nach
ihr vererzhlt, und tischte ihm die aberAutorin McCarthy (1971): Das
Herz auskippen langte. Selbst ber ihre Ehe mit witzigsten
Geschichten auf. Natrseinem Schler Gnther Stern, lich hat er alles
durchschaut, er der sich als Publizist Gnther Anders nannte, im
September 1929, war ja nicht ,plemplem, wie man das nannte. Aber er
machte gab er sich erfreut. Sie selber deckte in zwei Briefen,
annhernd scheinheilige Miene zu meinem verlogenen Spiel und
pltzlich, fnfundzwanzig Jahre spter, das verborgene Motiv ihrer
Ver- auch nicht ganz ohne eigenes Risiko, lie er mich laufen. Er
erhaltensweise auf. An Heidegger schrieb sie: Weggegangen aus
teilte mir sogar ein paar gute Ratschlge: So was gabs damals
Marburg bin ich ausschlielich Deinetwegen, was zugleich hie, noch.
Kaum war ich frei, geriet ich aufs neue in Auseinandersetda sie
stets gehofft hatte, ihn doch noch fr sich zu gewinnen, zungen mit
meinen jdischen Freunden. Sie warfen mir ,Leichtund tatschlich lie
sie ihn kurz vor ihrer Eheschlieung ver- sinn, ,Unverstand und
,Hasardeurlaune vor, whrend ich ihre zweifelt wissen, sie liebe ihn
wie am ersten Tag. Ergnzend ge- generationenalte Unterwrfigkeit
anklagte: den schrecklichen stand sie spter: Sie habe damals
geheiratet, irgendwie ganz jdischen Gehorsam oder, was fast das
gleiche ist, die Wichtiggleich wen. Doch von Heidegger kam kein
Wort. Von Marburg tuerei. Wir kamen nicht zueinander. Im August
1933 hatte ich vom ging Hannah Arendt, der Empfehlung Heideggers
folgend, ber einen wie vom anderen genug und ging aus Deutschland
weg. Freiburg nach Heidelberg und promovierte 1928 bei Karl
Jaspers. Es war noch einmal Arkadia, sagte sie in Erinnerung an
diese enn sptestens zu diesem Zeitpunkt hatte sie eine Anzahl Zeit,
so konzentriert im Denken und, trotz allen Tumults ringsbestrzender
Erfahrungen gemacht. Nicht, da der Nazium, so weit aus der Welt.
Ein politisches Interesse jedenfalls habe Pbel Ernst machte und
jedermann wissen lie, wohin die sie damals und whrend der folgenden
Jahre nicht aufgebracht, Reise ging. Ich hatte, sagte Hannah
Arendt, wei Gott nichts das Geschft des Denkens verzehrte alles
anderes erwartet von unseren geschworenen Feinden. Was mir Der
Einbruch kam mit dem gewaltigen Politisierungsschub An- aber die
Welt zum Einsturz brachte, war das Verhalten meiner fang der
dreiiger Jahre. Die Weltwirtschaftskrise, die Radikali- Freunde.
Sie liefen kolonnenweise ber. Oder elen einfach um. sierung links
und rechts mitsamt den barbarischen Auswchsen Gestern hatten wir
noch Anrufe, Briefe, Besuche von berall her. allenthalben, von den
Brgerkriegssonntagen bis hin zum berall Jetzt wurde es mit einem
Mal ganz still, und wir standen wie die sichtbar werdenden
Antisemitismus, zwang jeden zur Parteinah- traurigen Kegel zwischen
lauter umgestrzten Figuren. Sogar ein me. In Berlin, hat Hannah
Arendt dazu gesagt, wo ich damals paar jdische Bekannte waren
eingenommen von dem, was in mit meinem Mann lebte, vor allem vor
den Arbeitsmtern und Deutschland passierte. Ein befreundeter Arzt
sagte mir, die Deutrund um die Armenkchen, bildeten sich kleine
primitive Laien- schen htten jetzt ihren Weien Ritter. ,Und wir
stehen wieder mal parlamente. Unwillkrlich traten die Passanten
herzu und hrten abseits und haben nichts als unseren Neid auf ihr
Glck. Erregt mit. Das eine oder andere Mal habe ich sogar selber
das Wort er- habe sie erwidert, manchmal verberge sich unter der
weien Rgriffen. Aber hinterher kam mir immer der rger hoch. Denn
ich stung auch ein Raubritter, und was ihm folge, seien bewaffnete
keine andere Freundin eingeweiht war. Auf meine Frage, warum Hannah
Arendt einem einigermaen Fernstehenden wie mir so bald nach dem
Kennenlernen ihre privatesten Erfahrungen preisgegeben habe,
antwortete sie: Ach, wissen Sie vor Jahren schon, als Hannah fnfzig
wurde oder etwas spter, berkam sie das Bedrfnis, von frhen Tagen zu
sprechen. Das hat man doch hug: da einer sein altes Herz auskippen
und zumindest in der Erinnerung die groen Gefhle von einst noch
einmal schmecken will. Wenn die stndige Heimlichtuerei mit
Heidegger, trotz aller ungezhlten Lstigkeiten, der romantischen
Natur Hannah Arendts anfangs entgegenkam, wurde sie ihrer doch im
Fortgang der Zeit berdrssig. Nach rund einem Jahr begann sie, sich
mit dem Gedanken vertraut zu machen, Marburg zu verlassen.
Heidegger, so hoffte sie, wrde auf diese Weise der Ernst ihrer
Liebe bewut werden. Um so berraschter und wie betrogen fhlte sie
sich, als er ihr zuvorkam und ihr von sich aus einen Wechsel nach
Freiburg zu seinem Lehrer Edmund Husserl und anschlieend nach
Heidelberg zu seinem Freund Jaspers vorschlug. Mary McCarthy
meinte, Heidegger sei zu dieser Zeit ebenfalls der Liebe im
Versteck mde gewesen, habe sich aber Hannahs so sicher gefhlt, da
er die rumliche Trennung in Kauf nahm; alles weitere, mochte er
sich sagen, werde sich nden.
A
D
144
d e r
s p i e g e l
3 8 / 2 0 0 4
PARSCHAUER / DPA
Zufall berlassen. Aber dann teilMordbrenner. Da gehren wir te
sie ihm pltzlich mit, sie werde nicht hin! an einem der folgenden
Tage in Am fassungslosesten aber habe Freiburg sein mssen (!), fgte
Heideggers Verhalten sie gemacht, aber im Hinblick auf Heidegger so
da sie nur verstummen hinzu, sie habe nicht die allerkonnte. Schon
vor Beginn der geringste Lust, den Herrn wiederHitlerjahre habe sie
gerchteweizusehen. Doch die fast schulse gehrt, da auf seiner Htte
mdchenhafte Verlegenheit, mit in Todtnauberg tiefsinnige Geder sie
mir ber das emotionale sprche ber Hitlers historischen
Durcheinander jener Tage AusAuftrag gefhrt wrden, ber eine kunft
gab, deutete darauf hin, da deutsche Ordnungsdiktatur, die
Philosoph Heidegger (r., 1923)*: Die Welt begreifen sie wieder,
diesmal vor allem mit dem drohenden Einbruch des Kommunismus die
Stirn bieten werde. Doch habe sie gedacht, alle sich selber, das
Versteckspiel vergangener Zeiten trieb. Jedenfalls Sorge sei
bertrieben, solange Heideggers Philosophie von der- lie sie sich
von einem Freund aus Studententagen, dem Romagleichen unberhrt
bleibe. Verwehrt geblieben sei ihr damals die nisten Hugo
Friedrich, die Adresse Heideggers geben. Am 7. FeEinsicht, sagte
sie jetzt, da Heidegger lebenslang der Famulus bruar 1950 war sie
in Freiburg. Zu ihrem Versteckspiel gehrte vermutlich auch die
Behaupseines Denkens blieb und als Person weit schwcher war als
sein Gehirn. Das aber war alsbald von Aufbruch, Gre und einer Art
tung, Heidegger habe sich am frhen Abend dieses Tages
einimetaphysischem Rausch so erfat, da er sich beugte. Als Jaspers
germaen berraschend im Hotel Zum Ochsen eingefunden im Mai 1933 die
Professorenfrage stellte, auf welche Weise wohl und nach ihr
verlangt. Bezeichnenderweise weicht fast jede Schilein so
ungebildeter Mensch wie Hitler Deutschland regieren sol- derung des
Wiedersehens partienweise von der anderen ab. Die folle, bekam er
von Heidegger die Antwort: Bildung ist ganz gleich- gende Version
geht berwiegend auf Mary McCarthy zurck gltig Sehen Sie nur seine
wunderbaren Hnde an! Gleich nach ihrer Ankunft im Hotel rief Hannah
Arendt Mary Im spten Herbst 1949 kam sie erstmals wieder nach
Deutsch- McCarthy in Paris an: Ob sie Heidegger ihre Ankunft melden
solland: Unbeschreiblichstes, herrlichstes! Wiedersehen, schrieb
sie le, wollte sie wissen, und die Antwort war, warum sie berhaupt
in einem Brief, das groe Heulen sei ihr gekommen, als sie auf in
Freiburg Station gemacht habe, wenn sie darber unsicher den Straen
und in den Cafs Deutsch sprechen hrte sei. Aus Hannah Arendt brach
es pltzlich heraus, fuhr Mary Die Stadt Freiburg mied Hannah Arendt
zunchst, und als eine McCarthy fort, da Heidegger unausstehlich sei
mit seiner pathoFreundin sie fragte, ob sie sich auf ein
Wiedersehen mit Heideg- logischen Unaufrichtigkeit, seiner Klte und
Schwarzwlder Schlauger freue, erwiderte sie: Um sich auf Freiburg
zu freuen, dazu meierei. Aber jedem ihrer Worte war anzumerken, da
sie an gehrt ein bestialischer Mut ber den ich aber nicht verfge.
Und ihren Mann in New York lie sie wissen, sie wolle alles dem *
Mit seinem Schler Hans-Georg Gadamer beim Holzsgen in
Todtnauberg.DB / DPA
Kulturihm litt, wie nur eine Liebende leidet. Sie solle die
Nachricht schicken, unterbrach die Freundin sie schlielich, um der
Tirade ein Ende zu machen. Denn sie werde es sich nie verzeihen,
wenn sie unverrichteter Dinge wieder abreise. Hannah schrieb
daraufhin, ging der Bericht weiter, eine kurze Notiz und lie den
Hoteljungen kommen. Sie gab ihm fnf Dollar und schrfte ihm ein, das
Kuvert am Rtebuckweg 47 dem Professor persnlich zu bergeben. Nicht
seiner Frau, nicht einem Hausmdchen oder einem der Shne. Sollte er
ihren Auftrag, wie verlangt, ausfhren, werde sie ihm weitere fnf
Dollar geben. Eine gute Stunde spter war der Junge zurck und
meldete, er habe alles, wie von der Frau Professor gewnscht,
erledigt. Einige Zeit lang tat sich nichts, und bei Mary McCarthy
schrillte ungefhr alle dreiig Minuten das Telefon. Hannah Arendt
war einmal emprt, dann ratlos, auch geknickt oder voller Hohn, bis
alles von neuem begann. Es war eine hchst verwirrende, ratlos
machende Geschichte. Gegen Abend endeten die Anrufe. hatte
Heidegger dem Portier seinen Brief ausgehndigt, machte er sich auf
den Heimweg, weil ihm die Dinge einen allzu berstrzten Lauf nahmen.
Aber nach einigen Schritten kehrte er um und lie sich bei Frau
Arendt melden. Er stand, als er ihr Zimmer betrat, wie ein
begossener Pudel da, hat Hannah Arendt die Szene beschrieben, und
viele ihrer Freunde haben von dem heimlichen Triumph gesprochen,
den sie darber empfand, dem Geliebten erstmals ohne die alte
Kinderangst gegenberzutreten. Schon bald nach der Begrung fand
Heidegger ber seine Befangenheit hinweg, er schien, den Worten
Hannah Arendts zufolge, absolut keine Vorstellung davon (zu haben,
da) alles fnfundzwanzig Jahre zurcklag was immer sie damit andeuten
wollte. Jedenfalls stellte sich bald wieder der vertraute Ton von
einst zwischen ihnen her, und Hannah Arendt, so hat Mary McCarthy
erzhlt, habe daraufhin den einen und anderen Anlauf unternommen,
ihn zu ein paar Worten ber sein Verhalten 1933 und spter zu
veranlassen. Doch Heidegger schwieg, und Mary McCarthy gewann den
Eindruck, er habe die Aufforderungen kurzerhand berhrt und statt
dessen von den Verleumdungen gesprochen, denen er seit Jahren
ausgesetzt sei, den Entwrdigungen mitsamt dem Lehrverbot und den
tausend qulenden Zumutungen einzig aufgrund eines politischen
Irrtums. Die Bereitwilligkeit, mit der sie sich abfertigen lie,
meinte Mary McCarthy, beweise, da der einstige Zauber schon zu
dieser Stunde wieder zu wirken begann. Sie werde gleichwohl nicht
preisgeben, setzte sie unaufgefordert hinzu, wie nahe die beiden
sich in der evening-night ihrer Wiederbegegnung gekommen seien.
Aber Hannah schrieb: Dieser Abend und dieser Morgen sind die
Besttigung eines ganzen Lebens. Htte sie die Gelegenheit zu diesem
Treffen ausgeschlagen, wre das etwa das gleiche gewesen, wie mein
Leben zu verwirken, und ihrem Mann bekannte sie: Es sei von ihr
ganz gewi richtig gewesen, Heidegger nie zu vergessen
W
ie Mary McCarthy spter erfuhr, hatte Heidegger sich bald nach
dem Besuch des Botenjungen auf den Weg zum Hotel gemacht und dort
seinerseits einige Zeilen hinterlassen. Darin lie er sie in drren,
nach Hannah Arendts eigener Bekundung unendlich fern klingenden
Worten wissen, da er fr diesen Abend allein sei und sie gern
wiedersehen wolle. Im Nebenhinein lie er die Bemerkung einieen, da
seine Frau inzwischen ber ihre einstige Affre unterrichtet sei, und
Hannah Arendt wird ihm dieses Bekenntnis hoch anrechnen, weil es
ihrem uneingestandenen Wunsch entgegenkam, Rechtfertigungsgrnde fr
Heidegger zu nden oder notfalls auch zu ernden. Er, der doch
notorisch immer und berall lgt, schrieb sie an Heinrich Blcher,
habe wenigstens seine Passion fr sie eingestanden, und da er damit
seine Frau, die Rivalin vieler Jahre, gedemtigt hatte, verstrkte
ihr Gefhl der Genugtuung. Kaum
NSDAP-Aufmarsch (1937)*, Philosoph Heidegger (1968): Die
Unfhigkeit, das Kriminelle der Bewegung zu erkennen
DIE IRRTMER DER DENKERCarl Schmitt und Martin Heidegger kamen
den Nazis nicht nur aus Opportunismus nahe. Ihre amoralische
Philosophie weist Berhrungspunkte mit der NS-Ideologie auf. / VON
VITTORIO HSLEm 20. Jahrhundert sind Intellektuelle, die fr Lenin,
Mao oder auch Stalin geschwrmt haben, keine Raritt gewesen. Viel
seltener aber waren Intellektuelle, die von Hitler eingenommen
waren. Sptestens seit 1945 gehrte eine ganz besondere Niedertracht
dazu, sich zu ihm zu bekennen. Aber vor 1945? Wichtige auslndische
Intellektuelle nden sich, die nicht nur wie der groe amerikanische
Lyriker Ezra Pound vom italienischen Faschismus, sondern die sogar
vom Nationalsozialismus fasziniert waren etwa der norwegische
Literatur-Nobelpreistrger Knut Hamsun. Freilich ist literarische
Gre auch kein Entschuldigungsgrund fr Fehler der Urteilskraft oder
gar fr Verbrechen, und daher gab es nach 1945 keinen Anlass, die
Intellektuellen besser zu behandeln als andere Kollaborateure. Aber
sollte man nicht wenigstens von den Philosophen, die doch in ganz
anderem Mae als die Literaten in analytischen Fhigkeiten geschult
sind, Widerstandskraft gegenber einem Phnomen wie dem
Nationalsozialismus erwarten? Auch diese Erwartung wird enttuscht.*
Oben: beim Erntedankfest auf dem Bckeberg bei Hameln; unten: auf
dem Osloer Flughafen nach der Rckkehr aus Berlin 1943, mit
Reichskommissar Josef Terboven (r.).
I
In Deutschland war eine respektable Karriere als Wissenschaftler
damals (und zu einem guten Teil auch heute noch) nur als
Staatsbeamter mglich, und das erhhte nicht die Risikobereitschaft
derjenigen, die Professoren waren oder es werden wollten. Der
Eintritt in die Partei war die Regel, manchmal freilich ohne jede
innere Sympathie fr die neue Regierung oder gar deren Ideologie.
Daneben gab es freiHitler-Bewunderer Hamsun, deutsche Besatzer*
lich auch GesinnungstNach dem Krieg als Kollaborateur behandelt
ter, die von der Ideologie Wenig berraschend ist es, dass nach Hit-
des Nationalsozialismus berzeugt, ja belers Machtergreifung die
akademische geistert waren. Interessanterweise ist einer
Philosophie sich genauso willig mit der von ihnen, der bedeutende
Mathematikneuen Regierung arrangierte wie andere philosoph und
-historiker Oskar Becker, nie universitre Disziplinen. Konformismus
mit Mitglied der NSDAP gewesen, obwohl er Tendenz zum Selbstbetrug
ebenso wie von Antisemitismus und nordischen Wahnblanker
Opportunismus sind wichtige Mo- vorstellungen durchdrungen war.
tive in der menschlichen Seele, und keine Um der Komplexitt der
damaligen Zeit statistische Untersuchung hat je bewiesen, gerecht
zu werden, ist erwhnenswert, dass dass sie bei
Philosophieprofessoren seltener der einzige deutsche Philosoph, der
seinen waren oder sind als bei anderen Menschen. Widerstand gegen
Hitler mit dem Lebend e r s p i e g e l 2 9 / 2 0 0 1NTB / DPA
136
BAYERISCHE STAATSBIBLIOTHEK (li.); DIGNE MELLER-MARCOVICZ
(re.)
SERIE TEIL 11
DER NEUE MENSCH
bezahlte, seit 1940 NSDAP-Mitglied war: Kurt Huber, um den sich
der Freundeskreis der Weien Rose in Mnchen bildete. Nun sind die
Erwartungen an akademische Philosophen allerdings geringer als die
an originelle Denker. Doch auch und gerade zwischen einigen der
groen Denker und der NS-Ideologie gibt es Verbindungen, da der
Nationalsozialismus tief gehende weltanschauliche Wurzeln und
Ambitionen besa. In der Tat ist dies die eigentlich interessante
Frage: Welche bedeutenden philosophischen Ideen trugen zur Bejahung
des Nationalsozialismus bei, zumindest zur Unfhigkeit, die
kriminelle Natur dieser Bewegung zu erkennen? Der erste groe
Philosoph des 20. Jahrhunderts, der sich bewundernd zu
Antisemitismus und Revanchismus der extremen Rechten uert und
Hitler anerkennend in seinen Tagebchern erwhnt, ist Gottlob Frege.
Dies mag bei einem so genialen Logiker, Sprach- und
Mathematikphilosophen berraschen, zeigt freilich auch, wie wenig
all das bei der geistigen Durchdringung der politischen
Wirklichkeit hilft. Frege ist 1925 gestorben. Ihm kann man zugute
halten, er habe einfach eine allgemeine Unzufriedenheit mit der
Situation seiner Zeit ausgedrckt. Selbstkritisch wird nach dem
Krieg der einussreiche Nazi-Philosoph Alfred Baeumler von der
deutschen Zurckgebliebenheit hinter dem Westen (Weltfremdheit)
schreiben, von einer Abstraktion ins Unbestimmte die Sehnsucht nach
Erhabenheit in der Politik habe zur Ablehnung der Demokratie
gefhrt. Baeumler hatte sich 1933 Hoffnung gemacht, im neuen Staat
eine geistige Fhrungsrolle einzunehmen, zu der er sich unter
anderem auf Grund seines Buchs ber Friedrich Nietzsche, 1931
verffentlicht, fr qualiziert hielt. Nietzsche mit dem
Nationalsozialismus zu verbinden war ja wegen dessen Antipathie
gegen Nationalismus, Sozialismus und Antisemitismus nicht einfach
gewesen, und bis heute beharren
Nietzsches zahlreiche Verehrer darauf, dass ihr Philosoph vom
Dritten Reich nur instrumentalisiert worden sei. Doch sind andere
Zge bei Nietzsche offenkundige Voraussetzung fr den
Nationalsozialismus: der aggressive Atheismus, das Leugnen einer
objektiven Moral (und damit einer moralischen Bindung von Recht und
Staat), die Verherrlichung brutaler Macht, das Pathos des
Avantgardistischen und Heroischen. Arnold Gehlen, Carl Schmitt und
natrlich Martin Heidegger setzten sich in ihrer philosophischen
Arbeit mit Fragen auseinander, die mit dem Dritten Reich
unmittelbar zu tun hatten. Alle drei Denker, die am 1. Mai 1933 in
die NSDAP eintraten und ihr bis zum Kriegsende angehrten, waren von
der so genannten konservativen Revolution geprgt. Manche von deren
Vertretern lieen sich allerdings nicht durch den
Nationalsozialismus vereinnahmen wie etwa Ernst Jnger und Oswald
Spengler. Zur konservativen Revolution gehren Kritik an der
Moderne, Angst vor dem Bolschewismus und eine positive Bewertung
des Erlebnisses des Ersten Weltkriegs Letzteres manchmal nur auf
Grund theoretischer Erwgungen. Heidegger etwa hatte im Ersten
Weltkrieg blo bei der Postzensur und spter als Meteorologe
gear-
VITTORIO HSLElehrt Kunst und Literatur an der Universitt von
Notre Dame im US-Staat Indiana. Der Philosophie-Professor, der 17
Fremdsprachen lesen kann, war zu Fragen der Ethik im technischen
Zeitalter, einem seiner Hauptgebiete, auch als Experte fr das
Bundeskanzleramt ttig. Hsle, 41, hat ein Standardbuch ber Moral und
Politik verffentlicht.d e r s p i e g e l 2 9 / 2 0 0 1
NORBERT ENKER
137
DIE GEGENWART DER VERGANGENHEIT
NS-Apologeten Jnger, Schmitt (1941 in Rambouillet): Der Fhrer
schtzt das Recht
beitet. Das hinderte ihn nicht daran (Kompensation ist eine
wichtige Triebfeder des Menschen), sich als Rektor besonders
soldatisch zu geben und gegen Ende des Russlandfeldzuges einem
Schler zu schreiben: Das einzig wrdige Dasein fr einen Deutschen
sei heute an der Front. Das Engagement Gehlens, Schmitts und
Heideggers fr das Dritte Reich lsst Mitte der dreiiger Jahre nach.
Ihre Ambitionen erfllten sich teils nicht, weil innerparteiliche
Konkurrenten sich ihnen im Machtkampf berlegen zeigen; teils liegen
ihnen zentrale Bestandteile der nationalsozialistischen Ideologie
nicht Heidegger und Gehlen verabscheuen etwa den primitiven
Biologismus. Dennoch nden sich bei den dreien bis kurz vor der
deutschen Kapitulation Ideen, die dem Regime verwandt sind.
Bezeichnenderweise war es Heidegger, der unmittelbar nach seiner
Wahl zum Rektor der Freiburger Universitt Carl Schmitt brieich
aufforderte, sich der Bewegung anzuschlieen. Die Motive fr die Nhe
zum Nationalsozialismus waren bei den dreien freilich recht
unterschiedlich. Whrend Heidegger und Schmitt den deutschen
Idealismus ablehnten, sah Gehlen, damals Fichteaner, im nationalen
Sozialismus Hitlers unter anderem eine Verwirklichung der
wirtschaftspolitischen Ideen, die Johann Gottlieb Fichte im
Geschlossenen Handelsstaat entwickelt hatte (einer einseitigen,
aber bemerkenswerten Schrift, die heutigen Gegnern der
Globalisierung gefallen msste). Auch begrte der Institutionendenker
Gehlen einen starken Staat obgleich im Dritten Reich wie in der
Sowjetunion die Partei wichtiger war als die Staatsorgane und
obgleich das Resultat des Nationalsozialismus die vollstndige
Zerstrung alter Institutionen war. Am ehesten von allen dreien hat
Gehlen nach dem Krieg die mrderische Natur des Nationalsozialismus
beim Namen genannt. Der konservative Katholik Schmitt stand dem
Nationalsozialismus bis zur Machtergreifung kritisch gegenber. Im
Prozess um die Entmachtung der preuischen Regierung durch das Reich
hatte er die Reichsregierung Franz von Papens 1932 vor dem
Staatsgerichtshof vertreten, und er hatte fr Kurt von Schleicher,
den letzten Kanzler vor Hitler, gearbeitet. Aber weder Papen noch
Schleicher waren Nationalsozialisten; Schleicher sogar ein Gegner
Hitlers, der ihn mit vielen anderen am 30. Juni 1934 whrend der
Niederschlagung des so genannten Rhm-Putsches ermorden lie.
Schmitt, der inzwischen zum Preuischen Staatsrat ernannt worden war
und die Deutsche Juristenzeitung herausgab, verteidigte in seinem
wohl berchtigtsten Text Der Fhrer schtzt das Recht das Vorgehen
beim Rhm-Putsch mit dem Argument, Hitler stehe auch an der Spitze
der Judikative (in Wahrheit machte sich Hitler erst 1942 zum
obersten Gerichts-
herrn). Schmitts Bewunderer entschuldigten diesen Artikel damit,
er habe als ehemaliger Mann Schleichers um sein eigenes Leben
gebangt. Dennoch bleibt Der Fhrer schtzt das Recht einer der
beschmendsten Texte, die je ein bedeutender Kopf geschrieben hat.
Denn natrlich ndert das Debakel nichts daran, dass Schmitts
Verfassungslehre ein groes Werk ist und dass seine Schrift Legalitt
und Legitimitt 1932 die Mglichkeit einer Selbstaufhebung der
Weimarer Reichsverfassung durch Zweidrittelmehrheit im Reichstag
vorhergesehen und mit guten Argumenten als rechtNSDAP-Werber
Heidegger*: Willig mit der neuen Regierung arrangiert lich
unzulssig erklrt hatte gegen die Mehrzahl der damaligen
Staatsrechtler, Prmissen, denn eine objektive Differenz Ackerbau
ist jetzt motorisierte Ernhauch und gerade der liberalen. Dass im
zwischen Gut und Bse gehrt nicht zu rungsindustrie, im Wesen
dasselbe wie die Bonner Grundgesetz Artikel 1 und 20 un- den
Ausgangspunkten seines Denkens. Fabrikation von Leichen in
Gaskammern. abnderlich sind (die Voraussetzung dafr, Heidegger
hatte sich mit Mhe dem Auch seine Sptphilosophie ist durch und
Parteien fr verfassungswidrig zu erkl- kleinbrgerlichen
Katholizismus seiner durch amoralisch: Anstatt individueller
Verren), geht auf eine von Schmitts zahlrei- Herkunft entwunden.
Zum intellektuellen antwortung waltet das Sein. Daher war er chen,
bleibenden Einsichten zurck. Ballast, den er abgeworfen hatte,
gehrte zur Reue ber seine Rolle im Dritten Reich Doch wieso hat
sich ein solcher Mann der Glaube an eine objektive Ethik. An-
ebenso wenig fhig wie Schmitt, dessen dem Nationalsozialismus
angeschlossen? ders als die Mehrzahl der deutschen Pro- Larmoyanz
ber das ihm nach dem Krieg Neben Opportunismus und dem Willen,
fessoren war er jedoch kein Opportunist; Angetane (Internierung und
Untersudabei zu sein, spielt die Enttuschung ber 1933 denunzierte
er besonders aggressiv chungshaft fr den Nrnberger Kriegsverdie
Weimarer Republik eine Rolle. Dazu jene Kollegen, von denen er den
Eindruck brecherprozess) angesichts der Verbrechen kommt seine
Auffassung, dass politische hatte, sie wrden erst jetzt auf den
natio- des NS-Regimes, das er untersttzt hatte, Normen sich nicht
einer rationalen Be- nalsozialistischen Zug aufspringen. Er war
fast noch schlimmer ist als seine Taten. grndung verdanken, sondern
einer Ent- ein Gesinnungstter. Schon im Winter Heideggers Schler
Hans Jonas, jdischeidung, einer klaren Grenzziehung zwi- 1931/32
sprach er sich vor Studenten fr scher Herkunft, hatte 1933
Deutschland mit schen Freund und Feind. eine NS-Diktatur aus. Zu
der Erklrung verlassen, er wrde nur als Denn darin liegt nach
seinem begeisterten Einsatz Soldat einer gegnerischen Armee
zurckSchmitt das Wesen von Pofr den Nationalsozialismus kehren.
1945 traf er in Marburg ein und litik. Diese Wesensbestimtrug 1933
auch bei, dass er begegnete seinem Lehrer Julius Ebbingmung von
Politik ist formal sich von den neuen Macht- haus wieder, einem
heute vergessenen vllig leer und in ihren Konhabern eine neue Welle
Neukantianer, der sich whrend des Dritsequenzen nihilistisch. Vom
deutscher Gre erhoffte, ten Reiches untadelig verhalten hatte. Auch
frhen Schmitt fhrt deseinen Bruch mit all der seinen zweiten
Lehrer, Heidegger, suchte halb eine Brcke hinber Halbheit, die er
um sich sah. er spter auf eine fr Jonas zutiefst entzum
Nationalsozialismus. Man hat Heidegger damit tuschende Begegnung,
denn Heidegger Analog zum Schmittschen zu entschuldigen versucht,
sah sich auer Stande, Jonas zur ErmorDezisionismus spielt die dass
er schon whrend des dung von dessen Mutter in Auschwitz auch
Entschlossenheit in HeidegDritten Reiches eine kriti- nur zu
kondolieren. gers Hauptwerk Sein und sche Theorie des NationalImmer
wieder befasste sich Jonas seither Zeit (1927) eine wichtige
sozialismus entwarf. Dies ist mit der Frage, ob Heidegger oder
EbbingNietzsche-Portrt von Rolle auch wenn dieses sicher richtig
und eine be- haus der Idee der Philosophie gerechter Edvard Munch
(1906) Werk gewiss nicht notwenachtliche Leistung, aber das
geworden sei. Die Frage ist nicht einfach zu Pathos des Heroischen
dig eine Option fr den NaProblem besteht darin, dass beantworten,
zumal dann, wenn man die tionalsozialismus enthlt: Joseph Rovan,
Heideggers Deutung des Nationalsozialis- Hoffnung nicht aufgeben
will, dass groe der zehn Monate im KZ Dachau inhaftiert mus als
eine Manifestation des Willens zur Philosophie mit menschlichem
Anstand war, begann damit, es ins Franzsische zu Macht ebenso
amoralisch ist wie die Fun- vereinbar sein kann. bersetzen, als er
in der Rsistance gegen damentalontologie von Sein und Zeit.
Vermutlich besteht darin eine Lehre des die deutschen Besatzer ttig
war. Man kann Heideggers hellsichtige Ana- 20. Jahrhunderts: Eine
Philosophie, die Heidegger deutet in Sein und Zeit tra- lyse der
Gefahren des technischen Zeit- nicht ihren Ausgang nimmt von der
Einditionelle ethische Kategorien wie Schuld alters hoch schtzen,
ja, in ihr eine wichti- sicht in einen objektiven Unterschied
zwiund Gewissen auf subtile Weise um. Schul- ge Grundlage fr
kologisches Denken er- schen Gut und Bse, mag zwar gro sein dig
wird der Mensch nach Heidegger, weil kennen und trotzdem emprt sein
ber aber auch die genialste Philosophie, die er nicht alle
Seinsmglichkeiten verwirkli- seine berhmte Aussage von 1949 (die
ein- amoralisch bleibt, ist in einem radikalen chen kann. Nun ist
es sicher richtig, dass zige ffentliche ber den Holocaust): Sinne
unvollstndig. man nicht gleichzeitig Heinrich Himmler und Raoul
Wallenberg sein kann. Aber ist Im nchsten Heft lesen Sie: Teil 12
es sinnvoll zu sagen, dass beide deswegen gleichermaen schuldig
geworden sind? DER ENGEL VON BUDAPEST Das aber folgt durchaus aus
Heideggers Der Schwede Raoul Wallenberg rettete Zehntausende
ungarische Juden. Noch immer ist ungeklrt, * Bei einer
NS-Kundgebung deutscher Wissenschaftler am 11. November 1933 in
Leipzig. ob die Russen ihn nach dem Krieg umbrachten.AKG
d e r
s p i e g e l
2 9 / 2 0 0 1
139
DIE GEGENWART DER VERGANGENHEIT
. .
KULTUR
Philosophie
Knig in kurzer HoseJesuiten-Zgling und Liebhaber, Querdenker und
Nazi-Claqueur eine Biographie beschreibt Leben und Werk Martin
Heideggers.s ist eine lange Geschichte mit Heidegger, beginnt sein
Biograph Rdiger Safranski*, mit seinem Leben, seiner Philosophie.
Die Leidenschaften und Katastrophen eines ganzen Jahrhunderts seien
darin versammelt. Und welch ein Stoff fr ein Drehbuch. Ein Visconti
htte daraus groes Kino machen knnen, voller Schwarzwald und Sturm,
faustischem Ringen und mephistophelischem Verrat, deutscher
Innerlichkeit und deutscher Gemeinheit. Film ab: Anfangssequenz.
Mekirch, Ende des vorigen Jahrhunderts, karge Landschaft zwischen
Bodensee und Schwbischer Alb. Der kleine Martin, Sohn des Mesners
der katholischen St.-Martin-Kirche, mit der Kerze in der Hand im
Morgendunkel vor dem Altar, das herabflieende Wachs
hinaufschiebend, damit das Licht nicht verlsche. Und doch ersehnt
er gerade diesen Moment. Eine Urszene: All sein spteres Denken
beschftigt sich mit der Nacht, dem Nichts, von dem sich ein Etwas
abhebt. Schnitt: Konstanz, das Konradihaus. Der Konviktschler
Martin, der von der Kirche alimentierte Kleine-Leute-Sohn, beim
Studium heiliger Bcher. Er will Priester werden. Drauen tollen die
weltlichen Mitgymnasiasten herum und reden von Tanzstunde, Mdchen
und all den schnen Snden. 1909, es kommt ein erster Hauch von
Dramatik in Heideggers Leben: Der strebsame Abiturient, ein
Bcherwurm, tritt in das Noviziat der Gesellschaft Jesu in Tisis bei
Feldkirch (Vorarlberg) ein. Auf einer Wanderung berwltigen ihn
Herzschmerzen. Heidegger hat aus gesundheitlichen Grnden nicht das
Zeug zum Priester. Es ist Krieg. Die Freiburger Studenten ziehen
begeistert ins Feld. Der angehende Philosoph brtet derweil ber
scholastischen Texten. Er wird sich habilitieren. Sein
Fronterlebnis hat er in der Etappe, als Hilfsmeteorologe, um die
gnsti-
E
Philosoph Heidegger (um 1966): Wir Deutschen knnen nicht
untergehengen Winde fr den Giftgaseinsatz zu bestimmen. Und als
abkommandierter Landsturmmann in der Postzensurstelle. Wir
springen. Heidegger hat einiges hinter sich: den Bruch mit der
Kirche, die Freundschaft mit seinem Mentor Edmund Husserl, dem
jdischen Professor. Dessen auf Kant fuende Phnomenologie ist dem
jungen Privatdozenten insgeheim suspekt geworden. Er begehrt auf
gegen den logischen Universalismus; er will, da sich der Mensch
selbst ins Spiel bringt; er beginnt zu begreifen, was es heit zu
saheit des metaphysischen Denkens, das sich ber das Leben erhebt.
Ins schwarzwlderische Todtnauberg dort hat Heidegger seine spter
berhmt gewordene Seinshtte gebaut ldt er whrend der Semesterferien
bndisch bewegte Jugendliche. Wenn der Holzsto lodert, beschwrt er
die Echtheit gegen die Phrasen der brgerlichen Welt: Wach sein am
Feuer der Nacht. Doch der mnnerbndische Griechenfreund ist nicht
nur aus Geist. Da steht sie im Februar 1924 im Regenmantel, den Hut
tief ins Gesicht gezogen, in seinem Arbeitszimmer die 17 Jahre
jngere, bildschne Studentin Hannah Arendt, hhere Tochter aus einer
assimilierten jdischen Familie. Ihre abgrundtiefen Augen, umrahmt
von einem Bubikopf, bezaubern die Kommilitonen. Hannahs Dachkammer
ganz in der Nhe der Uni hier empfngt die verliebte Studentin zwei
Semester lang den berhmten Professor. Heidegger, Vater zweier Shne,
dringt auf Geheimhaltung. Ein kompliziertes Zeichensystem von ein-
und ausgeschalteten Lampen organisiert die minutengenau geplanten
Rendezvous. Kompliziert ist auch das Innenleben dieser Liaison:
Bewunderung, Blindheit, spter Reserve bei Arendt. Und bei
Heidegger? Hannah sei die Passion seines Lebens gewesen, beichtet
er seiner Frau nach Jahren. Das Sein, das der Meister so wortreich
beschwrt, hat zugeschlagen und bewirkt, da der Meister seine
Denkanstrengungen nochmals verstrkt. Noch whrend er mit Hannah in
Snde liebt, referiert Heidegger im Seminar des groen
protestantischen TheologenDER SPIEGEL 40/1994
Das Leben liegt rein, einfach und gro vor der Seelegen: Ich bin.
Ohne ergo, ohne cogito. Aber wir sind noch im Film. Und dem
Szenaristen kommt Heideggers Berufung nach Marburg (1923) zugute,
in die Hauptstadt der evangelischen Theologie. Was fr Bilder
entstehen, als sich innerhalb von nur fnf Jahren dieser Doktor aus
dem Schwarzwald zum Star der philosophischen Szene in Marburg, zum
heimlichen Knig der Philosophie in Deutschland entwickelt. Im
Winter sieht man ihn durch die Stadt mit Skiern laufen. Den Hrsaal
betritt er bisweilen in Skikluft. Im Sommer beglckt er das
Auditorium mit Lodenanzug und Kniebundhosen. Den Theologen gibt der
entlaufene Katholiken-Zgling Rtsel auf: Die Theologie ehren wir,
indem wir von ihr schweigen, erklrt er. Heidegger redet lieber von
der Existenz, die von ihrem Tod wei, und von der Zeitenthoben-
* Rdiger Safranski: Ein Meister aus Deutschland. Heidegger und
seine Zeit. Hanser Verlag, Mnchen; 544 Seiten; 58 Mark.
229
D. MELLER MARCOVICZ
. .
KULTUR
Rudolf Bultmann ber den Sndenfall aus der Genesis. Wenig spter
durchlebt er in einer angemieteten Stube bei einem
Schwarzwaldbauern im Sommer 1927 die Muse Hannah hat sich gerade
unter tiefem Schmerz von ihm getrennt den Hhepunkt seines
Gelehrtendaseins. Das Leben, meldet er Freunden ins Tal, liegt
rein, einfach und gro vor der Seele. Heidegger schliet Sein und
Zeit ab, ein Werk, von dem Jrgen Habermas spter sagt, es habe einen
so eminenten Stellenwert im philosophischen Denken unseres
Jahrhunderts, da die Vermutung abwegig ist, die Substanz dieses
Werkes knne durch politische Bewertungen von Heideggers
faschistischem Engagement mehr als fnf Jahrzehnte danach
diskreditiert werden. Was nun folgt, ist der Fall eines Denkers.
Nicht mehr die Authentizitt eines von Gott verlassenen Individuums
steht im Vordergrund seines Denkens. Das immer herrischer
vorgetragene Pathos der Entschlossenheit zu einem Wozu (blo zu
welchem?) verlangt nach konkretem Stoff. Am Ende sind es Volk und
Fhrer, die dem geworfenen Dasein Sinn geben.
Heidegger-Biograph Safranski Existenzphilosophie als Echo der
Zeitbereits entschieden. Die Herrlichkeit aber und die Gre dieses
Aufbruchs verstehen wir dann erst ganz, wenn wir in uns jene tiefe
und weite Besonnenheit tragen, aus der die alte griechische
Weisheit das Wort gesprochen: ,Alles Groe steht im Sturm . . .
Heidegger-Geliebte Arendt (1927) Minutengenau geplante
RendezvousDie Film-Bilder hierzu sind grotesk, bisweilen lcherlich.
Heidelberg: Heidegger, inzwischen ber 40, in kurzen Hosen und mit
Schillerkragen, spricht vor den in Amtstracht erschienenen
Professoren Markiges: Wer den Kampf nicht besteht, bleibt liegen.
1933, in seiner berchtigten Rede bei der bernahme des Rektorats der
Freiburger Universitt, erklrt der Philosoph:Wir wollen uns selbst.
Denn die junge und jngste Kraft des Volkes, die ber uns schon
hinweggreift, hat darber
Das Ende der Heidegger-Phantasie, er knne den Fhrer fhren, kommt
schnell. Das Regime will keine Revoluzzer an den Unis, sondern
rstungswichtige Forschungen. Heidegger denunziert den Chemiker
Herrmann Staudinger als vaterlandslosen Gesellen (der Mann hatte
den Ersten Weltkrieg in der Schweiz verbracht), dringt aber nicht
durch. In Berlin verhindert ein Gutachten, das Heideggers Denken
als schizophrenes Gefasel bezeichnet, da der Mann aus Freiburg die
ganz groe NaziKarriere macht. Wie einst Platon als Helfer eines
Diktators scheiterte, so ist auch der Seinsphilosoph gescheitert.
Rcktritt vom Rektorat 1934. Die Zeit bis zum Krieg sieht einen
Heidegger, der den Glauben an den Fhrer nicht verloren hat und der
weiter von der inneren Wahrheit und Gre der nationalsozialistischen
Bewegung redet. Allerdings: Hitlers Partei ist in Heideggers Sicht
dabei, ihre eigentliche Mission zu verfehlen, nmlich den Nihilismus
der trostlosen Raserei der entfesselten Technik und der bodenlosen
Organisation des Normalmenschen zu berwinden. Und am 20. Juli 1945,
Deutschland hat kapituliert, Millionen sind umgekommen, die KZs
geffnet, heit es in einem Brief: Alles denkt jetzt den Untergang.
Wir Deutschen knnen deshalb nicht untergehen, weil wir noch gar
nicht aufgegangen sind und erst durch die Nacht hindurchmssen.
Der Seinsphilosoph, abgehoben in das Schemenreich des ewigen
Advents, wird verstockt bleiben gegenber eigener und deutscher
Schuld. Seine Abstraktion macht Kommunismus und Faschismus als
Trger eines planetarischen Willens zur Macht gleich. Als Herbert
Marcuse um ein Wort zur Judenvernichtung bittet, antwortet
Heidegger, was die Alliierten mit den Ostdeutschen getan htten, sei
vergleichbar. Nein, Safranski hat in seiner Biographie nichts im
Fall Heidegger beschnigt. Er gibt im wesentlichen wieder, was seit
Hugo Ott (Martin Heidegger. Unterwegs zu seiner Biographie, 1988)
und Victor Faras (Heidegger und der Natio nalsozialismus, 1989) an
Recherchen bekannt ist. Dafr nimmt das Buch den Leser mit auf
Heideggers Denkweg. Der Untertitel heit mit Recht Heidegger und
seine Zeit, denn Safranski bringt die Existenzphilosophie als Echo,
Modulation oder Gegenstimme zum geistigen Getne der Zeit zum
Klingen. Wo Safranski Heideggers Denken ausfhrlich schildert, im
Falle von Sein und Zeit etwa, bleibt er zurckhaltend in der Rolle
des Biographen: Er verkneift sich jede Bewertung darber, ob
Denkfiguren Not der Notlosigkeit, Sein zum Tode, Geworfenheit,
Entwurf jemals aus dem Gehege der nun schon historischen
Philosophie Heideggers ausbrechen und die Gegenwart erhellen
knnten. Diese bersetzungsarbeit bleibt dem Leser berlassen. Nimmt
der sie in Angriff, kann er vielleicht lernen. Eine neue
Sensibilitt beispielsweise fr die Selbstentfremdung durch die
Gaukeleien der Kulturindustrie, die ihm den Tod wegzaubern, ihn
Sorge und Angst vergessen lassen und seine Existenz in den
Horizonten von tausendundeinem Niemand verschwinden lassen.
Heidegger der Gegenpapst in der Cyberwelt? Schon Sokrates wute, da
das hchste Wissen das Nichtwissen des Hchsten ist. Folgerichtig hat
sich auch Safranski nicht gotthnlich auf die Richterbank ber das
Leben und Denken dieses Meisters aus Deutschland gesetzt. Der
professionelle Biograph (E.T.A. Hoffmann, Schopenhauer) schildert
und richtet nicht. Und prsentiert am Ende seines Buches eine
gelassen stimmende Szene: Nicht lange vor Heideggers Tod, 1976,
traf der Intendant des Freiburger Theaters den alten Philosophen im
Zug. Natrlich wollte der Bhnenmann ber Kunst und Literatur
sprechen. Doch Heidegger hatte damit nichts im Sinn. Statt dessen
schwrmte er von Franz Beckenbauer als genialem Spieler, seiner
Unverwundbarkeit in den Zweikmpfen. Heidegger war sein Leben lang
umstritten. Aber in diesem Punkt irrte er nicht. Nikolaus von
Festenberg
232
DER SPIEGEL 40/1994
AKG
I. OHLBAUM