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Seminararbeit Finanz- und Versicherungsmathematik Berechnung der Mindestkapitalanforderungen unter Solvency II Die Wahl des richtigen Risikomaßes Sina Wiesinger betreut von Associate Prof. Dipl.-Ing. Dr.techn. Stefan Gerhold 31. M¨ arz 2018
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Feb 07, 2021

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  • Seminararbeit Finanz- und Versicherungsmathematik

    Berechnung der Mindestkapitalanforderungen unter Solvency IIDie Wahl des richtigen Risikomaßes

    Sina Wiesinger

    betreut vonAssociate Prof. Dipl.-Ing. Dr.techn. Stefan Gerhold

    31. März 2018

  • Inhaltsverzeichnis

    1 Einleitung 2

    2 Grundlagen 2

    2.1 Risiko als Zufallsvariable . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2

    2.2 Risikokapital . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3

    3 Eigenschaften von Risikomaßen 4

    3.1 Anforderung an Risikomaße aus praktischer Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . 4

    3.2 Kohärenz und Konvexität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4

    3.3 Charaktisierung von Risikomaßen durch ihre Akzeptanzmengen . . . . . . . . . 7

    3.4 Robuste Darstellung kohärenter Risikomaße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8

    3.5 Verteilungsinvarianz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10

    4 Risikomaße 10

    4.1 Value-at-Risk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

    4.1.1 Definition und Eigenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

    4.1.2 Der Value-at-Risk und die Subadditivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13

    4.1.3 Kritik am Value-at-Risk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13

    4.2 Expected Exceeded Measures . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15

    4.2.1 Definition und Eigenschaften von AVaR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16

    4.2.2 Kritik am Average Value-at-Risk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17

    5 Praxis 18

    5.1 Mindestkapitalanforderungen in Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19

    6 Schlussbemerkung 20

    7 Anhang 21

    1

  • 1 Einleitung

    Die Europäische Komission erarbeitete seit 1999 das Projekt Solvency II, einem neuen Auf-sichtsgestz für Versicherungsunternemen, das dann schlussendlich im Jänner 2016 in Kraft trat.Solvency II ist in Drei-Säulen gegliedert, nämlich:

    • Säule 1: Eigenmittelanforderungen

    • Säule 2: Aufsichtsrechliches Prüfungsverfahren

    • Säule 3: Marktdisziplin

    Diese Arbeit beschäftgt sich mit einem Teilbereich der Säule 1, dem Mindestkapitalerforderniseiner Versicherung und ist vorallem auf das Buch ”Berechung der Mindestkapitalanforderungenunter Solvency II - Die Wahl des richtigen Risikomaßes”von Verena Nallin, erschienen 2008 beimDiplomica Verlag, gestützt. Die Kapitalanforderungen unter Säule I, zu denen das Mindestka-pitalerfodernis (MCR) und das Solvenzkapitalerfordernis (SCR) gehören, sollen mithilfe vonRisikomaßen berechnet werden. Dabei waren bei der Erstellung der Reformierung einige Maßeim Gespräch und es wurde diskutiert, welches am geeignetesten dafür ist. Im folgenden werdendie beiden, die am besten den Anforderungen entsprechen - der Value-at-Risk und ExpectedExceedence Measures - gegenübergestellt und deren Vor- und Nachteile diskutiert. Dabei wirdbesonders das Ziel verfolgt, um die Versicherungsnehmer vor einem Konkurs einer Versicherungzu schützen. Der zweite Teil dieser Arbeit beschäftigt sich damit, wie die Gesetzgebung mitHilfe des VAG 2016 den Einsatz von Risikomaßen geregelt hat und zu guter Letzt wird dieaktuelle Situation der Österreichischen Versicherungen bezüglich des Mindestkapitalerfordernisdiskutiert.

    2 Grundlagen

    In diesem Kapitel werden die Grundbegriffe der Arbeit definiert. Besonders Wert wird dabeiauf die geeignete Definition von Begriffen für die Versicherungsbranche gelegt.

    2.1 Risiko als Zufallsvariable

    Damit man Risiko im mathematischen sinvoll definieren kann, muss man sich überlegen, wasRisiko genau bedeudet. Dabei beschreibt folgende Definition das Risiko sehr passend:

    ”Risiko ist die Gefahr der Abweichung von Vermögenswerten und Schäden von denErwartungen.”

    2

  • Eine Versicherung bildet also aus den eingenommenen Prämien Rückstellungen und Reservenund hat das Risiko, dass diese für die in Zukunft eintreten Versicherungsfälle nicht ausreichendsind um die Leistung gegenüber dem Versicherungsnehmer zu erfüllen. Besonders erwähnt wer-den muss, dass Risiko auch eine positive Abweichung vom Erwartungswert sein kann. Im Rah-men von Solvency II wird allerdings immer nur das Downside Risk angesehen, also wenn dertatsächliche Wert größer als der Planwert ist. Denn nur dann besteht ein Schaden für die All-gemeinheit, da die große Intention der neuen Gesetzgebung ist, dass Versicherungsnehmer voreiner Insolvenz einer Versicherung geschützt werden. Wenn der tatsächliche Wert größer als dieErwartung ist, wird das Gesamtrisiko gemindert. Zuerst eine formelle Definition von Risiko.

    Definition 2.1 (Risiko).(Ω, σ) ist ein Messraum. Eine reelwertige Zuvallsvariable X auf (Ω, σ) heißt Risiko, wenn X denzukünftigen Wert einer finanziellen Position am Ende einer Betrachungsperiode (0,T) darstellt.Der Raum aller interessierenden Risiken wird mit X bezeichnet. X sei ein Vektorraum, der diekonstanten Funktionen erhält. Alle X ∈ X seien reelwertig und beschränkt.

    Die betrachtete Periode ist in unserem Fall ein Jahr. Damit wir das Risiko auch wirklich be-rechnung können, benötigen wir noch den Begriff des Risikomaßes:

    Definition 2.2 (Risikomaß).Eine Abbildung ρ : X→ R heißt Risikomaß.

    Aufgrund der Messung eines Risikos in reele Zahlen kann man verschiedene Finanzpositionenmiteinander vergleichen. Bei der Abbildung in den reelen Zahlen gehen leider oft viele Infor-mationen verloren, was zur Folge hat, dass verschiedene Risiken den gleichen Wert bekommen.Weshalb wir mehr Eigenschaften für die Risikomaße definieren müssen. Der Einfachheit halberwird angenommen, dass alle Beiträge bereits diskontiert sind.

    2.2 Risikokapital

    Bei Solvency II wird die Berechnung von den Mindestkapitalanforderungen mit einem so ge-nannten Risk-Based-Capital-Modell vorgenommen. Wichtig ist, dass Risikokapital und Eigen-kapital nicht das gleiche sind. Die Hauptaufgabe von der Berechnung von Risikokapital istdie Sicherstellung der Unternehmensfortführung mit dem vorhandenen Eigenkapital. Denn eineInsolvenz eines Versicherungsunternehmens könnte die Stabilität des gesamten Finanzmark-tes gefährden. Bei Solvency II werden dabei zwei Begriffe geprägt: das Mindeskapital und dasökonomische Kapital (Solvenzkapital). Ersteres ist das Kapital, das von Nöten ist, um denGeschäftsbetrieb fortführen zu können. Das Solvenzkapital ist sozusagen ein Zielkapital. Dieseszu erreichen ist ökonomisch wünschenswert. Ist das Mindeskapital unterschritten, kann die Auf-sichtsbehörde die Unternehmenzulassung streichen und bei Unterschreitung des Solvenzkapitalsschreitet die Aufsichtsbehörde in den Geschäftsbetrieb ein.

    3

  • 3 Eigenschaften von Risikomaßen

    Nun stellt sich die schon zuvor erwähnte Frage, welche Eigenschaften die Risikomaße habenmüssen, um in der Praxis bestehen zu können. Im Folgenden ist (Ω, σ) ein beliebiger Mess-raum bzw. (Ω, σ,P) ein beliebiger Wahrscheinlichkeitsraum. X ist der Raum der interssierendeZufallsvariablen.

    3.1 Anforderung an Risikomaße aus praktischer Sicht

    Damit man Risikomaße geeignet mathematisch definieren kann, muss man sich im Klaren sein,welche Eigenschaften diese in der Praxis haben sollen. Es kristalisieren sich diese 5 Punkteheraus:

    • Die Erfassung der Risikopositionen muss vollständig sein.

    • Das Risiko muss in Geldeinheiten gemessen werden.

    • Die Interpretation soll ökonomisch leicht verständlich sein.

    • Das Verfahren sollte leicht zu ermitteln sein. Besonders soll es keine speziellen Anforde-rungen oder spezielle Verteilungsfunktionen benötigen.

    • Es soll objektiv bestimmbar sein um einen Vergleich zu ermöglichen.

    Wie bereits zuvor erwähnt, stellt eine Insolvenz die größte Gefahr für den Gesamtmarkt dar.Deshalb wäre ein Risikomaß wünschenswert, das neben dem Risiko auch den Wert des Überschadensangibt.

    3.2 Kohärenz und Konvexität

    Im Folgenden werden also nur Maße behandelt, die in Geldeinheiten gemessen werden könnenund als Kapitalanforderungen interpretiert werden können. Dazu definieren wir monetäre Ri-sikomaße:

    Definition 3.1 (monetäres Risikomaß).Eine Abbildung ρ : X → R heißt monetäres Risikomaß, wenn für alle X,X1, X2 ∈ X diefolgenden Bedingungen erfüllt sind:

    • Monotonie: Wenn X1 ≤ X2 ist, dann gilt ρ(X1) ≥ ρ(X2).

    • Translationsequivarianz: Für m ∈ R gilt ρ(X +m) = ρ(X)−m

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  • Wobei die Translationsinvarianz interpretiert aussagt, dass wenn man einen Betrag m zustätzlichzu X risikofrei anlegt und dadurch die Kapitalanforderungen um m reduziert wird. Es folgt di-rekt daraus ρ(X+ρ(X)) = ρ(X)−ρ(X) = 0. Die Monotonie kann so interpretiert werden, dassdas Verlustrisiko einer Position X2 immer kleinergleich dem Verlustrisiko einer Position X1 ist,wenn die Auszahlung von X2 in jedem Zustand mindesten so groß ist wie die Auszahlung einerPosition X1.

    Lemma 3.2 (Lipschitz-Bedingung).Ein monetätes Risikomaß ρ erfüllt einen Lipschitz-Bedingung bezüglich der Supremumsnorm‖ . ‖: | ρ(X) − ρ(Y ) |≤‖ X − Y ‖. Insbesondere sind monetäre Risikomaße stetig. Wobei dieSupremumsnorm definiert ist durch: ‖ X ‖:= sup

    ω∈Ω{X(ω)}

    Beweis. Es gilt für X, Y ∈ X

    X ≤ Y+ ‖ X − Y ‖Mo⇒ ρ(X) ≥ ρ(Y+ ‖ X − Y ‖)

    TEqu⇔ ρ(X) ≥ ρ(Y )− ‖ X − Y ‖⇔ ρ(Y )− ρ(X) ≤‖ X − Y ‖

    Durch Vertauschen von X und Y gilt gleichermaßen ρ(X)− ρ(Y ) ≤‖ X − Y ‖. Damit folgt dieBehauptung.

    Monetäre Risikomaße erfüllen also die Lipschitz-Bedingung.

    Damit man die Güte eines Risikomaßes feststellen kann, muss es kohärent sein. Damit dieserfüllt ist, muss es monoton, translationsequivariant, positiv homogen und subadditiv sein. Fürein monetäres Risikomaß fehlen uns also nur noch die letzten beiden Eigenschaften.

    Definition 3.3 (kohärentes Risikomaß).Ein monetäres Risikomaß ist kohärent, wenn es subadditiv ist, das heißt ρ(X1 +X2) ≤ ρ(X1) +ρ(X2) für alle X1, X2 ∈ X. Außerdem muss es positiv homogen sein, was bedeutet, dass:ρ(λX) = λρ(X) für λ ≥ 0.

    Wenn man die Monotonie durch Positivität ersetzt, erhält man ein äquivalentes Axiomsystemfür Kohärenz.

    Definition 3.4 (Positives Maß).Ein Maß ρ heißt positiv, wenn für alle X ∈ X mit X ≥ 0 gilt, dass ρ(X) ≤ 0 ist.

    Damit man beweist, dass man die zwei Eigenschaften vertauschen kann, muss man zwei Fälleunterscheiden:

    1. Für den ersten Fall sei zuerst X ≥ 0 und Y ≤ 0 gegeben. Wegen der Positivität wissenwir, somit ρ(X) ≤ 0 und ρ(Y ) ≥ 0. Damit folgt also direkt: X ≥ Y und ρ(X) ≤ ρ(Y )

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  • 2. Beim zweiten Fall seien X, Y ≥ 0 wobei wir ohne Beschränkung der Allgemeinheit an-nehmen, dass X ≥ Y ist. Es gilt somit wieder ρ(X) ≤ 0 und ρ(Y ) ≤ 0. Aufgrund derSupremumsnorm folgt aus der Positivität ρ(X− ‖ Y ‖) ≤ 0. Wobei der Ausdruck in ρgrößergleich Null ist. Außerdem wissen wir ρ(Y− ‖ Y ‖) ≥ 0. Da ρ translationsequivariantist, folgt ρ(X) ≤ ρ(Y ).

    Wenn ein Risikomaß positiv homogen ist, ist ein linearer Zusammenhang zwischen der Größeeiner Finanzposition und dem Wert ihres Risikos gegeben. Vorallem sind positiv homogeneRisikomaße auch normiert, das bedeutet, dass ρ(0) = 0.

    Ob man positive Homogenität für ein Risikomaß benötigt, ist eine Streitfrage. Denn es tretennicht Liquiditätsrisiken im linearen Zusammenhang mit der Größe und dem Risiko auf. EinBeispiel hierfür ist, wenn man sehr viele Aktien an einem einzelnen Unternehmen besitzt, kannman nicht alle Aktien aufeinmal verkaufen, da dann das Angebot zu groß ist und der Preis sehrstark abfällt. Man bekommt also ein zusätzliches Risiko dazu, nämlich das Liquititätsrisiko.Damit man dies mathematisch erfassen kann, benötigt man die Eigenschaft der Konvexität.

    Definition 3.5 (Konvexität).Ein monetäres Risikomaß heißt konvex, wenn für X1, X2 ∈ X und für ein λ ∈ [0, 1] gilt

    ρ(λX1 + (1− λ)X2) ≤ λρ(X1) + (1− λ)ρ(X2).

    Bei einem positiv homogenen Risikomaß stimmen die Eigenschaften der Konvexität und derSubadditivität überein. Es gilt nun durch Einsetzen für λ = 1

    2, dass ρ(1

    2X1 +

    12X2 ≤ 12ρ(X1) +

    12ρ(X2). Wenn man diese Ungleichung nun mit 2 multipliziert bekommt man 2 ∗ ρ(12(X1 +X2) ≤ ρ(X1) + ρ(X2). Mit der positiven Homogenität von ρ ergibt sich die Definition von derSubadditvität ρ(X1+X2) ≤ ρ(X1)+ρ(X2). Man kann also sagen, dass sich die Eigenschaften derKonvexität und der Kohärenz nur durch die positive Homogenität unterscheiden. Dadurch wirddie Konvexität auch als ”schwache Kohärenz” bezeichnet. Wenn die Eigenschaft der Konvexitätgegeben ist, wird also das Risiko der Gesamtposition durch Diversifikation verringert. Wennes subadditiv ist, ist das Gesamtrisiko der addierten Positionen kleinergleich der Summe derEinzelrisiken. Haben wir keine Subadditivität gegeben, kann das zu folgenden zwei Problemenführen:

    1. Nutzt man das Risikomaß um den einzelnen Geschäftsbereichen Vorgaben zu machen,stellt der berechnete Wert von subadditiven Maßen eine konservative obere Schranke dar.Bei fehlen dieser Eigenschaft kann hierüber keine Aussage getroffen werden.

    2. Nimmt die Aufsichtsbehörde zur Berechnung des MCR einen nicht subadditives Maß her,ist die Verlockung gegeben, dass sich ein Unternehmen in mehrere rechtlich selbstständigeUnternehmen aufteilt um die Kapitalanforderungen zu verringern.

    Erfüllt ein Risikomaß allerdings nicht die Eigenschaft der Konvexität, ist kein eindeutiges Mi-nimum gegeben und damit für den Gebrauch ein Mindestkapital festzulegen, unbrauchbar.

    Kohärenz wurde in der Praxis lange nicht als Notwendigkeit angesehen, weshalb sich der Valueat Risk auch so weit verbreiten konnte. Mittlerweile ist auf Grund der Zusammenfassung von

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  • mehreren Einzelgrößen zu einer Gesamtgröße die Eigenschaft der Kohärenz von Bedeutung. Inden nächsten Unterpunkten werden Konvexität und Kohärenz näher erläutert. Zuerst definierenwir Akzeptanzmengen und danach die allgemeine Darstellung.

    3.3 Charaktisierung von Risikomaßen durch ihre Akzep-

    tanzmengen

    Eine Akzeptanzmenge unter einem Risikomaß ist definiert als Aρ := {X ∈ X | ρ(X) ≤ 0}. Da-mit kann man vorallem zwischen akzeptablen und inakzeptablen Risiken unterscheiden. Manversteht darunter eine Position für die man kein zusätzliches Kapital benötigt um die Anfore-derungen zu erfüllen. Diese sind erzielt, wenn der Wert des Risikos mit dem gegebenen Maßkleinergleich 0 sind.

    Satz 3.6.Wir haben ein monetäres Risikomaß ρ gegeben und die induzierte Menge der akzeptablenRisiken sei wie zuvor defeniert.

    a Aρ erfüllt die folgenden Bedingungen

    – Aρ ist nicht leer

    – Es gilt inf{m ∈ R|m ∈ Aρ} > −∞– Für X ∈ Aρ und Y ∈ X folgt aus Y ≥ X, dass Y ∈ Aρ– Für X ∈ Aρ, Y ∈ X ist die Menge {γ ∈ [0, 1]|γX + (1− γ)Y ∈ Aρ} abgeschlossen in

    [0,1]

    b ρ kann aus Aρ ermittelt werden durch ρ(X) = inf{m ∈ R|m+X ∈ A}

    c ρ ist genau dannn ein konvexes Risikomaß, wenn Aρ konvex ist.

    d ρ ist genau dann positiv homogen, wenn Aρ ein Kegel (siehe Definition 7.1) ist Insbeson-dere ist ρ genau dann kohärent, wenn Aρ ein konvexer Kegel ist.

    Außerdem sei A ⊂ X, wobei A die bei a.1 bis a.3 beschriebenen Eigenschaften erfüllt. Es geltendann für durch das ρA(X) = inf{m ∈ R|m + x ∈ A} definierte Funktional die folgendenEigenschaften

    e ρA ist ein monetäres Risikomaß, insbesondere nimmt es nur endliche Werte an.

    f Wenn A eine konvexe Menge ist, dann ist ρA ein konvexes Risikomaß.

    g Ist A ein Kegel, dann ist ρA positiv homogen. Insbesondere ist ρA kohärent, wenn A einkonvexer Kegel ist.

    h A ist eine Teilmenge Aρ. Wenn A die Eigenschafat a4. erfüllt, dann gilt A = Aρ.

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  • Beweis. Da der Beweis von allen Unterpunkten den Rahmen sprengen würde, werde ich exem-plarisch nur die Unterpunkte b und e überprüfen.

    b.

    Dieser Unterpunkt lässt sich mit der Definition von Aρ und der Translationsequivaraianz vonρ beweisen:

    inf{m ∈ R|m+X ∈ Aρ} = inf{m ∈ R|ρ(m+X) ≤ 0}= inf{m ∈ R|ρ(X)−m ≤ 0}= inf{m ∈ R|ρ(X) ≤ m}= ρ(X)

    e.

    Es gilt zu zeigen, dass ρA die Eigenschaften der Translationsequivarianz und der Monotinieerfüllt. Insbesondere muss es monoton fallend sein.

    Mit

    ρA(X + m̃) = inf{m ∈ R|m+ (X + m̃) ∈ A}= inf{m ∈ R|m+X ∈ A} − m̃= ρA(Y )

    folgt die Translationsequivarinaz.

    Dass ρA weiterhin monoton fallend ist, folgt denn Y ≥ X und ausρA(X) = inf{mX ∈ R|ρA(mX +X) ≤ 0}

    ≥ inf{mY ∈ R|ρA(mY + Y ) ≤ 0}= ρA(Y )

    folgt die Behauptung.

    3.4 Robuste Darstellung kohärenter Risikomaße

    Wir versuchen nun unser kohärentes Risikomaß mithilfe eines Erwartungswerts mit der Formρ(X) = supQ∈Q EQ[−X] darzustellen. Damit dies möglich ist, müssen wir das Risikomaß miteiner so genannten penalty-Funktion β korrigieren.

    Wir benöitgen jetzt noch zustätzliche Notation, die ich in diesen Absatz näher erläutern möchte.Wir gehen wieder von einem Messraum (Ω, σ) aus. Außerdem sei µ : σ → R eine endlicheadditive Mengenfunktion.

    Definition 3.7 (Totalvariation).Die Totalvariation einer endlichen und additiven Mengenfunktion ist definiert als

    ‖ µ ‖var= sup{n∑i=1

    (|µ(Ai)|)|A1, ..., An disjunkte Mengen ∈ σ, n ∈ N}

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  • Den Raum davon bezeichnen wir mit ba(Ω, σ)

    Mit M1 = M1(Ω, σ) bezeichnen wir die Menge aller Wahrscheinlichkeitsmaße auf (Ω, σ). Au-ßerdem definieren wir die Menge aller endlich additiven Mengenfunktionen Q : σ → [0, 1], dienormiert sind, das heißt Q(Ω) = 1, als M1,f (Ω, σ)

    Satz 3.8 (Darstellung konvexer Risikomaße).Es ist möglich, des konvexe Risikomaß ρ : X→ R als

    ρ(X) = maxQ∈M1.f

    (EQ[−X]− βmin(Q)) für alle X ∈ X.

    dargestellt werden. Dabei ist βmin(Q) = supX∈Aρ EQ[−X] für Q ∈ M1,f . Zustätzlich ist βmindie minimale penalty-Funktion, die ρ darstellt. Das bedeutet, dass für jede beliebige penalty-Funktion gilt: β(Q) ≥ βmin(Q) für alle Q ∈M1,f

    Wir wollen nun auch die kohärenten Risikomaße robust darstellen. Dafür benötigen wir zuersteine geeignete Penalty-Funktion:

    Lemma 3.9 (penalty-Funktion eines kohärenten Risikomaßes).Sei ρ ein kohärentes Risikomaß. Dann nimmt die Penalty-Funktion βmin nur die Werte 0 und+∞ an. Es gilt insbesondere

    ρ(X) = maxQ∈Qmax

    EQ[−X]

    für alle X ∈ X und die konvexe Menge Qmax := {Q ∈ M1,f |βmin(Q) = 0}. Qmax ist die größteMenge, für die eine Darstellung für kohärente Risikomaße gültig ist.

    Beweis. Wie wir bereits aus Satz 3.6 wissen, ist die Akzeptanzmenge Aρ eines kohärentenRisikomaßes ein Kegel. Daher gilt für die minimale Penalty-Funktion:

    βmin(Q) = supX∈Aρ

    EQ[−X]

    = supλX∈Aρ

    EQ[−λX]

    = λβmin(Q)

    für alle Q ∈ M1,f und λ > 0. Daraus folgt, dass βmin nur die Werte 0 und +∞ annehmenkann.

    Daraus kann man nun den Darstellungssatz für kohärente Risikomaße folgern:

    Satz 3.10.Ein Funktional ρ : X→ R ist genau dann ein kohärentes Risikomaß, wenn eine Mege Q ⊂M1,fexisitiert, sodass gilt:

    ρ(X) = supQ∈Q

    EQ[−X]

    für alle X ∈ X.

    Darüber hinaus kann Q als konvexe Menge gewählt werden, sodass ρ das Supremum annimmtund des Weiteren ist ρ(X) = EQ[−X] für alle X ∈ X.

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  • 3.5 Verteilungsinvarianz

    Wenn ein Risikomaß verteilungsinvariant ist, bedeutet das, dass der Wert ρ(X) einzig undallein von der Verteilung der Zufallsvariable X abhängt, jedoch nicht von der Struktur desWahrscheinlichkeitsraumes. In der Praxis bedeutet das, dass das Maß zuverlässich aus derEmpirie gewonnenen Daten geschätzt werden kann. Deshalb ist auch ein Risikomaß, das dieseEigenschaft nicht erfüllt, für die Praxis hinfällig.

    Definition 3.11 (Verteilungsinvarianz).Ein monetäres Risikomaß ρ auf X := L∞(Ω, σ, P ) wird verteilungsinvariant genannt, fallsρ(X) = ρ(Y ) immer dann gilt, wenn X und Y dieselbe Verteilung unter P haben.

    4 Risikomaße

    In diesem Kapitel werden mehrere Risikomaße definiert und mit den zuvor beschriebenen Ei-genschaften verglichen. Das erste Beispiel ist ein sehr triviales Risikomaß:

    Definition 4.1 (Worst-Case Risikomaß).X sei der Vektorraum aller beschränkten und messbaren Funktionen auf einem Messraum (Ω, σ).Das Worst-Case Risikomaß ρmax ist für alle X ∈ X definiert als ρmax(X) := − infω∈Ω X(ω).

    Das Worst-Case Risikomaß liefert uns somit eine obere und untere Schranke für jeden möglichenVerlust. Aus praktischer Betrachtung ist allerdings das Worst-Case Risikomaß nicht relevant.Allerdings hat es eine nette Eigenschaft, nämlich dass es das konservativste Risikomaß ist. Esgilt für jedes monetäre, normierte Risikomaß auf X

    ρ(X) ≤ ρ( infω∈Ω

    X(ω)) = ρ(0)− infω∈Ω

    X(ω) = infω∈Ω

    X(ω) = ρmax

    Wobei die erste Ungleichung aufgrund der Monotonie gilt. Bei der zweiten Gleichung kommt dieTranslationsequivarianz zu tragen und danach gilt die Gleichheit aufgrund der Normiertheit.Wie wir im vorigen Kapitel gezeigt haben, ist die Eigenschaft der Kohärenz zwar eine wirklichsinnvolle Forderung, aber am obrigen Beispiel erkennt man auch, dass nicht jedes kohärenteMaß sinnvoll ist! Im folgenden Abschnitt werden wir ein paar quantilbasierte Risikomaße ken-nenlernen. Diese sind, wie der Name schon sagt, durch Quantile definiert.

    10

  • 4.1 Value-at-Risk

    Zuerst zu dem wohl durch Basel II bekanntesten Risikomaß, den Value-at-Risk.

    4.1.1 Definition und Eigenschaften

    Damit wir den Value-at-Risk einführen können, ist X der Raum der interessierenden Zufalls-variablen auf (Ω, σ, P ). Es ist für X ∈ X die Verteilungsfunktion FX : R → [0, 1] definiertdurch FX(x) = P (X ≤ x). Die Verteilungsfunktion erfüllt, dass sie monoton wachsend undrechtsstetig ist. Außerdem gilt, dass limx→−∞ FX(x) = 0 und limx→+∞ FX(x) = 1. Für denValue-at-Risk ist die Einführung des α-Quantils essentiell:

    Definition 4.2 (Quantile).Sei X ∈ X mit Verteilungsfunktion FX und sei α ∈ (0, 1). Dann ist

    q+α (X) = inf{x ∈ R|FX(x) > α} = sup{x ∈ R|FX ≤ α} das obere α-Quantil von FX und

    q−α (X) = inf{x ∈ R|FX(x) ≥ α} = sup{x ∈ R|FX < α} das untere α-Quantil von FX .

    Eine reele Zahl qα heißt α-Quantil von X, wenn gilt, dass P (X ≤ qα) = FX(qα) ≥ α undP (X < qα) ≤ α. Die Menge aller α-Quantile ist [q−α (X), q+α (X)]

    Man erkennt schnell aus der Definition, dass die Eindeutigkeit von Quantilen nur dann gegebenist, wenn die Funktion streng monoton wachsend ist. Ist kein eindeutiges Quantil gegeben, wirddas untere α-Quantil genommen. Das untere α-Quantil kann mithilfe der verallgemeinertenInverse F−1X der Verteilungsfunktion berechnet werden. Wenn FX streng monoton wachsendund das Bild von F auf R F (R) = (0, 1) ist, ist FX umkehrbar. Vorallem sind dann die Inverseund die Umkehrfunktion von FX ident.

    Definition 4.3 (Value-at-Risk).Der Value-at-Risk zum Niveau α ∈ (0, 1) ist definiert als

    V aRα(x) := −q+α (X) = q−1−α(−X).

    Dabei besonders von Interesse sind kleine Werte von α (α ≤ 0, 05). Der VaR kann so interpre-tiert werden, dass es das kleinste Kapital ist, das man zu X addiert, damit dies dann in einerisikofreie Anlage investiert werden kann. Das Resultat daraus ist, dass die Wahrscheinlichkeiteinen Verlust zu erzielen kleiner als α ist.

    Als nächster Schritt muss geprüft werden, welche Eigenschaften, oder ob alle Eigenschaftenaus Kapitel 2 erfüllt sind. Damit wir danach die Eigenschaften beweisen können, benötigen wirnoch zwei Umformungen des Value-at-Risk:

    11

  • Bemerkung 4.4. .

    a Es ist

    V aRα(X) = −q+α (X)= − sup{m|P[X < m] ≤ α}= − sup{m|P[X −m < 0] ≤ α}= inf{−m|P[X −m < 0] ≤ α}= inf{−m̃|P[X + m̃ < 0] ≤ α} für ein m̃ ∈ R

    b Es gilt V aRα(X) = q−1−α(−X) = F−1−X(1− α)

    Satz 4.5 (Eigenschaften des VaR). Für X ∈ X mit Verteilungsfunktion FX und α ∈ (0, 1)ist der V aRα(x) monoton fallend, translationsequivariant, positiv homogen und verteilungsin-variant.

    Beweis. Als ersten Schritt werden wir die Monotonie des VaR beweisen: Seien X1, X2 ∈ X,wobei wir oBdA annehmen, dass X1 ≤ X2 ist. Seien außerdem m1,m2 ∈ R. Dann ist

    V aRα(X1) = inf{m1|P(X1 +m1 < 0) ≤ α}≤ inf{m2|P(X2 +m2 < 0) ≤ α}= V aRα(X2)

    Als nächstes widmen wir uns der positiven Homogenität des Value-at-Risks. Dafür benötigenwir ein X ∈ X und ein λ ≥ 0.

    V aRα(λX) = inf{m|P(Xλ+m < 0) ≤ α}= λ inf{m|P(X +m < 0) ≤ α}= λV aRα(X)

    Die Tranlationequivarianz ergibt sich, indem man ein X ∈ X und ein a ∈ R wählt, sodass

    V aRα = inf{m|P(X + a+m < 0) ≤ α}= inf{m|P(X +m < 0) ≤ α}+ a= V aRα(X) + a

    Die Verteilungsinvarianz ergibt sich aufgrund der Definition des unteren (1 − α)-Quantil von-X. Mithilfe dieser Definition und der Definition der Inversen einer Verteilungsfunktion von -Xan (1− α) ergibt sich die Definition offensichtlich.

    Womit alle oben genannten Eigenschaften bewiesen wären.

    Damit haben wir alle Eigenschaften aus Kapitel 3 bewiesen, bis auf die Subadditivität, mit derwir uns im nächsten Kapitel beschäftigen.

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  • 4.1.2 Der Value-at-Risk und die Subadditivität

    Es lässt sich ein einfaches Gegenbeispiel finden, mit dem man zeigen kann, dass der Value-at-Risk nicht subadditiv ist.

    Beispiel 4.6 (VaR ist nicht subadditiv).Wir nehmen zwei unabhängige Bonds X1, X2 mit identischem Auszahlungsprofil. Mit einerAusfallwahrscheinlichkeit von 0,04 wird ein Verlust von 100 generiert, sonst ein Gewinn/Verlustvon 0. Damit gilt

    V aR0,95(X1) = V aR0,95(X2) = V aR0,95(X1) + V aR0,95(X2) = 0.

    Die Zufallsvariable X1 +X2 hat somit die Verteilung:

    P (X1 +X2 = 0) = 0, 962 = 0, 9216

    P (X1 +X2 = 100) = 2 ∗ 0, 04 ∗ 0, 96 = 0, 076P (X1 +X2 = 200) = 0, 04

    2 = 0, 0016

    Also ist V aR0,95(X1 + X2) > 0 = V ar0,95(X1) + V ar0,95(X2) und damit keine Subadditivitätgegeben.

    Wie wir bei Satz 4.5 gezeigt haben, ist der VaR positiv homogen und wie oben gezeigt nichtimmer subadditiv. Daraus folgt auch, dass das Risikomaß auch nicht konvex ist und somitauch die Akzeptanzmenge nicht konvex. Es kann zum Beispiel 4.6 noch gesagt werden, dassder VaR subadditiv wäre, wenn α klein genug ist. Bei unserem Beispiel wäre das ab einemα < 0, 0016. In der Praxis kann man aber nicht davon ausgehen, dass man α so klein durchdie Behörde regulieren lassen könnte, dass für alle Versicherungsunternehmen die Gewinn- undVerlustrechnung sicher subadditiv ist. Des weiteren ist der VaR für kleine α sehr teuer und ernähert sich dem Worst-Case Risikomaß an. Zu Kritikpunkt eins kann noch gesagt werden, dassder VaR für elliptische Verteilungen und kleinen α subadditiv ist. Eine elliptische Verteilungist eine Verallgemeinerung der mehrdimensional Normalverteilung. Eine allgemeine Annahme,dass die Verteilungen für Solvency II elliptische Verteilungen sind, ist zwar möglich, allerdingsist es besonders beim Katastrophenrisiko bedenklich.

    4.1.3 Kritik am Value-at-Risk

    Zuerst einmal zu den positiven Eigenschaften des Value-at-Risk. Ein wichtiger Punkt ist, dassder Value-at-Risk auf alle Arten von Finanzpositionen angewendet werden kann und man damitverschiedene Positionen vergleichen kann. Man kann zum Beispiel festverzinsliche Anleihen mitOptionen vergleichen. Des weiteren kann man den Value-at-Risk auch auf alle anderen Typenvon Risiken anwenden, wie zum Beispiel das Kreditrisiko. Diese Eigenschaft hat den Value-at-Risk auch nach seiner Entwicklung so erfolgreich und bekannt gemacht.

    Ein weiterer Vorteil ist, dass man das Risiko von Einzelpositionen ermitteln kann und damitdann das Gesamtrisiko aggregiert, was bei Solvency II einer der Hauptbestandteile ist. Die Ein-heit des Risikomaßes ist die Einheit ”lost-money”, womit man das Risikomaß sogar Laien leicht

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  • verständlich machen kann. Die hohe Popularität des Value-at-Risk lässt sich vorallem durch diestarke Verbesserung im Gegensatz zu den anderen Risikomaßen in den 90-er Jahren erklären.Im Laufe dieser Seminararbeit werden wir allerdings noch andere Risikomaße kennenlernen, beidenen der Value-at-Risk weiterentwicklelt und verbessert worden ist.

    Nun aber zur Kehrseite der Medaille: Wie zuvor gezeigt ist der VaR im Allgemeinen nichtsubadditiv. Lange wurde dieses Problem als eines der Therorie hingestellt und in der Praxisnicht ernst genommen. Doch auch heute gibt es noch Stimmen, die die Notwendigkeit derSubadditivität in Frage stellen. Andere Autoren gehen allerdings auch soweit, dass sie denValue-at-Risk aufgrund der fehlenden Subadditivität den Rang als Risikomaß aberkennen, daes keinen Axiomsystem gibt, das keine Diversifikationseffekte in Form von Subadditivität oderKonvexität beinhaltet. Ein Axiomssystem ist sozusagen ein Anforderungskatalog an Risikoma-ße, wobei das von Artzner et al weit verbreitet und anerkannt ist. Zu der Problematik derfehlenden Subadditivität wurde schon in den vorherigen Kapiteln genauer eingengangen. Zu-sammenfassend gesagt, ist diese allerdings für den Gebrauch unter Solvency II essentiell, da dieAufsichtsbehörde ein Mindestkapital festlegt und dieses nicht durch Aufspaltung in rechtlicheigenständige selbstständige Einheiten verringert werden soll.

    Ein weiterer Kritikpunkt des VaR ist, dass er nur einen Punkt der Verteilung angibt. Besondersnegativ fällt auf, dass Verluste die Höher als der VaR sind, nicht berücksichtigt werden. Inder Praxis kann also keine Aussage über einen Überschaden getätigt werden. Dieser ist aberbesonders wichtig, da man mit Solvency II die Versicherungsnehmer schützen und vor einemKonkurs einer Versicherung bewahren will. Wenn man die Höhe eines Überschadens ermittelnkönnte, wäre es möglich einen Fond zu gründen, in den alle Versicherungen einzahlen unddann im Fall der Fälle darauf zurückgreifen können, wenn ein Konkurs eintritt. Ein weitererKritikpunkt ist, dass der Value at Risk nur einen Punkt der Verteilung angibt. So könnenverschiedene Risiken den gleichen VaR haben, obwohl komplett unterschiedliche Verteilungenzugrunde liegen. Dies kann zwar auch bei komplexeren Risikomaßen passieren, jedoch ist dieWahscheinlichkeit um einiges geringer. Der Effekt daraus ist, dass man sich möglicherweise fürein falsches Risiko entscheidet, bei dem zum Beispiel der Tail größer ist und somit auch derGesamtschaden größer als bei dem anderen Risiko ist.

    Noch ein Kritikpunkt am Value-at-Risk hängt auch mit dem zuvor genannten sehr eng zusam-men, nämlich dass der Value-at-Risk nicht konsistent mit der stochastischen Dominanz zweiterOrdnung ist. Die stochastische Dominanz zweiter Ordnung wurde im Anhang im Punkt 7.2definiert. Auch dieser Kritikpunkt lässt sich mit folgenden Beispiel veranschaulichen:

    Beispiel 4.7. Von der Aufsichtsbehörde ist ein α = 0, 0275 vorgegeben. Daraus folgt, dass1 − α = 0, 9725 ist. Wir betrachten nun zwei verschiedene Portfolios F und G, die für x ∈{−5,−4,−3,−2,−1,−0, 3, 4} mit Wahrscheinlichkeiten f(x) und g(x) annehmen. Die Vertei-lungen sind gegeben durch:

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  • x f(x) g(x)-5 0,005 0,01-4 0,01 0,005-3 0,015 0,01-2 0,015 0,02-1 0,03 0,030 0,225 0,2253 0,4 0,44 0,3 0,3

    Es lässt sich nun leicht der Erwartungswert der beiden Portfolios errechnen. Dieser ist beibeiden 2,23. Als nächsten Schritt errechnen wir den Value at Risk der beiden Verteilungen.V aR0,0275(F ) = 3 und V aR0,0275(G) = 2 Nach dem Value-at-Risk Konzept ist also F riskanterals G. Allerdings dominiert das Portfolio F das Portfolio G bezüglich der stochastischen Domi-nanz zweiter Ordnung und steht damit im Widerspruch mit dieser. Man kann dies bei unseremBeispiel beim maximalen Verlust von -5 sehen.

    Bei dem obrigen Beispiel würde man also, wenn man den VaR betrachtet, das Portfolio G demPortfolio H den Vorzug geben. Sieht man sich allerdings die Wahrscheinlichkeiten des Eintrittsdes maximalen Verlustes an, ist G viel riskanter als F. Es kann nicht im Sinne der Aufsichts-behörde sein, ein Risikomaß zu wählen, bei dem hohe Verluste ignoriert werden. Speziell dannnicht, wenn das Hauptaugenmerk darauf liegt Konsumenten vor einer Insolvenz zu schüzten.Dieser Effekt könnte durch kleiner α eingedämmt werden, allerdings ist dann die Schätzung desVaR sehr schwer, da es oft nicht genügend Datenmaterial gibt.

    Zu guter Letzt muss allerdings noch darauf eingegangen werden, dass all die zuvor genanntenKritikpunkte nicht gelten, falls dem Value-at-Risk eine elliptische Verteilung zu Grunde liegt.Könnte man also annehemen, dass alle Risiken unter Solvency II elliptisch verteilt sind, würdeeiner Verwendung des VaR nichts im Wege stehen. Diese Annahme ist allerdings einen star-ke Einschränkung dar, die wir eigentlich im Punkt 3.1 ausschließen wollten. Außerdem tretenhohe Verluste wesentlich häufiger auf, als sie in der Normalverteilung entsprechen. In der Le-bensversicherung wäre so eine Annahme möglich und somit der Value-at-Risk brauchbar. Abergerade bei Risiken in anderen Sparten, wie dem Naturkatasrophenrisiko ist dies eigentlich nichtumzusetzen, da für diese Extremwertverteilungen genommen werden müssten.

    4.2 Expected Exceeded Measures

    Um die zuvor genannten Kritikpunkte aus der Welt zu schaffen, wurden einige neue Risikomaßeentwickelt, bei denen vorallem zwei Punkte beachtet wurden:

    • Es soll nicht nur ein Punkt an der Verteilung zurückgegeben werden. Zusätzlich solltenämlich noch der linke Tail der Verteilung miteinbezogen werden.

    • Das Risikomaß ist kohärent, besonders sollte es subadditiv sein.

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  • Wie oben bereits erwähnt, wurden einige neue Maße entwickelt, zu denen zum Beispiel derExpected Shortfall (ES), der Average Value-at-Risk (AVAR), Tail Value-at-Risk oder der Con-ditional Value-at-Risk gehören. Da einige von ihnen nur bei nicht-stetigen Verteilungen Unter-schiede aufweisen, werden sie auch gerne fälschlicherweise in der Literatur vertauscht.

    Wir werden uns deswegen im nächsten Kapitel nur mit einem der oben genannten Risikomaßebeschäftigen, den Average Value-at-Risk.

    4.2.1 Definition und Eigenschaften von AVaR

    Definition 4.8 (Average Value-at-Risk).

    Es sei E[−X]

  • Da in der Praxis häufig Verteilungen mit Unstetigkeitsstellen auftauchen, ist es sehr gut zuwissen, wie sehr ein Risikomaß auf kleine Änderungen des vorgegebenen α reagiert. Der folgendeSatz zeigt, dass beim Average Value-at-Risk keine drastischen Veränderungen auftauchen, wennα ein bisschen verändert wird, da der AVaR stetig und monoton fallend bezüglich α ist. Für diePraxis kann dies so interpretiert werden, dass je kleiner das α angegeben wird, desto vorsichtigerdie Kalkulation des Risikos ist.

    Satz 4.11.Sei X ∈ X mit E[X−] 0 mit α + � < 1 ist

    TMα+�(X) ≥ TMα(X)und damit folgt AV aRα+� ≤ AV aRα(X)

    Es ist also die Abbildung monoton fallend auf (0,1).

    Wir nehmen nun an, dass unser gegebener Wahrscheinlichkeitsraum atomlos ist. Damit ergibtsich der Satz über die Eigenschaften des Average Value-at-Risks

    Satz 4.12 (Eigenschaften des Average Value-at-Risks).Der Average Value-at-Risk erfüllt alle von uns geforderten Anforderungen. Das heißt er ist:

    • Kohärenz (insbesondere ist er subadditiv)

    • Verteilungsinvarianz

    • Konsistent zur stochastischen Dominanz zweiter Ordnung

    4.2.2 Kritik am Average Value-at-Risk

    Zuerst einmal zum positiven Part des Average Value-at-Risks. Er erfüllt alle von uns angestell-ten Anforderungen an ein Risikomaß, das unter Solvency II eingesetzt werden kann. Ein weitererVorteil ist noch, dass man beim Average Value-at-Risk eine Aussage über den Überschaden ei-nes Ereignisses treffen kann, was besonders für die Aufsichtsbehörde von Vorteil ist. Somitwär es mögich einen zuvor beschriebenen Fond zur Deckung von nicht häufigen Ereignissen zugründen. Damit ist es doch perfekt für die Verwendung?

    Leider auch nicht, denn will man den Average Value-at-Risk in der Praxis anwenden, hatman das Problem, dass man eine große Menge von empirischen Daten über den linken Tailbenötigt. Diese sind in der Praxis leider nicht immer gegeben, da solche Extremereignisse nursehr selten eintreten. Solche Daten sind bei einer Berechnung mithilfe des Value-at-Risks nichtzu erheben. Aufgrund der Abstinenz dieser Daten könnte man dazu verleitet sein, falsche Daten

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  • für die Berechung heranzuziehen. Allerding haben falsche oder nicht genügend Daten immer einfalsches Ergebnis zur Folge, egal bei welchem Risikomaß. Somit wär auch dies nicht im Interesseder Aufsichtsbehörde. Allerdings sollte Solvency II sehr lange Bestand haben und in Zukunftwäre es somit möglich, dass auch diese Daten vorhanden sind und somit der Verwendung vonden Expected Exceeded Measures nichts im Wege steht.

    Des weiteren besteht besonders bei multivariat normalverteilten Risiken immer ein Zusammen-hang zwischen Value-at-Risk und Average Value-at-Risk. Wobei der Average Value-at-Riskdabei immer ein höheres α Niveau hat.

    Letztendlich bleibt ein Risikomaß immernoch eine einzelner Richtwert. Ob dieser auch richtigist, ist nicht nur von den Eigenschaften des Maßes abhängig sondern auch von der Qualitätder Berechnungsgrundlage. Dieser Richtwert kann allerdings nie ein gutes Risikomanagementund vorausschauende Beobachtung ersetzen. Diese beiden Unternehmensbereiche sind also un-abkömmlich. Besonders wichtig dabei ist, dass die einzelnen Unternehmen ihre eigenenes Risiko,hier ist besonders die Beschaffenheit hervorzuheben, selbst realistisch einschätzen können.

    5 Praxis

    Nachdem Solvency II mit 1. Jänner 2016 in Kraft getreten ist, stellt sich die Frage, für welchesRisikomaß sich die Gesetzgebung entschieden hat. Bei der Berechnung des SCR und des MCRhat sich die EIOPA für die Verwendung des Value at Risk entschieden. Dabei wird angenommen,dass die Risiken Normal, bzw. Log-normalverteilt sind.

    Das MCR ist als einfache faktorbasierte lineare Formel definiert, die ein Value-at-Risk Maßmit einer 85%iger Sicherheit über ein Jahr zugrunde liegen hat. Anders ausgedrückt, mussdas Kapital einer Versicherung so groß sein, dass es mit einer 85 prozentigen Sicherheit einunerwartetes Ereignis in den nächsten zwölf Monaten decken kann. Das MCRGesamt ist dieSumme aus MCRLeben und MCRNichtleben. Des weiteren muss der Wert des MCR in einemBereich zwischen 25% und 45% des SCR liegen. Alles in allem kann das MCR in folgendeFormel zusammgengefasst werden:

    MCR = min{max{MCRNichtleben + MCRLeben; 25% ∗ SCR}45% ∗ SCR}

    Außerdem gibt es noch absolute Mindestwerte für das Mindeskapitalerfordernis einer Versiche-rung. Für Nichtlebensversicherungen ist dieser Wert 2,5 Millionen Euro, außer die Risiken sindinklusive Haftpflichtversicherungen, dann hat das MCR mindestens eine Höhe von 3,7 MillionenEuro. Bietet das Unternehmen Lebensversicherungen an, ist die Höhe der Mindestkapitalan-forderungen mindestens 3,7 Millionen Euro und für eine Rückversicherung 3,6 Millionen Euro.Erfüllt eine Versicherung nicht die Höhe des MCR mit den Basiseigenmitteln, kann sogar dieGeschäftszulassung widerrufen werden.

    Auch bei der Berechnung des SCR wird der Value-at-Risk verwendet. Der Unterschied zumMindestkapitalerfordernis ist, dass von der Gesetzgebung das Konfidenzniveau von 99,5% vor-gegeben wurde. Man kann dies so interpretieren, dass man so viel Eigenkapital zur Verfügung

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  • haben sollte, dass man ein Ereignis decken kann, dass nur alle 200 Jahre stattfindet. Dabeiwird ein Risiko für jede Unternehmenssubklasse errechnet. Diese werden dann durch gewisseFaktoren zusammenaggregiert.

    5.1 Mindestkapitalanforderungen in Österreich

    Die folgenden Ausführungen über die Lage der Österreichischen Versicherungen basiert aufeinem Bericht von der Wirtschaftsprüferkanzlei EY, der im Juni 2017 veröffentlicht wurde. DieDaten stammen von dem ab jetzt jährlich zu veröffentlichen Bericht über die Finanzlage derVersicherungen, der zu 100 Prozent die Versicherungen in Österreich abdeckt. Die Studie kamzu den Ergebnis, dass alle österreichischen Versicherungen die MCR Vorgaben erfüllen unddie Mindestanforderungen sogar im Durchschnitt mit 257 % überschritten ist. In der untenabgebildeten Grafik kann man die Höhe der Überdeckung bezüglich der verschiedenen Sparten,wobei die Einteilung aufgrund der FMA Unternehmensdatenbank erfolgte, ablesen.

    Abbildung 1: MCR-Quote nach Art des Versicherungsunternehmens

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  • 6 Schlussbemerkung

    Das Ziel dieser Arbeit war die Möglichkeiten bei der Berechnung der Mindeskapitalanforde-rungen unter Solvency II aufzuzeigen. Am Anfang sind die zu erfüllenden Eigenschaften vonRisikomaßen aufgezeigt worden. Das Ergebnis davon war, dass Risikomaße die Eigenschaftender Monotonie, der Translationsequivarianz, der positiven Homogenität und der Subaddidivitäterfüllen sollte.

    Danach wurden zwei Arten von Risikomaßen diskutiert und ihre Vor- und Nachteil aufge-zeigt. Wobei zuerste der Value-at-Risk definiert und die Eigenschaften überprüft wurden. DasErgebnis von dem war, dass der VaR die Eigenschaften der Subadditivität nicht erfüllt. Ei-ne Ausnahme bildet dabei, wenn die zugrunde liegende Verteilung eine elliptische Verteilungist. Das ist vorallem bei Normal, beziehungsweise, multivariat Normalverteilung der Fall. Hierwürde es keine Kritikpunkte am Value-at-Risk geben und eine Verwendung unter Solvency IIwäre möglich. Dabei wurde dann darauf eingegangen, dass dies eine Einschränkung sei, die inmanchen Versicherungssparten, besonders der Nicht-Lebensversicherung, zu Problemen führt.

    Danach wurde der Average Value-at-Risk diskutiert. Das Endergebnis dieses Punktes war, dassder Average Value at Risk alle benötigten Eigenschaften erfüllt. Allerdings ist die Vollständigkeitder Daten ein Problem, das man noch vor der Einführung von Solvency II lösen gemusst hätte.

    Zu guter Letzt ist die reale Umsetzung von Solvency II das Thema gewesen. Dabei ist auf-fallend, dass der Value-at-Risk bei Solvency II für die Beurteilung von Risiken hergenommenwird, obwohl er sehr viele Kritikpunkte aufwirft. Es wurde genauer darauf eingeganen, wie dieBerechung durchgeführt wird.

    Als letzter Punkt wurde der aktuelle Stand der österreichischen Versicherungen diskutiert unddas Ergebnis war, dass keine Versicherung Probleme bei der Erreichung des Mindestkapitalshat.

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  • 7 Anhang

    Definition 7.1 (Kegel).Eine nichtleere Teilmenge C eines Vektorraumes heißt Kegel, wenn aus x ∈ C Kegel, wenn fürje zwei Elemente aus C auch die Konvexkombination wieder in C liegt.

    Definition 7.2 (stochastische Dominanz zweiter Ordnung).Eine Zufallsvariable X dominiert eine Zufallsvariable Y im Sinne der stochatischen Dominanzzweiter Ordnung, wenn gilt dass ∫ t

    −∞FX(z)dz ≤

    ∫ t−∞

    FY (z)dz

    Bildlich gesprochen, bedeudeutet das, dass die Fläche unter der Verteilungsfunktion von Xgrößer ist als die Fläche unter der Verteilungsfunktion von Y.

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  • Literatur

    [1] Solvency ii kompakt. http://www.solvency-ii-kompakt.de/content/solvenzkapital. Aufge-rufen: 29.03.2017.

    [2] René Doff. A critical analysis of the solvency ii proposals. The Geneva Papers on Risk andInsurance - Issues and Practice, 2008.

    [3] Ernst and Young Global Limited. Ey studie zum bericht über die solvabilität und finanzlage(sfcr) in der österreichischen versicherungsbranche. Technical report, 2017.

    [4] Verena Nallin. Berechnung der Mindestkapitalanforderungen unter Solvency II - die Wahldes richtigen Risikomaßes. Diplomica Verlag Gmbh, Hamburg, 2008.

    [5] Björn Weindorfer. Solvency ii, eine Übersicht, 2011.

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