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Sophie von La Roches literarische Salongeselligkeit in
Koblenz-Ehrenbreitstein 1771-1780Author(s): Monika NenonReviewed
work(s):Source: The German Quarterly, Vol. 75, No. 3 (Summer,
2002), pp. 282-296Published by: Wiley on behalf of the American
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http://www.jstor.org/stable/3072710 .Accessed: 26/02/2013 09:38
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MONIKA NENON University of Memphis
Sophie von La Roches literarische Salongeselligkeit in
Koblenz-Ehrenbreitstein 1771-17801
Was ware ich denn, wenn ich nicht immer mit klugen Leuten
umgegangen ware und von ihnen gelernt haitte? Nicht aus Bichern,
sondern durch lebendigen Ideen Tausch, durch heitre Geselligkeit
miiflt ihr lernen! (Goethe im Gesprach mit dem Kanzler
Friedrich von Miiller, 6. Marz 1818)
In den letzten Jahren hat sich die Salon- forschung
daraufkonzentriert, den Salon als literarische und soziale
Institution einer vor- nehmlich stAdtischen Kultur naiher zu be-
schreiben. Die Bliitezeit der Salons im deut- schen Sprachraum
wurde Ende des 18. Jahr- hunderts in den Metropolen Berlin und Wien
angesetzt. In Berlin scharte z.B. der Philo- soph Moses Mendelssohn
einen geselligen Kreis um sich, in dem viele Frauen verkehr- ten,
die spater zu beriihmten Salonieren wer- den sollten. Zu dem
Freundeskreis um Mo- ses Mendelssohns Tochter Dorothea (Veit-
Schlegel) geh6rten-um nur einige zu nen- nen-Henriette Herz, Sara
von Grotthul3, Marianne von Eybenberg und Fanny von Arnstein, die
spaiter einen Salon in Wien hat- te. Die bekanntesten Salons in
Berlin wur- den von Rahel Levin-Varnhagen, Henriette Herz und Sara
Levy gefiihrt. Zu der sich iiber mehr als ein Jahrhundert
erstreckenden Ge- schichte der Berliner und Wiener Salons sind in
den letzten Jahren eine Reihe von Unter- suchungen erschienen,
unter denen die Ar- beiten von Deborah Hertz, Konrad Feilchen-
feldt, Peter Seibert, Petra Wilhelmy und Det- lev Gaus
hervorzuheben sind.2 Wihrend die Salonforschung sich hauptsiichlich
auf die Salons des 19. Jahrhunderts in den europ ii- schen
Grol3stidten Berlin und Wien konzen-
trierte, woffir zuletzt auch wieder Detlev Gaus genannt werden
soll, stellt sichjedoch die Frage, ob diese Form der Geselligkeit
platzlich ohne Vorliaufer im urbanen Kon- text des 19. Jahrhunderts
entsteht, oder ob es nicht schon im 18. Jahrhundert Formen
freundschaftlicher, geselliger Vereinigungen gegeben hat, die den
Salons des 19. Jahrhun- derts strukturell und funktional ahnlich
sind.3 Petra Wilhelmy zieht die Linie zurtick ins 18. Jahrhundert
und unterscheidet "zwei Grundtypen deutscher Salongesellig- keit im
18. Jahrhundert" (55). Ihrer Typisie- rung nach, die mir sinnvoll
erscheint, da sie zwei verschiedene, doch zusammenhangen- de
Traditionslinien aufzeigt, lassen sich ein- mal der "aristokratisch
gepraigte Rokokosa- ion nach franzbsischem Vorbild" und zum anderen
der
"bildungsbiirgerliche Salon" unterscheiden (Wilhelmy 55). Zum
ersten Grundtypus des aristokratischen Salons ge- horen zum
Beispiel der Salon um die Herzo- gin Anna Amalia in Weimar und der
emp- findsame Kreis um die GroJ3e Landgriifin Karoline von
Hessen-Darmstadt.4 Zum biir- gerlichen Grundtypus der
Salongeselligkei- ten, in denen sich hauptsichlich der buirger-
liche Verdienstadel versammelte, was aber Adlige nicht
ausschliesst, sind u.a. die Leipzi- ger Salons von Luise Gottsched
(1713-1762) und von Christiana Mariana von Ziegler (1695-1760), der
gesellige Kreis um Julie Bondeli in Bern, sowie derjenige um Sophie
von La Roche in Koblenz-Ehrenbreitstein (1771-1780) zu nennen.
5
Im Mittelpunkt dieser Untersuchung soll der letztere, der
gesellige Kreis um Sophie von La Roche stehen, der von 1771-1780
in
The German Quarterly 75.3 (Summer 2002) 282
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NENON: La Roche 283
ihrem Haus in Koblenz-Ehrenbreitstein zu- sammenkam.6 In den
Teilen I und II mochte ich zunAchst danach fragen, in welcher Weise
sich die Salongeselligkeit im Hause Sophie von La Roches entfaltet
hat und sie als neuen Gefiihls- und Kulturraum beschreiben. Die
Merkmale dieser Geselligkeit sollen dann im Teil III an den
Kategorien gemessen werden, die Peter Seibert zur Beschreibung der
Sa- lons aufgestellt hat. Damit soll die struktu- relle und
funktionale Verbindung der litera- rischen Geselligkeiten im 18.
Jahrhundert zu den Salons im 19. Jahrhundert aufgezeigt werden.
Danach wird im IV und V Teil nach der Stellung Sophie von La Roches
in diesem Kreis gefragt und erstmals untersucht wer- den, ob die
geselligen Aktivitaten in ihrem Hause ihre Position als Autorin in
der litera- rischen Offentlichkeit gef6rdert haben. Da- bei wird
sich zeigen, dass Sophie von La Ro- che eine Meisterin aufdem
Gebiet der Kom- munikation war und dass sie sich selbst ein
soziales Beziehungsnetz aufbaute, das ihr schon bei der Etablierung
als Schriftstellerin in der literarischen Offentlichkeit zugute
kam.
I
Zunichst also zur ersten Frage nach der Entfaltung der
literarischen Salongesellig- keit in Koblenz-Ehrenbreitstein. Schon
be- vor der Kurtrierer Geheimrat Georg Michael Frank La Roche seine
Stelle antrat und das Haus in der HofstraBe 262 im Friihjahr 1771
bezog, sandte seine Frau Sophie La Roche die ersten Einladungen
aus, um in dem neuen Domizil Gaste zu empfangen. Christoph Martin
Wieland hatte gerade den ersten Teil des Briefromans Geschichte des
Frauleins von Sternheim herausgegeben, der von dem literarischen
Publikum sehr gut aufgenom- men wurde. Sophie von La Roche war
damit auf dem besten Wege, eine der bekannten deutschen Autorinnen
zu werden. Nach den Jahren an den Hofen von Mainz und Wart- hausen
hatte sie Gelegenheit, zum ersten Mal ein eigenes, offenes Haus zu
fiihren, in
dem sie Gaste empfangen konnte. 7 F&ir den 13. Mai 1771 war
nun ein Treffen im Hause La Roche geplant, zu dem Friedrich Hein-
rich Jacobi aus Pempelfort bei Diisseldorf, sein Bruder Johann
Georg Jacobi, Franz Michael Leuchsenring, der Unterhofmeister der
GroBen Landgrfifin Karoline von Hes- sen-Darmstadt, Herr von Kerpen
und Chris- toph Martin Wieland geladen waren. Wiih- rend die
Briider Jacobi, Leuchsenring und spiter auch Johann Heinrich Merck
in den n~ichsten Jahren aufgrund der relativen NAhe Darmstadts und
Diisseldorfs hdiufig Gaste im Hause Sophie von La Roches in Eh-
renbreitstein waren, war der Besuch Wie- lands, der zu der Zeit
Professor in Erftrt war, eine seltene Ausnahme. Zwischen Wieland
und Sophie von La Roche bestand eine-in ihrem Charakter und ihrer
Intensitit zeit- weise ganz unterschiedliche-lebenslange
Freundschaft, die von beiden kultiviert und geschditzt wurde.8 Die
Ankunft Wielands im Hause La Roche wurde von Fritz Jacobi in ei-
nem Brief an den Grafen Chotek in Wien be- schrieben und vermittelt
in der Theatralisie- rung eine anschauliche und aufschlulreiche
Vorstellung von empfmdsamer Freund- schafts- und
Geselligkeitskultur. Fritz Jaco- bi schildert die Ankunft Wielands
in Ehren- breitstein folgendermaBen:
Wieland, sagten sie uns, sey noch nicht angekommen, sie wiren
ihn aberjede Mi- nute erwartend. Kurz hierauf h6rten wir einen
Wagen rollen; wir sahen zum Fens- ter hinaus--er war es selbst. Der
Herr von La Roche lief die Treppe hinunter ihm entgegen; ich
ungedultig, ihm nach; und wir empfiengen unsern Freund unter der
Hausthiire. Wieland war bewegt und etwas betiubt. Wdihrend dem,
daf3 wir ihn bewillkommten, kam die Frau von La Ro- che die Treppe
herunter. Wieland hatte eben mit einer Art von Unruhe sich nach ihr
erkundiget, und schien auBerst unge- dultig sie zu sehen: Auf
einmahl erblickte er sie-ich sah ihn ganz deutlich zuriick-
schauern; er hatte dabey die Miene, die ich Ihnen vorher zu
beschreiben versucht habe-. Drauf kehrte er sich zu Seite; warf mit
einer zitternden und zugleich
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284 THE GERMAN QUARTERLY Summer 2002
heftigen Bewegung seinen Hut hinter sich auf die Erde, und
schwanckte zu So- phien hin. Alls dieses war von einem so
auBerordentlichen Ausdrucke in Wie- lands ganzer Person begleitet,
daB ich mich in allen Nerven davon erschiuttert fifhlte. Sophie
gieng ihrem Freunde mit ausgebreiteten Armen entgegen; er aber,
anstatt ihre Umarmung anzunehmen, er- griffihre Hinde, und biickte
sich um sein Gesicht darein zu verbergen: Sophie neig- te mit einer
himmlischen Miene sich iuber ihn, und sagte mit einem Tone, den
keine Clairon, und keine Dubois nachzuahmen fahig sind:
Wieland-Wieland-Oja-sie sind es-sie sind noch immer mein lieber
Wieland. Wieland, von dieser riihrenden Stimme geweckt, richtete
sich etwas in die H6he; blickte in die weinenden Augen seiner
Freiindin, und lieB dann sein Ge- sicht aufihren Arm zuruick
sincken. - Kei- ner von den umstehenden konnte sich der Thrinen
enthalten: mir str6mten sie die Wangen hinunter; ich schluchste;
ich war auBer mir, und ich wiiste bis auf den heii- tigen Tag noch
nicht zu sagen, wie sich diese Scene geendiget, und wie wir zu-
sammen wieder hinauf in den Saal ge- kommen sind. (Jacobi an
GrafChotek, 16. 6.1771, Briefwechsel 114)
Diese Beschreibung Friedrich Jacobis von der Wiederbegegnung
Sophie von La Roches und Wielands ist nach dem Ge- schmack der Zeit
stilisiert und enthailt vie- le Elemente der zartlichen, empfindsa-
men Freundschaftskultur. Es wird sehr deutlich, wie geschickt die
Gastgeberin diesen Auftritt inszeniert und wie wichtig sich die
Hauptakteure in dieser Szene nehmen. Dabei steht das demonstrative
Zeigen der Gefuihle im Mittelpunkt. Ge- stik, Mimik,
Begriilungsworte und Trai- nen sollen die Bedeutung der einzelnen
Personen und die freundschaftliche, liebe- volle Beziehung zum
anderen zum Aus- druck bringen. Die Gefiihle fiberwaltigen
schlie3lich alle Beteiligten und die Freude des Wiedersehens endet
in einem Strom von Trainen, dem sich keiner der Anwesen- den
entziehen kann wie Jacobi betont. Damit entsteht eine
Gefithlsgemeinschaft
von Freunden, die einen besonderen Um- gang miteinander
demonstrieren soll.9 Die Tage in Ehrenbreitstein vergehen mit an-
regender Konversation im geselligen Kreis der Freunde, der Lekttire
von Briefen, lan- gen Spaziergingen, Naturbetrachtungen und
gegenseitigen Freundschaftsbekun- dungen. Friedrich Jacobi geno3
wie er sag- te: "vierzehn Tage lang in der Gesellschaft einer der
liebenswiirdigsten und besten Menschen, alle die Freuden in vollem
Mal3e, welche die hochste Gliickseligkeit fiir mein Herz ausmachen"
(Jacobi, Brief an Graf Chotek, 16.6.1771, Briefwechsel 110). Im
Mittelpunkt dieses Kreises stand die Autorin Sophie von La Roche,
die gera- de in diesem Jahr mit dem ersten Teil ihrer Geschichte
des Frduleins von Stern- heim ans Licht der literarischen Offent-
lichkeit getreten war und die in den fol- genden Jahren aufgrund
ihres wachsen- den literarischen Bekanntheitsgrades und des von ihr
in einem ausgedehnten Brief- wechsel gepflegten Freundschaftskults
zahlreiche Besucher an den Rhein locken sollte. Auch Goethe stattet
Mitte Septem- ber 1772 Sophie von La Roche einen Be- such in
Ehrenbreitstein ab und zeichnet im 13. Buch von Aus meinem Leben.
Dich- tung und Wahrheit ein anschauliches Por- trat seiner
Gastgeberin:
Sie war die wunderbarste Frau, und ich wiil3te ihr keine andre
zu vergleichen. Schlank und zart gebaut, eher groB als klein, hatte
sie bis in ihre hoheren Jahre eine gewisse Eleganz der Gestalt
sowohl des Betragens zu erhalten gewuBt, die zwischen dem Benehmen
einer Edeldame und einer wuirdigen biurgerlichen Frau gar anmutig
schwebte. (561)
Eleganz, weltliufige Geschliffenheit und Konversationskunst sind
Eigenschaften, die die Besucher in Ehrenbreitstein immer wie- der
an ihrer Gastgeberin bewunderten. Ge- legenheit zur Ausbildung
dieser geselligen Talente gab es fiir Sophie von La Roche an den
Hofen von Mainz und Warthausen ge- nug, an denen sie zur
Hofgesellschaft gehor-
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NENON: La Roche 285
te und repr'isentative Aufgaben erfiillte, fiir die sie auch
eigens geschult wurde, wie sie selbst in ihrer Autobiographie
berichtet. Um den Grafen Stadion wiihrend des Tages in Warthausen
angenehm mit anregender Konversation zu unterhalten, legte ihr Mann
ihr schon morgens ausgewihlte Lek- tire bereit, die sie zu lesen
hatte. Diese Lese- friichte sollten dann wie zufaillig in die Kon-
versation eingestreut werden, damit sich der
Grafnichtlangweileundunterhaltenwerde:
Ich selbst glaubte den Anfang des Schwe- benden meiner Ideen in
der vieljiihrigen Gewohnheit zu sehen, mich alle Tage nach den
Biichern umzusehen, welche mein Mann noch vor 7 Uhr Morgens, ehe er
in das Kabinett der Geschifte gieng, auf seinen Tisch legte, wo er
dann 6fters in Franz6sischen, auch in Teutschen und Englischen
gewisse Blitter bemerkte, welch ich mit Aufmerksamkeit lesen, ihren
Inhalt mir bekannt machen, und eine leichte schickliche Einkleidung
su- chen sollte, in welcher ich sie, bald beim Auf- und Abgehen mit
dem Grafen in vie- len ineinander laufenden Zimmern, bald bei
Tische anzubringen mich bemiihen sollte, damit der edle Mann immer
das Vergniigen habe, etwas Unterhaltendes zu hoiren. (La Roche,
Melusinens Som- mer-Abende L-LI)
Diese Form der geselligen Konversation, die zur Unterhaltung
dient, spielt eine wichtige Rolle an den Hofen. Wer es zu etwas
bringen wollte, muBlte galante Kon- versations- und Umgangsformen
beherr- schen, um Menschen ffir sich einzuneh- men. Deshalb spielte
auch die Schulung in der Konversation bei der Erziehung jun- ger
Menschen eine wichtige Rolle, wie auch am Beispiel Sophie von La
Roche deutlich wird, deren Ehemann als Mentor diente.
II
Diese geselligen Formen der gebildeten Konversation, die in den
Salons des Adels ge-
pflegt werden, werden nun in biurgerlichen, geselligen Kreisen
iibernommen. Dabei geht es aber nicht nur um anregende Konversati-
on zur Unterhaltung, sondern diese geselli- gen Formen erfiillen
mehrere, verschiedene Funktionen. Wichtig scheint mir vor allem die
Herstellung eines gemeinsamen Ge- fiihls- und Kulturraumes zu sein,
in dem neue Formen der miindlichen literarischen Rezeption gepflegt
werden, die auch den Zweck haben, eine Gefiihlsgemeinschaft zu
schaffen. Gemeinsam liest man im Hause La Roche etwa Johann Georg
Jacobis Gedichte, rezitiert Briefe oder spricht iiber den Wert-
her."0 Goethe bezeichnet diese Form von Zu- sammenkunft
ausdriicklich als "KongreBl": "Nicht lange war ich allein der Gast
im Hau- se. Zu dem Kongrel, der hier teils im artisti- schen, teils
im empfindsamen Sinne gehal- ten werden sollte, war auch
Leuchsenring beschieden, der von Diisseldorfheraufkam" (DuW557).
Wie schon im Frfihjahr 1771 war auch der empfindsame Leuchsenring
bei dem "Kongrel3" im September 1772 anwe- send, der wie immer
"mehrere Schatullen" mit sich fiihrte, die die Briefe vertrauter
Freunde enthielten und die nach Goethe "manche Schiitze"
enthiillten. Dazu gehor- ten zum Beispiel die Briefe Julie
Bondelis, die sehr hoch geachtet wurden. Man saf3 in kleinem Kreis
zusammen und h6rte sich Ausziige aus den Briefen an. Leuchsenring
war fiir diese literarische Praxis wohl be- kannt und iibte sie
auch im Kreis der Emp- findsamen in Darmstadt aus. Doch erfreute
sich diese gemeinsame Lektiire nicht bei al- len Anwesenden
gleicher Beliebtheit. Goe- the berichtet z.B. von der kritischen
Haltung des Aufkldrers La Roches, der sich meistens zurickzog,
sobald die Schatullen ge6ffnet wurden, oder, wenn er blieb, sich
sp6ttischer Bemerkungen nicht enthalten konnte, wiih- rend Goethe
diesen Vorlesungen gerne bei- wohnte.
Es wird deutlich, dass die Konversation, die gemeinsame Lektiire
von Briefen und das Rezitieren von Gedichten zu Elementen einer
sich entfaltenden Salongeselligkeit werden, die mehrere Funktionen
erfillt. Da-
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286 THE GERMAN QUARTERLY Summer 2002
durch entsteht ein neuer Gefiihls- und Kul- turraum, dem Goethe
"artistische" und "empfindsame" Funktion zuschreibt. Zum einen hat
die sich entfaltende Geselligkeit, wie Goethe sagt, "artistische"
Funktion. Es treffen sich Schriftsteller und an Literatur
interessierte, gebildete Menschen, die ge- meinsam literarische
Werke rezipieren und sich dartiber unterhalten. Dies kann man--und
darin unterscheidet sich der ge- sellige Kreis um Sophie von La
Roche von denjenigen um Luise Gottscheds, Christiana Marianna von
Ziegler und Julie Bonde- lis--als die ersten Autorentreffen
bezeich- nen, bei denen auch pers6nliche Beziehun- gen gekniipft
und gepflegt werden, die nicht selten zu gemeinsamen literarischen
Unter- nehmungen fihren, wie unten ausgefiihrt werden soll. Zum
anderen erfiffllt das Zusam- mentreffen nach Goethe eine
"empfindsa- me" Funktion. Damit ist eine bestimmte Ge-
flihlshaltung gemeint, die in Sprache, Gestik und Mimik der Freunde
zum Ausdruck kommt und gemeinschaftsbildend wirkt. Dabei ist
Michael Maurer in der Einschit- zung rechtzugeben, dass Sophie von
La Ro- che "wesentlichen Anteil an der Kultivie- rung einer Sprache
des Geffihls hatte" (25). Diese neue Gefiihlssprache ist die
Sprache tugendliebender, rechtschaffener und ver- dienstvoller
Biirger, die das eigene Selbst zum Ausdruck bringen wollen. Dazu
dienen ihnen neue Formen des Gesprichs und des kommunikativen
Austauschs in Briefen. Auf den "Zusammenhang von Brief, gestei-
gertem (Selbst-) Gefiihl und Geselligkeit" weist auch Nikolaus
Wegmann hin:
Dieser empfindsame Selbstbezug, den eine solcherart angelegte
epistolographi- sche Schreibweise in Gang setzt-und dann auch in
Gang hdilt-gilt zugleich als Merkmal des Menschen schlechthin,
kommuniziert man doch iiber den wech- selseitigen Austausch der
Briefe 'direkt' von Mensch zu Mensch, ohne Ansehen des Standes frei
von sozialer Kontrolle. Hier, im Nachvollzug des empfindsamen
Selbstbezuges im Akt des Briefeschrei- bens, vergewissert man sich
seiner- jen-
seits von gesellschaftlichen (Funktions-) Beziigen grfindenden
Humanitat. (78)
Diese neue Sprache ist gemeinschaftsbil- dend und steht im
Gegensatz zur stilisier- ten, konventionellen Sprache des Hofs und
seinen Umgangsformen. Als Beispiele seien ein empfindsamer
Freundschafts- brief von Johann Georg Jacobi und ein Brief Sophie
von La Roches herangezogen, in dem sie die Umgangsformen am Hof
kritisiert. So schreibt Johann Georg Jaco- bi z.B. an Sophie von La
Roche in einem Dankesbrief (21.7.1772):
Nun, beste Sophie, lassen Sie mich Ihre Hinde kiissen und Ihnen
stillschweigend fiur alles das Gute und Schine danken, was Sie mit
einer so freundlichen Miene in Ihrem Hause mir anboten. Insonder-
heit danke ich Ihnen fiir jedes edle Ge- fiihl, das Sie in meinem
Herzen aufweck- ten. Bei den seligsten Augenblicken, in welchen ich
Sie licheln oder weinen sah und es zu sehen verdiente, schwbre ich
Ih- nen, daB nichts ffir mich verloren sein soll. Glauben Sie
gewiB--doch keine Ver- sicherungen! Sie haben mich Ihren Freund
genannt [...]. (Maurer 168)
Ausdruicklich werden die Empfindungen betont, die Sophie von La
Roche in ihrem Freund geweckt hat und der besondere Wert der
Freundschaft wird hervorgeho- ben. Nach dem Sturz ihres Mannes
schreibt Sophie von La Roche an den Vor- leser der englischen
K6nigin Jean Andre de Luc, in dem sie das aufrechte Verhalten ihres
Mannes mit dem Verhalten anderer Menschen bei Hof kontrastiert:
Zu allen Zeiten wurden die schwachen Kdpfe von Vorurteilen
beherrscht, und Ihr Freund La Roche hatte viele andere Fehler
begangen. Er liebte das allgemeine Beste; er ergriff Partei fir die
Untertanen gegen ihre Unterdriicker; er war unbe- stechlich und
gerecht ohne Riicksicht auf die GroBen, wenn sie Rainke spannen ge-
gen die Kleinen; Kriechen und Schmei- cheln war ihm verhaBt; er
sagte in allem
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NENON: La Roche 287
die Wahrheit-O wie hitte er sich auch gegen eine Hofkabale
halten sollen in ei- ner Zeit, in der die Liebe zum allgemeinen
Besten keine Tugend mehr ist, nach der man fragt und die man lohnt.
(La Roche an Jean Andr6 de Luc, Speyer, 3.5.1781, Maurer 235) Im
gemeinsamen Fiihlen und Empfin-
denim Hause La Roche kreieren die Freunde eine gesellige
Gemeinschaft, die sich tradi- tionellen, hierarchischen
Einordnungen entzieht und im scharfen Kontrast zum kon-
ventionellen Verhalten der Menschen bei Hof zu sehen ist.
Gleichzeitig formiert sich eine neue Form von literarischer
Offentlich- keit, die die standischen Schranken zu uiber- winden
beginnt. Auf diesen parititischen Aspekt der Salongesellschaften
weist vor al- lem Jilrgen Habermas hin:
Wie sehr sich Tischgesellschaften, Salons und Kaffeehauser in
Umfang und Zusam- mensetzung ihres Publikums, im Stil des Umgangs,
im Klima des Rasonnements und in der thematischen Orientierung
unterscheiden m6gen, sie organisieren doch allemal eine der Tendenz
nach per- manente Diskussion unter Privatleuten. [.. .] Gegen das
Zeremoniell der Rdinge setzt sich tendenziell der Takt der Eben-
biirtigkeit durch. Die Paritit, auf deren Basis allein die
Autoritdit des Arguments gegen die der sozialen Hierarchie sich be-
haupten und am Ende auch durchsetzen kann, meint im
Selbstverstdindnis der Zeit die Paritit des bloB Menschlichen.
(51-52) Dies kennzeichnet auch das Geschehen
im Hause La Roches. Man trifft sich im gast- lichen Haus,
rezipiert gemeinsam Gedichte und Briefe, unterhfilt sich darUiber
und setzt die Unterhaltung in einem freundschaftli- chen
Briefwechsel fort. Damit wird ein Stfick "permanente Diskussion
unter Privatleu- ten" geschaffen, wie Habermas feststellt, die auf
Paritat beruht und gegen "das Zermo- niell der Ringe" gerichtet
ist. Ungewdhnlich ist, dass in diesem Fall sogar eine Frau im
Mittelpunktstehtundebenfallsihre Stimme im freundschaftlichen
Diskurs erhebt. Frau-
en wie Christiana Mariana von Ziegler, Luise Gottsched, Julie
Bondeli, Sophie von La Ro- che u.a. haben in diesen informellen,
geselli- gen Kreisen eine wichtige Rolle gespielt und sie haben
damit auf ihre Weise am Diskurs der Aufkldrung teilgenommen.
III
Fragt man sich nun, inwiefern man den geselligen Kreis um Sophie
von La Roche als Salon bezeichnen kann, so m6chte ich als
Orientierungshilfe die Kriterien vorschla- gen, die Petra Wilhelmy
sowie Peter Seibert aufgestellt haben. Zunichst ist es wichtig,
festzuhalten, dass der Begriff "Salon" erst im 19. Jahrhundert
gebrauchlich wurde, heute aber auch in einem erweiterten Sinne auf
verwandte Formen und Vorstufen jener explizit als Salon
bezeichneten und allge- mein als Salon anerkannten Institutionen
angewandt wird, die in gewisser Hinsicht als "idealtypische"
Beispiele des Salons fungie- ren. So werden andere, mehr oder
minder Aihnliche gesellige Zusammenkiinfte im 18. Jahrhundert als
Salon bezeichnet, sofern sie viele Merkmale des idealtypischen
Salons aufweisen, und vor allem sofern sie fiir ihre Teilnehmer
eine iihnliche Funktion erfiillen. Folglich ist die Frage nicht, ob
ein bestimm- tes Beispiel einer dieser Vorformen die Defi- nition
des klassischen Salons erfiillt oder nicht--Salon, ja oder nein-,
sondern inwie- fern es hilfreich ist, eine der Vorformen nach
Struktur- und Funktionsverwandtschaft in Zusammenhang mit ihren
spiteren, reiferen Nachfolgeformen zu betrachten.
Wilhelmy z.B. beschreibt den Salon als "eine freie, ungezwungene
Geselligkeit, de- ren Grundlage die Konversation iiber litera-
rische, kiinstlerische oder politische The- men bildet" (25). Geht
man von dieser Defi- nition aus, erfiillt der gesellige Kreis um
Sophie von La Roche die genannten Merk- male eines Salons. Noch
genauer versucht Peter Seibert das Phainomen Salon zu defi- nieren,
indem er sechs epochenuibergreifen- de Kriterien eines Salons
aufstellt. Anhand
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288 THE GERMAN QUARTERLY Summer 2002
dieser Merkmale, die mir in ihrer theoreti- schen Durchdringung
sinnvoll erscheinen und die ich iibernehmen mochte, soll die Niihe
einer bestimmten geselligen Praxis zu derjenigen eines
idealtypischen Salons be- stimmt werden. Seibert fiihrt folgende
Merkmale an: (1) die Gemischtgeschlecht- lichkeit, (2) die
Zentrierung auf eine Salon- dame, (3) die PeriodizitAt des
Zusammentre- tens in einem zur Halb6ffentlichkeit erwei- terten
Privathaus, (4) das Gesprdich als Handlungsmoment, (5) die
Durchlissigkeit der Teilnehmerstrukturen, und (6) der Ver- zicht
der Handlungsziele jenseits der Gesel- ligkeit (161). Betrachtet
man nun anhand dieser Kriterien das Geschehen im Hause La Roche, so
lassen sich alle Kriterien finden mit Ausnahme der PeriodizitAt des
Zusam- mentreffens. An den geselligen Zusammen- kiinften im Haus La
Roche nahmen Manner und Frauen teil, Sophie von La Roche stand im
Mittelpunkt, das Gesprich war konstitu- tiv, die
Teilnehmerstrukuren offen, und Ge- selligkeit war Zweck der
Versammlung. Zwar gab es in Ehrenbreitstein keinen jour fixe fiir
das gesellige Zusammentreffen, wie spiter in den Berliner Salons,
aber man kann doch sagen, dass die Funktionen, die die ge- selligen
Zusammentreffen im Hause La Ro- che erfiillten, denen der Berliner
Salons sehr ihnlich sind. Sophie von La Roche fiihrte ein "offenes
Haus" mit Saloncharakter, in dem Gaiste stets willkommen waren.11
H6he- punkte dieser geselligen Zusammentreffen waren sicherlich der
Besuch Wielands 1771 und Goethes 1772. Danach kam Fritz Jacobi
zwischen 1771 und 1780jedes Jahr nach Eh- renbreitstein, und auch
sein Bruder Johann Georg Jacobi, Leuchsenring und Merck wa- ren
haiufig zu Gast. Im Sommer 1774 trafen Goethe, Lavater und Basedow
mit Sophie von La Roche zusammen. Selbst die Herzo- gin Anna Amalia
kam 1778 zu Besuch. Wer von den lokalen Bewohnern Ehrenbreit-
steins anwesend war, lii3t sich nicht mehr leicht rekonstruieren,
da daruiber nicht Buch gefiihrt wurde und man aufdie Briefwechsel
und Autobiographien der Dichter angewie- sen ist. Sicherlich kann
man dennoch dem
bekannten Urteil zustimmen, dass Sophie von La Roches Haus in
Ehrenbreitstein "ei- nen geistigen Wallfahrtsort am Mittelrhein"
darstellte, der eine ganze Reihe von Schrift- stellern und
gebildeten Biirgern anzog.
In ihrem Haus am Rhein herrschte eine offene und gastfreundliche
Atmosphdire; die Empfangszimmer waren mit Bildern ge- schmiickt,
und die Fenster boten eine sch6ne Aussicht aufden Rhein, wie Goethe
festhilt:
Das Haus, ganz am Ende des Tals, wenig erh6ht iuber dem FluB
gelegen, hatte die freie Aussicht den Strom hinabwirts. Die Zimmer
waren hoch und geriumig, und die Wande galerieartig mit aneinander-
stoBenden Gemilden behangen. Jedes Fenster, nach allen Seiten hin,
machte den Rahmen zu einem natuirlichen Bilde, das durch den Glanz
einer milden Sonne sehr lebhaft hervortrat; ich glaubte nie so
heitere Morgen und so herrliche Abende gesehen zu haben.
(DuW557)
IV
Stellt man nun die Frage nach der Ein- schitzung der Stellung
Sophie von La Ro- ches in diesem Kreis, sind mehrere Aspekte zu
beriicksichtigen. Zum einen kann man sa- gen, dass Sophie von La
Roche mit dem Fiih- ren dieses offenen Hauses sicherlich die
Grenzen des privaten Familienraumes, in dem einer biirgerlichen
Frau die dreifache Rolle der Gattin, Hausfrau und Mutter zuge-
wiesen war, ilberschreitet. Doch k6nnte man argumentieren, dass die
Funktion der Frau im Salon sich nicht grundsiitzlich von der zu-
geschriebenen dreifachen Bestimmung als Gattin, Hausfrau und Mutter
unterscheidet. Nach den Theorien von Gellert und Rous- seau zum
Beispiel, die beide von einem be- stimmten Geschlechtscharakter der
Frau ausgehen, hat die Frau aufgrund ihrer Na- tiirlichkeit und
EmpfindungsfLihigkeit eine besondere Gabe fiir Konversation, deren
Ziel vor allem die gesellige Unterhaltung des Mannes ist. 12 Wie
eine Gattin nach Rousseau ihren Mann bei guter Laune halten soll
und
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NENON: La Roche 289
fir ihn da sein soll, soll nun eben auch die Sa- londame eine
ganze Reihe von Besuchern unterhalten. So schreibt Rousseau iiber
die Rolle der Frau:
Ainsi toute l'6ducation des femmes doit etre relative aux
hommes. Leur plaire, leur etre utiles, se faire aimer et honorer
d'eux, les 6lever jeunes, les soigner grands, les conseiller, les
consoler, leur rendre la vie agreable et douce: voila les devoirs
des femmes dans tous les temps, et ce qu'on doit leur apprendre des
leur enfance. Tant qu'on ne remontera pas ' ce principe, on
s'ecartera du but, et tous les preceptes qu'on leur donnera ne
serviront de rien pour leur bonheur ni pour le n6tre. (440)
Wie deutlich wird, soll die Erziehung der Frauen auf die Manner
ausgerichtet sein, worauf es dabei ankommt, ihnen zu gefal- len und
ihnen ein angenehmes Leben zu bereiten. Man k6nnte argumentieren,
dass diese Funktion von der Saloniere im Salon ebenfalls erfiillt
wird. Das Wirken der Frau im Salon entspricht nach den Theorien von
Gellert und Rousseau ihrem Geschlechtscharakter und bestimmt ihre
Funktion in der Unterhaltung des Man- nes. Gellert z. B. schreibt
den Frauen in Bezug auf das Briefeschreiben, das bei ihm "die
Stelle eines Gespraichs vertritt," ge- steigerte
Empfindungsfdihigkeit zu, da sie nicht durch die "Regeln der Kunst"
verbil- det sind. "Ein Frauenzimmer von gesun- dem Geschmacke, die
aber nicht mit den Regeln der Kunst bekannt ist, wird das
Unnatiirliche in diesem Briefe leicht fiih- len. Man redet nicht
so, das wird ihre Cri- tik seyn."13 Frauen haben demnach nach
Gellert aufgrund ihrer Natiirlichkeit, die nicht durch Bildung
eingeschrainkt wur- de, eine besondere Gabe fiir Konversation und
erfiillen nach Rousseau die Funktion, Mainnern zu gefallen und zu
unterhalten. Dies ist auch in einem Salon der Fall. Argu- mentiert
man so, wire der selbst~indige und emanzipatorische Aspekt der
Rolle der Frau im Salon sehr eingeschriinkt.
V
Zum anderen kann man aber anfiihren, dass sich das Geschehen im
geselligen Kreis nicht aufUnterhaltung der Manner reduzie- ren
liit, sondern Kulturbedeutung hat, die einen eigenen Wert hat. Die
gleichberechtig- te Teilnahme an der Rezeption und Diskus- sion von
Literatur steht fiir sich. Im Falle So- phie von La Roches zeitigt
die Entfaltung li- terarischer Geselligkeit sogar Folgen, die mit
ihrer Stellung als Schriftstellerin zu tun ha- ben. Denn mit der
Offnung des Hauses ist auch der Zugang zur 6ffentlichen literari-
schen Sphire verbunden, auf der sich viele Besucher Sophie von La
Roches bereits eta- bliert haben und sich mit mehr Sicherheit
bewegen als die angehende Autorin, deren Erstlingsroman gerade erst
erschienen ist. Wenn man von dem alten Topos von der Fort- setzung
der Konversation in Briefen ausgeht, kann man sehen, wie die
pers6nlichen Ge- spriche im Salon in den Briefen fortgefiihrt
werden. 14 Und Briefe sind iiberhaupt-wo- rauf Barbara
Becker-Cantarino hingewie- sen hat-"die Schule der schreibenden
Frauen gewesen"( "Leben als Text" 83). Be- trachtet man den
Briefwechsel, den Sophie von La Roche mit allen ihren Besuchern ge-
fiihrt hat, 1Mt sich feststellen, dass sich diese Briefe nicht nur
in gegenseitigen Freund- schaftsbekundungen ersch6pfen, sondern
auch als Geschiftsbriefe zu lesen sind, in de- nen es um
alltAgliche Belange eines Schrift- stellers, bzw. einer
Schriftstellerin geht. So- phie von La Roche war eine gewandte
Briefe- schreiberin, die in den siebziger Jahren mit vielen
Schriftstellern und Intellektuellen korrespondierte. Hier wairen
u.a. zu nennen: Christoph Martin Wieland, Johann Georg Jacobi,
Friedrich Jacobi, Goethe, Lenz, Jo- hann Kaspar Hirzel, Johann
Heinrich Jung-Stilling, Heinrich Christian Boie, Friedrich Leopold
Graf zu Stolberg, Wolf- gang Heribert von Dalberg, Bodmer, Lava-
ter, Pfeffel und Julie Bondeli. In den Briefen von und an Sophie
von La Roche werden zum Beispielliterarische Neuerscheinungen
besprochen; es wird zu Rezensionen aufge-
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290 THE GERMAN QUARTERLY Summer 2002
fordert, gemeinsame Projekte werden disku- tiert und
Angelegenheiten, die mit dem Ver- legen und dem Vertrieb der
Biicher zu tun haben, werden verhandelt. Manche lernen sich im
Hause Sophie von La Roches pers6n- lich kennen wie Wieland und
Friedrich Jaco- bi, wovon Friedrich Jacobi-wie oben ausge-
fiihrt--eine recht anschauliche Schilderung ifberliefert hat.
Zwischen den beiden Schrift- stellern besteht nach diesem Treffen
aber nicht nur ein enges Freundschaftsverhiilt- nis, sondern auch
eine enge literarische Zu- sammenarbeit. Nach Einschitzung John
McCarthys wird Friedrich Jacobi zusammen mit seinem Bruder Georg in
der Anfangszeit zum tatkrdiftigsten Unterstiitzer und Mitar- beiter
von Wielands publizistischem Unter- nehmen des Teutschen Merkur,
der 1773 von Jacobi und Wieland gegriindet wurde. 15 Auf einen
Vorschlag Sophie von La Roches hin wird auch Johann Heinrich Merck
zur Mit- arbeit am Teutschen Merkur gewonnen, wo er als Rezensent
tdtig wird. Und Wieland bit- tet in den Briefen an Sophie von La
Roche darum, ihm Beitr'ige ffir den Merkur zu schi- cken. Diese
zieht es aber vor--was Wieland bedauert--ihre Frauenzimmer-Briefe
in Ge- org Jacobis Journal Iris erscheinen zu las- sen; spiiter
sollten aber doch einige Erzhih- lungen von ihr im Merkur
veriffentlicht werden.16 Als sie Wieland um eine Rezension ihres
Romans Rosaliens Briefe an ihre Freundin Mariane von St. ** im
Merkur bit- tet, verschlieBt er sich dieser Bitte nicht. Wie- land,
der bekanntlich auch Herausgeber ih- rer Geschichte des Frduleins
von Sternheim ist, kiimmert sich iiberhaupt um Sophie von La Roches
schriftstellerische Belange. Zum Beispiel fragt er in den Briefen
nach dem Ab- satz des Romans oder nach den Ubersetzun- gen ins
Englische und Franzosische. (Wie- land an La Roche, 21.5.1773,
118). Mitte der siebziger Jahre wird er fir eine Weile in der
Funktion als Ratgeber fiir Sophie von La Roche von Goethe abgelist,
der sie bei der Konzeption ihres zweiten Romans berat und
konstruktive Vorschlage zur Konzeption gibt. Beispiele dieser Art
lieBen sich fortfiih- ren. Doch wird ersichtlich, dass es sich
hier
nicht nur um Freundschaftsbeziehungen zwischen Privatpersonen,
sondern um lite- rarische Geschiftsbeziehungen zwischen Kol- legen
handelt. Fir den Erfolgvon literarischen Gemeinschaftsunternehmen
ist es nicht un- wesentlich, wenn sich die Partner pers6nlich
kennengelernt haben. Dazu hatten sie im Hause La Roche Gelegenheit.
Zweifelsohne haben diese Projekte im Fall Sophie von La Roches dazu
beigetragen, den Bekanntheits- grad der Schriftstellerin in der
literarischen Offentlichkeit zu erhdhen und sie als Schrift-
stellerin zu etablieren. Durch die literarische Geselligkeit, die
sich in ihrem Haus entfaltet hat, hat sich Sophie von La Roche ein
Netz von sozialen Beziehungen aufgebaut, das ihr bei der
Etablierung als Schriftstellerin in der literarischen
Offentlichkeit zugute kam. Zeugnis vom Erfolg dieser Etablierung
als Schriftstellerin geben z.B. Fritz Jacobi und Lenz. Fritz Jacobi
schreibt an Sophie: "Es ist so sUii, so unaussprechlich siiB, von
Sophie Sternheim erkannt, von ihr geschitzt zu seyn!" (Jacobi 226).
Und Lenz schreibt 1775 an Sophie von La Roche: "Die Erscheinung
einer Dame von ihrem Range auf dem Par- naB (die so viele andre
Sachen zu tun hat) multe jedermann aufmerksam machen" (Ich bin mehr
Herz als Kopf 22).
AbschlieBend kann man zusammenfas- sen: Sophie von La Roche
fiihrte von 1771- 1780 in Koblenz-Ehrenbreitstein ein geselli- ges
Haus mit Saloncharakter, in dem sich aufgeklirte Beamte und Dichter
trafen, die von der angehenden Schriftstellerin angezo- gen wurden.
Die sich in ihrem Haus entfal- tende Geselligkeit liit sich als
neuer Ge- ffihls- und Kulturraum verstehen. In struk- tureller und
funktionaler Hinsicht ist diese Art von Geselligkeit im 18.
Jahrhundert den Salons im 19. Jahrhundert ihnlich und des- halb ist
sie als deren Vorlaufer zu betrachten. In diesem Kreis entwickelt
sich eine gesellige literarische Gespr(ichskultur, die gemein-
schaftsbildend wirkte und fiir das Selbstver- standnis der Dichter
und der Dichterin wich- tig wurde. Wie vor ihr Christiana Mariana
von Ziegler, Luise Gottsched und Julie Bon- deli, nahm Sophie von
La Roche mit der Ent-
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NENON: La Roche 291
faltung einer literarischen Salongeselligkeit in ihrem Haus am
Diskurs der Aufklirung teil. Ulrike Weckels, Claudia Opitz', Olivia
Hochstrassers und Brigitte Tolkemitts Ur- teil: "Frauen waren also
nicht nur Gegen- stand aufgeklirter Diskurse, einige schrie- ben
sogar an ihnen mit" (10),17 findet damit am Beispiel Sophie von La
Roches erneut Be- statigung. Mit dem Fiihren dieser Salonge-
selligkeiten fiberschreiten diese Frauen die privaten Grenzen, die
einer biirgerlichen Frau im 18. Jahrhundert gesteckt wurden. Im
Gegensatz zu Christiana Mariana von Ziegler, Luise Gottsched und
Julie Bondeli geht Sophie von La Roche aber noch ein gan- zes
Stfick weiter, indem sie sich selbst Zu- gang zur 6ffentlichen
literarischen Sphaire schafft. Durch ihre Einladungen pflegte sie
pers6nliche Beziehungen und baute ein so- ziales Netz auf, das ihr
bei der Etablierung als Schriftstellerin in der literarischen Of-
fentlichkeit nutzte, was bisher noch nicht ge- sehen wurde.18 In
den Briefen, die sie mit den Dichtern fiihrt, geht es nhmlich nicht
nur um den empfindsamen Austausch von freund- schaftlichen
Gefihlen, sondern vor allem um geschaiftliche Dinge des
Literaturbe- triebs. Pers6nliche Bekanntschaften helfen ihr dabei,
Subskribenten, Verleger und Ujbersetzer zu finden, in Journalen zu
publi- zieren und rezensiert zu werden. Sie bittet ihre Kollegen um
konstruktive Kritik und Lob, diskutiert mit ihnen iuber
literarische Neuerscheinungen und fordert zur Sub- skription auf.
In vielfacher Weise stellt sie auch pers6nliche Beziehungen
zwischen Kollegen her und greift damit f6rdernd in den
Literaturbetrieb ihrer Zeit ein. Zweifels- ohne lohnte es sich,
Sophie von La Roche zu kennen.
Damit kann man in den geselligen Krei- sen wie dem um Sophie von
La Roche eine der wenigen gesellschaftlichen Formen se- hen, zu
denen Frauen nicht nur Zugang be- kamen, sondern sogar im
Mittelpunkt stan- den und damit eine Bifhne hatten, offentlich oder
zumindest halb-offentlich zu wirken. Die meisten anderen
dffentlichen Institutio- nen im 18. Jahrhundert waren Frauen
ver-
wehrt. Sophie von La Roche hat es verstan- den, diese Nische,
die sich hier auflut, fair sich selbst und als Autorin produktiv zu
nut- zen.
Anmerkungen
1Diese Arbeit wurde durch einen Faculty Re- search Grant vom
Office of the Vice Provost for Research an der Universitat Memphis
unter- sttitzt. Der Universitit und insbesondere dem Office of the
Vice Provost for Research bin ich fiur diese Fbrderung dankbar.
Meinen Dank m6chte ich auch Peter Foley von der Univer- sity of
Arizona aussprechen, der mir viele An- regungen zum Thema Salon
gegeben hat.
2Deborah Hertz, Diejiidischen Salons im al- ten Berlin
1780-1806; Konrad Feilchenfeldt, "Berliner Salon und Briefkultur um
1800," und ders., "Die Berliner Salons der Romantik"; Peter
Seibert, "Der literarische Salon--ein Forschungsiiberblick"; Petra
Wilhelmy, Der Berliner Salon im 19. Jahrhundert (1780- 1914);
Detlev Gaus, Geselligkeit und Gesellige.
3Gaus geht es nicht darum, die "Kontinuitit der Salonkultur,
sondern vielmehr die Singu- laritat der Berliner Salons der
klassischen Pe- riode" zwischen 1780 und 1806 aufzuzeigen
(115).Wihrend Peter Seibert einerseits den Aspekt der Urbanitat
betont, indem er auf die "Konstellation von Urbanitat und
Intellektu- alitat" (146) verweist und damit den Salon im Grunde
als Phanomen der GroBstadt charak- terisiert, so schligt er doch
andrerseits selbst die Bruicke vom Empfindsamen Kreis in Darm-
stadt zu den Berliner Salonieren: "Mit Franz Michael Leuchsenring
wurde vor allem die Briicke zu Personen des ehemaligen Darm-
stadter Kreises geschlagen und damit eine Organisationsform des
literarischen Lebens in Erinnerung gerufen, die durch die Einbezie-
hung von Frauen wie Karoline Flachsland den Anspruch der Berliner
Jiidinnen auf gleichbe- rechtigte Zulassung zu
literaturorientiertem Umgang unterstiitzen konnte" (185).
4Die verschiedenen Kreise literarischer Ge- selligkeit in Weimar
finden in letzter Zeit ge- rade wieder besondere Aufmerksamkeit.
Ne- ben dem "Weimarer Musenhof" der Herzogin Anna Amalia gab es die
"Freundschaftstage" der Hofdame Louise von G6chhausen, Jo- hanna
Schopenhauers "Theeabende," Goethes
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292 THE GERMAN QUARTERLY Summer 2002
"Mittwochs-Krainzchen" und "Mittwochs-Ge- sellschaft" und die
"Freitags-Gesellschaft" der "Weimarer Kunstfreunde." Vgl. dazu:
Ilse-Ma- rie Barth, Literarisches Weimar; John A. Mc- Carthy, "Die
gesellige Klassik"; Peter Graden- witz, Literatur und Musik im
geselligen Kreise; Astrid K6hler, Salonkultur im klassischen
Weimar. Astrid Kohler stellt dabei die Verbin- dung zwischen den
biirgerlichen Salons in Ber- lin und dem Salon Johanna
Schopenhauers her: "Das Zusammentreffen dieser verschiede- nen
Konstellationen erm6glichte es Johanna Schopenhauer offenbar, eine
Geselligkeits- kultur von auBen in die Stadt hineinzutragen, einen
Kreis 'groBer Geister' um sich zu ziehen und im Zusammensein mit
ihnen ihre eigene Lebens-Kunst zu kreieren. Ein solches Kon- zept
kann von Seiten der Wirtin bewuBlt oder unbewuBt als
Konkurrenzunternehmen zu be- kannten Berliner Salons, aber auch zu
deut- schen Kiinstlerkolonien im Ausland (in Rom beispielsweise dem
Kreis um Angelika Kauff- mann) angesehen werden" (27). Vergleiche
zum Darmstidter empfindsamen Kreis: Vale- rian Tornius, Die
Empfindsamen in Darm- stadt; Lilli Rahn-Beckmann, Der Darmstdidter
Freundeskreis; Renate Krdiger, Das Zeitalter der Empfindsamkeit;
Gerhard Sauder, "Der Empfindsame Kreis in Darmstadt." Zwischen 1771
und 1773 formte sich ein Freundschafts- bund zwischen einigen
Menschen. Der Zirkel traf sich im Hause des Kriegsrats Johann Hein-
rich Mercks und bei Mademoiselle Ravanel, ei- ne Erzieherin der
Prinzessinnen, im SchloB. Zu dem empfindsamen Kreis gehbrten
Henriette von Roussillon, genannt Urania, Luise von Ziegler,
genannt Lila und Caroline Flachsland, die spatere Frau Herders, die
den Beinamen Psyche bekam. Daneben nahmen der Hofmei- ster des
Erbprinzen und Rat Franz Michael Leuchsenring und der Geheime Rat
Andreas Peter von Hesse an den Treffen teil. Merck und Leuchsenring
waren haufige Gaste bei Sophie von La Roche in Ehrenbreitstein,
wfihrend So- phie von La Roche ihrerseits 1772 einen Besuch in
Darmstadt machte.
5Siehe dazu: Magdalene Heuser, "Das Mu- senchor mit neuer Ehre
zieren. Schriftstelle- rinnen zur Zeit der Friihaufkldirung," und
dies., "'Das bestindige Angedencken vertritt die Stelle der
Gegenwart'. Frauen und Freund- schaften in Briefen der
Friuhaufkliarung und Empfindsamkeit." Heuser zeigt in diesem
Bei-
trag die besondere Bedeutung auf, die der Freundschaft ffir
Frauen im 18. Jahrhundert zukam und schliesst, dass "Freundschaft
im 18. Jahrhundert keinesfalls eine Domane der Minner war"(165).
Siehe zu Julie Bondeli: Ju- lie Bondeli. Ein Portrdt in Briefen.
Die Her- ausgeberinnen urteilen fiber Julie Bondeli: "Es war denn
auch ihre Bildung, die Julie Bondeli die Chance einer gewissen
Emanzipation aus einer standisch genormten Frauenrolle er6ff- nete.
Sie ffihrte eine Existenz als Femme de Lettres und Salonniere,
pflegte Freundschaf- ten zu Gleichgesinnten, unterhielt Korrespon-
denzen mit verschiedenen Pers6nlichkeiten ihrer Zeit und setzte
sich als Leserin und Den- kerin mit Literatur, Asthetik und
Philosophie, Medizin und Naturwissenschaften, Theologie und
Padagogik auseinander. Kurz, sie war Phi- losophin ganz im Sinne
des 18. Jahrhunderts, offen ffir die intellektuellen Debatten wie
ffir die gesellschaftlichen Fragen ihrer Zeit" (10).
6Siehe zu diesem Thema: Robert Hassen- camp, "Aus alten Briefen.
Die Familie La Roche und ihr Freundeskreis in den Jahren 1760-
1780"; J.J. Wagner, Koblenz-Ehrenbreitstein; Adolf Bach, Aus
Goethes Rheinischem Lebens- raum; K.Th. Plato, Sophie von La Roche
in Ko- blenz/Ehrenbreitstein; Ulrike Weckel, "Frauen und
Geselligkeit im spiten 18. Jahrhundert. Das offene Haus der Sophie
La Roche in Ehren- breitstein."
7Die 1730 in Augsburg geborene Marie So- phie Gutermann
heiratet, nachdem ihre Verlo- bung mit Christoph Martin Wieland
aufgel6st wurde, 1753 den Sekretar des Grafen von Sta- dion Georg
Michael Frank La Roche. Die Fa- milie lebt in den folgenden Jahren
in Mainz, wo Graf Stadion als erster Minister am Hof des
Kurffirsten Emmerich Joseph von Mainz titig war und als einer der
wichtigsten Personen im Alten Reich galt. 1762 kehrte Graf Stadion
auf sein SchloB nach Warthausen zuriick, wo auch die Familie La
Roche bis zum Tode des Grafen 1768 lebte. In den Jahren 1762 bis
1768 ent- stand im SchloB Warthausen ein kleiner Roko- kosalon--der
Warthausener "Musenhof'"-, zu dem auch Wieland, der mittlerweile
Stadt- schreiber in Biberach war, geh6rte. Der alte, hochgebildete
Graf Stadion liebte geistreiche Konversation iber Literatur und
Philosophie, Musik, Theater und Tanz und scharte die Men- schen in
seiner landlichen Umgebung um sich, mit denen er seine Neigungen
pflegen konnte.
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NENON: La Roche 293
In diesem Kreis hatte Sophie von La Roche ihren bestimmten Platz
und die Aufgabe, als Hofdame den Grafen angenehm zu unterhal- ten.
Christoph Martin Wieland beschreibt die- sen aristokratischen Salon
folgenderma~len:
Das SchloB Warthausen ist eine schwa- che Meile von Biberach
entfernt und auf ei- ner Anh6he gelegen, welche ein liebliches Tal
beherrscht. Englische GAirten und Par- ke machen dieses Haus
entziickend ffir ei- nen Menschen meines Schlages. Hierher hat sich
der Graf von Stadion zurUickgezo- gen, um noch mbglichst viel von
dem zu genieBen, was ihm nach 72 noch zu leben uibrig bleibt.
Stellen Sie sich einen alten Herrn vor mit einer Miene und einem
Blick, da13, um mit Shakespeare zu reden, die Natur sich erheben
und sagen mbchte: 'Das ist ein Mann', einen Mann der mit 72 Jahren
noch das ganze Feuer eines 50 jih- rigen Franzosen mit der
Schlichtheit der Denkweise und den Manieren eines engli- schen
GroBen verbindet, einen Staats- mann, Freund der Literatur und der
Kiinste und einen uniibertrefflich ange- nehmen Gesellschafter, und
Sie haben eine Vorstellung von dem Herrn des Hauses. Seine
Gesellschaft ist zusammengesetzt aus der Grfifin von Schall, seiner
Tochter, Herrn de LaRoche, seinem Giinstling und Faktotum, Sophie
der Frau des letzteren, einem sehr originellen Arzt und einem
Hauskaplan, den man nicht anders als Mei- ster PangloB nennen darf
und aus den Kin- dern von Sophie, welche einer der Hauptfreuden des
Grafen sind [...]. (Chris- toph Martin Wieland an Johann Georg
Zimmermann, Briefwechsel 94)
8Zur komplexen Beziehung zwischen Sophie von La Roche und
Wieland vergleiche: Monika Nenon, Autorschaft und Frauenbildung und
dies., "The Genius and His Muse: Women as Objects of Imagination
for Klopstock and Wieland"; Barbara Becker-Cantarino, "'Muse' und
'Kunstrichter': Sophie La Roche und Wie- land"; Verena
Ehrich-Haefeli, "Gestehungs- kosten tugendempfindsamer
Freundschaft"; Gudrun Loster-Schneider, Sophie La Roche.
Ehrich-Haefeli und Loster-Schneider betonen ebenfalls die
ifberwiegend positiv firdernde Haltung Wielands gegenuiber Sophie
von La Roche.
9Vgl. zu dem Zusammenhang von Freund- schaft und Geselligkeit
vor allem Wolfram
Mauser. Mauser schreibt iuber den Tugendbe- griffder
Freundschaft: "So iiberrascht es nicht, daB sie im Verlauf der
nachfolgenden Jahr- zehnte mehr und mehr zum Garanten ffir Ge-
meinsinn, Verliil3lichkeit und das Gefiihl des Miteinander in einem
auBerinstitutionellen Raum geselligen Umgangs wurde" (18).
10Vergleiche z.B. den Brief von Sophie La
Roche an Johann Georg Jacobi vom 15. Mirz 1772, in dem sie die
gemeinsame Lektitre seiner Gedichte erwahnt: " [...] schreibe mit
meiner alten zirtlichen Achtung an sie ilber das Ver- gniigen Ihrer
Freundschaft und iiber die ange- nehme Stunden, welche mir Ihr
Schmetterling machte, teils da ich ihn selbst, dann mit meiner Max,
mit La Roche, mit Dumeiz und Leuchsen- ring las. Alle diese sagen
Ihnen ohnendlich viel Freundschaftliches und Sch6nes" (Maurer 162).
Brief Friedrich Heinrich Jacobis an So- phie von La Roche vom 28.
Oktober 1774 (Jacobi, Briefwechsel 267). 11Ulrike Weckel hat den
Begriff "offenes
Haus" eingefiihrt, der sinnvoll ist, weil er die offene Struktur
des Hauses, d.h. seine Zugiing- lichkeit ffir Besucher betont. Der
Begriff sagt aber nichts tiber die funktionale Bedeutung der
kulturellen, geselligen Zusammenkiinfte aus. Das, was sich
inhaltlich bei diesen Treffen ab- spielte, steht aber meiner
Ansicht nach im engen Zusammenhang mit den Salons im 19.
Jahrhundert. Vgl. Ulrike Weckel, "Frauen und Geselligkeit im
spditen 18. Jahrhundert." 12Gellert betont in seiner Brieftheorie
die na-
tiurliche, besondere Empfindungsf'ihigkeit der Frau, die sich in
ihrem Briefstil bemerkbar macht: "Aus diesem Grunde kann man sich
sa- gen, woher es koemmt, daB die Frauenzimmer oft natuirlichere
Briefe schreiben als die Man- ner. Die Empfindungen der
Frauenzimmer sind zarter und lebhafter, als die unsrigen. Sie wer-
den von tausend kleinen Umstdinden geriihrt, die bey uns keinen
Eindruck machen. Sie wer- den nicht allein 6fter, sondern auch
leichter geriihrt, als wir. Eine Vorstellung macht bey ihnen
geschwind der andern Platz, daher hal- ten sie sich selten bey
einem guten Gedanken zu lange auf; wir ffihlen ihn starker, und
darum gehen wir oft zu lange mit ihm um. Ihre Ge- danken selbst
sind, wie ihre Eindriicke, leicht; sie sind scharfes, aber kein
tiefes Geprige" (Gellert 76).Vergleiche das ftinfte Buch von
Rousseaus Emile: Jean-Jacques Rousseau, Emile ou de
l'dducation.
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294 THE GERMAN QUARTERLY Summer 2002
13Christian Fuirchtegott Gellert, "Praktische Abhandlung von dem
guten Geschmacke in Briefen," Die epistolographischen Schriften,
Deutsche Neudrucke, Reihe: 18. Jahrhundert. Hg. von Paul B6ckmann
(Stuttgart: Metzler, 1971) 3-4. 14 Vgl. dazu: Diethelm Briiggemann,
"Gellert,
der gute Geschmack und die iiblen Briefsteller. Zur Geschichte
der Rhetorik in der Moderne." 15Wieland. Epoche-Werk-Wirkung, hg.
von Sven-
Aage Jorgensen, Herbert Jaumann, John Mc- Carthy, Horst Thom6
(Miinchen: Beck, 1994) 164. 16Christoph Martin Wieland an Sophie
von La
Roche, Brief vom 16.1.1775: "So angenehm es mir gewesen wdire,
den Leserinnen des Merkur (denn der Merkur hat auch Leserinnen)
eine Frucht des Geistes und Herzens meiner Freun- din Sophie
vorsetzen zu kbnnen, so billig finde ich Ihre Ursachen, warum Sie
der Iris und un- serm Jacobi den Vorzug gegeben haben. Sie kennen
mich zu wohl, als daB Sie von mir glau- ben sollten, ich k6nnte nur
einen Augenblick dariiber ungehalten seyn. Die Iris ist ohnehin bey
weitem der schicklichere Platz filr Frauen- zimmer Briefe, die eine
Frau zur Verfasserin haben" (Wieland, Briefwechsel Bd.5, 328).
Sophie von La Roches Frauenzimmerbriefe sind teilweise zunichst in
der Iris (2. Bd. 2. Stfick bis 8. Bd. 1. Stuick, 1775-1776)
erschie- nen; spater kommen sie unter dem Titel Rosaliens Briefe an
ihre Freundinn Mariane von St**. Von der Verfasserinn des Frauleins
von Sternheim. 1. Band. Altenburg: Richter, 1779) 472 S.; 2. Band
1780, 502 S.; 3. Band 1781, 360S. heraus. 17Vgl. zur Stellung der
Frau im Diskurs der
Aufklarung die informationsreichen Bande: Ordnung, Politik und
Geselligkeit der Ge- schlechter im 18. Jahrhundert. Hg. von Ulrike
Weckel, Claudia Opitz, Olivia Hochstrasser und Brigitte Tolkemitt
(G6ttingen: Wallstein, 1998); Tugend, Vernunft und Gefuihl. Ge-
schlechterdiskurse der Aufkldrung und weib- liche Lebenswelten. Hg.
von Claudia von Opitz, Ulrike Weckel und Elke Kleinau (Miinster:
Waxmann, 2000). 18Ulrike Weckel geht in ihrem oben zitierten
Aufsatz auf diesen Aspekt nicht ein. Vielmehr geht sie davon
aus, dass Sophie von La Roche schon eine beriuhmte Schriftstellerin
war. 1771 wurde aber gerade erst der erste Band ihres Romans
Geschichte des Frdiuleins von Stern-
heim anonym ver6ffentlicht und ihre Stellung als
Schriftstellerin in der literarischen Offentlichkeit war meiner
Ansicht nach zu diesem Zeitpunkt noch keineswegs gefestigt.
Bibliographie
Bach, Adolf Bach. Aus Goethes Rheinischem Lebensraum. Menschen
und Begebenheiten. Neuss: Gesellschaft foir Buchdruckerei,
1968.
Barth, Ilse-Marie. Literarisches Weimar. Kultur, Literatur,
Sozialstruktur im 16.-20. Jahrhun- dert. Stuttgart: Metzler,
1971.
Becker-Cantarino, Barbara. "Leben als Text. Briefe als
Ausdrucks- und Verstdindigungs- mittel in der Briefkultur und
Literatur des 18. Jahrhunderts." Frauen Literatur Geschichte.
Schreibende Frauen vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Hg. von
Hiltrud Gniig und Renate M6hrmann. Stuttgart: Metzler, 1985.
. "'Muse' und 'Kunstrichter': Sophie La Roche und Wieland."
Modern Language Notes 99.3 (1984): 571-89.
Briiggemann, Diethelm. "Gellert, der gute Ge- schmack und die
uiblen Briefsteller. Zur Ge- schichte der Rhetorik in der Moderne."
Deutsche Vierteljahresschrift fuir Literatur- wissenschaft und
Geistesgeschichte 45 (1971): 117-49.
Ehrich-Haefeli, Verena. "Gestehungskosten tu- gendempfindsamer
Freundschaft: Probleme der weiblichen Rolle im Briefwechsel Wie-
land-Sophie La Roche bis zum Erscheinen der Sternheim (1750-1771)."
Frauenfreund- schaft-Mdnnerfreundschaft. Literarische Dis- kurse im
18. Jahrhundert. Hg. von Wolfram Mauser und Barbara
Becker-Cantarino. Tiibingen: Niemeyer: 75-137.
Feilchenfeldt, Konrad. "'Berliner Salon' und Briefkultur um
1800." Der Deutschunterricht (1984): 77-100.
. "Die Berliner Salons der Romantik." Rahel Levin Varnhagen. Die
Wiederent- deckung einer Schriftstellerin. Zeitschrift fir LiLi
Beiheft 14. G6ttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1987.
152-64.
Gaus, Detlev. Geselligkeit und Gesellige: Bil- dung, Burgertum
und bildungsbiirgerliche Kultur um 1800. Stuttgart: Metzler,
1998.
Gellert, Christian Ffirchtegott. Die epistologra- phischen
Schriften. Deutsche Neudrucke,
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NENON: La Roche 295
Reihe: 18. Jahrhundert. Hg. von Paul Bockmann.
Stuttgart:Metzler, 1971.
Goethe, Johann Wolfgang von. Aus meinem Le- ben. Dichtung und
Wahrheit. Autobiographi- sche Schriften I. Hg. von Erich Trunz.
Hamburg: Beck, 1981.
Gradenwitz, Peter. Literatur und Musik im gesel- ligen Kreise.
Geschmacksbildung, Gesprdchs- stoff und musikalische Unterhaltung
in der biirgerlichen Salongesellschaft. Stuttgart: Steiner,
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Interview mit Marlene Streeruwitz, 13. Dezember 2000 [pp.
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Towards an Ethics of Remembering: The Walser-Bubis Debate and
the Other of Discourse [pp. 235-246]The Perennial Search for
Paradise: Garden Design and Political Critique in Dorothea
Schlegel's Florentin [pp. 247-264]Masculinity, Male Friendship, and
the Paranoid Logic of Honor in Theodor Fontane's Effi Briest [pp.
265-281]Sophie von La Roches literarische Salongeselligkeit in
Koblenz-Ehrenbreitstein 1771-1780 [pp. 282-296]Herders Vorstellung
von der Zukunft [pp. 297-307]Book ReviewsReview: untitled [pp.
308-309]Review: untitled [pp. 309-310]Review: untitled [pp.
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