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koninklijke brill nv, leiden, 4|doi 0.63/56855X-347
mnemosyne 67 (04) 8-49
brill.com/mnem
Sophistische SatyrnDas sogenannte Oineus-Fragment und seine
Bedeutung fr die Poetik des Satyrspiels
Jan BernhardtFriedrich-Schiller-Universitt Jena, Institut fr
Altertumswissenschaften Frstengraben 1, 07743 Jena, Germany
[email protected]: June 2011; accepted: December
2011
Abstract
Since the discovery of the so-called Oineus fragment, which can
with some certainty be attributed to Sophocles, it has been
believed that the appearing Satyrs are a parody of the Sophists.
This supposition has consequences for our understanding of the
Satyr play: Usually, only Euripides Cyclops is believed to include
contemporary allusions, but a closer examination of further
fragments besides the Oineus fragment yields the con-clusion that
comic effects based on similar allusions might have been a common
and regular feature of Satyr plays. So my aim is firstly, after a
brief discussion of the frag-ment, to prove that the Satyrs are in
fact a parody of the Sophists; in a second step I will analyze the
Cyclops and some further fragments for contemporary allusions and
then compare them with the Oineus fragment, until I finally draw my
conclusion with regard to the appropriate interpretation of the
Satyr play.
Keywords
Satyr play Oineus fragment Sophists Sophocles Cyclops
poetics
1 Vorbemerkungen zum Oineus-Fragment und zur Fragestellung des
Artikels
Das Satyrspielfragment TrGF 4 **1130 ist seit seiner Erstedition
im Jahr 1911 Gegenstand der Forschung, und auch wenn Autor und Stck
nach wie vor
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29Sophistische Satyrn
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unsicher sind, knnen bestimmte Annahmen einiges an
Wahrscheinlichkeit beanspruchen. Nach verschiedenen Versuchen einer
Zuschreibung, beispiels-weise an Ion von Chios durch Wilamowitz
oder an Aischylos durch Mette, hat sich in der Forschung Hunts
Annahme durchgesetzt, dass Sophokles der Autor ist. Dies darf mit
Radts Aufnahme des Fragments in den Sophokles-Band seiner
Tragikerfragmente heute als communis opinio gelten.1 Da die bei-den
Papyri P.Oxy. 1083 und der zwar spter publizierte, aber zum
Manuskript von 1083 gehrende P.Oxy. 2453 mehrere Stcke umfasst
haben, von denen eines Sophokles zugeschrieben werden kann, handelt
es sich bei den Funden mglicherweise um Teile einer Ausgabe mit
mehreren Stcken des Autors, wie Hunt es bereits vermutet hatte.2
Hinzu kommen die Beobachtungen zu Wort-gebrauch und Stil des
Fragments durch Maas, die eine Autorschaft des Sopho-kles
nahelegen.3
Dass es sich bei dem Fragment um ein Satyrspiel handelt, bezeugt
die Zuschreibung einiger Verse an Akteure, die sich auf dem Papyrus
finden lsst. So wird Vers 6 einem Satyrchor zugeteilt und die Verse
19-20 einer weiteren Person, wahrscheinlich Oineus.4 Durch die
Selbstaussage der Satyrn, dass sie als Brutigame der Tochter des
Angesprochenen kmen,5 kann man davon ausgehen, dass das Fragment in
den Zusammenhang mit einer Vermhlung,
1 Zur mglichen Autorschaft des Ion, die selbst dessen
Herausgeber von Blumenthal (1939, 63-64) nicht fr wahrscheinlich
ansah, vgl. die Bemerkung von Wilamowitz bei Hunt 1911, 61. Zur
Autorschaft des Aischylos vgl. Mette 1963, 176, der diese zumindest
nicht ausschlieen wollte und fr die sich Theodoridis 1976, 49-53
aufgrund einer Notiz bei Pollux, dass ein aischyleisches Wort sei,
vehement ausgesprochen hat. Mit Radt 1977, 638 kann man dagegen
sagen, dass die Bemerkung bei Pollux nicht eindeutig ist, und
auerdem spricht nichts gegen die Verwendung des Wortes auch durch
die brigen Tragiker, gerade weil es an dieser Stelle eine
Persiflage intellektueller Ausdrucksweise zu sein scheint (dazu die
folgenden Ausfhrungen).
2 Vgl. Hunt 1911, 61 und Lloyd-Jones 1963, 437.3 Vgl. Maas 1973,
53. 4 Zum Namen Oineus vgl. Radt 1977, 638. Maas (1973, 53) hat auf
die Mglichkeit hingewiesen,
dass man auch Schoineus lesen knne, so dass das Satyrspiel von
den Freiern Atalantes gehandelt habe (so auch Mette 1963, 176);
Lloyd-Jones (1963, 437) hielt Phineus fr mglich, schloss sich aber
spter der communis opinio und damit der Deutung Oineus an (dazu
ders. 1996, 419). Mit Carden 1974, 136-7 kann man Phineus wohl
ausschlieen, fr die Lesart Oineus gegenber Schoineus spricht, dass
der Mythos in seinem Fall von mehreren Aufgaben der Freier
berichtet, wie es das Fragment andeutet; auerdem ist Herakles,
dessen Auftritt fr ein Oineus-Stck zu erwarten ist, eine beliebte
Figur des Satyrspiels. Ein Stck Oineus ist fr Sophokles auch an
anderen Stellen belegt, dazu Radt 1977, 380.
5 Das wird deutlich aus Vers 19, auerdem aus Vers 6, auf den
noch einzugehen ist.
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30 Bernhardt
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d. h. bei Lesart Oineus der der Deianeira, zu bringen ist: Um
die Ehe mit die-ser hatten sich Herakles und der Flussgott Acheloos
beworben, woraufhin der Brautvater beide Kontrahenten in Wettkmpfen
gegeneinander antreten lie, aus denen Herakles als Sieger
hervorging.6 Im Satyrspiel, das zumindest zum Teil diese
Brautwerbung und den anschlieenden Wettkampf zum Inhalt gehabt
haben drfte, scheinen die Satyrn als dritte Partei aufgetreten zu
sein, wie es aus der Prahlerei mit ihren Fhigkeiten vermutet werden
kann. Schlus-sendlich drften sie aber nicht nur unterlegen gewesen
sein, sondern werden den Kampf wohl nicht einmal gewagt haben.
In den folgenden Ausfhrungen soll zuerst eine philologische
Funote zu diesem Fragment genauer untersucht werden. Es wurde
vielfach die Vermu-tung geuert, dass es sich beim Auftritt der
Satyrn um eine Parodie auf Sophi-sten handele, deren Wirken damit
verspottet und lcherlich gemacht werde.7 Da die Forschung dieser
Vermutung, die meiner Meinung nach zutreffend ist, bisher noch
nicht genauer nachgegangen ist, soll eine Untersuchung die-ser
Frage in den folgenden Abschnitten zwei und drei im Mittelpunkt
meiner Ausfhrungen stehen. ber Verweise auf sophistische Texte
sowie auf Litera-tur zur Sophistik soll dabei der mgliche Kontext
der Ausfhrungen des Frag-ments dargestellt und darber der Bezug auf
die Sophistik in den Worten der Satyrn als wahrscheinlich erwiesen
werden.
Da als communis opinio der Forschung jedoch gelten kann, dass
diese Form zeitgenssischer Komik, wie sie eine Parodie auf
Sophisten an dieser Stelle dar-stellen wrde, dem Satyrspiel fremd
ist,8 bedarf es einer etwas ausfhrlicheren
6 Der Mythos ist gut bezeugt, Sophokles lsst Deianeira die
Geschichte in den Trachinierinnen (7-27) erzhlen.
7 Zuerst geuert und genauer untersucht wurde dies von Sajdak
(1920, 67-71), dessen Aufsatz aber in Vergessenheit geraten ist und
den dementsprechend weder von Blumen thal (1939, 37) noch Pfeiffer
(1966, 66) zu kennen scheinen, die beide eine Beziehung zum
Sophisten Hippias bei Platon herstellen. Spter hat Pfeiffer (1976,
211-2) das Fragment allgemeiner als humorvolles Bild des
sophistischen Universalismusanspruchs bezeichnet und damit bei
Carden (1974, 137) und Pechstein und Krumeich (1999, 373-4)
Zustimmung gefunden. Dagegen allerdings Sutton (1980, 138), der
zeitgenssische Bezge im Satyrspiel grundstzlich negiert und daher
die Fhigkeiten der Satyrn als tatschlich magisch und bernatrlich
bezeichnet, wofr es allerdings weder im Text noch in der Tradition
Anhaltspunkte gibt.
8 Vgl. dazu Sutton 1980, 163: we find little evidence for overt
contemporary humor in which present-day individuals, events,
political trends, speculative thought, cultural institutions, or
literature are parodied., Seidensticker 1989, 353-4: In die gleiche
Richtung weist die Tatsache, da dem Satyrspiel die direkte und
indirekte Attacke auf Zeitgenossen und die von ihnen reprsentierten
Haltungen, Gedanken und Entwicklungen so gut wie ganz fremd ist
[...], oder, wenngleich differenzierter, Lmmle 2011, 626.
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31Sophistische Satyrn
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Untersuchung der sich aus dieser Deutung ergebenden Problematik
sowie der knappen Besprechung vergleichbarer Beispiele im vierten
Abschnitt. Zwar gilt als groe Ausnahme fr entsprechende Komik
zumeist der euripideische Kyklops,9 in dem die Anspielungen auf die
Sophistik unverkennbar sind und ber den Lesky bezeichnenderweise
geurteilt hat, dass Euripides mit seinen zeitgenssischen
Andeutungen das heitere Spiel etwas schwer befrachtet habe.10 Bei
aller methodischen Fragwrdigkeit dieser Annahmesoll doch das
einzige vollstndig erhaltene Satyrspiel als Ausnahme geltenlsst
bereits der Blick auf weitere Satyrspiel-Fragmente diese Deutung
fragwrdig erscheinen, wie es im Folgenden ausgehend vom
Oineus-Fragment zu zeigen ist. Der vierte Abschnitt meiner
Ausfhrungen steht daher unter der These, dass die parodistische
Einbindung der concerns of the contemporary nicht nur, wie Seaford
meinte, im Prozess des Verlusts der specific form des Satyrspiels
mit Euripides ins Satyrspiel eingedrungen ist,11 sondern als
prinzi-piell mgliches poetisches Element des Satyrspiels angesehen
werden sollte. Diesen Schluss kann man erstens daraus ziehen, dass
entsprechende Par-odien auch bei anderen Dichtern nachgewiesen
werden knnen;12 zweitens aber auch aus der strukturell
vergleichbaren Form dieser Komik: So zeichnen sich die Parodien
dadurch aus, dass sie nicht wie in der Alten Komdie als direkter
Angriff im Sinne des durchgefhrt werdenhier-fr scheint das
Satyrspiel tatschlich keinen Raum zu bieten, sondern in das
mythische Spiel eingebunden sind, die Genregrenzen nicht
berschrei-ten und den Mythos nicht durchbrechen. So zeigen sie ihre
zeitgenssische Storichtung zwar nur indirekt auf, wirken aber
doppelt komisch: ber die direkte Komik des Geschehens sowie ber die
indirekte Komik der zeitgens-sischen Anspielungen. Als Mittler der
Parodie dienen diejenigen Figuren, die fr die Storichtung besonders
geeignet sind. Dies sind zumeist die prinzipi-ell komischen Satyrn,
es knnen aber auch weitere dramatische Figuren zum Trger der
Parodie werden, wie es der Kyklops zeigt, wo Polyphem als eine Art
Kallikles dargestellt ist. Realisiert werden kann diese Form der
Parodie dabei leicht aufgrund der Vielfalt an Stoffen und Motiven,
die das Satyrspiel bietet und die dem Dichter reiche Mglichkeiten
zur Einfhrung zeitgenssischer
9 Anders allerdings Sutton 1980, 121, der, wohl zu Unrecht, auch
im Kyklops keine contem-porary intellectual trends parodiert
sieht.
10 Zu Zitat und Kontext Lesky 1972, 501.11 Vgl. zu den Zitaten
sowie zum Problem insgesamt Seaford 1984, 18-9, dessen
Ausfhrungen
allerdings sehr knapp sind.12 Neben dem Oineus-Fragment vgl.
auch meine folgenden Ausfhrungen zu Aischylos
Theoroi oder Isthmiastai sowie meine Anmerkung zu Achaios.
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32 Bernhardt
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Momente in das Drama erffnet.13 Meiner Einschtzung nach spricht
daher nichts dagegen, von der prinzipiellen Realisierungsmglichkeit
zeitgenssi-scher Parodien im Satyrspiel auszugehen,14 wofr mir das
Oineus-Fragment nahezu ein Paradebeispiel zu sein scheint.
2 Zu Text und Inhalt des Fragments
Die hier relevanten Verse 3-20 sind gut erhalten und klar
verstndlich, die pro-blematischen Verse 1 und 2 knnen fr die
folgende Untersuchung unbetrach-tet bleiben. Die aus diesen Versen
erhaltenen Worte drften auf Oineus zu beziehen sein, der fr den
Brautwettkampf verantwort-lich ist. In der Wiedergabe des Textes
folge ich Radt:
Oineus (?): . [ [] [ [] [ 15 5Chor der Satyrn: [], , , , , , ,
10, , , , , , , , 15
13 Zu den Satyrn sowie der Vielfalt an mglichen Stoffen vgl.
Seidensticker 1989, 338-50; das Spektrum der Themen allein der
folgenden Beispiele ist breit und umfasst die Bereiche Sport,
Sexualitt, Verhaltensnormen und Literatur, die alle immer in den
Mythos des Stcks eingebunden sind, zugleich aber einen
zeitgenssischen Bezug aufweisen.
14 Ein Einfluss der Komdie auf das Satyrspiel ist damit natrlich
ebenso wenig auszuschlie-en wie die mgliche Zunahme von
entsprechenden Parodien.
15 Ergnzung nach Hunt 1911, 63, bernommen von Carden 1974, 142.
Radt 1977, 636 verzich-tet im Text auf die Ergnzung.
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33Sophistische Satyrn
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, [] Oineus (?): . [] .16 20
Die drei Verse des Oineus leiten das Geschehen mit der typischen
Bitte an Fremde ein, Herkunft und Geschlecht zu benennen. Die
Satyrn kom-men dem nach und stellen sich selbst in ihrer Abkunft
als Kinder von Nymphen und Diener des Bakchos vor (7), bertreiben
aber ihrem Cha-rakter gem zu Beginn, wenn sie sich prahlerisch
Gefhrten der Gtter (8 )17 nennen und bereits mit ihren ersten
Worten als Bru-tigame (6 ) auftreten und nicht, wie es korrekt wre,
als Freier.18 Die folgenden Verse 8-16 dienen der Beschreibung
ihrer Fhigkeiten, ber die sie dem Brautvater verdeutlichen wollen,
warum sie die richtigen Bruti-game sein werden und warum die Wahl
daher auf sie fallen sollte. Beendet wird ihre Rede durch die
rhetorische Frage in 16, ob man solche Fhigkeiten
16 Der Verstndlichkeit halber sei hier die von mir leicht
vernderte bersetzung von Pechstein und Krumeich 1999, 372
abgedruckt, auf die ich mich im Folgenden beziehe: Oineus (?): Nun
gut, ich werde es sagen. Aber zuerst will ich / wissen, wer ihr
seid, und aus welchem Geschlechte ihr / stammt. Das (wei) ich
nmlich jetzt noch nicht. Chor der Satyrn: Du sollst alles erfahren:
Als Brutigame kommen wir, / wir sind Shne von Nymphen, Diener des
Bakchios, / Gefhrten der Gtter. Jede Kunstfertigkeit / ist glnzend
in uns angelegt. Als da sind: Was man zum Kampf / im Kriege
braucht, Ringkmpfe, Wettkmpfe mit Pferden und im Lauf, / mit der
Faust und mit den Zhnen, Hoden-Drehen; / in uns stecken Lieder
voller Musenkunst, in uns steckt / allbekannte Sehergabe ohne Lug
und Trug, / prfender Blick fr Heilmittel, in uns steckt / Messung
des Himmels, steckt Tanzen, steckt / Palaver ber das, was unter der
Erde ist. /Ist fruchtlos unser festlicher Zug hierher? Von diesen
Dingen kannst du dir nehmen, was immer du brauchstwenn du mir nur
deine Tochter zur Frau gibst. Oineus (?): Aha, dies Geschlecht ist
nicht zu tadeln, aber ich will / auch den zuerst genau prfen, der
da kommt.
17 Zur Bedeutung von , das nur fr Sophokles bezeugt ist, Carden
1974, 143, der wohl zu Unrecht davon ausgeht, dass das Wort hier
wie zu verstehen sei. Eine sex-uelle Andeutung ist weder aufgrund
der Grundbedeutung des Wortes zwingend noch hier passend, viel eher
wollen die Satyrn doch auf ihre hervorragende gesellschaftliche
Stellung hinweisen, weswegen die bersetzung Gefhrten zu bevorzugen
ist.
18 Dies passt zu den folgenden malosen bertreibungen der Satyrn,
die hier durch implizieren wollen, dass der Kampf bereits in ihrem
Sinne entschieden sei. Zwar darf man mit Maas 1973, 51 von einem
Wortspiel mit dem folgenden ausgehen, gegen die Forschung sollte
man aber nicht annehmen, dass hier wie gebraucht wird, da damit die
Pointe zerstrt wrde; anders Hunt 1911, 79, Carden 1974, 142 und
Pechstein und Krumeich 1999, 372.
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34 Bernhardt
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etwa fruchtlos () nennen knne,19 und durch das Angebot an den
Brautvater in 17-8, auf diese Fhigkeiten nach seinem Belieben
zurckgrei-fen zu knnen, wenn er ihnen seine Tochter bergeben
habe.
Die eigentliche Aufzhlung der Fhigkeiten steht unter der
berschrift, dass tatschlich jegliche in ihnen in glnzender (9 ) Art
und Weise vorhanden sei. Darunter fallen sowohl die Fhigkeiten des
Krieges als auch die im sportlichen Wettkampf (Verse 9-11), Knste
im musischen Bereich, in den Bereichen Mantik und Medizin (12-3)
sowie die Fhigkeiten zu Astro-nomie, zu Tanz und zu der
Beschftigung mit der Unterwelt. Folgende Glie-derung ist mglich:
Der erste Teil, der die Verse 9-11 umfasst, endet mit der
Beschreibung ihrer krperlichen Fhigkeiten in der komischen
bertreibung um den Einsatz ihrer Zhne im Kampf sowie des
Hoden-Drehens (11 ).20 Es folgt in 12 ein ber auch sprachlich
markierter Neu-ansatz, der die nicht-physischen Fhigkeiten des
zweiten Abschnitts in 12-4 einleitet. Der dritte Teil, der
inhaltlich eine Mischung beider Gruppen darstellt, kann dann in den
Versen 14-6 gesehen werden, in dem nur Substantive auf - gebraucht
werden, wodurch auch sprachlich der Hhepunkt der Aufzh-lung
erreicht ist. Die abschlieend genannte Fhigkeit der kann wieder als
besondere bertreibung gedeutet werden: Da die Satyrn dem Zuschauer
aus anderen Stcken als Unterweltbesucher bekannt sind, kann man den
Sinn dieser Aussage darin sehen, dass die Satyrn ber diese
Erwh-nung ihre Tapferkeit hell strahlen lassen wollen, wobei der
Zuschauer natrlich wei, dass deren Nekyiai selten von echter
Tapferkeit begleitet gewesen sind.21
19 Die Bedeutung von ist umstritten, allerdings muss damit
zusammengefasst auf die Fhigkeiten der Satyrn Bezug genommen sein.
Hunt (1911, 70) verstand study, Maas (1973, 52) Anblick und
Witkowski (1912, 704) sowie Pechstein und Krumeich (1999, 372)
Gesandtschaft bzw. Zug. Diese Bedeutung ist vorzuziehen, da sich
die Satyrn wie ein Hochzeitszug auffhren, der rhetorisch als
besonders ntzlich stilisiert werden soll.
20 Hier entlarven sich die Satyrn ebenso wie spter in Vers 16
selbst ber die unehrenhafte Wahl ihrer Mittel, zugleich ist hierin
aber mglicherweise auch ein parodistischer Hinweis auf die
fragwrdigen Mittel sophistischer Argumentation gegeben.
21 Zu den Nekyiai der Satyrn siehe Seaford 1984, 37-8. Die
Forschung versteht mit Hunt 1911, 70 in der Regel, wie hier
bersetzt, als Palaver ber das, was unter der Erde ist; jedoch ist
der Sinn dieser Aussage ungeklrt und die Forschung belsst es
zumeist bei Verweisen auf entsprechende Stellen bei Plato, um die
Gelufigkeit solcher Debatten fr die Zeit darzulegen (so Carden
1974, 146). Sieht man jedoch den Bezug auf die Unterweltsfahrten
der Satyrn, wre damit sowohl erneut in einer Selbstparodie ihre
(mythische) Fhigkeit zu dieser erklrt, es kann aber auch die
zeitgenssische Parodie erhalten bleiben und hier in seiner
Grundbedeutung als Palaver auch der Sophisten verstanden werden.
Der von Maas (1973, 52) angenommene Bezug auf die
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Mit seiner Antwort in Vers 19, dass solcherlei Fhigkeiten nicht
zu verachten seien, bernimmt wiederum Oineus, wendet sich dann aber
sogleich einem weiteren Mitbewerber zu, der in diesem Moment die
Bhne betritt und, wie zu vermuten ist, nun ebenfalls in den
Wettkampf einsteigen will.22
Zwar ist der Fortgang des Stcks unbekannt. Falls aber die
vorgelegte Rekonstruktion richtig ist, dass es um einen
Brautwettkampf geht, darf man davon ausgehen, dass die Satyrn im
Moment der tatschlichen Demonstration ihrer Krfte gekniffen und den
Kampf mit Herakles und Acheloos (oder den Freiern Atalantes)
gemieden haben werden. Dies entsprche dem typischen
Verhaltensmuster der Satyrn, sich und die eigenen Krfte vor der Tat
so gro wie mglich zu machen, dann aber im Moment der Wahrheit doch
das Weite zu suchen.23
3 Sophistische Satyrn?
Das Fragment allein bietet einen hchst interessanten Einblick in
das Satyr-spiel und scheint typische, d. h. freche und protzige
Satyrn, in einer typischen Situation, nmlich der Suche nach einer
Frau, zu zeigen,24 wobei das Verhalten der Helden von vornherein so
bertrieben dargestellt ist, dass man sie ber-haupt nicht ernst
nehmen kann. Wie angedeutet ist das Fragment allerdings
Geschlechtsorgane als die unteren Krperteile ist attraktiv, aber
m. E. an dieser Stelle allzu brachylogisch; besser scheint mir noch
Lloyd-Jones (1996, 421) Deutung zu sein, der paraphrasiert: They
are boasting of their farting power (so auch Voelke 2003, 338).
Wenn man jedoch nicht, mit Voelke (ebd.), einen Bruch annehmen
will, der die Zuschauer nur erwarten lsst, dass die Satyrn von der
Unterwelt reden werden, dass sie dann aber ber die Klangfhigkeit
ihres Hinterteils referieren, was ich ebenfalls fr zu brachylogisch
halte, geht in beiden Deutungen jedoch sowohl die Trias Himmel,
Erde und Unterwelt als auch der Bezug auf sophistisches Geschwtz
verloren.
22 (20) macht klar, dass der entsprechende Mann, der kommt (20),
bereits zu sehen ist. Die Formulierung (19) sollte man ironisch
auffassen, da der Sprecher die Prahlerei der Satyrn gewiss bereits
durchschaut hat.
23 Als Kontrast zur angeberischen Selbstbeschreibung des
Oineus-Fragments eignet sich die Beschreibung der Satyrn durch den
Silen in Sophokles Ichneutai (145-65, Verszhlung nach Radt), wo
ihre blichen Verhaltensweisen beschrieben werden; insbesondere ihre
dort berichtete Neigung zu groen Worten ohne Taten drfte auch fr
dieses Stck zu erwarten sein. Vgl. prinzipiell zu ihren
Charakterzgen Seidensticker 1989, 338. Sie stehen damit den echten
Helden des Spiels gegenber, die weniger komisch angelegt sind und
die ber Strke oder Klugheit die Situation damit anders als die
Satyrn auch zu lsen vermgen (dazu ebd. 342-5). Entsprechend eignet
sich der Satyrchor besonders fr Parodien.
24 Zu diesem Element des Satyrspiels Carden 1974, 137-8.
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aus einem weiteren Grund interessant, nmlich aufgrund des
mglichen Bezugs zur Sophistik: Da zwar bereits kurz nach der
Erstpublikation des Frag-ments die Vermutung geuert wurde, dass der
Autor an dieser Stelle eine Sophisten-Parodie vorlege, und da diese
Deutung nahezu einhellig fr richtig befunden wurde, die Hinweise
der Forschung aber meist nur sehr kurz ausfie-len, soll die Frage
an dieser Stelle genauer untersucht werden.
ber den in Vers 16 angesprochenen Nutzen der Gruppe fr Oineus
steht am Ende der aufgezhlten direkt der Kernbegriff sophistischer
Theorie, nmlich der Nutzen fr den Einzelnen, der Oineus rhetorisch
vergegenwrtigt wird und aufgrund dessen er die Satyrn als seine
Schwiegershne auswhlen soll. Begrndet wird dieser Nutzen mit der
Beherrschung prinzipiell aller Fer-tigkeiten, wie es dem
sophistischen Anspruch auf universelle Knnerschaft
entspricht.25
In den Dissoi Logoi wird dies breit ausgefhrt, wenn an einen
Mann die-ser Anspruch universeller Fertigkeiten gestellt wird. Da
nmlich alle Dinge miteinander zusammenhngen, msse man auch in jedem
Bereich Wissen haben, um die Erfordernisse des Alltags bestmglich
meistern und sogar selbst als Lehrer auftreten zu knnen.26 Bekannt
ist auch die spttische Darstellung sophistischer Allwissenheit der
platonischen Dialoge: So stellt sich Hippias im Hippias maior als
einen solchen umfassenden Knner dar.27 Gleiches gilt fr die
Sophisten Gorgias oder Euthydemos.28 Aristophanes bezeichnet die
Sophisten daher als 29 und Plato erhebt gegen sie fortwhrend den
Vor-wurf, dass sie seien,30 wobei in beiden Beispielen als
Hchstform
25 Sajdak (1920, 67) baute seine Argumentation, dass die Satyrn
Sophisten parodieren, daher mit Recht auf diesem Satz sowie dem
abschlieenden Verweis auf ihren Nutzen auf; fr einen echten
Nachweis muss man aber, wie es im Folgenden versucht wird, noch
weiter gehen.
26 Vgl. Dialex. 8.27 Auf die Stelle Pl. Hp.Ma. 285b5-286c2, die
gewiss ironisch gefrbt ist, hat Pfeiffer 1966, 66
verwiesen.28 Fr Gorgias siehe DK 82 A 1a und die platonische
Darstellung in Men. 70b5-c2 und Grg.
447c5-8, fr Euthydemos Euthd. 273e1-274a3, wo Sokrates ironisch
davon spricht, die bei-den Sophisten aufgrund ihrer Kenntnisse als
Gtter bezeichnen zu mssen (273e7 ).
29 Ar. Av. 1695-6. Der Vorwurf wird in Vers 1701 erneut, und
zwar gegen Leute wie Gorgias (), erhoben, so dass klar ist, dass
hier eine zeitgenssische Sophistenkritik vorliegt und dass der
Dichter auf den sophistischen Wissensanspruch rekurriert.
30 Vgl. zu Euthydemos und Dionysodoros Pl. Euthd. 271c6-7 und
287c10, zu Protagoras Tht. 152c8-9, zu Prodikos Prt. 315e7;
allgemein fr den abwertenden Gebrauch bei Plato auch Sph.
251c6-7.
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der Polymathie negativ konnotiert ist: An der
Aristophanes-Stelle bezeichnet es den Vorwurf einer schlauen und
betrgerischen Praxis, die sich im Sinne der sophistischen Praxis
des gelungenen Lebens auf alle Ttigkeiten des Lebens bezieht,
whrend Plato den Vorwurf erhebt, dass sophistisches Allwissen ein
Wissen meine, das zwar tatschlich alle Bereiche abdecke, aber immer
nur an der Oberflche der Dinge verbleibe und daher kein echtes
Wissen sei.31 Die Formulierung (8-9) funktioniert daher als
Parodie, weil sophistischer Wissensanspruch nicht nur auf die
Satyrn ber-tragen wird, sondern weil dieser Anspruch ber die
Satyrn, die der mythischen Tradition nach als besonders o gelten,
gerade lcherlich gemacht und als Prahlerei entlarvt wird.32 Wenn
die insgesamt bertriebene Aufzh-lung ihrer Fhigkeiten dann jeweils
in klar fragwrdigen Hhepunkten endet, nmlich in der Beschreibung
des Einsatzes ihrer Zhne (11 ) und des Hoden-Drehens (11 ), die so
als ihre wahren Kampftechni-ken prsentiert werden, sowie in der
Deutung ihrer dialektischen Fhigkeit als Palaver (17 ), dann ist
diese Selbstbeschreibung der Satyrn komisch, da sie sich darber
selbst entlarven. Komisch ist aber auch die darin enthal-tene
parodistische Fremdbeschreibung der Sophisten: Denn ber die prsente
Unrechtmigkeit der Mittel der Satyrn werden auch die Sophisten ganz
im Sinne des aristophanischen verspottet, die eben nicht nur
die-sen Anspruch auf Fertigkeiten in allen Bereichen erheben,
sondern sich auch ebenso wenig scheuen, vergleichbar fragwrdige
Techniken einzusetzen.
Man knnte nun argumentieren, dass all dies zwar durchaus
notwendige Argumente fr einen Bezug auf Sophisten sind, dass sie
aber nicht hinreichen. So ist das Geprahle der Satyrn mit ihren
Fhigkeiten keine Besonderheit dieses Satyrspiels, sondern ein
typischer Charakterzug des Satyrchores. Die Komik wre dann
motivgebunden und prinzipiell auf jeden durchschnittlichen
Prahlhans verallgemeinerbar, aber gerade keine Satire, die an
Zeitgenossen festzumachen wre. Die Aufzhlung der verschiedenen
Fhigkeiten verdeut-licht jedoch, dass vom Dichter hier zwar kein
expliziter Angriff im Sinne eines gegen die Sophisten unternommen
wird, dass allerdings sophistischer Anspruch durchaus spielerisch
eingebracht, mit dem Mythos verwoben und darber parodiert wird.
31 Fr sophistisches Denken mag dies weniger Vorwurf als Lob
sein, da ein sokratisch-plato-nisches Durchdringen der Dinge und
damit eine Beschftigung ohne praktischen Mehrwert fr das Gelingen
des menschlichen Lebens irrelevant und damit abzulehnen ist; so
deutlich aus Pl. Grg. 484c4-486d1.
32 Zu vgl. Hes. Fr. 123 M./W., auf das Carden (1974, 142)
hingewiesen hat.
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Dies beginnt mit dem aus dem Fragment abzuleitenden Anspruch
darauf, wer als trefflicher Mann gelten knne und ber welche
Fhigkeiten er verfgen msse. Am Anfang stehen die krperlichen
Fhigkeiten, die fr den folgenden Wettkampf notwendig gewesen sein
drften und auf die die Satyrn daher so ausfhrlich eingehen.33 Zwar
betont die Forschung fr das sophistische Erzie-hungsideal meist nur
den lebenspraktisch-theoretischen Bereich, es gibt aber keine
Hinweise auf die Vorstellung einer vollkommenen berwindung der
tra-ditionellen, d. h. auch physischen Erziehungsideale, da diese
in Maen fr eine angemessene Lebensfhrung notwendig gewesen sind.
Vielmehr sollte man fr das 5. und 4. Jahrhundert von einer
Aufwertung der geistigen Erziehung sprechen, die gleichrangig neben
die des Krpers gestellt wird. Dies wird im Epitaph des Gorgias
betont, wo der Sophist davon spricht, dass die Gefalle-nen alle und
damit auch die krperlichen Fhigkeiten in sich zur Vollendung
gebracht htten, die fr ein gelungenes Leben notwendig seien.34 Die
Gleich-wertigkeit beider Ansprche kommt aber auch bei Antisthenes
und Isokrates zum Ausdruck, deren Erziehungsideal beide Bereiche
umfasst: Fr sie gilt, dass ein , der ein sein wolle, seine Seele
ebenso wie seinen Krper zu trainieren habe.35
Zu einem noch klareren Bezug der Stelle auf die Sophistik fhren
die Sophi-sten Euthydemos und Dionysodoros, die sowohl aufgrund
ihrer geistigen als auch ihrer krperlichen Fhigkeiten berhmt waren
und damit den an den Menschen gestellten Anspruch in hchstem Mae
reprsentierten. Nach dem platonischen Euthydemos verbanden beide
diese Ttigkeitsbereiche, indem sie die sophistische Technik des
Agons mit dem Wettkampf der Ringer zusam-menbrachten, da der
Sophist wie der Ringer darum bemht sein msse, sei-nen Gegner
jederzeit niederringen zu knnen.36 Dass dies keine platonische
Zuschreibung ist, sondern hier ein genuin sophistischer Anspruch
wiederge-geben wird, zeigt der Titel des protagoreischen Werks
(erg. ), wobei das Wort der Ringersprache entnommen ist.37
33 Voelke 2003, 337-9 stellt das Fragment aufgrund dieser
Betonung der physischen Fhigkeiten in den Zusammenhang mit anderen
Satyrspielen athletischen Inhalts wie dem Autolykos; dagegen ist
jedoch zu sagen, dass diese Fhigkeiten hier anders als in
Athleten-Parodien keineswegs im Zentrum der Ausfhrungen stehen,
sondern ber die verwendete Terminologie sogar als Bestandteil der
Sophisten-Parodie anzusehen sind.
34 Vgl. DK 82 B Fr. 6, wo wie im Fragment der Begriff neben von
Bedeutung ist.
35 Vgl. zu Antisthenes CPF 1.1 18 1T, zu Isocrates or. 15.180.36
Zu ihren doppelten Fhigkeiten vgl. erneut Pl. Euthd. 273c2-274a4.37
Zum Titel DK 80 B 1, zur Metaphorik auerdem Pl. Sph. 232d9-e1 und
Euthd. 277d1-2 sowie
Buchheim 1986, 115-7.
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39Sophistische Satyrn
mnemosyne 67 (2014) 28-49
Wenn im Fragment ber (9) ein damit auch terminologischer Bezug
zu zwei zentralen Begriffen sophistischer Theorie erffnet wird,
deutet dies darauf hin, dass fr den Zuschauer die Verbindung zur
Sophistik hier auch ganz konkret ber die Aufzhlung physischer
Fhigkeiten hinaus durch fest mit sophistischer Theorie verbundene
Wrter hergestellt wirdnicht explizit ausgesprochen und benannt,
sondern spielerisch mit dem Mythos verwoben und daher der Komik des
Satyrspiels entsprechend.
Dies lsst sich anhand weiterer Begrifflichkeiten in den drei
skizzierten Abschnitten der Aufzhlung zeigen. Neben und in 8 und 9
werden im zweiten Teil (12-4) Ttigkeiten benannt, die mit Sophisten
bzw. der Sophistik als Strmung in Verbindung gebracht werden knnen.
Fr den Bereich der (12) bietet die anonyme Schrift ber die Musik
Hin-weise auf sophistische Ttigkeiten; und auch das Werk selbst
steht in einer kla-ren Beziehung zur Sophistik, da der Anonymus
sowohl stilistisch deutlich von der Sophistik beeinflusst ist als
auch in dem Versuch einer Systematisierung seiner ganz im Kontext
des zeitgenssischen Diskurses zu sehen ist.38
Eben dies gilt fr die Bereiche Mantik und Medizin. Auch in
diesen Ttig-keitsfeldern fhrte der Einfluss sophistischen Denkens
ber die Erstellung von Fachtexten zur Systematisierung bestehenden
Wissens, wodurch eine ratio-nale, d. h. eine empirisch und logisch
begrndete Ausbildung in den betref-fenden erst ermglicht wurde.
Neben der Rhetorik, wo die Bedeutung der Sophisten allgemein
anerkannt ist, lsst sich dies im Bereich der Medizin an den frhen
Schriften des corpus Hippocraticum und hier besonders an den
anonymen Schriften ber die Kunst und ber die alte Medizin
festmachen, wobei im Prolog der letzteren entsprechende rationale
Systematisierungsver-suche der Zeit sogar kritisch betrachtet
werden.39 Nicht weniger gilt dies auch fr den Bereich der Mantik,
der sich der Sophist Antiphon mit seiner Schrift ber die
Traumdeutung zugewandt hat.40 Und mit dem Wort wird auch in diesem
Abschnitt ein Kernterminus sophistischer Theorie angefhrt und damit
nicht allein die sophistische Fhigkeit zur Widerlegung im
medizi-nischen Bereich angesprochen (14), sondern darber hinaus
generell auf die
38 Vgl. Kerferd und Flashar 1998, 104.39 Zu ber die Kunst vgl.
Kerferd und Flashar 1998, 106-7, zu ber die alte Medizin
Oser-Grote
1998, 462-5 und generell zur sophistischen Beeinflussung des
corpus Hippocraticum ebd., 457 und 462-70; wie Gorg. Hel. 14 zeigt,
ist die Beeinflussung von Medizin und Sophistik durchaus
wechselseitig.
40 Wie die in der Tragdie prsenten Orakelkritiken zeigen, war
der Einfluss entsprechender Schriften nicht unerheblich.
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40 Bernhardt
mnemosyne 67 (2014) 28-49
bereits benannte Forderung angespielt, dass ein Mensch jederzeit
zur Wider-legung seines Gegenber in allen Bereichen befhigt sein
msse.41
Am deutlichsten ist der Bezug zur Sophistik abschlieend in 15-6,
wobei es hier weniger auf inhaltliche Aussagen ber konkrete
Fhigkeiten als auf die sprachliche Gestaltung der Verse ankommt.
Wie bereits angemerkt, lsst der Dichter die Satyrn ihre eigenen
Fhigkeiten anhand dreier Substantive auf - beschreiben. Mit Maas
darf man stilistisch von einem Homoioteleuton aus-gehen, das der
Bekrftigung des Anspruchs dienen soll, und, wie oben ausge-fhrt,
trgt hier gewiss einen abwertenden Klang (Palaver) und zeugt damit
von der Ironie, mit der die Satyrn bereits in Vers 11 gezeichnet
worden waren. Allerdings haben Handley sowie Willi (wohlgemerkt
beide ohne Bezug auf das Fragment) gezeigt, dass die Verwendung von
Substantiven dieser Art nicht nur mit der Sophistik drastisch
zunimmt, sondern wenigstens bei Ari-stophanes eindeutig als Parodie
intellektuellen Sprachgebrauchs angesehen werden kann.42 Zu Recht
hat Carden aus diesem Befund geschlossen, dass hier zeitgenssischer
Sprachgebrauch bestimmter intellektueller Gruppen verspot-tet wird
und darber ein klarer Bezug zur historischen Gegenwart und damit
zur Sophistik hergestellt ist.43
Am Bezug des Fragments auf Sophistik und sophistische Theorie,
auf die die Komik auch abzielt, kann daher kein Zweifel bestehen.
Die gesamte Aus-fhrung ist berschrieben mit dem Ideal sophistischer
Vielgelehrsamkeit und schliet mit dem Beweis der Ntzlichkeit der
einzelnen Fertigkeiten ab; allein dies hatte auf die Sophistik
hingedeutet. Wie gezeigt lsst sich dies aber anhand der drei
Abschnitte der Aufzhlung der Fertigkeiten noch genauer belegen. ber
den Bezug auf das spezifisch sophistische Bild vom als Ringkampf
wird die Bedeutung der Agonistik innerhalb der sophistischen
Theorie aufge-nommen; die aufgezhlten Gebiete theoretischer
Beschftigung lassen sich mit Bereichen verbinden, in denen
Sophisten selbst ttig waren bzw. die unter sophistischem Einfluss
whrend der Zeit blhten. Fr die Zeitgenossen drfte damit ber die
Benennung der Schlagworte die allgemeine Zielrichtung die-ser
Aufzhlung und damit der Bezug auf die Gegenwart deutlich geworden
sein. Die abschlieende Imitation intellektuellen Sprachgebrauchs
besttigt
41 Zur Bedeutung des in der sophistischen Theorie vgl. Buchheim
1986, 4-10.42 Vgl. Handley 1953, 141-2 sowie Willi 2003, 134-6.
Entsprechend lsst sich diese Verwendung
als Sophisten-Parodie bei Aristophanes insbesondere in den
Wolken und den Thesmophoriazusen finden, auerdem in den Frschen, wo
aber eher tragischer Sprachgebrauch parodiert wird, da diese
Substantive auch in der Tragdie relativ hufig sind.
43 Vgl. Carden 1974, 145.
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41Sophistische Satyrn
mnemosyne 67 (2014) 28-49
diese Deutung ebenso wie die offenbar gesuchte Verwendung
sophistischer Schlagworte (, , , , , ), die die Aufzhlung
durchzieht, so dass dem Zuschauer auf verschiedenen Ebenen, vom
Auftritt der Satyrn ber den Inhalt der Aufzhlung und den
sprachlichen Ausdruck bis hin zur Semantik der Worte vom Anfang bis
zum Ende Hinweise auf diesen Bezug gegeben werden.
4 Zeitgenssische Komik im Satyrspiel?
Man kann daher davon sprechen, dass das Oineus-Fragment eine
Form von Komik aufweist, die direkt aus dem dargestellten Verhalten
der Satyrn und ihren Aussagen resultiert, darber hinaus aber ber
den Bezug auf die sophistischen Satyrn auf einer literarischen
Metaebene komisch wirkt, deren Erschlieung fr den Zuschauer
aufgrund entsprechender Hinweise problem-los mglich gewesen sein
drfte. Die hier prsente hintergrndige, das heit zeitbezogene und
damit aktuelle Komik, unterscheidet sich wie angemerkt stark von
der Alten Komdie, in der der Spott direkt und namentlich
ausge-schttet werden kann, whrend sie hier spielerischer ist, da
sie die Ebene des Fiktiv-Mythischen und damit die Genregrenzen
nicht verlsst und eingebun-den bleibt in die Darstellung der
Erzhlung. Sie ist dabei aber auch komplexer, da sie nicht
unmittelbar verstndlich ist, sondern verstanden werden muss. Dass
diese Deutung einer zeitgenssischen Parodie im Satyrspiel mit der
com-munis opinio der Forschung konfligiert, ist oben bereits
ausfhrlich dargelegt worden. Im Folgenden soll es daher darum
gehen, auch fr andere Satyrspiele zu zeigen, dass zeitgenssische
Motive dort nicht fehlen und dass ihre Ein-bindung mit der im
Oineus-Fragment verglichen werden kann.
Mglicherweise lassen sich solche Momente bereits in den
aischyleischen Theoroi oder Isthmiastai (Fr. 78a-c Radt)
ausmachen.44 Dort befinden sich die Satyrn auf der Flucht vor
Dionysos und bereiten sich gerade auf eine Teilnahme an den
Isthmischen Spielen vor; eine Person, wahrscheinlich Dionysos
selbst, taucht auf und wirft ihnen vor, dass sie in ihrem (fr sie
ungewhnlichen) Eifer um den Sport nicht nur den Dionysos-Dienst
vernachlssigen, sondern auch sein Geld verschwenden wrden (78a, 35
), wh-rend er selbst unter dem Vorwurf stehe, ein schwaches Weib
(78a, 68 ) zu sein und sich nicht wie ein echter Mann auf die
Schmiedekunst
44 Ich zitiere das Stck nach den TrGF 3; zu einer ausfhrlichen
Besprechung mit Literaturverweisen (jedoch ohne die Annahme von
Zeitbezgen) vgl. Wessels und Krumeich 1999, 131-48.
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42 Bernhardt
mnemosyne 67 (2014) 28-49
zu verstehen.45 Hier mag ein Bezug vorliegen auf die hohen
Kosten einer Teil-nahme an den panhellenischen Spielen und damit
eine Parodie auf Athleten, die viel kosten, aber sonst keinen
Nutzen haben,46 mglicherweise aber auch auf den Kontrast von Adels-
und Polisgesellschaft. Denn deutlich ist das Frag-ment durchzogen
von der Gegenberstellung von sportlichem Wettkampf und musischer
Beschftigung, so dass man hier nahezu eine Konfrontation zwischen
der sportlichen Adelskultur und der Poliskultur der athenischen
Dionysien dargestellt sehen kann, wobei die Satyrn als Betrger
natrlich nur flschlicherweise diese Grenze durchbrechen und daher
die Mittel des Diony-sos verschwenden mssen.47
Entsprechende zeitgenssische Anklnge sind neben dem Kyklops auch
fr weitere Stcke des Euripides auszumachen. Aus seinem Autolykos
ist eine lngere Invektive auf Athleten erhalten (Fr. 282 Kannicht),
denen vorgewor-fen wird, nicht fr ihre eigene Altersversorgung
sorgen zu knnen und damit das schlimmste aller bel zu sein.48 In
dieser Schmhrede, die gut neben das aischyleische Fragment gestellt
werden kann, wird von der Forschung eine Anspielung auf die
bekannte Elegie des Xenophanes gesehen, so dass zum Verstndnis
dieses Fragments ein auerhalb der eigentlichen Erzhlung lie-gendes
literarisches Vorwissen bentigt wird.49 Weiterhin ist
wahrscheinlich, dass diese Verse in einem nur losen Zusammenhang
mit der Handlung des
45 Zu den Vorwrfen gegen die Satyrn siehe Fr. 78a 29-36, zu
denen gegen Dionysos als Weichling ohne Kenntnis der Schmiedekunst
ebd. 65-8. Wie auch immer man den Zeitbezug bewerten will, so
erscheint mir eindeutig, dass die Komik hier von mehr als
frische[r] Naivitt zeugt (so Seidensticker 1989, 354 prinzipiell
zum Satyrspiel bei Aischylos und Sophokles) und durchaus auch auf
Anspielungen beruht.
46 Zu entsprechender Kritik siehe bereits Tyrtaios (Fr. 12 W.)
oder Xenophanes (Fr. 2 W.), zu den hohen Kosten eines Athleten, die
sich aus einer Teilnahme an den panhellenischen Spielen ergaben und
die den Teilnehmerkreis daher auf die vermgende Oberschicht
begrenzten, vgl. Pleket 2001, 169. Den Hinweis auf die Kosten und
den mglichen zeitge-nssischen Bezug dieses Fragments verdanke ich
Ernst Siegmanns unverffentlichten Vorlesungen zum Satyrspiel
(Siegmann 1972/73, Vorlesung vom 30.11.1972).
47 Zur Standesproblematik im Kontext der panhellenischen
Wettkmpfe und der Adelsgesellschaft als ihrem Trger gegenber den
demokratischen Festen im Fragment vgl. Reinhardt 1957, 11-2,
prinzipiell zum Teilnehmerkreis an den panhellenischen Spielen
Pleket 2001, 161-9.
48 TrGF 5.1 Fr. 282.1-2: / .
49 Ich folge Pechstein 1998, 70-86, der Bezug geht erneut auf
Xenophanes Fr. 2 W.; tatschlich vergleichbar sind beide Texte aber
nur in ihrer Anspielung auf den Sport, da bei Xenophanes die Brger
fr ihre Hochschtzung von Sportlern angegriffen werden, wh-rend
Euripides Anklage gegen die Athleten selbst gerichtet ist.
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43Sophistische Satyrn
mnemosyne 67 (2014) 28-49
Stcks stehen und als rhetorische Prachtrede (vielleicht des
Autolykos) einen Preis auf die Beredsamkeit darstellen, vielleicht
im Kontext der Betrugshand-lung des Stckes.50 Fr das Verstndnis des
Textes verweist Pechstein auf die Argumentation des in den Wolken
des Aristophanes, der den Vorwurf erhebt, dass Rhetorik die
Sportpltze leere; die Rede des Satyrspiels knne seiner Meinung nach
als Gegenentwurf dazu und damit als Verteidi-gung der neuen
Ttigkeitsbereiche gelesen werden, wenn nun die Nichts-nutzigkeit
der Athleten angeprangert und damit die Bedeutung der Rhetorik
gezeigt werde. Bei aller Unsicherheit in der Deutung des Textes
kann man in dieser Athletenschelte jedoch gewiss einen
Gegenwartsbezug sehen, der seine Komik ber die Anspielung auf eine
aktuell diskutierte (und damit fr den Zuschauer direkt relevante)
sowie literarisch prsente Debatte entfaltet. Eine Steigerung der
Komik knnte im Vergleich mit Aristophanes dadurch noch
her-beigefhrt worden sein, dass die Frage von der verkehrten Seite
aus betrachtet wird, wenn hier tatschlich der bekannte Vorwurf der
Verdorbenheit der Sitten durch die Rhetorik Ziel des Angriffs sein
sollte.
In zwei Fragmenten aus dem Skiron desselben Dichters (Fr. 675
und 676 Kan-nicht) sind erneut zeitgenssische Anspielungen zu
finden.51 Es geht im Stck um die berwindung des gleichnamigen
Monsters durch Theseus, wobei die Satyrn als Diener Skirons
auftreten. Als sie die Bhne betreten, befinden sich in ihrem
Gefolge Hetren aus Korinth, ber die sie in den genannten
Fragmen-ten berichten, dass sie sie mit athenischem sowie
korinthischem Geld bezahlt htten. Sowohl die Anspielungen auf die
Geldstcke, die metonymisch nur ber ihren Stempel benannt werden,52
als auch die Berhmtheit korinthischer Mdchen mssen aber als
zeitgenssischer Bezug gedeutet werden, wobei die Verknpfung mit dem
Mythos seiner Struktur nach wie im Oineus-Frag-ment erreicht ist.
Hier wie dort funktioniert die Komik gerade darber, dass die Satyrn
eben leicht mit Sophisten verglichen bzw. mit Hetren
zusam-mengebracht werden knnen, da sie nun einmal protzige und
stndig geile
50 Zum Teil hat die Forschung auch fr dieses Fragment methodisch
problematisch aus der Darstellung auf den Dichter selbst
geschlossen, wobei die Interpretation hier meist dar-auf
hinauslief, in der Rede einen Angriff des Geistmenschen Euripides
gegen den ath-letischen Ungeist zu sehen (so Lesky 1972, 276).
51 Ich folge erneut Pechstein 1998, 239-42.52 Die Frauen werden
nach dem Preis unterteilt, den man ihnen zu zahlen hat: Die
erste
Gruppe lsst sich fr ein Fllen (1 , nach Pollux eine korinthische
Silbermnze) kaufen, die zweite fr ein Zweigespann (2 , also zwei
Mnzen), whrend man der dritten Gruppe attische Jungfrauen (4 ,
gemeint ist eine attische Tetradrachme, die das Bild der Athene
trug) zu zahlen habe; berliefert ist das Fragment bei Pollux
(9.75), der es auch erklrt.
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44 Bernhardt
mnemosyne 67 (2014) 28-49
Nichtsnutze sind. Dies ist zwar bereits komisch, noch komischer
aber ist wie im Fall der offenbar berhmten leichten Mdchen aus
Korinth die Einflech-tung von Aktualittsbezgen in diese Handlung,
die der Zuschauer zwar deko-dieren muss, die dann aber ber ihre
Gegenwartsbedeutung auf einer anderen Ebene wirken.
Dies gilt auch fr das vielgedeutete sogenannte
Sisyphos-Fragment,53 das seit Wilamowitz Kritias zugeschrieben
worden ist, dessen Autorschaft seit einem Aufsatz von Dihle
allerdings wieder diskutiert wird.54 Problematisch fr die Forschung
auch zu diesem Fragment ist die methodisch unhaltbare Annahme, dass
die im Fragment dargelegten atheistischen Vorstellungen mit der
Person des Dichters, d. h. Kritias oder Euripides, in einen
Zusammenhang zu bringen seien. Bei aller Unklarheit ber den Autor
des Fragments kann aber zumindest als unbestritten gelten, dass der
vorgebrachte Mythos vom , der den Menschen die Furcht vor den
Gttern eingeflt habe, in den Kontext sophistischer Mythen und
Kulturentstehungslehren gestellt werden muss.55 Wie auch immer man
den Mythos im Einzelnen deutet, was aufgrund der Isoliertheit des
Fragments eine durchaus komplexe Frage ist, so gilt doch auch fr
diesen Text, dass der Zeitbezug beraus deutlich und ein Verstnd-nis
der Rede nur dann mglich ist, wenn die hintergrndige Anspielung auf
entsprechende sophistische Kulturentstehungslehren beim Publikum
voraus-gesetzt werden kann. Da auch hier ein komischer Bezug
anzunehmen ist, der aus dem Fragment selbst allerdings nicht
deutlich wird, kann man es zumin-dest fr wahrscheinlich halten,
dass die Komik sich auch an dieser Stelle ber ein tiefergehendes
Verstndnis der Aktualitt der Darstellung erffnet haben wird.56
Die ausgewhlten Fragmente zeigen, dass Aktualittsbezge dem
Satyr-spiel durchaus nicht fremd sind und dass auch zeitgenssische
und damit
53 Hier zitiert als TrGF 1 43 Kritias, Fr. 19.54 Zur Frage vgl.
Dihle 1977, 28-40 und Pechstein 1998, 289-303.55 Zur Einordnung des
Textes in den zeitgenssischen Diskurs vgl. Egli 2003, 149-54.
Der
Autor macht diesen Anschluss an entsprechende Mythen auch
sprachlich deutlich, da er seine Erzhlung mit beginnen lsst (vgl.
den Protagoras-Mythos in Pl. Prt. 321c8) und davon spricht, dass
das Leben der Menschen gewesen sei, was ein typischer Begriff in
diesen Erzhlungen ist (so in E. Supp. 202 oder dem Mythos bei
Diodor (1.8.1-7), der von Diels/Kranz (68 B 5) Demokrit
zugeschrieben wird). Zu den Kulturentstehungsmythen insgesamt vgl.
beispielweise Kerferd und Flashar 1998, 26.
56 Ein Problem bei der Interpretation des Textes ist das
vollstndige Fehlen jeglichen Kontexts, so dass der Text meist ernst
genommen und nicht bedacht wird, dass der Mythos hier eventuell nur
persifliert wird (zu dieser Mglichkeit Egli 2003, 151) oder dass es
sich vielleicht nur um ein rhetorisches Kunststck handelt.
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45Sophistische Satyrn
mnemosyne 67 (2014) 28-49
hintergrndige Komik als mgliches poetisches Element der Gattung
anzuse-hen ist. Die Fragmente besttigen aber auch die spezifische
Form der Einflech-tung dieser Motive in den Mythos, die vom
Publikum zum Teil literarisches Wissen abverlangt (Bezug auf
Xenophanes bzw. auf sophistische Mythen) oder die aktuelle Debatten
ironisiert, die nur mit einem gewissen Vorwissen komisch sind (wie
im Fall der Athletenschelten, der Standesproblematik oder der
Berhmtheit korinthischer Mdchen). In allen Beispielen wird dabei
aber die Ebene des Mythos nicht verlassen, sondern der Mythos wird
ber das dra-matische Personal, dessen Charakterisierungen, dessen
Handlungen und des-sen Aussagen mit der Gegenwart verwoben. Gerade
darber wird die Komik erzielt.
Besonders deutlich ist diese spielerisch-hintergrndige Art der
Komik im Kyklops des Euripides. Nach der langen Rhesis des
Odysseus, in der der Held den Kyklopen sowohl ber logische
Erwgungen als auch ber die Mahnung, die geltenden Satzungen zu
beachten,57 davon zu berzeugen versucht, ihn nicht zu fressen,
setzt Polyphem an und spottet ber die angebliche Macht der Gtter
und die Satzungen der Menschen. Einzig der Reichtum sei fr weise
Mnner Gott, der Rest nur Geschwtz.58 In hedonistischer Manier sieht
er es daher als einzige Handlungsmaxime an, seine eigenen
Bedrfnisse zu stillen und nur dem hchsten aller Gtter, dem eigenen
Bauch, zu dienen. Zeus aber bedeute allein, tglich Essen und
Trinken zu haben und keine Schmerzen lei-den zu mssen.59 Die
Gesetzgeber aber, die solcherlei Bruche wie das Gast-recht
geschaffen haben und damit das menschliche Leben nur
verkomplizier-ten (339 ), die verflucht er und bietet Odysseus in
hchstem Zynismus als Gastgeschenke Feuer und einen Kessel (ein
Familien-erbstck, wie er betont) anum ihn darin zu kochen.60
Diese Rede ist oft und zu Recht mit der Kallikles-Rede des
platonischen Gor-gias verglichen worden, da sie dessen Radikalitt
in unverblmter, aber freilich hchst bertriebener und darin
komischer Art und Weise vorwegnimmt und
57 Zur Rhesis E. Cyc. 285-312, besonders 299-300, die den
argumentativen bergang vom zum darstellen: , , / [...].
58 Ebd. 316-7.59 Ebd. 334-8. Diese Form der Deifikation und der
damit verbundene Zweifel an der tradier-
ten Gtterwelt knnen nach Seaford 1984, 164 ebenfalls mit
sophistischer Theorie in Verbindung gebracht werden, obgleich diese
hier freilich bertrieben dargestellt werden. Die Betonung der
Freiheit von Leiden als hchstmglichem Nutzen fr den Menschen lsst
sich auch beim Sophisten Antiphon finden (DK 87 B 44a4.8-22).
60 E. Cyc. 338-44.
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46 Bernhardt
mnemosyne 67 (2014) 28-49
damit sophistische Theorie ad absurdum fhrt.61 Tatschlich lassen
sich die Aussagen aber nicht allein mit denen des Kallikles aus dem
Gorgias verglei-chen, sondern es liegt ein allgemeiner Bezug zur
Sophistik vor,62 der fr Poly-phem die argumentative Grundlage dafr
bildet, alle gltigen Werte mit einem Handstreich tilgen zu knnen.
Sophistisch an den Worten des Kyklopen ist die vollkommene
Fokussierung auf das Individuum, dessen Nutzen als einzig
normierender Mastab definiert wird, da solches Verhalten den
Notwendig-keiten der entspreche. Da dieses Eigeninteresse aber den
von Odysseus benannten entgegensteht, sieht der Kyklop auch keinen
Grund, sich an diesen zu orientieren. Er kann daher frank und frei
behaupten, dass nur der eigene Vorteil fr sein Handeln mageblich
sei und er den Fremden daher essen drfe: / .63
Ebenso wie im Oineus-Fragment funktioniert die zeitgenssische
Parodie auch hier, indem die aktuellen Motive ber einen
entsprechenden Charakter in das Stck eingefhrt und dann von ihm in
bertriebener Weise vertreten werden (Wissensanspruch dort,
Nomos-Physis-Problematik sowie Interesse des Individuums hier).
Komisch ist daher im Kyklops nicht, dass Polyphem ein Sophist ist,
sondern dass er sein Handeln an dieser Stelle ber sophistische
Theorie legitimiert, ebenso wie die Satyrn mit ihrem Auftritt
sophistischen Anspruch persiflieren. Da dieses Handeln aber weder
fr die Satyrn noch fr den Kyklopen unangemessen und daher
charakterlich stimmig ist, da die Kyklopen schon bei Homer einen
besonders blen Ruf haben,64 erweitert das zeitgenssische Moment die
Erzhlung nur und trgt darber zustzlich zur Komik der Aussage des
Polyphem bei, bricht sie aber nicht.
5 Das Oineus-Fragment und seine Bedeutung fr eine Poetik des
Satyrspiels
Die Beispiele zeigen, dass der euripideische Kyklops mit seiner
Parodie auf sophistisches und damit zeitgenssisches Denken
offensichtlich nicht allein steht, sondern dass solche Bezge in
weiteren Satyrspielen nachgewiesen wer-
61 Zu entsprechenden Stellen im Gorgias und zur Parodie
sophistischen Denkens im Kyklops vgl. Lesky 1972, 501, Seaford
1984, 164-9, Biehl 1986, 22-3 oder Egli 2003, 154-5.
62 Vergleiche bieten sich beispielsweise mit Antiphons Schrift
ber die Wahrheit, dem Palamedes des Gorgias oder den Dissoi Logoi
an.
63 E. Cyc. 340-1.64 Vgl. Od. 9.109-15.
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47Sophistische Satyrn
mnemosyne 67 (2014) 28-49
den knnen65 und sogar strukturell vergleichbar funktionieren,
indem Mythos und Parodie spielerisch verwoben werden.66 Wie auch in
der Tragdie blich, wird der Mythos so vorsichtig aktualisiert,67
hier aber gerade mit dem Ziel, ber die Aktualisierung in der
Parodie eine besondere Form von Komik zu erzielen, die den Bereich
des Mythos nicht verlsst und damit hintergrndiger bleibt und im
Einzelnen gewiss auch schwieriger zu deuten ist, da sie ber eine
andere Art der literarischen Kodierung wirkt. In den hier
angefhrten Beispielen ist dies allerdings so deutlich, dass kaum
ein Zweifel daran beste-hen kann, dass sie geeignet sind, unser
Verstndnis der Poetik des Satyrspiels in diesem Punkt zu
modifizieren. Anders als bisher vielfach angenommen, sollte man
daher durchaus mit zeitgenssischen Parodien und Anspielungen im
Satyrspiel rechnen, ohne gleich von einer hnlichkeit zur Alten
Komdie ausgehen zu mssen. Dass diese Anspielungen besonders hufig
Sophisten getroffen zu haben scheinen, wie es zumindest ein Teil
der hier ausgefhrten Beispiele zeigt, kann auf die Wirkmchtigkeit
dieser Geistesstrmung auf die Zeit hindeuten.
Fr das Oineus-Fragment, das im Zentrum dieser Untersuchung
stand, sollte die Parodie auf die Sophisten damit erwiesen sein.
ber diese Parodie aber und die Struktur der Einflechtung
zeitgenssischer Motive in die eigentliche Erzhlung, die ber ihre
hintergrndig-spielerische Art komisch wirken, kann man mit Vorsicht
und unter Heranziehung weiterer Fragmente auch generell zu einem
verbesserten Verstndnis des Satyrspiels gelangen. Daher kann
man
65 Neben den hier aufgefhrten Beispielen kann man mglicherweise
auch in zwei Satyrspielen des Achaios zeitgenssische Bezge
erkennen. So machen sich in seinem Alkmeon (TrGF 1 20, Fr. 12) die
Satyrn ber die Bewohner von Delphi lustig, die nur mit Opfern und
Mahlzeiten beschftigt sind, wie Athenaios (4.173) es bezeugt, und
in seinen Athla (oder Athloi, TrGF 1 20, Fr. 3-4) lsst sich erneut
eine Parodie auf Athleten finden.
66 Diese strukturelle hnlichkeit darin, dass die Parodie ber
diejenigen Figuren funktioni-ert, die dem Parodierten prinzipiell
hnlich sind, gilt fr das Oineus-Fragment und den Kyklops. Fr das
Sisyphos-Fragment und die Theoroi oder Isthmiastai knnte das
Gegenteil gelten, wenn gerade die Satyrn als adlige Athleten
auftreten oder wenn gerade Sisyphos als derjenige, der von den
Gttern fr seinen Betrug gestraft worden ist, im Rekurs auf
Kulturentstehungsmythen davon spricht, dass ein weiser Mann die
Gtter nur erfunden habe und die Komik damit gerade daraus
resultiert, dass die Zuschreibung nicht passt und so zugleich auch
die zeitgenssischen Bezge in einem komischen Licht erscheinen
(gegen diese Deutung des Sisyphos-Fragments allerdings Pechstein
1998, 309-10).
67 Biehl (1986, 21-4) spricht fr den Kyklops gar von einer
permanenten interpretatio Attica, die Euripides in das Spiel
eingewoben habe und die mageblich fr den Konsens mit dem Publikum
verantwortlich sei. Diese Deutung knnte man auch fr die Motive der
anderen Stcke bernehmen, beispielsweise die Mnzbeschreibung des
Skiron.
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48 Bernhardt
mnemosyne 67 (2014) 28-49
schlieen, dass Aktualittsbezge durchaus als mgliches Element des
Satyr-spiels gelten drfen, und, sofern das Fragment tatschlich eben
diesem zuzu-schreiben ist, auch bei Sophokles vorkommen. Fr das
Verstndnis des Kyklops gilt daher jedenfalls, dass er keine so groe
Ausnahme darstellt wie bisweilen angenommen.68
Bibliographie
Biehl, W. 1986. Euripides Kyklops (Heidelberg)von Blumenthal, A.
1939. Ion von Chios, Die Reste seiner Werke (Stuttgart/
Berlin)Buchheim, T. 1986. Die Sophistik als Avantgarde normalen
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68 Fr ihre Bemerkungen und Kritik zu Dank verpflichtet bin ich
M. Bernhardt, F. Timmer-mann, P. Picker und Prof. Thiel in Jena
sowie Prof. Boter und den Gutachtern der Mnemosyne. Alle Fehler
verbleiben bei mir.
-
49Sophistische Satyrn
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