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Sowjetische Militärjustiz in der SBZ/DDR (1945-1955) Tagungsband, im Auſtrag des Landesverwaltungsamtes Sachsen-Anhalt hrsg. von Daniel Bohse und Lutz Miehe HALLISCHE BEITRÄGE· ZUR ZEITGESCHICHTE 2006/2 �: Als Anfang 2006 das Totenbuch "Erschossen in Moskau... " erschien, brachte es hinsichtlich des Schicksals der zwischen 1950 und 1953 in der DDR von sowjetischen Militärtribunalen zum Tode Verurteilten ei- nen völlig neuen Kenntnisstand. Doch gleichzeitig warf die Veröffentli- chung neue Fragen auf. Aus diesem Grunde entschlossen sich Facts & Files- Historisches Forschungsinstitut Berlin und die Gedenkstätte RO- TER OCHSE Halle (Saale), eine Arbeitstagung zum Wirken der sowjeti- schen Militärjustiz auf dem Boden der Sowjetischen Besatzungszone und der frühen DDR durchzuführen. An dieser nahmen zahlreiche an diesem Thema forschende Historiker, Vertreter von Gedenkstätten, Archiven so- wie der Birthler-Behörde teil. Der vorliegende, in die Reihe der HALLISCHEN BEITGE ZUR ZEIT- GESCHICHTE aufgenommene Band stellt die am 3. November 2006 in Halle gehaltenen Vorträge in überarbeiteter Form vor. ISSN: 1433-7886 SOWJETISCHE MILITÄRJUSTIZ IN DER SBZ/DDR (1945-1955) . { TAGUNGSBAND l . j
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SMT-Verfahren im Zusammenhang mit der Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit (KgU)

Apr 20, 2023

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Enrico Heitzer
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Page 1: SMT-Verfahren im Zusammenhang mit der Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit (KgU)

Sowjetische Militärjustiz in der SBZ/DDR (1945-1955) Tagungsband, im Auftrag des Landesverwaltungsamtes Sachsen-Anhalt hrsg. von Daniel Bohse und Lutz Miehe

HALLISCHE BEITRÄGE· ZUR ZEITGESCHICHTE 2006/2 �:� Als Anfang 2006 das Totenbuch "Erschossen in Moskau ... " erschien, brachte es hinsichtlich des Schicksals der zwischen 1950 und 1953 in der DDR von sowjetischen Militärtribunalen zum Tode Verurteilten ei­nen völlig neuen Kenntnisstand. Doch gleichzeitig warf die Veröffentli­chung neue Fragen auf. Aus diesem Grunde entschlossen sich Facts & Files- Historisches Forschungsinstitut Berlin und die Gedenkstätte RO­TER OCHSE Halle (Saale), eine Arbeitstagung zum Wirken der sowjeti­schen Militärjustiz auf dem Boden der Sowjetischen Besatzungszone und der frühen DDR durchzuführen. An dieser nahmen zahlreiche an diesem Thema forschende Historiker, Vertreter von Gedenkstätten, Archiven so­wie der Birthler-Behörde teil. Der vorliegende, in die Reihe der HALLISCHEN BEITRÄGE ZUR ZEIT­GESCHICHTE aufgenommene Band stellt die am 3. November 2006 in Halle gehaltenen Vorträge in überarbeiteter Form vor.

ISSN: 1433-7886

SOWJETISCHE MILITÄRJUSTIZ IN DER SBZ/DDR (1945-1955)

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Page 2: SMT-Verfahren im Zusammenhang mit der Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit (KgU)

Sowjetische Militärjustiz in der SBZ/DDR (1945-1955) Tagungsband

im Auftrag des Landesverwaltungsamtes Sachsen-Anhalt hrsg. von Daniel Bohse und Lutz Miehe

Halle 2007

Page 3: SMT-Verfahren im Zusammenhang mit der Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit (KgU)

HALLISCHE BEITRÄGE ZUR ZEITGESCHICHTE 2006/2 (Sonderheft)

Impressum: HALLISCHE BEITRÄGE ZUR ZEITGESCHICHTE Herausgegeben von Jana Wüstenhagen und Daniel Bohse

Redaktion: Daniel Bohse (v.i.S.d.P), Thomas Pruschwitz

Gestaltung: Pepe Kooperation, An nett Sonntag, Halle (Saale) www. pepe-kooperation .de

Druck: Druckerei der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Hoher Weg 4, 06120 Halle (Saale)

Kontakt: Redaktion Hallische Beiträge zur Zeitgeschichte Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Institut für Geschichte 06099 Halle (Saale) Germany Tel.: + 49 345 5524294 Fax.: + 49 345 5527042 E-Mail: [email protected]

ISSN: 1433-7886

Inhalt

Lutz Miehe Einleitung

Mike Schmeitzner SMT in der SBZ und frühen DDR: Forschungsüberblick und

7

Forschungsperspektiven 9

Andreas Hilger Deutsche vor der sowjetischen :Militä�ustiz 25

Jochen Hecht Übersicht über die in den Archiven der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR archivierten Unterlagen zu Verurteilten der Sowjetischen :Militärtribunale (SMI) 35

Frank Drauschke Das Forschungsprojekt "Erschossen in Moskau ... "

Enrico Reitzer SMT-Ve.tfahren im Zusammenhang mit der Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit (KgU)

JörgMorre SMT-Verurteilte im DDR-Strafvollzug. Gedenkstättenarbeit in Bautzen

Daniel Bohse SMT-Forschung und Gedenkstättenarbeit am regionalen Beispiel: Der "Rote Ochse" Halle (Saale) als NKWD/MGB-Gefängnis und Sitz Sowjetischer :Militärtribunale

Abkürzungsverzeichnis Autorenverzeichnis

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74

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109 1 10

Page 4: SMT-Verfahren im Zusammenhang mit der Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit (KgU)

SMT-Verlahren im Zusammenhang mit der Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit (KgU) von Enrico Heitzer

Die KgU gehörte bis in die Mitte der fünfziger Jahre "zu den härtesten Widersachern der sowjetischen Besatzungsmacht und des SED-Regimes

" .1 Sie

\VU!'de am 17. Oktober 1948 während der Berlin-Elockade durch Rainer Hildebrandt gegriindet und zunächst geleitet.Z Den Impuls gaben die Ent­lassungswellen aus den sowjetischen Speziallagern. Der KgU gelang es zum ersten Mal, ehemalige Häftlinge öffentlich über das Erlebte sprechen zu lassen. Hildebrandts Stellvertreter und Nachfolger, der Theologe Ernst Tillich, hatte sich am Widerstand gegen das Dritte Reich beteiligt und war drei Jahre im KZ gewesen. Die offiziell als Suchdienst für Speziallagerinsassen und Sowjethäftlinge konzipierte KgU trat nach außen hin -wie eine Behörde auf. Von Beginn an finden sich Nachrichtendienstier in der Organisation. Bis auf Hildebrandt und Tillich trugen die hauptamtlichen Mitarbeiter und Kontakt­personen der KgU in der SBZ/DDR ("V-Leute") aus Sicherheitsgriinden Decknamen. Bald nach ihrer Griindung flossen Geldmittel von amerikani­schen Geheimdiensten, die die KgU bis zu ihrer Auflösung 1959 hauptsäch­lich finanzierten.3 Eine zeitlang stach sie "auch aus dem engen Kreis der Radikalen, selbst jener Gruppen, die Terroranschläge befürworteten" noch heraus.4

Die KgU war von Beginn an ein organisatorisches Z-witterwesen. Unter ihrem Dach vereinte sie zwei grundverschiedene Einrichtungen: mehrere Ab­teilungen nahmen Aufgaben einer humanitären Organisation wahr, eine Tätig­keit, die durchaus mit Menschenrechtsorganisationen -wie Amnesty Internatio-

1 Roger Engelmann: Die Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit; !n= �laus-Dieter Henke, Peter Steinbach, Johannes Tuehel (Hg.): Widerstand und Opposlt!on m der DDR,

Köln/Weimar/Wien 1999 ( = Schriften des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung, Bd. 9), S. 183; vgl,_Kai-Uwe Merz: Kalter Krieg als antikommunistischer Widerstand. Die Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit 1948-1959, München 1987. 2 Hildebrandt war ins Umfeld der Auentäter vom 20. Juli 1944 geraten und inhaftiert worden. Vgl. Gerhard Finn: Nichtstun ist Mord. Die Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit-KgU, Bad Münstereifel 2000. 3 Vgl. George Bailey, Sergej A Kondraschow, David A Murphy: Die unsichtbare Front: der Krieg der Geheimdienste im geteilten Berlin, Berlin 1997, S. 148. 4 Bemd Stöver: Die Befreiung vom Kommunismus: amerikanische Liberation Policy im

Kalten Krieg 1947-1991, Köln u. a. 2002 ( = Zeithistorische Studien, Bd. 22), S. 537.

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l

nal vergleichbar ist.5 Inoffiziell existierte eine geheimdienstliche Sektion, die allgemein für "Widerstand" zuständig war. Dort \VU!'den Propagandatätig­keiten dirigiert und Nachrichtensammlung in der SBZ/DDR durchgeführt. Die Abteilung zeichnet sich auch verantwortlich für die Durchführung von "Störungen" und Sabotageakten. Während die Aktivitäten des humanitären Flügels in der Zeit der Existenz der KgU bis ins Frühjah:. 1959 im Wesent­lichen dieselben blieben und sich auf Dokumentation und Offentlichmachung von Unrecht, Beratung und Unterstützung Hilfesuchender und ähnliche Felder konzentrierte, unterlag die Tätigkeit der "Widerstandsabteilung" starken Schwankungen. Eine -wichtige Funktion war die Verbreitung von Propaganda, die zunächst in erster Linie durch V-Leute in die SBZ/DDR "eingeschleust" und verteilt \VU!'de. Die KgU versorgte zahlreiche Personen mit Flugblättern. Im September 1952 änderten sich die "Anweisungen über Prop-Einschleusung".6 Die KgU schickte ihr Material fortan mit Ballons ins Zielgebiet und V-Leute, die nur Flugblätter verteilen wollten und für rein konspirative Arbeit oder "administrative Störungen"7 nicht irrfrage kamen, \VU!'den "abgeschaltet".8 Im Betrachtungszeitraum war der Apparat der KgU in der SBZ/DDR sehr inhomogen zusammengesetzt, weil praktisch jeder zur Mitarbeit -willkommen war, der gegen die kommunistische Diktaturdurch­setzung etwas tun wollte. Weil nur schwer Generalisierungen getroffen werden können, versucht der Aufsatz in knapper Form, Einzelfallprüfungen vorzunehmen, was den vielen Opfern der SMT-Justiz am ehesten gerecht werden dürfte.

Während die KgU zahlreiche friedliche Widerstandsaktivitäten entfaltete und unterstützte, prägt das Bild maßgeblich die Phase der Radikalisierung

5 Auch Arnnesty International war ein "Feindobjekt" des MfS: Roland Braucktnann: Arnnesty International als Feindobjekt der DDR, Berlin 1996 ( = Schriftenreihe des Berliner Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR, Bd. 3). Die KgU sammelte auch mit nachrichtendienstliehen Mineln Informationen über politische Repression, Verhaftungen, "verschwundene" Personen, die Situation in den Haftanstalten und Lagern und vieles mehr. Es entstand eine Häftlingskartei, in der Insassen der DDR-Strafanstalten edasst wurden. Die baute eine "Spitzelkartei" auf, in der angebliche und tatsächliche Zuträger des Systems namentlich systematisch edasst und mit Strafe nach einem Systemwechsel bedroht wurden. 6 BArch, B 289, OA 0578/560, BI. 3. 7 Die KgU versuchte mit falschen Briefen, Bankanweisungen, Lebensminel-, Kohlen-, Benzin- oder Kartoffelmarken, die mithilfe der V-Leute in die DDR gebracht wurden, ohne Gewalt ökonomischen Schaden zu verursachen. 8 Der damalige Berliner OA-O!ef sagte 1996 in einem Dokumentadilm: "Mit Idealisten arbeiten in Gruppen ist sehr gefährlich. Sie wollen nämlich allen Leuten sagen, was sie sind. Ein Idealist ist jemand, der muss schreien von der Kirche aus und das ist meines Erachtens sehr unsicher[ ... ]". Erika Fehse: Bomben, Gift und Reifentöter. Die Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit, Manuskript, WDRKöln 1996.

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ihrer Aktioi_JSformen vom Friihjahr 195 1 bis in den Sommer 1952. Die KgU­Sachbearbeiter gaben an ihre V-Leute in nicht unbetriichtlichen Mengen Sabotagemittel wie "Reifentöter"9, Säuren10, Brandsätze11 und in einigen Fällen auch Sprengstoff12 aus, die zumindest in Teilen zum Einsatz kamen.

Von 1950 bis 1953 wurde eine Mindestzahl, die bei etwa 500 Personen anzusetzen ist13, von SMT abgeurteilt, die verhaftet worden waren, weil sie des Kontaktes mit der KgU beschuldigt wurden oder diesen tatsächlich gehabt hatten. ':X'a�cheinlich ausnahmslos vom SMT 48.240, dem SMT der Gruppe der SoWJetischen Besatzungstruppen in Deutschland 1\ wurden im Zeitraum von August 1950 bis Januar 1953 zwischen 114 und 136 Todesurteile gegen

9 Spuren finden sich im gesäuberten KgU-Material und anderen Quellenbeständen: BArch, B 289 OA 285/103; ebd., B 289 OA 0578/560; ebd., B 289 OA 175/41 (V-Mann-Akten)· ebd., B 289 OA 0580/58; ebd., B 289 OA 36/3329; ebd., B 289 OA 0578/523; BStU, MfS AS �5/55 Bd. DCA, BI. 95; BStU, MfS ]HS MF ZTGB 76/55. Vgl. auch Grit Gierth, B�tnna Wes�eld: Zur Tätigk�it sowjetische; 1_1iljtärtribunale in Sachsen, in: Andreas Hilger, Mike Schme.lt�':er, Ute Schrmdt (Hg.): SoWJetische Militärtribunale. Bd. 2. Die Verurteilung deutscher Zivilisten 1945-1955, Köln/Weimar/Wien 2003 ( � Schriften des Hannah­Ahrendt-Instituts für Totalitarismusforschung, Bd. 17 /2), S. 565. 10 BAre�, B 289 OA 298?./10; ebd., B 289 OA 415/210; ebd., BArch, B 289 OA 0580/58, �1. 2. Die Säure konnte 01 zersetzen und eignete sich, Maschinen zu beschädigen.

Ebd., B 289 OA 13/16, BI. 7; ebd., B 289 OA 36/3329, BI. 6f.; ebd., B 289 SA 500/18/52; ebd, B 289 VA 985/171/1; ebd., B 289 VA 4/171/ 4; ebd., B 289 OA 119/387; BStU, �S �U 205/52 Bd. 5, BI. 71ff.; BStU, MfS AS 95/55 Bd. 5, BI. 2-101; BStU, MfS BV LeipZig AU 39/53; vgl. auchJoachim Müller: Für die Freilieit Berlins: Erinnerungen eines Widerstandskämpfers der ersten Stunde gegen das SED-Regime, Frankfurt!M. 1991. 12_Währe.�d sich viele Vo_rwürfe aus DDR-Quellen schlecht nachprüfen lassen, dürften in diesen Fällen kaum Zweifel bestehen: Johann Burianek schleuste einen Reisekoffer voller Sprengstoff nach Ost-Berlin. Denunziation verhinderte, dass eine Eisenbahnbrücke zerstört wurde. Burianek wurde vom Obersten Gericht der DDR zum Tode verurteilt und hingerichtet: Vgl. Tägliche Rundschau 25_.5.1952; BArch, B 289 OA 531/123. Am 22. April 19.52 f��- em Ba�angestellter_auf der EISenbahnbrücke bei Löcknitz eine Sprengladung rmt Ze1tzunder, die er notdürftig entschärfen konnte. Bei Detonation des Treibsatzes wurde ein �olizist verletzt. Obwohl alle kurze Zeit später Verhafteten der KgU-Gruppe "Gerber" �e �usführung der Tat abstritten, ergaben die Vernehmungen, dass ?ruppe�tglieder über Monate Vorbereitungen zur Brückensprengung trafen (Vgl. ub�remsummende Aussagen mehrerer Festgenommener. BStU, MfS AU 205/52, Bd. 5. Zu weiteren geplanten Aktionen vgl. BArch, B 289 OA 675/552. 13 Aktuelle Zählung des Verfassers: 506, wobei bei etlichen Gruppenverhaftungen die gerraue Zahl der Verurteilungen nicht klar ist. 14 V�!. _Hilger, An?reas Hilger, Nikita Petrov: "Erledigung der Schmutzarbeit"? die SOWJetiSchen JustiZ- und Sicherheitsapparate in Deutschland, in: Hilger/Schmeitzner/Schmidt, Sowjetische Mi!itärtribunale, Bd. 2, S. 109.

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Personen aus dieser Gruppe gefällt.15 Lediglich in sechs Fällen wurde die Umwandlung der Todes- in eine Haftstrafe vollzogen. Es handelt sich um eine ausgesprochen große Opfergruppe, vielleicht die größte unter den 927 zwischen 1950 und 1953 in Moskau erschossenen bzw. verstorbenen Deutschen.16 Addiert man die fünf 1952 bis 1955 durch DDR-Gerichte verhängten Todesurteile gegen KgU-Mitarbeiter dazu, ergibt sich eine Ge­samtzahl von Todesopfern, die zwischen 1 14 und 136 anzusetzen ist.17

Urteils- SMT- SMT- KgU- KgU-SMT- Quote v. Todesur-

Jahr Todesur- Todesur- Anteil an Vemrteilte Todes- teile von

teile ins- teile KgU vollstr. urteilen in DDR-

gesamt" (vollstr./ Todesur- %'9 Gerichten

beJ;nadi,;t) teilen in%

1950 170 10- 11 5,9 - 6,5 ca. 77 13- 14,3 1951 436 34- 46 7,8- 10,6 ca. 147 23,1- 31,3 1952 315 64- 73 (5) 20,3- 23,2 ca. 243- 259 26,6- 32,1 2 1953 5 0 (1) ca. 5 20,0 1 1954 1955 2 Insge- 926 109- 131 12,3- 14,7 ca. 472 - 488 5 samt (6) 20

Tabelle 1: Todesurteile mit KgU-Hintergrund

Bereits die ersten SMT-Verfahren mit KgU-Hintergrund machen die Hetero­genität der Personengruppe deutlich. Am Beispiel der KgU erweist sich einmal mehr die Undifferenziertheit und Paranoia der stalinistischen Verfol­gungs- und Verurteilungspraxis: Am 23. September 1949 wurden der 20-jährige Karl W. und der 23-jährige ehemalige SS-Untersturmführer GerhardJ.

15 Bei 107 Personen besteht derzeit kein oder kaum ein Zweifel, dass in irgendeiner Form KgU-Kontakt bestanden hat, bei acht ist der Kontakt wahrscheinlich. Die restlichen Fälle ließen sich bisher nicht eindeutig klären. 16 Vgl. Arsenij Roginskij, Jörg Rudolph, Frank Drauschke, Anne Kaminsky: "Erschossen in Moskau". Die deutschen Opfer des Stalinismus auf dem Moskauer Friedhof Donskoje 1950-1953, Berlin 2005. 17 Hinzu kommen noch etliche in der Haft Verstorbene. Allein bei der "Affäre Walter" sind mindestens drei Männer namentlich bekannt, die in Workuta oder Taischet ums Leben gekommen sind. 18 Gesamte DDR, vollstreckte Todesurteile. 19 Quote von verhängten Todesurteilen in allen SMT-Verfahren mit KgU-Hintergrund gernessen an Gesamtzahl der Abgeurteilten. 20 Die Abweichung zur o.g. Summe ergibt sich, weil in einzelnen Fällen lediglich bekannt ist, dass eine Verurteilung stattgefunden hat, jedoch keinerlei Information, wann das gewesen ist.

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in Eisenach verhaftet.21 Sie waren von West-Berlin aus seit Mitte 1949 für K�U-N�chrichtendienstchef "Dr. Hoffmann" und gegen Bezahlung für KgU­Mitarbeiter "Gebhard"22 in der SBZ unterwegs, um Militärspionage durchzu­führen und Kontakte zu Mitarbeitern militärischer Objekte zu knüpfen.23 Am 7. �ebruar 1950 verurteilte ein SMT in Berlin-Lichtenberg W., J. und vier weitere Personen zu 20 bis 25 Jahren Arbeitslager (I1L).24 Unabhängig davon �de von einem SMT in Weimar der schwerbeschädigte West-Berliner Mitbewohner von W. zu 25 Jahren verurteilt, der wie dieser für "Gebhardt" aktiv war. 25

_Im Folgenden soll

_ die Entwicklung der Urteile von SMT mit KgU­

Hintergrund nachgezeichnet werden. Von Anfang 1950 bis Mitte 1952 wur­den Personen, die KgU-Verbindung gehabt hatten, in der Regel von SMT abgeuneilt.26 Verlahren gegen KgU-Gruppen fanden im Frühjahr 1950 in Halle und Potsdam statt. Im ersten Fall wurde eine dreiköpfige Widerstands­gruppe abgeurteilt, die seit Oktober 1949 Flugblätter im Raum Wittenberg verteilt hatte. Der Kopf der Gruppe hatte vorgehabt, SED-Akten über Enteignungen zu stehlen und nach West-Berlin zu bringen. Er erhielt 25, die

21 BArch, B 289 OA 423/3, KgU-Vemehmungsbericht, 12.10.1949; ebd., B 289 OA 501/586, Schreiben von W.s Vater an KgU, 6.8.1951. 22 "Gebhard" war Heinz Wiechrnann, der von 1953 bis 1965 das Berliner Landesamt für Verfassungs.schu�z leitete. Er war bis "etwa" August 1949 bei der KgU und leitete eine vom "MID fmanZierte Außenstelle. "Gebhard" arbeitete demnach als die Verhaftungen stattfanden, wahrscheinlich nicht mehr für die KgU, ließ aber seine V-Leute in diesem Glauben. 23 BArch, B 289 OA 501/586, KgU-Aktenvermerk, 2.5.1957, und Aktenvermerk Tillichs 20.8.1951.

'

24 Vgl. ebd., KgU-Aktenvermerk 2.5.1957. 25 Ebd.; ebd., B 289 OA 2940/7, KgU-Bericht 17.8.1956. 26 M�hrfach wurden Nachfolgeprozesse vor DDR-Gerichten geführt. Es gab offenbar nur we�ge Ausnahmen von dieser Praxis: So wurde der 19-jährige Tischler Peter H. aus Klemrnac�ow u. a. wegen des Klebens von F-Zetteln der KgU und der Beteiligung am S­B ahn-Streik am 22. März 1950 von der Großen Strafkammer des LG Potsdam zu fünf J�n Gefängnis ve�rteilt. (BArch, B 289 OA 553/3, Meldung an KgU, o.D.) Der Lehrer G�ter S. und der Gartner Günter S. von der KgU-Gruppe "Rudau" aus Beelitz, die seit Mitte 1949 KgU-Verbindung gehabt hatten, wurden im August 1950 vom MfS festgenommen und Anfang Dezember 1950 von der kleinen Strafkammer des LG Potsdam zu fünf

_ bzw. drei Jahren Zuchthaus, der Lehrer zusätzlich zu acht Jahren Berufsverbot

verurteilt. (ebd., B 289 OA 508/44, Schreiben an KgU, 9.1.1951 und Abschrift der �agesc.hrift, 30.8.1950) Weitere be�te Beispiele sind die Prozesse gegen Gruppen, die uberwiegend aus Ober;;chülem bestanden, aus Güstrow (September 1950) und Werdau (O�ober 1951). Vgl. Katnn Passens: Peter Moeller, in: Fricke, Kar!-Wllhelm Fricke, Peter Stembach, Johannes Tuehel (Hg.): Opposition und Widerstand in der DDR Politische Lebensb�der, M�chen 2002, S. 130-134; Achim Beyer: Urteil: 130 Jahre Zuchthaus: Ju�en?wrderstand m ?er DJ?R und der P.rozess gegen die" Werdauer Oberschüler" 1951, Lerpzt� 2003 ( = S�hriftenreilie des SächsiSchen Landes beauftragten für die Unterlagen des Staatssrcherhertsdienstes der ehemaligen DDR, Bd. 1.

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beiden Mitverurteilten zehn Jahre I1L.27 Die Gruppe aus den Nähmaschinen­werken in Wittenberge, von der sieben Mitglieder am 31 . März 1950 in Potsdam zu Haftstrafen verurteilt wurden, hatte unter dem Decknamen "Max und Moritz" seit November 1949 Flugblätter verteilt bzw. an Hauswände angeklebt. Die Verhaftungen erlolgten ab dem 27. Dezember 1949 aufgrund einer Denunziation.28 Beginnend am 9. August wurden 1950 wegen angeb­lichem KgU-Kontakt zehn oder elf Personen durch das SMT 48.240 zum Tode verurteilt. Im ersten Fall, Hildegard Drescher aus Fürstenwalde, liegt in den KgU-Unterlagen lediglich ein Flüchtlingsgutachten vor, aus dem als ein Fluchtgrund hervorgeht, dass sie mehrlach vergewaltigt worden sei.29 In dieser Begutachtung scheint bereits ihr gesamter KgU-Kontakt bestanden zu haben.30

"Grunewald" an der Forstschule in Eberswalde war die erste KgU-Gruppe, bei der die im Februar 1950 wieder eingeführte Todesstrafe verhängt wurde. Die jugendlichen Mitglieder, die seit dem Sommer 1949 KgU-Kontakt unterhielten, verteilten Flugblätter, sammelten in geringem Umfang militä­rische Informationen und wurden kurzzeitig an einen englischen Nachrichten­dienst vennittelt.31 Die Gruppe wollte anlässlich des 1. Mai 1950 in Ebers­walde Flugblattraketen abfeuern. Die Verhaftungen verhinderten das. Am 17. August 1950 wurden in Potsdam acht Personen verurteilt, darunter Ernst Nahunek zum Tode.32 Am 19. August verurteilte ein SMT in Weimar neun meist jugendliche Personen als Angehörige der KgU-Gruppe "Dassel'' aus Greiz zu Haftstrafen, die bei der Einweihung eines Volksparks Flugblattra­keten abfeuern wollten, aber vorher verhaftet worden waren. 33

Der Fall der nächsten Opfer der SMT-Justiz, war ähnlich gelagert wie "Grunewald". Vom 8. bis 13. September 1950 fand in Weimar die Verhand­lung gegen 15 Personen aus Altenburg statt, die Flugblätter verteilt und einen Radiosender gebaut hatten, mit dem- wahrscheinlich vergeblich- versucht worden war, die im Rundfunk übertragene Rede Piecks zu Stalins 70. Ge-

27 Vgl. BArch, B 289 OA 743/7. Einer der Mitverurteilten seiner Gruppe war seit Januar

1940 freiwillig in der Waffen-SS, zuletzt als Unterscharführer.

28 Vgl. ebd., B 289 OA 311/161, Protokolle vom 6.3.1954 und 11.9.1956.

29 Vgl. ebd., B 289 OA 160/21, KgU-Flüchtlingsgutachten, 20.1.1950.

30 Wenn sie vor ilirer Flucht für die KgU in irgendeiner Form tätig gewesen oder sogar seit

1946 mit "westlichen Geheimdiensten" in Kontakt gestanden wäre (Vgl. Erschossen in

Moskau, S. 141), hätte das im Gutachten einen Niederschlag gefunden. Kontakte zu

westlichen Dienststellen wurden meist in allgerneiner Form erwähnt, denn sie galten als

Beleg für eine Flucht aus politischen Gründen. 31 Vgl. BStU, MfS AP 74/54, BI. 71f., BI. 76ff. 32 BArch, B 289 OA 315/327, KgU-Protokoll, 27.1.1954. 33 Vgl. BArch, B 289 SA 500/22-53/18, Protokoll, ??.1.1954.

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burtstag zu stören.34 Ursprünglich haue es sich um zwei Gruppen gehandelt, die vorwiegend aus Oberschülern und jungen Lehrern bestanden und sich mit Billigung der KgU im Oktober 1949 verbanden. Im September 1949 bemalten Mitglieder der einen Gruppe das Gebäude der SED-Kreisleitung mit "Fs". Während der größere Teil der Gruppe es bei symbolischen Aktionen beließ, sammelten einige Mitglieder militärische Information in geringfügiger Form, die an die KgU, den RIAS und kurzzeitig angeblich einen amerikanischen Nachrichtendienst weitergemeldet wurden. Mit dem später verurteilten Lud­wig Hayne, der zunächst flüchten konnte, fielen vier Todesurteile.35 Am 18. und 19. Oktober 1950 verurteilte ein SMT in Schwerirr zwölf Personen, die der Gruppe "Aktion der Oberschüler" zugeordnet wurden. Die Mitglieder hatten Flugblätter verteilt. Alle erhielten 25 Jahre ITL.36 Am 2. November 1950 wurden vier Personen aus Leipzig in Dresden abgeurteilt, die dem V­Mann "Rosen" zugehörig angesehen wurden. "Rosen" war Parlamentssteno­graph in Ost-Berlin gewesen und Anfang 1950 in den Westteil der Stadt geflüchtet. Ein Mitverurteilter hatte drei Mal Flugblätter bei der KgU geholt.37

Am 2. Dezember 1950 verurteilte das SMT 48.240 in Halle Rudi Rose und Theodor Wesehe zum Tode und weitere sieben Personen zu Haftstrafen. Die Gebrüder Wesehe hatten seit April1950 KgU-Kontakt gehabt und "laufend Propagandamaterial von uns empfangen".38 Nach Einsatz eines V-Mannes konnte das MfS nach dreiwöchiger Observation und "nach Absprache mit der vorgesetzten Stelle" Haussuchungen halten. "Das Ergebnis war überraschend. Bei dem Leiter der Gruppe Theodor Wesehe [ . .. ] wurden neben 2000 Flugblättern der Kampfgruppe gegen die Unmenschlichkeit, auch noch Waffen, Stahlhelme usw. vorgefunden. "39

1951 vervielfachten sich die Verurteilungszahlen gegen KgU-Mitarbeiter. Anfang des Jahres wurden zwei (oder drei) Zwickauer Oberschüler in Dresden zu Haft-Strafen verurteilt, weil s_ie Flugblätter der KgU verteilt hauen sowie für die Zeitung "Telegraf" tätig waren.40 Am 1. Februar wurde der

34 Vgl. dazu �nrico Heitzer: "Einige greifen der Geschichte in die Speichen". Jugendlicher ;r.�ersta�d.m Altenburg 1948 bis 1950, Leipzig 2007.

Uber die m. den folgenden Wochen wegen angeblich bestehender KgU-Verbindung zum Tode verurteilten Herben Killian, Erich Reinhold, Felix und Heinrich Müller konnte nichts Näheres in Erfahrung gebracht werden. 36 Vgl. Anne Drescher: Haft a� Demrnlerplatz: Gespräche mit Betroffenen: Sowjetische Militärtribunale Schwerin 1945 bis 1953, Schwerin 2. Auf!. 2004, S. 105-124; BArch, B 289 SA 78/18/189, KgU-Bericht, 27.1.1956; ebd., B 289 OA 78/268, Schreiben eines Entlassenen an KgU, 4.2.1954. 37 Vgl. BArch, B 289 OA 360/742, Aktenvermerke vom 12.10.1950 und 4.2.1957. 38 Ebd., B 289 OA 819/3, Schreiben KgU, 7.11.1950. 39 BStU, MfS BV Magdeburg AllgP 398/57, BI. 3. 40 Vgl. BArch, B 289 SA 191/220-171/1, Protokoll, 22.2.1954.

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Setzerlehrling Heinz Torgau aus Bad Dürrenberg in Halle zum Tode verurteilt, weil er "für die KgU, für den Rias und die Zeitschrift die Neue Zeitung gearbeitet" hane.41 Noch im Februar wurden der Oberschüler Ludwig Hayne von der bereits im September 1950 verurteilten Altenburger Gruppe und Lothar Bomberg, der an einem illegalen Kurzwellensender gebaut hatte und denunziert worden war, in Weimar zum Tode verurteilt.42 Am 25. Februar veruiteilte ein SMT in Chemnitz den KgU-V-Mann "73" aus der WISmut, der einen nachrichtendienstliehen Hintergrund hatte, den KgU-Kon­takt verschweigen und damit seine Gruppe vor Verhaftung und sich selbst wahrscheinlich vor dem Todesurteil bewahren konnte.43 Am 23. März verurteilte ein SMT in Weimar eine elfköpfige Gruppe, die in erster Linie aus Oberschülern bestand, zu je 25 Jahren Haft. Der Zusammenschluss, der sich "Freie Gemeinschaft" nannte und den KgU-Decknamen "Degenhard

" trug, verteilte Flugblätter und warf Stinkbomben in Veranstaltungen anlässlich der Geburtstage von Stalin (Dezember 1950) und Pieck Ganuar 1951). Ein Vater, der als WISsenschaftler tätig war, stellte ein Gnadengesuch, das von einem hohen Funktionär des Glasherstellers Schon Jena unterstützt wurde. Einem weiteren Vater gelang es, mit Piecks Kanzleichef zu verhandeln.44 Im Spät­sommer 1952 wurden die Jugendlichen begnadigt und entlassen. Die Rache war schrecklich: Nach der Verhaftung des Sohnes hatte einer der Väter Kontakt zur KgU aufgenommen und soll V-Mann geworden sein. Wenige Wochen vor Freilassung seines Sohnes wurde er festgenommen, vom SMT 48.240 am 4. Dezember 1952 in Berlin-Lichtenberg wegen Spionage zum Tode verurteilt und im Februar 1953 erschossen.45

Die im am 25. :März in Dresden verurteilte siebenköpfige Gruppe um die mit der Todesstrafe belegten Heinz Domaschke und Hermann Kernen hatte laut KgU-Unterlagen mit Frau "Stein" vom RIAS zusammengearbeitet und sie "ins besonders mit militärischen Nachrichten" versorgt.46 Nach der Entlassung verlieh ein Mitglied der Überzeugung Ausdruck, für KgU und RIAS gearbeitet zu haben. Das zuständige KgU-Referat konnte das nicht bestätigen.47

41 Ebd., B 289 OA 943/41, handschriftliche Meldung eines end. Mithäftlings, o.D. Der Inhalt dieser Tätigkeit ist unbekannt. 42 Zu Bornberg vgl. Jörg Rudolph, Frank Drauschke, Alexander Sachse: Verurteilt zum Tode durch Erschießen: Opfer des Stalinismus aus Thüringen 1950-1953, Erfurt 2006 ( = Thüringen gestern und heute, Bd. 26), S.48f. 43 Vgl. BArch, B 289 OA 0616AI25. "Material der KgU u.a. BArch, B 289 OA 7/249. 45 Vgl. Erschossen in Moskau, S. 276f. 46 BArch, B 289 SA 4/18/144, handschriftliche Notiz, o.D. (wahrscheinlich vom 8.6.1954). 47 Ebd., B 289 SA 4/18/293, KgU-Vermerk, 19.6.1956. Anzu=rken ist, dass die Quellenüberlieferung aus der Anfangsphase der KgU meistens schlecht ist. Deshalb finden sich Aussagen dieser Art über Fälle aus den Jahren bis 1950 öfter in den KgU-Unterlagen.

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Etwa im März oder April verurteilte ein SMT etwa acht Personen zu Haftstrafen, die zur Gruppe "Fox" in Pulsnitz und Kamenz gezählt wurden. Die Gruppe hatte neben der KgU Kontakte zum UfJ und RIAS. Der Aussage eines Entlassenen zufolge machte die Gruppe heimlich Aktenkopien.48 Außer­dem soll der Gruppenkopf an einem Sender gebaut haben, mit dem er eigene Sendungen durchführen wollte.49 Am 6. April 1951 verurteilte ein SMT in Weimar zwei Rechtspflegeranwärter vom Amtsgericht Altenburg zu Haft­strafen, die bei der KgU als "A I" und "Paul" gelaufen waren. "A I" hatte Spionageaufträge erhalten50, von denen nicht bekannt ist, ob er sie ausführte. Am 9. oder 11. April1951 verurteilte ein SMT in Potsdam neun Personen zu Haftstrafen, die der KgU-Gruppe "Benz" zugeordnet wurden. Die Gruppe hatte mit dem RIAS zusammengearbeitet, nahm aber seit Oktober 1950 KgU­Kontakt wahr. Sie erhielt von dort mehrere "Tapetenroller"51 und Stink­bomben. 52 Nachdem die Gruppe Flugblattaktionen durchgeführt hatte, war abgesprochen, Informationen liefern zu lassen. 53 Am 10. April fiel in Halle das Todesurteil gegen den Buchhändler Heinrich Briickner aus Helbra, der zu­gleich zweiter LDP-Ortvorsitzender war. Mindestens eine zweite Person wurde zu Haft verurteilt.54 Es ist lediglich bekannt, dass Briickner KgU­Verbindung gehabt hat und mit Rainer Hildebrandt "persönlich bekannt" gewesen sein soll. 55 Am Tag darauf verurteilte das SMT 48.240 am selben Ort drei Männer aus Wittenberg zum Tode, über die nicht bekannt ist, ob der Vorwurf an WllhehnJurk zutrifft, Mitarbeiter der KgU gewesen zu sein. 56 Der am 27. April 1951 in Potsdam zum Tode verurteilte Manfred Schnee hatte versucht, unter dem Namen "Boto" (Bolschewistentod) einen eigenen Appa­rat aufzubauen, der an den Fall der Werderaner Jugendlichen erinnert. Schnee flüchtete Ende September 1949 nach West-Berlin und baute unter seinen Bekannten eine Widerstandsgruppe auf, die Flugblätter verteilte und Informa­tionen sammelte. Er suchte mehrfach KgU-Kontakt und bot Nachrichten-

48 BArch, B 289 OA 0591/166, Schreiben vom 2.6.1955. 49 Vgl. ebd., B 289 SA 184/18/1. 50 Nach eigener Aussage: "Namen von VP-Angehörigen zu sammeln, Autonummern von sowjetischen und deutschen Diensdahrzeugen zu notieren. Versuchen, eine Verbindung mit der StVA [Strafvollzugsanstalt] Waldheim herzustellen. Ausfertigung eines Lageplans vom Flugplatz Altenburg[,] Abschriften von Dokumenten des Amtsgerichts Altenburg." BArch, B 289 SA 186/18/15, KgU. Vermerk, 27.8.1954. 51 Mit" Tapetenrollem" konnten schnell Parolen an Hauswände gerollt werden. 52 BArch, B 289 OA 534/275, BI. 2, BI. 6. 53 Ein Mitglied der Gruppe, deni die Flucht vor der Verhaftung gelang, war seit 1932 Mitglied von NSDAP und SS gewesen. Vgl. ebd., B 289 OA 2696/1, KgU.Aktennotiz, 31.5.1951. 54 Vgl. Erschossen in Moskau, S. 129. 55 BArch, B 289 SA 456/168/3, Schreiben an KgU, 28.12.1950. 56 Vgl. Erschossen in Moskau, S. 214.

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material an. 57 Die KgU arbeitete nur widerwillig und lose mit ihm zusammen, weil es Vorbehalte gab.58

KgU-Kontakt hatte auch eine Widerstandsgruppe, die in der Umgebung von Jena aktiv gewesen ist und dort Propagandamaterial verteilte.59 Am 19. Mai 1951 verurteilte das SMT 48.240 in Weimar den ehemaligen Ange­hörigen der Einsatzgruppen der Waffen-SS Gustav Gläser"0, den von Frühjahr

1942 an freiwillig in der Waffen-SS dienenden Alfred Baier"\ den Autowerk­stattbesitzer Rudolf Wmter zum Tode und fünf weitere Personen, darunter den Bürgermeister von Bucha, zu Haftstrafen. In den folgenden Wochen wurden vier Einzelpersonen Opfer von SMT-Verurteilungen, von denen sich nicht in jedem Fall mit Bestimmtheit sagen lässt, ob wirklich KgU-Kontakte bestanden haben.62

Am 25.Juni 1951 verurteilte das SMT 48.240 in Potsdam elf Angehörige der KgU. Widerstandsgruppen "Beil" und "Birke" aus Kagel und Umgebun�. Die mit insgesamt 14 Mann bei der KgU registrierten Gruppen hatten sett Herbst 1950 große Mengen Propagandamaterial verbreitet und etliche Flug­blattraketen abgeschossen.63 Im Dezember 1950 wurde mit dem Gruppen-

57 Am 1.8.1950 kündigte er handschriftlich genauen Bericht "über sämtliche VP­Bereitschaften Brandenburg's und Sachsen's (sie)" an. BArch, B 289 VA 504/220-171/22. 58 E bd., KgU-Aktenvermerk 31.10.1951. In dem Vorgang finden sich einige Schreiben ':on Schnee an die Kg U, in denen er als Ziel seiner Gruppe "die Befreiung der von de� SoWJets besetzten Deutschen Gebiete vom SED-Joch" formulierte und deshalb" systemansehe Zersetzungsarbeit in der SED, FDJ und anderen Kommunistis�hen Mass��o�anisationen, sowie der sogenannten VOLKSPOLIZEI'- durch Wort, Schrift und Tat leiSten wollte. (Ebd., 4.7.1950). In ein�m undatierten Schreiben (Ebd.) gibt Schnee an, jetzt "für Steglitz" zu arbeiten, gerneint ist damit wohl ein amerikanischer Nachrichtendienst, was Vermerke der KgU stützen. 59 Die KgU besaß lt. Vermerk vom 27.8.1954 "keine Unterl.[agen]" über �en Fall. (B�h, B 289 SA 186/18/15) Den Kontakt belegen jedoch zwei Aktenstücke: D1e Ehefrau eme� Verurteilten schrieb am 7.4.1952 an die KgU über die Verhaftungen und gab an, das� Ba1er "bei Ihnen, wie ich weis [sie], nicht unbekannt ist". (Ebd., B 289 SA 7 /18/33) �us emer Sichtmeldung eines entlassenen Mitgefangenen über Hertel geht hervor, dass dieser Propagandamaterial der KgU gehabt hatte. Vgl. ebd., B 289 SA 186/18/15. 60 Vgl. Erschossen in Moskau, S. 168f. 61 Vgl. Erschossen in Moskau, S. 107. . 62 Am 30. Mai erhielt Ingeborg Lenz ihr Todesurteil an einem unbekannten Ort. Am 2. Juru wurde Helmut Kahl, der nach gelungener Flucht aus West-Berlin verschleppt worden war, zu Tode verurteilt. Der in Potsdam bei einer Flugblattaktion verhaftete Student der Deutschen Hochschule für Politik, Peter Püschel, der am 20. Juni in Berlin-Lichtenberg zum Tode verurteilt wurde, soll für die KgU, den NfS ( = Narodno Trudowoj Sojus, Volksbund der Schaffenden) und das Ostbüro der Q)U tätig gewesen sein. Vgl. Erschossen in Moskau, S. 215f., S. 247, S. 302. 63 Laut Berichtsblatt wurden an beide Gruppen von Anfang Dezember 1950 bis Mitte Februar 1951 23 Flugblattraketen, 120 Stinkbomben, 1300 Taranteln, 100 Flugblätter mit russischem Text, etwa 20.000 Flugblätter und Flugzettel (u. a. 8.000 "Iwan raus") 12.000

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führer "Beil", Günter Rah, vereinbart, dass er eine nachrichtendienstlich tätige "Infonnationsgruppe" aufstellt.64 Gruppenmitglieder notierten Kennzeichen sowjetischer Fahrzeuge und erkundeten den Verlauf und die Bewachung einer in der Erde verlegten Telefonleitung der Sowjetarmee.65 KgU-Mitarbeiter "Seeberg" vergab nach Aussagen eines Haftentlassenen den "Auftrag[ ... ], zur Vorbereitung der Waffenübernahme Unterstände zu bauen. Die Unterstände wurden im Wald gebaut, sind aber nie benutzt worden.".66 Die Gruppe führte in der Nacht vom 27. Februar 1951 eine Aktion durch, die zu ihrer Verhaf­tung führte: "Kurier trifft ein und meldet Raketen-, Flugblatt- und Rollerem­satz in Liebenberg Kr. Fürstenwalde. Im Wesentlichen wurde ein so genann­tes Arbeitererholungsheim, in dem sich nur höhere SED-Funktionäre und KPD-Mitglieder aus Westdeutschland aufhalten, mit Prop-Mitteln belegt. Die Aktion lief derartig ab, dass zunächst einmal die elektrischen Kabel und Telefonleitungen zu dem Gebäudekomplex abgeschaltet wurden. Dann wur­den sämtliche Türen mit Tapetenrollern ,Fluch den SED-Henkern' bedruckt und in den Hof, sowie in die umliegenden Gebäude [Flugblatt-]Raketen abgeschossen. Als die erschrockenen Insassen Fenster und Türen öffneten, flogen ca. 20 Stinkbomben in das Gebäude", vermerkt der KgU-Bericht.67

Die vier maskierten Täter, die nicht versuchten, ins Gebäude einzudringen, wussten, dass der DDR-Minister Karl Hamann seit diesem Tag in dem Haus zu Gast war.68 Es wurde eine MfS-Aktion ausgelöst, bei der die Gruppe verhaftet wurde.69 Hany Ewald, Günter Rah und Gerhard Strötzel erhielten das Todesurteil und acht weitere Personen Haftstrafen.70

Einen Tag danach verhandelte in Weimar das SMT 48.240 gegen wahr­scheinlich drei Mitglieder der Gruppe "Keller" aus Rehrnsdorf/Zeitz. Sie

Klebezettel und mehrere" Tapetenroller" ausgegeben. Vgl. BArch, B 289 OA 3154/2, Bl.3f.; ebd., B 289 OA 3154/11, BI. 4. 64 Vgl. ebd., B. 289 OA 3154/2, Bl.3f. 65 Vgl. BArch, B 289 OA 3154/2, BI. 17; BStU, MfS BV Frankfurt AU 16/52 Bd. 2, BI. 43f., BI. 46, BI. 48. 66 BArch, B 289 OA 3154/2, BI. 17. 67 Ebd., BI. 4. 68 Vgl. BStU, MfS BV Frankfurt AU 16/52 Bd. 2, BI. 41, BI. 67, BI. 88. 69 Vgl. ebd., BI. 11ff. 70 Vgl. Erschossen in Moskau, S. 150, S. 304, S. 361. Die kurzzeitig verhaftete Ehefrau von Rah, deren Vater als ehemaliger Blockleiter der NSDAP zu 12 Jahren Zuchthaus und

Enteignung verurteilt worden war und in Waldheim einsaß (BStU, MfS BV Frankfurt AU 16/52 Bd. 2, BI. 13; BArch, B 289 OA 3154/2, BI. 18.), ging nach West-Berlin und nahm dort im Vorfeld und während der III. Weltfestspiele der Jugend und Studenten an Aktionen der KgU teil. (Vgl. ebd., BI. 6, BI. 12ff.) Frau Rah, die Ende 1951 in die DDR zuriickkehrte, wurde gemeinsam mit ihrer Schwester und mindestens fünf weiteren Personen von DDR-Gerichten zu Haftstrafen bis 15 Jahren verurteilt. Vgl. ebd., Aktenvermerk, 6.8.1956.

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hatten von Ende Dezember 1950 bis März 1951 KgU-Kontakt, verteilten Propagandamaterial und führten Militärspionage im geringen Umfang durch. Beim oberschenkelamputierten Reinhard Weise wurde im Zug bei einer Kon­trolle Flugblätter und 16 Ausgaben von George Orwells Roman "1984" gefunden. Der mit ihm fahrende Martin Meißner wurde ebenfalls festgenom­men, weil er das gleiche Abzeichen am Revers angesteckt hatte.71 Bei ihm fand man eine Panzertypenkarte, die von einer "westlichen Dienststelle" stammte.72 Meißner erhielt laut Verhöraussagen von der KgU den Auftrag, neben der Sammlung von Infonnationen über die Volkspolizei, auch "festzustellen, wo sich Panzereinheiten befinden und die Typen der Panzer festzustellen". Er sammelte Infonnationen über die Produktion von Getriebekästen für Panzer in einem SAG-Betrieb.73 Während Meißner und Weise vom SMf 48.240 zum Tode verurteilt wurden, wurden mindestens sechs weitere angebliche Angehö­rige der Gruppe, darunter der Vater der Freundin von Meißner und der Neffe von Weise, von einem DDR-Gericht zu Zuchthausstrafen zwischen einem und sechs Jahren verurteilt.74 Zwei bei der KgU registrierte Mitglieder der Gruppe wurden nach sechs Wochen Haft bei MfS und MGB wieder ent­lassen, weil ihnen nichts nachzuweisen war?5

Den Sommer 1951 über trat eine zweimonatige Verurteilungspause ein. Am 27. August verurteilte das SMf 48.240 in Potsdam 13 Personen. Hauptan­geklagter war der Jugendliche Karl-Heinz Stabenau, der das Todesurteil er­hielt. Er gehörte in Passow/ Angermünde zur Widerstandsgruppe "Edelweiß", die im Mai 1950 begann, mit einem Druckkasten Flugblätter herzustellen. Im Sommer erschienen Stabenau und Rudolf S. bei der KgU und stellten sich als Abgesandte der Gruppe vor. Über S. notierte man dort: "Erscheint verwend­bar, handfest und praktisch. Eigene Flugblattentwürfe, die bereits verteilt wor­den sind (ca. 300 Stück), wurden vorgelegt. Zum 20.7.1950 ist evtl. Sprengung des Denkmals in Schwedt!Oder mit vorhandener Ladung vorgesehen."76 Ausgeführt wurde der Plan nicht. Mitglieder der Gruppe versuchten, eine "Friedenseiche" zu fällen77 und bauten im August eine hölzerne Straßen­sperre, um einen Funktionär mit dem Motorrad zu Fall zu bringen.78 Kurz danach setzten sich Stabenau, S. und zwei weitere Personen nach West-Berlin ab?9 Stabenau wurde im November 1950 KgU-V-Mann "Ramdor" und führte

71 Vgl. BStU, MfS BV Erfurt AU 125/261, BI. 100. 72 Vgl. BArch, B 289 SA 38/51-31/1, Sichtmeldung, 22.2.1952. 73 BStU, AStErfurt AU 125/53, BI. 265ff. 74 Vgl. BArch, B 289 VA 63/20-7/71, KgU-Aktenvermerk, 31.10.1955. 75 Vgl. Ebd., B 289 VA 38/51-22/1, Protokoll, 27.7.1951; ebd., B 289 SA 109/18/4, BI. 4f. 76 E bd., B 289 OA 2646/1, Aktennotiz o.D. n Vgl. BStU, MfS BV Potsdam AU 746/52 Bd. 3, BI. 57, BI. 59, BI. 68. 78 Vgl. ebd., BI. 69. 79 BArch, B 289 OA 2646/1, KgU-Flüchtlingsgutachten, 17.8.1950.

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Flugblatt- und andere Aktionen in Ost-Berlin durch.80 Er, ein weiterer Jugendlicher sowie drei "Einzelgänger" der KgU erhielten Anfang November von "Seeberg" "Beobachtungsaufträge" gegen einen West-Berliner Journa­listen. Dieser gehörte dem Verein "Neutrales Deutschland" an, den die KgU als "Tarnorganisation der KPD/SED" im Verdacht hatte. Stabenau und sein Begleiter sollten "gelegentlich abends eine Hausbeobachtung durchführen" .81 Die beiden verhielten sich jedoch wenig konspirativ, sondern tauchten vor der Wohnungstür des Observierten auf, sodass dieser den Eindruck hatte, sie wollten ihn einschüchtem.82 Zwei Wochen später erfolgte die Verbindungs­aufnahme Stabenaus zu seiner alten Gruppe.83 Am 21. Dezember 1950, dem Geburtstag Stalins, beteiligte er sich an der Niederlegung von Stacheldraht­kränzen in Ost-Berlin.84 Am 3. Januar 1951 begab sich Stabenau zusammen mit einem Lockspitzel und weiteren vier Personen nach Berlin-Wllhelmsruh, um dort eine Flugblattaktion durchzuführen.85 Der später in West-Berlin zu viereinhalb Jahren Haft verurteilte Agent Provocateur hatte dafür gesorgt, dass die Gruppe bereits 50 Meter nach dem Überschreiten der Sektorengrenze erwartet wurde.86 Sie wurden augenblicklich umringt und festgenommen.87 Der Grund, ihn dorthin zu locken, bestand darin, dass der im Flüchtlingslager eingesetzte Polizei-V-Mann gemeldet hatte, dass Stabenau geprahlt hatte, zwei sowjetische Soldaten umgebracht zu haben. Bei seiner Verhaftung hatte er einen Knüppel mit eingeschnitzten Hakenkreuz und Dollarzeichen bei sich. 88 Da nichts passierte, verblieb der Rest von "Edelweiß" in Passow. Ein Mitglied wurde Ende Januar 1951 als KgU-V-Mann "Günter" registriert, erhielt aber Anweisung, keine Aktion durchzuführen.89 Nachdem er Ende Februar gemel­det hatte, dass alles ruhig geblieben sei, begann am 3. März eine Verhaftungs­welle, bei der Waffen gefunden wurden.90 Unklar ist, ob und ggf. wie die Gruppe aus Passow mit einer seit 1946 im Raum Angermünde existierenden Gruppierung "Edelweiß" zusammenhing, die einige Monate später verhaftet

80 Vgl. ebd., V-Mann-Akte. 81 Ebd., B 289 SA 62/51-18/1, Bericht, 13 .11 .1950. 82 Vgl. O.V.: "So etwas wie Feme", in Der Spiegel, 19. 1 1 . 1952, S. 12ff. 83 Vgl. BArch, B 289 OA 2646/1 , Eintrag Berichtsblatt, 24.1 1 . 1950. 84 Vgl. ebd., Eintrag, 21 . 12.1950. 85 Vgl. BStU, MfS BV Potsdam AU746/52 Bd. 3, BI. 283f. 86 Vgl. Telegraf, 25. 1 1 .1952. 87 Vgl. BArch, B 289 SA 2646/ 18/2, Schreiben eines Entlassenen an KgU, 23.5. 1954. 88 Vgl. BStU, MfS BV Potsdam AU746/52 Bd. 3, BI. 284. 89 Vgl. BArch, B 289 OA 2646/ 10, Eintrag auf V-Mann-Berichtsblatt, 3 1 .1 .195 1 . 90 Es soll nach Angaben eines Geflüchteten ein Karabiner mit ca. 1.000 Schuss Munition gefunden worden sein. Vgl. ebd., KgU-Protokoll, 12.3 .1951 ; ebd., B 289 OA 2646/ 1, KgU­Aktennotiz, 14.3.195 1 .

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wurde.91 Neben Stabenau wurden drei der in Berlin mit ihm Verhafteten sowie neun Mitglieder der Gruppe "Edelweiß" und Einwohner von Passow verurteilt. 92

Drei Tage danach verurteilte das SMT 48.240 Kurt Adam, der sich am 26. Januar 1951 als "Riebe" bei der KgU registrieren lassen hatte.93 Er sollte eine "Informationsgruppe" im Berliner Kabelwerk Oberspree aufbauen, lief aber nur einmal mit Material an, weil er im April verhaftet wurde.94 Adam, der 1933 in die NSDAP und 1940 freiwillig in die Waffen-SS eingetreten und für die dortige Polizei angenommen worden wa?5, war laut V-Mann-Akte 1944 und 1945 Befehlshaber der Ordnungspolizei für Berlin-Brandenburg.96 Er war als Angehöriger des Polizeibataillons 315 an Partisanenaktionen beteiligt97 und wurde auch wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zum Tode verurteilt. 98

Das am 1 1. September 1951 zum Tode verurteilte alte KPD-Mitglied Karl­Friedrich Schuler, der in verschiedenen Nazi-KZ gewesen war, soll nach seiner Flucht in West-Berlin Kontakte zu verschiedenen Organisationen, u. a. zur KgU aufgenommen und dort Informationen über sowjetische Truppen, Grenzkommandanturen in Mecklenburg und die WISmut geliefert haben.99 Der drei Tage später zum Tode verurteilte Jenenser Medizinstudent Wmfried Voerckel, der für einen amerikanischen Nachrichtendienst gearbeitet haben soll100, hat sich nach Angaben einer entlassenen Mitverurteilten als V-Mann der KgU ausgegeben.101 Wiederum vier Tage später wurde in Potsdam der in

91 Nach Informationen der KgU soll es im Raum Angermünde eine von ihr infiltrie�e "lose

zusammenhängende Organisation unter dem Namen ,Edelweiß'" gegeben haben, die

angeblich über "zahlreiche Waffenlager, sowie ü�er Infant�rie- und P�rab:vehrwaffer:

auch über Sprengmaterial" verfügt habe. Im Juru 195 1 soll m Angermunde "em LKW rmt

1 8 Angehörigen dieser Untergrundbewegung gestell� U?d sämtliche �nsass�n des Wag�?� verhaftet worden sein" während man zur selben Zett m Oderberg vter wettere Angehonge

festgenommen habe. BArch, B 289 VA 500/ 171/ 17, Schreiben KgU an LfV Berlin,

10. 1 1 . 1953; ebd., KgU-Aktenvermerk, 17.7.195 1 . . 92 Ebd., B 289 SA 2646/18/2, Schreiben eines Entlassenen an KgU, 23.5. 1954. In emem

abgetrennten Verfahren wurde ein "Volksdeutscher", der als sowjetischer Bürger

angesehen wurde, zu 25 Jahren Arbeitslager verurteilt. . . . 93 Ublicherweise erfolgte die Registrierung als V-Mann nach Absolvterung emer Probezeit

bei der "Anlaufstelle", sodass Adam bereits Ende 1950 KgU-Kontakt gehabt haben dürfte.

94 Vgl. BArch, B 289 OA 5 13/423, V-Mann-Akte. 95 BArch, DS (ehem BDQ F 63, Schreiben Waffen-SS-Ergänzungsamt Ergänzungsstelle

Spree an Wehrbezirkskormnando Berlin (Datum nicht lesbar, Eingangsstempel 18.5.1940) .

96 Vgl. BArch, B 289 OA 513/423, Lebenslauf o.D. 97 Vgl. BStU, MfS AS 95/55 Bd. 7, BI. 57. 98 Vgl. Erschossen in Moskau, S. 101 99 Vgl. ebd. S. 341f. 100 Vgl. BArch, B 289 SA 38/ 18/39, Schreiben KgU, 28.7.1954. 101 Vgl. ebd., B 289 OA 6/730.

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West-Berlin wohnende Pranz Maria Gries zwn Tode verurteilt. Er war 1950 Mitglied der KgU-Gruppe "Gisa" gewesen, zu der auch der wenig später hin­gerichtete Wolfgang Michel gehört hatte. 102 Gries könnte nach Unterlagen der KgU zwn Umfeld der rechtsradikalen Sozialistischen Reichspartei in West­Berlin gehört haben. 103 MfS-Verhörprotokollen zufolge soll Gries "operativ für die sog. KgU in der DDR" und einen englischen Nachrichtendienst tätig gewesen sein. 104

Welche Substanz die Vorwürfe, Mitarbeiter der KgU und des britischen Nachrichtendienstes zu sein, an den desertierten Grenzpolizisten Betthold Müller hatten, der nach einigen Monaten Aufenthalts in der Bundesrepublik in die DDR zuriickkehrte und am 27. September 1951 durch das SMT 48.240 zwn Tode verurteilt wurde, ist unklar. 105 Der drei Tage später zwn Er­schießungstod verurteilte Leipziger Karl-Heinz Döring hatte RIAS- und KgU­Kontakte.106 Die ihm in der Zentralkartei der KgU zugewiesenen Signaturen, deuten darauf hin, dass er der Gruppe "Ingo" angehört haben könnte.107 In Potsdam wurde am 10. Oktober 1951 Günter Mikat aus Potsdam zwn Tode verurteilt. Zwn Zeitpunkt der Verhaftung war sein KgU-Kontakt offenbar vorbei und er arbeitete für einen amerikanischen Nachrichtendienst und den RIAS. Er wurde nach längerer MfS-Observation beim Verlassen seines Be­triebes festgenommen, als er gerade versuchte, Konstruktionspläne heraus­zuschmuggeln. 108

Bisher nicht priifen ließ sich, ob der am 20. Oktober 1951 zum Tode ver­urteilte Lothar Pfuhl von Mai bis Juli 1951 unter dem Decknamen "Töpfer" Kontakt zur KgU hatte, Flugblätter verteilte und militärische Informationen weiterleitete. Bei seiner Verhaftung fand man vier Phosphorampullen.109 Am 31. Oktober 1951 wurden mindestens sieben Mitglieder Gruppe aus Parchim verurteilt, davon sechs zwn Tode."0 Aus KgU- Unterlagen ergibt sich, dass sie Flugblätter verteilt und Nachrichten gesammelt hatten, aber in erster Linie für den RIAS tätig waren. Der Verbindungsmann in Berlin war der Student Wemer G., der durch Glück 1949 der Verhaftungswelle wn Amo Esch ent-

102 Vgl. ebd., B 289 SA 500/ 171- 18/2. 103 Vgl. ebd. B 289 SA 504/64/ 1 . 104 BStU, MfS B V Potsdam AU 470/52, BI. 58. 105 Vgl. Erschossen in Moskau, S. 271 . 106 Das ergibt der Schriftwechsel seiner Frau mit der KgU. BArch, B 289 SA 36/ 1 8/25. 107 Vgl. ebd. die Signatur verweist auch auf die Gruppe ,Ingo'. 108 Vgl. BArch, B 289 SA 20/ 18/21, Verhaftungsmeldung, 30.6.1951; BStU, MfS BV Potsdam AOP 44/52. 109 Vgl. Erschossen in Moskau, S. 294. 110 Helmuth Mateika, Wllhelm Lutschewitz, J ohannes Neurnann, Oara Neurnann, Conrad Westphal und Heinrich Mischer.

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gangen war.11 1 Der kriegsversehrte G. war der KgU sei: Späts?�er 194: bekannt und hatte "erhebliche Mengen Propagandamatenal [ . . . ] m die Zone

gebracht. Von Berlin aus hielt er Kontakt nach Mecklenburg. Im Mai ?�er

Juni 1950 schuf die KgU eine "Anlaufstelle" für V-Leute. Dort war G. �llllge

Wochen tätig. Wegen seiner Verletzung erschien er aber für dies� Arbett un­

geeignet und die KgU trennte sich von ihm, worauf er begann, be1m RIAS zu

arbeiten.112 Offenbar bestanden bei dieser Gruppe auch Kontakte zu .

d in B .

Friedrich-Franz Wiese, der mit Esch zusammen verurteilt wor; en war. e1

einer Verhaftungswelle im Mai 1951, bei der Zahlen von bis zu 17 oder 24 hla 114 w .

Verhafteten genannt werden, wurde die Gruppe zersc gen. ar �t

Helmuth Mateika der Bahnhofsvorsteher von Parchim zwn Tode verurteilt

worden, traf es einen Tag darauf mit Georg Nagel den Stationsvorsteher �on

Arnstadt, der mit der KgU auf nicht bekannte Weise zusammenge�rbettet

haben soll.1 15 Drei Wochen später, am 17. November 1951, verurteilte das

SMT 48.240 in Halle den WiSmutmitarbeiter und vormaligen Fallschirmjäger­

Feldwebel Wemer Hildebrandt, der als "Weißer Ring" "seit längerer Zeit

Mitarbeiter der Kampfgruppe" gewesen war.116 Man hatte im Zug bei ihm

"illegale Schriften" gefunden.117 Aussagen seiner geflüchteten Ehefrau zufolge,

hatte er vermittelt über die KgU alliierte Nachrichtendienststellen aufgesucht.

Sie wusste, dass er dort beauftragt wurde, Listen anzufertigen, über deren

nhal . .

h k 1 18 I t s1e ruc ts sagen onnte. . Vier Tage später verurteilte dasselbe SMT am selben Ort :Volfgang K:e�tg

zum Tode, der als "Engert" mit der KgU zusammengearbettet hatte. Mit ihm

wurden weitere elf Personen zu Haftstrafen verurteilt, die der Gruppe

Talleyrand" angehörten, die seit August 1950 KgU-Kontakt unterhalten " 1 19 yß"

hatte. Der Gruppenleiter konnte der Verhaftung entkommen. Kre tg war

als Rechtspfleger am Amtsgericht Mittweida tätig gewesen. Die Grup�e setzte

sich nach der Aussage eines Mitverurteilten, der HJ-Führer und be1 der SS

111 G. wurde verhaftet, aber wieder entlassen. BArch, B 289 OA 893/ 1 , OA 893/2 und OA

893/3, Bericht o.D. 112 BArch B 289 OA 461/ 1 1 Aktenvermerk 1 1 .??.1951 . 113 Beispi�lsweise gab der im Frühjahr 1950 geflüchtete Sohn des später hingerichteten

Wllhelm Lutschewitz an, zur " Widerstandsgruppe Wiese" gehört zu haben. Vgl. BArch, B

289 893/19, KgU-Laufzeuel o.D. und Flüchtlingsgutachten, 27.3.1950. .. . 114 Lutschewitz war zwölf Jahre Berufssoldat gewesen. Johannes Neumann gehorte bereits

seit August 1932 der NSDAP an. (Vgl. Erschossen in Moskau, S. 254f. und 282f.) 115 Vgl. ebd., S. 278. . 116 BArch, B 289 OA 36/730, KgU-Fiüchtlingsgutachten für seme E hefrau, 12. 1 1 . 1951;

ebd., B 289 SA 1579/ 18/1, KgU-Vermerk, 18 .10.1951 . 117 Vgl. Erschossen in Moskau, S. 197. 118 Vgl. BArch, B 289 SA 1579/ 18/1, Verhaftungsmeldung 4.1 .1952. .. 119 Vgl. ebd., B 289 OA 3/142, KgU-Flüchtlingsgutachten für gef!üchteten Gruppenführer,

26.7.1951.

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Page 12: SMT-Verfahren im Zusammenhang mit der Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit (KgU)

gewesen war, "fast ausschließlich aus zuverlässigen alten Kameraden der HJ und SS" zusammen. Darunter befanden sich zwei Justizangestellte des Amts­gerichtes Chernnitz. Sie verteilten zeitweilig Propagandamaterial der KgU, besaßen Stinkbomben, lieferten jedoch in erster Linie Informationen, "auch militärische Meldungen" .120 Nach KgU- Unterlagen war die Gruppe auch "auf rein militärischem Gebiet [ . . . ] für einen amerikanischen Dienst" tätig.121

Zwei Tage danach wurden 17 Mitglieder die Widerstandsgruppe "Akti­visten der Freiheit" aus dem Kreis Zwickau abgeurteilt. Das SMT 48.240 verhängte in Chernnitz die Todesstrafe gegen Walter Reinhold, Heinz Her­mann, Alfred Pansa, Ernst Sehreiter und J ohannes Vitzthum. Die Gruppe, bei der eine Pistole gefunden wurde, hatte v. a. Kontakt zum FDP-Ostbüro, dem sie auch Informationen lieferte. Einem geflüchteten Mitglied zufolge soll sie 40 bis 50 Mitglieder stark gewesen sein und das Wrrkungsgebiet sich bis nach Aue hingezogen haben.122 Die Mitglieder, die zu einem großen Teil der LDPD angehörten, warfen am 7. Mai 1951 Stinkbomben in eine Veranstaltung, auf der Otto Buchwitz sprach, und feuerten zu Pfingsten in Zwickau zwei Flug­blattraketen ab.123• Die KgU stellte die Raketen, Stinkbomben und 500 "Ta­ranteln" zur Verfügung.124 Über den unter dem Verdacht, Mitarbeiter der KgU sowie eines amerikanischen Nachrichtendienstes zu sein, verhafteten Otto Horstmann lässt sich nichts Näheres sagen. Horstmann, der in West­Berlin wohnte und im Krieg zur Geheimen Feldpolizei und einige Monate als Sachbearbeiter zur Gestapo gehört hatte, wurde am 29. November 1951 in Berlin-Lichtenberg zum Tode verurteilt. 125

Wenige Tage vor Ende des Jahres 195 1 begann eine etwa 150 Tage dauern­de exzessive SMT-Verurteilungswelle gegen angebliche und tatsächliche KgU­Mitarbeiter, in deren Verlauf etwa 250 Personen126 vor SMT gestanden haben dürften und etwa 68 Todesurteile ausgesprochen wurden. Bemerkenswert scheint, dass offenbar eine zeitliche Lücke von einem Monat gelassen wurde, um dem Obersten Gericht der DDR am 23. und 24. Mai 1952 die Möglichkeit zu geben, in einem Schauprozess publikumswirksam das Todesurteil gegen J ohann Burianek zu inszenieren.127 Warum man nicht auch dem nur fünf Tage vor ihm heimlich vom SMT 48.240 zum Tode verurteilten Alfred Weigel, der

120 Ebd., B 289 VA 194/220- 171/1, KgU-Protokoll, 1 1.3.1954. 121 Ebd., Entwurf Schreiben an Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen o.D. 122 Schreiben eines geflüchteten Gruppenmitgliedes 30.08.1951; BArch, B 289 OA 192/13 123 Ebd. 124 Ebd., KgU-Vermerk, 1 1.6.1951, Schreiben KgU, 16.6. 1951, Schreiben eines gef!üchteten Gruppenmitgliedes 30.8.1951. 125 Vgl. Erschossen in Moskau, S. 205. 126 Nach Zählung des Verfassers derzeit 247 Personen. 127 Vgl. O.V.: Das Volk hielt Gericht über seine Feinde, in: Tägliche Rundschau, 25.5.1952.

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im Besitz eines Sprengsatzes der KgU gewesen war, öffentlich den Prozess machte, ist unklar.

Den Auftakt dieser Kernzeit der Verurteilungen von SMT im Zusammen-hang mit der KgU bildete am 20. Dezember 1951 das �odes�eil �egen den West-Berliner Buchhändler Wolfgang Amold. Er war un Kneg be1 der Ab­wehr in Griechenland gewesen. Ob er KgU-Kontakte gehabt hat, �t nicht letztgültig zu entscheiden, aber wahrscheinlich: Zum einen glaubte sem Va�er zu wissen dass dieser Kontakt bestanden habe128, zum anderen wurde seme Familie v�n der KgU betreut, ein Verfahren, dass so üblicherweise nur bei V­Leuten in Anwendung kam.129 Einen Tag später folgte die erste Gruppenver­urteilung, die wegen der "Affäre Walter" vorgenommen wurde. "Walter" war der Sachgebietsleiter der KgU-Widerstandsabteilung für Sachsen gewesen �d Ende Juni 1951 aus der Organisation ausgeschieden. Er hatte �en vo

_n ihm

betreuten V-Mann-Apparat "mitgenommen" und versuchte, emen etgene? Nachrichtenhandel ZU etablieren, dessen Material an MID, ac und den bn­tischen Secret Service verkauft wurde.130 "Walter" ließ er seine V-Leute im Glauben, für die KgU tätig zu sein. Aus diesem Grund sollen die 38 bis 42 in dieser Sache ergangenen Todesurteile auch mitgerechnet werden. "Walter" wurde am 8 . September 1951 in Ost-Berlin vermutlich von MGB-Angehö­rigen verhaftet. Ob er sich leichtsinnig dorthin begeben �at oder übergelaufen ist, muss offen bleiben. Wenige Stunden später begann eme Verhaftungswelle, in deren Verlauf mindestens 180 Personen festgenommen wurden. Mehr als 30 Gruppen und mehrere "Einzelgänger" fielen der Verhaftung_ anheim. Neben zahlreichen flugblattverteilenden Gruppen - das Spektrum retchte von den Lehrer-Widerstandsgruppen "Trianon" (Chernnitz) und "Juno" (Döbeln), den ebenfalls propagandistisch tätigen Gruppen "Jürgen" (Dre�den)_ und "Lamprecht" (Leipzig) - existierten Gruppen wie "Anna", der für ihre info:­matorische Arbeit "erhebliche Geldbeträge" zustanden131 und Gruppen Wle "Jacob" (Weißwasser) , "Jahn" (Leipzig), "Frohberg" (Heidenau), "Ilse" (Ka­menz) oder "Berg" (Belzig), in denen nationalsozialistisch belastete Personen mitarbeiteten. 132 Bei zwei Gruppen wurden Waffen festgestellt.133

128 Vgl. BArch, B 289 SA 171/18/5, Vorgang Amold. 129 Vgl. ebd. B 289 SA 508/18/6, entsprechender Vorgang. !lo Vgl. ebd.: B 289 SA 482/220-171-18/1, KgU-Dossier, 29.6.1956, ergänzt 10.7.1957. 131 Vgl. ebd., B 289 OA 557/28, KgU-Aktenvermerk, 1 1.9.1951.

m V-Mann Anton" war 1936 bis 1939 in der SS. (ebd., B 289 OA 181/9,

Flüchtlings;tachten, 1.10.1951), Eduard Grutzeck, Gruppe "Berg", bis 1943 NSD�­

Ortsgruppenleiter. (ebd., B 289 OA 175( 4 1, B�. 92). Auch de� zur Gruppe "Frohb�rg

zählende Martin S., seit 1932 HJ-Führer m Hetdenau, hatte sett 1939 der SS angehort.

(ebd., RS (ehern. BDQ, F 459) Der Kopf der Gruppe "Ilse", der en�ommen konnte, war

seit Mai 1932 Mitglied der NSDAP (ebd., PK (ehe� �DQ, L 429); em ebenfalls . entkommenes Mitglied von "Jahn" seit 1.7.1931 Mitglied der NSDAP, von 15.12.1931 bts

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Page 13: SMT-Verfahren im Zusammenhang mit der Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit (KgU)

Zwischen den einzelnen "Walter"-Verfahren, auf die aus Platzgründen nicht eingegangen werden kann, fiel eine Reihe weiterer Urteile. Am Heiligabend 1951 wurde der West-Berliner Student Fritz Flatow ("Reimann") in Dresden zum Tode verurteilt. Er hatte seit September 1950 Kontakt zur KgU und erbot sich, Verbindung zu einem MGB-Dohnetscher in Karlshorst aufzu­bauen, was nicht klappte.134 Interessant ist in dem Fall, dass Flatows Vater Jude russischer Herkunft war und er selbst 1943 aufgrund der Rassegesetze von der Schule verwiesen wurde.135 Der Kontakt zu Flatow wurde durch die Geheimdienstabteilung der KgU beendet, lief aber über Rainer Hildebrandt weiter.136 Flatow war nach KgUErkenntnissen für einen alliierten Nachrich­tendienst tätig und wurde in Dresden verhaftet, weil er versucht haben soll, "einen Mitreisenden für seine Tätigkeit zu werben" .137

Am 7. Januar 1952 fand - wahrscheinlich in Schwerin - ein Verfahren gegen sieben Personen der Neustrelitzer Gruppe "Harder" statt. Es fiel kein Todesurteil, obwohl bei einer Haussuchung Geheimtinte gefunden wurde.138 Am 8., 1 1. und 15. Januar, im Februar, März und Mai 1952 wurden mindes­tens 26 Personen verurteilt, die im Zusammenhang mit der Verhaftungswelle in Werder/Havel festgenommen worden waren.139 Es fielen neun Todesur­teile, von denen acht vollstreckt wurden.140 Die Gruppe hatte gesteuert durch

28.2.1932 der SA und seit 1.3.1932 der SS. (ebd., BDC RS (ehem BDQ, G 5539). Auch mindestens zwei Mitglieder der Gruppe "Jacob" hatten bereits vor 1933 NS-Gliederungen angehört. (ebd., OPG (ehem BDQ; H 66) . m Die Gruppe "Ariadne" hatte ein Gewehr und eine Pistole. (BArch, OA 1059/105, Aktenvermerk, 6.6.1958) Bei einem Mitglied von "Henry Nord" wurden laut Aussagen dessen geflohenen Braut bei Haussuchung "Flugblaetter, Waffen und Sprengstoff gefunden". Ebd., B 289 SA 21/ 18/1 , Verhaftungsmeldung, 12.9.1951 ; vgl. auch ebd., B 289/10, BI. 320. m Vgl. ebd., B 289 VA 504/20-7-01/ 1, Aktenvermerk, 19.10.1950; ebd, B 289 OA 0574/61 , Aktenvermerk, 15.4.1951. 135 Vgl. Ebd., B 289 OA 1084/5, V-Mann-Akte. 136 Vgl. ebd. BI. 13. Bemerkenswerterweise traute KgUNachrichtendienstleiter ,,l.eeder" Flatow nicht und betont in einer Aktennotiz ausdrücklich dessen jüdische Herkunft und erwähnt mehrfach seine "Schwarzmarktgeschäfte". Diagonal über das Deckblatt der V­Mann-Akte hat "Leeder" groß geschrieben: "Abschalten!". Ebd., BI. 4. 137 Ebd. BI. 13. 138 Die Gruppe hatte Flugblätter verteilt und war, jedoch ohne konkrete Ergebnisse, informatorisch tätig. Vgl. ebd., B 289 OA 642/68 und OA 642/248, KgUAktennotizen, ??.10. 1951 und 3.3.1954; 139 Vgl. Anja Spiegel: Die Stasi kam im Morgengrauen. Jugendlicher Widerstand in Werder (Havel) 1950 bis 1953, Werder 2002, S. 81ff. Unterlagen der KgU weisen noch mehr als ein Dutzend weitere Personen aus, die verhaftet wurden oder verhaftet worden sein sollen, ohne, dass hierzu näheres bekannt ist. 140 Heinz Unger, Ingeborg Wolff, Karl-Heinz und Johanna Kuhfuß, Joachim Trübe, Wllhelm Schwarz, Günther Nawrocki, Siegfried Vierkant (begnadigt) und Günter Beggerow, der auch zum Umfeld der Gruppe gezählt werden kann. Vgl. Benno Kroll:

68

zwei geflüchtete Jugendliche Flugblätter verteilt, aber auch Nachrichten für die KgU sowie den OC gesammelt. Außerdem wurden einige Mitglieder der Fruppe "Theodor" aus Dessau abgeurteilt.141 Sie hatten laut KgU "informa­torisch, propagandistisch und ermittlungsmässig in positivem Sinne für unsere Organisation [gearbeitet]. Die Gruppe hat sich durch laufende Raketenein­sätze im Raum Dessau ganz besonders hervorgetan." 142 Am 2. Februar 1952 wurden Ludwig Huf und Friedrich Steil zum Tode verurteilt. Huf hatte vom Herbst 1949 bis Ende Februar 1951 hauptamtlich bei der KgU als Sachbe­arbeiter für militärische Informationen gearbeitet und war dann zum MID gewechselt.143

Fünf Tage später wurden 15 Personen der Gruppe "Pauline" aus Calbe/ Saale in Halle abgeurteilt. Gruppenkopf Erich Berger, seit 1932 in NSDAP und SA, erhielt das Todesurteil. Die Gruppe hatte Flugblätter verteilt und In­formationen gesammelt. Berger hatte einige Tage vor seiner Festnahme, die einer Denunziation wegen erfolgte, bei einer Geburtstagsfeier zwei Gruppen­mitglieder beiseite genommen: Ein Haftendasseuer sagte: Berger "unterrich­tete uns von einem Besuch bei der KgU. Er habe dort mit Herrn RUX ver­handelt. Er habe von R einen Vervielfältigungsapparat und Klebezettel be­kommen. Er erzählte uns ferner, daß er von der KgU die Genehmigung bekommen hätte, den Kreissekretär der SED Rudolf Dolzius [ . . . ] zu ver­giften. Zu diesem Zweck sollte eine westdeutsche Deckadresse genommen

if Pralin hi kt d ll u l44 werden, unter der dem D. verg tete en zugesc c we1:1 en so ten.

Am 27 . Februar erhielten vier Personen von der ehemaligen KgUGruppe

Geist" aus Bitterfeld Wolfen und Dessau das Todesurteil und drei wurden

�u Haftstrafen verurt�ilt. Die Gruppe um Horst Benecke und Diplominge­

nieur Hehnut Wachs, die im E-Werk der Filmfabrik Wolfen arbeiteten, hatte

seit Herbst 1949 Verbindung zur KgU gehabt. Der KgUSachbearbeiter

"Tietze"/"Seeberg", der im Herbst 195 1 zu einem amerikanischen Geheim­

dienst wechselte aber bereits vorher Kontakte zu anderen Nachrichtendien-' . sten hielt, nahm "Geist" mit. Gruppenmitglieder fotografierten Flugplätze und sammelten offenbar hauptsächlich Informationen über das Elektro-

Benutzt, Verleugnet, Verdrängt, in: Der Stern, H 1 1/1997, S. 64-70; Gerd Utech: Prägende Jahre in Potsdam und Sibirien 1945 - 1955: ein Zeitzeugenbericht, Berlin 2003. 141 Ein Angehöriger der Gruppe war seit dem 1 .12.193 1 NSDAP-Mitglied. BArch, PK (ehem BDQ, C 257. 142 Ebd., B 289 OA 675/137, Aktenvermerk, 12 .11.1951. 143 Ebd., B 289 SA 504/18/43, KgUVermerk, 7.8.1952. 144 Ebd., B 289 OA 790/99, KgUProtokoll, 2.10.1956. Diese Aussagen decken sich mit denen, die Berger in MfS-Verhören machte. Vgl. BStU, MfS BV Magdeburg AU 377/5 1, Bd. 1, BI. 134.

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Page 14: SMT-Verfahren im Zusammenhang mit der Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit (KgU)

Chemische Kombinat in Bitterleld.14s Das MfS bearbeitete Wachs vor seiner Festnahme fast ein Jahr operativ.146

Am 1. April 1952 wurden in Weimar Gerhard Beer ("Schumacher") und Ammon B. ("Duwe") aus Altenburg verurteilt. Beer, der vom März 1932 bis April 1933 der NSDAP angehörte, bekam die Todesstrafe und der beinampu­tierte B., der sich 1942 freiwillig zum Regiment "Groß-Deutschland" gemel­det hatte, aber Anfang 1943 als LKW-Fahrer zur Waffen-55-Division "Ho­henstaufen" kam, erhielt 25 Jahre 11L. Die Gruppe, von der mutmaßliche weitere Mitglieder von DDR-Gerichten verlolgt wurden, hatte zum Teil seit 1948 Flugblätter verteilt, Parolen an Wände gemalt und Schaukästen be­schädigt. Außerdem wurden Nummern sowjetischer Militärfahrzeuge gesam­melt. Nach der Verhaftung wurden Stinkbomben gefunden. Beer hatte nach seinen Verhöraussagen Ende 1947 einmalig Kontakt zum OC, 1948/49 zum SPD-Ostbüro und seit dem Frühjahr 1950 zur KgU. Er sagte aus, dass er vor seiner Verhaftung im August 1951, den Auftrag erhalten habe, Schwerpunkt­betriebe des Kreises zu erkunden und wenn möglich, darin "Sabotagetrupps" zu organisieren.147

Am 9. Mai 1952 verurteilte das SMT 48.240 in Potsdam den Jugendlichen Wolfgang Michel zum Tode und eine Frau zu einer Haftstrafe. Wahrend über sie keine Informationen vorliegen, ist bei Michel die Länge seiner U-Haft bemerkenswert. 148 Er war Kreisjugendreferent der NDPD in Dresden gewe­sen und im August 1949 nach West-Berlin geflüchtet. In der Folge arbeitete er beim RIAS, der KgU ("Gisa") und für den OC149 Er stellte sich am 21. April 1951 der Volkspolizei in Potsdam und bezichtigte sich selbst der Mitarbeit bei KgU und RIAS. Nachdem er eine Vielzahl von Informationen preisgegeben hatte, gestand er im Verlauf der Vernehmungen, von der KgU geschickt wor­den zu sein, um in die neue Haftanstalt des MfS zu kommen, dort Informa­tionen über die Verhörmethoden, Bewachung usw. zu sammeln, sich als In­formant anwerben zu lassen und zurückzukehren.1so

14s Vgl. BArch, B 289 SA 253/171- 18/1, KgU-Vorgang. 146 Vgl. BStU, MfS BV Halle AU 86/50, BI. 2. 147 Vgl. BStU, MfS BV Leipzig AU 1 1/56, Bd. 2, BI. 30-60. Zur Bildung von Sabotagetrupps vgl. auch den Bericht eines Mitglieds der Zwickauer Gruppe "Lerche": BArch, B 289 VA 504/220- 171161, KgU-Aktennotiz 30.1 .1952. 148 Er wurde am 30. Mai 1951 an das MGB übergeben. 149 Ein festgenommener Bekannter sagte bereits einige Monate vor dessen Festnahme beim MfS über Michel aus: "Mir ist bekannt, dass er wiederholt als Polizeioffizier gekleidet nach Magdeburg fährt, um dort Aufträge auszuführen. Diese Aufträge hat er aber nicht von der Kampfgruppe, sondern von der amerikanischen QC erhalten." (BStU, MfS P 12261/63, BI. 34) In seinen eigenen Vernehmungen gestand er, militärische Aufklärungsaufträge für einen amerikanischen Offizier in }üterbog durchgeführt zu haben. BStU, MfS BV Potsdam AU 470/52, BI. 74f. 150 Vgl. ebd.

70

l

Abgeschlossen wurde die Verurteilungswelle durch die Veru:teilung v�n dre� Mitgliedern von "Holten" aus der Gegend von Güstrow � Sch':e�. Be1

Holten" handelte es sich aus Sicht der KgU um "alte Mitarbeiter . "Es

�de stets sehr gutes Material überbracht" .1s1 Schon im September 1951

hatte der ehemalige Fallschirmjägerunteroffizier Alfred Weigel Phosphoram­

pullen der KgU erhalten, um damit "Stro�ete.n und �uschober" anzu­

zünden.152 Den Einsatz der Brandsätze bestntt er rm Verhor. Am 28. Dezem­

ber 1951 erhielt er einen Sprengsatz, mit dem er einen Hoc�pannung�mast

zerstören sollte. KgU-Unterlagen enthalten die Aussage, dass m der Neup�rs­

nacht "Gruppenführer" Weigel "in Bützow eine S-Aktion" (Sabotageaktion)

geplant habe.153 Er führte die Tat nicht aus, wurde am 18. Januar 1952 auf

Grund einer Denunziation verhaftet, die Sprengmittel beschlagnahmt.1s4 Er

wurde zum Tode verurteilt und hingerichtet.

Nach dem Schauprozess vor dem Obersten Geri�ht der DJ?R gegen Johann

Burianek wurden weitere acht SMT-Verlahren mtt KgU-Hintergrund durch­

geführt. In allen fielen Todesurteile. � 16)� 1952.

wur�e der Arzt

Gerhard Leschnitzek zum Tode verurteilt, wobe1 Emzelhe1ten rucht bekannt

· d Am 5 Juli verurteilte das SMT 48.240 in Halle Hanns Weltzel zum Tod, Sill • · ISS • •

von dessen Gruppe eine Frau Kontakt zur KgU unte�halten hatt�: .�llllge

Tage später, am 12. Juli traf es die Lehrer Karl Fab1g ("La�utte ) und

Wolfgang Thomas aus Wittenberg, die a:Ugrund. einer Denunz1anon verhaft�

worden waren. Fabig hatte von Januar blS zu semer '! erh:J�g Anfang .Ap

1952 Kontakt zur KgU, für die er mit Thomas Hilfe ellllge Informauonen

sammelte. Thomas hatte in seinem Auftrag versucht, Fotos von der Elb­

brücke in Wirtenberg anzufertigen, was misslang.1s6 Am 24. Septe�ber :rorde

Heinz Schulz als angeblicher KgU-Mitarbeiter zum Tode verurteil�. Be1 �em

ehemaligen Heizer einer sowjetischen Kaserne, der nach West-Berlin gefluch­

tet war handelte es sich offenbar um einen harmlosen Hochstapler, der von

der KgU in West-Berlin verlolgt wurde, weil er si�h als �ta�beiter ausgab.1s7

Am 15. Oktober 1952 verurteilte das SMT 48.240 m Berlin-L1chtenbe.rg sechs

Personen einer KgU-Gruppe aus Halle und Bitterleld, davon v1er zum

tst BArch, B 289 OA 642/98, KgU-Aktenvermerk 22.1.1952. tsz BStU, MfS BV Schwerin AU 137/52 Bd. 3, BI. 50. tsJ BArch, B 289 OA 642/98, KgU-Aktenvermerk 22.1 .1952.

154 Vgl. BStU, MfS AS 556/57, BI. 60f. tss Vgl. BArch, B 289 OA 675/190. ts6 Vgl. BStU, MfS BV Halle AU 77/52 Bd. 1, BI. 17. 1s7 BArch, B 289 OA 78/288.

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Page 15: SMT-Verfahren im Zusammenhang mit der Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit (KgU)

Tode.158 Am 4. Dezember 1952 verurteilte dasselbe SMT am selben Ort Josef Münster zum Tode, den Vater eines der begnadigten Oberschüler aus Jena, deren Fall bereits beschrieben wurde.159 Am 25. Dezember traf dasselbe Schicksal Johannes Leifeld, einem ehemaligen Fallschirmjäger, der Kontakt zum Verbindungsmann des QC mit der KgU gehabt haben soll und auch GM des MfS in Westdeutschland war. 160

Die letzte bekannte Verurteilung am 26. Januar 1953 galt ca. fünf Personen der Gruppe "Dussel" aus Bürgel bei Saalfeld. Sie hatten seit 1949 KgU­Kontakt, waren propagandistisch und informatorisch tätig und berichteten über Zeiss in Jena, Massenorganisationen, "Spitzel'' , Volkspolizei und Mili­tär.161 Der Gruppenführer Emil R wurde zum Tode verurteilt, das Urteil jedoch später in eine Haftstrafe umgewandelt.

Auffällig ist, dass beinahe alle Fälle, in denen tatsächlich militantere Aktionsformen angewandt worden waren, von DDR-Gerichten abgeurteilt wurden. Sie boten augenscheinlich hervorragende Möglichkeiten, Schaupro­zesse zu inszenieren, in denen die KgU als reine Terrororganisation diffamiert werden konnte. Auch wenn das bisher zusammengetragene Zahlenmaterial nicht als vollständig zu betrachten ist, bildet es einen Prozess der Verschär­fung von SMT-Urteilen gegen vermeintliche und tatsächliche KgU-Angehöri­ge ab, der etwa im Mai/Juni 1951 langsam einsetzte, allmählich Fahrt gewann

und ab dem Jahreswechsel 1951/52 seinen exzessiven Höhepunkt erreichte. Beispielsweise wurden in der Anfangsphase der KgU-Verfahren Todesurteile meist dann ausgesprochen, wenn entweder dezidiert Spionagehandlungen feststellbar waren und neben dem KgU-Kontakt auch Verbindungen zu anderen Nachrichtendiensten bestanden ("Grunewald", Altenburger Gruppe) oder Waffen gefunden wurden (Wesche). Gruppen oder V-Leute, die aus­schließlich für die KgU tätig waren oder nur mit Flugblättern arbeiteten, wur­den in dieser Phase durchweg zu Haftstrafen verurteilt ("A I", "Degenhardt", "Benz" , "Aktion der Oberschüler" , "Dassel") . Ob das in der Kernzeit der SMT-Verurteilungen so blieb, ist nicht sicher. Es fällt aber auf, dass sich seit dem Herbst 1951 KgU-Verfahren häuften, in denen alle, fast alle oder ein sehr großer Teil der vor dem SMT stehenden Gruppenmitglieder die Todesstrafe erhielten ("Globus" [2 Todesurteile/2 Angeklagte] , "Jacob" [4/4], "Anna" [4/5], "Patrick" [4/6], "Tertia" [6/8] "Mateika-Gruppe" [6/ca. 7] . Vor

158 Die Sachbearbeiterin der IHK Halle Eleonore Hintz, den ehemaligen Stabshauptmann Günter Schreiber und das "Mitarbeiterehepaar" Elfriede und Erhard Liebscher. Vgl. ebd., SA 63/18/271. 159 Vgl. Erschossen in Moskau, S. 276f. 160 Vgl. ebd. S. 24Sf. 161 Vgl. BArch, B 289 OA 1019/8, KgU-Flüchtlingsgutachten 26.9.1952.

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diesem Zeitpunkt ist diese Praxis nur bei der KgU-Gruppe "Keller" zu finden gewesen, wo zwei von wahrscheinlich drei Angeklagten hingerichtet wurden. Andererseits ist es schwierig, nach logischen Mustern zu suchen. Sieht man

beispielsweise die innerhalb von wenigen Tagen abgeurteilten sächsischen Gruppen "Talleyrand" und "Aktivisten der Freiheit" an, stellt sich die Frage, wieso bei der einen Gruppe, die aus alten HJ- und SS-"Kameraden" bestand und vorwiegend Militärspionage trieb ein Todesurteil fieL bei der anderen, die Flugblätter verteilte und Stinkbomben warf, aber fünf. Außerdem erschweren die beiden Großverhaftungsaktionen "Werder" und "Walter", aus denen allein etwa 200 Verurteilte stammen, Aussagen über einen allgemeinen Trend. Die Verurteilungszahlen 1952 fallen wahrscheinlich auch deshalb so hoch aus, während der Höhepunkt des SMT-Terrors - gemessen an den verhängten Todesurteilen - 1951 stattgefunden hatte. So ist letztlich die Frage, ob die teilweise Radikalisierung der KgU-Widerstandsmethoden seit dem Frühjahr 1951 Einfluss auf die SMT-Urteilspraxis hatte, wegen des Fehleus geeigneter Quellen derzeit nicht beantwortbar.

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