Stefan Sandmeier Musikwissenschaftliches Institut der Universität Zürich Ackeretstrasse 1 Seminar «Die Sinfonik Anton Bruckners» WS 00/01 8400 Winterthur Prof. Dr. Hans-Joachim Hinrichsen [email protected][email protected]«Dazu Brucknermusik» Die Rezeption von Anton Bruckners Sinfonik im Dritten Reich (1933-1945) am Beispiel der Achten Sinfonie Winterthur, 30. April 2004
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Seminar paper [Seminararbeit] «Dazu Brucknermusik». Die Rezeption von Anton Bruckners Sinfonik im «Dritten Reich» am Beispiel der Achten Sinfonie
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Stefan Sandmeier Musikwissenschaftliches Institut der Universität ZürichAckeretstrasse 1 Seminar «Die Sinfonik Anton Bruckners» WS 00/018400 Winterthur Prof. Dr. Hans-Joachim [email protected][email protected]
«Dazu Brucknermusik»Die Rezeption von Anton Bruckners Sinfonik
im Dritten Reich (1933-1945) am Beispiel der Achten Sinfonie
1.2 Quellen, Literatur und Forschungsstand ...............................................................................................................3
2 Die vereinnahmte Musik.................................................................................. 6
2.1 Bruckners Monumental-Stil am Beispiel der Achten Sinfonie ..............................................................................6
2.1.1 Exkurs: Kurze Geschichte des Erhabenen in der sinfonischen Musik.............................................................................. 6
2.1.2 Erhabenheit und Monumentalität in der Achten Sinfonie................................................................................................. 9
2.2 Die Achte Sinfonie: Ein «deutscher Michel»? .....................................................................................................12
3 Der historische Rahmen: Bruckner-Rezeption vor 1933...........................................18
3.1 Bruckner im Umfeld Wagners und der Neudeutschen Schule............................................................................19
3.2 Gesinnungsfragen: Bruckner und die Deutschnationalen ...................................................................................21
3.2.1 Bruckners eigene Gesinnungsäusserungen ................................................................................................................... 23
3.2.2 Idealismus und ideologische Vereinnahmung ............................................................................................................... 28
3.3 «Heldenverehrung» und «Germanisierung» nach Bruckners Tod......................................................................34
4 Die Vereinnahmung Bruckners durch die Nationalsozialisten ...................................37
4.1 Nationalsozialistisches Kulturverständnis und Bruckners Musik........................................................................37
4.1.1 Die Nützlichkeit der Kunst .............................................................................................................................................. 38
4.1.2 Von der Kunstreligion zur «Gottgläubigkeit» ................................................................................................................. 40
4.1.3 Propaganda-Inszenierungen: Liturgietransfer und «Brucknermusik» ........................................................................... 44
4.2 Anknüpfungspunkte der nationalsozialistischen Bruckner-Rezeption ................................................................49
4.2.1 Kontinuität des Brucknerbildes....................................................................................................................................... 49
4.2.2 Personelle und institutionelle Verflechtungen................................................................................................................ 53
4.3 Höhepunkt der Vereinnahmung: Der Walhalla-Akt..............................................................................................58
4.3.1 Die Vorgeschichte........................................................................................................................................................... 58
4.3.2 Der Ablauf des Walhalla-Aktes ....................................................................................................................................... 61
5 Fazit und Ausblick.........................................................................................68
5.1 Zusammenfassung und Fazit...............................................................................................................................68
5.2 Ausblick auf weitere Fragen............................................................................................................................................... 71
In welcher Weise wurde Bruckner von den Nationalsozialisten aufgenommen und instrumentalisiert? Was
waren die musikalischen, historischen und ideologischen Voraussetzungen dafür? Um die Rezeptionsge-
schichte Bruckners und seiner Musik zwischen 1933 und 1945 verstehen und damit die Grundfragen dieser
Arbeit beantworten zu können, ist es nötig, verschiedene zeitliche und thematische Ebenen in ihren mannig-
faltigen Zusammenhängen zu betrachten. Ereignis- und Rezeptionsebenen überlagern sich in der Bruckner-
Geschichte ständig, genauso wie die vielfältigen Interessen an Bruckner, die von seinen Verehrern einerseits,
von Politikern und NS-Funktionären andererseits verfolgt wurden. Zusammenhänge und Schnittmengen
dieser Ebenen aufzuzeigen, ist deshalb Ziel dieser Arbeit.
Um der Arbeit eine zeitliche Struktur zu geben, wird die Geschichte der Bruckner-Rezeption in drei Phasen
aufgeteilt: Erstens die Rezeptionsphase zu Lebzeiten Bruckners, an deren Ausprägung der Komponist mit
seinen eigenen Gesinnungsäusserungen, mit seinem Tun und Lassen sowie mit seinen engen Kontakten zu
den Hauptakteuren dieser Rezeption einen gewissen Anteil hatte. Zweitens die Phase von seinem Tod 1896
bis zum Anfang der 1930er Jahre, während der sich einerseits Bruckners Musik im Konzertbetrieb etablieren
konnte, andererseits auch die Person Bruckners von verschiedenen Seiten in vereinnahmender Weise
stilisiert und durch eine ebenso ideologische wie idealistische «Heldenverehrung» zum Objekt bzw. zum
Instrument ihrer jeweiligen Weltanschauung gemacht wurde. Drittens die Phase von 1933-45, in der Bruck-
ner von den Nationalsozialisten in Dienst genommen und für ihre propagandistischen Zwecke missbraucht
wurde, wobei sie in grossem Umfang auf die Rezeptionsstränge der zweiten Phase zurückgreifen konnten. Die
Gliederung der einzelnen Kapitel verläuft aber nicht nur entlang dieser Zeitlinie, sondern bezieht not-
wendigerweise die thematischen Zusammenhänge mit ein, was dazu führt, dass dem zeitlichen Ablauf
manchmal vorgegriffen wird oder auf Dinge von früheren Abschnitten zurückgekommen werden muss.
Zunächst wird in Kapitel 2 die Ebene der Musik beleuchtet. Es stellen sich Fragen nach den Eigenschaften der
Brucknerschen Musik und insbesondere der Achten Sinfonie, die sie für propagandistische Zwecke nutzbar
machte: Was charakterisiert ihren musikalischen Stil? Welche Bedeutung kommt dabei den Begriffen
Monumentalität und Erhabenheit zu? Was liess die Achte in der öffentlichen Wahrnehmung zum «deutschen
Michel» werden und wie wirkte sich dieses Attribut auf die nationalsozialistische Rezeption aus?
Die beiden ersten Rezeptionsphasen und ihre historischen Zusammenhänge bilden den Inhalt von Kapitel 3.
Einerseits sollen Bruckners geistige und musikalische Positionierung im Umfeld Richard Wagners und der
Neudeutschen Schule dargestellt werden, andererseits die damit zusammenhängende, oft ideologisch gefärbte
«Heldenverehrung», die kurz nach seinem Tod einsetzte und bis nach 1945 zu den bestimmenden Merk-
malen der Bruckner-Literatur gehörte. In diesen Themenkomplex gehören beispielsweise die Fragen, wie
Bruckner zum Etikett des Deutschnationalen kam und womit es begründet wurde: Äusserte sich Bruckner
– 3 –
selber dahingehend und gibt es diesbezügliche Verbindungen zu seiner Musik? Oder wurde er von seinen
Freunden und Verehrern ungerechtfertigterweise als «Aushängeschild» instrumentalisiert?
Kapitel 4 befasst sich mit der Vereinnahmung Bruckners und seiner Musik durch die Nationalsozialisten.
Innerhalb dieser Ebene lassen sich wiederum drei verschiedene Bereiche unterscheiden, die für die
Auffassung Bruckners und speziell seiner Achten Sinfonie wichtig waren: Erstens die NS-Kulturpolitik, deren
konkrete Umsetzung von den in Kapitel 2 herausgearbeiteten musikalisch-ästhetischen Eigenschaften von
Bruckners Sinfonien profitierte, zweitens die Anknüpfungspunkte, die sich aus der in Kapitel 3 geschilderten
Rezeptionsgeschichte Bruckners sowie der personellen und institutionellen Verquickungen zwischen Bruck-
ner-Organisationen (z.B. der Internationalen Bruckner-Gesellschaft) und dem Nationalsozialismus ergaben,
und drittens die Vereinnahmung Bruckners im nationalsozialistischen Propagandasystem mit dem Regens-
burger Walhalla-Akt als herausragendem Ereignis.
1.2 Quellen, Literatur und Forschungsstand
Als direkteste Quellen zu Persönlichkeit und Gesinnung standen Bruckners Briefe1 sowie seine persönlichen,
diaristischen Notizen im Vordergrund.2 Filtert man den oftmals sehr umständlich formalisierten, altväterisch
verklausulierten, von Ergebenheits- und Demutsbekundungen durchsetzten Stil der Briefe bei der Lektüre
weg und liest bisweilen auch zwischen den Zeilen, präsentiert sich ein Bruckner, der – trotz aller (schein-
baren Unsicherheit) sehr genau wusste, was er wollte und meist auch, auf welchem Weg und über welche
Kontakte er es zu erreichen gedachte. Für eine eingehende Analyse von Bruckners Person anhand dieser
Quellen ist diese Arbeit nicht der geeignete Ort, die Briefe und Notizen sollen aber dabei helfen, eine Vor-
stellung seiner Gesinnung und dem damit zusammenhängenden politischen Denken und seinem gesell-
schaftlichen Handeln zu gewinnen.
Wie in der Erläuterung der Fragestellung bereits kurz angetönt, ist die Bruckner-Literatur bis 1945 und
teilweise bis in die 1960er Jahre hinein geprägt von einer «Heldenverehrung», in der sich ein anekdotisch-
legendenhaftes biografisches Brucknerbild mit Interpretationen verbindet, die sowohl durch ästhetische wie
auch politische Ideologien bestimmt und vielfach von einem apologetisch-schwärmerischen bis messiani-
schen Ton durchdrungen sind. 1924, zu Bruckners 100. Geburtstag, erreichte diese Literatur einen ersten
Höhepunkt und nahm in den 30er Jahren einen zusätzlichen Aufschwung. Aufgrund der in ihr enthaltenen
Stilisierungen, Idealisierungen und Vereinnahmungen wird sie – gerade in ihrer inkriminiertesten Aus-
prägung, der nationalsozialistischen – zur historischen Quelle für diese Arbeit: Als Beispiele seien Texte wie
die Bruckner-Biografie von August Göllerich und Max Auer3, die Bruckner-Bücher von August Halm4 und Karl
1 Bruckner, Anton: Briefe. Bd. 1 (1852-1886), hg. v. Andrea Harrandt u. Otto Schneider, Wien 1998 (Anton Bruckner. Sämtliche Werke, Bd.
24/1) [ABB1] sowie zusätzlich ders.: Gesammelte Briefe. Hg. v. Franz Gräflinger, Regensburg 1924 (Deutsche Musikbücherei, Bd. 49)[ABGB] und ders.: Gesammelte Briefe. Neue Folge, hg. v. Max Auer, Regensburg 1924 (Deutsche Musikbücherei, Bd. 55) [ABGBNF].
2 Maier, Elisabeth: Verborgene Persönlichkeit. Anton Bruckner in seinen privaten Aufzeichnungen. Teil 1: Textübertragungen undKommentar, Wien 2001 (Anton Bruckner – Dokumente und Studien, Bd. 11) [ABPA].
3 Göllerich, August und Auer, Max: Anton Bruckner. Ein Lebens- und Schaffensbild, IV Bände in 9 Teilen, Regensburg 1922-1937 (DeutscheMusikbücherei, Bde. 36-39).
4 August Halm: Die Symphonie Anton Bruckners, [2. Auflage], München 1914.
– 4 –
Grunsky5, die Berichte von Paul Ehlers6 und Franz Moissl7 über den Walhalla-Akt oder Werner Kortes
Ausführungen zur rassischen Bedingtheit von Bruckners Komponieren8 genannt.
Seit den 70er Jahren ist die Forschung daran, dieses Bruckner-Bild zu korrigieren und erheblich zu differen-
zieren. Hinsichtlich der Rezeptionsgeschichte Bruckners ist Christa Brüstles materialreiches, 1998 erschie-
nenes Buch über «Bruckner und die Nachwelt»9 von grossem Nutzen: Sie stellt darin die verschiedenen
Stadien und Akteure der Bruckner-Exegese von 1896 bis 1930 vor und beleuchtet die Geschichte der Inter-
nationalen Bruckner-Gesellschaft (IBG) und anderer «Verehrergemeinden» sowie von Robert Haas’ Edition
der «Originalfassungen». Sie macht sichtbar, dass sowohl Bruckners Person als auch seine Musik mit dem
Zeitpunkt seines Todes zum Gegenstand von Vereinnahmung und Ideologisierung wurden, zeigt auf, wie eng
Bruckner-Verehrer und Nationalsozialisten personell und institutionell verschlungen waren und dass die
Propaganda-Maschinerie des Dritten Reiches an zahlreiche quasi bereitliegende Rezeptionsstränge an-
knüpfen konnte, worauf Matthias Hansen bereits Mitte der 80er Jahre hingewiesen hatte.10
Bryan Gilliam11, Manfred Wagner12, Albrecht Dümling13, Andrea Harrandt14 und Margaret Notley15 widmen
sich in ihren Publikationen, die alle innerhalb des letzten Jahrzehnts entstanden sind, den geistigen und
(kultur)politischen Grundlagen der Vereinnahmung Bruckners durch die Nationalsozialisten sowie speziell
ihrer auffälligsten Inszenierung, der Aufstellung einer Brucknerbüste in der Regensburger Walhalla im Juni
1937. Gilliam betont die Wichtigkeit Bruckners für die NS-Propaganda, die ihn mit dem Walhalla-Akt zum
herausragenden Vertreter von deutschem «Blut und Boden» gemacht und damit «neu erfunden» habe. Der
Anlass sei von Hitler und Goebbels hauptsächlich dafür genutzt worden, das Terrain für den «Anschluss»
Österreichs ans Dritte Reich propagandistisch vorzubereiten und bei dieser Gelegenheit ihren gegen den
kirchlichen Glauben gerichteten Religionsbegriff der «Gottgläubigkeit» an einem prominenten Beispiel – dem
zu Lebzeiten erzkatholischen Bruckner – zu lancieren.16
5 Grunsky, Karl: Grunsky, Karl: Anton Bruckner, Stuttgart 1922 (Musikalische Volksbücher); ders.: Bruckner’s Leben und Schaffen, in:
Bruckner’s Symphonien. Erläutert mit Notenbeispielen von Dr. Karl Grunsky, Hofkapellmeister Willibald Kähler, Dr. Walther Niemann,Prof. Siegfried Ochs und Adolph Pochhammer (Schlesinger’sche Musik-Bibliothek, Meisterführer Nr. 4), Berlin 1907, S. 7-22.
6 Ehlers, Paul: Das Regensburger Bruckner-Erlebnis, in: Zeitschrift für Musik, Jg. 104 (1937), Heft 7, S. 745-748.7 Moissl, Franz: Anton Bruckner in der Walhalla, in: Musica Divina, Jg. 25 (1937), S. 107f. u. 140f.8 Korte, Werner: Musikalisches Presseecho, in: Die Musik, Jg. 29 (1936/37), S. 136f.9 Brüstle, Christa: Anton Bruckner und die Nachwelt. Zur Rezeptionsgeschichte des Komponisten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Stuttgart 1998. Siehe auch dies.: Siegmund von Hausegger: a Bruckner authorothy from the 1930s, in: Perspectives on Anton Bruckner,hg. v. Crawford Howie, Paul Hawkshaw u. Timothy L. Jackson, Aldershot ‹etc.› 2001, S. 341-352; dies.: Politisch-ideologische Implika-tionen der Bruckner-Gesamtausgabe, in: Bruckner-Probleme, hg. v. Albrecht Riethmüller, Stuttgart 1999, S. 192-201.
10 Hansen, Mathias: Die faschistische Bruckner-Rezeption und ihre Quellen, in: Beiträge zur Musikwissenschaft, hg. v. Verband der Kompo-nisten und Musikwissenschaftler der DDR, Jg. 28 (1986), Heft 4, S. 53-61; ders.: Anton Bruckner, Leipzig 1987.
11 Gilliam, Bryan: The Annexation of Anton Bruckner: Nazi Revisionism and the Politics of Appropriation, in: The Musical Quarterly, Jg. 78(1994), Nr. 3, S. 584-609; ders.: Gilliam, Bryan: Bruckner’s Annexation Revisited: A Response to Manfred Wagner, in: The MusicalQuarterly, Jg. 80 (1996), Nr. 1, S. 124-131.
12 Wagner, Manfred: Response to Bryan Gilliam Regarding Bruckner and National Socialism, in: The Musical Quarterly, Jg. 80 (1996), Nr.1, S. 118-123; ders.: Anton Bruckner: sein Werk – sein Leben, Wien 1995.
13 Dümling, Albrecht: Der deutsche Michel erwacht. Zur Bruckner-Rezeption im NS-Staat, in: Bruckner-Probleme, hg. v. AlbrechtRiethmüller, Stuttgart 1999, S. 202-214; ders.: Entartete Musik. Tempelweihe und -säuberung. Die Bruckner-Rezeption Hitlers undGoebbels‘, in: Entartete Musik. Dokumentation und Kommentar zur Düsseldorfer Ausstellung von 1938, hg. v. Albrecht Dümling u. PeterGirth, Düsseldorf 1988, S. 9-23.
14 Harrandt, Andrea: Students and friends as «prophets» and «promoters»: the reception of Bruckner’s works in the Wiener AkademischeWagner-Verein, in: Perspectives on Anton Bruckner, hg. v. Crawford Howie, Paul Hawkshaw u. Timothy Jackson, Aldershot ‹etc.› 2001, S.317-327.
15 Notley, Margaret: Bruckner and Viennese Wagnerism, in: Bruckner studies, hg. v. Timothy L. Jackson u. Paul Hawkshaw, Cambridge ‹etc.›1997, S. 54-71.
16 Sekundiert wird Gilliam von Benjamin C. Korstvedt: Anton Bruckner in the Third Reich and After: An Essay on Ideology and BrucknerReception, in: The Musical Quarterly, Jg. 80 (1996), Nr. 1, S. 132-160.
– 5 –
Dem hält Wagner entgegen, die deutschnationale Vereinnahmung Bruckners habe lange vor der national-
sozialistischen Herrschaft in den 1870er Jahren eingesetzt und in den 1920er Jahren einen ersten massiven
Höhepunkt erlebt. In Zusammenhang mit Richard Wagners politisch-ästhetischer Kunstideologie habe sich
aus diesem deutschnationalen Denken eine Kunst-Religion entwickelt, in die Bruckner eingepasst worden
war und die von den Nationalsozialisten nur noch aufgegriffen zu werden brauchte. Goebbels’ Walhalla-Rede,
für Gilliam ein Eckstein der «Nazifizierung» Bruckners, werde in diesem Punkt überbewertet, so Wagner: Der
Propagandaminister habe kaum mehr getan, als Topoi und Klischees der vorangehenden 40 Jahre Bruckner-
Literatur zu wiederholen und bereits vorhandene Vereinnahmungen nachzuvollziehen.17 Zur Untersuchung
dieses breitgefächerten Themenbereichs haben auch Thomas Leibnitz18, Elisabeth Maier19, Alexander
Ringer20, Othmar Wessely21 und Gerhard Winkler22 sowie zahlreiche weitere, hier nicht einzeln aufzuführende
Autorinnen und Autoren beigetragen.
Auch die Literatur zu Bruckners Musik und insbesondere zu seiner Achten Sinfonie ist umfangreich: die
aktuellsten Werke stammen von Korstvedt, der in seinem Buch sowohl musikbezogen-werkanalytisch als auch
kontextbezogen-historisch über die «Achte» schreibt23, Wagner24, Gilliam25 und Horn.26 Darüber hinaus
haben aber auch die kontroversen Beiträge von Constantin Floros27 und Carl Dahlhaus28 sowie der essayis-
tische Ansatz von Geck29 weiterhin ihre Wichtigkeit.
17 Siehe auch Wagner Manfred: Die Nekrologe von 1896: rezeptionsstiftend? – oder Wie Klischees von Anton Bruckner entstanden, in: Musik-
konzepte. Anton Bruckner, Heft 23/24 (Januar 1982), München 1982, S. 119-147; ders.: Zur Rezeptionsgeschichte von Anton BrucknersAchter Symphonie, in: Bruckner-Jahrbuch 1991/92/93, hg. v. Franz Grasberger e.a., Linz 1995, S. 109-115; ders.: Anton Bruckner: seinWerk – sein Leben, Wien 1995, S. 121-135.
18 Leibnitz, Thomas: Anton Bruckner and «German music»: Josef Schalk and the establishment of Bruckner as a national composer, in:Perspectives on Anton Bruckner, hg. v. Crawford Howie, Paul Hawkshaw u. Timothy L. Jackson, Aldershot ‹etc.› 2001, S. 328-340; ders.:Anton Bruckner: «Deutscher» oder «Österreicher»? Deutungen, Vereinnahmungen, Hintergründe, in: Österreichische Musik – Musik inÖsterreich. Beiträge zur Musikgeschichte Mitteleuropas, hg. v. Elisabeth T. Hilscher, Tutzing 1998, S. 463-476; ders.: Die Brüder Schalkund Anton Bruckner. Dargestellt an den Nachlassbeständen der Musiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek, Tutzing 1988.
19 Maier, Elisabeth: Neue Bruckneriana aus Privatbesitz, in: IBG-Mitteilungsblatt, Nr. 36, Juni 1991, S. 6-13; dies.: «Sechzigjährige Eiche»und «Musikalischer Ätna». Anton Bruckners 60. Geburtstag im Spiegel der Presse, in: Österreichische Musik – Musik in Österreich.Beiträge zur Musikgeschichte Mitteleuropas, hg. v. Elisabeth T. Hilscher, Tutzing 1998, S. 423-440.
20 Ringer, Alexander L.: «Germanenzug» bis «Helgoland». Zu Anton Bruckners Deutschtum, in: Bruckner-Probleme, hg. v. AlbrechtRiethmüller, Stuttgart 1999, S. 25-34.
21 Wessely, Othmar: Bruckner, Wagner und die Neudeutschen in Linz, in: Bericht zum Bruckner-Symposion «Bruckner, Wagner und dieNeudeutschen in Österreich» im Rahmen des Internationalen Brucknerfestes Linz vom 20.-23. September 1984, hg. v. Othmar Wessely,Linz 1986, S. 27-34.
22 Winkler, Gerhard J.: Anton Bruckner und die Neudeutsche Schule – Versuch einer Bilanz, in: Bericht zum Bruckner-Symposion«Bruckner – Vorbilder und Tradition» im Rahmen des Internationalen Brucknerfestes Linz vom 24.-28. September 1997, Linz 1999, S.187-201; ders.: Die Rezeption Bruckners im 20. Jahrhundert, in: Bericht zum Bruckner-Symposion «Bruckner-Rezeption» im Rahmendes Internationalen Brucknerfestes Linz vom 18.-22. September 1991, Linz 1994, S. 211-214.
23 Korstvedt, Benjamin Marcus: Anton Bruckner: Symphony No. 8, Cambridge 2000.24 Wagner Manfred: Zur Rezeptionsgeschichte von Anton Bruckners Achter Symphonie, in: Bruckner-Jahrbuch 1991/92/93, hg. v. Franz
Grasberger e.a., Linz 1995, S. 109-115; ders.: Was ist an Bruckner romantisch? in: Bericht zum Bruckner-Symposion «Bruckner und dieromantische Musik» im Rahmen des Internationalen Brucknerfestes Linz vom 16.-20. September 1987, Linz 1989, S. 23-29; ders.: DerWandel des Konzepts. Zu den verschiedenen Fassungen von Bruckners Dritter, Vierter und Achter Sinfonie, Wien 1980.
25 Gilliam, Bryan: The Two Versions of Bruckner’s Eighth Symphony, in: 19th Century Music, Jg. 16 (1992), Nr. 1, S. 59-69.26 Horn, Erwin: Analyse der Scherzo-Themen der Symphonien V, VI, VII und VIII, in: Bruckner-Jahrbuch 1991/92/93, hg. v. Franz
Grasberger e.a., Linz 1995, S. 45-60; ders.: Metamorphose des Hauptthemas der Achten Symphonie im Scherzo-Thema, in: Bericht zumBruckner-Symposion «Anton Bruckner – Persönlichkeit und Werk» im Rahmen des Internationalen Brucknerfestes Linz vom 16.-20.September 1992, Linz 1995, S. 123-127; ders.: Evolution und Metamorphose in der Achten Symphonie von Anton Bruckner. Darstellungder thematischen Zusammenhänge, in: Bruckner-Jahrbuch 1989/90, hg. v. Othmar Wessely zusammen mit Andrea Harrandt, ElisabethMaier und Uwe Harten, Linz 1992, S. 7-33.
27 Floros, Constantin: Brahms und Bruckner. Studien zur musikalischen Exegetik. Wiesbaden 1980; ders.: Thesen über Bruckner, in:Musikkonzepte. Anton Bruckner, Heft 23/24 (Januar 1982), München 1982, S. 5-14.
28 Dahlhaus, Carl: Bruckner und die Programmusik. Zum Finale der Achten Symphonie, in: Anton Bruckner. Studien zu Werk und Wirkung.Walter Wiora zum 30. Dezember 1986, hg. v. Christoph-Hellmut Mahling, Tutzing 1988, S. 7-32.
29 Geck, Martin: Die Erstarrung idealistischer Ästhetik in der Sinfonik Bruckners, in: ders.: Von Beethoven bis Mahler. Die Musik desdeutschen Idealismus, Stuttgart ‹etc.› 1993, S. 379-408.
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2 Die vereinnahmte MusikIm Zusammenhang mit der Vereinnahmung von Musik durch die Nationalsozialisten werden immer wieder
Richard Wagner und Anton Bruckner genannt. Beide standen hoch in der Gunst der NS-Propaganda-
maschinerie, da sich ihre Musik offenbar gut zur Inszenierung von Parteitagen und ähnlichen Anlässen
eignete. Bei der Benützung von Wagner und seiner Musik spielten deren inhaltliche und aussermusikalisch-
ideologische Aspekte eine wesentliche Rolle. Bei Bruckner, der keine das musikalische Werk ergänzenden
Schriften hinterliess, liegt es nahe, die Begründung für die Brauchbarkeit seiner Sinfonien zuerst in der Mu-
sik selber zu suchen, beispielsweise in ihrer überwältigenden Wirkung. Im Folgenden sollen deshalb Bruck-
ners Monumental-Stil und die Funktion, die das «Erhabene» darin einnimmt, erläutert und auf die Achte
Sinfonie angewendet sowie Fragen nach der «Deutsche Michel»-Thematik gestellt werden: Wie äusserte sich
Bruckner zu seiner Sinfonie und wie wurden solche Äusserungen aufgenommen?
2.1 Bruckners Monumental-Stil am Beispiel der Achten Sinfonie
Die Begriffe des Erhabenen und des Monumentalen fallen beinahe unweigerlich, wenn Bruckners Sinfonien
beschrieben werden, ganz besonders jedoch in Zusammenhang mit seinen beiden letzten sinfonischen
Werken, der Achten und der Neunten Sinfonie. Der in Abschnitt 2.1.1 folgende Exkurs soll verdeutlichen, was
unter dem Erhabenheits-Begriff zu verstehen ist, während in Abschnitt 2.1.2 konkrete Beispiele für Erhaben-
heit und Monumentalität in Bruckners Achter Sinfonie aufgezeigt werden sollen.
2.1.1 Exkurs: Kurze Geschichte des Erhabenen in der sinfonischen Musik
Die Wurzeln des Erhabenheits-Begriffs reichen bis ins erste nachchristliche Jahrhundert zurück. «Erhaben-
heit» codierte damals als rhetorischer Begriff Qualitäten, die auch in den späteren Ausprägungen des Er-
habenheits-Begriffs zentral blieben: Grösse, Ernsthaftigkeit, Tiefsinnigkeit, Enthusiasmus und Leidenschaft.30
Bis ins 18. Jahrhundert hatte die Idee des Erhabenen kaum Einfluss auf die ästhetische Diskussion. Das
Erhabene wurde in der Musik in rhetorischer Weise als Ausdruck des Grossen, Ernsthaften, Feierlichen und
Eindrücklichen verstanden, sein Einsatz zielte weniger auf die affektive Wirkung beim individuellen Rezipien-
ten als auf den kunstgerechten Gebrauch eines Arsenals stilistischer Zeichen durch den Komponisten.
Das 18. Jahrhundert änderte die Wahrnehmung des Erhabenen jedoch: Edmund Burke31 unterschied die
Kategorien des Erhabenen und des Schönen. Während das Schöne Lust, Freude und Zufriedenheit hervorrief,
entsprang das Erhabene dem Schrecken, der Angst und dem Bedrohlichen. Burke begründete die durch das
Erhabene hervorgerufenen Empfindungen ehrfürchtigen Staunens und Schreckens damit, dass es dem
30 Heininger, Jörg: Artikel «Erhaben», in: Ästhetische Grundbegriffe. Historisches Wörterbuch in sieben Bänden, hg. v. Karlheinz Barck e.a.,
Stuttgart ‹etc.› 2001, Bd. 2, S. 280ff.; Korstvedt, Anton Bruckner: Symphony No. 8, S. 55f.31 Burke Edmund: A Philosophical Enquiry into the Origin of our Ideas of the Sublime and The Beautiful, hg. u. mit einer Einleitung vers. v.
des Erhabenen ordneten sich noch andere Begriffe ein wie etwa das Übermächtige, Gewaltige, Ungeheure,
Kolossale, Monumentale, Unermessliche, Vollkommene und – wenigstens implizit – Gott. All diese Begriffe
bezogen sich auf das «Verhältnis zwischen […] Gott und Natur, Mensch und Gott, Natur und Mensch. Der
Diskurs über das Erhabene impliziert Aussagen und Urteile über diese Relationen […] aber stets ist das
Grosse gemeint, und das ‹Grosse› wird auf die Psyche der Menschen, auf ihr Gemüt, auf ihre Leidenschaften,
auf ihre Affekte, auf ihr Wohlgefallen sowie auf Lust und Unlust bezogen.»33
Immanuel Kant knüpfte in seiner «Kritik der Urteilskraft»34 bei Burke an. Er erachtete das Erhabene nicht als
inhärente Eigenschaft der Dinge, sondern postulierte es als geistigen Zustand, der beim Rezipienten durch
ihre Auffassung hervorgerufen wird. Beispielsweise erkenne der Mensch angesichts des unendlichen Meeres
einerseits seine physische Ohnmacht, andererseits könne er der Übermacht der Natur die Erkenntnis entge-
gensetzen, dass, «obgleich der Mensch jener Gewalt unterliegen müsste», seine «Menschheit», das Bewusst-
sein der «eigenen Erhabenheit der Bestimmung», davon unberührt bleibe.35 Diese geistige Überwindung der
sinnlichen Natur des Menschen charakterisiere das Erhabene. «Schön ist das, was in blosser Beurteilung
(also nicht vermittelst der Empfindung des Sinnes nach einem Begriffe des Verstandes) gefällt. Hieraus folgt
von selbst, dass es ohne alles Interesse gefallen müsse. Erhaben ist das, was durch seinen Widerstand gegen
das Interesse der Sinne unmittelbar gefällt.»36
Am Anfang des 19. Jahrhunderts war das Erhabene zu einer Grundkomponente romantischer Ästhetik
geworden, die ab Mitte des Jahrhunderts eine Verschiebung aus dem allgemeinen Bereich der rhetorischen
Codierung durch Genre und Affektenlehre hin zum «hermetischen» Bereich des individuellen Ausdrucks
erfuhr, wie er für absolute Musik charakteristisch ist.37 1805 publizierte der deutsche Musikästhetiker Chris-
tian Friedrich Michaelis den Artikel «Einige Bemerkungen über das Erhabene in der Musik»38, in dem er die
Implikationen der kantischen Erhabenheitsästhetik für die Musik ausarbeitete: «Das Gefühl des Erhabenen
wird durch Musik erregt, wenn die Einbildungskraft zum Grenzenlosen, Unermesslichen, Unüberwindlichen
erhoben wird. Dieses geschieht, wenn solche Empfindungen erregt werden, welche das Zusammenfassen der
Eindrücke zu einem Ganzen entweder ganz verhindern, oder doch sehr erschweren.»39 Michaelis sah zwei
Möglichkeiten in der Musik, erhaben zu wirken: «Erstens, durch zu grosse Einförmigkeit, welche die
Mannichfaltigkeit beinahe ausschliesst, z.B. durch das lange Wiederholen des nämlichen Tons oder Akkords,
durch das lange majestätische, schwermüthige oder feierliche Aushalten der Töne, mithin auch durch sehr
langsames Fortschreiten derselben, auch durch lange Pausen, welche den Fortgang der Modulation aufhalten,
der Bildung einer Melodie widerstreben, und einen Mangel an Mannichfaltigkeit fühlbar machen. Zweitens,
durch zu grosse Mannichfaltigkeit, indem entweder unendlich viel Eindrücke in zu geschwinder Zeit vorbei-
32 Heininger, «Erhaben», S. 28ff.33 Bärsch, Claus-E.: Das Erhabene und der Nationalsozialismus, in: Merkur, 43. Jahrgang, Nr. 487/488 (September/Oktober 1989), S. 780f.34 Kant, Immanuel: Kritik der Urteilskraft, hg., mit einer Einleitung u. Bibliographie versehen v. Heiner F. Klemme, mit Sachanmerkungen
v. Piero Giordanetti, Hamburg 2001, siehe insbesondere Zweites Buch: Analytik des Erhabenen, § 23-29.35 Kant, Kritik der Urteilskraft, S. 129.36 Kant, Kritik der Urteilskraft, S. 137.37 Heininger, «Erhaben», S. 296f.; Korstvedt, Anton Bruckner: Symphony No. 8, S. 57f.38 Michaelis, Christian Friedrich: Einige Bemerkungen über das Erhabene in der Musik, in: Berlinische musikalische Zeitung, Jg. 1 (1805),
Nr. 46, S. 179-181, in: Michaelis, Christian Friedrich: Ueber den Geist der Tonkunst und andere Schriften, ausgewählt, hg. u. kommentiertv. Lothar Schmidt, Chemnitz 1997, S. 242-244.
39 Michaelis, Einige Bemerkungen über das Erhabene in der Musik, S. 179f. [242f.]
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eilen, und das Gemüth in der rauschenden Fluth der Töne zu rasch fortgerissen wird, oder auch (wie in
vielstimmigen fugirten Compositionen) die Melodien zu vielfach sich in einander harmonisch verwickeln, als
dass die Einbildungskraft das Mannichfaltige leicht und ruhig zu einem Ganzen vereinigen und als ein Ganzes
ohne Anstrengung übersehen könnte. Erhaben kann also nur das in der Musik seyn, was das Fassungs-
vermögen der Imagination übersteigt, zu gross und bedeutend, zu fremd und wunderbar erscheint, als dass
sie leicht es sich aneignen könnte. Die erhabenen Töne, Figuren und Akkorde sind ihr angemessen; sie muss
sich anstrengen und ungewöhnlich erweitern, um sie festzuhalten, zusammenzufassen und wieder zurück-
zurufen. Sie […] wirken unmittelbar nicht angenehm, sondern fast gewaltsam auf Sinn und Einbildungskraft,
erscheinen furchtbar und schrecklich.»40
Die Verbindung von Musik mit transzendenter Erhabenheit wurde von Johann Georg Sulzer konkret auf die
Gattung der Sinfonie bezogen: «Die Symphonie ist zu dem Ausdruck des Grossen, des Feyerlichen und Erha-
benen vorzüglich geschickt. Ihr Endzweck ist, den Zuhörer zu einer wichtigen Musik vorzubereiten oder in
ein Kammerkoncert alle Pracht der Instrumentalmusik aufzubieten. Soll sie diesem Endzweck vollkommen
Genüge leisten, und ein mit der Oper oder Kirchenmusik, der sie vorhergeht, verbundener Theil sein, so
muss sie neben dem Ausdruck des Grossen und Feyerlichen noch einen Charakter haben, der den Zuhörer in
die Gemütsverfassung setzt, die das folgende Stück im Ganzen verlangt, und sich durch die Schreibart, die
sich für die Kirche oder das Theater schickt, unterscheiden.»41 Auch Richard Wagner, vom Erhabenheits-
Begriff Schopenhauers geprägt42, sah in seinem Beethoven-Aufsatz das Erhabene als angemessene Kategorie
zur Beschreibung sinfonischer Musik: «Hier ist einzig der ästhetische Begriff des Erhabenen anzuwenden:
denn eben die Wirkung des Heiteren geht hier sofort über alle Befriedigung durch das Schöne weit hinaus.
Jeder Trotz der erkenntnisstolzen Vernunft bricht sich hier sofort an dem Zauber der Überwältigung unsrer
ganzen Natur; die Erkenntnis flieht mit dem Bekenntnis ihres Irrtums, und die ungeheure Freude dieses
Bekenntnisses ist es, in welcher wir aus tiefster Seele aufjauchzen, so ernsthaft auch die gänzlich gefesselte
Miene des Zuhörers sein Erstaunen über die Unfähigkeit unseres Sehens und Denkens gegenüber dieser
wahrhaftigsten Welt uns verrät.»43
Der Begriff des Erhabenen wandelte sich im 19. Jahrhundert zur bestimmenden ästhetischen Kategorie, die
für das Grosse, Unermessliche und Monumentale stand. Die (sinfonische) Instrumentalmusik wurde als
diejenige Kunst aufgefasst, die dieses unfassbare «Absolute», die undefinierbare Essenz der Dinge am besten
ausdrücken konnte. Das Erhabene wurde deshalb zur zentralen ästhetischen Prämisse der romantischen
Sinfonie und diese in der Folge zur «Repräsentation dieses Grossen, Bedeutenden, Monumentalen […],
wenigstens in ihrer zentraleuropäischen, insbesondere Wiener Tradition.»44
40 Michaelis, Einige Bemerkungen über das Erhabene in der Musik, S. 179f.41 Sulzer, Johann Georg: «Allgemeine Theorie der Schönen Künste: in einzelnen, nach alphabetischer Ordnung der Kunstwörter aufeinander
folgenden Artikeln abgehandelt », 4 Bde., 2., verm. Aufl. Leipzig 1792-99, Reprint Hildesheim 1967-1970, Bd. IV, S. 478f.42 Schopenhauer, Arthur: Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. I, Drittes Buch, §39, in: Sämtliche Werke (Bd. 1), textkrit. bearb. u. hg. v.
Wolfgang Frhr. Von Löhneysen, Frankfurt a.M. 1998, S. 286-294.43 Wagner, Richard: Beethoven, in: Wagner, Richard: Gesammelte Schriften und Dichtungen, 2. Auflage, Leipzig 1888, Bd. IX, S. 93; siehe
auch S. 66ff. (Schopenhauer), 78f. (Kategorie des Erhabenen), 86f. (Wirkung der Musik), 93 (ästhetischer Begriff des Erhabenen).44 Brinkmann, Reinhold: Zum Ende: Idylle, Melancholie und monumentale Form, in: ders.: Johannes Brahms. Die Zweite Symphonie –
Späte Idylle, hg. V. Heinz-Klaus Metzger u. Rainer Riehn, München 1990 (Musik-Konzepte, Heft 70), S. 118.
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2.1.2 Erhabenheit und Monumentalität in der Achten Sinfonie
Zunächst soll die Achte Sinfonie kurz in ihrer musikalischen Struktur beschrieben werden.45 Die Sinfonie
steht zwar nominell in c-moll, die Funktionalität des konventionellen harmonischen Modells ist jedoch über
weite Strecken ausser Kraft gesetzt. Harmonische Eindeutigkeit erlangt die Musik lediglich in flüchtigen
Augenblicken, meist ist sie geprägt von weit ausholenden Modulationen, Abschweifungen und chromatischen
Rückungen.46 Dieser harmonischen Instabilität steht jedoch die Beständigkeit der rhythmischen Verhältnisse
gegenüber. Dieser Kontrast ist charakteristisch für den Grossteil des motivischen und thematischen Materials
der Sinfonie; der Themencharakter bleibt oftmals lediglich durch die rhythmischen Muster gewahrt, währen
Diastematik und Harmonik der Themen und Motive sich den tonartlichen Fluktuationen (von neuen harmo-
nischen Bezügen bis hin zum Wechsel des Tongeschlechts) unterzuordnen haben.
Die Form der Achten folgt weitgehend dem in den vorangegangenen Sinfonien erarbeiteten Satzschema, ihre
Ecksätze weisen eine Bruckner-typische, auf Schubert zurückgehende Sonatensatzform mit drei Themen-
komplexen auf47, wobei auf dem Höhepunkt des Finales die vier Hauptthemen der Sinfonie übereinander
geschichtet und zur strahlenden Apotheose in C-Dur vereinigt werden. Als Mittelsätze stehen an zweiter Stelle
ein dreiteiliges Scherzo (Scherzo-Trio-Scherzo da capo) in c-moll und an dritter Stelle ein fünfteiliges Adagio
(A-B-A-B-A) in Des-Dur, dessen zwei Themenkomplexe mit jeder Wiederholung intensiviert werden. Trotz
dieser für Bruckner «konventionellen» Anlage fallen Besonderheiten auf: Die kontrapunktische Themen-
vereinigung im Finale (ab Ziff. Xx, T. 687), der Höhepunkt der Durchführung des Kopfsatzes, wo das
Hauptthema augmentiert und mit der Umkehrung des zweiten Themas verflochten wird (Ziff. L, T. 225-231,
der Hauptthemen-Rhythmus wird in der Folge weitergezogen), das Auseinanderbrechen und Verstummen des
ersten Themas am Schluss des Satzes sowie die geradezu epischen Ausmasse der Ecksätze (417 bzw. 709
Takte) und des Adagios (291 Takte).
Zusammen mit dem Umstand, dass die eigentlichen Grundtonarten der Sätze jeweils nur zögerlich erreicht
werden, verschleiert das thematisch-motivische Gespinst, das die ganze Sinfonie durchzieht und zwischen den
Sätzen den Zusammenhalt des Materials herstellt, den harmonisch-formalen Verlauf und sorgt vor allem in
den Ecksätzen für Schwierigkeiten bei der Abgrenzung der formalen Grossteile (Exposition, Durchführung,
Reprise und Coda).48 Allgemein kann festgestellt werden, dass Bruckner in Bereichen wie Form und Dyna-
mik, mit mehr als 80 Minuten Spieldauer am auffälligsten aber in den zeitlichen Dimensionen in der Achten
an die Grenzen dessen ging, was der sinfonischen Gattung und dem Publikum (sogar dem Bruckner-freund-
lichen) um 1890 zugemutet werden konnte: Schroffe dynamischen Kontraste, auf «geradezu beklemmende
Weise verdichtet[e]»49 Steigerungswellen und gewaltige Ausbrüche im dreifachen Fortissimo, die bisweilen
45 Die Ausführungen beziehen sich auf die Fassung 1890, 2., rev. Aufl., hg. v. Leopold Nowak, Wien 1955 (Anton Bruckner, Sämtliche Werke,
Band VIII/2).46 Für eine ausführliche Analyse der harmonischen Verläufe siehe Korstvedt, Anton Bruckner: Symphony No. 8, S. 28-49.47 Vgl. Korte, Werner: Bruckner und Brahms. Die spätromantische Lösung der autonomen Konzeption, Tutzing 1963, S. 34f.48 Bei Korstvedt, Anton Bruckner: Symphony No. 8, S. 73-75, findet sich eine tabellarische Darstellung des Formverlaufs aller vier Sätze; zu
den thematischen Verwandtschaften siehe Horn, Erwin: Evolution und Metamorphose in der Achten Symphonie von Anton Bruckner.Darstellung der thematischen Zusammenhänge, in: Bruckner-Jahrbuch 1989/90, Linz 1992, S. 7-33 sowie ders.: Analyse der Scherzo-Themen der Symphonien V, VI, VII und VIII, in: Bruckner-Jahrbuch 1991/92/93, Linz 1995, S. 45-60; ders.: Metamorphose desHauptthemas der Achten Symphonie im Scherzo-Thema, in: Bericht zum Bruckner-Symposion Linz (September 1992), Linz 1995, S. 123-127.
49 VIII. Sinfonie in c-moll. Werkbetrachtung und Essay von Peter Jost, in: Ulm, Renate (Hg.): Die Symphonien Bruckners. Entstehung,Deutung, Wirkung, München ‹etc.› 1998, S. 203.
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abrupt abbrechen wie am Ende des Kopfsatzes (nach Ziff. W, T. 381), wo das auf seine rhythmische Struktur
reduzierte Hauptthema nach einer Generalpause (T. 389) im Pianissimo sozusagen erlischt, prägen das Bild.
Welche musikalischen Charakteristika bewirken nun aber jene vielbeschworene, Erhabenheit evozierende
Monumentalität in Bruckners Sinfonie? Wolfram Steinbeck findet die Antwort auf diese Frage im sinfonischen
Konzept Bruckners, das «auf dem Willen zur Monumentalität» gründe und die verwendeten Satzprinzipien
und Gestaltungsmittel bestimme.50 Die Sätze werden durch ein periodisches Gefüge strukturiert, das aus
zweiteiligen, hierarchisch aufgebauten Grundeinheiten besteht (minimal 1+1 bis maximal 8+8 Takte) und
sich zu geradtaktigen Abschnitten zusammenfügt. Dieses Strukturierungsprinzip lässt sich in der Achten bei-
spielsweise anhand der Kopfsatz-Exposition beobachten: Der erste Themenkomplex (T. 1-50) beginnt mit
zwei 4+4- und drei 2+2-Einheiten (bis T. 22), der zweite (T.51-96) besteht aus zwei 4+4- und zwei 6+6-
Einheiten und einer abschliessenden 6er-Einheit usw. Diese «Bausteine» gewährleisten eine gewisse Über-
schaubarkeit innerhalb der grossen Dimensionen des Satzes und schliessen sich zu übergeordneten
«Bauteilen» zusammen, welche sich wiederum zu grossen «Baukomplexen» und letztlich zum «monumen-
talen sinfonischen Gebäude» fügen.51
Diese musikalischen «Bausteine» werden von der sie bestimmenden Harmonik und ihrem thematischen oder
motivischen Gehalt verbunden. Sie enden meistens harmonisch offen, was die Lösung der Spannung im
folgenden Baustein erwarten lässt. Vielfach wird die harmonische Spannung dadurch gesteigert, dass nicht
die erwartete Lösung eintritt, sondern die Harmonik mittels mediantisch verwandter Klänge und Grundstufen-
Vertretern weitergeführt wird.52 Ersichtlich wird dieses Vorgehen beispielsweise an den ersten 20 Takten der
Durchführung des Kopfsatzes (T. 153/Ziff. H bis T. 177): Dieser erste Durchführungsteil greift auf das erste
Thema zurück, dessen rhythmische Struktur von Holz- und Blechbläsern vor dem Hintergrund tremolieren-
der Streicher aufgenommen wird und meistens in Originalform (z.B. T. B,-Tb., T. 165 mit Auftakt-167)
aufscheint, manchmal aber auch in Umkehrung der Intervallverhältnisse (Ob. und Klar., T. 169 mit Auftakt-
171) oder in Umkehrung und Augmentation (Ten.-Tb., T. 173-177). Die Harmonik ist mediantisch geprägt
und nimmt ihren Verlauf von Es-Dur (T. 153ff.) über es-moll (T. 157-164), Ges-Dur (T. 165f.) nach F-Dur
(T. 167-174), von wo aus über Des-Dur (T. 175f.) nach As-Dur (T. 177) moduliert wird. Diese eher klein-
räumigen Wirkungen harmonischer Fortführungen53 werden durch die motivisch-thematische Arbeit ergänzt,
die sich über Formteile, ganze Sätze und sogar die gesamte Sinfonie erstreckt. Ihre Markanz gewinnen Motive
und Themen aus der kompakten Bauweise («Baustein»-Prinzip)54 und der ausgeprägt rhythmischen und/
oder diastematischen Struktur, was sie wandelbar macht und gleichzeitig ihre Wiedererkennbarkeit garan-
tiert. Der grosse Einheiten überspannende thematische Zusammenhang wird laut Steinbeck in Bruckners
Prinzip der Sequenzierung von thematischen Bausteinen («fortgebildete Variantenreihung») begründet, wo-
50 Steinbeck, Wolfram: Anton Bruckner. Neunte Symphonie d-moll, München 1993, S. 18 u. 25.51 Steinbeck, Anton Bruckner. Neunte Symphonie d-moll, S. 18f., vgl. auch Korte, Bruckner und Brahms, S. 39-43.52 Steinbeck, Anton Bruckner. Neunte Symphonie d-moll, S. 19f.53 Als Gegenbeispiel sei der zweite Satz genannt, dessen Teile harmonisch auf den Kopfsatz und das Adagio verweisen (vgl. Korstvedt, Anton
Bruckner: Symphony No. 8, S. 38f.).54 Steinbeck, Anton Bruckner. Neunte Symphonie d-moll, S. 20-23f. sowie Horn, Evolution und Metamorphose in der Achten Symphonie, S.
7f.
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durch Einsätze neuer oder bereits eingeführter Themen spektakuläre Effekte erzielten: «Das Spektakuläre ist
der Moment des Monumentalen.» 55
Ein zentrales Element des Monumentalen bei Bruckner ist seine Technik der verdichtenden Steigerung von
Themen, die auf den Satzhöhepunkten in «Durchbrüchen» kulminieren. Die Steigerungswirkung wird erzielt,
indem die Themen auf ihren oftmals rhythmischen Kern reduziert, dabei ostinatohaft wiederholt und mit
anschwellender Dynamik und wachsender Instrumentierung versehen werden. Daraus ergibt sich ein
doppelter Ballungsprozess, der die wesentliche Substanz der Themen zum Durchbruch führt und ihre
klangliche Wirkung gewaltig ausdehnt. Steinbeck nennt dieses Vorgehen «Durchbruchsprinzip» und weist
ihm formbildende Kraft sowohl auf der Ebene des Satzes als auch auf der Ebene der gesamten Sinfonie zu, da
es sowohl in der Coda des jeweiligen Satzes als auch im Finale zur Anwendung komme und so thematische
Einheitlichkeit herstelle.56
Dieser Aspekt, die Gewinnung von Monumentalität mittels des Durchbruchsprinzips, lässt sich an der Coda
des Finales der Achten demonstrieren: Mit Ziff. Uu (T. 647) beginnt über einem eintaktigen c-moll-Arpeggio
der Violinen, das bis T. 670 in leicht ändernder Form als Ostinatomuster fungiert, eine Steigerung des
Finalsatz-Hauptthemas, in die auch andere Themenbausteine einfliessen (z.B. das Choralmotiv der Tuben aus
T. 99ff. des Finales, das in augmentierter Form ab T. 651 zu hören ist). Zunächst nur von vier Hörnern und
den tiefen Streichern im Pianissimo gespielt, wird es ab T. 655 von Klarinetten und Basstuben, ab T. 659 von
Oboen und ab T. 663 auch von den Flöten übernommen. Während die Steigerung der Instrumentierung
damit abgeschlossen ist, spielt sich die dynamische Steigerung hauptsächlich zwischen den Takten von 669
(p) und 687 (fff) ab und erreicht ihren Höhepunkt in den Takten 663 bis 670. An dieser Stelle (Ziff. Vv) baut
Bruckner die Spannung neu auf, indem er die Dynamik nochmals bis ins Piano zurücknimmt und das Addi-
tionsverfahren der Instrumentierung umkehrt (Flöten und Blechbläser pausieren, ab T. 675 auch die übrigen
Holzbläser) bis der verkürzte Hauptthemenrhythmus ab T. 674 nur noch in Trompeten und Celli erklingt.
Der erneute Fortissimo-Einsatz des Hauptthemas im vollen Orchester bei Ww (T. 679 mit Auftakt) markiert
einen spektakulären Moment erhabener Monumentalität, der in seiner Fortsetzung (ab T. 686 mit Auftakt)
zur atemberaubenden Apotheose gesteigert wird: Im dreifachen Fortissimo lässt Bruckner hier die Haupt-
themen der vier Sätze «durchbrechen» und montiert sie zu einer wahrhaft bombastischen C-Dur-Klangfläche,
deren monumentaler Charakter durch die Trompeten-Fanfaren (Hauptthema des Scherzos) im Wechsel mit
dem Adagio-Thema in den Hörnern und dem Finale-Thema in den Tuben (T. 697-709) beinahe schon
überdeutlich zu Tage tritt. Die Musik erhebt mit ihrem Gestus die «Forderung nach Totalhingabe des Hörers»
und führt ihn in einen «Zustand der Überwältigung»57, wie Thomas Leibnitz die Wirkung des Erhaben-
Monumentalen bei Bruckner zutreffend umschreibt.58
55 Steinbeck, Anton Bruckner. Neunte Symphonie d-moll, S. 22 u. 24.56 Steinbeck, Anton Bruckner. Neunte Symphonie d-moll, S. 24f.57 Leibnitz, Anton Bruckner: «Deutscher» oder Österreicher»?, S. 471.58 Korstvedt widmet S. 54-64 seines Buches dem Zusammenhang von Erhabenem und der Musik in Bruckners Achter, den er am Beispiel des
Adagios illustriert: Einerseits passe Burkes Beschreibung des Erhabenen bestens auf die «furchteinflössend vehementen Höhepunkte» desSatzes, andererseits findet er Kants Kategorien des dynamischen und des mathematischen Erhabenen darin. Ersteres entspringe – wieBurkes Erhabenes – Furcht und Schrecken, die durch die musikalische Gewalt hervorgerufen würden, zweites der «alles übersteigendenSeltsamkeit und Komplexität» der Musik. (Korstvedt, Anton Bruckner: Symphony No. 8, S. 59f. Zur Bedeutung, die das Erhaben-Monumentale in der Gesellschaft der Habsburger-Monarchie einnahm, siehe z.B. Geck, Die Erstarrung idealistischer Ästhetik in derSinfonik Bruckners, S. 404-408; Korstvedt, S. 64-67; Nagler, Norbert: Bruckners gründerzeitliche Monumentalsymphonie, in: Musik-
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2.2 Die Achte Sinfonie: Ein «deutscher Michel»?
Die Kontroverse, ob Bruckner Programmsinfonien oder «absolute Musik» geschrieben habe, entzündete sich
an der Achten und ihrem Zusammenhang mit der Symbolfigur des «deutschen Michels» besonders heftig –
sie setzte bereits in den Rezensionen der Uraufführung ein und dauert bis heute an. Für Bruckners Zeit-
genossen bildete ein von Josef Schalk formuliertes, zur Uraufführung der Achten publiziertes Programm, den
Stein des Anstosses59, für spätere Bruckner-Exegeten waren es vor allem Äusserungen Bruckners, die er in
Briefen machte. In diesem Abschnitt sollen zuerst diese programmatischen Äusserungen über die Achte
erläutert und danach die musikalischen Implikationen der Michel-Problematik für die Sinfonie dargestellt
werden. Die Diskussion über Programm- oder absolute Musik, die eng mit Bruckners Einordnung unter die
Neudeutschen um Wagner, Liszt und Berlioz verknüpft ist, wird unter einem rezeptionshistorischen Blick-
winkel in Kapitel 3 aufgegriffen, ebenso der Aspekt der Politisierung Bruckners und seines Werks, die sich an
die «Michel»-Symbolik anschloss.
Josef Schalks programmatische Ausdeutung, die er zur Uraufführung der Achten verfasste, orientierte sich in
Ton und Machart an Wagners Programm für die Neunte Sinfonie Beethovens60 und geizte nicht mit Pathos: Im
ersten Satz sah er «die Gestalt des aischyleischen Prometheus», dessen «titanisches Kraftgefühl» sich im
Scherzo auf «ein geringstes Maass reducirt» habe und der aufgrund seiner derben Kraft und seiner «naiven
Phantastik» vom Komponisten in «volksthümlicher Weise» als «deutscher Michel» bezeichnet worden sei.
Der dritte Satz führe danach in eine «Sphäre feierlich ruhiger Erhabenheit», die das «stille Walten der Gott-
heit», des «all-liebenden Vaters der Menschen» widerspiegle, während im Finale «der Heroismus im Dienste
des Göttlichen» stehe und zum «Verkünder ewiger Heilswahrheit, Herold der Gottesidee» werde.61 Schalk
wollte für Bruckners Achte das leisten, was Wagner in seinen Augen für Beethoven geleistet hatte, nämlich die
Zuhörer durch seinen Text auf das Erhabene der Musik einzustimmen und ihnen so den Zugang zum Werk zu
erleichtern.62 Das meiste, was er damit erreichte, waren allerdings Spott und Hohn aus der Feder Hanslicks
und anderer «feindlich» gesinnter Kritiker.63
Worauf Schalk im Zusammenhang mit der Benennung des Scherzos als «deutscher Michel» anspielte und
was für die spätere Rezeption der Achten diesbezüglich von entscheidender Bedeutung war, sind die
Äusserungen Bruckners, die in Briefen überliefert sind. Die ausführlichste und berühmteste Schilderung des
«Inhalts» der Achten stammt aus einem Brief an den Dirigenten Felix Weingartner, der die Sinfonie eigentlich
hätte uraufführen sollen. Am 27. Januar 1891 schrieb Bruckner an Weingartner: «Im I. Satze ist der Tromp.-
und Cornisatz aus dem Rhythmus das Thema: die Todesverkündigung, die immer sporadisch stärker endlich
sehr stark auftritt, am Schluss: die Ergebung. / Scherzo: Hauptthema: deutscher Michel genannt; in der 2.
Abtheilung will der Kerl schlafen, und träumerisch findet er sein Liedchen nicht; endlich klagend kehrt es
konzepte. Anton Bruckner, München 1982, S. 86-118; Wapnewski, Peter: Eduard Hanslick als Kritiker der Musik seiner Zeit, in: Hanslick,Eduard: Aus dem Tagebuch eines Rezensenten. Gesammelte Musikkritiken, Kassel ‹etc.› 1989, S. 320-353.
59 Programmzettel zur Uraufführung von Bruckners Achter Sinfonie (18.12.1892), in: Österreichische Nationalbibliothek Wien (A-Wn),Musiksammlung, Fond 18 Schalk 415/2.
60 Wagner, Richard: Bericht über die Aufführung der Neunten Symphonie von Beethoven im Jahre 1846 in Dresden (aus meinenLebenserinnerungen ausgezogen) nebst Programm, in: Wagner, Richard: Dichtungen und Schriften. Jubiläumsausgabe in zehn Bänden,hg. v. Dieter Borchmeyer, Bd. 9 (Beethoven, späte dramaturgische Schriften), Frankfurt a.M. 1983, S. 12-28.
61 Zitate nach Leibnitz, Die Brüder Schalk und Anton Bruckner. S. 170ff.62 Vgl. Leibnitz, Die Brüder Schalk und Anton Bruckner, S. 238f.63 Hanslick, Eduard: Anton Bruckner – Achte Symphonie in c-Moll, Neue Freie Presse, 23.12.1892, in: Hanslick, Eduard: Aus dem Tagebuch
eines Rezensenten. Gesammelte Musikkritiken, Kassel ‹etc.› 1989, S. 60. Vgl. Leibnitz, Die Brüder Schalk und Anton Bruckner, S. 172ff.
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selbes um. / Finale. Unser Kaiser bekam damals den Besuch des Czaren in Olmütz; daher Streicher: Ritt der
Kosaken; Blech: Militärmusik; Trompeten: Fanfare, wie sich die Majestäten begegnen. Schliesslich alle
Themen; (komisch), wie bei Tannhäuser im 2. Akt der König kommt, so als der deutsche Michel von seiner
Reise kommt, ist alles schon in Glanz. / Im Finale ist auch der Todtenmarsch und dann (Blech)
Verklärung.»64 Bruckner bezeichnete das Scherzo der Achten nicht nur Weingartner gegenüber als
«Deutschen Michel», auch in einem Brief an den Kritiker Theodor Helm vom 26. März 1892 schrieb er, dass
mit dem «Michel» der «österreichisch-deutsche gemeint» sei «und zwar nicht Scherz.»65
Vielfach wurden diese Äusserungen als Konzession Bruckners an seine Interpreten und Freunde abgetan, von
denen er sich Aufführungen seiner Sinfonie erhoffte.66 Constantin Floros widerspricht dieser Ansicht in
mehreren Publikationen jedoch vehement und geht davon aus, dass Bruckners Deutungsschlüssel als authen-
tisch angesehen werden muss und beim Wort zu nehmen ist.67 Für die Ecksätze und das Scherzo müsse davon
ausgegangen werden, dass aussermusikalische Faktoren einen grossen Einfluss auf die Komposition gehabt
hätten. Das «literarische Programm» könne keine nachträgliche Konstruktion sein, so Floros, da es von
Bruckner schon 1886, zum Zeitpunkt der Arbeit an der ersten Fassung gegenüber August Stradal geäussert
worden sei.68 Aus diesem Grund deutet er die Musik der Achten als Ausdruck dieses Programms: Das Scherzo
baue sich aus drei bildhaften «Elementarmotiven» auf, die das musikalisch-semantische Material für die Me-
lodielinien und thematischen Erscheinungsformern des Satzes lieferten («Weckruf»: Hrn, T. 1-2; «Schlaf-
motiv»: 1. Vl., T. 1-3; «Michel»-Thema: Vla. u. Vcl., T. 3-6).69 Bruckner zeichne ein Portrait des «deutschen
Michels», der schlummert, geweckt wird, «sich bei D (das ‹Michel›-Thema in den Trompeten, später in der
Kontrabasstuba) in seiner ganzen Grösse aufrichtet und als ‹Held› auftritt.»70 Der musikalische Verlauf ent-
spreche Bruckners Programm-Ausführungen sehr genau, wie Floros in seiner Gegenüberstellung von
Bruckner-Zitaten und Partitur darlegt: «In der 2. Abtheilung will der Kerl schlafen, und träumerisch findet er
sein Liedchen nicht; endlich klagend kehrt es selbes um.» Mit der «zweiten Abtheilung» sei nicht etwa das
Trio gemeint, sondern der Mittelteil des Scherzos ab Ziffer G. Dass der «Michel» in seiner Schlaftrunkenheit
64 Zit. nach Floros, Brahms und Bruckner, S. 183.65 Bruckner, Anton: Gesammelte Briefe. Neue Folge, hg. v. Max Auer, Regensburg 1924, S. 257. In Göllerichs Bruckner-Biographie finden
sich noch weitere Aussprüche Bruckners, deren Authentizität jedoch nicht überprüft werden kann: Göllerich/Auer, Bd. IV, Teil 3, S. 16f. u.S. 20.
66 Vgl. Kurth, Ernst: Bruckner, Berlin 1925 (Nachdruck: Hildesheim ‹etc.› 2000), Bd. 2, S. 1048, Anm. 1; Korte, Bruckner und Brahms, S.55ff.; Korstvedt, Anton Bruckner: Symphony No. 8, S. 52.
67 Floros, Brahms und Bruckner, S. 183f.; ders.: Thesen über Bruckner, S. 13f.68 Floros, Brahms und Bruckner, S. 184ff.
Vgl. Stradal, August: Eine Erinnerung an Anton Bruckner, in: Zeitschrift für Musik, Jg. 93 (1926), S. 505f. und ders.: Erinnerungen ausBruckners letzter Zeit, Zeitschrift für Musik, Jg. 99 (1932), S. 976f. Die Niederschrift von Stradals «Erinnerungen» erfolgte lange nachdem Zeitpunkt, an dem Bruckner diese Äusserungen gemacht haben soll. Es ist deshalb nicht auszuschliessen, dass Stradal dieProgramm-Schilderung mit «Totenuhr» und «Michel», die zum Zeitpunkt von Stradals Publikationen bereits zum festen Bestand vonTopoi der Bruckner-Exegese gehörte, auf die Vergangenheit zurückprojizierte. Dieser Umstand bildet wohl den stärksten(nichtmusikalischen) Einwand gegen die These von Floros, der für die Datierung von Bruckners «Programm» auf eine Zeit um 1886keine anderen Belege als Stradals Aussagen beibringen kann. Gegen eine frühe Datierung des «Programms» spricht auch, dass es denSchluss des Kopfsatzes als «Ergebung» bezeichnet, was mit dem strahlenden C-Dur-Schluss der ersten Fassung jedoch kaumzusammenpasst. Ausser einem Brief an seinen Kopisten Leopold Hofmeyr vom 11. November 1889 (Bruckner, Gesammelte Briefe. NeueFolge, S. 226), in dem Bruckner nach dem Stand seines «Micherl» fragte, gibt es lediglich anekdotische Hinweise aus zweiter Hand, vgl.dazu Floros, Brahms und Bruckner, S. 190. Dass die Bezeichnung «Mich[e]l» in der Partitur von 1887 zu finden sei, lässt sich wederanhand der Ausgabe von Haas (1939) noch aus derjenigen von Nowak (1972), da für beide Ausgaben (noch) kein kritischer Berichtepubliziert wurde und müsste somit anhand des Autographen überprüft werden, was im Rahmen dieser Arbeit nicht möglich war.
69 Floros, Brahms und Bruckner, S. 190, für die Erscheinungsformen der Motive und des «Michel»-Themas siehe Tafel XXVII u. XXVIII, S.214f.
70 Floros, Brahms und Bruckner, S. 193.
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sein «Liedchen nicht finde» lasse sich daraus ersehen, dass die Flöte zweimal vergeblich zum «Michel»-
Thema ansetze (T. 67ff. und T. 75ff.), während in den Violinen zuerst das Schlafmotiv in Umkehrung er-
scheine und dann in ein «tonmalersiches» Tremolomotiv übergehe (T. 65ff. und T. 73ff.), dessen semanti-
scher Gehalt sich am Motiv des Schlafzaubers aus Wagners «Rheingold» orientiere.71 Das Weckruf-Motiv
macht Floros an zwei wichtigen Stellen innerhalb des Scherzos aus, am Anfang (T. 1-2) und vor dem
Repriseneintritt (T. 123).72 Im Schluss des Scherzo-Teils weise Bruckners musikalische Semantik dem
«Michel» schliesslich die Attribute «gross, mächtig, stark» zu, die in seiner Vorstellungswelt auch mit den
Eigenschaften des kriegerischen Erzengels Michael korrespondiert haben sollen.73
«Der deutsche Michel träumt ins Land hinaus», soll Bruckner den semantischen Gehalt des Trios umrissen
haben, die letzten vier Takte am Schluss des Mittelteils (T. 49-52) stellten ein «Gebet des Michels»74 dar. Die
Authentizität dieser angeblich mündlich gemachten Kommentare Bruckners ist allerdings nicht erwiesen.
Dennoch identifiziert Floros im Trio drei Perioden, die Träger einer solchen Semantik sein könnten: die erste
von T. 1-16 (zwei mal 4+4 Takte), ein «Pizzicato-Choral», die zweite von T. 17-36 (16+4 Takte lang), ein
Steigerungszug, der sich ab C «ins Himmlisch-Ekstatische» eines wuchtigen Fortissimos hochschraube (T.
25-29), und die dritte bei D von T. 37-44 (acht Takte), wo auf E-Dur aufbauende, romantisch-klangmaleri-
sche Hornquinten und Harfenklänge die Stimmung eines «Traumbildes» heraufbeschwörten.75
Floros’ semantisierende Deutung, die sich auch auf die beiden Ecksätze der Sinfonie ausdehnt, stiess auf den
Widerspruch von Carl Dahlhaus.76 Dieser stimmte Floros zwar zu, dass Bruckner das Programm nicht nach-
träglich hinzugedichtet habe, sondern dass es bereits bei der Komposition vorhanden und für die thematische
Ausgestaltung ausschlaggebend gewesen sei. Er kritisierte jedoch Floros’ Versuch, aus den Programmskizzen
Bruckners eine zusammenhängende Erzählung zu rekonstruieren, da er auf der Prämisse beruhe, eine
programmatisch-semantische Deutung von Bruckners Musik sei immer dann angebracht, wenn «formgesetz-
liche» Erklärungen (scheinbar) versagten.77 Floros gehe davon aus, dass die «Substanz, die ein Werk von
innen zusammenhält», die «poetische Idee» sei und deshalb die «ästhetische Rechtfertigung einer Musik
[…], die sich einer ‹formgesetzlichen› Erklärung entzieht», im Programm zu suchen sei.78 Dies impliziere,
so Dahlhaus weiter, dass die Musik ein Programm illustriere und nicht das Programm die Musik und die
musikalisch-formale Konsistenz somit gegenüber dem Programm in den Hintergrund trete.79 Die von Floros
als semantisch definierten Stellen in der Achten Sinfonie schienen Dahlhaus allerdings durchaus Teile von
Bruckners «musikalischem Formprozess» zu sein, sodass ihre semantische Rechtfertigung überflüssig sei.
71 Floros, Brahms und Bruckner, S. 191f.72 Floros, Brahms und Bruckner, S. 192.73 Floros, Brahms und Bruckner, S. 193ff., insbes. Anm. 38 u. 44. Zur Geschichte des «Michel»-Mythos und der Verbindung der Symbolfigur
mit dem Erzengel siehe auch Brüstle, Anton Bruckner und die Nachwelt, S. 233f., Anm. 241 u. 242; Geck, Die Erstarrung idealistischerÄsthetik in der Sinfonik Bruckners, S. 400ff. sowie Szarota, Tomasz: Der deutsche Michel. Die Geschichte eines nationalen Symbols undAutostereotyps, Osnabrück 2000 (Klio in Polen, Bd. 3).
74 Gräflinger, Franz: Bruckners Achte Sinfonie, in: In Memoriam Anton Bruckner, hg. v. Karl Kobald, Zürich ‹etc.› 1924, S. 109.75 Floros, Brahms und Bruckner, S. 193f.76 Dahlhaus, Carl: Bruckner und die Programmusik. Zum Finale der Achten Symphonie, in: Anton Bruckner. Studien zu Werk und Wirkung,
hg. v. Christoph-Hellmut Mahling, Tutzing 1988, S. 7-32.77 Dahlhaus, Bruckner und die Programmusik, S. 10ff.78 Dahlhaus, Bruckner und die Programmusik, S. 14.79 Dahlhaus, Bruckner und die Programmusik, S. 14f.
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Bruckners Brief an Weingartner könne daher kaum als konsistentes, für die Öffentlichkeit bestimmtes
Programm gewertet werden.80
Unabhängig davon, ob in der Musik der Achten Sinfonie ein Programm nachweisbar ist oder nicht, war
bereits ihre Konnotation mit dem «Michel» Weise rezeptionswirksam, da die Figur von Bruckners Zeitgenos-
sen in einem bestimmten politischen und nationalistischen Referenzrahmen wahrgenommen wurde.81 Der
«Michel», auf das 16. Jahrhundert zurückgehend und ursprünglich den ungebildeten, einfältigen und
autoritätshörigen Deutschen symbolisierend, erlebte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine Blüte,
die bis zum I. Weltkrieg anhielt und ihn zum Sujet von Karikaturen, Liedern, Gedichten, Romanen, Dramen
etc. vornehmlich völkisch-nationalistischer Provenienz werden liess. In der Donaumonarchie wurde er
instrumentalisiert, um die Deutsch-Österreicher gegenüber dem «inneren Feind», den Slawen und Balkan-
völkern zu sensibilisieren und zur Wachsamkeit anzuhalten. Bruckner waren diese «Michel»-Konnotationen
bekannt – sowohl für den tumben wie für den nationalistischen «Michel» finden sich Hinweise in Bruckners
Programmskizze im Brief an Weingartner. 82
Jedenfalls konnte die Verbindung von «Michel» und Sinfonie von Bruckners Zeitgenossen als ideologisch-
weltanschauliche Positionierung des Komponisten verstanden werden.83 Die von Hanslick angeführten
Kritiker, die Bruckners Brief-Aussagen noch nicht kannten und sich auf Schalks Programm zur Uraufführung
bezogen, griffen diesen Umstand hauptsächlich im Kontext des Streites zwischen «absoluter» und «program-
matischer» Musikkonzeption auf, aber schon bald nach Bruckners Tod, als die Anekdotenliteratur über den
Komponisten ins Kraut zu schiessen begann, wurde vermehrt der nationalistische Aspekt der Symbolfigur in
den Vordergrund gerückt. Das Phänomen setzte sich fort in den zahlreichen Schriften über Bruckner, die
1924 einen ersten publizistischen Höhepunkt erreichten84, und kulminierte in bedenklicher Weise in Robert
Haas’ «Originalfassung» der Achten.85 Haas mass ihr aufgrund ihrer «inhaltliche[n] Bedeutung» eine «Son-
derstellung» in Bruckners Werk bei. Diese «inhaltliche Bedeutung» trat für ihn im Finale der Sinfonie
besonders deutlich zutage; er deutete es als «Verklärung» des «deutschen Michel-Mythos […], in den sich
Bruckner seit 1885 wundersam eingesponnen hatte.» Die «Deutung dieses Mythos erscheint mir in der
grossdeutschen Idee als geschichtlicher Geisteshaltung gegeben» so Haas weiter – ein knappes Jahr nach der
Annexion Österreichs und kurz nach der «Heimholung» der sudetendeutschen Teile der Tschechoslowakei.
Unter diesen Umständen erschien als «ein Zeichen der Vorsehung, dass die wiederhergestellte Partitur gerade
in diesem Jahr als Gruss der Ostmark erklingen kann.»86
Haas erachtete auch die Entstehungs- und Überarbeitungsgeschichte der Achten als ausserordentlich, da sie
unmittelbar auf die Interventionen Hermann Levis und Josef Schalks zurückzuführen sei, die «mit aller
Energie auf weitgehende Änderungen» gedrängt hätten. Er zeigte sich überzeugt, die 1890er-Version der
Achten sei von Bruckner unfreiwillig und in «titanische[m] Ringen mit der eigenen Schöpfung» verfertigt
80 Dahlhaus, Bruckner und die Programmusik, S. 16.81 Vgl. z.B. Hartung, Günter: Artikel «Völkische Ideologie», in: Handbuch zur «Völkischen Bewegung» 1871-1918, hg. v. Uwe Puschner, Walter Schmitz u.
Justus H. Ulbricht, München ‹etc.› 1996, S. 22-41.82 Brüstle, Bruckner und die Nachwelt, S. 233f.; Floros, Brahms und Bruckner, S. 194f.; Korstvedt, Anton Bruckner: Symphony No. 8, S. 52.83 Mit Bruckners weltanschaulicher Positionierung befasst sich Kapitel 3, insbes. Abschnitt 3.2.84 Vgl. beispielsweise Gräflinger, Franz: Bruckners Achte Sinfonie, in: In Memoriam Anton Bruckner, hg. v. Karl Kobald, Zürich ‹etc.› 1924,
S. 100f. u. 107ff.85 Bruckner, Anton: VIII. Symphonie c-moll (Originalfassung), Studienpartitur, vorgelegt v. Robert Haas, Leipzig 1939.86 Robert Haas: Einführung, in: Bruckner, Anton: VIII. Symphonie c-moll (Originalfassung), Leipzig 1939, S. 1.
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worden; in Bruckner habe ein «scharfer Endkampf um die zweite Fassung» getobt, da sie «abgenötigte
Kürzungen» und «Eingriffe in das Gefüge» bedingte. Aufgrund dieser dramatischen Umstände, die Bruckner
«zutiefst getroffen» und sogar zu «Selbstmordgrillen» getrieben hätten, sah Haas es nun als seine Aufgabe an,
durch eine «sorgfältige Sichtung und Überprüfung» des «Quellenvorrats» eine «klare Trennung und Aus-
scheidung des fremden Einflussbereichs» vorzunehmen, das «organisch Lebenswichtige» der Sinfonie wie-
derherzustellen und schliesslich eine «gereinigte Partitur» vorzulegen.87 Die «Ausscheidung des fremden
Einflussbereichs» und das «organisch Lebenswichtige» waren Wendungen, welche die Entstehungsgeschichte
der Achten mit einer semantischen Ebene versahen, die antisemitische Anspielungen und Assoziationen trans-
portiert: Levi war Jude und galt deshalb mindestens als «fremd» wenn nicht gar als Parasit, der sich ans
«organisch Lebenswichtige» gemacht hatte und nun «ausgeschieden» werden musste.88 In der eben zitierten
Rechtfertigung seiner «Originalfassung» der Achten verband Haas musikalisch-philologische Argumente mit
anekdotisch-biographischen Topoi und ideologischen Versatzstücken und implizierte damit, nicht nur Bruck-
ners kompositorischen «Willen» zu kennen und umzusetzen, sondern sozusagen auch dessen politische
Ansichten zu verkünden.
Haas begnügte sich nicht mit der philologischen «Rekonstruktion» des «Originals»89 und seiner ideolo-
gischen Ausdeutung, sondern er wollte auch den «Originalklang» wiederherstellen, indem er zahlreiche
Dynamik- und Tempobezeichnungen aus der Erstdruck-Version für seine «Originalfassung» eliminierte, da
sie «eine gewisse Verweichlichung und Verunklarung mit sich gebracht hatten», wie er Rudolf Eller zu Proto-
koll gab.90 Der «Michel» sollte kein «romantischer Träumer» sein, sondern «hart und trutzig, markig und
heldenhaft». Die dem grossdeutschen Michel-Mythos gebührende Härte und Unnachgiebigkeit fand ihren
Ausdruck in den durch die Ersetzungen der Spielanweisungen gesteigerten dynamischen Kontrasten, so
Brüstle.91 Mit dem «Originalklang» verbanden sich die Attribute «germanisch-nordisch» (Blechbläser),
«absolut religiös» (orgelmässig, zum Kultischen hin tendierend) und «naturhaft» (Bruckners Verbundenheit
mit der vielbeschworenen «heimischen Scholle»)92, die wiederum bestens in die «stählerne Romantik»
Goebbels’ passten.93 Ihre Uraufführung erlebte die «Ur-Achte»94 am ersten grossdeutschen Brucknerfest, das
vom 30. Juni bis 5. Juli 1939 in Linz und Wien stattfand, unter Wilhelm Furtwänglers Leitung.
Auf die Haassche Interpretation von der «inhaltlichen Bedeutung» der Achten bauten andere national-
sozialistische Musikschriftsteller auf, beispielsweise Karl Laux, der 1940 eine Bruckner-Biographie veröffent-
lichte und darin über die Achte und den «Michel» schrieb: «Der ‹deutsche Michel› und ‹Parsifal› sind
87 Alle Zitate: Haas, Einführung, S. 1.88 Brüstle, Bruckner und die Nachwelt, S. 228f. Dies galt im Übrigen auch für Ferdinand Löwe, einen weiteren Bruckner-Freund, welcher der
«Verfälschung» von Bruckners Sinfonien in den Erstdruckfassungen bezichtigt wurde. In ähnlichem Ton hatte sich bereits RichardWagner in seinem «Judentum in der Musik» (Wagner, Richard: Gesammelte Schriften und Dichtungen [RWGS], 2. Auflage, Leipzig1887/88, Bd. V, S. 66-85) ausgedrückt.
89 Haas’ Vorgehen und sein «Quellenvorrat» werden in Brüstle, Bruckner und die Nachwelt, S. 229-233 u. S. 235, Anm. 244 sowie dies.:Politisch-ideologische Implikationen der Bruckner-Gesamtausgabe, S. 197-201 beschrieben. Vgl. auch Korstvedt, Benjamin M.: «Returnto the pure sources»: the ideology and text-critical legacy of the first Bruckner Gesamtausgabe, in: Bruckner Studies, hg. v. Timothy L.Jackson u. Paul Hawkshaw, Cambridge ‹etc.› 1997, S. 91-109.
90 Eller, Rudolf: Das erste grossdeutsche Brucknerfest, in: Deutsche Musikkultur, Jg. 4 (1939/40), Heft 2 (Juni/Juli 1939), S. 100.91 Brüstle, Bruckner und die Nachwelt, S. 235f.92 Vgl. Brüstle, Bruckner und die Nachwelt, S. 224-227.93 Der Begriff stammt aus einer Goebbels-Rede vom 15.11.1933 an der Reichskulturkammer-Eröffnung: Goebbels, Joseph: Reden, Bd. 1:
1932-1939, hg. v. Helmut Heiber, Düsseldorf 1971, S. 137.94 Eller, Rudolf: Das erste grossdeutsche Brucknerfest, in: Deutsche Musikkultur, Jg. 4 (1939/40), Heft 2 (Juni/Juli 1939), S. 98.
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miteinander zu identifizieren. Der deutsche heldische Mensch tritt uns strahlend aus den Tönen dieser
Sinfonie entgegen […] Im einzelnen könnte man sagen, dass uns im ersten Satz der deutsche Mensch im
Kampf, im zweiten Satz der deutsche Mensch in der Natur, im dritten Satz der deutsche Mensch in der
mystischen Zwiesprache mit Gott und im letzten Satz der deutsche Mensch als Sieger entgegentritt.»95
95 Laux, Karl: Anton Bruckner. Leben und Werk, Leipzig 1940, S. 78, zitiert nach Brüstle, Bruckner und die Nachwelt, S. 234f.
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3 Der historische Rahmen: Bruckner-Rezeption vor 1933Spätestens seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert galt die (sinfonische) Musik im deutschen Sprachraum
– insbesondere aber in Wien – als die bedeutendste Kunst. Sie wirkte identitätsstiftend und bildete bis zu
einem gewissen Grad die geistig-kulturellen Zustände in Deutschland und im Habsburgerreich mit ihren sich
zuwiderlaufenden sozialen und weltanschaulichen Strömungen ab.
Für die Rezeption Bruckners zu seinen Lebzeiten und nach seinem Tod bis zu den 30er Jahren waren zwei
Hauptfaktoren dieser weit gefassten Musikwahrnehmung prägend: Auf musikalisch-ästhetischer Ebene wurde
sie vom Parteienstreit zwischen Konservativen (Brahmsianern) und Neudeutschen (Wagnerianern) bestimmt;
Bruckners Sinfonien zeichneten sich durch epische Grösse, Monumentalität, expressive Leidenschaft und
harmonische Komplexität aus, was sie in einen wagnerischen Zusammenhang stellte und in Opposition zum
traditionell-konservativen Stilkanon brachte. Auf politisch-sozialer Ebene wurde sie vom Kampf der rück-
wärtsgewandten, deutschnational-völkischen und antidemokratischen Kreise Deutschlands und Österreichs
geprägt, die gegen das moderne, weltoffene und «juden-liberale» Bürgertum agitierten. Sowohl Bruckner
selber als auch seine Anhänger und Gegner wurden von den Entwicklungen auf diesen Ebenen geprägt, und
beide Ebenen überschnitten sich wesentlich.
Am deutlichsten sichtbar wird diese Überschneidung der Ebenen an Richard Wagner und seiner umfassen-
den, auf sozialrevolutionär-antikapitalistische, nationalistische, christlich-religiöse und antisemitische Ele-
mente abgestützten Ästhetik, die für die Bruckner-Rezeption von entscheidender Wichtigkeit waren: Wagners
Musikästhetik wurde einerseits auf Bruckners Sinfonien angewendet und diese damit in den Dunstkreis der
Neudeutschen Schule gerückt, andererseits wurden Bruckners Person und seine Weltanschauung vor der
Folie des Wagnerschen Denkens gesehen. Dies war bereits dadurch gegeben, dass Bruckner Wagner und
seine Musik bewunderte und verehrte und wurde ergänzt durch die Tatsache, dass es die Wagner-Verfechter
waren, die auch Bruckner propagierten sowie den Kreis seiner Freunde und Gönner bildeten. Derselbe Kreis
von Personen, insbesondere die von liberalistisch-bürgerlichem Rationalismus entfremdete Jugend96 aber
auch Organisationen und Institutionen, wiesen auf politischer Ebene grosse Berührungsflächen mit dem
Lager der völkisch-nationalistischen Konservativen auf, was Bruckner in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit
positionierte.
Ob diese Positionierungen bei Neudeutschen und Deutschnationalen zu Recht geschahen, vereinnahmender
Natur waren oder eine Mischung aus beidem darstellten, soll in den folgenden Abschnitten untersucht
werden. Zuerst soll Bruckners musikalisch-ästhetische Einordnung unter das Etikett der Neudeutschen –
wiederum mit Bezug auf die Achte Sinfonie und die mit ihr verbundenen «Programm»-Äusserungen Bruck-
ners – hinterfragt werden (3.1), danach seine politisch-weltanschauliche Gesinnung (3.2.1) bzw. das, was
dafür ausgegeben wurde (3.2.2). In diesem Zusammenhang muss auch das Phänomen der «Heldenver-
ehrung» angesprochen werden, die einerseits an den beiden erstgenannten Punkten anschloss, andererseits
von unzähligen Anekdoten und Histörchen gespiesen wurde und in mannigfaltigen Stilisierungen Bruckners
mündete (3.3).
96 Vgl. auch Korstvedt, Anton Bruckner: Symphony No. 8, S. 65.
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3.1 Bruckner im Umfeld Wagners und der Neudeutschen Schule
Der Begriff der Neudeutschen Schule wurde 1859 von Franz Brendel, dem Herausgeber der «Neuen Zeit-
schrift für Musik», als Bezeichnung der musikalisch-politischen Partei um Wagner, Liszt und Berlioz in die
Welt gesetzt97 und stand in scharfem Gegensatz zur Ästhetik der Konservativen um Brahms, deren Standpunkte
in Hanslicks Schrift «Vom musikalisch Schönen»98 ausformuliert waren. Wagners «Zukunftsmusik» und Liszts
«Fortschrittsbewegung», die unter Brendels Begriffsschöpfung zusammengefasst wurden, fehlte hingegen eine
einheitliche Doktrin oder ein gemeinsames Programm. Wagner, dessen Zürcher Kunstschriften den ästhe-
tisch-philosophischen Hauptbeitrag an die Neudeutschen Schule bildeten, wandte sich um 1860 von der
Diskussion ab, genauso wie Liszt, der sich aus Weimar verabschiedete – der «Schule», so sie denn überhaupt
jemals eine war, kamen die Köpfe abhanden, während Wien schon alleine durch die Anwesenheit von
Hanslick und Brahms als konservative Hochburg galt. Vor diesem Hintergrund kam Bruckner Ende der
1860er Jahre nach Wien, und hier «entfaltete das neudeutsche Gedankengut […] eine besondere gruppen-
spezifische Dynamik, in die sozialpsychologische und politisch-nationale Momente miteinflossen: Hier ging es
nicht nur um das ‹Neue› oder ‹Junge› gegen das ‹Alte›, sondern natürlich auch um das Problemfeld
‹deutscher Musik› auf dem Boden des Habsburgerreiches.»99
Bruckner selber beteiligte sich nicht direkt an den ästhetisch-ideologischen Auseinandersetzungen und nahm
den «Zeitgeist» seiner Epoche, der stark vom Gedankengut Schopenhauers und Nietzsches geprägt war,
lediglich indirekt und womöglich unbewusst, quasi durch Wagners Musik vermittelt, wahr. Dahlhaus zufolge
habe Bruckner jedoch durch sein «Denken in Musik» an den fundamentalen Ideen der Kompositionsästhetik
des 19. Jahrhunderts partizipiert; eine direkte, literarische Rezeption sei durch eine tiefgreifend-musikalische
ersetzt worden.100 Seinen Geschmack an der Musik Wagners und der Neudeutschen prägten massgeblich
seine Linzer Kompositionslehrer Otto Kitzler (von 1861-63) und Ignaz Dorn (von 1863-65). Durch
ausgiebige Partiturstudien unter ihrer Anleitung sowie zahlreiche Opern- und Konzertbesuche eignete sich
Bruckner seine Kenntnis der Werke Wagners an.101
Trotz diesem intensiven Kontakt mit der Musik der Neudeutschen und entgegen Wagners Überzeugung, seit
Beethovens «Neunter», die den Schritt weg von der herkömmlichen «absoluten» Musik hin zum von ihm in
seinen Kunstschriften definierten «Musikdrama» markiert habe, sei die Sinfonie überwunden102, benützte
Bruckner diese nun gänzlich «unmodern» gewordene Gattung weiter. Vermutlich war ihm dieser Gegensatz
bewusst – jedenfalls äusserte er sich nicht nur über die Achte programmatisch103 und hinderte auch seine
Freunde nicht an der Ausdeutung seiner Sinfonien, obwohl er vielleicht nicht bis ins letzte Detail mit ihren
literarischen Leistungen einverstanden war, wie seine Reaktion auf Schalks Ausführungen zur Achten
97 Brendel, Franz: Zur Anbahnung einer Verständigung. Vortrag zur Eröffnung der Tonkünstlerversammlung, in: Neue Zeitschrift für Musik,
25. Jg. (1859), Nr. 50, S. 265-273.98 Hanslick, Eduard: Vom Musikalisch-Schönen. Ein Beitrag zur Revision der Ästhetik der Tonkunst, Leipzig 1854 (Nachdruck: Darmstadt
1976).99 Winkler, Anton Bruckner und die Neudeutsche Schule, S. 190; vgl. Korstvedt, Anton Bruckner: Symphony No. 8, S. 3-6.100 Dahlhaus, Bruckner und die Programmusik, S. 29f.101 Vgl. Wessely, Bruckner, Wagner und die Neudeutschen in Linz, S. 27ff.102 Vgl. Dahlhaus, Carl: Die Idee der absoluten Musik, in: Gesammelte Schriften in 10 Bänden, Bd. 4, hg. v. Hermann Danuser, Laaber 2002,
insbes. S. 24-31.103 Überliefert sind ähnliche Programmäusserungen auch zur Vierten, vgl. Floros, Brahms und Bruckner, S. 171-174.
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belegt.104 Mit diesen vermutlich nachträglich hinzugefügten «Programmen» zu seinen Sinfonien begab sich
Bruckner jedenfalls genau in jenen Limbo unglücklicher musikalisch-literarischer Kompromisse, vor dem
Wagner in seiner Schrift «Über die Anwendung der Musik auf das Drama» gewarnt hatte:105 Weder erreichten
sie die konzeptionelle Konsistenz der wagnerschen «Gesamtkunstwerke», noch die literarisch vorgeformte
Ausprägung Lisztscher Tondichtungen, die sich als Fortspinnung, Interpretation und Kommentar der
literarischen Vorlagen verstanden.106 Winkler argumentiert zwar am Beispiel der «Lenoren»-Sinfonie Joachim
Raffs, dass auch bei den neudeutschen Nachfolgern Liszts ein Programm nicht zwingend seine je eigene Form
hervorbringen musste, sondern auch in traditionellen Formen zum Ausdruck gelangen konnte und dass sich
Programm und innermusikalische Plausibilität nicht gegenseitig ausschliessen mussten, sondern sich im
Sinne einer «doppelten Optik» ergänzen konnten.107 Im Falle von Bruckners lückenhafter, aus unzusammen-
hängenden thematischen Feldern zusammengesetzter Programmskizze zur Achten im Brief an Weingartner ist
dies allerdings nicht gegeben – es hat am ehesten den Charakter einer nachträglichen, privaten Mitteilung –
und Schalks Programm wurde weder von Bruckners Freunden noch von seinen Gegnern als authentisches
Zeugnis des Komponisten angenommen.108 Bezogen auf das charakteristischste Merkmahl der Neudeutschen,
die Programmatik, konnte Bruckner also nicht gut ins Schema dieser «Schule» eingepasst oder als richtiger
Wagnerianer aufgefasst werden, ebenso wenig, wie die Achte als neudeutsche Programmsinfonie gelten kann.
Dass er in der Beurteilung seiner Zeitgenossen dennoch diesem Kreis zugehörig angesehen wurde, hängt
einerseits mit den in der Kapiteleinleitung bereits erwähnten Verquickungen von Musik, Ästhetik und Politik
zusammen, andererseits gab es dafür auch sozusagen «innermusikalische» Gründe. Was Bruckner neuartig
und wagnerisch erscheinen liess, waren die Konzeption und Dimension seiner sinfonischen Formen, die
chromatisch-expressive, von mediantischen Rückungen durchsetzte Harmonik, Klangeffekte und Instru-
mentierung, Anklänge an Themen und Stimmungen aus Wagners Opern sowie die alles überwältigende
«mentale Disposition» der Musik.109
Wiederum war es Hanslick, der scharfzüngig darauf hinwies. Gleich zu Beginn seiner Rezension bezeichnete
er die Achte als «ur- und neudeutsche» Sinfonie, deren «Eigenart» in der «Übertragung von Wagners drama-
tischem Stil auf die Symphonie»bestehe. Bruckner verfalle «alle Augenblicke in spezifisch Wagnersche
Wendungen, Effekte und Reminiszenzen – er scheint sogar gewisse Wagnersche Stücke als Vorbild für seinen
symphonischen Aufbau vor Augen zu haben.»110 Namentlich das Vorspiel zu «Tristan und Isolde» sowie die
«Tannhäuser»-Ouvertüre werden von Hanslick als Inspirationsquellen Bruckners identifiziert, aber auch
Orchestereffekte «wie das Tremolo der geteilten Violinen in höchster Lage, Harfen-Arpeggien über dumpfen
Posaunen-Akkorden, dazu noch die neueste Errungenschaft der Siegfried-Tuben» habe Bruckner von Wagner
übernommen.111 Hanslick wirft Bruckner in der Folge einen «unübersichtlich[en], ordnungslos[en] […]
konfusen Aufbau» und «Unnatürlichkeit des Ausdrucks» vor, beides Dinge, die er hauptsächlich an Wagners
104 Vgl. Leibnitz, Die Brüder Schalk und Anton Bruckner, S. 231 sowie Brüstle, Bruckner und die Nachwelt, S. 18.105 Wagner, Richard: Über die Anwendung der Musik auf das Drama, in: RWGS, Bd. X, S. insbes. 180f., 185 u. 193.106 Siehe auch Dahlhaus, Bruckner und die Programmusik, S. 19 sowie Floros, Thesen über Bruckner, S. 14.107 Winkler, Anton Bruckner und die Neudeutsche Schule, S. 192ff.108 Vgl. Dahlhaus, Bruckner und die Programmusik, S. 32 sowie Korstvedt, Anton Bruckner: Symphony No. 8, S. 50.109 Leibnitz, Anton Bruckner: «Deutscher» oder Österreicher»?, S. 471.110 Hanslick, Anton Bruckner – Achte Symphonie in c-Moll, in: Hanslick, Eduard: Aus dem Tagebuch eines Rezensenten, S. 59.111 Hanslick, Anton Bruckner – Achte Symphonie in c-Moll, in: Hanslick, Eduard: Aus dem Tagebuch eines Rezensenten, S. 59.
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Musikdramen zu kritisieren pflegte.112 Kern von Hanslicks Kritik an Bruckner war wohl der Vorwurf, Wagners
musikdramatischen Stil, «der nur als illustrierendes Mittel für bestimmte dramatische Situationen relative
Berechtigung hat», auf die Sinfonie übertragen zu haben, die aber ebenso wie die Kammermusik von diesem
Stil «reingehalten» werden sollte.113
Bruckners allgemeine Identifizierung mit dem Wagner-Lager ging so weit, dass er bereits kurz nach seinem
Tod kaum mehr als autonom komponierender Zeitgenosse Wagners, sondern als «Figur Wagners», als
musikalische «Folgeerscheinung» wahrgenommen wurde.114 Einer der Hauptgründe dafür ist wohl in der
Zusammensetzung der «Bruckner-Gemeinde» zu suchen, «welche bekanntlich aus den Wagnerianern und
einigen Hinzukömmlingen besteht, denen Wagner schon zu einfach und selbstverständlich ist», wie Hanslick
bissig kommentierte.115 Aus dieser Situation heraus entwickelte sich eine rezeptionsgeschichtliche
Dichotomie: Einerseits waren Bruckner-Verfechter wie Ernst Kurth116, Max Auer117, Rudolf Louis118 oder
August Halm119 darum bemüht, die Musik Bruckners gegen den Vorwurf der Abhängigkeit von Wagner zu
verteidigen, andererseits blieb Wagner unbestritten die Denken und musikalisch-ästhetisches Empfinden
bestimmende Figur in der Bruckner-Rezeption – auch bei den eben genannten Autoren.
Um dem Konfliktfeld von «absoluter Musik» und «Programmusik» sowie der Tatsache, dass Bruckners
Musik weder dem einen noch dem anderen Pol zugeordnet werden konnte, auszuweichen, wurde es in den
10er und 20er Jahren einerseits opportun, die Brucknerauffassung zu nationalisieren und ihn als «öster-
reichischen Sinfoniker» zu propagieren oder das spezifisch «Deutsche» an ihm zu betonen. Überdies
machten sich verschiedene Strömungen der Bruckner-Exegese daran, ihn in wahlweise katholischer, völki-
scher oder anthroposophischer Weise zu mystifizieren und seine Musik pauschal als Medium zum Ausdruck
des menschlichen Wollens, Leidens und Empfindens zu verklären.120
3.2 Gesinnungsfragen: Bruckner und die Deutschnationalen
Wenn Matthias Hansen feststellt, Bruckners Vereinnahmung durch die Nationalsozialisten sei der Endpunkt
einer stetig sich steigernden Entwicklung, die bereits zu Lebzeiten Bruckners mit dessen Vereinnahmung
durch deutschnationale Kreise begonnen und mit der Niederlage des Deutschen Reiches und dem Untergang
112 Neben diesen Charakteristika, die Bruckner mit Wagner verbanden, ortet Floros in der Technik, musikalische Zusammenhänge durch die
Verklammerung von Themen und Motiven sowie Reminiszenzen und Zitate über die Grenzen einzelner Sätze hinaus herzustellen, starkeVerbindungen zu Liszt und Berlioz, von dem auch die Idee «eines Chorals, der pizzicato begleitet wird» herstamme. Siehe Floros, Brahmsund Bruckner, S. 159ff.
113 Hanslick, Anton Bruckner – Achte Symphonie in c-Moll, in: Hanslick, Eduard: Aus dem Tagebuch eines Rezensenten, S. 59f.114 Brüstle, Anton Bruckner und die Nachwelt, S. 23f.115 Hanslick, Anton Bruckner – Achte Symphonie in c-Moll, in: Hanslick, Eduard: Aus dem Tagebuch eines Rezensenten, S. 61.116 Kurth, Ernst: Bruckner (2 Bände), Berlin 1925 (Nachdruck: Hildesheim ‹etc.› 2000).117 Auer, Max: Anton Bruckner. Sein Leben und Werk. Mit 309 Notenbeispielen und 31 Abbildungen, Wien 1934 (orig.: Zürich ‹etc.› 1923)
sowie zahlreiche weitere Publikationen.118 Louis, Rudolf, Anton Bruckner, München 1905.119 August Halm: Die Symphonie Anton Bruckners, [zweite Auflage], München 1914.120 Brüstle, Anton Bruckner und die Nachwelt, S. 24 u. 40 sowie Pumpe, Jutta: Erkenntnisse – Verkenntnisse. Zwei Beispiele der
Brucknerrezeption, in: Ulm, Renate (hg.): Die Symphonien Bruckners. Entstehung, Deutung, Wirkung, München ‹etc.› 1998, S. 233-243.Die Idee, dass Musik den tiefsten Ausdruck des allgemein-menschlichen Fühlens und Strebens geben könne, geht ebenfalls auf diewesentlich von Schopenhauer geprägte Ästhetik Wagners zurück.
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der Donau-Monarchie im I. Weltkrieg stark an Bedeutung für breite Schichten gewonnen habe121, drängt sich
die Frage auf, wie Bruckner zum Etikett des Deutschnationalen kam und womit es begründet wurde: Äusserte
sich Bruckner selber dahingehend und gibt es allenfalls diesbezügliche Verbindungen zur Musik Bruckners?
Oder war er der gänzlich der Welt enthobene Komponist, der apolitisch und fern jeglicher philosophischer
Fragen sein gottesfürchtiges Leben führte, wie es in der Bruckner-Literatur so oft kolportiert wurde? War es
diese Weltabgeschiedenheit, die Bruckner zur idealen Projektionsfläche für Ideologien machte und ihn zum
«Aushängeschild» der Gesinnung seiner Freunde und Verehrer werden liess?
Zur Klärung dieser Fragen soll in Abschnitt 3.2.1 versucht werden, ein grobes Profil von Bruckners eigener
Gesinnung und dem damit zusammenhängenden politischen Denken und gesellschaftlichen Handeln zu
gewinnen. Da für dieses Vorhaben nur wenige direkte Quellen Bruckners (v.a. seine Äusserungen in Briefen)
vorliegen und zur Hauptsache indirekte Hinweise Aufschluss geben müssen, scheint es notwendig, diese aus
kritischer Distanz zu beleuchten und ihre Bedingtheit aus dem politisch-historischen und gesellschaftlichen
Kontext zu beurteilen. Diese Würdigung soll in Abschnitt 3.2.2 vorgenommen werden.
Zunächst soll allerdings kurz der Hintergrund des deutschnationalen Denkens in Österreich resümiert
werden, vor dem sich Bruckners Gesinnung entwickelte und seine Vereinnahmung abspielte. Die deutsch-
nationalen Klischees, mit denen Bruckner schon zu seinen Lebzeiten verbunden wurde, waren aus den
Äusserungen vermittelt, die in der Entstehung des Nationalismus anfangs des 19. Jahrhunderts wurzelten und
im Laufe der 1850er und 60er Jahre immer stärkere Verbreitung fanden. Insbesondere der Untergang des
Deutschen Bundes nach dem preussisch-österreichischen Krieg 1866 verstärkte bei Teilen der deutschspra-
chigen Bevölkerung Österreichs, die trotz ihres Herrschaftsanspruchs im Habsburgerreich eine Minderheit
darstellte, das Gefühl der politischen und kulturellen Isolation, das mit der Sehnsucht nach völkischer Einheit
aller Deutschen Hand in Hand ging. Die Gründung des Deutschen Reiches anfangs 1871 und die Autonomie-
bestrebungen auf dem Balkan sowie in den tschechischen Gebieten, die den Fortbestand des Reiches gefähr-
deten, schaukelten die Emotionen weiter hoch. Die Schwächung der Monarchie durch das Aufstreben von
Liberalismus und Bürgertum bei gleichzeitigem Einflussverlust der stets obrigkeitlich-konservativ orientierten
katholischen Kirche akzentuierte diese kritische Situation zusätzlich.
Viele Österreicher sympathisierten aufgrund dieser Konstellation mit der Idee, ihre Position durch «die Stär-
kung des deutschen Elements in Österreich durch die wirklichen Deutschen in einer Art Anschluss Öster-
reichs an Deutschland»122 festigen zu können. Diese Anschluss-Hoffnungen wurden durch das 1879 geschlos-
sene Bündnis zwischen Österreich und dem Deutschen Reich bestärkt und von Politikern wie Georg Ritter
von Schönerer, Gründer des Deutschnationalen Vereins und der Deutschen Volkspartei nach Kräften
gefördert.123 Ab etwa 1880 war das deutschnationale Denken zum festen Bestandteil der politischen Dis-
kussion geworden, sodass sogar Victor Adler, Chef der österreichischen Sozialdemokraten festhielt: «Vom
Staate Österreich spreche ich nur als von der uns gegenwärtig aufgedrängten oder existierenden unabweis-
lichen Form, in der wir eben leben müssen; aber das, was unsere wirkliche Empfindung ist, das ist das
121 Hansen, Mathias: Die faschistische Bruckner-Rezeption und ihre Quellen, S. 53ff.122 Wagner, Anton Bruckner: sein Werk – sein Leben, S. 123.123 Hartung, Völkische Ideologie, S. 29ff. Vgl. auch Grossmann-Vendrey, Susanna: Bayreuth und Österreich, in: Bericht zum Bruckner-
Symposion 1984 («Bruckner, Wagner und die Neudeutschen in Österreich»), hg. v. Othmar Wessely, Linz 1986, S. 104f.
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Schicksal des deutschen Volkes.»124 Die Anschluss-Forderung war für einen grossen Teil der Bevölkerung
zum Allgemeingut geworden.
3.2.1 Bruckners eigene Gesinnungsäusserungen
In der Bruckner-Literatur herrscht bis heute das Bild vom apolitischen, an den Problemen seiner Zeit kaum
interessierten Komponisten vor, das nur selten expliziten Widerspruch fand.125 Vor allem in der amerikani-
schen Bruckner-Forschung ist diese Sicht mit der Tendenz verbunden, Bruckners «Deutschnationalisierung»
vor allem als Ergebnis von Goebbels’ Walhalla-Rede zu sehen126, wohingegen sie im deutschsprachigen Raum
als kontinuierlicher Prozess aufgefasst und stark mit dem wagnerisch geprägten Umfeld Bruckners ver-
bunden wird.127 Letztere Sichtweise darf aufgrund der zahlreichen Indizien, die sie stützen, als zutreffend und
auch hinlänglich gesichert angenommen werden, in diesem Abschnitt wird jedoch zu zeigen sein, dass sie
hinsichtlich ihrer Prämisse, der angeblich apolitischen Haltung Bruckners und seiner geistigen Weltabge-
schiedenheit, ergänzungsbedürftig ist.
Die Lektüre seiner Briefe und persönlichen Notizen legt nahe, dass Bruckner zielstrebig und mit einiger Hart-
näckigkeit seine – freilich meist persönlich oder beruflich motivierten – Ziele verfolgte und zu diesem Zweck
nicht nur seine Bekannten und Freunde sowie deren weitverzweigtes Kontaktnetz in berechnender Weise
benützte, sondern auch seine (teilweise überaus prominenten) Gönner regelrecht instrumentalisierte.128 Und
sie zeigt auf, dass Bruckner nicht lediglich als schicksalsergebener Spielball der Ideologien seiner Freunde
und Förderer gesehen werden sollte; er scheint durchaus eine eigene Meinung und gewisse politische
Präferenzen gehabt zu haben, die sich – wenigstens ein Stück weit – in seinen Briefen und privaten Notizen
abzeichnen. Diesbezügliche Hinweise finden sich direkt in Äusserungen in den Briefen, aber auch die Wahl
seiner Freunde und Briefpartner, seine Aktivitäten in Männerchören oder Hinweise auf seine Presse-Lektüre
liefern dafür gewisse Indizien, wie einige Beispiele im Folgenden belegen sollen.
Entgegen der verbreiteten Meinung, Bruckner sei die deutschnationale Gesinnung lediglich von seinen
Schülern und Freunden als Etikett aufgedrückt worden, lässt sich feststellen, dass Bruckner sehr wohl
gewisse Sympathien für die Deutschnationalen hegte, wenigstens teilweise ihren Sprachgebrauch übernahm
124 Zitiert nach Wagner, Anton Bruckner: sein Werk – sein Leben, S. 124. Adler gehörte zusammen mit Schönerer zu den Verfassern des
«Linzer Programms» von 1882, in dem die radikal-deutschnationalen Kräfte den Anschluss Österreichs ans Deutsche Reich erwogen.125 Vgl. beispielsweise Wagner, Anton Bruckner: sein Werk – sein Leben, S. 125: Bruckner habe sich nur dann für Politik und Geschichte
interessiert, «wenn sie für ihn von Nutzen oder Vorteil waren». Dagegen Floros, Brahms und Bruckner, S. 195: Bruckner habe «an denpolitischen Ereignissen» seiner Zeit «lebhaften Anteil» genommen und man könne «nicht leugnen», dass er «patriotische Gefühlehegte» wofür seine «Vorliebe für die Vertonung patriotischer Texte» genügend Beweise liefere.
126 Wagner, Anton Bruckner: sein Werk – sein Leben, S. 125.127 Vgl. z.B. Hansen, Die faschistische Bruckner-Rezeption und ihre Quellen, S. 53f.; Wagner, Response to Bryan Gilliam Regarding Bruckner
and National Socialism, S. 118f.; ders.: Anton Bruckner: sein Werk – sein Leben, S. 121; Brüstle, Anton Bruckner und die Nachwelt, S. 60f.128 In seinen Schreiben erscheint Bruckner als recht selbstbewusst kalkulierender Verfechter seiner beruflichen und musikalischen Anliegen,
für die er beispielsweise seine (oftmals aufgebauschte) Nähe zu Wagner und Liszt einsetzte und Legendenbildung sowie Heldenverehrung(z.B. die Vergleiche mit Beethoven oder die drastischen Schilderungen der Hanslick-Feindschaft) beförderte. Diese These hier detailliertauszuführen, würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Stellvertretend seien jedoch einige dafür sprechende Briefe genannt (Briefewerden im Folgenden mit dem Kürzel der Briefausgabe, dem Datum (JJMMTT) und der Seitenzahl nachgewiesen, beispielsweise als ABB1631008/37): ABB1 680308/80, 680329/29, 740418/146f., 740622/149, 740715/151, 850707/1/270, 860325/1/294, 860429/1, 860429/2,860709/306, 861116/313, ABGBNF 911031/251. Vgl. zudem Maier, «Sechzigjährige Eiche» und «Musikalischer Ätna», S. 423-439, insbes.S. 425ff.
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und damit die Grundlage für seine weitergehende Vereinnahmung bereitstellte. Am deutlichsten ersichtlich
werden solche Tendenzen vor allem an gelegentlichen Formulierungen in Briefen an Freunde und Bekannte.
Seinen langjährigen Linzer Gefährten Rudolf Weinwurm nannte er in einem Brief seinen «lieben echt
Deutschen Freund»129, ebenso Felix Mottl, der bei Bruckner studiert hatte und nachher als Dirigent dessen
Sinfonien propagierte: «Du bist eben ein wahrer, echt deutscher grosser Künstler!»130 Bruckners «lieber
Mottl» war es auch, der am «allg. deutschen Musikfeste in Karlsruhe am 30. Mai mein Adagio aus der 7.
Sinfonie» aufführen und ihm «diess mit Seinem deutschen Ehrenworte» zusagen sollte.131 An den Berliner
Dirigenten Wilhelm Tappert schrieb er über im Zusammenhang mit einer erhofften Aufführung der Vierten
Sinfonie, sein «höchster Stolz wäre es, […] diess Werk, worüber sich competente Persönlichkeiten zu
schmeichelhaft aussprachen, in der Residenz unseres grossen Vaterlandes aufgeführt zu wissen.»132 An
gleicher Stelle erwähnte Bruckner übrigens Richard Wagner als eine dieser «competenten» Persönlichkeiten
namentlich, nicht ohne dessen «wahrhaft deutsche Herzlichkeit» zu rühmen. Und im Ärger über «Hanslick
und Consorten» befand er gegenüber Hans Paul Freiherr von Wolzogen, dass es «in Deutschland viel edlere
Menschen» gebe als in Wien.133 Solche Äusserungen mit deutschfreundlichem bis deutschnationalem
Unterton hinderten Bruckner jedoch nicht daran, auch Patriotismus für Österreich und speziell seine engere
Heimat Oberösterreich zum Ausdruck zu bringen und sich seinem Kaiser treu ergeben zu zeigen – vor allem,
wenn damit finanzielle Belange, Karrierechancen oder Aufführungsmöglichkeiten verbunden waren.134
Eine andere, weniger direkte, aber deswegen nicht unbedingt minder aussagekräftige Art des Gesinnungs-
ausdrucks kann in Bruckners engen Verbindungen zur Männerchor-Bewegung seiner Zeit gesehen werden.
Diese setzte nach 1800 in Deutschland ein und widerspiegelte den gesellschaftlichen Aufstieg des sich eman-
zipierenden Bürgertums und verband Geselligkeit mit dem «Kult vaterländischer Gefühle».135 In ihrem Kern
politisch, stand sie in Österreich für den Wunsch nach einer demokratischen und geeinten grossdeutschen
Nation, weshalb die Liedertafeln und Männergesangsvereine lange verboten waren. Der Wiener Männer-
gesang-Verein (1843 gegründet) und die Liedertafel «Frohsinn» in Linz (1845) gehörten zu den ersten
Männerchören und wurden nach dem Scheitern der Märzrevolution von 1848 starken Restriktionen unter-
worfen. Erst die Errichtung der konstitutionellen Monarchie 1861 brachte wieder eine Lockerung der Zen-
surbestimmungen und damit einen erneuten Aufschwung des Männerchor-Wesens.136
Bruckner stand in Linz und in Wien in engem Kontakt zur Männerchor-Bewegung. 1856 wurde er aus-
übendes Mitglied und Notenwart der Linzer Liedertafel «Frohsinn», zu deren Chormeister er 1860 gewählt
wurde. Neben dem «Frohsinn», war Bruckner auch dem Linzer Männergesang-Verein «Sängerbund» verbun-
den, der 1857 von Alois Weinwurm gegründet worden war. Der «Frohsinn» (und wohl auch der «Sänger-
129 Brief vom 8. Oktober 1863, in: Bruckner, Briefe, hg. v. Andrea Harrandt e.a., Bd. 1, S. 37.130 ABB1 811123/2/195.131 ABB1 850417/252; Hervorhebungen im Original.132 ABB1 760919/161f.; mit «Residenz» war Berlin, die deutsche Hauptstadt gemeint.133 ABB1 850620/268.134 Siehe z.B. ABB1 690526/106, 731109/143, 760726/160f., 860420/299, 860703/305; ABGB 910127/129ff.; ABGBNF 900301/229.135 Harrandt, Andrea: Art. «Chormusik», Abschn. «Weltliche Chormusik», in: Bruckner-Handbuch, S. 118f.136 Vgl. auch Lütteken, Laurenz: Unbehagen am Spätwerk. Zur Problematik von Bruckners «Helgoland», in: Musikästhetik und Analyse. hg.
v. Michael Märker u. Lothar Schmidt, Laaber 2002, S. 344f. sowie Nagler, Bruckners gründerzeitliche Monumentalsymphonie, S. 104,insbes. Anm. 28.
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bund») war ein Hort der Wagnerianer137 und zweifelsohne auch der Deutschnationalen, wie beispielsweise
ein Gratulationsschreiben einiger «Frohsinn»-Mitglieder an Bruckner belegt: «Hocherfreut, dass endlich die
elende Wiener Musikantenclique gezwungen wurde, Deine geniale Begabung in Folge Deiner grossartigen
Erfolge im deutschen Reiche anzuerkennen, senden Dir die herzlichsten Glückwünsche aus treu-deutschem
oberösterreichischen Herzen Deine alten Freunde».138 In Wien wirkte Bruckner mehrfach bei Aufführungen
des Wiener Männergesang-Vereins mit, bewarb sich 1880 (vergeblich) um die zweite Chormeisterstelle und
schrieb sein «Helgoland» für diesen Chor. Über seinen Freund Rudolf Weinwurm und später durch seine
eigene Tätigkeit an der Universität war er auch mit dem Wiener Akademischen Gesangverein verbandelt, für
den er auch einige Lieder schrieb.
Bruckners weltliche Chorstücke weisen drei thematische Schwerpunkte auf: Am besten vertreten sind
vaterländisch-deutschtümelnde Texte, dahinter folgen Natur- und Liebeslieder. Schon 1845, noch in St.
Florian, schrieb er «Das Lied vom deutschen Vaterland» (WAB 78, «Wohlauf, ihr Genossen, stimmt an»),
1850 der Wahlspruch für Männerchor «Des Höchsten Preis, des Vaterlandes Ruhm» (WAB 95/2), dem 1862
und 1866 zwei Vertonungen von «Der Abendhimmel» (WAB 55 bzw. 56) aus der Feder des romantisch-
patriotisch dichtenden Beamten und Eichendorff-Freundes Joseph Christian Zedlitz folgten. Für den Wett-
bewerb des Oberösterreichischen Sängerbundsfest komponierte Bruckner 1863 «Germanenzug» (WAB 70,
«Germanen durchschreiten des Urwaldes Nacht») auf einen Text von August Silberstein.139 Sein Freund
Weinwurm reichte einen ebenfalls von Silberstein gedichteten Chor namens «Deutsches Heerbannlied.
Germania» ein und gewann vor Bruckner. 1866 folgten Bruckners «Vaterländisches Weinlied» (WAB 91,
«Wer möchte nicht beim Rebensaft des Vaterlands gedenken?») und «Vaterlandslied» (WAB 92 «O könnt’ ich
dich beglücken»), beide wiederum auf Texte Silbersteins. 1892 schrieb er für den Wiener Akademischen
Gesangverein «Das deutsche Lied» (WAB 63), dem ein Jahr später die Chorballade «Helgoland» (WAB 71
«Hoch auf der Nordsee, am fernesten Rand») zum 50jährigen Bestehen des Vereins folgte. Der Text stammt
aus Silbersteins Gedichtband «Mein Herz in Liedern»140, in dem auch «Germanenzug» abgedruckt war, und
das Bruckner für ein «über alle Massen gelungenes, prachtvolles ausgezeichnetes Gedicht» hielt: «Welche
Freude ich und meine Freunde mit dem neu gebornen Germanenzug haben, können Sie sich nicht denken,
wenn gleich Ihre Fantasie noch so hoch und grossartig ist.»141
Die genannten Chorkompositionen sind einerseits Gelegenheitswerke, mit denen Bruckner seine Fähigkeit
beweisen wollte, «Texte ‹zeitgerecht› und ‹zeitgemäss› in Musik» setzen zu können und sich so für seine
Chormeister-Tätigkeiten zu empfehlen142, andererseits bestand eben jenes «Zeitgemässe» neben der musika-
lischen Faktur nicht unwesentlich in einer «aus divergierenden Elementen bestehende[n] patriotische[n]
137 Wagner war 1866 die Ehrenmitgliedschaft verliehen worden. Bruckner wurde diese Ehre drei Jahre später zuteil.138 ABB1 860118/284.139 August Silberstein war wie Wagner ein 48er Revolutionär, der in Dresden aufgrund seines politischen Engagements zweimal verhaftet,
nach Österreich abgeschoben und bis 1855 in Brünn eingesperrt wurde. Nach seiner Freilassung siedelte er sich als Journalist und Dichterin Wien an und war als glühender Wagnerianer aktiv. Vgl. Lebensaft, Elisabeth: Art. «Silberstein», in: Bruckner-Handbuch, S. 396f. sowieRinger, Alexander L.: «Germanenzug» bis «Helgoland». Zu Anton Bruckners Deutschtum, in: Bruckner-Probleme, hg. v. AlbrechtRiethmüller, Stuttgart 1999 (Beihefte zum Archiv für Musikwissenschaft, Bd. XLV), S. 28f.
140 Silberstein, August: Mein Herz in Liedern. Neue Lieder, Stuttgart 1868; den Text von «Germanenzug» hatte Silberstein für Brucknergedichtet, vgl. ABB1 630727/35f.
141 ABB1 630729/36.142 So Leopold Nowak im Vorwort zur Studienpartitur des Werks (Anton Bruckner: Sämtliche Werke, Bd. 22/7: Kantaten und Chorwerke:
Germanenzug, hg. v. Franz Burkhart, Rudolf H. Führer u. Leopold Nowak, Wien 1987, S. V).
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Stimmung», die sich als Mischung aus «brachialem Patriotismus» und pangermanischer Mythenbildung
präsentierte.143 Den Texten eignete deshalb ein wenigstens untergründiger politischer Gehalt, der im Falle von
«Helgoland» konkret durch die 1890 geschlossenen Verträge zwischen Deutschland und Grossbritannien zu
grosser Aktualität in deutschnationalen Kreisen auch in Österreich gelangte.144
Darauf, dass Bruckner politisch nicht gänzlich «bewusstlos» war, sondern mit dem deutschnationalen Ge-
danken sympathisierte und sich seine Überlegungen mit dem Geist von Texten wie denjenigen Silbersteins
wenigstens «berühren»145, lässt auch seine Presse-Lektüre (soweit sie anhand von Erwähnungen in Briefen
und den persönlichen Notizen Bruckners eruierbar ist) schliessen. Sie bestand vorwiegend aus Blättern, die
dem deutschnationalen Spektrum beigeordnet werden können, wobei die direkten Erwähnungen von
Zeitungen vorwiegend mit Rezensionen, Konzertberichten oder anderen Artikeln über Bruckner und seine
Musik zu tun haben. Bruckners «Leibblatt» in Wien scheint die «Deutsche Zeitung» gewesen zu sein, die
1871 gegründet wurde und bis Ende der 80er Jahre ein hohes kulturelles Niveau aufwies, wobei dem Blatt
ein pangermanischer Zug anhaftete. Einige Besitzerwechsel führten zu einem Abdriften in deutschnationale
und antisemitische Fahrwasser, wo sie ab 1892, nach ihrer Übernahme durch den Verleger des «Deutschen
Volksblattes» zum Sprachrohr der Christlichsozialen Partei um den antisemitischen Deutschnationalen Karl
Lueger wurde.146 Dank der grossen Fachkompetenz Theodor Helms, mit dem Bruckner eine herzliche
Freundschaft verband147, war die «Deutsche Zeitung» die einzige deutschnationale Zeitung, deren Musikkritik
jener Hanslicks, der für die liberale «Neue Freie Presse» schrieb, das Wasser reichen konnte. Helm schaffte
es auch, sowohl mit Bruckner befreundet zu sein, als auch Brahms mit grösstem Respekt zu rezensieren.
Andere deutschnationale Zeitungen, die (überwiegend positiv) über Bruckner berichteten, waren das
«Deutsche Volksblatt»148, das damals die bedeutendste deutschnationale und antisemitische Zeitung Wiens
war sowie die «Ostdeutsche Rundschau».149 Beim «Volksblatt» waren August Göllerich, Franz Schalk sowie
Camillo Horn beschäftigt, bei der «Rundschau» war ebenfalls Göllerich für die Musikberichterstattung
besorgt. Wichtigstes Organ der Deutschnationalen hätten eigentlich die vom Sozialdemokraten Engelbert
Pernerstorfer gegründeten und von Schönerer finanzierten «Deutschen Worte», eine «Politische Zeitschrift
für das deutsche Volk in Österreich» werden sollen. Doch weil Pernerstorfer nicht auf Schönerers anti-
semitische Linie einschwenken wollte, liess ihn dieser fallen und gründete 1883 die «Unverfälschten
143 Lütteken, Unbehagen am Spätwerk. S. 342f.144 Ein Ergebnis davon war z.B. die Gründung des Alldeutschen Verbands, dessen Ziel neben der Erhaltung des (völkisch verstandenen)
Deutschtums vor allem die territoriale Ausdehnung des deutschen Reiches war u.a. in den «Ostmarken». Siehe Peters, Michael: DerAlldeutsche Verband, in: in: Handbuch zur «Völkischen Bewegung» 1871-1918, hg. v. Uwe Puschner, Walter Schmitz u. Justus H.Ulbricht, München ‹etc.› 1996, S. 304f. Zur politischen Ausstrahlung von Bruckners «Germanenzug» und «Helgoland», speziell imUmfeld der Männerchor-Bewegung Österreichs, siehe Ringer, «Germanenzug» bis «Helgoland», insbes. S. 27ff. sowie Lütteken,Unbehagen am Spätwerk. S. 342-346 und Brüstle, Bruckner und die Nachwelt, S. 64ff.
145 Lütteken, Unbehagen am Spätwerk. S. 353.146 Flich, Renate: Die österreichische Presselandschaft zur Zeit Bruckners (inkl. Protokoll des Roundtable-Gesprächs), in: Bericht zum
Bruckner-Symposion (Symposion «Bruckner-Rezeption» 1991), Linz 1994, S. 78.147 Siehe z.B. ABB1 850511/261, 850619/267, ABGB 930113/43.148 Das «Deutsche Volksblatt» war ein von Antisemitismus, Rassismus und religiösen Vorurteilen geprägtes deutschnationales Massenblatt. Es
wurde 1889 von Ernst Vergani, Abgeordneter im niederösterreichischen Landtag und im Reichsrat der österreichisch-ungarischenMonarchie und Mitstreiter Luegers, gegründet und herausgegeben. Siehe Flich, Die österreichische Presselandschaft zur Zeit Bruckners, S.75 u. 89f.; Brüstle, Bruckner und die Nachwelt, S. 62f. sowie http://www.oeaw.ac.at/cgi-bin/pdok/wz/lit/0230 (30.04.2004).
149 Die «Ostdeutsche Rundschau» wurde 1890 vom radikal-deutschnationalen Agitator Karl Hermann Wolf gegründet, der zuerst beim«Deutschen Volksblatt» gearbeitet hatte und u.a. Houston Stewart Chamberlain zu seinen Mitarbeitern zählte. Siehe Flich, Dieösterreichische Presselandschaft zur Zeit Bruckners, S. 89f. u. 91 sowie Grossmann-Vendrey, Bayreuth und Österreich, S. 106 undhttp://www.oeaw.ac.at/cgi-bin/pdok/wz/all/0900 (30.04.2004).
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Deutschen Worte».150 Die beiden Bruckner-Vertrauten Josef Schalk und August Göllerich verfassten in den
Jahren 1884 und 1885 zwei Artikel zum 60. Geburtstag ihres «Meisters» in den «Deutschen Worten».151 Dass
Bruckner die Zeitschrift sehr wahrscheinlich regelmässig las, ergibt sich aus einer Eintragung in einem seiner
Notizbücher, in der er die «Deutschen Worte» und die «Deutsche Zeitung» verwechselte. Bruckner notierte
sich «Quintett: deutsche Worte» und musste damit Helms Rezension in der «Deutschen Zeitung» vom 8. April
1884 meinen.152 Das «Deutsche Volksblatt» gehörte mindestens zeitweise zu Bruckners Zeitungslektüre, da
dort neben dem angesehenen Musikjournalisten Hans Puchstein, der auch für die regierungsnahe «Wiener
Zeitung» tätig war, auch sein ehemaliger Schüler Camillo Horn als glühender Verfechter der brucknerschen
Sinfonik wirkte. Allerdings ging Horn in seinem Eifer zu weit und erweckte das Missfallen seines Idols –
Bruckner veranlasste, dass «Herr Horn nie mehr über ihn und seine Werke»153 schreiben sollte und statt-
dessen Puchstein bat, «künftighin über seine Werke statt Horn die Kritik im D. Volksblatte freundlichst über-
nehmen [zu] wollen, da ihm Horn’s Kritik […] absolut nicht behagen will.»154
Vor dem Hintergrund der oben geschilderten deutschnationalen Gesinnung Bruckners, erscheinen Urteile
wie jenes von Norbert Nagler, die Symbolisierung des «deutschen Michel» in der Achten Sinfonie, die
Anspielungen auf den Dreibund zwischen der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie, dem Deutschen
Reich und Italien von 1882 (in dessen Zusammenhang das in seiner programmatischen Notiz an Weingartner
erwähnte Treffen der «drei Kaiser» zu situieren ist) oder das (deutschnational-patriotische) «Deutsche Lied»
zeugten lediglich «von der Einfältigkeit seines ‹guten› Deutschösterreichertums»155 als zumindest fahrlässig
undifferenziert. Als kurzes Fazit dieses Abschnitts kann deshalb festgestellt werden, dass die Einschätzung
Bruckners als gänzlich apolitischer Mensch, der sich aufgrund seiner naiven Vaterlandsliebe und seinem
Vertrauen in seine Freunde156 einfach habe instrumentalisieren lassen, etwas korrigiert werden sollte: Im
Kontext der Auflösung des Deutschen Bundes bildete sich in den bürgerlichen Schichten Österreichs zwar ein
gewisses Nationalbewusstsein heraus, es blieb aber stark von pangermanischen Untertönen gefärbt. Insofern
erscheint Bruckner als typischer Vertreter seiner Zeit, in dessen Äusserungen sich einerseits die – häufig
instrumentalisierte – Nähe zum ebenso gebildeten wie begüterten Bürgertum zeigt, das immer stärker die
Rolle der Aristokratie übernahm (Stichwort Mäzenatentum), andererseits aber auch eine gottergeben-obrig-
keitshörige Kaisertreue, der eine grosse Portion alldeutschen Gedankenguts beigemengt war, wie es sich in
seinen Briefen und Notizen, seiner Tätigkeit in der Männerchor-Bewegung und seiner Zeitungslektüre
präsentiert.
150 Flich, Die österreichische Presselandschaft zur Zeit Bruckners, S. 90 und Brüstle, Bruckner und die Nachwelt, S. 60.151 Göllerich, August: Anton Bruckner. Zum 71. Geburtstage Richard Wagners, in: Deutsche Worte, Jg. 4 (1884), S. 145-150; Schalk, Josef:
Anton Bruckner und die moderne Musikwelt. Vortrag gehalten im Wiener Akademischen Wagner-Verein, in: Deutsche Worte, Jg. 5 (1885),S. 469-476.
152 ABPA 840530/97.153 Brief Göllerichs an Puchstein, zit. nach Maier, Neue Bruckneriana aus Privatbesitz, S. 10f.154 Brief des Bruckner-Schülers Cyrill Hynais an Puchstein vom 2. Dezember 1893, zit. nach Maier, Neue Bruckneriana aus Privatbesitz, S.
10.155 Nagler, Bruckners gründerzeitliche Monumentalsymphonie, S. 104; vgl. dazu auch Leibnitz, Anton Bruckner: «Deutscher» oder
Österreicher»?, S. 464 u. 468, der ein ähnlich lautendes Urteil abgibt.156 Die Rolle der Bruckner-Freunde in diesem Zusammenhang ist Gegenstand des folgenden Abschnitts 3.2.2.
– 28 –
3.2.2 Idealismus und ideologische Vereinnahmung
Bruckner war bereits zu Lebzeiten zu einem der beliebtesten Objekte deutsch-österreichischer Grossmachts-
und Anschlussfantasien geworden: Deutschnationale Kreise reklamierten ihn – mit seiner Duldung und, wie
im obigen Abschnitt aufgezeigt, ein Stück weit mit seiner Sympathie – als den Ihren und projizierten ihre
politischen Wünsche und ideologischen Ansichten auf Bruckner.157 Im Wien des späteren 19. Jahrhunderts,
einem Ort und in einer Zeit, in der «Richard Wagners Sache […] von der deutschen Sache nicht mehr zu
trennen» war158, rekrutierten sich die Akteure dieser ästhetisch, politisch und ideologischen motivierten
Vereinnahmung Bruckners hauptsächlich aus der deutschnationalen Studentenschaft.159
In dieses Umfeld gehören die Brucknerschüler und -freunde Josef Schalk, Franz Schalk und August Göllerich,
drei zentrale Figuren der Wiener Bruckneranhängerschaft, sowie Bruckners nach Wien übergesiedelter
Jugendfreund Rudolf Weinwurm. Die Brüder Schalk und Göllerich sollen im Folgenden als Repräsentanten
für Bruckners universitäres (und gleichzeitig privates) Umfeld etwas näher beleuchtet werden. Sie gehörten
zunächst zur studentischen Jugend, die sich in Verbindungen, Vereinen und politischen Parteien zusammen-
schloss, um später den Marsch durch die Institutionen anzutreten und ihre wagnerisch-deutschnationale
Ideologie, die sie mit ihrer Bruckner-Leidenschaft verbanden, in massgebliche Positionen in Kultur, Gesell-
schaft und Politik zu tragen.160
Ihr zentrales Forum war der Wiener Akademische Wagner-Verein, dem einiges gesellschaftliches Gewicht
zukam.161 Er war Anfang 1873 zur Unterstützung der Bayreuther Festspiele gegründet worden und hatte nach
Erreichen dieses Ziels 1876 den Hauptzweck, die Werke Wagners, Liszts, Bruckners und Hugo Wolfs aufzu-
führen. Die Vereinsabende und -konzerte bekamen eine wichtige Funktion im Wiener Musikleben und wur-
den stark beachtet, waren hier doch die «neuen» Komponisten zu hören, die es in den Wiener Konzertsälen
sonst eher schwer hatten, in die Programme aufgenommen zu werden. Josef Schalk fungierte ab 1887 als
künstlerischer Leiter des Vereins und brachte dem Publikum die brucknerschen Sinfonien vorwiegend in
Klavierbearbeitungen näher, die er gemeinsam mit Ferdinand Löwe und Franz Zottmann spielte.162 Ausser den
Schalks und Göllerich gehörten zahlreiche weitere Schüler und Studenten Bruckners zum Kreis, der sich im
Verein traf, so etwa Gustav Mahler, Felix Mottl, Friedrich Eckstein, Camillo Horn und Cyrill Hynais. Hinzu
kamen noch einige Vertreter des grossbürgerlichen Wiener Establishments, darunter Hofoperndirektor
Johann Herbeck, der Stahlmagnat und Karikaturist Otto Böhler, der Bankier Carl Bernhard Oehn und die
Musikkritiker Theodor Helm und Hans Paumgartner. Neben der ökonomischen Macht (Böhler, Oehn) war
auch die kirchliche vertreten: Josef Kluger, ein glühender Wagnerianer und Bayreuth-Pilger, war Abt im Kon-
vent von Klosterneuburg und kannte Bruckner von seinen Besuchen im Kloster.163 Bruckner selber ersuchte
157 Brüstle, Bruckner und die Nachwelt, S. 64.158 Ludwig Speidel in der «Deutschen Zeitung» vom 18. Mai 1872, zitiert nach Grossmann-Vendrey, Bayreuth und Österreich, S. 104.159 Wagner, Anton Bruckner: sein Werk – sein Leben, S. 125f.160 Josef Schalk wurde zum bedeutenden Pianisten, Musikpädagogen und -schriftsteller, Franz Schalk war als Dirigent erfolgreich und wurde
1919 zusammen mit Richard Strauss zum Direktor der Wiener Staatsoper, der Pianist, Dirigent und Musikpädagoge Göllerich warSchüler und Sekretär Liszts, während Weinwurm als Gründer und Chormeister des Wiener Akademischen Gesangvereins, Leiter der WienerSingakademie, Dirigent des Wiener Männer-Gesangvereins und ab 1880 Universitätsmusikdirektor hohes Ansehen genoss.
161 Leibnitz, Die Brüder Schalk und Anton Bruckner, S. 223f.162 Siehe hierzu Harrandt, Andrea: Bruckner-Rezeption im Wiener Akademischen Wagner-Verein. Schüler und Freunde als «Verkünder» und
«Nachlassverwalter» der Werke Bruckners, in: Bruckner-Jahrbuch 1994/95/96, hg. v. Othmar Wessely e.a., Linz 1997, S. 223-234, insbes.S. 233f.
163 Harrandt, Students and friends S. 317f., insbes. Anm. 2.
– 29 –
bald nach seinem ersten Bayreuth-Besuch 1873 um Aufnahme im Verein164 und wurde 1885 zum Ehren-
mitglied ernannt.165
Der Verein und die vornehmlich jungen Enthusiasten, die seine Mitglieder waren, spielten durch ihr idealis-
tisches, oftmals aufopferndes Engagement für Bruckner eine herausragende Rolle für die allmähliche
musikalische Durchsetzung Bruckners.166 Ebenso bedeutend war ihre Rolle allerdings auch für die deutsch-
nationale Politisierung und ideologische Inanspruchnahme Bruckners. Der Wiener Akademische Wagner-
Verein wies insgesamt eine strammdeutsche und tendenziell antisemitische Ausrichtung auf, welche von den
Schalks und Göllerich geteilt und im Falle von Josef Schalk und August Göllerich auch im Zusammenhang mit
Bruckner vertreten wurde:167 Wagner hatte in seinen Zürcher Kunstschriften und den Regenerationsschriften
die Kunst, insbesondere die Musik, politisiert – Bruckner wurde nun seinerseits von den jungen Wagneria
nern Schalk und Göllerich dadurch politisiert und in einen stark deutsch-nationalen Kontext gerückt, dass sie
Wagners Ideen und Weltanschauung auf Bruckner übertrugen.
Josef Schalk war ein Wagnerianer reinsten Wassers, der sich nicht nur für die Musik des Bayreuther
«Meisters» begeisterte, sondern auch dessen Schriften kannte und die darin enthaltene ästhetisch-politische
Weltanschauung verinnerlicht hatte. Dieser ideologische Hintergrund, Sendungsbewusstsein und missiona-
rischer Eifer trieben ihn an, sich für eine – in wagnerschem Sinne – geläuterte, verinnerlichte und erhabene
Kunst zu engagieren.168 Deshalb war ihm auch daran gelegen, für die adäquate Aufführung der Sinfonien
Bruckners zu sorgen und eine angemessene Beachtung in der Presse zu erreichen. Unter anderem in seinem
wirkungsvollen Artikel in Wagners «Bayreuther Blättern»169 begründete Schalk einige der zahlreichen, teil-
weise auf Äusserungen Bruckners zurückgehenden Topoi der Bruckner-Rezeption, etwa die enge persönliche
Verbindung zu Wagner oder das Bild Bruckners als naturverbundener Komponist, dessen Musik in der
Sphäre des Sublimen, Reinen anzusiedeln war. Schalk stellte Bruckner damit in den Zusammenhang seiner
wagnerianischen Ästhetik und positionierte ihn gegen die dekadente städtische Gesellschaft und ihren «ver-
dorbenen» Massengeschmack, der ihr von der «zensurierenden» Musikkritik vorgegeben wurde.170 Vollends
in einem wagnerianischen Sinne vereinnahmend wurde Schalks Darstellung in seiner Interpretation davon,
was an Bruckner besonders deutsch sei. Bruckners Deutschtum liege in der Ernsthaftigkeit und Reinheit
seiner künstlerischen Absichten, in seiner bäuerlichen Herkunft, der Charakterformung durch die Natur und
seine Unberührtheit von den «Einflüssen einer verbildeten Gesellschaft».171 Bruckner habe es in Wien deshalb
164 ABB1 731015/139.165 ABB1 850226/242f.166 Vgl. Leibnitz, Die Brüder Schalk und Anton Bruckner, S. 136; Harrandt, Students and friends S. 320f. Der national gesinnten
Studentenschaft kam im Übrigen auch in Deutschland einige Bedeutung zu, wie aus der Korrespondenz Bruckners mit Arthur Nikischund Hans Paul von Wolzogen hervor geht: siehe ABB1 840806/218 u. 840913/221. Bruckner erhoffte sich, unter den «Gaudeamusern»neue Anhänger zu gewinnen.
167 Leibnitz, Die Brüder Schalk und Anton Bruckner, S. 219: Josef Schalks Bruckner-Sicht habe «zu einem beträchtlichen Teil aufanalysierbarer ‹Ideologie›» beruht, die seines Bruders Franz hingegen «mehr auf unreflektierter Emotion», weshalb im Weiterenvorwiegend von Josef Schalk und August Göllerich die Rede sein wird.
168 Leibnitz, Die Brüder Schalk und Anton Bruckner, S. 219 u. 222.169 Schalk, Josef: Anton Bruckner, in: Beiträge zur Charakteristik der Zeit. XXV. Lichtblicke aus der Zeitgenossenschaft 8, in: Bayreuther
Blätter [B.Bl.], Jg. VII, Nr. 10 (Oktober 1884), S. 329-334. Vgl. auch Notley, Bruckner and Viennese Wagnerism, S. 60.170 Schalk, B.Bl. S. 331.171 Schalk, B.Bl. S. 329. In seiner Definition, was deutsch sei, orientierte sich Schalk stark an Wagner, der Idealismus anstelle von
Rationalismus setzte, postuliert hatte, kommerzielles Denken ablehnte und postulierte, dass es «deutsch» sei, eine Sache um ihrer selbstWillen zu tun. Siehe Wagner, Richard: Deutsche Kunst und Deutsche Politik, in: Gesammelte Schriften und Dichtungen, Bd. 8, Leipzig1873, S. 124. Siehe auch Wagner, Richard: Was ist deutsch? In: RWGS Bd. X, S. 48: Deutsch sei, dass «das Schöne und Edle nicht um des
– 30 –
so schwer gehabt, da seine Musik «deutscher ist als alles, was wir bisher in der reinen Instrumentalmusik
besitzen.»172 Schalk hatte seinen Wagner zwar sehr sorgfältig gelesen, vermied es im Gegensatz zum
«Meister» jedoch, in seinen eigenen Artikeln, explizit antisemitische Äusserungen zu machen. Trotzdem sind
die Anspielungen auf Wagners Kunst- und Regenerationsschriften klar und mussten allen Wagner-Kennern
deutlich werden.
Zahlreiche von Schalks Vereinsgenossen im Akademischen Wagner-Verein interessierten sich allerdings nicht
für Schalks «Sublimierung des Deutschtums»173 in wagnerisch-idealistischen Tugenden, sondern verbanden
mit Wagner und Bruckner eine parteipolitische, deutschnationale und antisemitische Linie, die der Spiritus
rector des Vereins nicht mittragen wollte.174 Diese Diskrepanz führte zur Abspaltung von August Göllerich,
Camillo Horn, Hans Puchstein und Josef Czerny, der unter dem Pseudonym «Stolzing» in der «Ostdeutschen
Rundschau» über Bruckner schrieb. Sie gründeten 1889 den Neuen Richard Wagner-Verein und gewannen
noch im selben Jahr Houston Stewart Chamberlain, den völkischen Vordenker und Wagner-Propagandisten,
der sich eben in Wien angesiedelt hatte, als Schirmherrn. Die politische Ausrichtung war folglich streng
deutsch-national, antisemitisch und Schönerer-freundlich. Ziel ihres Vereins war es, «Kenntnis und Wert-
schätzung von Wagners reformerischen Bemühungen und seiner Musikdramen durch Vorlesungen und
Diskussionen» zu erhöhen. Man berief sich in den Vereinsstatuten auf den «deutschen Geist» und wollte «die
deutsche Kunst aus Verfälschung und Verjudung» befreien und vermehrt unter das «deutsche Volk»
bringen.175 Zu diesem Zweck wurde auch im Neuen Richard Wagner-Verein die Musik Wagners, Bruckners
und Liszts gespielt. Der Bruckner-Schüler und -Freund Cyrill Hynais war der federführende Interpret, der mit
verschiedenen Partnern Sinfoniesätze auf dem Klavier spielte, eigentlicher Kopf des Vereins war jedoch
August Göllerich.
Göllerich gehörte zu den führenden deutschnationalen und antisemitischen Agitatoren an der Wiener
Universität, wie beispielsweise aus einem Artikel im «Deutschen Volksblatt» hervorgeht. Darin forderte er
vom Akademischen Gesangsverein ein «echt nationales, kerndeutsches Programm» und erachtete es für das
Gedeihen des Vereins notwendig, «das nationale Element» in den Vordergrund zu stellen und «Tschechen
und Juden fahren» zu lassen.176 Bereits früher während der 80er Jahre war die deutschnationale Ausrichtung
des Chores durch eine starke, offen zur Schau gestellte antisemitische Gesinnung ergänzt worden, was den
langjährigen Chormeister und Bruckner-Freund Rudolf Weinwurm zum Austritt aus seinem eigenen Verein
Vorteils, ja selbst nicht um des Ruhmes und der Anerkennung willen in die Welt tritt», sondern um seiner selbst willen – nur dies «kannzur Grösse Deutschland’s führen».
172 Schalk, Anton Bruckner und die moderne Musikwelt. Vortrag gehalten im Wiener Akademischen Wagner-Verein, in: Deutsche Worte, Jg. 5(1885), S. 474.
173 Leibnitz, Die Brüder Schalk und Anton Bruckner, S. 223.174 Dies steht allerdings im Widerspruch zu einem latenten Antisemitismus der Schalks, der sich in Briefen der Brüder (vorwiegend solchen
von Franz Schalk), beispielsweise in ihrer Auseinandersetzung mit dem jüdischen Verleger Albert Gutmann um den Druck von BrucknersStreichquintett zeigt. Franz schrieb seinem Bruder am 10. August 1883 über den zögernden Verleger, dieser werde sich kaum zumbaldigen Druck erweichen lassen, «wenn nicht damit zugleich dem Juden blinkend Gold gezeigt» werde (A-Wn, Musiksammlung F 18Schalk 158/4/7, zit. nach Leibnitz, Die Brüder Schalk und Anton Bruckner, S. 60). Zur Leipziger Aufführung der Siebten schrieb FranzSchalk in Wagnerscher Manier an einen Freund: «…mich stimmte die üble Physiognomie des Publikums sehr herunter.Handlungsjuden und deutsches Philistertum; natürlich auch Kunstjuden» (ABB1 850119/236).
175 Zit. nach Hamann, Brigitte: Hitlers Wien. Lehrjahre eines Diktators, München 1996, S. 344, siehe auch Harrandt, Students and friends S.323f.
176 Deutsches Volksblatt vom 19. April 1889, zit. nach Wagner, Anton Bruckner: sein Werk – sein Leben, S. 127.
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veranlasste. Die liberale «Wiener Sonn- und Montagszeitung» stellte dazu sarkastisch fest, dass der Verein
nun einen «neuen Chormeister, der in erster Linie Antisemit und dann erst Musiker zu sein hat» suche.177
Göllerich liess sich von solcher Kritik an seinem politisch-ideologischen Kurs nicht im beirren. Er blieb
seiner Gesinnung treu, was sich auch in einem Brief spiegelt, den seine Frau Gisella an Hans Puchstein
richtete, der mit Göllerich zusammen Bruckner-Propaganda betrieb und mit ihm befreundet war: «Lieber
Freund Puchstein! […] Ihr Artikel über August beweist mir nur wieder von Neuem, was ich je schon zu
wiederholter Male Gelegenheit hatte zu beobachten dass Sie ein Mann in des Wortes schönster Bedeutung
sind; treu und stramm in der Gesinnung unentwegt tapfer den Kampf mit dem feindlichen Element
aufnehmen. Wenn alle Deutschnationalen Ihrem Beispiele folgten, wäre die Partei bald mächtig genug, auf
allen Gebiethen des Lebens und der Kunst unsere Feinde zurückzudrängen; Einigkeit macht stark, das
stramme Zusammenhalten u. nicht von einander lassen führt uns zum Ziel. Ach könnte man doch den
Menschen Character einimpfen! […] Dürfte ich Sie bitten mir Kritiken einzusenden? Die Judenblätter werden
wohl auch weiter durch Schweigen glänzen, no das ist nur eine Ehre für August.»178 Im Dezember 1891
publizierte er im «Deutschen Volksblatt» seine Festrede, die er anlässlich von Bruckners Ehrendoktor-Feier
an der Universität Wien hatte halten wollen und vertrat darin sein stramm deutschnationales Bruckner-Bild,
das – wie dasjenige Schalks – offensichtlich an Wagner geschult war: «Auf dem Felde deutschester Bethä-
tigung, im Reiche der Musik, hat er gerungen und erreicht, ein Befestiger eigenst deutschen Fühlens, ein
Prediger echtest deutschen Glaubens, der immerdar der Welt verkündet, dass das Edle, Schöne nicht um des
Ruhmes und Vortheiles wegen in die Welt tritt, dass es deutsch sei, eine Sache, die man treibt um ihrer selbst
willen und aus Freude an ihr zu treiben. Dieser Glaube hat unseren Meister Anton Bruckner zeitlebens
durchglüht, gestählt und erhalten.»179 Göllerich hätte am Kommers der Burschenschaften reden sollen, Uni-
versitätsrektor Adolf Exner befürchtete jedoch antisemitische Ausschreitungen als Folge des Anlasses und
untersagte ihn deshalb. Auer schrieb 1936, als der Antisemitismus zur Staatsraison geworden war: «Als Fest-
redner hatte man den Biographen des Meisters August Göllerich bestimmt, doch wurden dagegen Stimmen
laut, da seine scharfe kritische Feder und antisemitische Einstellung […] in guter Erinnerung war […] Vor
allem musste auf den Rektor Exner, der ein Judenstämmling war, Rücksicht genommen werden.»180 Trotz
dieser «Rücksichtnahme» macht dieses Beispiel deutlich, wer seit den 1890er Jahren tonangebend war in
Wien und illustriert, wie sehr sich politische und künstlerisch-ästhetische Ebene überschnitten.
Bruckners vermehrte Anerkennung fällt einerseits zusammen mit dem Aufstieg der Deutschnationalisierung,
andererseits hatte der Tod von Wagner und Liszt zur Folge, dass sich die Wagnerianer, die innerhalb des
deutschnationalen Lagers wohl die wichtigste und grösste Fraktion stellten, nach einem neuen Heroen
umsehen mussten – ihr Weg zu Bruckner war da nicht mehr sehr weit. Vor diesem Hintergrund sei die
Verleihung der Ehrendoktorwürde an Bruckner denn auch als klar politisches Signal zu werten, wie Brüstle
konstatiert: «Es ist wichtig, sich deutlich vor Augen zu stellen, wem die Universität und die Akademiker, die
Bruckner protegierten, die Ehrendoktorwürde verliehen hatten: es war der deutsche Symphoniker Anton
177 Wiener Sonn- und Montagszeitung vom 7. November 1887, zit. nach Wagner, Anton Bruckner: sein Werk – sein Leben, S. 126f.178 Undatierbarer Brief, zit. nach Neue Bruckneriana aus Privatbesitz, S. 11.179 Göllerich, August: Anton Bruckner. Die am Bruckner-Commers nicht gehaltene Rede, in: Deutsches Volksblatt, Jg. 3, 13. u. 15. Dezember
1891.180 Göllerich/Auer Bd. IV, Teil 3, S. 197f.
– 32 –
Bruckner, den die ‹grösste deutsche Universität› auszeichnete. Darin keine politische Demonstration zu
sehen und nur die Anerkennung der künstlerischen und pädagogischen Leistungen Bruckners herauszu-
stellen, greift zu kurz.»181 Die Botschaft kam bei den Adressaten auf jeden Fall an. Der 1891er-Kommers
geriet – auch ohne Rede Göllerichs – zur «nationalen Kundgebung» unter Beteiligung der «deutschen»
Studenten der Wiener Hochschulen, nur vergleichbar mit dem Wagner-Kommers zu dessen Tod 1883, der
seinerseits von Schönerer zur deutschnationalen Grosskundgebung umfunktioniert worden war182, und dem
Trauer-Kommers zu Bruckners Tod 1896, der eine nächste Gelegenheit zu einer derartigen Demonstration
bot.
Seit Schönerer anfangs der 1880er Jahre Deutschnationalismus und Judenfeindschaft zusammengebracht
hatte, äusserten sich Brucknerverehrer auf breiter Front und vereinnahmend zu Bruckner und stellten einen
engen Zusammenhang des Komponisten mit ihrer Politik, antisemitischer Gesinnung und wagnerischer Ästhe-
tik her. Eine sehr pointierte Äusserung dieser Art stellte Anton Vergeiners Artikel zu Bruckners 60. Geburtstag
dar, der am 26. September 1884 in der «Linzer Tagespost» erschien. 183 Er befand darin in Anlehnung an
Wagner184, «dass die Musik ohne ein leitendes nationales und ethisches Motiv nicht gedeihen»185 könne.
Bruckners Begeisterung für Wagner sei es, so Vergeiner, die für seine schroffe Zurückweisung durch den
«kritischen Oberbonzen» Hanslick und seine Kollegen verantwortlich sei, was ihn aber nicht weiter erstaunt,
denn, «die Herren Musik-Recensenten gar vieler Wiener Blätter sind ja eben schon ihrer Abstammung nach
kaum imstande, das christlich-germanische Princip mit günstigen Augen anzublicken, und wählen ihre
gelobten Söhne lieber aus dem gelobten Lande. Wäre Bruckner Mitglied der Alliance Israélite, so würde sein
Ruhm selbst im fernen Morgenlande an den Ufern des Jordan ertönen. Wo aber ist heutzutage nicht überall
der Jordan? […] Wollte ich den gegenwärtigen Zustand der Wiener Musik-Kritik ausführlicher beleuchten,
ich würde ein Capitel über das ‹Judenthum in der Kritik› schreiben […]»186
Ähnliche Töne schlug auch Josef Czerny in der «Ostdeutschen Rundschau» an: «Der grosse deutsche Meister
ist als Mensch naiv und liebenswürdig, sein innerstes Wesen wird so wenig von dem Einfluss jüdischer
Elemente berührt, das er sogar mit Juden oder doch Judenstämmlingen in freundschaftlicher Weise verkehrt.
Auch hat er kein ‹Judenthum in der Musik›, kein ‹Modern›, kein ‹Erkenne dich selbst› auf dem Gewissen! –
Anton Bruckner wurde von dem Zeitpunkte an so befehdet, als er seine vierte Symphonie dem Meister
Richard Wagner widmete. Und wehe denen in der Ostmark, die sich als Vollblut-Wagnerianer, wie Wolzogen
so trefflich dieselben nennt, bekennen! […] Seine Liebe und Verehrung für Wagner gab den Feinden jedes
wahren deutschen Mannes die Waffe in die Hand, mit der sie ihn ebenso bekämpften wie Wagner.»187 Dessen
Terminologie vermischte sich in dieser antisemitisch geprägten Bruckner-Rezeption mit «Konstitutiva der
181 Brüstle, Bruckner und die Nachwelt, S. 63.182 Vgl. Grossmann-Vendrey, Bayreuth und Österreich, S. 105.183 Bruckner hatte seinen ehemaligen Studenten Vergeiner gebeten, mit der Publikation des Artikels «bis post festum» (9. September) zu
warten, da er sich vor hämischen Kommentaren Hanslicks und seiner «zwei Adjuncten Kalbeck (Presse) u. Dömke (allgemeine Zeitung)»fürchtete (ABB1 840509/213f.).
184 Vgl. beispielsweise «Was ist deutsch?», RWGS, Bd. X, S. 36-53.185 Zit. nach Maier, «Sechzigjährige Eiche» und «Musikalischer Ätna», S. 438.186 Maier, «Sechzigjährige Eiche» und «Musikalischer Ätna», S. 438. Bruckner quittierte das Erscheinen des Artikels mit einem begeisterten
Schreiben an Vergeiner und befand ihn als «herrlich geschrieben; genial, prachtvoll» (ABB1 841105/1/224f.).187 Josef Czerny/Stolzing in der Ostdeutschen Rundschau vom 21. Dezember 1890, zit. nach Wagner, Anton Bruckner: sein Werk – sein
Leben, S. 130f.
– 33 –
deutschnationalen bis faschistischen Geisteshaltung» die «ihre literarische Konzentration in den Nekro-
logen»188 fand und für die folgenden rund vier Jahrzehnte beherrschend blieb.
Dafür, dass Bruckner diese antisemitische Geisteshaltung geteilt hätte, finden sich keine Hinweise. Er hegte
zwar unübersehbare Sympathien für das deutschnationale Denken, war Wagneranhänger und gleichzeitig
erzkatholisch, antisemitisch geäussert hat er sich jedoch weder in seinen Briefen noch in den Privat-
aufzeichnungen, und noch nicht einmal in der (über)reichen Anekdotenliteratur finden sich Hinweise auf
einen Brucknerschen Antisemitismus – im Gegenteil, wie Czerny/Stolzing unter Hinweis auf Bruckners
«Naivität» vermerkt. Es lassen sich einzig Hinweise auf ein gewisses, religiös motiviertes Misstrauen den
Juden gegenüber finden, da diese «seinen Heiland ans Kreuz geschlagen» hätten, wie Alma Mahler-Werfel zu
Protokoll gab. Allerdings habe er die «Herren Israeliten», die er um sich hatte (darunter Mahler und Guido
Adler), sehr gern gemocht: «Er wusste, dass sie auf dem Gebiet der Kunst etwas leisten würden. Und das
versöhnte ihn und liess ihn die Tatsache übersehen, dass er mit Andersgläubigen an einem Tische sass.»189
Diese Sicht Bruckners wird durch sein Verhalten in den Verhandlungen mit Gutmann über den allfälligen
Druck der Siebten bestätigt. Die Schalks wollten die Partitur dem Verleger nicht anbieten, da sie mit ihm
wegen des durch Josef Schalk angefertigten Klavierauszugs des Quintetts buchstäblich noch eine Rechnung
offen hatten190 und vorschlugen, lieber einen Verlag in Deutschland zu suchen. In einem Brief fragte
Bruckner Hermann Levi um Rat191, worauf dieser vermittelnd an Gutmann gelangte, wie aus seiner Antwort
hervorgeht.192 Bruckner war zufrieden mit der getroffenen Lösung (Levi übernahm zusammen mit einigen
andere Münchner Bruckner-Verehrern einen Teil der Druckkosten) und schrieb Levi, dass er «gegen Herrn
Gutmann gar nichts einzuwenden» habe, dieser sei «der rührigste Geschäftsmann von der Welt», weshalb er
ihm, «sobald der Kontrakt retour sein wird», die Partitur zum Druck übergeben werde.193 Anders als seine
«jungen Freunde», die Schalks, welche die Gelegenheit nicht ausgelassen hatten, sich über den in ihren
Augen geldgierigen Juden Gutmann auszulassen, scheint Bruckner keine Notwendigkeit verspürt zu haben,
sich antisemitisch zu äussern – zumal nicht gegenüber seinem Freund und Gönner Levi, der selber jüdischen
Glaubens war.
Geht man davon aus, dass Bruckner kein Antisemit war, bleibt allerdings irritierend, dass Bruckner sich nie
von den zahlreichen dahingehenden Vereinnahmungen wie jenen von Göllerich, Vergeiner oder Czerny
distanzierte. Elisabeth Maier sieht diesen Umstand darin begründet, dass Bruckner «mit allen Mitteln um
seine Akzeptanz in der Öffentlichkeit kämpfen zu müssen glaubte» und deshalb jede noch so vereinnahmende
Stellungnahme zu seinen Gunsten begrüsst habe. Vielleicht müsse man in solchen Fällen «zwischen den
Zeilen lesen» und sein Schweigen als Distanzierung auffassen, «wenn auch viel zu schwach».194 Bruckners
Brief an Göllerich, den er kurz vor seinem Ehrenkommers am 11. Dezember 1891 schrieb (und an dem
Göllerich eben nicht redete), erleichtert dieses Zwischen-den-Zeilen-Lesen allerdings nicht unbedingt: «Herz-
188 Wagner, Anton Bruckner: sein Werk – sein Leben, S. 131.189 Alma Mahler in einem Interview 1962, zit. nach Wessling, Berndt Wilhelm: Gustav Mahler. Prophet der neuen Musik, München 1980
(Heyne Biographien), S. 45f.190 Vgl. A-Wn, Musiksammlung, F 18 Schalk 158/4/7 u. A-Wn, Musiksammlung, F 18 Schalk 158/4/2. Siehe Leibnitz, Die Brüder Schalk
und Anton Bruckner, S. 59ff.191 ABB1 850416/251f.192 ABB1 850426/254f.193 ABB1 850429/1/255f.194 Maier, «Sechzigjährige Eiche» und «Musikalischer Ätna», S. 439.
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allerliebster Herr College! Dich zu sehen, oder auch nur in Deiner Nähe sein zu können, ist für mich un-
beschreibliche Freude und Wonne! Also hinweg mit diabolischen Einflüssen jetzt und in aller Zukunft. Du
kennst meine Gesinnung jetzt und schon lange Zeit her; Du kennst auch meinen Charakter. Lüge – Verdäch-
tigung – Entzweiung sind die Waffen meiner Feinde! Aber Du erbarmst mir Du Edler, so weit herreisen!!!
Kommst Du aber, so bin ich natürlich hoch erfreut.»195 Bruckners anspielungsreiche Formulierungen («Du
könnte man auch als Zustimmung zu Göllerich und seinen ideologischen Standpunkten, die er in seiner Rede
hätte darlegen wollen, interpretieren. Durch solche Zweideutigkeiten und den fehlenden Widerstand gegen
seine Vereinnahmung begab sich Bruckner schon zu Lebzeiten in eine «Geiselhaft»196 durch deutschnational-
antisemitische Kreise begeben, die nach seinem Tod akzentuiert und schliesslich von den Nationalsozialisten
hemmungslos ausgeschlachtet wurde.
3.3 «Heldenverehrung» und «Germanisierung» nach Bruckners Tod
Bruckners Biographie bot viel Stoff für Legendenbildungen und eine daran anschliessende «Heldenver-
ehrung», die durch die Notwendigkeit, nach dem Tod des Bayreuther «Meisters» eine neue Galionsfigur für
die Wagnerianer zu finden, noch befördert wurde.197 Aus dem überaus reichen Fundus an Anekdoten, Histör-
chen und Bonmots entwickelte sich eine Art Bruckner-Hagiographie198, in deren Zentrum oftmals der
einfach-bescheidene, deutsche Mann stand, der sich aus ärmlichen Verhältnissen, gegen den Widerstand
seiner einflussreichen Gegner und durch viel «Leiden des Komponisten» zu Grösse und Berühmtheit empor
arbeitet. Diese Klischeevorstellung vom «leidenden», «innerlichen» Künstler war eine eminent romantische
und etablierte sich als fester Bestandteil der Bruckner-Rezeption. Richard Wagner griff sie in seinem Beet-
hoven-Aufsatz von 1870 als Beispiel für die «Eigenthümlichkeit der Deutschen»199 auf und verband sie explizit
mit dem «deutschen Geist» und «deutscher Art und Sitte».200 Er legte damit eine Spur, die innerhalb der
Bruckner-Rezeption eine eminent wichtige Funktion übernehmen sollte.
Bruckner-Autoren wie Max Auer201, August Halm202 oder Rudolf Louis203 konstruierten in ihren Publikationen
eine wagnerianische Heldenfigur, in der Bruckner zum gleichermassen romantischen wie prometheischen
Genie zu stilisiert wurde. Sein auf Innerlichkeit beruhendes «Leiden», seine «Keuschheit», seine zur «Heilig-
keit» hochstilisierte Religiosität und seine Weltfremdheit trafen sich mit seinem in vielen Anekdoten über-
lieferten «kindlichen» Gemüt. Auer machte in Zuspitzung dieser (angeblichen) Eigenschaften aus Bruckner
195 911205/ABGBNF252f.196 Wagner, Anton Bruckner: sein Werk – sein Leben, S. 132.197 Brüstle, Bruckner und die Nachwelt, S. 42f. u. 66.198 Siehe Partsch, Erich Wolfgang, Kritische Gedanken zur Bruckner-Rezeption, in: Renate Grasberger u. Erich Wolfgang Partsch: Bruckner
– Skizziert. Ein Porträt in ausgewählten Erinnerungen und Anekdoten, Wien 1996, S. 201-234. Ein anschauliches Beispiel hierfür ist dieAufsatzsammlung «In Memoriam Anton Bruckner» (hg. v. Karl Kobald, Zürich ‹etc.› 1924), in der u.a. Beiträge von Göllerich,Gräflinger, Löwe, V.O. Ludwig enthalten sind.
199 RWGS, Bd. IX, S. 85.200 RWGS, Bd. IX, S. 94.201 Auer, Max: Anton Bruckner. Sein Leben und Werk, Zürich ‹etc.› 1923 sowie zahlreiche weitere Publikationen.202 August Halm: Die Symphonie Anton Bruckners, [zweite Auflage], München 1914.203 Louis, Rudolf, Anton Bruckner, München 1905.
– 35 –
eine Art wagnerischen Heiligen: «So tritt uns denn hier in Bruckner im Moment des Schaffens der Heilige und
Künstler in einer Person vereint entgegen. ‹Durch Reinheit wissend!›»204 Eng damit verbunden war Bruckners
«Deutschtum», das häufig durch eine Parallelisierung Bruckners mit Wagners Beethoven-Bild und dem dort
beschworenen «deutschen Geist», der sich auch bei Bach zeige205, belegt wurde. Solche Vergleiche waren
bereits zu Lebzeiten Bruckners aufgekommen206 und fanden dessen Zustimmung – wohl weil er sich durch
den Vergleich mit dem grossen Beethoven geschmeichelt fühlte, vielleicht aber auch, weil Beethoven die
Referenzmarke der Musikgeschichte darstellte, die vom Wiener Parteiengezänk zwischen Wagnerianern und
Brahmsianern verschont blieb und von beiden Seiten anerkannt war. Jedenfalls verbreitete er sie selber
weiter und instrumentalisierte sie gelegentlich zu Werbezwecken in eigener Sache.207
Bereits Josef Schalk und August Göllerich hatten solche Vergleiche dankbar in ihren Artikeln über Bruckner
aufgenommen und sich dabei intensiv auf Wagner abgestützt208, aber erst mit der wachsenden Vereinnah-
mung durch deutschnationale und völkische Kreise um die Jahrhundertwende gewann die Parallelisierung
Beethoven-Bruckner zwecks Gewinnung einer «deutschen» Ikone die Schärfe, die sie für die nationalsozia-
listische Propaganda so attraktiv machte. Anschauliche Beispiele dafür liefern etwa Halm und Grunsky in
ihren Publikationen. August Halm forderte mit Wagner, die Deutschen müssten «an Bach begreifen lernen,
was der deutsche Geist in Wahrheit ist» und betonte die Wichtigkeit der «wahren Werte» Ernst, Disziplin,
«geistige Hygiene», Arbeit, Fleiss und Hochschätzung geistiger gegenüber materieller Werte. Bezüglich Bach
sah er diese Werte in dessen Kontrapunkt- und Fugenarbeit, bei Beethoven im «Ringen um die Form». Der
«deutsche» Bruckner habe die beiden Vorläufer in diesen «deutschen» Eigenschaften «beerbt».209 Karl
Grunsky wiederum identifizierte in der sinfonischen Achse Beethoven-Bruckner das «Heldische»210, das
Bruckner in Verbindung mit seiner «Reinheit und Gemütstiefe»211 sowie der «gesangvollen Breite» seiner
Themen, die er wiederum mit Beethoven und Bach teile212, zum idealen Repräsentanten der deutschen Nation
machte. Er postulierte Bruckner in diesem Sinne als «grossen Tondichter, der den Vorrang deutscher Kunst
vor jeder fremden wieder auf lange Zeit hinaus gesichert hat.»213
Nach dem Ersten Weltkrieg stieg die Anerkennung Bruckners auf dem Gebiet des Deutschen Reiches
zusehends und ging Hand in Hand mit der «‹Wiederaufrichtung des deutschen Geistes› vor sich, die bis 1933
andauerte und dann gelungen schien.»214 Die damit verbundene deutschnationale Vereinnahmung stützte sich
in ihrer Argumentation nicht bloss auf ideologische Gemeinsamkeiten, sondern vermehrt auch auf die
204 Göllerich/Auer, Bd. II, Teil 1, S. 237.205 RWGS, Bd. IX, S. 95f.206 Siehe z.B. ABB1 850606/264f. u. 860220/287.207 ABB1 850410/248, 850511/2/261, 850707/1/270.208 Vgl. Notley, Bruckner and Viennese Wagnerism, S. 59ff. u. 69, insbes. Anm. 64 u. 65.209 Halm, August: Anton Bruckner, in: Von Form und Sinn der Musik. Mit einem einleitenden Essay August Halms musikalische Ästhetik und
einer Bibliographie der Schriften Halms, Wiesbaden 1978, S. 179, zit. nach Brüstle, Bruckner und die Nachwelt, S. 67. Wagners Diktumvom deutschen Geist findet sich in Wagners Aufsatz «Was ist deutsch?» RWGS, Bd. X, S. 47: «Wollen wir uns jetzt aber die überraschendeWiedergeburt des deutschen Geistes auch auf dem Felde der poetischen und philosophischen Litteratur erklären, so können wir diessdeutlich nur, wenn wir an Bach begreifen lernen, was der deutsche Geist in Wahrheit ist, wo er weilte, und wie er rastlos sich neugestaltete, während er gänzlich aus der Welt entschwunden schien.» sowie S. 48: «Doch Bachs Geist, der deutsche Geist, trat aus demMysterium der wunderbarsten Musik, seiner Neugeburtsstätt, hervor.»
210 Grunsky, Anton Bruckner, S. 24.211 Grunsky, Bruckner’s Leben und Schaffen, S. 18.212 Grunsky, Bruckner’s Leben und Schaffen, S. 17.213 Grunsky, Anton Bruckner, S. 14.214 Brüstle, Bruckner und die Nachwelt», S. 69.
– 36 –
Tatsache, dass man Bruckner zuerst und in viel grösserem Mass in Deutschland anerkannt und geschätzt
habe: «Die Österreicher konnten nicht umhin, den reichsdeutschen Aufführungen Gewicht beizulegen», wie
er im Zusammenhang mit den Aufführungen der Siebten in Leipzig und München befriedigt feststellte.215
Zudem liessen sich genügend Beispiele für Äusserungen Bruckners anführen, die diese Sicht bestätigten.216
Die konservativen Bruckner-Verehrer Österreichs und Deutschlands hatten nicht nur ihre nationalistische
Ideologie gemeinsam, sondern betrachten Bruckner auch als «reinen Toren» à la Parsifal, der seinen Schild
gegen die modernen Entwicklungen wie etwa die Dodekaphonie hochhielt. Auer interpretierte den Bruckner-
Aufschwung als Reaktion gegen den «Bolschewismus in der Kunst», der «auf die Spitze getrieben» worden
sei, durch die «Rückkehr zu den reinen Quellen» jedoch gebremst werden konnte. «Welche Kunst aber wäre
reiner als die aus tiefer Religiosität geborene eines Bach, Beethoven und Bruckner! […] Besonders Bruck-
ners gottgeweihte Kunst fand nun einen günstigen Nährboden, nun erst das richtige Verständnis, er wurde
vielen Tausenden zum Führer in eine schönere geistige Welt.»217
Diese Argumente – Bruckners Repräsentativität für den deutschen Geist, die er mit Beethoven und Bach teilte,
und seine relativ frühe Anerkennung im Reich – hatten auch Einfluss auf die Wahl des Durchführungsorts des
ersten Bruckner-Fests der 1927 gegründeten Internationalen Brucknergesellschaft (IBG), das im Oktober
1930 in München stattfand. Begründet wurde die Wahl des Veranstaltungsortes damit, dass Bruckner Wagner
in München kennengelernt und Levi dort die Siebte aufgeführt habe. Zudem habe Bruckners Schüler
Ferdinand Löwe nach 1896 besonders in München für die Belange seines Lehrers gewirkt, und mittlerweile
werde diese Aufgabe von Siegmund von Hausegger als Dirigenten der Münchner Philharmoniker wahrge-
nommen. Brüstle deutet noch weitere Gründe an, wieso München gewählt worden war: neben den besseren
wirtschaftlichen Rahmenbedingungen (Börsenkrise in Österreich, massive finanzielle Unterstützung durch die
Münchner Stadtbehörden) habe sich die bayerische Hauptstadt auch aufgrund der herausragenden
Bedeutung Münchens im Kultur- und besonders im Musikleben «Alldeutschlands»218 besonders angeboten.219
215 Grunsky, Bruckner’s Leben und Schaffen, S. 11.216 Vgl. z.B. ABB1 840611/215, 850620/268, 860325/1/294, 910612/ABGBNF246f.217 Göllerich/Auer, Bd. IV, Teil 4, S. 61f.218 Moissl, Das 1. Internationale Brucknerfest in München, S. 37.219 Brüstle, Bruckner und die Nachwelt, S. 84, Anm. 28.
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4 Die Vereinnahmung Bruckners durch die NationalsozialistenBereits Richard Wagner hatte in seinem Beethoven-Aufsatz die überwältigende Wirkung erhabener Musik
beschrieben.220 Für die Nationalsozialisten war genau solche Musik als Mittel der Propaganda interessant:
Musik, welche die «Totalhingabe des Hörers»221 bewerkstelligen konnte, war gefragt; die überwältigende
Wirkung der Musik sollte jenen Zustand vorwegnehmen, in den die NS-Propagandisten die Menschen auch
im Verhältnis zum «Führer» und der Partei versetzen wollten. Fündig wurden sie beispielsweise bei
Beethoven, Wagner, Liszt, und eben Bruckner. Dessen monumentale Sinfonien erfüllten die ästhetischen
Anforderungen einer solchen «Überwältigungsmusik» durch ihre bausteinhaften Formblöcke, ihre weihe-
vollen Choralpassagen und den prominenten Einsatz von Blechbläsern sogar in besonderer Weise: Hier
fanden Hitler, Goebbels, Speer und all die NS-Funktionäre, die mit der umfassenden «Ästhetisierung der
Politik»222 betraut waren, ein ideales Medium zum Transport jenes unfassbaren, weihevollen «Absoluten», die
sie zur Transformation ihrer Ideologie zum quasireligiösen Kult benützen konnten. Und indem Robert Haas
mit seinen «Originalversionen» und die Wiederherstellung des «Originalklangs» nicht nur musikalische
Monumentalität anstrebte, sondern diese – speziell bei der Achten Sinfonie – auch mit ideologischen
Implikationen verband, schloss sich gewissermassen der Kreis.
In den folgenden Abschnitten wird die umfassende Vereinnahmung von Bruckners Werk und seiner Person
dargestellt. In einem ersten Schritt sollen obige Feststellungen zur Brauchbarkeit von Bruckners Musik für
die NS-Propaganda in den Kontext des nationalsozialistischen Kulturverständnisses gestellt und geklärt
werden, welche ästhetischen und kulturpolitischen Gegebenheiten zur Indienstnahme und letztlich zum
ideologischen und propagandistischen Missbrauch von Bruckner und seiner Musik führten (4.1). Im zweiten
Schritt sollen die Verflechtungen aufgezeigt werden, die zwischen Personen des Bruckner-Umfelds, ihren
Institutionen und dem Nationalsozialismus bestanden (4.2.1), und es soll gezeigt werden, welche tradierten
Rezeptionsstränge in der nationalsozialistischen Bruckner-Rezeption aufgegriffen wurden (4.2.2). Der dritte
Schritt illustriert diese Verflechtungen und die missbräuchliche Vereinnahmung Bruckners am Beispiel des
Walhalla-Aktes von 1937, bei dem Hitler und Goebbels die Aufstellung einer Bruckner-Büste als
nationalsozialistische Feierstunde und Parteianlass in Szene setzten (4.3).
4.1 Nationalsozialistisches Kulturverständnis und Bruckners Musik
Damit es für die Nationalsozialisten überhaupt einen Sinn hatte, mit Bruckners Musik und seiner Person
Propaganda zu machen, bedurfte es zweier Voraussetzungen – einerseits der Ästhetisierung der Politik und
andererseits der Politisierung der Kunst.223 Im ersten Punkt konnten die NS-Ideologen bei Richard Wagner
anschliessen und sich dessen komplexes Konzept einer ästhetischen Weltordnung aneignen, das er in seinen
220 Siehe Kapitel 2, Abschnitt 2.1.1, S. 8 dieser Arbeit.221 Leibnitz, Anton Bruckner: «Deutscher» oder «Österreicher»?, S. 471.222 Reichel, Peter: Der schöne Schein des Dritten Reiches. Faszination und Gewalt des Faschismus, München ‹etc.› 1991, S. 372.223 Bereits Walter Benjamin machte auf diesen Dualismus aufmerksam (Benjamin, Walter: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen
Reproduzierbarkeit, Frankfurt a.M. 1977 (Edition Suhrkamp, Bd. 28), S. 42ff.
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Kunstschriften teilweise noch in den Regenerationsschriften entworfen hatte.224 Wagner strebte mit seinen
Musikdramen eine alle Lebensbereiche umfassende, ästhetisch-gesellschaftliche Erfahrung an, deren Zweck
es war, die Politik ersetzen zu können. Aus der sinnlichen Erfahrung, so seine Hoffnung, liesse sich eine
«qualitativ neue Anleitung zur Lebensgestaltung» gewinnen, wie Udo Bermbach ausführt.225 Hitler und die
Nationalsozialisten hätten den Gedanken aufgenommen und in sein Gegenteil verkehrt: Durch die «Ästheti-
sierung und Theatralisierung der Politik» wollten sie diese zu einem alle Lebensbereiche durchdringenden
Medium machen.226 Wie weit ihnen dies im Alltag gelungen ist, kann hier nicht weiter erörtert werden; für
den Gebrauch und den Missbrauch von Musik und speziell für die Bruckner-Rezeption der 1930er und 40er
Jahre hatte aber schon die Idee an sich weitreichende Folgen, wie zu zeigen sein wird.
4.1.1 Die Nützlichkeit der Kunst
Innerhalb der deutschen Kultur nahm die Musik eine Sonderstellung ein, sie galt als die «deutscheste aller
Künste» und wurde von den Denkern des 19. Jahrhunderts als zentrale Komponente zur Bestimmung des
deutschen Charakters, gar von deutscher Identität eingesetzt. Am radikalsten formulierte dies Richard
Wagner, der das essentiell Deutsche (im Anschluss an Schopenhauer) als Ausdruck des «Reinmenschlichen»
in der Musik zu finden glaubte und den «deutschen Geist» in Johann Sebastian Bach personifiziert sah:
«Bachs Geist, der deutsche Geist, trat aus dem Mysterium der wunderbarsten Musik, seiner Neugeburtsstätt,
hervor.»227 Deutschnationale Vordenker hatten schon zu wilhelminischer Zeit den Anspruch formuliert, die
Musik habe durch ihren «erhabenen», «heiligen» und «ewigen» Charakter «das Deutsche» zu repräsentieren
und (nun im Gegensatz zu Wagner) «Dienerin des Vaterlandes» zu sein.228 Während der Zeit der Weimarer
Republik, wurde dieses Kunstverständnis von den deutschnationalen und völkischen Kräften zusätzlich mit
einem kulturkritisch, politisch und religiös aufgeladenen Germanen-Ethos verbunden, das wiederum viel von
seiner Substanz den Schriften Wagners schuldete.
Adolf Hitler setzte dieses von Wagner inspirierte, durch die völkische Vermittlung allerdings völlig pervertierte
Denken in die Tat um. Während des Krieges instrumentalisierte er Kunst und Musik vorwiegend eskapistisch,
als Mittel zur Flucht aus der Realität ins Schöne, Harmonische und Erhabene. Zuvor, während der «Kampf-
zeit», verfolgte Hitlers Kulturpolitik indes vor allem das Ziel, die Massen zu nationalisieren, ideologisch
aufzubauen und ihnen deutsche Kultur als Quelle der Kraft und des Selbstbewusstseins zu erschliessen.
Grosse Künstler hatten mit ihren Werken das Volk kulturell zu festigen, sollten dabei aber immer im Volk
verwurzelt bleiben und seine «Unverfälschtheit» und Natürlichkeit aufrechterhalten. L’art pour l’art hatte in
seinem Kunstverständnis keine Berechtigung; die Kunst im Allgemeinen und die Musik im Speziellen hatten
die Aufgabe, das «allgemeine Selbstvertrauen» und die Moral der Massen zu heben. Um diese Aufgaben
224 Vgl. Bermbach, Udo: Der Wahn des Gesamtkunstwerks. Richard Wagners politisch-ästethische Utopie, Frankfurt a.M. 1994.225 Bermbach, Udo: Liturgietransfer. Über einen Aspekt des Zusammenhangs von Richard Wagner mit Adolf Hitler und dem Dritten Reich, in:
Richard Wagner im Dritten Reich. Ein Schloss-Elmau-Symposion, hg. v. Saul Friedländer u. Jörn Rüsen, München 2000, S. 42.226 Bermbach, Liturgietransfer, S. 42.227 RWGS, Bd. X, S. 40f. u. 48. Vgl. auch Sponheuer, Bernd: Über das «Deutsche» in der Musik, in: Deutsche Meister – böse Geister? Nationale
Selbstfindung in der Musik, hg. v. Hermann Danuser u. Herfried Münkler, Schliengen 2001, S. 128ff.228 Prieberg, Fred K.: Musik im NS-Staat, Köln 2000 (1. Auflage: Frankfurt a.M. 1982), S. 108.
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erfüllen zu können, musste sie «Verkünderin des Erhabenen und Schönen und damit Trägerin des Natür-
lichen und Gesunden» sein, denn «nichts ist mehr geeignet, den kleinen Nörgler zum Schweigen zu bringen,
als die ewige Sprache der grossen Kunst.»229 Hitler forderte von der Kunst, dass sie dem bereits von Richard
Wagner, Houston Stewart Chamberlain oder Oswald Spengler beklagten Niedergang der arischen Rasse nicht
durch die Reflexion ebendieses Niedergangs begegnete, sondern durch das Aufzeigen des «Gesunden und
ewig Schönen». Die Darstellung der heilen, arischen Welt sollte als Remedium gegen die Misere der
Deutschen wirken – Hitler verband hierin die kulturpessimistischen Ansichten breiter völkischer Kreise mit
dem kleinbürgerlichen Kunstdeal, das davon ausging, dass Kunst angenehm und schön sein solle, nicht aber
böse, unangenehm und hässlich.230
Im expressionistisch inspirierten Kunstverständnis des nachmaligen Propagandaministers Joseph Goebbels
spielte Kunst als Religionsersatz bzw. eigentliche Religion eine wichtige Rolle. Während der 20er Jahre, unter
dem Einfluss seiner Spengler-Lektüre ergänzte er seine Ansichten mit starken nationalen und völkischen
Komponenten: Die unter Verfallserscheinungen leidende deutsche Kultur sollte sich auf ihre Stärken besinnen
und frei von «volksfremdem Intellektualismus» in eine gegenseitig befruchtende Wechselwirkung von Volk
und Kunst zurückfinden. Die Kunst musste deshalb einen Zweck haben und der bestand darin, dem Volk
«Heimat, Sitte, Sprache und Recht lieb»231 zu machen. Damit machte sich Goebbels die Grundzüge von Hitlers
Doktrin zu eigen und erkannte in ihm den Künstlerpolitiker, der Politik als Kunst betrieb – eine Komponente,
die er in den propagandistischen «Hitler-Mythos»232 einfliessen liess, der die Massen beeindrucken und
euphorisieren sollte.233
Die nationalsozialistische Kulturpolitik wurde nicht einheitlich durch eine institutionelle Macht bestimmt,
sondern entscheidend von der Konstellation mächtiger Individuen untereinander bzw. ihrer Relationen zu
den Institutionen von Staat und Partei geprägt. Obwohl in der Vereinnahmung Bruckners durch die National-
sozialisten auch persönliche Bezüge Hitlers zu Bruckner eine gewisse Rolle gespielt haben, waren es nicht
das individuelle Kunstverständnis und die Vorlieben der NS-Grössen, sondern die utilitaristischen Aspekte der
Kunst, welche die Kulturpolitik am stärksten prägten. Hitler, Goebbels, Himmler, Schirach und Rosenberg
war trotz aller sonstiger Differenzen gemein, dass sie sich als Künstler empfanden und daraus die Legitima-
tion ableiteten, den Musikern, Schriftstellern und Architekten ästhetische Vorschriften zu machen und die
Kunst so weit mit der Politik zu verschmelzen, dass sie sogar ihre Propaganda als Kunstform begreifen
konnten: «Die nationalsozialistische Bewegung hat von Anfang an diese innere Stellungnahme zum deutschen
Künstlertum gehabt. Denn sie kam an sich aus künstlerischen Urgründen. Sie sah auch in der Politik nicht ein
blosses Handwerk, sonder sie meinte, dass die Politik eigentlich die edelste und grösste aller Künste sei.
Denn so, wie der Bildhauer aus dem toten Steine eine Leben atmende Gestalt meisselt, und so, wie der Maler
229 Hitler in seiner Kulturrede vom 11. September 1935 auf dem «Reichsparteitag der Freiheit» in Nürnberg, zit. nach Domarus, Max: Hitler.
Reden und Proklamationen 1932-1945. Kommentiert von einem deutschen Zeitgenossen, Bd. I: Triumph, Teilbd. 2 (1935-1938),Neustadt a.d. Aisch 1962-63, S. 528.
230 Mathieu, Thomas: Kunstauffassungen und Kulturpolitik im Nationalsozialismus. Studien zu Adolf Hitler, Joseph Goebbels, AlfredRosenberg, Baldur von Schirach, Heinrich Himmler, Albert Speer, Wilhelm Frick, Saarbrücken 1997, S. 46ff.
231 Goebbels, Joseph: Ausschnitte aus der deutschen Literatur der Gegenwart. Vortrag, gehalten am 30.10.1922 in Reydt, handschriftl.Manuskript, in: Bundesarchiv Abteilung Koblenz, NL 118/133, unpag., Blatt 49, zit. nach Mathieu, Kunstauffassungen und Kulturpolitikim Nationalsozialismus, S. 86.
232 Kershaw, Ian: Der Hitler-Mythos. Führerkult und Volksmeinung, Stuttgart 1999.233 Mathieu, Kunstauffassungen und Kulturpolitik im Nationalsozialismus, S. 84ff.
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Farbe in Leben verwandelt, und so, wie der Komponist die toten Töne in himmelrückende Melodien umsetzt,
so hat der Politiker und Staatsmann eigentlich keine andere Aufgabe, als eine amorphe Masse in ein
lebendiges Volk zu verwandeln. Deshalb gehören auch Kunst und Politik zusammen.»234 Und weiter: «Der
Nationalsozialismus ist nicht nur eine politische Lehre, er ist eine totale und umfassende Gesamtschau aller
öffentlichen Dinge. Er muss deshalb die selbstverständliche Grundlage unseres ganzen Lebens werden. […]
Würde man die Wirtschaft zur Sache der Wirtschaftler machen und die Religion zur Sache der Pfarrer und die
Kunst zur Sache der Künstler und das Handwerk zur Sache der Handwerker, so würde man am Ende das
ganze Staatsleben auflösen. Wir besitzen nicht den Ehrgeiz, dem Dirigenten vorzuschreiben, wie er eine
Partitur zu dirigieren habe. Aber was gespielt wird und was dem Geiste unserer Zeit entspricht, darüber
behalten wir uns das souveräne Vorrecht vor zu bestimmen. […] Die Politik macht nicht die Technik der
Dinge, aber sie gibt den Dingen ihren Kurs, sie kontrolliert ihren Einsatz und überwacht die Durchführung
dieses Einsatzes.»235
Während also die Politik «den Dingen ihren Kurs» gab, erfüllte die Kunst soziale Funktionen, die zur Macht-
ausübung benützt werden konnten: Da «das Volk» weniger durch «nüchterne Überlegung», sondern viel-
mehr durch «gefühlsmässige Empfindungen» in seinem «Denken und Handeln bestimmt»236 war, bedurfte es
einer sozialen Kontrolle durch gelenkte Wirklichkeitsdeutung in Form umfassender Propaganda. Und da
Kunst schon immer auch als Ideologieträger und Identitätsstifter gewirkt hatte, bot sie sich zur Verwendung
geradezu an. Wie weiter oben bereits angetönt, galt die Musik seit langem als Krone der Künste, als
deutscheste von allen. Sie avancierte deshalb schnell zum «bevorzugtes Medium deutscher Eigentümlich-
keiten, ebenso erhebend wie erhaben, volkstümlich und majestätisch, ausdrucksstark und überwältigend,
tröstlich-erbauend und der Selbstdarstellung gleichermassen dienlich. Ein Medium, nützlich in allen Lebens-
und Gefühlslagen: zwischen heimeliger Sentimentalität und unheimlicher Seelentiefe, tragisch-heroischer
Existenz und hochgestimmter Harmonie, unentbehrlich für die kleine Gemütlichkeit und die grosse
Galavorstellung, für die Macht und das Schicksal, das Herz und den Schmerz.»237 Oder etwas kürzer und
pointierter ausgedrückt: «In den Händen der Faschisten wird die Pflege der klassischen Musik zu einem die
Massen passivisierenden und verflachenden Mittel.»238
4.1.2 Von der Kunstreligion zur «Gottgläubigkeit»
«[…] diese einzigartige Symphonie der Begeisterung, die dem Führer überall entgegenbrandete, wo der
riesige Vogel auf seiner Reise die Erde berührte, war das Gewaltigste und Erhabenste, das Deutschland je
234 Rede vom 17.6.1935, in: Goebbels, Joseph: Reden, Bd. 1: 1932-1939, hg. v. Helmut Heiber, Düsseldorf 1971, S. 220. Siehe auch Hitler,
Adolf: Mein Kampf. Erster Band. Eine Abrechnung, 6. Kapitel: Kriegspropaganda, 25. Aufl., München 1933, S. 193ff.235 Goebbels, Reden, Bd. 1, S. 227f.236 Hitler, Mein Kampf, S. 201.237 Reichel, Der schöne Schein des Dritten Reiches, S. 345f.238 Hanns Eisler: Musik und Musikpolitik im faschistischen Deutschland, 1935, zit. nach Albrecht Dümling u. Peter Girth (hg.): Tempelweihe
und -säuberung. Die Bruckner-Rezeption Hitlers und Goebbels‘, Dokumentation und Kommentar zur Düsseldorfer Ausstellung von 1938,3. überarbeitete Auflage, Düsseldorf 1988, S. 14.
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gesehen und erlebt hatte.»239 Der kurze Ausschnitt zeigt, wie Begriffe wie die Sinfonie, das Gewaltige und das
Erhabene eingesetzt werden konnten, eine enge Verbindung zwischen den begeisterten Massen und dem
«Führer» herzustellen. Beispiele für dieses Vorgehen gäbe es noch viele, denn man hatte gemerkt, dass die
Musik als eine der direktesten Ausdrucksformen des Erhabenen ihre Wirkung sogar indirekt über die
Sprache entfalten konnte. Musikalische Anspielungen wurden zu unverzichtbaren Bestandteilen der national-
sozialistischen Propaganda-Rhetorik, und die nationalsozialistische (Musik)Ästhetik operierte auf breiter
Front mit dem Erhabenheitsbegriff des 19. Jahrhunderts.240 Hitler selber machte das Erhabene zum
Programm der NS-Ästhetik und erklärte allein als genügend, was nicht in erster Linie schön, sondern
erhaben, monumental, heroisch und vom unbedingten Willen zur Macht beseelt war.241 Goebbels, Rosenberg
und viele andere Autoren bewerkstelligten im Anschluss die nationalsozialistische «Umwertung» des
Erhabenheitsbegriffs. Dieser büsste in der Folge seine verschiedenen, einst von Burke, Kant, Schiller und
Schopenhauer definierten Qualitäten ein und wurde auf die Aspekte der Grösse und des Schreckens
eingeschränkt. An die Stelle der chaotischen, überwältigenden Natur als Ursache dieses Schreckens setzte
Hitler jedoch den Kampf der Völker um «ihre Existenz auf diesem Planeten».242 Die Wirkung des Erhabenen,
die von Kant und Schopenhauer beim betrachtenden Individuum lokalisiert worden war, verlegten die
Autoren der NS-Ästhetik nun in die Dinge selbst, so dass «menschliche[n] Kunstschöpfungen gewaltigster
Art»243 wie Architektur, Musik oder Masseninszenierungen zu Trägern des Erhabenen wurden und sich das
einzelne Subjekt der «überwältigenden Macht des Grossen und Monumentalen, des kollektiven Wollens»
nicht mehr entziehen konnte. Höchster Repräsentant dieses monumentalen, kollektiven Wollens war der
Führer selbst, angesichts dessen das Individuum seiner subjektiven Freiheit beraubt wird und lediglich mit
Anerkennung, Glauben und Unterwerfung reagieren kann – «ein Erhabenes, das zum Herrschaftsinstrument
verzerrt ist».244
Konkret fanden die Nationalsozialisten erhabene Musik vorwiegend bei Wagner, dessen Musikdramen dank
ihrer «sinfonischen» Komponierweise und mythischer Inhalte perfekt ins Schema passten, daneben wurde
man mit Vorliebe bei Beethoven, Bruckner, Liszt und Richard Strauss fündig, denn deren Musik entsprach
der NS-Ästhetik, die verlangte, dass die «Deutsche Musik» eine «Kampf-, Sieg- und Erlösungsmusik» zu sein
hatte.245 Beethovens Sinfonien (besonders die Fünfte) wurden entsprechend heroisierend als Kampf und Sieg
des deutschen Volkes oder als grandiose Bestätigung des Führerprinzips gedeutet.246 Bereits am 26. März
1927, dem 100. Todestags Ludwig van Beethovens, schrieb Rosenberg, «der Deutsche Beethoven» rage über
alle Völker des Abendlandes hinaus und verkörpere in idealer Weise den Willen zu «deutscher Gestaltung».
Analog zum «Kampf der Töne» in der Sinfonie, der mit dem Kampf der NSDAP um die Macht im deutschen 239 Josef Berchtold, in: Hitler über Deutschland, hg. v. Heinrich Hoffmann, München 1932, S. 3. Das Zitat stammt aus dem Kommentar zu
einem Bildband, der Hitlers Wahlkampf für die Reichstagswahlen vom Sommer 1932 in pathetisch-verklärender Weise dokumentierte.Hitler liess sich jeweils publikumswirksam in einem JU52-Flugzeug zu Massenanlässen in deutschen Städten fliegen.
240 Vgl. Bärsch, Claus-E.: Das Erhabene und der Nationalsozialismus, in: Merkur, 43. Jg., Nr. 487/488 (Sept./Okt. 1989), S. 783.241 Hitler, Mein Kampf, Bd. I, S. 194ff.242 Hitler, Mein Kampf, Bd. I, S. 195. Basis dieser «Herren»-Ästhetik war Houston Steward Chamberlains von rassistischen, völkischen,
mythischen und religiösen Vorstellungen gebildete Ideologie, wie er sie beispielsweise in seinem Hauptwerk «Die Grundlagen desneunzehnten Jahrhunderts» (2 Bände, München 1899) formuliert hatte.
243 Rosenberg, Alfred: Der Mythus des 20. Jahrhunderts, München 1940, S.422.244 Brinkmann, Reinhold: Wagners Aktualität für den Nationalsozialismus. Fragmente einer Bestandesaufnahme, in: Richard Wagner im
Dritten Reich. Ein Schloss-Elmau-Symposion, hg. v. Saul Friedländer u. Jörn Rüsen, München 2000, S. 132ff.245 Prieberg, Musik im NS-Staat, S. 108.246 Brinkmann, Wagners Aktualität für den Nationalsozialismus, S. 109 u. 134.
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Reich gleichzusetzen sei, erlebe das deutsche Volk nun seine «Eroica», deren glorreiches Finale sich beim
Sieg der Nationalsozialisten in den Wahlen vom Juli 1932 und der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler
Anfang 1933 erreicht zu sein schien.247
Das entkernte, «umgewertete» Erhabene hatte zwar in der nationalsozialistischen Ästhetik die meisten seiner
transzendentalen Qualitäten verloren, seine Vermittlung durch die Kunst, speziell durch die «heilige», «deut-
sche» Musik, bewahrte ihm aber den Nimbus des «non comparative magnum», des «über jeden Vergleich
Hinausgehenden», Gottgleichen.248 Diesen Umstand benützten die Nationalsozialisten dazu, ihrer Ideologie
ein religiöses Gepräge zu verleihen. Besser als in irgendeinem anderen Bereich konnten sie sich dabei auf
Richard Wagner stützen, der 1880 in seiner Schrift «Religion und Kunst» äusserte, dass «da, wo die Religion
künstlich wird, der Kunst es vorbehalten sei, den Kern der Religion zu retten, indem sie die mythischen
Symbole, welche die erstere im eigentlichen Sinne als wahr geglaubt wissen will, ihrem sinnbildlichen Werthe
nach erfasst, um durch ideale Darstellung derselben die in ihnen verborgene tiefe Wahrheit erkennen zu
lassen.»249 Die Musik, so Wagner, konnte die tiefen Wahrheiten der Religion transportieren, weshalb «das
Untertauchen in das Element jener symphonischen Offenbarungen als ein weihevoll reinigender religiöser
Akt»250 gelten konnte. Im Gegenzug konnten die Symbole und liturgischen Elemente der christlichen Religion
in Bausteine des «Kunstwerks der Zukunft» transformiert werden und auf diese Weise einen unmittelbaren
Sinntransfer für die Sakralisierung der Musik leisten.251
Die rezeptionsgeschichtliche Weiterentwicklung dieser Ideen Wagners, wie sie im «Parsifal» auskristallisiert
waren, nahm durch das ideologische Wirken von Wagners einflussreichsten «Nachlassverwaltern», Cosima
Wagner, Hans Paul von Wolzogen, Houston Stewart Chamberlain und Ludwig Schemann, die sich im
Bayreuther Kreis organisierten252, eine perverse Wendung, die in der Kreierung einer nationalsozialistischen
Ersatzreligion endete, in die auch Bruckner eingespannt werden konnte. Parallel zur messianischen
Überhöhung ihres «Meisters» entwickelten die Wagnerianer des Bayreuther Kreises aus Wagners Gedanken
eine völkisch-religiöse Interpretierung des «Parsifal», die Wagners Bühnenweihfestspiel als Ausgangspunkt
zur ideologischen Verschmelzung von Kunst, Religion und Nation machte. Daraus wurde ein mythisches
Amalgam des Deutschtums gewonnen, und «Parsifal» sozusagen als theatraler Gottesdienst gefeiert, wodurch
das Bayreuther Festspielhaus zum Kultort und Nationalheiligtum avancierte. Diese Pervertierung, die in
unterschiedlichem Ausmass auch die anderen Werke Wagners betraf253, basierte auf einer semantischen
Verschiebung, die Wagners Begriffe ihrer eigentlichen Vorstellungsinhalte beraubte und mit neuen füllte: «Wo
Wagner noch die christlichen Symbole zu nutzen suchte, um seinen Kunstanspruch quasi-sakral zu
überhöhen in der Hoffnung, der Ästhetisierung von Lebensordnungen und Lebensformen den Weg zu
bereiten, die christliche Liturgie also als Vermittlungsmedium einsetzte, da transformieren die nachfolgenden
247 Rosenberg, Alfred: Blut und Ehre. Ein Kampf für deutsche Wiedergeburt, Reden und Aufsätze von 1919-1933, hg. v. Thilo v. Trotha, 5.
Aufl., München 1935, S. 226f.248 Bärsch, Das Erhabene und der Nationalsozialismus, S. 782f.249 RWGS, Bd. X, S. 211f.250 RWGS, Bd. X, S. 250. Die «symphonischen Offenbarungen» bezogen sich auf Beethovens Sinfonien.251 Bermbach, Liturgietransfer, S. 45ff.252 Zum Bayreuther Kreis und seinen wichtigsten Exponenten siehe Schüler, Winfried: Der Bayreuther Kreis von seiner Entstehung bis zum
Ausgang der Wilhelminischen Epoche. Wagnerkult und Wagnerreform im Geist völkischer Weltanschauung, Münster 1971 sowie Hein,Annette: «Es ist viel ‹Hitler› in Wagner». Rassismus und antisemitische Deutschtumsideologie in den «Bayreuther Blättern» (1878-1938),Tübingen 1996 (Conditio Judaica, Bd. 13), S. 59-92.
253 Bermbach, Liturgietransfer, S. 54.
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Exegeten seine Kunstintention in eine substantielle Kunstreligion, die das Moment der Kunst mehr oder
weniger abzustreifen beginnt und sich zur blanken Religion wandelt. Der ästhetische Kern des Musikdramas
avanciert zu einem sakralen», wie Bermbach zusammenfasst.254
Schemann schrieb über «Parsifal», dass Wagner damit versucht habe, «den ganzen modernen Menschen im
Grunde seiner Natur umzugestalten.»255 Hitler und seine Gefolgsleute aus der völkischen Bewegung teilten
Wagners Vorhaben, verfolgten dabei allerdings andere Ziele als Wagner, dem es um die Regeneration der
dekadenten Menschheit, besonders der Deutschen, gegangen war. Hitler besuchte nach eigenen Aussagen
Wagner-Opern, wie andere Leute «in die Kirche» gingen256 und äusserte, er werde aus dem «Parsifal» seine
eigene, «neue Religion bauen»257, die dazu beitragen sollte, der «arischen Sendung»258 des deutschen Volkes
zum Durchbruch zu verhelfen. Da er die Kirchen und deren Religionsverständnis verabscheute, lehnte Hitler
die Bayreuther «Parsifal»-Kunstreligion ab und legte sich eine eigene Interpretation Wagners zurecht: «Hinter
der abgeschmackten, christlich aufgeputzten Fabel mit ihrem Karfreitagszauber erscheint etwas ganz anderes
als der eigentliche Gegenstand dieses tiefsinnigen Dramas. Nicht die christlich-schopenhauerische Mitleids-
religion wird verherrlicht, sondern das reine, adlige Blut, das in seiner Reinheit zu hüten und zu verherr-
lichen die Bruderschaft der Wissenden zusammengefunden hat.»259
Während Hitler sich immer fanatischer in seine zur «pervertierten Religion» aufgeblähten Ideologie steigerte,
behielt Goebbels ein pragmatisches Verhältnis zur katholischen Kirche, deren «weltumspannenden, einheits-
stiftenden Kult, ihre Symbole» er im «ideologischen Kult der NSDAP» zu kopieren suchte.260 Die christlich
geprägte Frömmigkeit sollte infolgedessen durch die rassistische, völkisch-germanisch inspirierte «Gottgläu-
bigkeit», als deren «arischer Christus»261 Hitler sich sah, abgelöst werden. An die Stelle der Loyalität gegen-
über den Kirchen sollte die Hingebung an den «Führer» und das Reich treten – als «politisches Glaubens-
bekenntnis» hatte Hitler bereits während der «Kampfzeit» die ideologischen Grundgedanken der NSDAP, als
«politischen Glauben» ihr Parteiprogramm verkündet.262 Kurz: Wagners Regenerations-Christentum wurde
von seinem religiösen Kern abgetrennt und mit Ingredienzien der neuromantischen Bayreuther Kunstreligion
sowie der Deutschgläubigkeit der völkischen Bewegung zur neuen «Gottgläubigkeit» verschmolzen.
Pikanterweise führten Hitler und Goebbels dieses pseudoreligiöse Konstrukt offiziell 1937 anlässlich des
Bruckner-Anlasses in der Walhalla und dem anschliessenden Parteitag erstmals in die Lingua Tertii Imperii
ein263: «So gehen wir auch mit der tiefsten Gottgläubigkeit in die Zukunft. Wäre das, was wir erreichten,
254 Bermbach, Liturgietransfer, S. 49.255 Schemann, Ludwig: Die Gral- und die Parzival-Sage in ihren hauptsächlichsten dichterischen Verarbeitungen, in: Bayreuther Blätter, Jg.
2, Nr. 3 (April 1879), S. 110.256 Hitler, zit. nach Frederick C. Oechsner: This is the enemy, Boston 1942, S. 73.257 Bermbach, Liturgietransfer, S. 54.258 Bermbach, Liturgietransfer, S. 56.259 Rauschning, Hermann: Gespräche mit Hitler, 2. Aufl. New York ‹etc.› 1940, S. 216.260 Vondung, Klaus: Magie und Manipulation. Ideologischer Kult und politische Religion des Nationalsozialismus, Göttingen 1971, S. 37.261 Bermbach, Liturgietransfer, S. 56.262 Bärsch, Das Erhabene und der Nationalsozialismus, S. 785.263 Vgl. Gilliam, The Annexation of Anton Bruckner, S. 593-596. Er sieht die Entwicklung des Begriffs in den kirchenfeindlichen Bestre-
bungen der Jahre 1933-36 angelegt und nimmt als Auslöser für seine Lancierung die päpstliche Enzyklika «Mit brennender Sorge» vomJuli 1936 an. Brüstle, Bruckner und die Nachwelt, S. 112, vermutet den Versuch der Einbettung von Bruckners Religiosität ins national-sozialistische Weltbild als Grund für die Konstruktion der «Gottgläubigkeit». Da der Begriff aber schon anfangs der 30er vereinzelt inÄusserungen von NS-Aktivisten auftauchte, sind seine Wurzeln wohl eher in den theologisch-ideologischen Hintergründen der NS-Ersatz-religion zu finden: Siehe Domarus, Hitler. Reden und Proklamationen 1932-1945, Bd. I, Teilbd. 2, S. 699, Anm. 139, sowie Lächle,Rainer: Protestantismus und völkische Religion im deutschen Kaiserreich sowie von Schnurbein, Stefanie: Die Suche nach einer
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möglich gewesen, wenn die Vorsehung uns nicht geholfen hätte? Ich weiss es, alles Menschenwerk ist schwer
und vergänglich, wenn es nicht gesegnet wird von dieser Allmacht. Wenn aber diese Allmacht ein Werk
segnet, so wie sie unseres gesegnet hat, dann können Menschen es auch nicht mehr zerstören.»264 Bruckner
wurde in dieses Konstrukt eingepasst, indem die alten Klischees – z.B. Bruckners Religiosität oder sein
Deutschtum – mit den Elementen der NS-Kunstreligion und der «Gottgläubigkeit» identifiziert wurden.
4.1.3 Propaganda-Inszenierungen: Liturgietransfer und «Brucknermusik»
In der Instrumentalisierung von Bruckners Musik zur «Verkündigung» der «Gottgläubigkeit» zeigt sich
wiederum die herausragende Rolle der Musik für die ästhetische Verschmelzung von Religion, Kunst und
Politik, die eines der wichtigsten Elemente nationalsozialistischer Selbstinszenierungen war. Sie nutzte den
Effekt, den bereits Wagner in seiner Verknüpfung religiöser Symbolik und kultischer Handlungen mit Musik
beschrieben hatte: das Phänomen des Liturgietransfers, wie es von Udo Bermbach auf eine griffige Formel
gebracht wurde.265
In den Feiern und Parteitagsinszenierungen widerspiegelte sich, dass politisches wie religiöses Bekenntnis
eng miteinander verbunden sein mussten, wollte die NS-Weltanschauung das gesamte Leben des Volkes erfas-
sen und das Denken der Leute bestimmen, wie es bisher das Christentum getan hatte. Die Abläufe solcher
Veranstaltungen, besonders die der Parteitage in Nürnberg, folgten deshalb in ihrem Aufbau dem der Messe:
Wichtigste Elemente waren Glockengeläut, die chorische Deklamation von gebetsähnlichen Parolen im
Wechsel mit einem Vorsprecher, die das Bekenntnis der «Volksgemeinschaft» zum «Führer» beinhaltete
(«Glaubensbekenntnis»), die Verkündung der «Führerworte» («Lesung aus den Evangelien») sowie eine An-
sprache, die das «Führerwort» auf die aktuelle Situation bezog und interpretierte («Predigt»). Die ideologi-
sche Botschaft wurde so in einen vertrauten, pseudosakralen Rahmen gebracht und durch den massiven
Einsatz von Musik, Architektur und die Anordnung der Menschenmassen in riesenhaften, abgezirkelten
Rechtecken, welche die Menschen in gewisser Weise selber zu architektonischen Elementen werden liess,
sinnlich erfahrbar gemacht. Hinzu traten Effekte wie der mit Flakscheinwerfern errichtete «Lichtdom» Speers
oder der Schein von Tausenden von Fackeln in Analogie zur hoch aufstrebenden gotischen Architektur bzw.
zum Kerzenschein in der Kirche; Fahnen- und Reichsinsignienträger ersetzten Heiligenbilder, Monstranzen,
Fahnen und Kreuze, wie sie bei kirchlichen Prozessionen gebräuchlich waren. 266
Bei diesen umfassenden Szenographien ging es meistens nicht primär um die dabei verwendete Musik als
solche, sondern um deren Überwältigungswirkung und allenfalls ihre inhaltlichen Aussagen – etwa, wenn zur
Eröffnung der Parteitage jeweils die Ouvertüre von Wagners «Rienzi» gespielt wurde und es in der Absicht
Hitlers lag, Parallelen zwischen der heroischen Opernfigur und sich selber zu insinuieren. Die Inszenie-
«arteigenen» Religion «germanisch-» und «deutschgläubigen» Gruppen, beide in: Handbuch zur «Völkischen Bewegung» 1871-1918,hg. v. Uwe Puschner, Walter Schmitz u. Justus H. Ulbricht, München ‹etc.› 1996, S. 149-163 (Lächle) bzw. 172-185 (von Schnurbein).
264 Hitler, Rede vom 6. Juni 1937 am NSDAP-Gauparteitag der Bayerischen Ostmark, in: Domarus, Hitler. Reden und Proklamationen 1932-1945, Bd. I, Teilbd. 2, S. 699f.
265 Bermbach, Liturgietransfer, S. 56f.266 Vgl. Bermbach, Liturgietransfer, S. 57ff.; Reichel, Der schöne Schein des Dritten Reiches, S. 116, 128ff. u. 133ff. sowie Prieberg, Musik im
NS-Staat, S. 134f., 142ff. u. 301.
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rungen sollten durch Musik mit monumentalem Charakter in ihrer Wirkung verstärkt werden, die Musik
sollte eine feierlich-erhebende, Ehrfurcht gebietende Stimmung schaffen, die Menschen «sollten sich dem
Klang ergeben wie der ‹Allmacht›, die sie zu tragen schien.»267 Goebbels strebte mit seiner Musikauswahl eine
gläubig-passive Rezeptionshaltung der Menschen an, die den Massen ein spirituelles Einheitsgefühl vermitteln
sollte. Zu diesem Zweck wurden auch zahlreiche Elemente religiös-sakraler Musik ihrer ursprünglichen
Bedeutung entleert, ideologisch «umgewertet» und dem nationalsozialistischen Kult einverleibt.268 Besonders
geeignet waren dazu Elemente, denen nicht nur eine kirchliche, sondern auch eine profane Funktion eigen
war – wie beispielsweise Orgelmusik. Die Orgel hatte zunächst eine explizit kirchliche Funktion, gewann im
19. Jahrhundert aber auch eine profane als Konzertinstrument hinzu. Für NS-Zwecke eignete sich die Orgel
aber nicht nur aufgrund dieser Doppelfunktion, sondern auch wegen ihrer Monumentalität, die sich aus dem
(spätromantischen) Instrument ableitete. Ähnlich verhielt es sich mit Blechbläsern, die ebenfalls eine lange
Tradition als «Kult- und Feierinstrumente» für kirchliche, weltliche und explizit militärische Anlässe aufwie-
sen.269 In Bruckners Sinfonik mischten sich solche Elemente in idealer Weise: Stilmomente mit kirchlichem
Hintergrund konnten beispielsweise in den Bläserchorälen gesehen werden, während das Orgelhafte vor
allem in Dynamik und Instrumentierung der früheren Fassungen durchschimmerte.270 Karl Grunsky, ein
Brucknerspezialist, Wagnerianer und Nationalsozialist der ersten Stunde271, hörte in Bruckners Musik
«innere Sammlung, welche restlos alles fernhält, was irgendwie gewöhnlich […] wirken könnte, […]
natürliche Feierlichkeit, die nichts vormacht, sondern unser Herz mit Ahnung des Göttlichen erfüllt und […]
musikalische Spannkraft, welcher Steigerungen von unerhörter Gewalt gelingen.»272 Max Auer verknüpfte die
religiöse Aufladung der Brucknerschen «Tonwelt» mit dem «Freilichtdom seiner Sinfonien». Diese kämen –
wie sonst nur noch «Parsifal» – in ihrem Charakter «einem Gottesdienst» gleich.273 Angelehnt an solche
Aussagen anerkannter Bruckner-Autoritäten der 1920er und 30er Jahre sowie den Topos von Bruckners
Sinfonien als «Messen ohne Worte», den auch Grunsky wiederholt bemühte274, war es nicht mehr schwierig,
die wagnerianische Auffassung von «Musik als Religion» in Bruckners Kompositionen eingelöst zu sehen.
Seine Sinfonien passten zudem hervorragend ins Raster der «sinfonischen Grossform», die «nachweisbar
ausschliesslich eine Tat germanischen Geistes»275 gewesen sei und gemäss nationalsozialistischer Definition
heroisch, raumgreifend, organisch, erhebend, philosophisch und spirituell zu sein hatte.276 Goebbels und
seine Propagandisten brauchten lediglich noch diese bereitliegenden Rezeptionsstränge aufzugreifen, um
Bruckner als Mittel des Liturgietransfers zur gezielten Steuerung «religiöser» Empfindungen einsetzen und
damit ihre Ideologie transportieren zu können.
267 Brüstle, Bruckner und die Nachwelt, S. 224f.268 Vondung, Magie und Manipulation, S. 146f.269 Brüstle, Bruckner und die Nachwelt, S. 224f.270 Siehe dazu Steinbeck, Wolfram: «Dona nobis pacem». Religiöse Symbolik in Bruckners Symphonien, in: Bruckner-Probleme, hg. v.
Albrecht Riethmüller, Stuttgart 1999 (Beihefte zum Archiv für Musikwissenschaft, Bd. XLV), S. 87-96; Floros, Brahms und Bruckner, S.199ff. sowie ders., Thesen über Bruckner, S. 10f.
271 Hein, «Es ist viel ‹Hitler› in Wagner», S. 67f.272 Grunsky, Anton Bruckner, S. 19.273 Auer, Anton Bruckner. Sein Leben und Werk, S. 14-16.274 Beispielsweise in Grunsky, Karl: Fragen der Bruckner-Auffassung. Vortrag zum 6. internationalen Brucknerfest in Zürich, 20. bis 28. Juni
1936, Stuttgart 1936, S. 22ff.275 Grunsky, Karl: Der Kampf um deutsche Musik, Stuttgart 1933, S. 10.276 Gilliam, The Annexation of Anton Bruckner, S. 590.
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Die Umsetzung dieser Indoktrinierung durch Liturgietransfer erfolgte einerseits auf offensichtliche Weise in
den Massenveranstaltungen der Partei, nahm andererseits aber auch etwas subtilere Formen an und konnte
auch im Konzertsaal stattfinden: Da Bruckner durch seine Aufnahme in die Walhalla quasi zu einer Gottheit
im nationalsozialistischen Pantheon aufgestiegen war und seine Sinfonien die höchste Ausdrucksform des
Erhabenen und Heiligen der deutschen Musik darstellten, lag es nahe, auch ihre Aufführungen in Konzerten
für den Liturgietransfer zu nutzen und entsprechend zu zelebrieren. Nachdem bereits im Frühjahr 1938 eine
«Säuberung des Kunsttempels» stattgefunden hatte und die Leitung diverser bedeutender Institutionen des
Wiener Musiklebens in «bewährte nationale Hände gelegt»277 worden war, veranstalteten deshalb die Wiener
Symphoniker ab 1939 unter ihrem «kerndeutschen»278 Dirigenten Hans Weisbach im Grossen Wiener Kon-
zerthaussaal sogenannte «festliche Dunkelkonzerte», bei denen der Musik andächtig im abgedunkelten Saal
gelauscht wurde. Zur Aufführung gelangten weihevolle, teilweise geistliche Werke verschiedener Komponisten
sowie Sinfonien Bruckners. Im Falle des ersten derartigen Dunkelkonzertes am 17. November 1939 standen
das Vorspiel zu «Parsifal», Max Regers Phantasie und Fuge d-moll für Orgel und Bruckners Siebte auf dem
Programm. Weitere Programme beinhalteten Mozarts «Regina coeli» (KV 127) und die Neunte von Bruckner
(15. November 1940) bzw. Mozarts Sinfonie Nr. 41 (KV 551) in Kombination mit Bruckners Siebter (6.
Dezember 1940). Zudem kam einmal im Jahr Bachs «Kunst der Fuge» in der Orchesterfassung Wolfgang
Graesers zur Aufführung. Der Grad der Dämpfung des Lichts indizierte bei diesen Veranstaltungen den Grad
der Andacht: die Werke vor der Pause wurden im halbverdunkelten Saal gespielt, die Bruckner-Sinfonien im
gänzlich verdunkelten Saal. Und um die durch diese Anordnung evozierte Weihe nicht zu zerstören, war es
dem Publikum geboten, sich «aller Beifallsbezeugungen zu enthalten».279 Ein Blick auf die Programmzusam-
menstellung der Abonnementskonzerte im Konzerthaus der sieben Saisons von 1937/38 bis 1943/44 zeigt
zudem, dass Bruckner auch in den «normalen» Konzerten nicht eben selten gespielt wurde: 15 mal standen
seine Werke auf dem Zettel, ein Wert, der nur von Beethoven übertroffen wurde.280 Diese Häufung kann
insofern als Indiz für eine nationalsozialistische Indienststellung Bruckners gesehen werden, als diese Kon-
zerte oft unter dem Patronat der NS-Organisation «Kraft durch Freude» stattfanden und so mindestens
indirekt zur ideologischen Beeinflussung eingesetzt wurden.281
Die massive propagandistische Instrumentalisierung von Musik im Allgemeinen und von Bruckners Sinfonien
im Speziellen war hauptsächlich das Produkt kühler, pragmatisch-funktionsbezogener Kalkulationen des NS-
Chefpropagandisten. Goebbels interessierte sich für Musik, weil er sie für seine Zwecke nutzbar machen
konnte: «Ich bekomme vom Führer den Auftrag, die alten Bestände unserer Spielopern und Operetten
durchprüfen zu lassen. Da findet sich noch vieles, was damals durchfiel, mit einem neuen Libretto aber für
277 Wiener Ausgabe des «Völkischen Beobachters», vom 16. März 1938, zit. nach Heller, Friedrich C.: Von der Arbeiterkultur zur
Theatersperre, in: Das Wiener Konzerthaus. Geschichte und Bedeutung 1913-1983, hg. v. Friedrich C. Heller u. Peter Revers, Wien 1983, S.99. Das Schlagwort vom «Kunsttempel» stammt von Wolfgang Willrichs Pamphlet «Säuberung des Kunsttempels - Eine kunstpolitischeKampfschrift zur Gesundung deutscher Kunst im Geiste nordischer Art» (Berlin 1937). Siehe auch Goebbels’ Tagebucheintrag vom11.6.38: «Lektüre: Willrich ‹Säuberung des Kunsttempels›. Die ist auch nötig und ich werde sie vornehmen.» Goebbels, Joseph: DieTagebücher, bearb. u. hg. im Auftrag des Institutes für Zeitgeschichte v. Elke Fröhlich, Teil I, Aufzeichnungen 1923-1941, Bd. 5(Dezember 1937 bis Juli 1938), München 2000, S. 350.
278 Johannes Günther und Friedrich Herzog in einem Brief vom 17.10.1933 ans Präsidium des Reichsverbandes Deutscher Schriftsteller, zit.nach Wulf, Joseph: Musik im Dritten Reich. Eine Dokumentation. Frankfurt a.M. ‹etc.› 1966, S. 218.
279 Heller, Von der Arbeiterkultur zur Theatersperre, S. 101ff.280 Heller, Von der Arbeiterkultur zur Theatersperre, S. 214-219.281 Heller, Von der Arbeiterkultur zur Theatersperre, S. 99 u. 103
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uns noch sehr gut fruchtbar gemacht werden kann.»282 In ähnlicher Weise «fruchtbar machen» liessen sich
indes auch Bruckners Sinfonien, wie anhand einiger Tagebucheinträge ersichtlich wird, die Goebbels wäh-
rend der Planungsarbeiten zum NSDAP-Parteitag «der Arbeit», der im September 1937 über die Bühne ging,
machte: «Ich prüfe neue Musik für den Reichsparteitag. Nicht viel Rares dabei. Aber wenn man bis auf
Bruckner zurückgeht: grandios!»283 Seine Begeisterung für Bruckners Musik als Untermalung des Parteitags
fand offensichtlich die Zustimmung Hitlers, so dass er einen Monat später notierte: «Auch der Führer findet
keinen Gefallen an der neukomponierten Parteitagsmusik. Wie gross ist dagegen Bruckner! Welch ein Titan!
Ein Riese der Musik.»284 Welcher Platz diesem «Titanen» dann konkret gebührte, zeigt die Notiz vom 8.
September: «Kulturtagung: sehr feierlicher Rahmen. ‹Einzug der Götter›. Rosenberg spricht sehr gut. […]
Führerrede ganz lapidar. Verhältnis von Kunst und Kunstbetrachtung. Mit einer vernichtenden Abrechnung
mit den Skribifaxen. Man kann kaum in ein paar Worten diese Rede umreissen. Der Führer ist am Ende ganz
erschöpft. Herrlicher Bruckner zum Schluss.»285 Diese Inszenierungsmethode bewährte sich auch bei
anderer Gelegenheit: «Zur Architektur-Ausstellung. Sehr festlich. Zuerst redet Fink. Dann ich, glaube ich,
sehr wirksam. Dann wieder einmal wunderbar der Führer. Dazu Brucknermusik.»286
Goebbels, der auf Wirkung abzielende Propagandist, hielt Bruckners Musik also für «grandiose» Parteitags-
musik, und wenn er an sie dachte, so stellte er sie immer in den Kontext der ihr zugedachten Funktion. Dass
die eingesetzten Stücke mit Bedacht gewählt wurden, zeigt auch das Beispiel des «Tags der deutschen Kunst»
vom 30. Juni 1937, zu dessen Eröffnung eine aus den Anfangstakten der Dritten Sinfonie herausgelöste
Fanfare gespielt wurde.287 Neben der zeremoniellen Qualität im Sinne des Liturgietransfers, die sogar dieses
kurze Stück zweifellos aufweist, kam ihm auch eine ideologische Bedeutung zu, handelte es sich dabei doch
um genau jenen Ausschnitt, den Bruckner in seinem Dedikationsgesuch an Wagner zitierte: «Symfonie in D
moll, wo die Trompete das Thema beginnt.» Wagner, der die Dedikation angenommen hatte («Ja! Ja!
Herzlichen Gruss!»)288, war von Hitler bereits früh als direkter geistiger Vorläufer bezeichnet und seither – in
perverser Verdrehung der Tatsachen – als prominentester Vertreter der NS-Ideologie vereinnahmt worden289,
womit nun wiederum Bruckner mit dem Nationalsozialismus in Verbindung gebracht war.
282 Goebbels, Joseph: Die Tagebücher, bearb. v. Jana Richter, hg. im Auftrag des Institutes für Zeitgeschichte v. Elke Fröhlich, Teil I, Aufzeich-
nungen 1923-1941, Bd. 8 (April-November 1940), München 1998, S. 37. Ähnliches war auch für Bruckners Chöre «Germanenzug» und«Helgoland» geplant, da der (getaufte) Jude Silberstein nicht als Textdichter aufscheinen sollte. Siehe Brüstle, Bruckner und dieNachwelt, S. 64f. u. 106f. sowie Ringer, Alexander L.: «Germanenzug» bis «Helgoland». Zu Anton Bruckners Deutschtum, in: Bruckner-Probleme, hg. v. Albrecht Riethmüller, Stuttgart 1999, S. 27ff.
283 Eintrag vom 25.6.38, Die Tagebücher, Bd. 5, S. 359.284 Eintrag vom 26.7.38, in: Goebbels, Die Tagebücher, Bd. 5, S. 395.285 Eintrag vom 8.9.37, in: Goebbels, Josef: Die Tagebücher, bearb. u. hg. im Auftrag des Institutes für Zeitgeschichte v. Elke Fröhlich, Teil I,
Aufzeichnungen 1923-1941, Bd. 4 (März bis November 1937), München 2000, S. 301. Erwin Bauer hielt dazu in der Musik-Woche vom9.10.1937 fest: «Die musikalische Umrahmung des Kulturkongresses mit der Rede des Führers besorgte heuer das MünchenerPhilharmonische Orchester unter der Leitung des Präsidenten der Reichsmusikkammer, Prof. Peter Raabe und Geheimrat Siegmund vonHausegger. Dem Wunsche des Führers entsprechend schloss das Finale der Fünften Sinfonie von Anton Bruckner den Kulturkongress inüberwältigender Grossartigkeit ab.» Zit. nach Wulf, Musik im Dritten Reich, S. 248f.
286 Eintrag vom 23.01.38, in: Goebbels, Die Tagebücher, Bd. 5, S. 112.287 Es handelt sich um die Trompetenstimme der Takte 5-9 des ersten Satzes. Vgl. Anton Bruckner: III. Symphonie d-moll (Wagner-
Symphonie), Fassung 1873, hg. v. Leopold Nowak, Wien 1977 (Anton Bruckner, Sämtliche Werke, Band III/1), S. 2.288 Beide Zitate stammen vom Doppelautograph Bruckner/Wagner, ABB1 730900/138.289 Siehe z.B. Seeliger, Hermann: Der deutsche Seher. Die nationalsozialistische Idee bei Richard Wagner, in: Bayreuther Blätter Jg. 57 (1934)
Nr. 3, S. 127-161 oder Grunsky, Hans Alfred: Wagner und Hitler, in: Deutsches Wesen. Nationalsozialistische Monatsschrift mit Bildern,hg. v. Otto Strobel, Sondernummer «Richard Wagner und das neue Deutschland (Juli 1933), NS-Kulturverlag, Bayreuth 1933, S. 7-10.
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Hitler, dem ein inniges Verhältnis zur Musik Wagners und Bruckners nachgesagt wurde290, verhielt sich kaum
weniger pragmatisch als Goebbels, wenn stimmt, was Albert Speer in seinen Erinnerungen festhält: «Jährlich
besuchte er während der Bayreuther Festspiele ohne Ausnahme jede Vorstellung des ersten Zyklus. Wie mir
musikalischem Laien schien, zeigte er in Gesprächen mit Frau Winifred Wagner auch in musikalischen
Einzelheiten Urteilsvermögen; mehr aber noch beschäftigten ihn die Leistungen der Regie. Darüber hinaus
besuchte er Opernaufführungen äusserst selten, und auch sein anfänglich etwas grösserers Interesse für das
Schauspiel ging bald zurück. Selbst seine Vorliebe für Bruckner blieb eher unverbindlich; zwar wurde vor
jeder seiner ‹Kulturreden› auf dem Nürnberger Parteitag ein Satz aus einer Bruckner-Symphonie gespielt, im
übrigen aber sorgte er nur dafür, dass Bruckners Lebenswerk in St. Florian weiter gepflegt wurde. In der
Öffentlichkeit liess er jedoch das Bild von der Intensität seines Kunstsinnes verbreiten.»291
Diese persönliche Imagepflege Hitlers als verständiger, engagierter Musikliebhaber fand ihre Parallele im
Bemühen Goebbels’, auch das nationalsozialistische Deutschland als grosse Kultur- und Musiknation im
Bewusstsein der Welt zu verankern. Komponisten wie Bach, Beethoven oder Wagner wurden als geniale und
krönende Beispiele für die «Musizierfreudigkeit der ganzen Rasse» herangezogen292, was sich etwa in einem
angepassten Radioprogramm niederschlug: «Ich bestimme neuen Kurs im Rundfunk: mehr ernste, weniger
reine Unterhaltungsmusik. Übertragungen von Opern und Symphonien. Seriöseres Programm.»293 Spätestens
nach diesem Beschluss stieg Bruckner bei den NS-Programmgestaltern zum nach Beethoven meistgeschätzten
Sinfoniker auf, der «in den musikalischen Feierstunden aller deutscher Sender immer wieder erscheint».294
Konzerte mit den Sinfonien Beethovens und Bruckners sowie Wagners «Ring» wurden am deutschen Rund-
funk übertragen und von ausländischen Stationen übernommen.295 Dieser massierte Einsatz hatte eine drei-
fache Propagandawirkung: Erstens gaben sich die Nazis nach innen kultiviert unterhaltend und transportier-
ten ideologische Inhalte in ansprechender Verpackung; zweitens wirkte die grandiose Monumentalität und
die Spiritualität Bruckners als Bollwerk gegen die modernen Strömungen der Musik in den 1920er Jahren, zu
Schönberg, Weill oder Hindemith; und drittens zeigten sie nach aussen die Glanzlichter deutscher Kultur und
konnte so das während der «Kampfzeit» selber ins Leben gerufene Barbaren-Image etwas übertünchen.
Während der Kriegsjahre wurde die Musik Bruckners noch in einem anderen als dem propagandistisch-
ideologischen Zusammenhang bedeutungsvoll, denn sie eignete sich bestens zur Besinnung und Stärkung der
Moral – als «höhere Durchhaltemusik», wie Brüstle lakonisch feststellt.296 Zu den meistgespielten Stücken
avancierten hauptsächlich Bruckners Fünfte, nach Auer die «Glaubenssymphonie», sowie die Neunte, «der
Schwanengesang Bruckners», ein Abbild der «Idee vom Jenseits, von der Gottheit», der «Grabgesang nach
einem leidgeprüften Heldenleben».297 Ihre Apotheose erreichte Bruckners Vereinahmung in der gespensti-
schen Inszenierung des Untergangs des Dritten Reiches und seines «Führers». Nachdem Goebbels anfangs
290 Siehe Abschnitt 4.3.291 Speer, Albert: Erinnerungen. Mit einem Essay von Jochen Thies, Frankfurt ‹etc.› 1993 , S. 145.292 Goebbels in einer Übertragung der Bayreuther Festspiele, zitiert nach Susanna Grossmann-Vendrey: Bayreuth in der deutschen Presse
(1908-1944), Regensburg 1983, S. 253ff.293 Eintrag vom 25. Juni 1938, in: Goebbels, Die Tagebücher, Bd. 5, S. 359. Damit einher ging auch die bereits 1935 eingeleitete Verbannung
von «Niggerjazz», «verjudeter», «entarteter» und «bolschewistischer» Komponisten. Siehe hierzu Drechsler, Nanny: Die Funktion derMusik im deutschen Rundfunk 1933-1945, Pfaffenweiler 1988, S. 40f.
294 Gehly, Paul: Deutsche Meister der Musik im Rundfunk, Köln 1937, S. 57ff.295 Drechsler, Die Funktion der Musik im deutschen Rundfunk 1933-1945, S. 29f. u. 38ff.296 Brüstle, Bruckner und die Nachwelt, S. 256.297 Auer, Anton Bruckner. Sein Leben und Werk, 3. Aufl., Leipzig 1941, S. 270 u. 443, zit. nach Brüstle, Bruckner und die Nachwelt, S. 256.
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April 1945 die Berliner Philharmoniker auflösen und in die Endverteidigung Berlins integrieren wollte, liess
Speer die Papiere der Musiker vernichten, um sie vor der Einziehung zu retten. Er ordnete an, dass «wenn
Bruckners Romantische Symphonie gespielt wird, dann ist das Ende da». Für den 12. April 1945 setzte Speer
ein «Abschiedskonzert» an: «Für den Beginn hatte ich die letzte Arie der Brünhilde und das Finale der
‹Götterdämmerung› bestimmt; eine pathetische und zugleich melancholische Geste auf das Ende des Reiches.
Nach Beethovens Violinkonzert beschloss die Bruckner-Symphonie mit ihrem architektonisch aufgebauten
Schlussatz für lange Zeit die musikalischen Erlebnisse meines Lebens.»298 Und als am 1. Mai 1945 die
Nachricht von Hitlers als «Heldentod» verklärtem Selbstmord über den Äther ging, wurde sie umrahmt von
Klängen aus der «Götterdämmerung» und dem Adagio aus Bruckners Siebter Sinfonie.299
4.2 Anknüpfungspunkte der nationalsozialistischen Bruckner-Rezeption
Der Kulturbetrieb in Deutschland war seit 1936 praktisch gleichgeschaltet und auf inhaltlich-ideologischer,
organisatorischer und struktureller Ebene mehrheitlich dem Diktat des Ministeriums für Volksaufklärung
und Propaganda unterworfen. Bruckners Musik wurde in diesem System zu zeremonialen Zwecken aus-
genützt, als Ideologieträger missbraucht und als eskapistisches Remedium gegen die Sorgen und Nöte des
Kriegsalltags verabreicht. Seine Vereinnahmung als Person, die noch wesentlich weiter gehen sollte, als die
Indienstnahme seiner Musik, setzte aber nicht plötzlich, etwa aufgrund einer Anordnung des Propagandami-
nisters oder gar auf Befehl des «Führers» ein, sondern sie ergab sich beinahe von selbst aus den zahlreichen
Anknüpfungspunkten, die zwischen den Bruckner-Verehrern und den Nationalsozialisten existierten. Bruck-
ner war sozusagen eine persona gratissima der NS-Kulturpolitik, kaum einer eignete sich besser als Projek-
tionsfläche für die nationalsozialistischen Vorstellungen als er: Einerseits entsprach seine Musik genau den
nationalsozialistischen Anforderungen und Bedürfnissen, andererseits eröffneten sich durch Bruckners
Biographie und Gesinnung sowie ihre fortgesetzte Instrumentalisierung im Kontext deutschnationaler und
wagnerianischer Ideologie vielfältige Möglichkeiten, das daraus entstandene Brucknerbild aufzugreifen. In
Abschnitt 4.2.1 soll nun gezeigt werden, wie solche Rezeptionsfäden und Topoi von der NS-Propaganda
aufgenommen und weitergesponnen wurden, während in Abschnitt 4.2.2 versucht wird, das Netz von
Verbindungen zwischen Brucknerianern und Nationalsozialismus etwas näher zu untersuchen.
4.2.1 Kontinuität des Brucknerbildes
Die in Kapitel 3 geschilderte, ideologisch gefärbte Bruckner-Rezeption, die durch biographische Anekdoten,
künstlerische und weltanschauliche Klischees sowie eine idealisierende «Heldenverehrung» bestimmt und
durch Bruckners stillschweigende Duldung legitimiert wurde, stellte bereits die meisten Elemente bereit,
welche für die nationalsozialistische Vereinnahmung Bruckners wichtig waren. In einer Art osmotischen
298 Speer, Erinnerungen, S. 466f.299 The Annexation of Anton Bruckner, S. 588.
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Prozesses, der seinen Anfang bereits zu Lebzeiten Bruckners bei Schülern und Freunden des Komponisten
nahm, diffundierten sie zu den Brucknerianern der 1910er und 20er Jahre, die sie in mannigfaltiger Weise
ideologisch aufluden und in zahlreichen Fällen bruchlos ins Bruckner-Verständnis der Nationalsozialisten
weitertransportierten. Von diesen brauchten sie lediglich noch aufgegriffen, auf die aktuellen Bedürfnisse der
NS-Propaganda abgestimmt und entsprechend zugespitzt zu werden. Themen, die immer wieder – und meist
in Kombinationen – aufgegriffen wurden, waren Bruckners Beethoven-Nachfolge, seine Nähe zu Wagner, die
Schwierigkeiten, sich in Wien gegen die Kritik zu behaupten, seine Heimatverbundenheit im Allgemeinen und
sein Deutschtum im Speziellen, sowie seine Religiosität und sein Glaube, wie im Folgenden einige Beispiele
belegen sollen.
Theodor Armbruster, seit den 1920er Jahren eine der umtriebigsten Figuren der Leipziger Bruckner-Gemein-
de300, verfasste 1932 einen Artikel, in dem er seine Motive für die Aufstellung einer Brucknerbüste im
Leipziger Gewandhaus darlegte und dabei kaum ein Bruckner-Klischee ausliess: Armbruster zeigte sich darin
«stolz», dass er dem Komponisten an der «Pflegestätte seines gigantischen Werkes», das in seiner «monu-
mentalen, zur inneren Einkehr zwingenden Form zeitlose Gestalt» angenommen habe, ein Denkmal habe
setzen können.301 Die Büste sollte den Konzertbesuchern vor Augen halten, «dass wahre Grösse nur im
einfachen, schlichten, mit seiner Scholle verwachsenen, gottgläubigen Menschen wurzelt», so Armbruster.
Die Büste vermittle zwischen dem «Nebeneinander des bäuerlich-schlichten, unkomplizierten, ja intellek-
tuell-unkultivierten Menschen Bruckner» und dem «selbstbewussten, gewaltigsten Symphoniker[s] Bruck-
ner». Die wiederzuerlangende «Ehrfurcht vor dem Schöpferischen», mit welcher den «unsagbaren, unantast-
baren Schönheiten der Brucknerschen Themen», der «majestätischen Gewalt» und der «erhabenen Reinheit
[…] seiner Tonsprache» zu begegnen sei, dürfe nicht mehr von «Einzelgängern, denen der böse Geist
Hanslicks ihre erbärmlichen Kritiken […] diktiert», schlecht gemacht werden. Was Armbruster im Brustton
der Empörung und der unbescheidenen Pose des selbsternannten Bruckner-Protektors hinausposaunte,
wurde wenig später zur offiziellen Meinung der NS-Propaganda und wurde, bis hin zum im November 1936
von Goebbels erlassenen Kritikverbot, umgesetzt.
In einem 1936 publizierten Artikel griff Werner Korte302 das für die nationalsozialistische Bruckner-Rezeption
ausserordentlich wichtige Thema des religiösen Gehalts von Bruckners Musik auf303: Obschon niemand
leugnen könne, «dass Bruckner überzeugter katholischer Christ war», sei es verfehlt, im Komponisten einen
«Märtyrer der katholischen Idee» und in seinen Werken «die Apologie des Christentums» zu erblicken. Gera-
de das, was als «das scheinbar Ewig-Gültige» in Bruckners Musik betrachtet werde, sei tatsächlich «das
Zeitbedingte», nämlich die «Geeignetheit für künstlerisch verbindende Inhaltsübersetzungen.» Aus diesem
Grund könne Bruckners Kunst nicht «überzeitlich, d.h. von Vor- und Nachwelt losgelöst» erklärt werden.
300 Lieberwirth, Steffen: Zur Geschichte der Bruckner-Büste des Gewandhauses zu Leipzig, in: Bruckner-Jahrbuch 1984/85/86, hg. v. Ingrid
Fuchs e.a. (Anton Bruckner Institut Linz), Linz 1988, S. 69-84 sowie Brüstle, Bruckner und die Nachwelt, S. 86 u. 255f.301 Armbruster, Theodor: Die Bruckner-Büste im Leipziger Gewandhaus als Mahnzeichen, in: Neue Illustrierte Zeitung, Jg. 37 (1932), S. 94,
zit. nach Lieberwirth, Zur Geschichte der Bruckner-Büste des Gewandhauses zu Leipzig, S. 73. Alle folgenden Zitate dort.302 Korte (1906-1982) war seit 1932 Professor für Musikwissenschaft an der Universität Münster und galt als linientreuer Nationalsozialist der
ersten Stunde, der entsprechende Positionen auch in seinen Publikationen vertrat. Trotz ungünstiger Beurteilung bei seinem Entnazifizie-rungsverfahren konnte er 1946 seine Karriere als ordentlicher Professor in Münster fortsetzen. Siehe http://www.uni-muenster.de/Musik-wissenschaft/Gesch-1.htm (30.04.2004) sowie Leopold, Silke: Artikel «Korte, Werner», in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Allge-meine Enzyklopädie der Musik, 2. neubearb. Auflage, Personenteil Bd. 10, Kassel ‹etc.› 2003, Sp. 544f.
303 Korte, Werner: Musikalisches Presseecho, in: Die Musik, Jg. 29 (1936/37), Heft 2 (November 1936), S. 136f. Alle folgenden Zitate dort.
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Vielmehr hänge jede Weltanschauung, also auch Bruckners katholische, «von der stammesräumlichen und
geistesgeschichtlichen Lage» ab, wobei «das Geistesgeschichtliche» durch «die biologisch-rassischen Grund-
lagen» bedingt seien. Auch in Wahl und Anwendung der «Mittel seiner Tonsprache» sei er «durchaus
zeitbedingt, nur die geniale Kraft des Meisters, seine innere Wahrhaftigkeit, hebt gerade sie zu ihrer höchsten
Wirksamkeit.» Bruckners «einmalige musikalisch-geschichtliche Stellung» sieht Korte denn auch nicht in
seinem Glauben, sondern im «Österreicher» und «Deutschen» seiner Persönlichkeit begründet. Nach dieser
bereits deutlich den Geist der Zeit widerspiegelnden Distanzierung vom christlich-katholisch geprägten
Bruckner-Bild, wie es in den Jahren zuvor etwa von August Halm propagiert worden war304, begab sich Korte
noch auf weitaus schlüpfrigeres Terrain, indem er den «Ton» der Bruckner-Interpretation einer «bestimmten
Gesellschaft» kritisierte: «Junge Dirigenten, denen vorerst jede geistige Beherrschung der Form in der
Wiedergabe fehlt, gefallen sich gern […] als Bruckner-‹Interpret›. Hier feiert dann das Mystische Triumphe,
das Unkontrollierbare wird zum Prinzip und es war kein Zufall, dass gerade zur Zeit des ‹kultischen
Theaters›, zur Zeit jüdischer Seelenvergiftung in der Mitte des vergangenen Jahrzehnts diese Bruckner-
auffassung gang und gäbe war. Wir aber sehen und wollen einen grösseren und reineren Bruckner, wir sehen
ihn befreit von den Weihrauchdämpfen gestaltloser Mystik, wir gedenken heute in Ehrfurcht des überragen-
den Menschen und Künstlers seiner Zeit, vor der er sich durch die innere Grösse und durch seine
schöpferische Leistung auszeichnete.» 305
Als propagandistisches Meisterwerk muss man wohl die geschickte Montage der diversen Bruckner-Klischees
in Goebbels’ Rede zur Aufstellung der Brucknerbüste in der Walhalla am 6. Juni 1937 bezeichnen. Der
oberste «Volksaufklärer» feierte Bruckner als «einen der grössten Meister deutscher Tonkunst», dessen
Genie in der Nachfolge Beethovens stehe und sich in «neun gewaltigen Symphonien», die zu den «stolzesten
Reichtümern unserer nationalen Musikkultur» ausgeprägt habe.306 Nachdem Goebbels gleich zu Beginn die
Topoi von Bruckners Deutschtum und seine Beethoven-Nachfolge aktiviert hatte, griff er den von Halm
gesponnenen Faden auf307, der Bruckner in die Tradition Bachs gestellt hatte: «Vor uns steht der deutsche
Kantor, der – Lehrer und Musikant zugleich – das kirchenmusikalische Erbe der Vergangenheit treulich
pflegt […], aber ebenso liebevoll […] sich auch der heimatlichen Volksmusik annimmt, mit der sein
vielseitig-lebensnahes Wirken ausserhalb der Kirche ihn auf das engste verknüpft.»308 Der Topos von
Bruckners Heimatverbundenheit diente Goebbels zur Einordnung des Komponisten in die nationalsozialis-
tische Blut-und-Boden-Ideologie, wobei er auffallend ähnliche Formulierungen benützte, wie sie schon bei
Korte zu lesen waren: «Es ist völlig verfehlt, in Bruckners Musik, wie es heute noch vielfach in gewissen
Kreisen geschieht, nichts anderes als eine ins Symphonische übertragene Abwandlung Wagnerscher Kunst
sehen zu wollen. Wie jedes Genie ist Bruckner etwas durchaus Einmaliges und Eigengewachsenes. Und um
ihn zu begreifen, muss man auf die Wurzeln seines Daseins, die blut- und rassebedingten Grundkräfte seines
Menschentums, zurückgehen.» Um Bruckners «vollkommen phrasenlose Liebe zum heimatlichen Boden und
304 Halm erblickte beispielsweise im «Geist» von Bruckners Neunter Sinfonie eine «neue Religion von Kunst», in der «die Freiheit eines
höheren Reichs von göttlich gewordener Wirklichkeit, von wirklich gewordener Göttlichkeit» wirkten (Halm, Die Symphonie AntonBruckners, S. 222f.)
305 Korte, Musikalisches Presseecho, S. 137.306 Goebbels, Joseph: Reden, Bd. 1: 1932-1939, hg. v. Helmut Heiber, Düsseldorf 1971, S. 281.307 Halm, Anton Bruckner, S. 179. Siehe auch Kapitel 3.3, S. 34f. dieser Arbeit.308 Goebbels, Reden, Bd. 1, S. 281f.
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zum grossen deutschen Vaterlande»309 noch glaubhafter erscheinen zu lassen, zitierte Goebbels den von Ernst
Schwanzara erstellten Stammbaum310, aus dem zu ersehen war, dass Bruckner «aus einem alten Bauern-
stamm» hervorging, womit auch seine «typischen Merkmale des bäuerlichen Menschen» und die «mystisch
wirkende Naturverbundenheit»311 – zwei Topoi, die schon Schalk bemüht hatte – erklärt waren. Mit der
Charakterisierung Bruckners als «geradlinig» im Charakter, in dem sich «stolzes Bewusstsein der eigenen
Leistung» mit «echter Demut» und «kindhaft reine[r] Weltfreudigkeit, die auf dem Boden eins von keinen
Verstandeszweifeln angekränkelten Gottglaubens ruhte»312 mischten, leitete der Propagandaminister über zu
einem heftigen Angriff auf das katholische Bruckner-Bild und die Rolle der Religion in seinem Leben:
«Süssliche Schlagworte wie ‹Der Musikant Gottes› oder ‹Der Sänger unserer Lieben Frau› müssen noch heute
dazu herhalten, aus Bruckners schwerem Lebenskampf eine Art religiösen Märtyrertums zu machen.» Dies
werde dem Genie Bruckner allerdings nicht gerecht. Überhaupt habe sich dessen Meisterschaft erst voll
entwickeln können, als er sich von der Kirche ab und Wagner zugewandt habe – durch das «Erlebnis»
Wagners habe er sich «auch als Mensch von äusseren Fesseln wahrhaft befreit» und ihm erlaubt, zu wahrer
Meisterschaft zu gelangen: «Von da ab wird aus dem Kirchenkomponisten, der nunmehr mit einem Schlage
fast ganz zurücktritt, der ausgeprägte Symphoniker […] Hier löst sich sein schöpferischer Genius von der
Bindung an die Kirche, nun erwacht die frühlingshafte Gewalt der grossen Schöpfung in ihm […] Es
bedeutet eine vollkommene Verkennung […] Brucknerschen Stils, wenn versucht wird, seine Symphonien
insgesamt als religiöse Kunst, als eine Art absolute Kirchenmusik zu charakterisieren – ja, sie schlechthin mit
dem Begriff ‹Messen ohne Text› abzustempeln.»313 Hatte Korte noch die Entmystifizierung von Bruckners
Musik verlangt und sich gegen die «Zwangsvorstellungen der letzten christlichen Weisheiten»314 gewehrt, griff
Goebbels diese auf und wendete sie geschickt gegen ihre Urheber, indem er Bruckners katholischen Glauben
kühn zur von den Nationalsozialisten propagierten «Gottgläubigkeit» umerklärte: «[…] wir, die wir, fern von
jeder wissenschaftlichen Auslegung der Musik, das Werk Anton Bruckners ganz einfach und unmittelbar als
künstlerische Offenbarung auf uns wirken lassen, – wir alle fühlen und wissen, dass seine tiefe Gottgläubig-
keit längst alle konfessionellen Schranken gesprengt hat und dass sie in dem gleichen heldischen Weltgefühl
des germanischen Menschentums wurzelt, dem alle wahrhaft grossen und ewigen Schöpfungen der deutschen
Kunst entspringen.»315 Die sattsam bekannten Topoi vom unterdrückten Genie und der «bösen Kritik» nutzte
Goebbels für eine wütende, in ihrem Subtext antisemitische Attacke auf die Musikkritik, namentlich Hanslick,
mit dem sich der ganze Hass der Nationalsozialisten auf die «verjudete» Bourgeoisie verband: «Ein
feindseliges, journalistisches Kritikastertum», habe Bruckner mit «ununterbrochenen Quälereien» das Leben
zur Qual werden lassen. «Wenn im neuen Deutschland», so Goebbels, einer «vollkommen verwilderten
öffentlichen Kritik» Einhalt geboten werde und «die Ausübung der öffentlichen Kunstbetrachtung von Gesetzes
wegen in eine geordnete Bahn gelenkt worden ist, so glauben wir auch damit eine Dankesschuld an den
309 Goebbels, Reden, Bd. 1, S. 282.310 Abgedruckt in Göllerich/Auer, Bd. IV, Teil 4, S. 135-222.311 Goebbels, Reden, Bd. 1, S. 282.312 Goebbels, Reden, Bd. 1, S. 282.313 Goebbels, Reden, Bd. 1, S. 284.314 Korte, Musikalisches Presseecho, S. 137.315 Goebbels, Reden, Bd. 1, S. 285.
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einsam ringenden, von seinen Peinigern bis zum Tode gequälten Meister abgestattet zu haben.»316 Effektiver
liess sich das überkommene Brucknerbild mit all seinen Klischees kaum mit nationalsozialistischer Ideologie
verbinden – die Goebbels-Rede in der Walhalla bildete deshalb den Höhepunkt der Vereinnahmung des
Komponisten.
4.2.2 Personelle und institutionelle Verflechtungen
Ein weiteres Element der umfassenden Vereinnahmung Bruckners stellt die «Verfilzung» von Akteuren der
Bruckner-Gemeinden Österreichs und Deutschlands dar. Persönliche Verbindungen, organisatorische Zu-
sammenarbeit und institutionelle Gleichschaltung bildeten ein dichtes Netzwerk, dank dem Bruckner und
seine Musik besonders effizient ins kulturpolitische Gefüge der NS-Propaganda einverleibt werden konnte.
Dies geschah zu einem Teil aus dem Glauben heraus, durch die Eingliederung der Aktivitäten namentlich der
IBG in die Strukturen der nationalsozialistischen Kulturstrukturen die Sache Bruckners befördern zu können,
zu einem anderen Teil aber auch aus der persönlichen Überzeugung einzelner Akteure, dass Bruckner im
Nationalsozialismus sozusagen posthum seiner eigentlichen geistigen Heimat zugeführt werde – in manchen
Fällen ist das eine vom andern kaum zu trennen.
Eines der augenfälligsten Beispiele für dieses Phänomen ist die von Robert Haas (anfangs zusammen mit
Alfred Orel) verantwortete Ausgabe der Bruckner-Werke in ihren «Originalfassungen». Ziel dieses 1933
gestarteten Editionsprojekts war, die Musik von den Eingriffen der Schalks, Levis und Löwes zu reinigen. Es
handelte sich dabei einerseits um «aufführungspraktische Einrichtungen […] im Sinne der Zeit»317, die
grösstenteils auf das Konto des Dirigenten Franz Schalk und seines Bruders Josef gingen und ausgemerzt
werden mussten, um die «monumentale Klangpracht des Originals», die durch die Änderungen entscheidend
«abgeschwächt und umgefärbt» worden war, wieder «zum Erklingen zu bringen».318 Den Schalks, die aus
einem «erbgesessenen arisch-christlichen Linzer Geschlecht»319 stammten, konnte zugute gehalten werden,
dass sich ihre Eingriffe mit den Schwierigkeiten der zeitgenössischen Orchesterpraxis erklärten.320
Andererseits machte Haas in Bruckner ein «Opfer der jüdisch-liberalen Presse» aus: «Ich konnte nun nach-
weisen, dass die Unterdrückung seiner Werke bis in die Texte der Partiturausgaben weiterreicht, dass sie
dann jahrzehntelang geduldet und gefördert worden ist, sodass Gefüge, Klangbild und Sinn der ursprüng-
lichen Schöpfungen schwer beschädigt erschienen.»321 Dieser Vorwurf zielte hauptsächlich auf Hermann Levi
und Ferdinand Löwe, die durch Einträge in Stengels und Gerigks Schandregister «Lexikon der Juden in der
Musik»322 gebrandmarkt waren und damit zu den «Gegenkräften» gehörten, die Bruckner «zeitlebens […]
316 Goebbels, Reden, Bd. 1, S. 284.317 Haas in der Einführung zur Fünften Sinfonie, in: Bruckner, Anton: V. Symphonie B-Dur (Originalfassung), Leipzig 1939, S. 1.318 Haas, Einführung zur Fünften Sinfonie, S. 1.319 Göllerich/Auer, Bd. IV, Teil 1, S. 570320 Siehe Haas, Robert: Einführung zur Sechsten Sinfonie, in: Bruckner, Anton: VI. Symphonie A-Dur (Originalfassung), Leipzig 1935, S. 1;
ders.: Einführung zur Vierten Sinfonie, in: Bruckner, Anton: IV. Symphonie Es-Dur (Originalfassung), Leipzig 1936, S. 1 sowie ders.:Einführung zur Messe in f-moll, in: Bruckner, Anton: Messe f-moll (Originalfassung), Leipzig 1944, S. 1.
321 Haas, Robert: Zur Gesamtausgabe der Werke Bruckners, in: Deutsches Brucknerfest in Mannheim vom 29. Oktober bis 3. November 1938.Festprogramm Zehn Jahre «Badischer Brucknerbund», Mannheim 1938, (=Das Bundesblatt. Mitteilungen des Badischen Brucknerbun-des, Nr. 6), S. 26f.
322 Stengel, Theo u. Gerigk, Herbert (Hg.): Lexikon der Juden in der Musik. Mit einem Titelverzeichnis jüdischer Werke, zusammengestellt imAuftrag der Reichsleitung der NSDAP auf Grund behördlicher, parteiamtlich geprüfter Unterlagen, Berlin 1940 (Veröffentlichungen desInstituts der NSDAP zur Erforschung der Judenfrage Frankfurt a.M., Bd. 2), S. 156 (Levi) bzw. 164 (Löwe).
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niedergehalten»323 hatten. Besonders deutlich machte Haas diese ideologische Implikation seiner Edition in
der Einführung zur Achten Sinfonie, in der er im Ton der Rassenhygieniker von der «Ausscheidung des
fremden Einflussbereichs» schrieb, die notwendig gewesen war, um das «organisch Lebenswichtige» von
Bruckners Partitur wiederherzustellen.324
Obwohl Alfred Orel, der ehemalige Mitherausgeber von Haas, mit seinem Versuch, durch die Publikation
eigener Quellenforschungen Zweifel an der philologischen Korrektheit von Haas’ «Originalfassungen» zu
sähen, nicht ganz erfolglos blieb325 und die «Originalfassungen» innerhalb der Bruckner-Gemeinde nicht
unumstritten waren326, blieben das Editionsprojekt und die Position von Haas unangetastet. Seine «Rede vom
‹echten›, […] gereinigten und ‹originalen Bruckner›» sei Hitler und Goebbels sehr plausibel erschienen, so
Brüstle, und «passte […] glänzend zu den eigenen Vorstellungen vom ‹echten deutschen Künstler› und
‹Originalgenie›, dass sie – wie viele andere auch – an die ‹Originalfassungen› glaubten.»327 Ob die obersten
NS-Propagandisten ans «Original» glaubten oder nicht, ist letztlich jedoch unerheblich, denn sie hatten er-
kannt, dass Haas mit seiner Edition eine eminent propagandistische Funktion erfüllte. Er kam mit seinen
«Originalfassungen» einerseits dem Bedürfnis nach, Bruckner zu «Achtung und Schutz»328 vor den
feindseligen Beeinträchtigungen seiner Musik zu verhelfen und Bruckners «Hoffnung auf die ‹späteren
Zeiten›, die heute unverkennbar da sind»329 zu erfüllen. Andererseits konnten Hitler und Goebbels die
«Originalfassungen» als Beleg für die Kulturanstrengungen des «neuen Deutschland» heranziehen. Goebbels
liess sich diese Gelegenheit denn auch nicht entgehen und erklärte in seiner Walhalla-Rede, der «Führer und
seine Regierung» betrachteten es als «kulturelle Ehrenpflicht, alles in ihren Kräften Stehende zu tun, um das
ganze deutsche Volk dieses beglückenden Erbes teilhaftig werden zu lassen und durch eine grosszügige
Förderung der Bruckner-Pflege daran mitzuhelfen, dass diese in ihren Auswirkungen nicht nur in die Tiefe,
sondern auch in die Breite dringt. Aus diesen Gründen haben sie sich entschlossen, der Internationalen
Bruckner-Gesellschaft so lange jährlich zur Herausgabe der Originalfassung seiner sämtlichen Symphonien
einen namhaften Betrag zur Verfügung zu stellen, bis das Gesamtwerk des Meisters in der von ihm geschauten
Form vorliegt.»330 Dieser «namhafte Betrag» bezifferte sich in der Folge auf 10�000 Reichsmark, die jährlich
vom Ministerium für Volkaufklärung und Propaganda an die IBG und den Musikwissenschaftlichen Verlag in
Leipzig flossen.331
Mit der personellen ging beinahe zwangsläufig auch die institutionelle Nähe der IBG zum NS-System einher.
Zwar ging die offizielle Politik der IBG dahin, sich nicht «prononciert ‹bekenntnishaft› zu gebärden, jedoch
keinen Zweifel daran zu lassen, auf wen man die Hoffnungen für die zukünftige Bruckner-Arbeit setzte», wie
Brüstle zusammenfasst.332 Diese Haltung hatte in IBG-Präsident Max Auer ihren prominentesten Vertreter333,
323 Haas in der Einführung zur Zweiten Sinfonie, in: Bruckner, Anton: II. Symphonie B-Dur (Originalfassung), Leipzig 1938, S. 1.324 Haas, Einführung zur Achten Sinfonie, S. 1. Siehe auch Kapitel 2.2, S. 15f. dieser Arbeit.325 Brüstle, Politisch-ideologische Implikationen der Bruckner-Gesamtausgabe, S. 195-201 sowie dies.: Bruckner und die Nachwelt, S. 238f.
u. 131f.326 Vgl. beispielsweise Grunsky, Fragen der Bruckner-Auffassung, S. 9-13.327 Brüstle, Bruckner und die Nachwelt, S. 223f.328 Haas, Einführung zur Sechsten Sinfonie, S. 1.329 Haas, Einführung zur Zweiten Sinfonie, S. 1.330 Goebbels, Reden, Bd. 1, S. 285.331 Brüstle, Bruckner und die Nachwelt, S. 123f.332 Brüstle, Bruckner und die Nachwelt, S. 91.
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andere führende IBG-Exponenten waren in ihrer Zustimmung zum neuen Regime jedoch weniger diskret.
Haas geizte im Zusammenhang mit der Brucknerausgabe nicht mit den Nationalsozialismus bejahenden
Stellungnahmen und fühlte sich beispielsweise im Vorwort seiner Ausgabe der Achten, die 1939 erschien,
dazu berufen, seine Arbeit als «Zeichen der Vorsehung» und besonderen «Gruss aus der Ostmark»334 zu
preisen. Schon lange vor 1933 hatte der österreichische, in München tätige Dirigent Siegmund von Haus-
egger, einer von Haas’ wichtigsten Verbündeten bei der praktischen Durchsetzung der «Originalfassungen»,
die Überzeugung gewonnen, der Nationalsozialismus könne bei der Verwirklichung einer gesellschaftlichen
Neuausrichtung behilflich sein und – im Geiste Halms – zur Verwirklichung einer Kunstreligion Wagnerscher
Prägung führen. Ohne Zögern unterstützte er deshalb die Ergebenheitsadresse der Preussischen Akademie
der Künste an Hitler vom November 1933335 und nahm im «Führerrat» der Reichsmusikkammer Einsitz, die
unter Goebbels’ direkter Kontrolle stand. Und obwohl er nicht Parteimitglied war, gehörte Hausegger auch zu
jenen «Spitzenkünstlern», die sich Angesichts des «Anschlusses» Österreichs ans Dritte Reich mit einer
Ergebenheitserklärung ans Wiener Gaupropaganda-Amt der NSDAP wandten.336 Seine wiederholten Stellung-
nahmen zugunsten der NS-Ideologie waren insofern von Bedeutung, als Hausegger zu den einflussreichsten
Bruckner-Aktivisten in Deutschland zählte. Neben seiner Konzerttätigkeit als einer der führenden Orchester-
leiter in Deutschland gründete er 1929 eine Münchner Niederlassung der IBG und war bis 1937 als Berater
in aufführungspraktischen Fragen für Haas und die Bruckner-Gesamtausgabe tätig.337 Seinen künstlerischen
Ruf als Bruckner-Spezialist, den er sich auch mit der Uraufführung von Bruckners Neunter in der «Original-
version» von Orel und Haas 1932 erworben hatte, legte er in der Folge auch bei SS-Konzerten und an den
Reichsparteitagen338 in die Waagschale und half auch als offizieller Repräsentant der IBG in Deutschland339
mit, die Sache Bruckners mit derjenigen der Nationalsozialisten zu verbinden.
Bis zum «Anschluss» Österreichs war Hausegger das entscheidende Bindeglied zwischen IBG und national-
sozialistischem Staat – gegenüber den NS-Kulturverantwortlichen vertrat er die Interessen der IBG, während
er innerhalb der IBG nationalsozialistische Anliegen durchsetzte.340 Diese doppelte Verflechtung der Person
Hauseggers, der IBG und dem nationalsozialistischen System tritt in einer unrühmlichen Episode anfangs der
30er Jahre besonders deutlich zutage: Hausegger witterte in der IBG eine Tendenz zu jüdischer Fremd-
beeinflussung, die er konkret mit dem Dirigenten Bruno Walter in Verbindung brachte. In einem Brief an
Auer schrieb er, Walter werde «vom Judentum als ihr Führer, sozusagen als der Nachfolger Gustav Mahlers
angesehen. Unserer Gesellschaft droht wie allen kulturellen Unternehmungen in Deutschland, die grosse
Gefahr, dass sich das stets machtbewusste Judentum auch ihrer bemächtigt und versucht, bewusst oder
unbewusst seinen Geist in unsere, einem rein deutschen Meister geweihte Vereinigung zu bringen.»341 Zwei
Jahre später setzte er deshalb die IBG-Führung um Präsident Auer und den Geschäftsführer Norbert Furegg
333 Auer wurde nach der Annexion Österreichs 1938 als IBG-Präsident abgesetzt, da Denunziationen Zweifel an seiner absoluten Treue zur
Linie der NSDAP aufgebracht hatten.334 Haas, Einführung zur Achten Sinfonie, S. 1.335 Wulf, Musik im Dritten Reich, S. 56f.336 Prieberg, Musik im NS-Staat, S. 383.337 Brüstle, Siegmund von Hausegger: a Bruckner authorothy from the 1930s, S. 344f. u. 347.338 Wulf, Musik im Dritten Reich, S. 147f.339 Siehe dazu Brüstle, Siegmund von Hausegger: a Bruckner authorothy from the 1930s, S. 344f., insbes. Anm. 22.340 Brüstle, Siegmund von Hausegger: a Bruckner authorothy from the 1930s, S. 345.341 Brief Hauseggers an Auer vom 27. Oktober 1931, A-Wn, Musiksammlung, Fond 31 Auer 318, zit. nach Brüstle, Bruckner und die Nachwelt,
S. 87.
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unter Druck, die Zusammenarbeit der IBG mit Bruno Walter und Otto Klemperer abzubrechen. Die beiden
Dirigenten hätten an der ursprünglich für 1932 in Salzburg geplanten, aus finanziellen Gründen aber um ein
Jahr verschobenen Bruckner-Tagung der IBG auftreten sollen. Kurze Zeit später wurden die beiden Musiker
aus Deutschland vertrieben. Die IBG ersetzte sie durch Leute, deren ideologische Verlässlichkeit bekannt
war.342 Zu den bevorzugten Orchesterleitern gehörten Oswald Kabasta, der 1938 die Nachfolge Hauseggers als
Chefdirigent der Münchner Symphoniker antrat und den Hausegger als «engeren Gesinnungsgenossen»
empfahl343, ebenso Peter Raabe, der 1935 Präsident der Reichsmusikkammer geworden war und für die IBG
den direkten Kontakt zum Propagandaministerium sichern sollte, Hermann Abendroth, Karl Elmendorff und
Herbert von Karajan.344
Hausegger war schon beim ersten Internationalen Brucknerfest, das 1930 in München durchgeführt wurde,
als Organisator in Erscheinung getreten. Die Wahl des Veranstaltungsortes war offiziell mit der Bedeutung
begründet worden, welche die Stadt für Bruckner gehabt habe: Er habe dort Wagner kennengelernt, Levi
habe dort die Siebte aufgeführt, Löwe habe nach 1896 besonders in München für die Belange seines Lehrers
gewirkt und mittlerweile erfülle Hausegger als Dirigent der Münchner Philharmoniker diese Aufgabe.345 Im
Hintergrund dürften aber vor allem wirtschaftliche und politische Gründe für die Wahl Münchens ausschlag-
gebend gewesen sein. In Österreich waren nach der Börsenkrise von 1929 kaum öffentliche Gelder für die
IBG vorhanden, während die Münchner Stadtbehörden massive finanzielle Unterstützung gewährten. Hinzu
kam, dass sich die bayerische Hauptstadt aufgrund der «hochragenden Bedeutung Münchens als Kunststadt,
in Sonderheit ihre bevorzugte Stellung im Musikleben Alldeutschlands»346 mit Hausegger als erstrangigem
Repräsentanten für ein Brucknerfest besonders anbot. Dieser nutzte die Gelegenheit, sich neben Franz
Schalk, der die Bruckner-Sinfonien Fünf und Sechs aufführte, sich mit Interpretationen der Neunte und –
zum Abschluss des Festes – der Achten glänzend als «berufener» Bruckner-Dirigent in Szene zu setzen.347
Nachdem die Durchführung der Salzburger Veranstaltung mit finanziellen und politischen Problemen zu
kämpfen hatte und der Tod von Franz Schalk am 3. September 1931 ein Brucknerfest in Wien auf längere
Zeit hinaus nicht opportun erscheinen liess, war es 1932 wiederum Hausegger, der die Sache in die Hand
nahm und eine Aufwertung der Tagung zum zweiten Internationalen Brucknerfest vorschlug, das nun im
Oktober 1933 wiederum in München stattfinden sollte. Erneut konnte er dabei auf eine grosszügige Alimen-
tierung durch die Stadtbehörden zählen; der Münchner SS-Gruppenführer und Oberbürgermeister der
NSDAP, Karl Fiehler, sowie der Reichsstatthalter, Ritter Franz Xaver von Epp, unterstützten den Anlass
ideologisch, organisatorisch und finanziell. Um den Propagandawert einer derartigen Veranstaltung wissend,
erklärte Fiehler das Fest zur grossartigen «Kundgebung des deutschen Geistes» und nutzte die Gelegenheit,
mit Bruckner und seinen Verehrern «Staat zu machen». Innerhalb der IBG regte sich gegen dieses Ansinnen
kein Widerstand – zum einen, weil viele Mitglieder den Geist des «neuen Deutschland» mittrugen, zum
342 Hauseggers «arische» Linie wurde von Auer ausserhalb Deutschlands jedoch nicht konsequent verfolgt: Klemperer und Walter waren auch
noch 1935 und 1936 bei Anlässen der IBG als offizielle Dirigenten vorgesehen. Vgl. Brüstle, Bruckner und die Nachwelt, S. 100f.343 Brief Hauseggers an Auer vom 5. Februar 1938, A-Wn, Musiksammlung, Fond 31 Auer 318, zit. nach Brüstle, Siegmund von Hausegger: a
Bruckner authorothy from the 1930s, S. 345, Anm. 28.344 Brüstle, Bruckner und die Nachwelt, S. 87ff. u. 101f. Vgl. dazu auch Eller, Das erste grossdeutsche Brucknerfest, S. 98-100, der weitere, von
den Nazis wohlgelittene Dirigenten nennt.345 Brüstle, Bruckner und die Nachwelt, S. 83f.346 Moissl, Franz: Das 1. Internationale Brucknerfest in München 27.-31.10.1930, in: Bruckner-Blätter, 2. Jg. (1930), S. 37.347 Brüstle, Bruckner und die Nachwelt, S. 84, Anm. 27.
– 57 –
anderen, weil den Brucknerianern die Hervorhebung Bruckners als Pfeiler des «deutschen Geistes» als längst
fällige Anerkennung von Bruckners Rang erschien und wohl keiner weiteren Legitimation bedurfte.348
Dieses Einverständnis hatte zur Folge, dass die Brucknerfeste der IBG, die nach 1933 auch in anderen
deutschen und österreichischen Städten (1936 auch in Zürich) durchgeführt wurden, von regulären NS-
Kulturveranstaltungen kaum zu unterscheiden waren, wie Brüstle anhand verschiedener Brucknerfeste der
Jahre 1934 und 1936 illustriert.349 Die Zusammenarbeit ging so weit, dass sich der deutsche Ast der IBG
unter Hausegger und die NS-Gemeinschaft «Kraft durch Freude» (KdF) die Organisation der Veranstaltungen
teilten. Als Österreich 1938 ins «Reich» eingegliedert wurde, veränderte sich das Verhältnis von IBG und NS-
Staat jedoch grundlegend, die Gleichschaltung griff auch hier: Auer wurde bereits wenige Tage nach Hitlers
Einzug in Wien von der Spitze der IBG entfernt, da er als politisch unzuverlässig und nach allen Seiten hin zu
kompromissbereit galt.350 Die neuen Herren begnügten sich nicht damit, nur den Präsidenten abzusetzen,
sondern änderten die Bezeichnung IBG in «Deutsche Bruckner-Gesellschaft» (DBG). Die Umwandlung zur
DBG brachte ausserdem eine Neugestaltung ihrer Statuten und der Organisationsstruktur: In die Statuten
wurde ein Passus gesetzt, nach dem nur «Arier» als Mitglied in die DBG aufgenommen werden konnten. Die
Leitung der Gesellschaft wurde nach dem «Führerprinzip» neu ausgerichtet; es gab fortan keinen gewählten
Vorstand mehr, der den Präsidenten aus seinen Reihen bestimmte, sondern der DBG-Präsident wurde nun
direkt von Goebbels ernannt, ebenso der Geschäftsführer. Auf Geheiss Goebbels’ trat deshalb Wilhelm
Furtwängler, der vom Propagandaminister als «Stardirigent» in aller Welt als Imageträger für den NS-Staat
«vermarktet» wurde, Auers Nachfolge an, was diesem insofern gelegen kam, als er Furtwängler schon aus
früheren IBG-Tagen kannte und hoffen konnte, dass der sich für ihn verwenden würde. Den bis dahin in
Wien und Leipzig domizilierte Musikwissenschaftlichen Verlag, bei dem Haas seine «originale» Bruckner-
Ausgabe herausbrachte, konzentrierte man nun in Leipzig und unterstellte ihn ebenfalls der Leitung
Furtwänglers. Damit lagen nach dem «Anschluss» die meisten Entscheidungen über das Fortkommen der
IBG/DBG sowie der Bruckner-Ausgabe nicht mehr bei den Brucknerianern, sondern wurden in erster Linie
von Goebbels und den Funktionären im Propaganda-Ministerium, insbesondere Heinz Drewes, dem engsten
Mitarbeiter Goebbels’ in Musikfragen, sowie direkt von Hitler getroffen351 – vollständiger konnte die
Verflechtung von Bruckner-Organisation und NS-System nicht werden.
348 Brüstle, Bruckner und die Nachwelt, S. 89.349 Brüstle, Bruckner und die Nachwelt, S. 89-97.350 Mitte Juni 1937, unmittelbar nach den Walhalla-Feierlichkeiten, war eine Denunziation bei der österreichischen Geschäftsstelle der
NSDAP eingegangen und gelangte bis ins Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda – quasi auf den Schreibtisch vonGoebbels. In diesem anonymen Schreiben hiess es, Auer sei «bekannter Deutschenfresser & -Hasser und Denunziant. Er äussert sich überNationalgesinnte nur mit den Namen Schwein und Hund […] Personenbeschreibung: ca. 60 oder etwas mehr Jahre alt 170 cm ca. gross,schmal gebaut […] Hakennase […]» Brief mit Anlage, Aktenzeichen X/9932/26.6.37/32.19/6, in: Deutsches Bundesarchiv, Abt.Potsdam, Akten des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda (RMVP), Bestand R 5001/582. Auch Überprüfungen durchdie NSDAP-Gauleitung Oberdonau sowie die GESTAPO in Linz kamen zum Schluss, Auer sei als Nazi-Gegner einzustufen, während ineinem Bericht des Landesleiters der Reichsschrifttumskammer, Gau Oberdonau, zu lesen war, «sein politischer Leumund scheint mirschlechter zu sein als der Mann.» Alle Zitate nach Brüstle, Bruckner und die Nachwelt, S. 238, Anm. 2.
351 Brüstle, Bruckner und die Nachwelt, S. 237ff.
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4.3 Höhepunkt der Vereinnahmung: Der Walhalla-Akt
Wie im bereits erwähnt wurde, kam es am 6. Juni 1937 zur Aufstellung einer Bruckner-Büste im «deutschen
Ruhmes- und Ehrentempel»352, der am linken Donauufer gelegenen Walhalla bei Donaustauf, rund 10 km
unterhalb von Regensburg. Der Anlass wurde mit grossem Aufwand als würdevoller und feierlicher Staatsakt
inszeniert, bei dem die höchsten Vertreter des NS-Regimes zugegen waren. Zweifellos handelte es sich dabei
um mehr als nur eine Einweihungs- und Gedenkfeier für einen weiteren Musiker, der nach Händel, Gluck,
Haydn, Mozart, Bach, Beethoven Wagner und Schubert in diese vom Bayernkönig Ludwig I. anfangs des 19.
Jahrhunderts gegründete Versammlung der «rühmlichst ausgezeichneten Teutschen»353 aufgenommen
worden war. Vielmehr kann in dieser Büsten-Aufstellung der Höhepunkt der expliziten Vereinnahmung
Bruckners für nationalsozialistische Propagandazwecke gesehen werden, dessen Geschichte nochmals in
aller Deutlichkeit das Ineinandergreifen aller in dieser Arbeit dargestellten Ebenen der Brucknerrezeption
vor Augen führt – von den althergebrachten Bruckner-Klischees und der «Heldenverehrung» über die
ideologische Vereinnahmung, den Liturgietransfer und die Indienstnahme der Musik für die Inszenierung von
NS-Anlässe bis hin zur Verstrickung der IBG und ihrer Exponenten mit dem nationalsozialistischen Kultur-
und Parteibetrieb.
4.3.1 Die Vorgeschichte
Zunächst soll die Vorgeschichte des Anlasses kurz geschildert werden, die in die Jahre vor der national-
sozialistischen Machterlangung zurückreicht und die IBG als treibende Kraft zeigt. Bereits 1930 hatte die IBG
von der Linzer Liedertafel «Frohsinn», der Bruckner einst vorgestanden hatte, die Anregung entgegen-
genommen, eine Bruckner-Büste in der Walhalla aufzustellen. Der IBG-Vorstand trug das Anliegen ans
bayrische Kultusministerium heran, das zu diesem Zeitpunkt die Walhalla verwaltete und auch für die
Aufstellung neuer Büsten zuständig war. 1933 bat Auer zudem Hausegger, sich aktiv um die Angelegenheit zu
kümmern. Hausegger gelangte daraufhin an die höchste erreichbare Stelle und deponierte den Wunsch der
Brucknerianer bei Ludwig Siebert, dem bayrischen Ministerpräsidenten. Dort genoss die Aufnahme
Bruckners ins Pantheon des deutschen Geistes allerdings keine allzu hohe Priorität. Erst im November 1935
konnte Hausegger an Auer melden, Siebert scheine dem Anliegen günstig gestimmt zu sein. Trotz unter-
stützender Bemühungen von Seiten des Reichsmusikkammerpräsidenten Raabe dauerte es aber bis Ende
Februar 1936, dass die Büstenaufstellung offiziell genehmigt wurde.354
Der Festakt sollte im Herbst desselben Jahres stattfinden, wie aus Max Auers Ansprache zum VI. Internatio-
nalen Brucknerfest, das am 20. Juni 1936 in der Zürcher Tonhalle eröffnet wurde, hervorgeht: «Im weiten
Raum der Brucknerwelt erklingt über Länder und Meere die frohe Kunde: Meister Anton Bruckner, der
grosse Österreicher und gottverbundene Weltüberwinder, wird noch im Jahre 1936, dem vierzigsten seit
seinem glorreichen Eingang in die Ewigkeit, nun auch hohen irdischen Lohn empfangen in Gestalt eines
352 Riethmüller, Albrecht: Die Walhalla und ihre Musiker, Laaber 1993, S. 3.353 Riethmüller, Die Walhalla und ihre Musiker, S. 4 u. 7-16.354 Brüstle, Bruckner und die Nachwelt, S. 98 u. 102. sowie Riethmüller, Die Walhalla und ihre Musiker, S. 12f.
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Denkmals, errichtet an der Seite Beethovens in der Walhalla zu Regensburg, der Ehrenhalle grosser Deut-
scher.»355 Noch im Oktober verbreitete Auer bei der Eröffnungsansprache zum Internationalen Brucknerfest
in Wien, der Einzug Bruckners in die Walhalla stehe unmittelbar bevor. In seiner Ansprache, die vom Radio
auch nach Deutschland übertragen wurde, kündigte er jedenfalls an, dass das Jahr nicht nur die Vollendung
der «grossen authentischen Biographie des Meisters» sehen würde, sondern auch die «Krönung Bruckners
auf dem Kapitol, den Einzug in die Ehrenhalle des Gesamtdeutschtums, die Walhalla bei Regensburg».356 Zwei
Umstände standen Auers Hoffnungen jedoch entgegen: Hitler hatte angeordnet, per 21. Mai die Verwaltung
der Walhalla vom Bayrischen Kultusministerium in seinen persönlichen Zuständigkeitsbereich zu
transferieren, was laut Brüstle in direktem Zusammenhang mit der geplanten Bruckner-Zeremonie gestanden
habe.357 Ihre Planung und Organisation wurde in der Folge aus München (und damit aus dem Einflussbereich
Hauseggers) wegverlegt und in Berlin beim Ministerium für Propaganda und Volksaufklärung angesiedelt.
Weil in jenem Jahr zuerst die IV. Olympischen Winterspiele in Garmisch-Partenkirchen und danach die XI.
Olympischen Sommerspiele in Berlin durchzuführen waren, verfügte Goebbels’ Propagandaschmiede mög-
licherweise nicht über genügend freie Kapazität, zusätzlich auch noch den Walhalla-Anlass zu organisieren.
Aus diesem Grund wurde der Festakt ins Frühjahr 1937 verschoben. Da halfen auch die Interventionen
Raabes, der sich direkt bei Goebbels für die Bruckner-Feier verwandte, nichts.358
Neben der Konzentration der propagandistischen Kräfte auf die beiden Olympiaden gab es für Goebbels
vermutlich noch weitere triftige Gründe, den Bruckner-Anlass zu verschieben. Gustav Bosse, Regensburger
Verleger, Herausgeber der Zeitschrift für Musik (ZfM) und Ehrenmitglied der IBG, erläuterte den vielleicht
wichtigsten in einem Brief an Auer: «Unser Regensburger Fest wird nun auf Grund einer […] Entscheidung
des Führers, von der ich gestern Abend noch durch unseren Bürgermeister unterrichtet wurde, auf den Mai
kommenden Jahres verschoben, da das Fest ganz gross, weit über den bisher geplanten Rahmen hinaus
gestaltet werden soll. Ich nehme an, dass für diese besondere Ausgestaltung des Festes durch das Reich, die
von uns ja so sehr gewünschte äussere Dokumentierung der Verbrüderung Deutschland-Österreich mass-
gebend ist.»359 Zahlreiche Indizien sprechen für die Richtigkeit von Bosses Vermutung: Angesichts der
zeitlichen Nähe des Walhalla-Akts zum «Anschluss» Österreichs ans Dritte Reich, weist Bryan Gilliam auf den
Umstand hin, dass die Brucknerbüste erst 1937 aufgestellt wurde und nicht im Jahr zuvor, das sich als
Brucknergedenkjahr (40. Todestag) angeboten hätte. Ausserdem scheint es zumindest bemerkenswert, dass
einem vergleichsweise unbedeutenden Anlass wie dieser Büstenweihe so viel Wichtigkeit beigemessen wurde,
dass mit Hitler, Goebbels und Himmler drei der bedeutendsten Repräsentanten des NS-Regimes an der
Zeremonie teilnahmen.360 Gilliam ist deshalb überzeugt, Bruckners Einzug in die Walhalla habe bezweckt, ihn
als deutschen Komponisten in den Rahmen des Dritten Reiches zu stellen, «a step that no doubt
355 Auer, Max: Internationales Brucknerfest Zürich vom 20.-28. Juni 1936. Fest- und Programmbuch, S. 1f.356 Auer, Max: Typoskript der Eröffnungsrede zum Internationalen Brucknerfest Wien vom 7.-15. Oktober 1936, A-Wn, Musiksammlung,
Fond 31 Auer 96, zit. nach Brüstle, Bruckner und die Nachwelt, S. 100.357 Belegen lässt sich ein solcher Zusammenhang nicht. Brüstle, Bruckner und die Nachwelt, S. 103, verweist auf Heer, Friedrich: Der Glaube
des Adolf Hitler. Anatomie einer politischen Religiosität, Frankfurt a.M. ‹etc.› 1989, S. 309f., der diese Behauptung allerdings lediglich miteiner nicht nachgewiesenen Hitler-Anekdote dokumentiert.
358 Brüstle, Bruckner und die Nachwelt, S. 99-103.359 A-Wn, Musiksammlung, F 31 Fond Auer 208, zit. nach Brüstle, Bruckner und die Nachwelt, S. 104.360 Gilliam, Bruckner’s Annexation Revisited: A Response to Manfred Wagner, S. 126.
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foreshadowed – and helped prepare for – the Anschluss of Austria eight months later.»361 Vor diesem
Hintergrund messen auch Christa Brüstle und Albrecht Dümling den Formulierungen in Goebbels’ Walhalla-
Rede362 eine ähnliche Bedeutung bei wie Gilliam.363 Brüstle geht mit Gilliam einig, der Walhalla-Akt sei «die
erste symbolische Heimholung eines Österreichers in grosse Deutsche Reich» gewesen. Die «äussere Doku-
mentierung» der «Verbrüderung» sei Hitler 1937 aber weitaus gelegener gekommen als im Jahr zuvor, da er
im Juli 1936 seine Annexionspläne aus taktischer Rücksicht auf Mussolini habe zurückstellen müssen.
Nachdem sich Hitler und Mussolini im Herbst 1936 über ihre Streitpunkte (v.a. Österreich) verständigen
konnten und Mussolini am 1. November offiziell die Formel von der «Achse Rom-Berlin» ausgerufen hatte,
stand der Annexion, die am 12. und 13. März 1938 mit dem Einmarsch deutscher Truppen und der
Anschluss-Erklärung Schuschniggs in die Tat umgesetzt wurde, nichts mehr im Wege – der Walhalla-Akt als
nun «gross aufgezogene Demonstration des Einheitswillens» von Deutschen und Österreichern habe unter
diesen Umständen im Sommer 1937 bestens ins Konzept der NS-Propaganda gepasst.364
Manfred Wagner hält dem entgegen, Goebbels habe in seiner Rede nichts gesagt, das in Form von Bruckner-
Klischees, ideologischer Vereinnahmungen und «Heldenverehrung» nicht schon längst Allgemeingut der
Bruckner-Gemeinde geworden war: «Goebbels did little more than rehearse for seventeen minutes all the
notorious clichés that had formed the basis of the response to Bruckner during the previous forty years
[…]»365 Deshalb kommt er zum Schluss, «the appreciation of Bruckner by the Nazis thus certainly has
nothing to do with the annexation of Austria in 1938.»366 Obwohl Wagner mit seiner Beobachtung recht hat367,
und die Initiative zur Aufstellung der Brucknerbüste weder von Hitler noch von Goebbels kam, entkräftet
seine Argumentation nicht die Tatsache, dass es für die NS-Propagandisten auf der Hand gelegen haben muss,
den Walhalla-Akt als ein Element von vielen für die propagandistische Vorbereitung des «Anschlusses»
einzusetzen. Dazu gehörte u.a. auch, dass die Bayrische Staatsoper im Januar 1938 auf Wunsch Hitlers zu
einem Gastspiel nach Linz fuhr, um dort «Die Meistersinger von Nürnberg» in «bester Festspielbesetzung»
aufführen zu lassen. Bereits zwei Jahre zuvor wurden gezielte Versuche unternommen, im weiteren Vorfeld
des Anschlusses Österreichs ans Reich kulturelle Institutionen zu unterwandern, ihnen ideologische
Bedingungen zu diktieren und sie auf eine Eingliederung in die nationalsozialistische Kulturpolitik vorzube-
reiten. Der Leiter der obersten Theaterbehörde in Bayern, SS-Standartenführer Oskar Walleck, war angewie-
sen worden, in Österreich aktiv zu werden, Gastspiele und Kooperationen mit den dortigen Theatern und
Konzerthäusern zu vereinbaren, jedoch immer unter der Bedingung, dass diese nationalsozialistische Richt-
linien befolgten und beispielsweise keine Juden mehr anstellten.368
361 Gilliam, The Annexation of Anton Bruckner, S. 584.362 «Lassen Sie mich, mein Führer, in dieser Feierstunde noch aussprechen, dass Anton Bruckner als Sohn der österreichischen Erde ganz
besonders dazu berufen ist, auch in unserer Gegenwart die unlösliche geistige und seelische Schicksalsgemeinschaft zu versinnbildlichen,die unser gesamtes deutsches Volk umschliesst. Es ist daher für uns ein symbolisches Ereignis von mehr als nur künstlerischer Bedeutung,wenn Sie, mein Führer, sich entschlossen haben, in diesem einst von einem grossen bayerischen König gestifteten deutschenNationalheiligtum, das nunmehr Ihrer Obhut anvertraut ist, als erstes Denkmal unseres Reiches eine Büste Anton Bruckners aufstellen zulassen.» Goebbels, Reden, Bd. 1, S. 285.
363 Brüstle, Bruckner und die Nachwelt, S. 104ff.; Dümling, Der deutsche Michel erwacht, S. 204.364 Brüstle, Bruckner und die Nachwelt, S. 105f. u. 120.365 Wagner, Response to Bryan Gilliam Regarding Bruckner and National Socialism, S. 122.366 Wagner, Response to Bryan Gilliam Regarding Bruckner and National Socialism, S. 119.367 Vgl. Abschnitt 4.2.1 dieser Arbeit.368 Mathieu, Kunstauffassungen und Kulturpolitik im Nationalsozialismus, S. 73f.
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Manfred Wagner betont in seiner Replik auf Gilliams These, der Walhalla-Akt habe mit der «Anschluss»-
Thematik und den begleitenden Propaganda-Anstrengungen nichts zu tun, sondern sei als Teil des VIII.
Brucknerfestes der IBG zu verstehen, das vom 5. bis 7. Juni 1937 in Regensburg stattfand.369 Was Wagner
dabei ausser Acht lässt, ist der Umstand, dass das Brucknerfest – vermutlich nicht zufällig – parallel zum
Gauparteitag der Bayerischen Ostmark in Regensburg370 durchgeführt wurde und zwar «aus Anlass der
Enthüllung der Bruckner-Büste in der Walhalla zu Regensburg», wie die Betitelung des offiziellen Festpro-
gramms nahelegt.371 Brüstle macht darauf aufmerksam, dass erst die Verschiebung des Aktes vom Herbst
1936 auf den Frühsommer 1937 ermöglichte, die Büstenweihe mit einem offiziellen Brucknerfest zu verbin-
den.372 Eine solche Verbindung war vermutlich nicht von Beginn an geplant, entsprach aber den Erwartungen
Goebbels’, dessen Ministerium seit Hitlers «Machtübernahme» in der Walhalla für die Organisation des Aktes
zuständig war. Im Gegenzug übernahm das Ministerium die Auslagen für Orchester und Konzerte, wie aus
einem Brief Bosses an Auer hervorgeht. Gleichzeitig schlug er Auer vor, dem «Führer» den «Ehrenschutz» für
das IBG-Fest anzutragen, um der Verbindung von Fest und Staatsakt höchste «Weihen» zu verleihen.373
Indizien sprechen dafür, dass Auer dieses Vorhaben in die Tat umsetzte: Im Winter 1936 reiste er nach
Berlin, um sich mit Haas und Hausegger in dieser Sache zu besprechen und hatte die Aussicht, im Frühling
1937 bei einer Bruckner-Veranstaltung in Berchtesgaden mit einer «massgeblichen Persönlichkeit» sprechen
zu können.374 Ob es dazu kam, ist nicht bekannt, Tatsache ist jedoch, dass Hitler nicht nur der
Büstenaufstellung beiwohnte, sondern auch beim Brucknerfest zugegen war und dem Anlass durch seine
kurze Dankansprache im Regensburger Rathaus375 sowie seinem Konzertbesuch am Abend die von der IBG-
Führung erhoffte Bedeutung verlieh.
4.3.2 Der Ablauf des Walhalla-Aktes
Wie sehr die Belange der Walhalla-Feier mit den Propaganda-Interessen der Nationalsozialisten amalgamiert
wurden, macht ein Blick auf den Ablauf der Veranstaltung deutlich. Der Akt wurde von Goebbels’ Ministerium
sehr aufwändig inszeniert, die IBG konnte «auf die äussere Umrahmung des für den Sonntag Vormittag von
Staats wegen angesetzten Festaktes keinerlei Einfluss nehmen», sondern musste sich «mit ihren Vorschlägen
und Wünschen schon von allem Anfang an auf die Gestaltung des übrigen Festteiles» zurückziehen.376 Der IBG
blieb bei «ihrem» Walhalla-Akt nur noch eine Statistenrolle; die grossen Partien Hitler und Goebbels waren
vorbehalten. Der erste Teil dieser Inszenierung spielte sich um 11 Uhr vor der Walhalla ab, «wo Tausende die
369 Wagner, Response to Bryan Gilliam Regarding Bruckner and National Socialism, S. 119.370 Vgl. Domarus, Hitler. Reden und Proklamationen 1932-1945, S. 698.371 Zit. nach Brüstle, Bruckner und die Nachwelt, S. 105.372 Brüstle, Bruckner und die Nachwelt, S. 104f.373 Brief vom 29.05.36, A-Wn, Musiksammlung, Fond 31 Auer 208, zit. nach Brüstle, Bruckner und die Nachwelt, S. 105, Anm. 83.374 Brief vom 17./22.03.1937 von Hilde Wendler (Musikwissenschaftlicher Verlag Leipzig) an Auer, A-Wn, Musiksammlung, F 31 Fond Auer
560, zit. nach Brüstle, Bruckner und die Nachwelt, S. 105, Anm. 84. Die Vermutung liegt nahe, bei der «massgeblichen Persönlichkeit» inBerchtesgaden könnte es sich um Hitler handeln, ob es zum Treffen kam, ist jedoch unklar.
375 Vgl. Domarus, Hitler. Reden und Proklamationen 1932-1945, S. 698.376 Moissl, Anton Bruckner in der Walhalla, S. 140f.
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steinernen Terrassen des Tempels bestanden»377: Hitler und seine «Autokolonne» trafen bei der Walhalla ein,
worauf der «Führer» auf der von SA-Standarten, Hitler-Jugend und anderen Fahnenträgern und Tausenden
jubelnden Heil-Rufern gesäumten Freitreppe vor der Walhalla zu Militärmusik die «Ehrenformation» ab-
schritt. Danach begab er sich, begleitet von Fanfarenklängen Wagners, zum Rednerpult in den Säulengang der
Walhalla, von wo aus er den vereinigten Chören Regensburgs bei ihrem Vortrag von Bruckners «Germa-
nenzug» zuhörte.378 Darauf folgten eine kurze Ansprache des bayrischen Ministerpräsidenten Siebert zur
Übergabe der Walhalla «in die Obhut des Reiches», in der er auch nicht vergass zu erwähnen, dass die
«Sehnsucht aller wahrhaft Deutschen […] nach dem grossen, stolzen, einigen deutschen Vaterlande», die
«durch unseren Führer» im nationalsozialistischen Deutschland ihre Erfüllung finde.379 Nach Sieberts Worten
und der 17minütigen Rede des «Reichsministers Dr. Goebbels» durfte Auer im Namen der IBG Hitler eine
neugeschaffene, von Bosse gestiftete Bruckner-Medaille überreichen.380 Ehlers kommentierte, diese Auszeich-
nung Hitlers sei eine «vom einfachsten Dankesgefühle eingegebene Handlung», mit der Auer, die IBG und
«die Hunderttausende der Gemeinde Anton Bruckners […] dem Führer für seinen hochherzigen, seinem im
tiefsten Sinne künstlerischen Wesen entsprungenen Entschluss, als ersten grossen Deutschen in die nun von
ihm behütete Walhalla Bruckner einziehen zu lassen […] in wahrer Ergriffenheit» dankten.381 Dann begaben
sich Hitler, Goebbels, ihre hochrangige Entourage382, der österreichische Gesandte Stephan Tauschitz sowie
die IBG-Vertreter Auer und Bosse ins Innere der Walhalla, wo Hausegger und die Münchner Philharmoniker
zwei Minuten lang «feierliche Musik aus Bruckners 8. Symphonie»383 intonierten und die Regensburger Dom-
spatzen drei Minuten lang weihevolle Klänge aus dem mit einem deutschen Text unterlegten «Locus iste»
Bruckners singen durften. Hitler enthüllte danach die Büste Bruckners, während die Münchener Philhar-
moniker «Siegesklänge aus der 8. Symphonie von Bruckner. Dauer 4 Minuten» spielten.384 Während Haus-
eggers «Siegesklängen» stand Hitler in Andacht versunken vor Bruckners Büste, um darauf einen Kranz vor
dem Piedestal niederzulegen.385 Hinzu kamen noch Kränze der Regierungen Österreichs und Bayerns sowie
377 Ehlers, Das Regensburger Bruckner-Erlebnis, S. 747.378 Bericht über die Vorbereitungen der «Brucknerfeier auf der Walhalla» vom 25.05.1937, in: Deutsches Bundesarchiv, Abt. Potsdam, Akten
des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda, Bestand R 5001/582, zit. nach Brüstle, Bruckner und die Nachwelt, S. 109.379 Siebert in seiner Rede, zit. nach Ehlers, Das Regensburger Bruckner-Erlebnis, S. 747.380 Siehe Brüstle, Bruckner und die Nachwelt, S. 103ff. sowie Moissl, Anton Bruckner in der Walhalla, S. 142.381 Ehlers, Das Regensburger Bruckner-Erlebnis, S. 748.382 SS-Reichsführer Himmler, Reichsstatthalter Ritter Franz Xaver von Epp, Franz von Papen, zu jenem Zeitpunkt ausserordentlicher
Gesandter an der deutschen Botschaft in Wien und Siebert.383 Bericht über die Vorbereitungen der «Brucknerfeier auf der Walhalla», zit. nach Brüstle, Bruckner und die Nachwelt, S. 109.384 Bericht über die Vorbereitungen der «Brucknerfeier auf der Walhalla», zit. nach Brüstle, Bruckner und die Nachwelt, S. 109. Hausegger
schrieb an Auer: «Wenn die Hülle von Bruckner’s Büste fällt, müssen triumphale Brucknerklänge ertönen, ‹Non confundar› aus der VII.wäre sinngemäss, geht aber musikalisch nicht. Es ginge aber der grandiose Einsatz des Hauptthemas des Finales der VIII. in der Reprisebis zum C Dur Akkord mit dem Beckenschlag, von da gleich überspringend auf die C-Dur Steigerung des Schlusses mit dem Climax derThemenvereinigung, als wahrhaften Walhall-Klängen.» (Hausegger an Auer am 20. Mai 1937, A-Wn, Musiksammlung, Fond 31 Auer318, zit. nach Brüstle, Bruckner und die Nachwelt, S. 115) Mit der Schlussteigerung in C-Dur dürften die Takte ab Ziffer Uu (zunächst c-moll, ergäbe ca. 4.05 min. Spielzeit) oder T. 486 mit Auftakt auf F nach D, das bei Xx nach C-Dur umschlägt, ergäbe ca. 1.35 min. Spiel-zeit) bis zum Schluss gemeint sein (sowohl in Haas/1939 als auch Nowak/1890). Der Hauptthema-Einsatz «mit dem Beckenschlag» lässtsich in keiner Ausgabe eruieren, und es ist nicht bekannt, was Hausegger für Aufführungsmaterial benützte. Die von Hausegger gemeinteStelle könnte der Themeneinsatz in T. 477-482/erster, punktierter Viertel (Haas/1939) bzw. T. 457-462/erster, punktierter Viertel (Nowak)sein – daraus ergäbe sich ein«Schluss» in F, an den Uu wie auch Xx in C angeschlossen werden könnten. Moissl, Anton Bruckner in derWalhalla, S. 142, berichtete hingegen: «Fast traumhaft verloren […] zogen sich die Klänge des Adagios der achten Symphonie Bruck-ners, durchwoben von den Arpeggien dreier Harfen, durch den weihevollen Marmorsaal der Walhalla, als die Büste Bruckners […] vorunseren Blicken stand. Auch Richard Wagners Musik grüsste hier oben auf dem Hügel zum Meister von St. Florian herüber: Walhalla-und Meistersingerklänge umfingen Herzu und Sinn der […] Festgemeinde.» Was genau gespielt wurde, bleibt somit unklar.
385 Siehe die Bilder in Ehlers, Das Regensburger Bruckner-Erlebnis, S. 749f. sowie Gilliam, The Annexation of Anton Bruckner, S. 585.
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der IBG. Zum Schluss der Feier, als «der Führer» aus der Walhalla hinaustrat, erklangen noch Deutsch-
landlied und Horst-Wessel-Lied.386
Die Intonation dieser Nazi-Hymne am Schluss des Aktes machte nochmals für jedermann offensichtlich, wer
bei der Bruckner-Feier das Szepter führte. Obwohl sich die IBG-Führung gegen diese höchstinstanzliche
Umarmung Bruckners durch die Führungsriege des NS-Staates realistischerweise kaum zur Wehr setzen
konnte, nahmen die IBG-Spitzenfunktionäre und Organisatoren des Regensburger Bruckner-Festes, Auer,
Hausegger und Bosse diese Instrumentalisierung Bruckners nicht nur billigend in Kauf, sondern trugen in
ihrem bemerkenswerten Eifer, dem «Führer» und seinem Propagandaapparat weitestmöglich entgegen-
zukommen, sogar noch kräftig dazu bei. Für die Walhalla-Feier und das Brucknerfest verpflichtete man
ausschliesslich linientreue Dirigenten und Redner und in Auers Festgruss fiel der Hinweis auf die «universelle
Kraft» von Bruckners Musik verschwindend klein aus, verglichen mit den Anklängen an die NS-Propaganda,
wie Brüstle moniert.387 Hausegger wiederum zeigte sich besorgt darum, dass die Walhalla-Zeremonie durch
den «Locus iste»-Ausschnitt der Domspatzen einen «einseitig katholischen Charakter» bekommen könnte,
was angesichts der überwältigenden Dichte von Symbolen und Repräsentanten des NS-Staates geradezu
grotesk anmutet.388 Dem Dirigenten war zwar «zu danken, dass das dem feierlichen Staatsakt nunmehr
folgende Fest […] eine Form erhielt, wie sie grossartiger, weihevoller und künstlerisch vollkommener nicht
gedacht werden konnte»389, die nationalsozialistische Inszenierung setzte sich aber auch hier ungebrochen
fort: Am Sonntagabend, nachdem er Walhalla-Akt und Parteitagsrede absolviert hatte, hörte sich Hitler in der
Regensburger Minoritenkirche noch Bruckners Te Deum (Leitung: Theobald Schrems) und die Fünfte in
«Originalfassung» (Hausegger) an. Die «gotische Basilika», von Ehlers als «architektonisches Gegenstück»
zu Bruckners Musik bezeichnet, war für den Anlass nach nationalsozialistischer Manier mit kupferroten
Tüchern einem «mächtigen schwarzen Adler, […] diese[m] Sinnbild der deutschen Kraft und Hoheit»
geschmückt worden.390 Für sein Erscheinen beim Festkonzert wünschte sich Hitler Orgelklänge, die jedoch
nicht als offizieller Programmpunkt ersichtlich sein durften, sondern quasi als Szenen-Musik für seinen
Auftritt wirken sollten.391 Der österreichische Kirchenmusiker Vinzenz Goller schrieb eigens dafür ein «Fest-
präludium für Orgel in memoriam Anton Bruckner», in dem «das motivische Hauptgefüge der fünften
Symphonie Bruckners eine kontrapunktisch-improvisatorische Verherrlichung bester Art erfährt», wie Moissl
in seinem Artikel verzückt festhielt.392
Wie sehr Goebbels und Hitler diesem Tag, an dem sich die Bruckner-Zeremonie mit der «Verkündung» der
«Gottgläubigkeit» verband, die Züge eines effektvollen, messianischen Ereignisses verliehen, lässt sich an der
propagandistischen Berichterstattung in NS-Publikationen ablesen – am offensichtlichsten vermutlich bei
Paul Ehlers, der in seinem Artikel für Bosses «Zeitschrift für Musik» den Anlass zu so etwas wie einem
«Pfingstwunder» stilisierte: «Es hätte gar nicht besser vorgesehen werden können, als es hier der Zufall, dass
386 Bericht über die Vorbereitungen der «Brucknerfeier auf der Walhalla», zit. nach Brüstle, Bruckner und die Nachwelt, S. 109.387 Brüstle, Bruckner und die Nachwelt, S. 101f. u. 120.388 Briefe Hauseggers vom 6. Juli 1936 u. 7. April 1937 an Auer, A-Wn, Musiksammlung, Fond 31 Auer 318, zit. nach Brüstle, Bruckner und
die Nachwelt, S. 117.389 Moissl, Anton Bruckner in der Walhalla, S. 140.390 Ehlers, Das Regensburger Bruckner-Erlebnis, S. 745.391 Brüstle, Bruckner und die Nachwelt, S. 118.392 Moissl, Anton Bruckner in der Walhalla, S. 141f.
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sich die Ankunft des Führers verzögerte, fügte, dass die Hörer mit den Ausführenden in diesem Raume, wo
sich Tages- und Kerzenlicht immer inniger vermischten, erwartungsvoll harren mussten. Als dann der Führer
unter den brausenden Klängen eines auf der von ihm den Regensburgern geschenkten Orgel gespielten
Präludiums mit Bayerns Reichsstatthalter Ritter v. Epp, dem Bayerischen Ministerpräsidenten Siebert und den
übrigen zum Feste gekommenen führenden Männern der Reichs- und der Landesregierung und der Stadt die
Kirche betrat, als die Besucher schweigend, aber mit freudiger Erregung den Erneuerer Deutschlands
begrüsst hatten, da waren alle Seelen aufgeschlossen, um das Wunder zu empfangen, das jetzt mit seinen
überirdischen und doch so irdisch schönen Klängen zu ihnen herniederkam. Denn ein Wunder war es in der
Tat, was wir in jener Stunde des scheidenden Sonn- und Sonnentages in der Minoritenkirche erlebten.»393
Während die linientreue Presse das Ereignis ihrer Leserschaft sozusagen in Weihrauch gehüllt präsentierte,
blieb Goebbels in seiner Tagebuchnotiz nüchterner – sie enthüllt, wie wenig weihevoll es hinter den Kulissen
des Walhalla-Aktes zuging und wie der Propagandaminister die Wirkung seiner Regensburger Auftritte
kalkulierte: «Regensburg: Siebert stänkert etwas gegen mich herum. Aber ich sage ihm Bescheid. Der Führer
lacht sich aus. Die Feier ist sehr gut und würdevoll. Siebert spricht und ich. Die Walhalla macht auch heute
noch einen imposanten Eindruck. Ergreifend, all die grossen deutschen Namen zu lesen. Dieser Ludwig war
doch ein Kerl. Einmal wird auch der Führer hier aufgestellt. Wohl Bismarck gegenüber. Die Domspatzen
singen wundervoll. Bruckner war einer unserer ganz Grossen. Wir müssen ihn nun mehr pflegen. Rückfahrt
durch Regensburg. Durch ein jubelndes Menschenspalier. In dieser schwarzen Stadt. Sie werden den
kürzeren ziehen, diese Klerikalen.»394
Ein weiteres Kernstück in der Inszenierung, das nach dem Walhalla-Akt zum festen Bestandteil der national-
sozialistischen Bruckner-Propaganda wurde und auch heute noch für Diskussionen in der Bruckner-Literatur
sorgt, war die Identifizierung Hitlers mit Bruckner. Bryan Gilliam vertritt die These, Hitler habe an Bruckner
nicht lediglich ein pragmatisches, auf die propagandistische Verwertbarkeit des Komponisten ausgerichtetes
Interesse gehabt. Vielmehr sei bei Hitler «personal interest in and identification with Bruckner as a man, a
composer, and a fellow Upper Austrian» auszumachen.395 Gilliam begründet diese Diagnose mit der biogra-
phischen Parallele zwischen Hitler und Bruckner: «[T]he young, mediocre painter from Braunau had tried
and failed to enter the Viennese artistic establishment, and he doubtless identified with Bruckner, who,
decades earlier, found himself outside the Viennese bourgeois musical mainstream.»396 Brüstle greift Gilliams
Gedanken in spekulativer Weise auf und begründet die Tatsache, dass Hitler beim Walhalla-Akt keine Rede
gehalten hat, mit seiner persönlichen Identifikation mit Bruckner: «[…] eine Laudatio wird einem Freund,
einem ‹Geistesverwandten› oder einem bestellten Redner übertragen. Die unmittelbar Betroffenen, die Ange-
hörigen, die Preisträger selbst schweigen oder sind zumindest wortkarg, bedanken sich oft nur kurz, halten
jedenfalls nicht immer selbst eine Rede. Worauf mit diesen Überlegungen hingedeutet werden soll, ist, dass
Hitler sich tatsächlich wie ein unmittelbar Betroffener gab, nicht einmal nur wie ein Bewunderer Bruckners,
sondern wie ein naher Verwandter, vielleicht wie ein zweites Ich Bruckners.»397 In eine ähnliche Richtung
393 Ehlers, Das Regensburger Bruckner-Erlebnis, S. 745.394 Eintrag vom 7.6.1937, in: Goebbels, Die Tagebücher, Bd. 4, S. 172.395 Gilliam, The Annexation of Anton Bruckner, S. 587.396 Gilliam, The Annexation of Anton Bruckner, S. 587.397 Brüstle, Bruckner und die Nachwelt, S. 108.
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deutet auch Mathieus Beobachtung, dass sich Hitler aufgrund seiner eigenen Erfahrungen vorgenommen
hatte, (staatstreue) Künstler zu fördern und «gottbegnadeten» Genies ein optimales Umfeld für ihre
schöpferische Tätigkeit bieten wollte. Mit der Ehrung in der Walhalla und der Förderung der «Original-
ausgaben» ergab sich für ihn die Gelegenheit, posthum die erlittene Unbill von Bruckners Wiener Dasein zu
lindern – und so sein eigenes Scheitern als Künstler zu verarbeiten.398 Dümling fügt dieser These von der
persönlichen Verbundenheit Hitlers mit Bruckner noch eine weitere psychologische Dimension bei, indem er
darauf hinweist, dass die «Vergewaltigung» Bruckners «an Wesenselemente des Menschen Anton Bruckner
wie seiner Musik […] anknüpfen konnte. Die hypertrophe Idee des Komponisten, durch Symphonien die
Welt neu zu erschaffen und mit ihnen den Kosmos erklingen zu lassen, entsprach den politischen
Vorstellungen Hitlers.»399 Ebenso wie Bruckner in seinen gewaltigen Sinfonien habe Hitler «ein universales
Symbolgeflecht über das Land werfen und ihm dadurch Sinn verleihen» wollen. «Diese Sinnstiftung war ihm
umso wichtiger, als wie bei dem Komponisten, seine menschlichen Kontakte zur Umwelt sich als schwierig
erwiesen und Liebesbeziehungen gescheitert waren. Gemeinsam war beiden Österreichern ausserdem ein
fanatischer Ordnungssinn, verbunden mit Zählzwang», so Dümling weiter. Beide wähnten sich ausserdem von
Gott begnadet: «Unter Tausenden hat mich Gott begnadigt und dies Talent mir, gerade mir gegeben»400, soll
Bruckner geäussert haben, während Hitler in seiner Parteitagsrede nach dem Walhalla-Akt betonte, dass auf
seinem Werk, dem Nationalsozialismus, «der Segen der Allmacht» ruhte.401
Hitler zeigte sich Bruckner auch insofern verbunden, als er hochfliegende Pläne hegte und Linz umgestalten
und als kulturelles Gegengewicht zu Wien mit Bruckner im Zentrum etablieren wollte, wie aus einem
Tagebucheintrag von Goebbels hervorgeht: «Linz muss sich gegen die zunehmende Industrialisierung ein
kulturelles Gegengewicht schaffen. Ein Lieblingsplan des Führers, der doch sehr an seiner Heimatstadt hängt.
[…] Fahrt nach St. Florian. Zum Stift, wo Bruckner wirkte. Welch ein wunderbarer Barockbau. Wir wollen
hier die Pfaffen vertreiben, eine Hochschule für Musik und die Brucknergesellschaft hinlegen. Ein
grossartiger Plan. […] Bruckners Orgel. Sein letzter Schüler spielt darauf. Eine Stunde der Sammlung. Ich
stehe dann unten in der Gruft an seinem Sarge, der gerade unter der Orgel, auf der er so lange Jahre spielte,
seinen Platz hat. Ein Bauernbursche, der die Welt mit seiner Musik erobert. […] Im Zimmer des Führers
stehe ich dann mit ihm auf dem Balkon, und wir schauen auf seine Heimatstadt herab. Er liebt diese Stadt
sehr, und das ist auch verständlich. Er will hier ein neues Kulturzentrum errichten. Schon als Gegenpol zu
Wien, das allmählich aus etwas ausgeschaltet werden muss.»402 In Linz sollten ein Bruckner-Konzerthaus und
ein von Hitler selber entworfenes Bruckner-Monument in der Art der Nelson-Säule am Londoner Trafalgar
Square entstehen, St. Florian sollte zum Sitz der DBG/IBG sowie eines «Reichs-Bruckner-Orchesters»
gemacht werden und eine Bruckner-Musikhochschule aufnehmen – Linz und Umgebung sollten in der
Vorstellung Hitlers zum «Bruckner-Bayreuth» mit jährlichen Festspielen aufsteigen.403 Die hochfliegenden
398 Mathieu, Kunstauffassungen und Kulturpolitik im Nationalsozialismus, S. 65.399 Dümling, Der deutsche Michel erwacht, S. 205.400 Der Ausspruch wird überliefert in Kluger, Josef: Schlichte Erinnerungen an Anton Bruckner, in: Jahrbuch des Stiftes Klosterneuburg, Bd. 3,
Wien ‹etc.› 1910, S. 120.401 Domarus, Hitler. Reden und Proklamationen 1932-1945, S. 699f.402 Eintrag vom 13.03.1941, in: Goebbels, Die Tagebücher, Bd. 9 S. 185.403 Siehe Kreczi, Hanns: Das Bruckner-Stift St. Florian und das Linzer Reichs-Bruckner-Orchester (1942-1945), Graz 1986 (Anton Bruckner.
Dokumente und Studien, Bd. 5); ders.: Bruckner-Orchester Linz und Brucknerhaus, Wien 1992 (Anton Bruckner. Dokumente und
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Pläne wurden einerseits durch den Kriegsverlauf, andererseits durch organisatorisch-logistische und
ideologische Hindernisse und Widerstände grösstenteils vereitelt, weshalb lediglich zwei Dinge konkret
umgesetzt wurden: Anfang 1941 wurde das Augustiner-Kloster enteignet und die Mönche daraus vertrieben,
und ein Jahr darauf kam es zur Gründung des Orchester mit zugehörigem Chor. Das «Reichs-Bruckner-
Orchesters» war als Kernstück des «Musikwerks des Großdeutschen Rundfunks» konzipiert und trat 1943
erstmals zu Proben zusammen, spielte aber erst am 20. April 1944 (zu Hitlers Geburtstag) erstmals
öffentlich. Die Musiker, die aus dem ganzen Reichsgebiet mit Spitzengehältern nach Linz gelockt wurden,
hatten am Sarkophag Bruckners im Stift St. Florian einen Eid abzulegen: «Anton Bruckner, erhabener Meister
der Töne, wir sind hier versammelt, Dir und unserem Führer, Adolf Hitler sowie dem Grossdeutschen Reich
zu geloben und zu schwören, dass wir alle Zeit bereit sind, Deine Werke zu verkünden.»404
Ob Hitlers Verbundenheit mit Bruckner in einer derartigen, persönlichen Identifikation wurzelte, wie von
Gilliam, Brüstle und Dümling unterstellt wird, ist letztlich nicht nachprüfbar. Für Goebbels ergab sich aus
einer solchen Identifikation aber auf jeden Fall eine hervorragende Möglichkeit, einerseits den «Führer» als
Kunstfreund und Kulturförderer darzustellen und andererseits zusätzliche Legitimation für die Indienstnahme
Bruckners zu gewinnen. Mit Bedacht stellte er in seine Walhalla-Rede immer wieder direkte Anreden an
Hitler den Ausführungen zu Bruckner gegenüber und gewann auf diese Weise eine Art rhetorischer
Identifikation Hitlers mit Bruckner. Gegen Schluss seiner Rede deutete Goebbels die «Verschränkung» der
«beiden ‹Söhne der österreichischen Erde›»405 am deutlichsten an: Der eine, Bruckner, sei «dazu berufen
[…], die unlösliche geistige und seelische Schicksalsgemeinschaft zu versinnbildlichen», der andere, Hitler,
mache die Büstenweihe zum «symbolischen Ereignis», dafür beuge sich «im Sinne und Geiste […] in dieser
festlichen Stunde eine dankbare Nation vor dem unsterblichen Genie eines ihrer grössten Söhne»406, wobei
genauso gut Hitler wie Bruckner gemeint sein konnte.
Die Verbindung Bruckner-Hitler wurde verschiedentlich aufgegriffen und etablierte sich rasch als genuin
nationalsozialistischer Bruckner-Topos, dessen schwärmerischer Ton sich bestens in die Tradition der
überlieferten Bruckner-Klischees eingliederte: «Der Geist des die Riesenquadern seiner Werke ins Erhabene
emporschichtenden Baumeisters der Töne ist seinem eigenen [Hitlers] Geiste verwandt von Ewigkeit her.»407
Und im Programmheft der Bruckner-Festtage in St. Florian und Linz vom 31. Mai bis 7. Juni 1941 schrieb
August Eigruber, NSDAP-Gauleiter Oberdonau: «Mitten im gewaltigsten, aber auch sieghaftesten Ringen, in
dem das deutsche Volk um der Grösse seiner Zukunft willen steht, schickt sich der Heimatgau des Führers
an, seinen grössten musikalischen Genius zu feiern. Die Bruckner-Festtage 1941, zu denen der Reichsgau
Oberdonau alle Freunde des grossen deutschen Symphonikers ruft, stehen nicht im Gegensatz zum Grossen
Zeitgeschehen. Denn Geist von jenem Geist, der heute weltentscheidende Taten setzt, spricht aus den hohen
Werken, die uns in Sankt Florian und Linz erklingen werden. Als ein Träger und Künder deutschen
Studien, Bd. 9) sowie Brüstle, Bruckner und die Nachwelt, S. 256ff.; Dümling, Tempelweihe und -säuberung. Die Bruckner-RezeptionHitlers und Goebbels‘, S. 23 und Gilliam, The Annexation of Anton Bruckner, S. 587f.
404 Kreczi, Das Bruckner-Stift St. Florian und das Linzer Reichs-Bruckner-Orchester (1942-1945), S. 178405 Brüstle, Bruckner und die Nachwelt, S. 113.406 Goebbels, Reden, Bd. 1, S. 285f.407 Ehlers, Paul: Die Musik und Adolf Hitler, in: Zeitschrift für Musik, Jg. 106 (1939), Heft 4, S. 361.
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Heldentums ist Anton Bruckner in die Ruhmeshalle der Grössten unseres Volkes eingegangen.»408 Spätestens
jetzt war die perverse Vereinnahmung Anton Bruckners durch die Nationalsozialisten vollkommen –
Bruckner war, wie Richard Wagner, zum Künder «heldisches Lebensgefühls», mithin zur «geistigen Waffe»409
geworden, mit der die Nationalsozialisten ihre Feinde schlugen.
408 Programmheft der Bruckner-Festtage St. Florian-Linz vom 31. Mai bis 3. Juni 1941, veranstaltet vom Reichsgau Oberdonau und der
Gauhauptstadt Linz unter der Schirmherrschaft des Gauleiters und Reichsstatthalters August Eigruber, Linz 1941, zit. nach Brüstle,Bruckner und die Nachwelt, S. 263.
409 Brüstle, Bruckner und die Nachwelt, S. 262ff.
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5 Fazit und Ausblick
5.1 Zusammenfassung und Fazit
Die Geschichte der Bruckner-Rezeption wurde in dieser Arbeit in drei Phasen aufgeteilt: Erstens die Re-
zeptionsphase zu Lebzeiten Bruckners, an deren Ausprägung der Komponist mit seinen eigenen Gesinnungs-
äusserungen, mit seinem Handeln in der Öffentlichkeit sowie innerhalb seines Kontaktnetzes von Freunden,
Schülern und Anhängern, die zu den Hauptakteuren dieser Rezeption gehörten, partizipierte. Zweitens die
Phase von seinem Tod 1896 bis zum Anfang der 1930er Jahre, während der sich einerseits Bruckners Musik
im Konzertbetrieb etablieren konnte, andererseits auch die Person Bruckners von verschiedenen Seiten in
vereinnahmender Weise stilisiert und durch eine ebenso ideologische wie idealistische «Heldenverehrung»
zum Objekt bzw. zum Instrument ihrer jeweiligen Weltanschauung gemacht wurde. Drittens die Phase von
1933-45, in der Bruckner von den Nationalsozialisten in Dienst genommen und für ihre propagandistischen
Zwecke missbraucht wurde, wobei sie in grossem Umfang auf die Rezeptionsstränge der zweiten Phase
zurückgreifen konnten. Um die grundsätzlichen Fragen (in welcher Weise wurde Bruckner von den National-
sozialisten aufgenommen und instrumentalisiert? Was waren die musikalischen, historischen und ideologi-
schen Voraussetzungen dafür?) zur nationalsozialistischen Bruckner-Rezeption zu beantworten, war es des-
halb notwendig, verschiedene, sich vielfach überschneidende Ereignis- und Rezeptionsebenen zu betrachten,
sie in ihrem historischen Kontext zu bewerten und ihre Kontinuität über die Zeit mitzuverfolgen.
Die Ebene der Musik wurde in Kapitel 2 hauptsächlich anhand der Achten Sinfonie untersucht. Es ging dabei
primär darum, welche Eigenschaften der Brucknerschen Musik für ihre propagandistische Verwertbarkeit
verantwortlich waren. Bruckners auf Monumentalität ausgelegte sinfonische Konzeption und die Rolle, die
das Erhabene darin spielt, stellten sich als Schlüsselfaktoren zur Beantwortung dieser Frage heraus. Während
die Monumentalität von Bruckners Sinfonien bereits in Parametern wie dem Umfang der Sätze, der Grösse
des Orchesters und der Art der Instrumentierung ersichtlich wird, erweist sich neben bausteinhaften
Formblöcken, weihevollen Choralpassagen und dem prominenten Einsatz von Blechbläsern vor allem
Bruckners Technik der verdichtenden Steigerung von Themen, die auf den Satzhöhepunkten in «Durch-
brüchen» (Steinbeck) kulminieren, als Trägerin des Erhabenen. Solche Steigerungszüge, die bisweilen abge-
brochen werden, um sich später umso gewaltiger in den Themendurchbrüchen zu entladen, üben auf die
Hörer einen überwältigenden Effekt aus, der sich mit den Empfindungen deckt, die dem Erhabenen bereits in
den ästhetischen Theorien Burkes, Kants und Schopenhauers zugeschrieben wurden. Damit erfüllte Bruck-
ners Musik die ästhetischen Anforderungen einer «Überwältigungsmusik», in der Hitler und Goebbels ein
ideales Medium erkannt hatten für jenes unfassbare, weihevolle «Absolute», mit dem sie ihre Ideologie zum
quasireligiösen Kult transformierten. Dies verweist auf die dritte, in Kapitel 4 ausgeführte Rezeptionsphase:
Der massive Einsatz erhaben-monumentaler Musik in Kombination mit visuellen und architektonischen
Elementen bei Parteitagen und ähnlichen Anlässen bezweckte, einen Liturgietransfer (Bermbach) herbeizu-
führen. Religiöse Symbolik und kultische Handlungen wurden auf politische Inhalte und Inszenierungen
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übertragen, die Menschen in eine gläubig-passive Rezeptionshaltung versetzt. Den Massen wurde so ein
spirituelles Einheitsgefühl vermittelt, das sie im Endeffekt empfänglicher für die Indoktrinierung durch die
NS-Propaganda machen sollte. An die Stelle der Loyalität gegenüber den Kirchen sollte ihre Hingebung an den
«Führer» und das Reich treten, ihr Glaubensbekenntnis sollte sich mit dem Parteiprogramm der NSDAP
decken. NS-Ideologie, wagnerianische Kunstreligion und völkische Deutschgläubigkeit wurden deshalb zur
neuen «Gottgläubigkeit» verschmolzen und 1937 anlässlich des Bruckner-Anlasses in der Walhalla und dem
anschliessenden Parteitag offiziell in den Sprachgebrauch der Nationalsozialisten eingeführt.
Weitere Zusammenhänge von Musik und Ideologie ergaben sich aus Bruckners programmatischen
Äusserungen zu seiner Achten Sinfonie. Bruckner sprach von ihr als seinem «Deutschen Michel», was auf
zeitgenössische und nachfolgende Rezeption des Werkes enormen Einfluss hatte, ebenso wie auf die ideo-
logische Einordnung Bruckners in politischen wie kompositorischen Belangen. So erachtete etwa Haas, der
die Sinfonie 1939 in ihrer «Originalfassung» herausgab, die Achte «als Verklärung des grossdeutschen
«Michel»-Mythos. Aus dieser Sicht offenbarte sich Bruckner damit als geistiger Vorläufer des Nationalsozialis-
mus, an den man guten Gewissens anknüpfen könne. Bereits zuvor, in den zeitgenössischen Rezensionen der
Uraufführung, hatte sich die Kontroverse entzündet, ob Bruckner Programmsinfonien oder «absolute Musik»
geschrieben habe – eine Frage, die eng mit Bruckners Einordnung unter die Neudeutschen um Wagner, Liszt
und Berlioz verknüpft war. Diese Verbindung von Bruckner mit Wagner beschränkte sich im Wien der
Gründerzeit, wo die Musik stark mit politischen und sozialen Strukturen verbunden war und in hohem Masse
identitätsstiftend wirkte, wiederum nicht auf die Musik: Sie dehnte sich aus auf weltanschaulich-ideologische
Fragen, was zur Politisierung der Figur Bruckner durch seine Freunde und Anhänger führte. Bruckner wurde
von seinen Schülern und Freunden, namentlich den Brüdern Franz und Josef Schalk sowie August Göllerich,
mit Publikationen, Veranstaltungen und Ehrungen im stramm deutschnationalen Lager der Wiener
Wagnerianer positioniert.
Damit ist die Ebene von Bruckners eigener Gesinnung und ihren Zusammenhängen mit der Bruckner-
Rezeption vor 1933 angesprochen, die in Kapitel 3 thematisiert wird. Obwohl die nach seinem Tod ein-
setzende «Heldenverehrung» stark ideologische Züge trug und den Komponisten für politische und religiöse
Anliegen vereinnahmte, konnten sich die Akteure dieser Vereinnahmung mindestens indirekt auf Bruckners
eigene, gleichzeitig lokalpatriotische, kaisertreue und deutschnationale Gesinnung berufen. Seine Haltung
äussert sich zum einen direkt in seinen Briefen, in Liedern und Chorwerken, die er im Rahmen seiner
Tätigkeit für Männergesangsvereine in Linz und Wien komponierte, wobei nicht vergessen werden sollte, dass
die Männerchor-Bewegung als Hort deutschnationalen Denkens gelten kann. Bruckners Zeitungslektüre,
seine Kontakte zu Kritikern und Pressevertretern und seine – trotz altväterisch-unterwürfigen Formeln
zielstrebigen – Interventionen lassen Bruckner als Mann mit einer klar erkennbaren Gesinnung und einem
festen Willen zur Erreichung seiner Ziele erscheinen. Die in Forschung und Literatur weit verbreitete Sicht
Bruckners als gänzlich apolitischem Menschen, der sich aufgrund seiner naiven Vaterlandsliebe und seinem
Vertrauen in seine Freunde einfach habe instrumentalisieren lassen, bedarf deshalb einer Korrektur. Dass
sich Bruckner gegen seine Positionierung im deutschnationalen Lager nicht wehrte, scheint vor diesem
Hintergrund naheliegend zu sein, es irritiert allerdings, dass er sich auch nicht von Vereinnahmungen durch
Agitatoren wie Göllerich, Vergeiner oder Czerny distanzierte, die deutschnationale Gesinnung mit glühendem
– 70 –
Antisemitismus verbanden. Möglich, dass Bruckner, der sich selber nie antisemitisch geäussert hat, «mit
allen Mitteln um seine Akzeptanz in der Öffentlichkeit kämpfen zu müssen glaubte» (Elisabeth Maier) und
deshalb jede noch so vereinnahmende Stellungnahme zu seinen Gunsten begrüsst habe. Weil er es (bis zu
einem gewissen Grad bewusst und willentlich) an Widerstand gegen seine Vereinnahmung durch die
Deutschnationalen und Wagnerianer fehlen liess, machte es Bruckner deutschnational-antisemitischen
Kreisen leicht, ihn für ihre Ideologie zu reklamieren. Diese Entwicklung wurde auch durch den Umgang mit
Bruckners Biographie gefördert, die viel Stoff für Legendenbildungen bot: Aus den Anekdoten, Histörchen
und Bonmots, die aus seinem Leben überliefert wurden, entwickelte sich eine Bruckner-Hagiographie, in
deren Zentrum oftmals der einfach-bescheidene Mann stand, der die romantischen Klischeevorstellung vom
«leidenden», «innerlichen» Künstler bestens erfüllte und häufig mit Beethoven und dessen «deutschem
Geist» (Richard Wagner) gleichgesetzt wurde. Mit der wachsenden Vereinnahmung durch deutschnationale
und völkische Kreise um die Jahrhundertwende gewann dieses Bruckner-Bild die Schärfe, die sie für die
nationalsozialistische Propaganda so attraktiv machte.
Kapitel 4 befasst sich mit der Vereinnahmung Bruckners und seiner Musik durch die Nationalsozialisten.
Innerhalb dieser Ebene lassen sich wiederum drei verschiedene Bereiche unterscheiden, die für die Wahr-
nehmung Bruckners und speziell seiner Achten Sinfonie wichtig waren: Erstens die NS-Kulturpolitik, zweitens
die Anknüpfungspunkte, die sich aus der Rezeptionsgeschichte bis 1933 sowie der personellen und
institutionellen Verflechtungen zwischen Bruckner-Organisationen und dem Nationalsozialismus ergaben,
und drittens die missbräuchliche Vereinnahmung Bruckners als Werkzeug des nationalsozialistischen
Propagandasystems.
Die Kulturpolitik der Nationalsozialisten beruhte auf der Prämisse, dass die Kunst Dienerin des Vaterlandes zu
sein habe. Da die Musik als «deutscheste aller Künste» galt, war sie am besten geeignet, durch ihren heilig-
erhabenen, ewigen Charakter «das Deutsche» zu repräsentieren. Die massive Instrumentalisierung von Musik
im Allgemeinen und von Bruckners Sinfonien im Speziellen war hauptsächlich das Produkt pragmatischer
Kalkulationen der NS-Chefpropagandisten und hatte eine dreifache Wirkung: Erstens gaben sich die Nazis
nach innen kultiviert unterhaltend und transportierten ideologische Inhalte in ansprechender Verpackung;
zweitens wirkte die grandiose Monumentalität und die Spiritualität Bruckners als Bollwerk gegen die
modernen Strömungen in der Musik der 1920er Jahren; und drittens zeigten sie nach aussen die Glanzlichter
deutscher Kultur und konnten so das während der «Kampfzeit» ins Leben gerufene Barbaren-Image etwas
übertünchen. Während des Krieges wurde Bruckners Musik zudem als eskapistisches Remedium gegen die
Sorgen und Nöte des Kriegsalltags verabreicht.
Bruckners Vereinnahmung als Person ergab sich aus den zahlreichen Verbindungen, die zwischen der bio-
graphische Anekdoten, künstlerische und weltanschauliche Klischees sowie eine idealisierende «Helden-
verehrung» vereinenden zweiten Rezeptionsphase einerseits, und dem propagandistischen Bruckner-Bild der
Nationalsozialisten andererseits existierten. Viele Bruckner-Klischees, etwa sein Deutschtum, seine Frömmig-
keit oder sein Leiden unter der feindlich gesinnten Wiener Musikkritik betreffend, diffundierten von den
Brucknerianern der 1910er und 20er Jahre, die sie in mannigfaltiger Weise ideologisch aufgeladen hatten,
bruchlos ins Bruckner-Verständnis der Nationalsozialisten. Diese brauchten sie lediglich noch aufzugreifen,
auf die aktuellen Bedürfnisse der NS-Propaganda abzustimmen und entsprechend zuzuspitzen, was mit
– 71 –
Texten Theodor Armbrusters und Werner Kortes illustriert wurde. Ihren Höhepunkt erreichte diese Praxis
mit Goebbels’ Rede zur Aufstellung der Brucknerbüste in der Walhalla am 6. Juni 1937, in welcher er diverse
Bruckner-Klischees aufnahm und zu einem propagandistischen Meisterwerk zusammenfügte: Goebbels
erklärte Bruckner darin zum Exempel eines Komponisten in der Tradition des «deutschen Kantors», der über
Generationen in Blut und Boden seiner Heimat verwurzelt sei und aus dieser rassisch-volkhaften
Verankerung heraus die Kraft seiner Werke gewonnen habe. Von dort her komme auch Bruckners
«Gottgläubigkeit», welche die Grenzen herkömmlicher Konfessionen gesprengt habe. Auf Hanslicks giftige
Kritiken anspielend, legitimierte Goebbels das kurz zuvor verhängte Verbot einer kritischen Kunstbericht-
erstattung in den gleichgeschalteten Medien als späte «Wiedergutmachung» an Bruckner. In die gleiche
Richtung zielte auch die Ankündigung, Haas’ Projekt der Herausgabe aller Bruckner-Werke in «Original-
fassung» finanziell zu unterstützen, wobei Goebbels gleich noch die Kunstbeflissenheit und die persönliche
Verbindung Hitlers zu Bruckner herausstellte. Effektiver liess sich das überkommene Bruckner-Bild kaum
mit nationalsozialistischer Ideologie verbinden.
Im Zusammenhang mit Vorgeschichte, Ablauf und Presseauswertung der Büsten-Aufstellung wurde in Kapitel
4 als weiteres wichtiges Element der nationalsozialistischen Vereinnahmung Bruckners auch die «Verfilzung»
der IBG und ihrer Exponenten mit dem nationalsozialistischen Kultur- und Parteibetrieb dargestellt.
Persönliche Verbindungen, organisatorische Zusammenarbeit und institutionelle Gleichschaltung bildeten ein
dichtes Netzwerk, dank dem Bruckner und seine Musik besonders effizient ins kulturpolitische Gefüge der
NS-Propaganda einverleibt werden konnten. Dies geschah zu einem Teil aus dem Glauben heraus, durch die
Eingliederung der Aktivitäten der IBG in die nationalsozialistischen Kulturstrukturen die Sache Bruckners
befördern zu können, zu einem anderen Teil aber auch aus der persönlichen Überzeugung einzelner Akteure,
dass Bruckner im Nationalsozialismus sozusagen posthum seiner eigentlichen geistigen Heimat zugeführt
werde. Mit der personellen ging beinahe zwangsläufig auch die institutionelle Nähe der IBG zum NS-System
einher: Obwohl sich die IBG-Führung gegen die propagandistische «Umarmung» Bruckners durch die
Führungsriege des NS-Staates realistischerweise kaum zur Wehr setzen konnte, nahmen IBG-Funktionäre wie
Max Auer, Robert Haas, Siegmund von Hausegger und Gustav Bosse diese Instrumentalisierung nicht nur
billigend in Kauf, sondern trugen in ihrem Eifer, dem «Führer» und seinem Propagandaapparat weitest-
möglich entgegenzukommen, sogar noch kräftig dazu bei.
Ein letztes Element nationalsozialistischer Bruckner-Vereinnahmung, das nach dem Walhalla-Akt zum festen
Bestandteil der NS-Selbstinszenierung wurde, war die Identifizierung Hitlers mit Bruckner. Die Verbindung
Bruckner-Hitler etablierte sich rasch als Bruckner-Topos, dessen schwärmerischer Ton sich bestens in die
Tradition der überlieferten Bruckner-Klischees eingliederte. Spätestens damit war die perverse Vereinnah-
mung Anton Bruckners durch die Nationalsozialisten vollkommen.
5.2 Ausblick auf weitere Fragen
Einige Bereiche die in dieser Arbeit angesprochen wurden, verdienten eine etwas eingehendere Betrachtung,
als sie hier möglich war (oder in der Literatur bisher schon geleistet wurde). Auf einer musikologischen
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Ebene zu nennen wäre etwa das Konzept des Liturgietransfers, dessen Umsetzung in einer systematischen
musikalischen Analyse konkretere Aufschlüsse über die Brauchbarkeit Brucknerscher Sinfonien für die
Inszenierung nationalsozialistischer Veranstaltungen liefern könnte. Auf einer historischen Ebene wäre es
interessant, die persönlichen und institutionellen Netzwerke, welche die Bruckner-Rezeption von 1896-1945
– und teilweise sogar darüber hinaus – trugen, näher zu untersuchen. Obwohl namentlich die Publikationen
Brüstles, Notleys, Leibnitz’ und Wagners hier schon einiges an Material bereitstellen, könnte beispielsweise
ein Vergleich der Verehrergemeinden Richard Wagners und Anton Bruckners und der darin ablaufenden
Diskurse ergänzende Erkenntnisse zu weltanschaulichen und politischen Hintergründen der Rezeptions-
geschichte zwischen 1896 und 1933 liefern.
– 73 –
6 Bibliographie
6.1 Quellen
6.1.1 BrucknerBruckner, Anton: VIII. Symphonie c-moll, Fassung 1887, verbesserte Auflage, hg. v. Leopold Nowak, Wien 1972/92 (Anton
Bruckner, Sämtliche Werke, Band VIII/1).
Bruckner, Anton: VIII. Symphonie c-moll, Fassung 1890, 2., revidierte Ausgabe, hg. v. Leopold Nowak, Wien 1955 (AntonBruckner, Sämtliche Werke, Band VIII/2).
Bruckner, Anton: II. Symphonie c-moll (Originalfassung), Studienpartitur, vorgelegt v. Robert Haas, Leipzig 1938 (SämtlicheWerke. Kritische Gesamtausgabe im Auftrage der Generaldirektion der Nationalbibliothek und der Deutschen Bruckner-Gesellschaft, 2. Band).
Bruckner, Anton: IV. Symphonie Es-Dur (Originalfassung), Studienpartitur, vorgelegt v. Robert Haas, Leipzig 1936 (SämtlicheWerke. Kritische Gesamtausgabe im Auftrage der Generaldirektion der Nationalbibliothek und der Deutschen Bruckner-Gesellschaft, 4. Band).
Bruckner, Anton: V. Symphonie B-Dur (Originalfassung), Studienpartitur, vorgelegt v. Robert Haas, Leipzig 1939 (Sämtliche Werke.Kritische Gesamtausgabe im Auftrage der Generaldirektion der Nationalbibliothek und der Deutschen Bruckner-Gesellschaft, 5. Band).
Bruckner, Anton: VI. Symphonie A-Dur (Originalfassung), Studienpartitur, vorgelegt v. Robert Haas, Leipzig 1935 (SämtlicheWerke. Kritische Gesamtausgabe im Auftrage der Generaldirektion der Nationalbibliothek und der Deutschen Bruckner-Gesellschaft, 6. Band).
Bruckner, Anton: VIII. Symphonie c-moll (Originalfassung), Studienpartitur, vorgelegt v. Robert Haas, Leipzig 1939 (SämtlicheWerke. Kritische Gesamtausgabe im Auftrage der Generaldirektion der Nationalbibliothek und der Deutschen Bruckner-Gesellschaft, 8. Band).
Bruckner, Anton: Messe f-moll (Originalfassung), Studienpartitur, vorgelegt v. Robert Haas, Leipzig 1944 (Sämtliche Werke.Kritische Gesamtausgabe im Auftrage der Generaldirektion der Nationalbibliothek und der Deutschen Bruckner-Gesellschaft, 14. Band).
Bruckner, Anton: Briefe. Band 1 (1852-1886), hg. v. Andrea Harrandt u. Otto Schneider, Wien 1998 (Anton Bruckner. SämtlicheWerke, Bd. 24/1) [ABB1].
Bruckner, Anton: Gesammelte Briefe. Hg. v. Franz Gräflinger, Regensburg 1924 (Deutsche Musikbücherei, Bd. 49) [ABGB].
Bruckner, Anton: Gesammelte Briefe. Neue Folge, hg. v. Max Auer, Regensburg 1924 (Deutsche Musikbücherei, Bd. 55)[ABGBNF].
Maier, Elisabeth: Verborgene Persönlichkeit. Anton Bruckner in seinen privaten Aufzeichnungen. Teil 1: Textübertragungen undKommentar, Wien 2001 (Anton Bruckner – Dokumente und Studien, Bd. 11) [ABPA].
6.1.2 Historische LiteraturArmbruster, Theodor: Die Bruckner-Büste im Leipziger Gewandhaus als Mahnzeichen, in: Neue Illustrierte Zeitung, Jg. 37 (1937),
S. 94, zit. nach Lieberwirth, Steffen: Zur Geschichte der Bruckner-Büste des Gewandhauses zu Leipzig, in: Bruckner-Jahrbuch 1984/85/86, hg. v. Ingrid Fuchs e.a. (Anton Bruckner Institut Linz), Linz 1988, S. 73.
Auer, Max: Anton Bruckner. Sein Leben und Werk, Wien 1934.
Ehlers, Paul: Das Regensburger Bruckner-Erlebnis, in: Zeitschrift für Musik, Jg. 104 (1937), Heft 7, S. 745-748.
Ehlers, Paul: Die Musik und Adolf Hitler, in: Zeitschrift für Musik, Jg. 106 (1939), Heft 4, S. 356-362.
Eller, Rudolf: Das erste grossdeutsche Brucknerfest, in: Deutsche Musikkultur, Jg. 4 (1939/40), Heft 2 (Juni/Juli 1939), S. 98-100.
– 74 –
Göllerich, August und Auer, Max: Anton Bruckner. Ein Lebens- und Schaffensbild, IV Bände in 9 Teilen, Regensburg 1922-1937(Deutsche Musikbücherei, Bde. 36-39).
Göllerich, August: Anton Bruckner. Die am Bruckner-Commers nicht gehaltene Rede, in: Deutsches Volksblatt, Jg. 3, 13. u. 15.Dezember 1891.
Gräflinger, Franz: Bruckners Achte Sinfonie, in: In Memoriam Anton Bruckner, hg. v. Karl Kobald, Zürich ‹etc.› 1924, S. 100-113.
Grunsky, Karl: Bruckner’s Leben und Schaffen, in: Bruckner’s Symphonien. Erläutert mit Notenbeispielen von Dr. Karl Grunsky,Hofkapellmeister Willibald Kähler, Dr. Walther Niemann, Prof. Siegfried Ochs und Adolph Pochhammer (Schlesinger’scheMusik-Bibliothek, Meisterführer Nr. 4), Berlin 1907, S. 7-22.
Grunsky, Karl: Anton Bruckner, Stuttgart 1922 (Musikalische Volksbücher, hg. v. Adolf Spemann)
Grunsky, Karl: Der Kampf um deutsche Musik, Stuttgart 1933 (Der Aufschwung. Künstlerische Reihe, Bd. 1).
Grunsky, Karl: Fragen der Bruckner-Auffassung. Vortrag zum 6. internationalen Brucknerfest in Zürich, 20. bis 28. Juni 1936,Stuttgart 1936.
Halm, August: Die Symphonie Anton Bruckners, München 1914.
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