Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft: Standortfaktoren und Immobilienstrategien Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft: Standortfaktoren und Immobilienstrategien Vertiefungsstudie im Rahmen des Förderprogramms "Forschungsprämie" des Bundesminis- teriums für Bildung und Forschung (BMBF) Projektleitung: Prof. Dr. Dietrich Henckel Institut für Stadt- und Regionalplanung Technische Universität Berlin Autoren: Benjamin Herkommer Constanze Engelbrecht Unterstützt von: Thorsten Schäperkötter
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Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft ... · Prominente Wissenschaftler wie Robert Lucas (1998), Edward Glaeser (2000) und Richard Florida (2002) gehen davon aus, dass die
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Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft: Standortfaktoren und Immobilienstrategien
Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft:
Standortfaktoren und Immobilienstrategien Vertiefungsstudie im Rahmen des Förderprogramms "Forschungsprämie" des Bundesminis-teriums für Bildung und Forschung (BMBF) Projektleitung: Prof. Dr. Dietrich Henckel Institut für Stadt- und Regionalplanung Technische Universität Berlin Autoren: Benjamin Herkommer Constanze Engelbrecht Unterstützt von: Thorsten Schäperkötter
Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft: Standortfaktoren und Immobilienstrategien
Zusammenfassung
Die vorliegende Studie dient der Vertiefung der Ergebnisse des im Herbst 2008 abgeschlossenen
Forschungsprojekts „Creative Class in Berlin – Branchenstrukturen und Standortverhalten der
Berliner Kreativwirtschaft“.
Die methodische Ausrichtung auf Faktoren der Standortwahl von kreativen Unternehmen und
Angebotsstrategien von Vermietern an Schwerpunktorten der Berliner Kreativwirtschaft besetzt
eine offene Stelle in der bisherigen Debatte um Kreativwirtschaft und regionalökonomische Ent-
wicklung. Befragt wurden 19 Mieter sowie die Vermieter bzw. Standortmanager von sieben Ge-
werbehöfen, die in der Ausgangsstudie als Schwerpunktadressen der Kreativwirtschaft mit zehn
und mehr Firmen identifiziert wurden. Des Weiteren wurden drei Ankerunternehmen, die eine
führende, meinungsmachende Rolle innerhalb ihrer Branche einnehmen, interviewt.
Zentrale Ergebnisse der Mieterbefragung sind:
Standortsuche und -entdeckung: hohe Bedeutung von Mund-zu-Mund-Propaganda und per-
sönlichen Netzwerken (Hinweise von Bekannten oder Kooperationspartnern aber auch vorhe-
rigen Vermietern), hohe Bedeutung des ‚ersten Augenblicks’ und des Bauchgefühls.
Ausschlaggebende Faktoren für die Standortwahl: Es zählen an erster Stelle überwiegend
immobilienbezogene Faktoren. Innerhalb dieser Kategorie ist der Preis nicht alles: die Qualität
und Art der Mietfläche sowie der Immobilie haben Vorrang, im Zweifel werden Flächengrößen
reduziert oder Lagenachteile in Kauf genommen.
Wichtigste Vorraussetzung für die Anmietung von Räumen: Spielraum für die eigenen Gestal-
tungsmöglichkeiten, gesucht werden daher vor allem offene Großräume.
Hohe Bedeutung von Architektur und Außenraumqualitäten sowie Atmosphäre der Immobilie.
Dies ist mehr als nur eine Geschmacksfrage: für viele Firmen geht es um die Identifikation mit
dem eigenen Standort und um ihr Image – Faktoren, die eng im Zusammenhang mit dem Ge-
schäftserfolg gesehen werden. Für Ankerunternehmen geht die Bedeutung so weit, dass nach
Möglichkeit ‚Signature Buildings’ gesucht werden.
Hohes Interesse der Mieter, an Gestaltungsfragen und Belegungspolitik beteiligt zu werden.
Hohe Bedeutung der Qualität des Angebots: allein über ein gastronomisches Angebot am
Standort zu verfügen reicht nicht aus, es muss qualitativ überzeugen.
Interdependenzen zwischen immobilien- und quartiersbezogenen Faktoren: Vorauswahl von
einem oder zwei Quartieren dient häufig als erste Eingrenzung des Suchraums, in denen sich
entweder die Kunden oder Geschäftspartner konzentrieren oder die Nähe zu einem großen
Pool an schnell verfügbaren, lokal vernetzten kreativen Freelancern gegeben ist. Danach
kommt es auf die Immobilie an.
Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft: Standortfaktoren und Immobilienstrategien
Die Bedeutung von räumlicher Nähe (zu Geschäftspartnern, Kunden etc.) hängt von den je-
weiligen Projektpartnern und der Projektphase sowie von der Art des Produktes ab. Insgesamt
findet eine Überlagerung von lokalen, regionalen und globalen Austausch- und Kooperations-
beziehungen statt. Es überwiegen informelle Zusammenarbeiten (abhängig von der Größe
des Auftrages und der Vertrauensbasis der Geschäftspartner).
Die bereits in der Ausgangsstudie betonte Kritik an lokal mangelhafter Qualität der Ausstat-
tung mit Telekommunikationsinfrastruktur wurde erneut betont.
In der Bewertung der Positionierung und Außendarstellung kommt es für Mieter besonders auf
die Wahrung der Authentizität der erzählten ‚Story’ an.
Gegenüber der Kommune gibt es eine geteilte Erwartungshaltung zwischen einerseits aus-
schließlich finanziell und Kompetenzen bildend orientierter und andererseits räumlich interve-
nierender Förderung der Kreativwirtschaft.
Lebens- und Arbeitsstil haben eine hohe Bedeutung für Kreative. Kommunikation und Marke-
ting der Immobilienwirtschaft müssen sich darauf einstellen und anstelle eines für Plattitüden
und Inhaltsleere anfälligen ‚Kreativen-Brandings’ auf die Bildung von Marken mit einer stilisti-
schen und inhaltlichen Aussage zu setzen.
Aus der Analyse der Untersuchungsergebnisse heraus werden vier Typen von
Vermieterstrategien abgeleitet, die unter den Gesichtspunkten Positionierung, bauliche Gestal-
tung, Mietkonditionen und Kommunikation beschrieben werden. Vielfach fiel es schwer, die Stra-
tegietypen methodisch sauber und konsistent aus den Fallbeispielen und Ergebnissen der Unter-
suchung abzuleiten, da es innerhalb der einzelnen Typen feine Unterschiede gibt, die selbst bei
gleichem oder ähnlichem Investitionsaufwand zu völlig anderen baulichen und atmosphärischen
Resultaten und letztlich auch zu unterschiedlichen Mietermilieus führen. Die verschiedenen Stra-
tegietypen wurden daher als Idealtypen gebildet.
‚Hefestrategie’ (Aufwertung von Standorten mit Defiziten mithilfe kreativer Pioniere und Über-
führung in ein höherwertiges Segment)
Hochwertigkeitsstrategie (besondere Anforderungen an die Alleinstellungsmerkmale der Im-
mobilie, unter Einbußen auch in zentralen Quartieren außerhalb der Ballungsräume der Krea-
in aktuell oder potentiell aufwertenden Stadtquartieren, Trittbrettfahrer-Strategie)
0815-Strategie (geringe Profilierung, keine besonderen Angebote für Kreative, keine besonde-ren Ambitionen Gestaltung, Konzentration auf tägliches Kerngeschäft)
Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft: Standortfaktoren und Immobilienstrategien
INHALT
Zusammenfassung 2
1. Einführung 6
1.1. Forschungszusammenhang 6
1.2. Hintergrund der Studie 11
2. Herangehensweise, Methodik, Teilnehmerfeld 13
2.1. Methoden 13
2.2. Annahmen 19
3. Auswertung der Mieterbefragung 30
3.1. Entdeckung und Motive der Standortwahl 32
3.2. Quartier: Lokale Einbettung 36
3.3. Immobilie 47
3.4. Veränderungsbedarf: Vermieterstrategien und Stadtentwicklungspolitik 57
4. Auswertung der Vermieterbefragung 63
5. Ankerunternehmen 71
6. Rückschlüsse 74
6.1. Vermietersicht – Mietersicht 74
6.2. Vermieterstrategien 77
6.3. Rolle der öffentlichen Hand 88
7. Resümee und Ausblick 97
Literaturverzeichnis 100
Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft: Standortfaktoren und Immobilienstrategien
Anhang: Standorte 102
a. Hackesche Höfe, Mitte 102
b. Bülowbogen, Schöneberg 106
c. Spreespeicher, Friedrichshain 109
d. Wasserschloss, Kreuzberg 112
e. Orco-GSG Schlesische Str. 27, Kreuzberg 115
f. Orco-GSG Waldemarstr. 33A-37A, Kreuzberg 118
g. Orco-GSG Helmholtzstr. 2-9, Charlottenburg 121
Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft: Standortfaktoren und Immobilienstrategien
1. Einführung
1.1. Forschungszusammenhang
Die vorliegende Untersuchung reiht sich ein in die Debatte um die Perspektiven der städti-
schen Entwicklung im Kontext der zunehmenden Bedeutung der Kreativwirtschaft. In Teilen
überlagert die Dominanz dieser Debatte momentan eine ganze Reihe anderer nicht minder
wichtiger Themenfelder der Stadtentwicklung und -politik. Es ist nicht einmal übertrieben, der
Aufregung um die Rolle der Kreativen für die Zukunft der Städte – zumindest punktuell – Zü-
ge von Hysterie zu attestieren.
Neue besonders griffige und besonders gut in Szene gesetzte Fachtermini haben es an sich,
ihre eigene Ökonomie zu kreieren, eine Ökonomie der Standardwerke, Vorträge und Berater-
honorare. Dies ist zweifelsohne auch Kennzeichen des Diskurses um den von Richard Florida
kreierten Begriff der „Creative Class“. Allerdings – und dies müssen auch seine Kritiker neid-
los anerkennen – hat Floridas prägnante Theorie erstens eine wichtige Diskussion wiederbe-
lebt, die nach dem Börsencrash der „New Economy“ in den Hintergrund gerückt war. Zwei-
tens hat Florida selbstverständlich nicht nur den eigenen Arbeitsmarkt und den unzähliger
anderer etablierter und Nachwuchswissenschaftler gleich mit angekurbelt, sondern vor allem
der Kreativwirtschaft dazu verholfen, ernst genommen zu werden. Gleichzeitig sind dabei
auch die teils schwierigen ökonomischen Bedingungen der Betriebe und bisweilen prekäre
Arbeitsverhältnisse mit in den Fokus der Aufmerksamkeit geraten. Es handelt sich also nicht
um eine rein akademische Debatte, die vor allem einem Heer global beratender Wissen-
schaftler diente. Vielmehr werden der umfassende sozioökonomische Strukturwandel und die
sich mit verändernde Wirtschafts- und Arbeitskultur erneut einer breiten Öffentlichkeit be-
wusst gemacht und dabei insbesondere von den städtischen Entscheidungsträgern als Chan-
ce begriffen.
Dieser letzt genannte Aspekt der Debatte um die Bedeutung der Kreativwirtschaft für die
Städte ist alles andere als lapidar. Nicht nur haftete den Diskussionen um Strukturwandel
häufig etwas Nostalgisch-Missmutiges oder Resigniert-Konservierendes an, das Dynamiken
oft verlangsamt hat und Aufbruchschancen verpassen ließ. Da die heutige Debatte um „die
Kreativen“ davon geprägt ist, von einer Vielzahl kommunaler Ressorts als eine Chance für
umfassende Verbesserungen wahrgenommen zu werden, löst sie eine belebende Begeiste-
rung aus. Und dies ist ganz wesentlich Richard Florida und seiner starken Betonung der Rolle
Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft: Standortfaktoren und Immobilienstrategien
städtischer Lebensqualität als kommunaler Standortfaktor im Wettbewerb um die kreative
Klasse geschuldet. Es gibt wohl kaum ein anderes Aufgabenfeld, das wie städtische Lebens-
qualität als DAS Querschnittsthema kommunaler Politik geeignet wäre, für einen Willen zum
„Aufbruch nach vorn“ zu sorgen.
Richard Floridas Dreiklang aus Talent, Technologie und Toleranz hat das „älteste Thema“ der
Regionalökonomie – die Frage nach der räumlichen Ausprägung und unterschiedlichen Be-
deutung von Standortfaktoren wiederbelebt und mit neuen Aspekten gefüllt. Und dies zu ei-
nem Zeitpunkt, als eine gewisse Verunsicherung die regionalökonomische Wissenschaft er-
griffen hatte. Mitte der 1990er Jahre standen die Global City Debatte („The global City“, Sas-
sen 1991) auf der einen und die These vom Ende der Bedeutung räumlicher Unterschiede
und geographischer Distanz („Death of Distance“, Cairncross 1997) und der Auflösung der
Städte im virtuellen Raum der Cyber-Cities („Telepolis“, Rötzer 1995) auf der anderen Seite.
Unter dem Eindruck der elektrotechnischen und telekommunikativen Revolutionen wurde den
Städten außerhalb der Zentren der globalen ökonomischen Vernetzung ein harter, nur schwer
zu bestehender Kampf gegen die völlige Auflösung der räumlichen Ballung von wirtschaftli-
chen und sozialen Aktivitäten prognostiziert. Gleichzeitig knüpften zahlreiche Kommunen
Hoffnungen an die Stärkung ihrer weichen Standortfaktoren (Weiche Standortfaktoren, Gra-
bow 1995), denen im Kontext der Entwicklung der New Economy zunehmende Bedeutung
beigemessen wurde. Waren diese Hoffnungen mit dem Börsencrash der New Economy des
Jahres 2000 zu begraben? Richard Florida gelang mit seinem 2002 geprägten Begriff von der
„Creative Class“, die Debatte um die New Economy abzulösen, ohne ihr einfach nur ein neu-
es Namensschild anzuhängen. Durch seine Konzentration auf Arbeitnehmer in kreativen Tä-
tigkeiten werden zwar alle Branchen der New Economy angesprochen, aber eben bei weitem
nicht nur diese. Und hinter der These von Talent, Technologie und Toleranz steht ein Bündel
von Standortfaktoren, unter denen sowohl traditionell harte Faktoren sind als auch weiche,
die Florida allerdings zu quantifizieren versucht (was sie gewissermaßen „härter“ macht). Ins-
besondere in der wissenschaftlichen Community dürfte es gerade dieser mehrfache Brücken-
schlag zwischen unterschiedlichen Lagern sein, der den Erfolg Floridas Arbeit begründet.
Für die Kommunen ist es dagegen die Betonung der städtischen Zukunftschancen im Kontext
der Entwicklung von Kreativwirtschaft und kreativer Klasse, die das starke Interesse an Flori-
das Thesen begründet. Zwar konnte der noch Mitte der 1990er Jahre herbeigeschriebene
Wettlauf um das Fortbestehen der Städte, so er denn in dieser Form überhaupt stattgefunden
hat, ganz offensichtlich erst einmal gewonnen werden. Untereinander jedoch stehen die
Stadtregionen in einem im Vergleich zu vorangegangenen Jahrzehnten deutlich intensivierten
Wettbewerb. Die Frage nach den zentralen Faktoren, die über Standortqualität entscheiden,
stellt sich für einzelne Wirtschaftsbranchen unterschiedlich. Im Zuge des sozioökonomischen
Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft: Standortfaktoren und Immobilienstrategien
Strukturwandels ist für viele Städte jedoch die Wissensökonomie zum entscheidenden Motor
wirtschaftlicher Entwicklung geworden. Welche Faktoren den Standortwettbewerb unter die-
sen Vorzeichen wesentlich bestimmen, interessiert nicht nur die regionalökonomische Wis-
senschaft, sondern auch die städtische Wirtschaftsförderung und die Lage produzierende
Immobilienwirtschaft.
Prominente Wissenschaftler wie Robert Lucas (1998), Edward Glaeser (2000) und Richard
Florida (2002) gehen davon aus, dass die Attraktivität von Stadtregionen für qualifizierte Ar-
beitskräfte zum entscheidenden Faktor ihrer Wettbewerbsfähigkeit wird. Richard Florida geht
sogar so weit zu behaupten, dass sich das klassische Muster der Standortwahl – Arbeitskräf-
te folgen den Arbeitsstätten – umzukehren beginnt: Firmen folgen immer häufiger den viel-
umworbenen, hochqualifizierten Arbeitskräften bzw. bevorzugen Standorte, die sich durch ih-
re Attraktivität als Wohn- und Arbeitsumfeld auszeichnen.1 Für die städtische Wirtschafts- und
Stadtentwicklungspolitik verändert das in wichtigen Punkten die Perspektive. Richard Florida
(2002) bezeichnet dies als den Wandel von herkömmlichen ‚low-cost Strategien’ zu ‚high qua-
lity Strategien’. Diese setzten gezielt auf die Förderung der Attraktivität der Städte für Kreative
und Hochqualifizierte.
Dieser Perspektivwechsel ist auch anhand der aktuellen Planungsdebatte und einer verän-
derten Aufmerksamkeit der Städte für die Thematik nachzuvollziehen. Immer mehr Städte
und Regionen untersuchen nicht nur ihre kreativen Branchen (die vielen Kulturwirtschaftsbe-
richte – u.a. auch in Berlin – für einen Teil der Kreativwirtschaft sind ein Zeichen dafür), son-
dern entwickeln Förderungsstrategien.
Ein entscheidendes Problem ist allerdings, dass trotz aller Aufmerksamkeit die empirische
Grundlage der Debatte häufig eher dünn ist. Die Begriffe sind nicht eindeutig, so dass die Ab-
grenzungen wechseln und darüber hinaus ist die amtliche Statistik nicht in einer Weise ver-
fügbar, die empirische Untersuchungen leicht machen würde. Daher spielt viel „gefühlte“ Em-
pirie und anekdotische Evidenz eine Rolle. Bezeichnenderweise ist der Mangel an verlässli-
cher Empirie dort besonders hoch, wo es um die konkreten Zusammenhänge von räumlichen
Strukturen und Anziehungskraft auf die Kreative Klasse geht. Die zahlreichen Studien, die
(mindestens Teile von) Floridas Thesen mit eigenen empirischen Methoden sowohl für die
USA, als auch für andere Länder (für Deutschland siehe z.B. Fritsch und Stützer 2006) zu
überprüfen suchten, haben sich weitestgehend auf den Zusammenhang zwischen wirtschaft-
lichem Erfolg von Stadtregionen und ihren Anteilen an der Kreativen Klasse konzentriert. 1 Ein kürzlich in einem Schwerpunktheft zur Stadtentwicklung des Wirtschaftsmagazins brandeins erschienener Beitrag titelte:
„Die Standortentscheidung. Arbeiten kann man heute überall. Deshalb stellt sich für viele die Frage: Wo will ich leben?“ (brandeins Heft 10, 2009, S. 74). So treffend wie hier die neue Bedeutung der Lebensqualität für den wirtschaftlichen Erfolg von Städten und Regionen bezeichnet ist, stellt sich dennoch die Frage, inwieweit ein solch hoher Freiheitsgrad in der Stand-ortwahl wirklich für die Breite der kreativ Arbeitenden vorhanden ist.
Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft: Standortfaktoren und Immobilienstrategien
So sinnvoll dies zur Untermauerung (oder auch Widerlegung) eines neuen Paradigmas der
Standortentwicklung zweifelsohne ist, für viele Städte und Regionen stellt sich mangels Alter-
nativen gar keine andere Wahl, als sich mit ihrer Attraktivität für die Kreative Klasse und für
Unternehmen der Kreativwirtschaft zu beschäftigen. Das hat nicht nur damit zu tun, dass vie-
lerorts ehemals strukturprägende Industrien oder die Rohstoffwirtschaft weggebrochen sind
und dabei Räume zurückgelassen haben, die mit den Problemen häufig überfordert sind.
Vielmehr ist Lebensqualität ein Themenfeld, in dem Städte, Gemeinden und Regionen vieles
selbst in der Hand haben, in dem sie agieren und Dinge verändern können. Das heißt bei
weitem nicht, dass die Voraussetzungen überall gleich wären: ein florierendes Kulturleben
zwischen Opernhaus und subkultereller Clubszene lässt sich in Allgäuer Dörfern eben ge-
nauso wenig aus dem Hut zaubern, wie Berlin jemals ein atemberaubendes Gebirgspanora-
ma mit hunderten Kilometern anspruchsvoller Skipisten bieten wird. Und: Lebensqualität ist
nicht alles. Unter anderem auch deshalb, weil nicht überall und nicht alle Firmen (allein) den
Arbeitskräften hinterherziehen. Florida spricht diesen Aspekt gleich im ersten seiner ‚drei T’s’
an: Technologie. Verallgemeinernd könnte man diesen Indikator auch als Kapital interpretie-
ren und so den Blick darauf lenken, dass ein dynamisches wirtschaftliches Umfeld durchaus
auch eine Rolle spielt, nicht zuletzt, da sich Firmen der Kreativwirtschaft durch die Schaffung
von Szenen und gemeinsamen Arbeitskräftepools gegenseitig anziehen. Auch dies bedeutet,
dass die Ausgangsbedingungen für die Städte keineswegs gleich sind. Dennoch gibt es für
viele Orte (unterschiedliche) Handlungsmöglichkeiten. Je nach den vorhandenen Bedingun-
gen ergibt sich ein Mosaik verschiedener Handlungsfelder, in denen Schwächen bei einzel-
nen Indikatoren direkt angegangen und bei anderen durch die Entwicklung vorhandener Stär-
ken kompensiert werden können.
Um diese Handlungsfelder klarer in den Blick nehmen zu können, ist jedoch eine Analyse der
konkreten räumlichen Konstellationen der Standortausprägung und Standortwahl der Krea-
tivwirtschaft unabdingbar. Dies bedeutet, über die Ebene des Vergleichs von Stadtregionen
hinauszugehen und sich mit städtischen Teilräumen, Quartieren und insbesondere auch mit
Immobilien auseinanderzusetzen. Da solche Analysen und verbreitet auch das dafür nötige
Datenmaterial derzeit echte Mangelware sind, haben sich teilweise stark überzeichnete Kli-
schees der Arbeitskultur und der Standortpräferenzen von Kreativen etabliert.
Die vorliegende Studie wird keinesfalls ausreichen, um einige dieser Zerrbilder aus der Welt
zu schaffen, das war auch nicht der gestellte Anspruch. Vielmehr soll es hier darum gehen,
innerhalb des übergreifenden Forschungszusammenhangs um die Bedeutung der Creative
Class als Zukunftsoption für die Städte, den Schwerpunkt auf die Analyse von Standortstruk-
turen und Standortpräferenzen auf den Maßstabsebenen Quartier und Immobilie zu legen.
Neben dieser Betonung der räumlichen Zusammenhänge gehören zu den Besonderheiten
Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft: Standortfaktoren und Immobilienstrategien
der vorliegenden Studie die Untersuchung auch der Angebotsseite des Immobilienmarktes
unter strategischen Gesichtspunkten der Ausrichtung auf Mieter der Kreativwirtschaft sowie
ein Blick auf den Zusammenhang räumlicher Nähe und Vernetzung bzw. Kooperation.
Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft: Standortfaktoren und Immobilienstrategien
1.2. Hintergrund der Studie
Die vorliegende Studie baut auf den Ergebnissen des im Herbst 2008 abgeschlossenen For-
schungsprojekts „Creative Class in Berlin – Branchenstrukturen und Standortverhalten der
Berliner Kreativwirtschaft“ auf.
Das genannte Projekt im Auftrag der Orco Germany und der Berlin Partner GmbH war eine
quantitative Befragung von knapp 9.000 Unternehmen aus den Branchen
1. Architektur, Planung, kulturelles Erbe,
2. Buch- und Pressemarkt (Buch- und Zeitschriftenverlage, Nachrichtenagenturen, Druck),
3. Darstellende Kunst (Tanzschulen),
4. Design (Produkt-, Mode-, Grafik- und Kommunikationsdesign, Innendekoration)
10. Software, IT (Softwareentwickler und -verleger),
11. Wirtschaftsberatung und
12. Werbung und PR.
Obwohl die Ergebnisse auch vor dem Hintergrund eines quantitativ (Beteiligung von 22,4%)
wie qualitativ (Anteile der Branchen an der Grundgesamtheit) außerordentlich zufriedenstel-
lenden Rücklaufs keinesfalls als unzureichend bezeichnet werden können, gab es Anlass, sie
durch eine vertiefende Untersuchung zu ergänzen.
Zentral sind hier insbesondere drei Aspekte: erstens war die Ausgangsstudie als quantitative
Untersuchung zwangsläufig mit den für diese Form der Befragung typischen Restriktionen
behaftet. Der möglichst geringe Aufwand für die Bearbeitung geht zum Teil auf Kosten der
Detailschärfe und die Beantwortungssituation erlaubt keine Nachfragen oder Erläuterungen.
Dies hatte bereits nahegelegt, eine qualitative Befragung zur Anreicherung und Vertiefung
bestimmter Gesichtspunkte durchzuführen.
Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft: Standortfaktoren und Immobilienstrategien
Zweitens hat die Analyse der räumlichen Verteilung der Firmen eine Reihe von Schwerpunkt-
orten offengelegt, an denen sich kreative Firmen konzentrieren. Es lag daher nahe, sich die-
sen Adressen näher zu widmen.
Drittens war mit dieser Orientierung auf die Clusterstandorte der Kreativwirtschaft Berlins die
immobilienökonomische Dimension in den Mittelpunkt gerückt und so sollte dieser Markt nicht
mehr nur von der Seite der Nachfrager her untersucht werden, sondern auch von der Ange-
botsseite her.
Weitere Themenbereiche der Ausgangsstudie, für die eine Vertiefung sinnvoll erschien, wa-
ren unter anderem
die Frage der Bedeutung und der Formen der Netzwerkbildung und ihrer Unterstützung
durch räumliche Nähe,
die Rolle von großen oder zumindest wichtigen „Ankerunternehmen“ und „Meinungs-
machern“ und
die Frage nach den Interventionsmöglichkeiten der öffentlichen Hand.
Ein Beispiel für eine Vernetzung verschiedener Themenbereiche ist der Versuch, einen Ein-
druck darüber zu gewinnen, ob und inwieweit sich die unternehmerische Standortwahl von
der Perspektive auf Agglomerationseffekte zu einer Strategie der Orientierung an Wohnort-
präferenzen der Beschäftigten ändert.
Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft: Standortfaktoren und Immobilienstrategien
2. Herangehensweise, Methodik, Teilnehmerfeld
2.1. Methoden
Ziel der vorliegenden Vertiefungsstudie ist es, die quantitativen Ergebnisse der 2008 abge-
schlossenen Untersuchung „Creative Class in Berlin“ qualitativ zu fundieren, um die unter-
schiedliche Attraktivität verschiedener Immobilien und Quartiere für kreative Unternehmen
näher zu untersuchen. Zentrales Analyseverfahren und Kern der Vertiefungsstudie bilden da-
her 29 qualitative, halbstandardisierte Experteninterviews: 19 Interviews mit Geschäftsführern
oder leitenden Angestellten von Kreativunternehmen und drei weitere mit Ankerunternehmen
der Berliner Kreativwirtschaft sowie sieben Interviews mit den Vermietern der entsprechenden
Gewerbeimmobilien. Zu Experten zählen in diesem Forschungsvorhaben Akteure, die auf-
grund ihrer beruflichen Position selber Standortentscheidungen des Unternehmens getroffen
haben oder Einblicke in die Unternehmensentscheidungen besitzen. Für das Forschungsinte-
resse ist der verbale Zugang durch ein Gespräch von besonderer Relevanz, da sich subjekti-
ve Bedeutungen kaum oder nur schwer aus Beobachtungen oder quantitativen Befragungen
ableiten lassen und die Subjekte selbst als Experten ihrer eigenen Bedeutungsinhalte gelten.
Zudem ermöglicht diese Methode den Befragten, offen ohne Antwortvorgaben zu reagieren,
wodurch neue Erkenntnisse gewonnen und unerwartete Bezugssysteme aufgedeckt werden
können (vgl. Mayering 2002, Lamnek 1993).
Ein wesentliches Merkmal der Vorläuferstudie „Creative Class in Berlin“ war es, die räumliche
Analyse nicht anhand der „gefühlten Topographie“ der Kreativen Klasse vorzunehmen, die
sich durch Medienberichte, teilweise empirisch wenig unterlegte Zuschreibungen (z.B. Sze-
nequartier = Schwerpunkt kreativer Unternehmen) sowie eigene Erfahrung und Anschauung
als mentales Bild sehr schnell etabliert. Es wurden nicht ex ante „kreative Räume“ gesetzt
und diese dann untersucht. Vielmehr wurden zunächst alle verifizierbar existierenden Unter-
nehmen der ausgewählten Branchen identifiziert und anschließend deren Adressdaten haus-
nummernscharf gesammelt. So konnte die räumliche Verteilung der kreativen Firmen Berlins
ex post aus den Untersuchungsergebnissen heraus abgebildet werden.
Die Ergebnisse dieser räumlichen Analyse haben im Wesentlichen die Herangehensweise
der vorliegenden Studie bestimmt: der Fokus sollte auf die Schwerpunktadressen der Berliner
Kreativwirtschaft gelegt werden. Ferner sollte der im Rahmen standortökonomischer Untersu-
chungen ohnehin eher selten im Detail analysierte Immobilienmarkt nicht nur aus der Per-
Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft: Standortfaktoren und Immobilienstrategien
spektive der Firmen (Nachfrager), sondern auch aus der Perspektive der Vermieter (Anbieter)
betrachtet werden.
Die schlussendlich erfolgte Auswahl von insgesamt sieben Standorten bedient sich aus dem
größeren Pool der im Rahmen der Ausgangsstudie identifizierten Clusterstandorte mit jeweils
mehr als zehn Firmen. Hierbei wurde jedoch eine wichtige Einschränkung vorgenommen: die
von Richard Florida zum Kreis der „Creative Professionals“ und nicht zum „Creative Core“ ge-
rechneten Branchen Unternehmensberatung, Rechtsberatung und Forschung und Entwick-
lung wurden aus der Betrachtung ausgenommen. Denn erstens ist bei diesen Branchen eine
Tendenz zur homogenen Ballung zu beobachten, d.h. sie bilden verstärkt Clusterstandorte
mit Firmen derselben Branche aus, was die Untersuchung dieser Standorte sehr einseitig
gemacht hätte. Zweitens können die Ergebnisse der Vorläuferstudie in Teilen so interpretiert
werden, dass sich die Branchen der „Creative Professionals“ zumindest in Fragen der Stand-
ortwahl doch stärker von den Branchen des „Creative Core“ unterscheiden und teilweise ei-
gene, hoch spezifische Standortmuster und Standortanforderungen haben.
Dass die Tätigkeiten auch in diesen Branchen von kreativer Anwendung von Wissen und
Know-How geprägt sind, bleibt hiervon völlig unbenommen und soll auch nicht in Zweifel ge-
stellt werden. Aber für eine Untersuchung von Schwerpunktorten der Kreativwirtschaft mit ei-
ner begrenzten Zahl zu analysierender Standorte war die Beschränkung auf den „Creative
Core“ notwendig. Wie viel dafür spricht, auch in Zukunft beide Bereiche stärker getrennt zu
untersuchen, ist eine Frage, die durchaus eine ganz eigene Untersuchung verdient hätte. Ei-
ne stärkere Trennung diente im Übrigen auch der Vereinheitlichung der Begrifflichkeiten, die,
wie Besecke (2009: 7ff.) zeigt, ganz erheblich durcheinander gehen.
Die erste empirische Phase des Forschungsprojektes diente zur Sondierung des Feldes und
zur Auswahl der Clusterstandorte. Im Juli 2009 wurde daher der Datenpool der ersten Studie
durch Internetrecherche, Vermieterauskünfte sowie eigene Erhebungen vor Ort im Rahmen
der vorliegenden Vertiefungsstudie modifiziert. Der Datenabgleich zeigte eine relativ hohe,
wenn auch nicht unverhältnismäßige Fluktuation von Unternehmen, so dass einige Schwer-
punktorte zwar einen Wandel in ihrer Branchenstruktur erlebt haben, nicht jedoch einen Be-
deutungsverlust als Standorte der Kreativwirtschaft insgesamt erlitten. Ausgeschlossen wur-
den dagegen Spezialstandorte wie z.B. Adlershof oder das Borsigviertel in Tegel, an denen
Flächen in öffentlichem Eigentum sind und unter anderem durch massive öffentliche Förde-
rung und kommunale Belegungspolitik spezielle Rahmenbedingungen geschaffen wurden.
Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft: Standortfaktoren und Immobilienstrategien
Folgende Standorte werden im Rahmen der vorliegenden Studie untersucht:
die Hackeschen Höfe in Berlin Mitte,
der Bülowbogen in Berlin Schöneberg,
der Spreespeicher in Berlin Friedrichshain,
das Wasserschloss in Berlin Kreuzberg,
der Orco-GSG Hof Schlesische Str. 27 in Berlin Kreuzberg,
der Orco-GSG Hof Waldemarstr. 34A bis 37A in Berlin Kreuzberg sowie
der Orco-GSG Hof Helmholtzstr. 2-9 in Berlin-Charlottenburg.
Diese Auswahl war von verschiedenen, z.T. auch ganz pragmatischen Faktoren bestimmt.
Dazu zählte unter anderem ganz schlicht die Verfügbarkeit von Informationen über die Ver-
mieter und deren Teilnahmebereitschaft. Grundsätzlich sollte auf Seiten der Vermieter ein
möglichst ausgewogenes Verhältnis zwischen Standorten des Großanbieters Orco-GSG und
Standorten unabhängiger Einzeleigentümer bestehen. Ferner waren sowohl Clusterstandorte
zu untersuchen, die in Quartieren mit einer hohen Zahl kreativer Firmen liegen, als auch sol-
che, die eher isoliert und etwas fernab der Kreativquartiere liegen (Bülowbogen und Orco-
GSG Hof Helmholtzstr.). Die Hackeschen Höfe wurden ausgewählt, da sie als vielleicht emb-
lematischste Immobilie der Spandauer Vorstadt so etwas wie das Aushängeschild eines
Quartiers mit einer ausgesprochen hohen Dichte an kreativen Firmen sind. Für die Wahl des
Spreespeichers sprach die Tatsache, dass hier eines der in der Ausgangsstudie identifizier-
ten Ankerunternehmen, Universal, seine Deutschlandzentrale hat und sich mit MTV und VIVA
weitere Ankerunternehmen in direkter Nachbarschaft befanden. Um auch einen Blick auf die
Frage der Wahrnehmung von Nähe und von Stadträumen als zusammenhängende Quartiere
werfen zu können, wurde zusätzlich das Kreativquartier entlang der Schlesischen Straße in
die Untersuchung aufgenommen (Wasserschloss und Orco-GSG Hof Schlesische Str.). Der
Gewerbehof Waldemarstraße als Vertreter eines der ältesten Kreativquartiere Berlins rund
um die Kreuzberger Oranienstraße rundet das Bild ab.
Bei der Auswahl der Gesprächspartner wurde versucht, die Branchenstruktur des jeweiligen
Standorts in etwa abzubilden, sofern dies angesichts der teils sehr unterschiedlichen Ant-
wortbereitschaft möglich war. Um es vorwegzunehmen: dieser Anspruch konnte nur selten
wirklich eingelöst werden. Tatsächlich war es sogar unmöglich, an allen Standorten die iden-
tische Anzahl an Interviews durchzuführen, wenn trotz aller Beharrlichkeit nicht genügend
Teilnehmer gewonnen werden konnten.
Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft: Standortfaktoren und Immobilienstrategien
So wurden letztlich
in den Hackeschen Höfen vier,
im Bülowbogen drei,
in den Spreespeichern zwei,
im Wasserschloss drei,
im GSG-Hof Schlesische Str. zwei,
im GSG-Hof Waldemarstr. zwei und
im GSG-Hof Helmholtzstr. drei
Mieterinterviews durchgeführt. Darüber hinaus zeigten sich nur drei identifizierte Ankerunter-
nehmen teilnahmebereit.
Auch da die Untersuchung von vornherein nicht auf Repräsentativität im Sinne der Möglich-
keit zu Rückschlüssen auf die Gesamtheit der Berliner Kreativwirtschaft ausgelegt war und
sein konnte, ist der Anspruch, bei den Mieterinterviews die Branchenstrukturen der jeweiligen
Standorte in etwa wiederzuspiegeln zwangsläufig schnell fallen gelassen worden. Dies gilt es
unbedingt bei der Betrachtung der Ergebnisse zu bedenken. Die Untersuchung bietet viele
der typischen Vorteile qualitativer Interviews, sie stellt aber keine uneingeschränkt verallge-
meinerungsfähigen Resultate zur Verfügung. Die Ergebnisse können etwas über die betrach-
teten Standorte aussagen und im Vergleich der Standorte können Thesen über einzelne Zu-
sammenhänge aufgestellt werden. Die Aussagen sind für sich genommen valide, da sie Hal-
tungen, Meinungen und Einschätzungen der befragten Vermieter und kreativen Mieter wie-
dergeben. In ihrer Interpretation ist nur darauf zu achten, sich nicht zu weit von den tatsäch-
lich abgefragten Inhalten zu entfernen.
Alle Interviews wurden in direkten persönlichen Gesprächen durchgeführt. Es ist uns bis auf
drei Fälle immer gelungen, bei den teilnehmenden Firmen die Geschäftsführer zu intervie-
wen. Da diese insbesondere in kleinen und mittleren Unternehmen für Standortentscheidun-
gen verantwortlich zeichnen, war dies von entscheidender Bedeutung. Bei den Vermietern
wurden bis auf den Großanbieter Orco-GSG ebenfalls immer die Geschäftsführer befragt. Im
Falle der Orco-GSG wurden die für die Vermietung der jeweiligen Immobilien Verantwortli-
chen interviewt.
Der für die Studie entwickelte Gesprächsleitfaden wurde so aufgebaut, dass neben dem Feld
für die Protokollierung der Antworten bereits ein Operationalisierungsvorschlag enthalten war.
Dies hat in keinem Fall die schriftliche Aufnahme der Antworten ersetzt oder die Berücksichti-
Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft: Standortfaktoren und Immobilienstrategien
gung abweichender Antworten verhindert. Doch konnte die Auswertung somit erleichtert wer-
den.
Die Gliederung des Gesprächsleitfadens für die Mieter erfolgte in die Abschnitte
Hintergrunddaten,
Entdeckung des Standorts und Standortwahl,
Quartier und lokale Einbettung,
Standort/ Immobilie und harte und weiche Standortfaktoren,
Mietkonditionen, Angebotsbestandteile und Spezialisierung des Angebots sowie
Veränderungsbedarf, Rolle von Vermietern und kommunaler Politik.
Diese Gliederung der Interviewleitfäden gibt gleichzeitig auch die Gliederung der Ergebnis-
darstellung im Großteil des vorliegenden Berichts vor. Der Aufbau der Interviews erfolgte wei-
testgehend dem idealtypischen Gesprächsverlauf folgend. In der Praxis jedoch wurde die
Reihenfolge der Fragen flexibel an die Gesprächssituation angepasst und vor dem Hinter-
grund des Forschungsthemas wurden spontan Ad-hoc-Fragen formuliert.
Die Vermieter wurden ihrerseits gebeten, ihre Sicht auf Kreative als Zielgruppe ihres Ange-
bots bzw. ihre Sicht auf den Spezialisierungsgrad ihres Angebots für Kreative darzustellen
und sich ebenfalls zu den Standortvor- und -nachteilen von Quartier und Immobilie sowie zum
Veränderungsbedarf zu äußern. So sollte durch eine hohe Zahl von an beide Gruppen mehr
oder weniger identisch gestellten Fragen auch geprüft werden, an welchen Punkten mögli-
cherweise fundamentale Unterschiede in der jeweiligen Einschätzung vorliegen.
Für die Ankerunternehmen wurde ein eigener Leitfaden erarbeitet, indem der inhaltliche Kon-
text etwas stärker aufgeweitet wurde. Neben Fragen zum Hintergrund der Entscheidung für
den aktuellen Standort ging es auch darum, die Rolle Berlins als Makrostandort in den Vor-
dergrund zu stellen, da im Falle der Ankerunternehmen einerseits eine stärker großmaßstäb-
liche Standortsuche, andererseits ein höheres strategisches Gewicht dieser Frage vermutet
werden konnte. Annähernd deckungsgleich, wenn auch verkürzt, erfolgten die Abfrage der
Einschätzungen zu den Standortqualitäten von Quartier und Immobilie sowie die Fragen nach
der räumlichen und inhaltlichen Struktur der Netzwerkbeziehungen. Während „normale“ Mie-
ter und Vermieter gebeten wurden, Anzahl und Namen ihnen bekannter Ankerunternehmen in
der Standortumgebung zu nennen, wurden die Ankerunternehmen selbst danach gefragt, ob
und wie sie ihre Rolle als Ankerunternehmen wahrnehmen.
Die Gespräche wurden in aller Regel von zwei Interviewern geführt, um gegenseitige Behin-
derungen zwischen Gesprächsführung und -protokollierung auszuschließen. Nur in wenigen
Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft: Standortfaktoren und Immobilienstrategien
Fällen konnte dies nicht gewährleistet werden. Die Dauer der Interviews war individuell sehr
verschieden und stark von Gesprächsbereitschaft, Sprachstil und zur Verfügung stehender
Zeit der Teilnehmer bestimmt. Das kürzeste Interview dauerte 20 Minuten, das längste etwa
zwei Stunden. Seitens der Interviewer wurde die Gesprächsdauer nur dann signifikant beein-
flusst, wenn die Teilnehmer auf zeitliche Beschränkungen hingewiesen hatten (was freilich
nicht selten der Fall war). Häufig konnten sich die Gespräche in einer ungezwungenen Atmo-
sphäre frei entfalten und die der Untersuchung gewidmete Zeit fiel oft überraschend hoch
aus.
Die protokollierten Interviews wurden anschließend anhand von Inhaltsanalysen ausgewertet.
Dabei wurde die Technik der inhaltsanalytischen Zusammenfassung angewendet. Diese
Auswertungstechnik hat das Ziel, das Material so zu reduzieren, dass die wesentlichen Inhal-
te erhalten bleiben, durch die Abstraktion ein überschaubares Ergebnis liefern, das immer
noch ein Abbild des Grundmaterials ist (Mayering 2002). Die dafür formulierten Kategorien
wurden mit Bezug auf die Fragestellung und geleitet von den Ergebnissen der vorherigen
Studie interpretiert. Diese Methode hat den Vorteil, dass sie offen für während der Textbear-
beitung ermittelte Kategorien ist (Lamnek 1993).
Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft: Standortfaktoren und Immobilienstrategien
2.2. Annahmen
Im folgenden Abschnitt sollen zu den in der Befragung untersuchten Themen einige Grund-
annahmen und Hypothesen formuliert werden. Die Annahmen werden bewusst nur teilweise
aus den Ergebnissen der Vorläuferstudie abgeleitet. In Teilen werden sie durch Annahmen
ergänzt, welche die öffentliche Debatte und auch auszugsweise die Literatur widerspiegeln.
Die Annahmen beruhen somit nicht ausschließlich auf empirischen Ergebnissen, gerade weil
dies im Zusammenhang der urbanen Kreativwirtschaft eine so große Rolle spielt sollen auch
anekdotische Evidenz und Bauchgefühl (auch das eigene!) berücksichtigt werden.
2.2.1. Allgemein: Perspektivunterschiede zwischen Mietern und Vermietern
Mietersicht – Vermietersicht: es werden sich deutliche Unterschiede in der Bewertung
der Eignung und Qualitäten der Standorte für Kreative und, wichtiger, der für die An-
siedlung von Kreativen entscheidenden Faktoren ergeben. Es wird davon ausgegan-
gen, dass auf Seiten der Immobilienanbieter stärker noch als im öffentlichen Diskurs
über Städte und Kreativwirtschaft Klischees und Bauchgefühl statt Empirie über die
Standortpräferenzen kreativer Unternehmen dominieren. Damit soll der Immobilien-
wirtschaft nicht schlichtweg mangelnde Professionalität unterstellt werden. Denn ers-
tens ist der Mangel an Empirie auf der Mikroebene nur in Teilen auf mangelndes Inte-
resse der Immobilienwirtschaft zurückzuführen: die räumliche Wissenschaft hat hier
selbst wenig Initiative gezeigt. Zweitens kann Bauchgefühl, das sich auf langjährigen,
engen und direkten Kontakt mit der Zielgruppe gründet, in der Immobilienwirtschaft
sogar als essentiell angesehen werden und muss nicht trügerischer sein, als interpre-
tationsbedürftige Zahlen. Dennoch kann für die Untersuchung angenommen werden,
dass diese Art des „qualifizierten Bauchgefühls“ erstens bei Weitem nicht bei allen
Vermietern vorhanden ist und zweitens auch wenn es vorhanden ist, differenziertere
Kenntnisse (und sei es nur als Zusatzwissen) aus konkreten Befragungen nicht erset-
zen kann. Es wird deutliche Unterschiede zwischen den Vermietern nach dem konkre-
ten Interesse an der Kreativwirtschaft als Zielgruppe geben und entsprechend werden
sich die Kenntnisse über die Anforderungen dieser Branche unterscheiden.
Mieter und Vermieter sprechen nicht die gleiche Sprache: Bedient man die stark über-
zeichneten Stereotypen vom mindestens unkonventionellen Lebens- und Arbeitsstil
der Kreativen einerseits und dem eher etwas biederen Image des klassischen Immobi-
lienvermieters andererseits, so ist davon auszugehen, dass sich die Kommunikation
Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft: Standortfaktoren und Immobilienstrategien
zwischen beiden Seiten des Immobilienmarktes als schwierig beschreiben lässt. So-
weit wie gesagt das Klischee, und das soll hier zunächst die Hypothese bilden. Von In-
teresse ist nicht nur, inwiefern diese Bilder übertrieben sind, sondern auch welche
Konsequenzen wirklich aus diesen Milieuunterschieden erwachsen bzw. ob diese
nicht zugunsten einer klaren Rollenverteilung akzeptiert oder sogar erwünscht werden.
2.2.2. Mieter
A Entdeckung und Motive der Standortwahl
Entdeckung: Systematische Suche und Schneeballprinzip. Wie werden Kreative auf
Ihre Standorte aufmerksam? Verbreitet wird angenommen, für Kreative spielte nur
Mundpropaganda eine Rolle und Standorte würden über Netzwerke und Szenen ent-
deckt. Als ein Ergebnis der Vorläuferstudie konnte diese These nicht in ihrer vollen
Tragweite bestätigt werden, denn auch unter kreativen Unternehmen spielt die syste-
matische Standortsuche die dominante Rolle (Herkommer und Henckel 2008: 38). Al-
lerdings ist das „Schneeballprinzip“ die zweitwichtigste Form der Standortentdeckung
für Kreative, nimmt man Branchentreffpunkte, die Präsenz von Ankerunternehmen
und die Rolle der persönlichen und geschäftlichen Netzwerke und Kontakte zusam-
men. In dieser Reihenfolge wird auch die Verteilung der Antworten für die vorliegende
Untersuchung angenommen.
Standorte bedingen Unterschiede in der Bedeutung von Schneeballprinzip und syste-
matischer Suche: Die gewählten Untersuchungsstandorte sind hinsichtlich der Quar-
tiere, in denen sie liegen, sehr unterschiedlich. Faktoren, wie die Branchenbeliebtheit
und Prägung als „Kreativquartier“ werden starken Einfluss darauf nehmen, ob Stan-
dorte verstärkt über Mundpropaganda und Netzwerke gefunden werden oder über
systematische Suchmethoden.
Ankerunternehmen spielen eine Rolle für die Standortsuche (direkt/indirekt): Speziell
für Firmen in direkter Kooperationsbeziehung mit bedeutenden Ankerunternehmen der
Kreativwirtschaft ist eine große räumliche Nähe zu diesen Firmen von Bedeutung.
Auch indirekt kann die Nähe zu Ankerunternehmen als möglicher Ansiedlungsgrund
gelten, insbesondere da, wo etwa eine Reihe von Ankerunternehmen und ihre Koope-
rationspartner tatsächlich ein räumlich eingegrenztes kreatives Milieu, eine Szene
ausbilden. Ein Ergebnis der Vorgängeruntersuchung war, dass für etwa die Hälfte der
Firmen zumindest ein Potenzial für die Ausrichtung von Standortentscheidungen an
Meinungsmachern und Branchentreffpunkten vorhanden ist (Herkommer und Henckel
2008: 64). Auch hier kann ein entscheidender Einfluss der unterschiedlichen Lage im
Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft: Standortfaktoren und Immobilienstrategien
Stadtraum angenommen werden, denn wo keine Ankerunternehmen ansässig sind,
haben sie auch keine Bedeutung für die Standortwahl anderer Firmen.
Welche Faktoren geben letztlich wirklich den Ausschlag? Fernab der folgenden Diffe-
renzierungen im Detail und auch aller komplizierten Bewertungsarithmetiken sollen in
der Untersuchung zunächst Kernmotive der Standortwahl identifiziert werden. An die-
se Frage wird ohne genaue vorab getroffene Annahmen herangegangen. Im Verhält-
nis der quartiersbezogenen zu den immobilienbezogenen Quartieren wird jedoch da-
von ausgegangen, dass die Bedeutung der Wahl des Quartiers und auch der Lage im
Quartier die Bedeutung der immobilienbezogenen Faktoren übertrifft.
B Quartier: Lokale Einbettung
Die Präferenzsysteme für die Wahl des Wohn- und Arbeitsortes gleichen sich an,
weshalb ein Potenzial für gewerbenahe Wohnflächen entsteht: als ein wichtiges und
so nicht erwartetes Ergebnis der Ausgangsuntersuchung ergab sich, dass die Nähe
zum Wohnort der Geschäftsführung ein zentrales Motiv der Standortwahl ist (vgl. Her-
kommer und Henckel 2008). Die Fragestellung sollte erneut aufgegriffen und stärker
differenziert werden. Als Annahme für die vorliegende Studie wird davon ausgegan-
gen, dass sich eine Tendenz zu starker lokaler Einbettung auch hinsichtlich der Integ-
ration von Wohnen und Arbeiten auf Quartiersebene ergibt. Bei sehr hoher Deckungs-
gleichheit der Präferenzen für die Charakteristik von Wohn- und Arbeitsort ergäben
sich für Immobilienanbieter unter Umständen Potenziale für ein integriertes Angebot
von Wohn- und Arbeitsflächen bzw. die Ergänzung der Gewerbeflächen um Wohnun-
gen. Eine Verzerrung in der Bewertung der Nähe zum Wohnort wurde vermieden, da
anders als in der Vorläuferuntersuchung keine Firmen befragt wurden, deren Standor-
te mit der Wohnung der Geschäftsführung identisch sind.
Erreichbarkeit: im Citybereich kein entscheidender Faktor, da eine gute Nahverkehrs-
anbindung als selbstverständlich vorausgesetzt wird, Die Qualität der Nahverkehrser-
schließung wurde in der Ausgangsuntersuchung noch vor der PKW-Erreichbarkeit als
besonders wichtiger Faktor in Standortentscheidungen identifiziert (vgl. Herkommer
und Henckel 2008). In der vorliegenden Untersuchung weichen die Ausgangsbedin-
gungen ab: es werden nur Standorte in der Innenstadt untersucht, so dass eine gute
ÖPNV-Erschließung möglicherweise schlicht vorausgesetzt wird.
(Vorhandene) Netzwerke spielen eine entscheidende Rolle bei der Wahl des Quar-
tiers: Die eigene Position im geschäftlichen Netzwerk durch größere räumliche Nähe
und die Erhöhung von Kopräsenz zu stärken, wird als eine mögliche standortentschei-
Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft: Standortfaktoren und Immobilienstrategien
dende Strategie von Firmen angesehen. Ankerunternehmen können hier eine Magnet-
funktion übernehmen, indem sie eine Reihe von Kooperationspartnern in ihr lokales
Umfeld einbetten. Dennoch: eines der am meisten überraschenden Ergebnisse der
Ausgangsstudie war, dass Nähe zu Kooperationspartnern sowie zu Auftraggebern im
Vergleich zu oben genannten Faktoren wie ÖPNV-Erreichbarkeit, PKW-Erreichbarkeit
und Nähe zum Wohnort für unerwartet wenig wichtig befunden wurde (Herkommer
und Henckel 2008: 57). Dieser Fragestellung sollte daher erneut nachgegangen wer-
den. Die Bewertung dieser auch inhaltlich sehr unterschiedlichen Fragen erfolgte in
der vorliegenden Studie getrennt voneinander und diente auch dem Versuch, die Fak-
toren zueinander in Beziehung zu setzen.
Für Firmen ohne bestehende Netzwerke am Standort beeinflusst die Kapazität von
Quartieren, den schnellen Aufbau von Netzwerken zu unterstützen, die Standortwahl:
Wo Firmen nicht auf bestehende Netzwerke zurückgreifen können, wählen Sie Quar-
tiere, in denen sie schnell neue eigene Netzwerke aufbauen oder an bestehende
Netzwerke andocken können.
Informelle Formen der Kooperation überwiegen gegenüber formalisierten: mit dieser
These wird eines der klassischen Klischees über die Arbeitskultur der Kreativen über-
nommen. Es wird nicht erwartet, dass dieses Klischee unzutreffend ist, vielmehr sollen
hierzu nähere Hintergründe im Ansatz untersucht werden.
Das Vertrauen, das für informelle Kooperationsformen nötig ist, stellt sich lokal her: im
Anschluss an die Annahme, dass informelle Kooperationsformen dominieren kann da-
von ausgegangen werden, dass sich das dazu notwendige Vertrauen auch zu einem
großen Teil lokal herstellt. Lokale Einbettung und räumliche Nähe können als wichtige
Bedingungen dafür gelten, dass die spezifischen Formen der Zusammenarbeit bzw.
auch der Auftragsverhältnisse der Kreativen in der Regel als funktionierend begriffen
werden.
Die Standortwahl ist auch ein Teil der Imagestrategie der Firmen, insbesondere im
Falle der Schwerpunktorte der Branche: besonders in Ökonomien, in denen geschäft-
liche und soziale Netzwerke eine hervorgehobene Rolle spielen, werden Quartiere ge-
rade über die Präsenz von Branchenführern und Meinungsmachern zu bedeutenden
Imageträgern für alle dort ansässigen Firmen. Hier ist das Verhältnis von Immobilie zu
Quartier von besonderem Interesse, da sich Image- und Distinktionsgewinne sowie
Identifizierungsangebote auf ganz unterschiedlichen räumlichen Ebenen realisieren
lassen. Es ist davon auszugehen, dass dieser Imagefaktor auch nicht zwingend
Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft: Standortfaktoren und Immobilienstrategien
gleichgerichtet zwischen Immobilie und Quartier funktionieren muss und vielmehr das
Image der Immobilie das des Quartiers überdecken kann oder umgekehrt.
C Immobilie
Harte Standortfaktoren
Mietpreise sind nur vermeintlich alles entscheidend, sie spielen stattdessen eher die
Rolle des Züngleins an der Waage. „Hauptsache zentral und billig“, so muss die Hypo-
these lauten, folgt man der öffentlichen Wahrnehmung über die Standortwahl von
Kreativen. Bereits in der Ausgangsstudie konnte jedoch gezeigt werden, dass sich
diese These empirisch in dieser Schärfe keineswegs stützen lässt (vgl. Herkommer
und Henckel 2008). Gleichwohl werden Erhebungen zur Bedeutung von Mietpreisen in
Standortentscheidungen wohl nie zum Ergebnis haben, dass diese unwichtig sind. Un-
ter der Annahme, dass die Preise zwar nicht unwichtig sind, aber auch kein primäres
Entscheidungs- und Suchkriterium bilden, soll diese Frage genauer untersucht wer-
den.
Flächengröße ist nicht ausschlaggebend: es wird angenommen, dass für kreative Un-
ternehmen bei der Größe der bezogenen Fläche eher Kompromisse gemacht werden
als bei anderen Faktoren, z.B. bei den Mietkosten. Flächenvolumen sind eher eine
vermittelnde Größe, sie werden angepasst, um bei anderen Faktoren die eigenen
Wünsche besser realisieren zu können (z.B. kleine Fläche mit hohem Quadratmeter-
preis, um bei eingeschränktem absoluten Mietkostenbudget eine bestimmte Lage rea-
lisieren zu können). Auch wenn dies so nicht im Detail abgefragt wurde, enthalten die
Ergebnisse der Vorgängeruntersuchung deutliche Hinweise in diese Richtung (vgl.
Herkommer und Henckel 2008).
Lage/Immobilie als tatsächlich wichtigste Zielgröße: als eigentlich ausschlaggebend
wird die Möglichkeit angenommen, eine bestimmte Lage zur realisieren. Herauszufin-
den, auf welcher räumlichen Maßstabsebene sich diese Frage entscheidet, wird eben-
falls ein Ziel der vorliegenden Studie sein.
Lage innerhalb der Immobilie spielt nur bei funktionalen Gründen eine Rolle: Solange
nicht Faktoren wie der Bedarf nach Verkaufsflächen (-> Erdgeschosszonen, Straßen-
lage) oder Lärmempfindlichkeit/Lärmerzeugung (-> Remisen, Dachgeschosse etc.) ei-
ne zentrale Rolle für die Geschäftsabwicklung spielen, wird die Lage innerhalb der
Immobilie eindeutig nachrangig gesehen.
Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft: Standortfaktoren und Immobilienstrategien
Ein Angebot spezialisierter Mietkonditionen und besonderer Leistungen ist nur teilwei-
se eine wichtige Rahmenbedingung für Kreative: wenngleich flexible Konditionen und
insbesondere flexible Möglichkeiten der Flächenanpassung Kreativen wichtig sind,
werden darüber hinausgehende spezialisierte Angebote bzw. erweiterte Services
(noch) kaum nachgefragt (vgl. Herkommer und Henckel 2008). Unter anderem dieser
Faktor führt dazu, dass von Vermieterseite bisher nur in geringem Umfang speziali-
sierte Angebote gemacht werden. Im Widerspruch dazu steht der Versuch, mit wenig
spezialisierten Zusatzdienstleistungen zusätzliche Erträge zu generieren.
Weiche Standortfaktoren
Atmosphäre am Standort ist nicht unwichtig, jedoch steht hinter dem Begriff ein eher
diffuses Bild: es kann nicht davon ausgegangen werden, dass eine einheitliche Vor-
stellung von angenehmer, das eigene Arbeiten womöglich sogar unterstützender At-
mosphäre existiert. Angesichts der Vielzahl unterschiedlicher Standorttypen, die sich
im Ergebnis der Ausgangsuntersuchung „Creative Class in Berlin“ nachzeichnen las-
sen, wird angenommen, dass die Bewertung von Atmosphäre genauso individuell
ausfallen wird wie die Haltung zu der Frage, welche unmittelbare Wirkung auf den
Geschäftserfolg dieser Faktor haben könnte. Ferner wird auch davon ausgegangen,
dass eine Öffnung der Standorte zum öffentlichen Raum als spezifische Ausprägung
des Faktors „Atmosphäre“ seitens der kreativen Unternehmen nachgefragt wird.
Altbau, konkreter: Industriearchitektur ist wichtig: da ausschließlich Standorte in alten
Gewerbe- und Industriehöfen untersucht werden, wird eine klare Präferenz dieser Ar-
chitekturform angenommen. Diese Annahme gehört klar zum zentralen „Erzählstrang“
der alten Klischees über Kreative. Inwiefern selbst von Mietern solcher Architekturen
jedoch unter Umständen doch ganz andere Haltungen möglich sind, war von großem
Interesse für die Untersuchung. Hier wird sich zum Einen das Potenzial für eine Ver-
marktung andersartiger Flächen unter Kreativen zeigen. Zum Anderen werden zu-
mindest ansatzweise Aussagen darüber zu machen sein, als wie verlässlich eine gute
Vermarktungschance für die vermeintlich sichere Bank des „kreativen Gründerzeitho-
fes“ tatsächlich einzuschätzen ist.
Standorte spielen eine wichtige Rolle in der Unternehmenskommunikation: obwohl
Fragen der Atmosphäre und Architektur vielleicht kein unmittelbarer Einfluss auf den
Erfolg der eigenen Arbeit beigemessen wird, so kann davon ausgegangen werden,
dass diese Aspekte für die Imagestrategie der Unternehmen schon eine Rolle spie-
len. Gleichzeitig ist hier auch zu erwarten, dass nicht alle Unternehmen tatsächlich
Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft: Standortfaktoren und Immobilienstrategien
eine Imagestrategie haben und diesem Faktor entsprechend auch keine große Be-
deutung beimessen. Grundsätzlich wird jedoch davon ausgegangen, dass die Erfah-
rungs- und Erlebnisdimension an Bedeutung gewinnt und Standorte dadurch stärker
Teil der Unternehmenskommunikation werden.
Kreatives Milieu: Treffpunkte und Außenraumgestaltung sind wichtig. Theorieansätze
der kreativen Milieus (u.a. Camagni 2001) und der Wissensökonomie legen den
Schluss nahe, dass für den Austausch von Wissen und Ideen unter Firmen in wis-
sensintensiven und kreativen Branchen räumliche Nähe und auch eine bestimmte
räumliche Infrastruktur an Treffpunkten und Aufenthaltsorten von Bedeutung sind. Für
die vorliegende Untersuchung soll deshalb angenommen werden, dass Firmen Stan-
dorte, die über solche Räume verfügen, bewusst oder unbewusst nachfragen.
Die Möglichkeit, den eigenen Standort mit zu entwickeln und zu gestalten, ist wichtig.
Es wird davon ausgegangen, dass gewissermaßen ein idealtypisches Bild des perfek-
ten Standortes existiert: die unsanierte Architektur, die nach den eigenen oder den im
Kollektiv mit anderen festgelegten Vorstellungen entwickelt und ausgebaut wird. Da
die Realisierung dieses Idealbilds ein absoluter Einzelfall ist, wird davon ausgegan-
gen, dass zumindest Möglichkeiten der Mitbestimmung in Gestaltung aber auch Be-
legungspolitik gewünscht werden.
D Veränderungsbedarf: Vermieterstrategien und Stadtentwicklungspolitik
‚Hefe im Teig’: Kreative fühlen sich instrumentalisiert von Vermietern und Stadtent-
wicklungspolitik, die gemeinsam an der Aufwertung von Quartieren arbeiten, auch
durch die Ansiedlung von Künstlern und kreativen Unternehmen. Kaum ein Thema
wird in den letzten Jahren so hitzig debattiert, wie das der Gentrification, der Aufwer-
tung von heruntergekommenen Quartieren durch (Lebens-)Künstler, Kreative und
Studenten, die anschließend – soweit die Theorie – durch Mietsteigerungen von ein-
kommensstärkeren Schichten verdrängt werden. Mehrere ‚Anti-Yuppie-Paraden’
durch Berliner Szenequartiere haben nicht nur gezeigt, wie sehr das Thema in die öf-
fentliche Wahrnehmung drängt, sondern auch, dass sich gerade kreative Firmen und
Selbstständige an der Organisation des Protests maßgeblich beteiligen. Daher wird
für die vorliegende Untersuchung angenommen, dass sich unter den befragten Mie-
tern das Gefühl breitmacht, für Wertsteigerungen und die Attraktivierung der Bestän-
de gebraucht, jedoch anschließend ‚fallengelassen’ zu werden und sich ‚den eigenen
Standort’ nicht mehr leisten zu können. Auch dem Eifer, mit dem sich kommunale Po-
Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft: Standortfaktoren und Immobilienstrategien
litik mittlerweile dem Thema Kreativwirtschaft widmet, wird daher mit Skepsis begeg-
net.
Der Versuch, seitens der öffentlichen Hand aus ‚problematischen’ Immobilien Kreativ-
zentren zu machen, wird nur selten als sinnvolles Angebot angesehen: insbesondere
etablierte Marktteilnehmer werden keinen Sinn darin sehen, Standorte zu beziehen,
die ohne staatliche Unterstützung keinen Markt haben. Für kreative Gründer und wohl
auch die Eigentümer der betreffenden Immobilien (die hier nicht befragt wurden) ist
eine solche strategische Ausrichtung auf einen spezialisierten Standort der Kreativ-
wirtschaft dagegen durchaus von Interesse. Für die Untersuchung ebenfalls relevant
war die Frage, ob zumindest indirekte Kooperationen und der Austausch von Know-
How im Rahmen einer solchen Positionierungsstrategie belasteter Immobilien für die
Teilnehmer vorstellbar wären.
2.2.3. Vermieterstrategien
Vermieter haben präzise Strategie für Kreative: für die Untersuchung, die wie bereits
dargestellt Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft analysiert, wird angenom-
men, dass die Vermieter der entsprechenden Immobilien eine Angebots- und Ver-
marktungsstrategie verfolgen, in der sich eine Spezialisierung auf Firmen aus kreati-
ven Branchen abzeichnet.
Vermieter sehen Kreative als Instrument einer Aufwertungsstrategie: spätestens die
öffentliche Präsenz des Themas Gentrification und der dargestellten Zusammenhänge
mit der Kreativwirtschaft führt dazu, dass Immobilienanbieter bewusst Kreative als
Mieter suchen, um von einer generellen Aufwertung des Quartiers und der eigenen
Bestände zu profitieren.
Die Rolle von Ankerunternehmen als Meinungsmacher und wichtige Kooperations-
partner für zahlreiche kreative Zulieferer wird von Vermietern erkannt und zu nutzen
versucht. Es wird angenommen, dass Vermieter versuchen, Ankerunternehmen oder
andere Promotoren in die eigenen Bestände zu ziehen oder zumindest mit ihrer Prä-
senz im Quartier zu werben.
Mietern werden wenig Mitgestaltungsmöglichkeiten und tendenziell kein Einfluss auf
Vergabepolitik eingeräumt; obwohl Mitbestimmungsmöglichkeiten als für Mieter wich-
tiger Faktor angenommen werden, ist nicht davon auszugehen, dass Vermieter in
Kernfragen der eigenen Regelungskompetenz Entscheidungsmöglichkeiten in rele-
vantem Maße abgeben.
Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft: Standortfaktoren und Immobilienstrategien
Im Bewusstsein der Vermieter ist die Bedeutung der architektonischen Qualität des
eigenen Angebots fest verankert: es wird von einer hohen Bereitschaft ausgegangen,
zumindest Außenfassaden aufzuwerten und/oder Mietern den Innenausbau
(teil)zufinanzieren bzw. auf die Miete umzuschlagen. Als mögliche Kehrseite einer sol-
chen Haltung wird in gewissem Maß ein Ausruhen auf der vermeintlich ‚natürlichen At-
traktivität’ der Gewerbehofarchitektur für Kreative erwartet.
Vermieter haben die Rolle von Aufenthaltsqualität und Treffpunkten im öffentlichen
Außenraum erkannt: es wird angenommen, dass insbesondere bei Anbietern mit einer
„Kreativenstrategie“ attraktive öffentliche Außenräume und die Integration von Treff-
punkten eine Rolle im eigenen Angebot spielt.
Das Thema Wohnen zu entwickeln steht für die Anbieter der Gewerbehofimmobilien
nicht an prominenter Stelle der eigenen Vorhaben. Gründe für diese Annahme sind
insbesondere der geringe Informationsstand zu konkreten Nachfragepotentialen, rela-
tiv hohe Umbaukosten, Störpotenziale und Sicherheitsrisiken im Verhältnis zu durch-
schnittlichen Erträgen.
Aus Sicht der Vermieter wird eine bedingungslose Stärkung der Kreativwirtschaft und
ein Bemühen um die Aufwertung kreativer Quartiere als klare Erwartungshaltung an
Stadtentwicklungspolitik formuliert. Die Bereitstellung einer qualitätvollen Nahver-
kehrsanbindung wird als wichtig, aber selbstverständlich angenommen. Die Ausstat-
tung der Quartiere mit sozialer Infrastruktur wird dagegen nicht als relevantes Thema
wahrgenommen.
Öffentlich subventionierte Kreativzentren sind für Vermieter uninteressant: Kooperati-
onen mit der öffentlichen Hand werden seitens der Immobilienanbieter auf anderen
Ebenen gesehen. Subventionierte Projekte der Standortentwicklung werden allenfalls
als marktverzerrende Konkurrenz gesehen.
2.2.4. Ankerunternehmen
Innerhalb Deutschlands wird für Ankerunternehmen Berlin als Makrostandort zuneh-
mend alternativlos: für die Mehrzahl der in den einzelnen kreativen Branchen tonan-
gebenden Firmen kann davon ausgegangen werden, dass zumindest eine Berliner
Niederlassung zunehmend als zwingend empfunden wird. Von besonderem Interesse
ist in dieser Hinsicht, ob dies aus geschäftlichen Gründen so gesehen wird oder aus
Gründen der verbesserten Rekrutierungsmöglichkeiten für qualifiziertes Personal. Für
die vorliegende Untersuchung nehmen wir an, dass nicht das wirtschaftliche Umfeld
Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft: Standortfaktoren und Immobilienstrategien
Berlins (genauer: die Auftragsdichte) über diese Frage entscheidet. Stattdessen wer-
den die Lebensqualität für Mitarbeiter bzw. sich in der Ausbildung befindende potenzi-
elle Mitarbeiter, aber auch die Qualität der Ausbildung und insgesamt die Qualität des
lokalen Arbeitskräftepools ausschlaggebend sein.
Ankerunternehmen sind sich ihrer Rolle bewusst und ziehen aktiv Partner an: es wird
nicht davon ausgegangen, dass sich Branchenführer ihrer Sogwirkung auf kleinere
Unternehmen nicht bewusst sind. Selbst für die sog. ‚Hidden Champions’, die nicht im
medialen Rampenlicht stehen, ist davon nicht auszugehen. Vielmehr erscheint es lo-
gisch, dass die Erfahrung im Umgang mit Kooperationspartnern und Zulieferern dazu
führt, dass ein klares Bewusstsein für die eigene Marktmacht, aber auch die eigenen
Bedürfnisse und Formen des auf andere Angewiesenseins besteht. Es wird daher
auch angenommen, dass die Ankerunternehmen dieses Wissen auch in Standortfra-
gen einsetzen und – so dies nicht von allein geschieht – auch aktiv auf die Standortpo-
litik bestimmter Partner Einfluss nehmen, um diese in der Nähe zu haben. Damit ver-
bunden ist die bereits oben formulierte Annahme, dass räumliche Nähe in geschäftli-
chen Netzwerken der Kreativen eine nicht unerhebliche Rolle spielt.
Ankerunternehmen suchen ‚Signature Buildings’ und haben bei der Standortsuche nur
eine geringe Auswahl alternativer Lösungen: da anzunehmen ist, dass die Bedeutung
der Standorte für die Imagestrategie von Ankerunternehmen besonders groß ist, wird
davon ausgegangen, dass sich diese Firmen nach Möglichkeit eine Immobilie suchen,
die als Firmensignatur gelesen werden kann. Das können Immobilien sein, die aus
sich heraus genau in das gewünschte Bild passen, aber auch solche, die durch eigene
Gestaltung an die jeweiligen Ziele der Außendarstellung angepasst werden. Auch Ge-
bäude, die mit der Firmengeschichte zusammenhängen kommen für eine solche Rolle
infrage. In jedem Fall reduziert sich so die Zahl der als Standorte möglichen Alternati-
ven gegenüber anderen Unternehmen erheblich.
2.2.5. Standorte
Kreative Firmen setzen sich vergleichsweise intensiv mit ihrer Standortumgebung
auseinander und sind sich daher der Qualitäten ihrer Quartiere klar bewusst. Ob das
eigene Quartier als „kreatives Aushängeschild“ Berlins, als zumindest etabliertes
Kreativquartier oder doch eher als ein Stadtteil abseits der wichtigsten Trampelpfade
der kreativen Szene gesehen wird, deckt sich mit der Einschätzung der Autoren. Es
wird davon ausgegangen, dass sich keine signifikante Differenz zwischen Innensicht
und Außensicht in diesem Punkt ergibt. In der Konsequenz dieser Annahme lässt sich
Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft: Standortfaktoren und Immobilienstrategien
auch die These aufstellen, dass kreative Firmen in jedem Fall sehr genau wissen, wo-
rauf sie sich bei dem jeweiligen Standort einlassen. Dieser Aspekt ist für Vermieter
aus vermarktungsstrategischen Gründen nicht unerheblich.
Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft: Standortfaktoren und Immobilienstrategien
3. Auswertung der Mieterbefragung
Im Folgenden werden die Ergebnisse der qualitativen Interviews mit den Geschäftsführern oder
leitenden Angestellten von kreativen Unternehmen an den sieben Cluster- und Schwerpunktorten
der Kreativwirtschaft in Berlin aus den Branchen Architektur, Design, Film, Musikwirtschaft, Wer-
bung, Presse- und Buchmarkt sowie Unternehmensberatung und IT vorgestellt. Zu Beginn wer-
den die Methoden der Standortsuche kreativer Unternehmen näher analysiert. Anschließend
erhält der Leser eine Einführung in die Motive der Standortwahl. Hier werden Relationen und
Hierarchien der bedeutenden Standortfaktoren aufgezeigt. Darauf folgt die genauere Analyse der
einzelner Standortfaktoren, wobei zwischen zwei Gruppen unterschieden wird. Zunächst werden
Faktoren untersucht, die sich auf die lokale Einbettung beziehen, d.h. Faktoren, die entweder mit
dem näheren Standortumfeld oder dem Quartier in Zusammenhang stehen (quartiersbezogene
Faktoren). Im Anschluss verschiebt sich die Aufmerksamkeit hin zu Faktoren, die sich unmittelbar
auf die Immobilie beziehen (immobilienbezogene Faktoren). Ausblickend werden Veränderungs-
bedarfe sowohl bezüglich der Vermieterstrategien und als auch der Stadtentwicklungspolitik an-
geführt.
Bei der Auswahl der Interviewpartner im Bereich der kreativen Unternehmen wurde versucht,
eine möglichst breit gefächerte Branchenstruktur in Anlehnung an die Situation an den Standor-
ten zu erreichen. Dies ist nicht immer gelungen. Aus der Werbebranche etwa ließen sich nur ins-
gesamt zwei Geschäftsführer als Interviewpartner rekrutieren. Unterrepräsentiert sind ebenfalls
der Presse- und Buchmarkt und die Film- und Fernsehbranche. Insgesamt wurde fast die Hälfte
der Interviewpartner aus an den Schwerpunktorten überdurchschnittlich vertretenden Sektoren
Architektur (5) und Design (4) gewonnen. Aus den Branchen Musik, Werbung, IT und Wirt-
schaftsberatung wurden jeweils zwei bis drei Interviewpartner rekrutiert.
Nicht unerwartet setzt sich ein Großteil der 19 interviewten Unternehmen aus jungen und sehr
jungen Unternehmen zusammen. Fast die Hälfte wurde nach dem Jahr 2000 gegründet, die an-
dere Hälfte gab als Gründungsdatum die 1980er oder 1990er Jahre an. Ein Unternehmen blickt
auf eine lange Tradition seit dem Jahr 1929 zurück. Insbesondere die Unternehmen der Vorwen-
dezeit ordneten sich selbst der Kategorie der Traditionsunternehmen zu. Immerhin gaben neun
der 19 Befragten an, sich in der Expansionsphase zu befinden. Lediglich drei Unternehmen nah-
men derzeit Umstrukturierungsmaßnahmen vor oder befanden sich in einem Schrumpfungspro-
zess. Die übrigen drei Unternehmen ließen sich den Start-Ups oder der Stabilisierungsphase
nach der Gründung zuordnen.
Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft: Standortfaktoren und Immobilienstrategien
Die Unternehmensstruktur der Interviewpartner spiegelt die für die Kreativbranche typische
Struktur wieder, in der ein hoher Anteil an kreativen Selbstständigen, Freiberuflern und Mik-
rounternehmen tätig ist. Insgesamt beschäftigen fast alle der befragten Unternehmen zwi-
schen fünf bis 15 Mitarbeitern. Lediglich zwei der befragten Unternehmen beschäftigen zwi-
schen 20 bis 50 Mitarbeiter, wobei ein nicht unerheblicher Anteil je nach Auftragslage von
freien Mitarbeitern eingenommen wird.
Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft: Standortfaktoren und Immobilienstrategien
3.1. Entdeckung und Motive der Standortwahl
Entdeckung: Methoden der Standortsuche
Wie gehen kreativen Untenehmen bei der Standortsuche vor? Und durch wen oder wodurch
werden kreative Unternehmen auf ihren Standort aufmerksam?
Wenn Unternehmen Standortentscheidungen nach bestimmten Kriterien treffen wollen, setzt
dieses voraus, dass das Unternehmen umfangreiche und präzise Informationen bezüglich der
im Raum gegebenen Standortmerkmale besitzt. Denn mittels dieses Wissens kann sich das
Unternehmen gezielt für den Standort entscheiden, der den eigenen Anforderungen am bes-
ten entspricht. Ein großer Teil der befragten Unternehmen in dieser Vertiefungsstudie hatte
sich jedoch weder über bestimmte Standortfaktoren informiert noch verschiedene Quartiere
bei der Standortsuche miteinander verglichen. Nur insgesamt fünf der interviewten Unter-
nehmen gingen ausschließlich systematisch bei ihrer Standortsuche vor oder unternahmen
eine klassische offene Immobiliensuche, indem sie entweder Zeitungs- oder Onlineanzeigen
durchsuchten, Informationen über freie Räumlichkeiten und Mietpreise einholten,
Besichtungen verschiedener Immobilien vornahmen und mehrere Stadtteile Berlins in den
Blickwinkel nahmen oder einen Makler mit der Suche nach dem idealen Arbeitsort beauftrag-
ten.
Die Hälfte der befragten Unternehmen hat ihren derzeitigen Standort aufgrund persönlicher
Netzwerke vermittelt bekommen, d.h. ihnen wurden Räumlichkeiten von Freunden, Koopera-
tionspartnern, Kunden oder bekannten Vermietern angeboten. Sie waren dort zu Besuch, auf
Veranstaltungen oder der Standort wurde ihnen direkt von Bekannten empfohlen. Interessan-
terweise nimmt die Rolle des Vermieters eine übergeordnete Stellung in diesem Zusammen-
hang ein. Einige der Befragten haben ihren derzeitigen Vermieter durch eine berufliche Zu-
sammenarbeit kennengelernt, anderen wurden Vermieter von Freunden empfohlen, dessen
Gewerbeimmobilien daraufhin in die nähere Auswahl gelangten und damit eine eingeschränk-
te Standortsuche bedingten. Des Weiteren griffen im Falle eines Umzuges einige Befragte
bewusst auf ihren vorherigen Vermieter zurück: „Räume der GSG konnte man früher eigent-
lich blind mieten“, bemerkt der Leiter eines Architekturbüros, der bereits Mitte der 90er Jahre
seinen derzeitigen Standort bezog und die gute Qualität der damaligen GSG-Höfe im Ver-
gleich zur Konkurrenz beschrieb. Auch eine vermarktete Distinktionsstrategie von Vermietern
mit einem auf die kreativen Branchen zugeschnitten Immobilienangebot muss bei der Stand-
ortsuche mit berücksichtigt werden. So erklärt beispielsweise der Geschäftsführer eines IT-
Unternehmens, dass er durch eine E- Mailaktion einer Hausverwaltung auf seinen derzeitigen
Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft: Standortfaktoren und Immobilienstrategien
Standort aufmerksam gemacht wurde. Die einleitenden Fragen eines Flyers: „Suchen Sie ein
besonderes Arbeitsumfeld? Haben Sie auch keine Lust, in einem Glaspalast zu arbeiten?“
hätten dabei sein Interesse geweckt, so der IT-Unternehmer.
Nicht in den Hintergrund rücken sollte auch die Bedeutung von angesagten Standorten oder
imageträchtigen Immobilien bei der Standortsuche. Mehrere Unternehmen gaben an, auf-
grund der bekannten Adresse und der Medienpräsenz auf ihren Standort aufmerksam gewor-
den zu sein. In diesem Zusammenhang sollte auch die Rolle von Leitfiguren oder Ankerun-
ternehmen in der Branche berücksichtigt werden. Ankerunternehmen besitzen nicht nur eine
Magnetwirkung für kleinere Unternehmen der Branche, sie können auch aufgrund ihrer star-
ken Verhandlungsposition ihre eigenen kreativen Dienstleister um sich herumgruppieren oder
direkt im eigenen Gebäude ansiedeln. Aufgrund der Abhängigkeit dieser Dienstleister von ih-
rem Auftraggeber, liegt die Entscheidung der Standortwahl in solchen Fälle häufig nicht direkt
in ihren Händen.
Dagegen fanden andere der Befragten ihren Standort eher zufällig bei einer Ortsbegehung.
Zu berücksichtigen bei solchen Zufallsfunden ist, dass meistens bereits im Vorfeld nur be-
stimmte Quartiere in Betracht gezogen werden. Häufig spielt die Begeisterung der Entschei-
dungsträger für ein bestimmtes Quartier aufgrund des soziokulturellen Umfeldes, der Historie,
der direkten Wasserlage oder der Nähe zur Spree eine wichtige Rolle für diese Vorauswahl.
Überraschenderweise hat keines der befragten Unternehmen explizit die öffentliche Hand als
Ansprechpartner bei der Standortsuche in Betracht gezogen oder ist aufgrund von subventio-
nierten Gewerbeimmobilienangeboten an einen bestimmten Standort gezogen.
Insgesamt deuten die Ergebnisse der Standortsuche darauf hin, dass eine entscheidende
Triebkraft die persönliche Begeisterung der Entscheidungsträger für ein Quartier oder eine
Immobilie zu sein scheint, die bereits im Vorfeld häufig eine systematische Standortsuche
verhindert.
Motive der Standortwahl
Die Motive der Standortwahl lassen sich nur schwer auf einzelne ausschlaggebende Faktoren
beziehen. Häufig ist es ein Zusammenspiel mehrerer Faktoren, die sich als die zentralen Mo-
tive in der Standortentscheidung klassifizieren lassen. Handelt dabei jedoch eher um quar-
tiers- oder immobilienbezogene Faktoren oder liegen die entscheidenden Motive sogar in
ganz anderen Aspekten? Und welche Hierarchien und Relationen oder Abhängigkeiten bilden
sich zwischen diesen Faktoren heraus?
Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft: Standortfaktoren und Immobilienstrategien
Gleich zu Beginn der Befragung wurden die kreativen Unternehmen nach den ausschlagge-
benden Faktoren für ihre Standortwahl gefragt, um eine unvorbereitete, direkte Antwort auf
diese Frage und einen schnellen Überblick über die Bedeutung einzelner Faktoren zu erhal-
ten. Die quantitative Befragung aus dem Jahr 2008 hatte zum Ergebnis, dass kreative Unter-
nehmen eher den quartiersbezogenen Faktoren, wie der Nähe zum Wohnort und der ÖPNV-
Anbindung die größte Bedeutung bei der Standortwahl zugemessen haben, gefolgt von har-
ten, immobilienbezogenen Faktoren, wie dem Mietpreis (vgl. Herkommer und Henckel 2008).
Überraschenderweise und entgegen der Annahmen lassen sich bei über der Hälfte der be-
fragten Unternehmen der vorliegenden Studie eher immobilienbezogene Faktoren als aus-
schlaggebende Motive für die Standortwahl identifizieren. Lediglich bei einer der Befragten
trat eindeutig das Quartier als Hauptansiedlungsgrund hervor. Um diese Ergebnisse genauer
zu untersuchen, wurde versucht, sowohl die Hierarchien zwischen quartiers- und immobilien-
bezogenen Faktoren als auch die Prioritäten innerhalb der beiden Klassifikationen abzubil-
den.
Betrachten wir zunächst die immobilienbezogenen Faktoren fällt auf, dass die so genannten
harten Faktoren wie der Mietpreis oder die Größe der Räume überraschenderweise in den
Hintergrund treten, wenn die Befragten diese in Relation zu anderen Faktoren bewerten müs-
sen. Flächen- und Mietpreise gelten zwar unabhängig von der Branche als wichtige Standort-
faktoren, allerdings scheinen sie vielmehr einen vorstrukturierenden Orientierungsrahmen zu
geben und wirken damit nur ergänzend in den Entscheidungsprozess ein. Die entscheiden-
den impulsgebenden Faktoren sind in erster Linie die Art der Räumlichkeiten und der Immobi-
lie. In den Vordergrund treten damit weiche Faktoren wie der Spielraum für die eigenen Ge-
staltungsmöglichkeiten, eine besondere Wasserlage oder das Flair des Gewerbehofes. Zu-
dem ist auffällig, dass es besonders häufig der erste Eindruck ist, der zählt, verbunden mit
dem Gefühl, sein Unternehmen an einem besonderen Standort zu etablieren. So wird die
Standortentscheidung letztlich zwar immer noch strategisch getroffen, doch vor die rein sys-
tematische Analyse harter Faktoren schiebt sich ein von persönlichen Empfindungen der Un-
ternehmensleitung gesteuertes Bauchgefühl.
Auch wenn die Antworten der Befragten zunächst ein sehr eindeutiges Ergebnis zeigen,
muss die hohe Bedeutung der immobilienbezogen Faktoren im Verhältnis zu den quartiers-
bezogenen relativiert werden, da die restlichen neun Befragten weder das Quartier noch die
Immobilie als ausschlaggebende Faktoren hervorgehoben oder beide Faktoren als gleich ge-
wertet oder in Abhängigkeit voneinander angesehen haben. Ein weiterer bedeutender An-
siedlungsgrund scheint die räumliche Nähe zu wichtigen Auftraggebern, Kunden oder Anker-
unternehmen der Branche zu sein, die der Gruppe der quartiersbezogenen Faktoren zuzu-
ordnen sind. Außerdem zeigen immobilien- und quartiersbezogene Faktoren insgesamt eine
Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft: Standortfaktoren und Immobilienstrategien
gewisse Interdependenz auf, die bereits innerhalb der Methodik zur Standortsuche themati-
siert wurde. Häufig werden bereits im Voraus nur bestimmte Quartiere in Betracht gezogen, in
denen entweder die Auftraggeber, Kunden oder Geschäftspartner sich konzentrieren, die Nä-
he zu einem großen Pool an kreativen Mitarbeitern (in der Regel schnell verfügbare, lokal
vernetzte Freelancer) gegeben ist oder das Quartier über andere besondere Merkmale wie
z.B. ein lebendiges soziokulturelles Umfeld verfügt. Auch wenn letztlich die immobilienbezo-
genen Faktoren den Ausschlag für die Standortentscheidung geben, dürfen diese Interde-
pendenzen nicht unberücksichtigt bleiben.
Bei den harten quartiersbezogenen Faktoren lassen sich zunächst eine zentrale Lage und ei-
ne gute ÖPNV-Anbindung als wichtiger einordnen als die Nähe zum eigenen Wohnort. Viele
Unternehmensleiter schätzen demnach die Trennung der Funktionen Arbeiten, Wohnen und
Freizeit bzw. legen Wert auf das Überwinden einer gewissen Distanz zwischen Arbeitsstätte
und Wohnort. Aber auch die Erreichbarkeit des Unternehmensstandortes spielt letztlich keine
ausschlaggebende Rolle für die Standortwahl. Dies scheint besonders mit der guten
verkehrlichen Anbindung Berlins zusammenzuhängen, die bereits in der ersten Studie von
vielen Befragten hervorgehoben wurde und daher eher als gegeben vorausgesetzt wird.
Betrachtet man außerdem die einzelnen kreativen Branchen gesondert, fällt auf, dass diese
einzelnen Standortfaktoren eine unterschiedliche Relevanz zuordnen oder aus spezifischen
Motivationen heraus bestimmten Faktoren eine hohe Bedeutung zuschreiben. Diese Unter-
schiede manifestieren sich zum Beispiel in der Bedeutung der Nähe zu Kunden und Auftrag-
gebern oder zu Publikumsverkehr. Ist das Unternehmen davon abhängig, für Publikum oder
Kunden erreichbar zu sein, wie z.B. Filmschnittfirmen, die eng mit ihren Auftragebern (z.B.
Werbeunternehmen) zusammenarbeiten, oder Modedesigner mit eigenem Laden, wählt es
einen Standort nach anderen Kriterien als Werbeunternehmen, die vorwiegend ihre Kunden
selbst aufsuchen. Die unterschiedlichen Motivationen werden am deutlichsten, zieht man im-
mobilienbezogene Faktoren hinzu. Während für den Großteil der befragten Unternehmen die
Altbauarchitektur sowie die eigenen Gestaltungsmöglichkeiten eine wichtige Rolle für die
Standortwahl spielen, sind doch die Beweggründe hierfür unterschiedlich. Während einige
Unternehmen wie beispielsweise Tonstudios aus funktionalen Gründen auf Altbauten mit ho-
hen Decken angewiesen sind, haben diese Faktoren für andere Unternehmen lediglich einen
ästhetischen Aspekt oder dienen zur Profilbildung.
Insgesamt muss jedoch der Einfluss von weichen Faktoren auf die Standortwahl, wie das
Flair der Immobilie, aber auch das soziokulturelle Umfeld des Quartiers unabhängig der Teil-
branche der kreativen Industrien als hoch eingeschätzt werden.
Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft: Standortfaktoren und Immobilienstrategien
3.2. Quartier: Lokale Einbettung
Erreichbarkeit des Unternehmensstandortes
Unter den Faktoren, die das nähere Umfeld und das Quartier qualifizieren, wurde die Erreich-
barkeit sowohl mit dem Öffentlichen Personennahverkehr als auch mit dem Individualverkehr
in der vorherigen Studie mit Abstand am häufigsten von den Befragten für wichtig empfunden.
Grund genug, um diese Faktoren näher zu beleuchten: Welche Rolle spielt die Erreichbarkeit
für kreative Unternehmen wirklich? Reicht ein Standort innerhalb des Berliner S-Bahnringes
aus, um von guter Erreichbarkeit zu sprechen? Oder sehen die Entscheidungsträger genau
nach, wie weit die nächste U-Bahnstation, der Hauptbahnhof oder der Flughafen entfernt lie-
gen?
Die verkehrliche Anbindung eines Standortes ist in erster Linie ein wichtiger Zeitfaktor, aber
auch die Kosten werden bei der Wahl der geographischen Lage im Auge behalten. So erklä-
ren einige Unternehmen, dass häufig Kunden nicht bereit sind, lange und teure Taxifahrten
auf sich zu nehmen. Oder ist ein Unternehmen z.B. auf Kurierfahrten angewiesen, können
hier neben zeitlichen Einbußen schnell hohe Kosten bei einem weniger zentralen Standort
entstehen.
Nicht überraschend ist daher das Ergebnis, dass dreiviertel der Befragten die Rolle der Er-
reichbarkeit des Unternehmensstandortes als wichtig bis sehr wichtig einstufen und der Rest
diesem Faktor immer noch eine teilweise wichtige Bedeutung zuschreibt. Der überwiegende
Teil der Befragten gab zudem an, dass Ihnen ein Standort innerhalb des S-Bahnringes oder
im Citybereich alleine nicht ausreicht. Je nach dem, ob die geschäftlichen Netzwerke sich
räumlich eher lokal im Berliner Raum konzentrieren oder auch nationale oder internationale
Geschäftsbeziehungen bestehen, spielt entweder vorwiegend die Nähe zur nächsten U- und
S-Bahnstationen eine übergeordnete Rolle oder darüber hinaus auch die Nähe zum Haupt-
bahnhof oder zum Flughafen.
Da Geschäftspartner oder Kunden, aber auch Unternehmensleiter häufig nicht den ÖPNV
benutzen, sondern den Individualverkehr, ist die Nähe zu U- und S-Bahnhaltestelle beson-
ders in Hinblick auf die Mitarbeiter des Unternehmens eine wichtige Komponente. Interessan-
terweise scheint die Entfernung zu den Haltestellen bis zu einer gewissen Grenze eher in
Kauf genommen zu werden als nur durch eine Buslinie angebunden zu sein, so betont eine
Designerin: „Laufen muss man ja fast immer ein bisschen. Das Maximum liegt hier bei 5 Mi-
nuten. Man sollte allerdings aufgrund des Verkehrs nicht auf den Bus angewiesen sein – das
ist wichtig!“
Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft: Standortfaktoren und Immobilienstrategien
Immer hin acht der Befragten gaben an, „im Citybereich eine durchweg gute Anbindung“ vor-
zufinden oder den Faktor der Erreichbarkeit bei der Standortentscheidung nicht in den Vor-
dergrund gestellt haben, da dieser „bei den bisherigen Standorten in Berlin immer gut war.“
Diese Antworten verdeutlichen nicht nur, dass die Erreichbarkeit von einigen Befragten inner-
halb der Innenstadtlagen Berlins als gegeben angesehen wird, sondern zeigen auch die gute
verkehrliche Anbindung der Stadt, die fast an allen untersuchten Standorten als positiv her-
vorgehoben wurde.
Nähe zum Wohnort
Auch dem Faktor ‚Nähe zum Wohnort der Geschäftsführung’ wird innerhalb dieser Vertie-
fungsstudie besondere Aufmerksamkeit geschenkt, da er sich als ein leitendes Motiv für die
Standortwahl vieler Unternehmen innerhalb der Studie von 2008 darstellte (vgl. Herkommer
und Henckel 2008). Aus welchen Gründen ist den kreativen Unternehmen die Nähe zum
Wohnort so wichtig? Sind sie tendenziell eher dazu geneigt, die Funktionen Wohnen und Ar-
beiten zusammenzulegen? Oder können sie sich vorstellen, in Zukunft eine Wohnung inner-
halb der Immobilie des Unternehmensstandortes zu beziehen?
Zunächst ist aufzuführen, dass sich die Aussagen bezüglich der Nähe des Wohnortes von
mehr als der Hälfte der Befragten überraschenderweise eher der Kategorie der weniger wich-
tigen bis unwichtigen Einflussfaktoren zuordnen lassen.
Damit weichen die Ergebnisse deutlich von den statistischen Daten der Studie von 2008 ab
(vgl. Herkommer und Henckel 2008). Größtenteils ist dieses überraschende Ergebnis der me-
thodischen Auslegung dieser Vertiefungsstudie geschuldet. Eine wichtige Komponente, die
hinsichtlich der Bedeutung der Nähe zum Wohnort berücksichtigt werden muss, ist die Unter-
nehmensgröße. Entscheidet der Geschäftsführer über einen Standort nur für sich und evtl.
noch seinen Unternehmenspartner oder beschäftigt er mehrere Mitarbeiter, die auf einen
zentralen Standort angewiesen sind? Der Leiter einer Werbeagentur erklärt beispielsweise,
dass er früher gezielt die Nähe zum Arbeitsort gesucht hat, aber mit der Unternehmensver-
größerung und der Wahl eines neuen Standortes heute 35 Minuten Fahrzeit akzeptiert, damit
die Mehrzahl der Mitarbeiter den Standort leicht erreichen können.
Da methodisch bedingt die Gruppe der Selbständigen, Freelancer oder auch Künstler in die-
ser Studie ausgeblendet wurde, fehlen die Stimmen einer Mietergruppe, die dafür bekannt ist,
dass sie dazu neigt die Funktionen Arbeiten und Wohnen in denselben vier Wänden unterzu-
bringen, um so nicht zweimal Raummieten bezahlen zu müssen.
Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft: Standortfaktoren und Immobilienstrategien
Dennoch ist es interessant, die Vor- und Nachteile der Nähe zum Wohnort aus Sicht der be-
fragten kreativen Unternehmen näher zu analysieren. Insgesamt brachten die Gesprächs-
partner nämlich fundierte Begründungen sowohl für eine enge Verbindung der Funktionen
Wohnen, Arbeiten und Freizeit als auch für ihre Trennung zum Ausdruck.
Gegen die Nähe zum Arbeitsort sprechen die unterschiedlichen Ansprüche an den Gewerbe-
standort im Vergleich zu denen des Privatlebens. So äußerte sich der Leiter eines Architek-
turbüros wie folgt: „Die Wege zur Arbeit nerven zwar, werden aber in Kauf genommen, denn
keiner der Mitarbeiter würde hierher zeihen, bloß weil es nah ist.“ Teilweise haben sogar die
Veränderungen des Quartiers oder der Immobilie zu einem Wegzug einiger Befragter in wei-
ter entfernte Quartiere oder Stadtteile geführt. „Was sind kurze Wege in Berlin? Mit der S-
Bahn kann jede Distanz substituiert werden“, verdeutlich ein Tonstudioleiter seine Umzug
nach Potsdam und damit die für ihn geringe Bedeutung des betrachteten Standortfaktors. Als
Gründe für die Verlegung des Wohnstandortes werden fehlende Versorgungsinfrastrukturen,
ein geringes Freizeit- und Kulturangebot, touristisch geprägte Quartiere oder zu hohe Mieten
angeführt. Die Wege zur Arbeit werden daher von vielen der Befragten in Kauf genommen
oder effektiv genutzt, d.h. die Befragten nutzen entweder die Zeit der U- oder S-Bahnfahrten
oder betätigen sich sportlich, indem sie mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren.
Ein weiteres wichtiges Argument gegen die Nähe von Wohn- zu Arbeitsort ist die gewünschte
und benötigte Distanz zum Arbeitsalltag vieler Geschäftsleiter. „Ich habe häufig zwanzig
Stunden Arbeitstage, da braucht man dann auch mal Abstand“, erklärt der Leiter eines Ton-
studios. „Die Trennung von Arbeiten und Privatem muss sein“, führt ein Architekt als Gegen-
argument für eine Wohnung am direkten Arbeitsstandort an.
Auch wenn die Nähe zum Wohnort für viele Geschäftsführer kein ausschlaggebendes Stand-
ortkriterium darstellt, konnten sich immerhin vier der Befragten sogar vorstellen, direkt am
Standort zu wohnen oder wenigstens in die Nähe des Standortes zu ziehen, sofern bestimm-
te Vorrausetzungen in dem Quartier gegeben sind, die den Wohnansprüchen gerecht wer-
den. Daher existieren auch Unternehmer, die nach der Gründung oder dem Umzug ihres Un-
ternehmens auch privat an den Standort gezogen sind oder derzeit eine Wohnung innerhalb
des Quartiers suchen. Ein wesentlicher Punkt, der neben der Fahrzeit für die Nähe zum Ar-
beitsort spricht, sind flexible Arbeitszeiten und die Möglichkeit im Zeitalter der Telekommuni-
kation auch einen Teil der Arbeit von Zuhause aus zu erledigen. So erklärt ein Architekt, dass
er sich bei technologischer Weiterentwicklung der Internettelefonie und Konferenzschaltun-
gen vorstellen könnte, einen großen Teil seiner Arbeit von Zuhause aus zu erledigen.
Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft: Standortfaktoren und Immobilienstrategien
Netzwerke: Austausch- und Kooperationsbeziehungen, Bedeutung räumlicher Nähe
Eine lange Tradition von wissenschaftlichen Studien weist daraufhin, dass die räumliche Nä-
he und Face-to-face-Kontakte den entscheidenden Faktor für kooperative Zusammenschlüs-
se und die Ausbildung von kreativen Clustern oder Szenen ausmachen. Das Hauptargument
dieser Studien bezieht sich auf das für viele Unternehmen besonders wichtige implizite Wis-
sen. Das sogenannte tacit knowledge beruht demnach auf Vertrauen und Reziprozität und
wird durch räumliche Nähe und direkte Interaktionen der Projekt- bzw. Kooperationspartner
gebildet (u.a. Bathelt und Glückler 2000, Bekar und Lipsey 2002).
Eine Reihe von neueren Studien (u.a. Gertler 2007, Grabher 2004) stellt dagegen dieses
Hauptargument in Frage und betont, dass geographische Distanz kaum limitierend auf den
Transfer von implizitem Wissen wirkt und geographische Nähe nur temporär vorhanden sein
muss. Welche Rolle also spielt die räumliche Nähe bei kreativen Unternehmen? Überwiegen
aufgrund von Vertrauen und permanenten Face-to-face-Kontakten lokale Kooperations-,
Kunden- und Zuliefererbeziehungen? Oder lassen sich die Netzwerke von kreativen Unter-
nehmen im Zeitalter neuer Technologien eher als globale Geschäftsbeziehungen charakteri-
sieren, die auch ohne physische Nähe auskommen?
Die Ergebnisse von 2008 zeigen insgesamt eine relativ hohe Bedeutung von räumlicher Nähe
in der Kreativwirtschaft, wobei die Kooperationsbeziehungen der kreativen Unternehmen Ber-
lins stärker lokal und regional ausgerichtet sind als ihre Kundenbeziehungen, bei denen nati-
onale Radien die Hauptrolle spielen. Zudem schätzen 52 Prozent der Befragten Face-to-face-
Kontakte als sehr wichtig ein und weitere 30 Prozent immer noch als wichtig (vgl. Herkommer
und Henckel 2008). Dennoch zeigen die Ergebnisse nicht in welchem Umfang Face-to-face-
Kontakte notwendig sind und warum kreative Industrien ihre wesentlichen Geschäftspartner
aus dem lokalen Umfeld rekrutieren.
Die Auswertung der qualitativen Interviews kann die quantitativen Ergebnisse insgesamt we-
der eindeutig unterstützen noch eindeutig revidieren, da die Aussagen ein sehr differenziertes
und ungleiches Bild aufzeigen. In neun Fällen der Interviews gaben kreative Unternehmen an,
dass vorhandene Netzwerke wichtig bis teilweise wichtig für die Standortentscheidung seien,
wohingegen 11 der Befragten diesen Faktor eher als weniger wichtig bis unwichtig einstuften.
Aber auch mit Blick auf den Aufbau von lokalen Netzwerken kann keine eindeutige Tendenz
festgestellt werden. Während immerhin die Hälfte der Befragten angaben, insgesamt keine
hohe Bindung zu lokalen Geschäftspartnern zu haben, stufte die andere Hälfte die Bindung
lokaler Netzwerke, die sie im Laufe der Zeit vor Ort aufgebaut haben, als mittel bis hoch ein
und bestätigte, die Vorteile von räumlicher Nähe, wie ungeplanten Treffen ohne vorherige
Absprachen bei denen man sich gegenseitige Aufträge zuschanzt. Die Tendenz von 2008,
Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft: Standortfaktoren und Immobilienstrategien
dass die Kooperationsbeziehungen der kreativen Unternehmen Berlins stärker lokal und regi-
onal ausgerichtet sind als ihre Kundenbeziehungen kann insgesamt auch von den qualitati-
ven Befragungen bestätigt werden. Da eher die Auftraggeber im internationalen oder nationa-
len Kontext vertreten sind als freie Mitarbeiter, Zulieferer oder sonstige Kooperationspartner.
Die Ursache für das uneinheitliche Bild kann auf die in der Kreativwirtschaft vorherrschenden
Projektökologien2 zurückgeführt werden, die durch eine Vielzahl von sich überlagernden loka-
len und globalen Austausch- und Kooperationsbeziehungen gekennzeichnet sind. Die vor-
herrschenden, traditionellen Clustertheorien und -modelle betrachten vorwiegend nur stabile,
vertikale Verlinkungen zwischen Unternehmen. Kreative Unternehmen arbeiten jedoch typi-
scherweise projektbezogen, d.h. jede Produktion ist ein Unikat und das Resultat ständig mo-
difizierter Handlungsprozesse. Für die Umsetzung dieser Projekte agieren kreative Unter-
nehmen mit unterschiedlichen und wechselnden Partnern innerhalb von Netzwerken. Sie be-
nötigen den Zugang zu Informationen und Kooperationspartnern verschiedener Disziplinen,
aber auch zu Beratern und Zulieferern (vgl. Klaus 2006, Scott 2000). Häufig geht es bei den
Kooperationen mit anderen kreativen Unternehmen um die Bearbeitung von größeren Aufträ-
gen, die die Klein- bis Mikrounternehmen, die in diesem Bereich charakteristischerweise die
Mehrzahl bilden, von alleine nicht ausführen können. Clustermodelle vernachlässigen nicht
nur die temporären Verlinkungen zwischen den Unternehmen, sondern konzentrieren sich
auch auf die Unternehmen als kleinste Knotenpunkte innerhalb lokaler Agglomerationsnetz-
werke. In vielen kreativen Branchen wie der Architektur und dem Designbereich sind aber
auch projektförmige Verlinkungen zwischen einzelnen Individuen vorzufinden, wo sich junge
selbständige Kreative entsprechend der Auftragslage zusammenschließen (vgl. Engelbrecht
2008). Bei der Rekrutierung und Auswahl von Kooperationspartnern konnte zudem festge-
stellt werden, dass Kooperationspartner von vielen Kreativen danach ausgewählt werden, wie
der Wettbewerb oder der Auftrag gestaltet ist. Je nach Projektbedarf werden unterschiedliche
Qualifikationen, stilistische Fähigkeiten oder Praktiken der Projektteilnehmer benötigt. Um
sich von der breiten Masse abzuheben und erfolgreich zu sein, sei es daher wichtig, keine
festen Kooperationspartner zu haben, so der Leiter eines Architekturbüros. Wechselnde Pro-
jektteamkonstellationen garantieren außerdem, nicht in bewährten Routinen stecken zu blei-
ben, sich kreativ weiter zu entwickeln und Kunden mit neuen Ideen zu begeistern (Grabher
2004). Größere kreative Unternehmen stocken ihr Team in solchen Fällen aus einem Pool an
freien kreativen Mitarbeitern auf. Die räumliche Nähe zu einem Quartier mit einer hohen An-
zahl an kreativen Selbstständigen spielt daher für einige der Befragten eine wichtige Rolle bei
der Standortwahl. 2 Projektökologien beschreiben Zusammenarbeiten zwischen Firmen durch zeitlich begrenzte Projekte (Grabher 2004).
Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft: Standortfaktoren und Immobilienstrategien
Das Beispiel eines Tonstudios und einer Medienfirma, die eng mit Werbeunternehmen zu-
sammenarbeiten, zeigt, dass auch die räumliche Nähe zum Auftraggeber einen hohen Stel-
lewert bei der Standortentscheidung einnehmen kann. „Man geht mit einem USB-Stick mal
eben über die Straße, um dem Kunden den neusten Stand der Entwicklung zu zeigen“, verrät
eine Geschäftsleiterin. Die Produkte kreativer Industrien sind gekennzeichnet von einer ho-
hen künstlerischen und ästhetischen Komponente, die sie stark von dem Geschmack und
den Präferenzen der Kunden abhängig macht. Daher ist die häufige, enge und insbesondere
auch räumliche Zusammenarbeit und Bindung an den Kunden für einige kreative Branchen
besonders wichtig.
Dem entgegengesetzt arbeiten insbesondere die befragten Werbeunternehmen. Innerhalb
der Branche findet zwar eine enge und ausdrücklich erwünschte physische Zusammenarbeit
mit Zulieferern und Kooperationspartnern statt, allerdings scheint die räumliche Nähe zu ih-
rem eigenen Auftraggeber kaum eine Rolle zu spielen. Face-to-face-Kontakte sind hier eher
in bestimmten Projektphasen charakteristisch und relevant, wie zu Beginn oder zum Ende der
Projektarbeit. Auch andere befragte Unternehmen bestätigen, dass direkte Interaktionen be-
sonders in der Anfangsphase eines neuen Projektes, aber auch zu Beginn der Selbständig-
keit notwendig sind. Diese reichen von Hilfestellungen über den Austausch von Erfahrungen,
Wissen und Informationen bis hin zu der Aufgabenteilung bei größeren Aufträgen.
Welche Rolle räumliche Nähe für ein kreatives Unternehmen spielt, scheint darüber hinaus
von der Art des Produktes abhängig zu sein. Der Austausch und die Kommunikation über rein
digitale Medien reichen beispielsweise in der Architekturbranche häufig nicht aus. So betont
der Leiter einer Modellbauwerkstatt: „Für die Betrachtung der Modelle reichen keine digitalen
Bilder. Modelle müssen live begutachtet, angefasst und erlebt werden.“
Ein kleines aber international agierendes Tonstudio erklärt im Gegensatz dazu: „Unser Ge-
schäft ist nicht lokal begrenzt, sondern absolut global. Der Austausch funktioniert virtuell via
ftp.“ Räumliche Nähe spielt für dieses Unternehmen nur eine geringe Rolle. Austausch und
Kommunikation findet hier häufig vollständig virtuell statt - also auch ohne ständige Face-to-
face-Kontakte werden Audiodateien dem Partner oder Kunden übermittelt. Reziprozität und
Kooperation sind demnach auch durch internetbasierte Interaktionen möglich, aufrecht zu er-
halten oder sogar auszubauen. Die zunehmende Bedeutung von virtueller Kommunikation
und Interaktion wird vor dem Hintergrund der Gewichtung des Zuganges zu Informationen auf
lokaler Ebene besonders deutlich. Obwohl kreative Industrien zu einem hohen Maß von In-
formationen über neue Moden, Trends, Veranstaltungen und Ausstellungen oder Stipendien
und Arbeitsmöglichkeiten abhängig sind, messen nur drei der Befragten diesem Standortfak-
tor eine Bedeutung zu.
Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft: Standortfaktoren und Immobilienstrategien
Abschließend soll unter dem Thema Netzwerke ein kurzes Schlaglicht auf die Art des Aus-
tauschs von Wissen und Informationen innerhalb von geschäftlichen Beziehungen in der Kre-
ativwirtschaft geworfen werden. Lässt sich der Austausch von Wissen und Informationen eher
als informell charakterisieren? Oder überwiegt trotz Vertrauen und räumlicher Nähe eine for-
malisierte Zusammenarbeit? Die Ergebnisse zeigen eindeutig, dass sich die Interaktionen in
der Kreativwirtschaft insgesamt weniger durch formale Zusammenarbeit auszeichnen als
mehr durch Informalität geprägt ist. „Austauschbeziehungen finden informell statt, d.h. per
Handschlag ohne schriftliche Verträge – spontan und schnell“, berichtet die Geschäftsführerin
einer Filmproduktionsfirma, die ohne eine einzige schriftliche Bindung oder einen Vertrag eine
Zweigstelle in Berlin eröffnet hat. Einige der befragten kreativen Unternehmen bestätigten zu-
dem auch, aus ihren sozialen Netzwerken Kooperationspartner zu rekrutieren, was die An-
nahme zu informellen Netzwerken innerhalb der Kreativwirtschaft weiter unterstützt. Aus der
Analyse der Ergebnisse ging des Weiteren hervor, dass die Art der Zusammenarbeit in erster
Linie von der Größe des Auftrages und der Vertrauensbasis der Geschäftspartner, also von
der Dauer oder der Intensität der Beziehung, abhängt und weniger von der Größe der Part-
ner. So erläutert der Leiter eines Tonstudios, dass sein Unternehmen bei großen Kampagnen
eine wochenlange Bearbeitungsdauer einkalkulieren muss, da häufig umfangreiche Verträge
aufgesetzt werden, die mehrstufige Verschwiegenheitsklauseln beinhalten. Im Gegensatz da-
zu können kleine Filmvertonungen selbst im Auftrag von großen, internationalen Unterneh-
men nach einer langjährigen Zusammenarbeit auch einmal informell umgesetzt werden.
Die Ergebnisse zeigen insgesamt drei wesentliche Punkte: Erstens scheint die räumliche Nä-
he weniger für die Rekrutierung der Geschäftspartner als mehr für die direkte Projektarbeit
wichtig ist zu sein. Zweitens muss räumliche Nähe für die Zusammenarbeit in Projekten bei
vielen kreativen Unternehmen nicht permanent vorhanden sein, sondern entweder in be-
stimmten Projektphasen oder zu bestimmten Projektpartnern (Kunden, Zulieferern oder freien
Mitarbeitern). Drittens bewirkt die Zunahme an virtuellen Netzwerken und Plattformen eine
erhöhte internetbasierte Interaktion der Geschäftspartner, die eine entscheidende Rolle in
Hinblick auf die Aufrechterhaltung oder die Fortsetzung bereits bestehender Face-to-Face-
Kontakte einnehmen.
Die Bedeutung von kreativen Szenen, Images und Karawanenverwalten
Welchen Einfluss hat die ansässige Szene oder das Image eines Quartiers auf die Standort-
entscheidung von kreativen Unternehmen? Welche Rolle spielen dabei Trendsetter und Mei-
nungsmacher der kreativen Branchen oder die Anziehungskraft von Ankerunternehmen? Gibt
es einen ‚turning point’, an dem Kreative aufgrund eines anhaltenden Touristenstroms, der
Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft: Standortfaktoren und Immobilienstrategien
zunehmenden Präsenz von Kaffeehausketten oder dem Ende illegaler Clubs Szenequartiere
verlassen und weiterziehen auf der Suche nach neuen, unentdeckten Standorten?
Mit dem Aufkommen neuer Lebens- und Arbeitskulturen, geht auch eine neue Wertschätzung
von Urbanität einher. Neben den harten Standortfaktoren rücken weiche Faktoren, wie das
Freizeit- und Kulturangebot, das Flair oder Image eines Stadtteils weiter in den Vordergrund
(vgl. Scott 2000). Bereits in der Ausgangsstudie herrschte Einigkeit unter den kreativen Un-
ternehmen bezüglich der Frage, ob die Kreativwirtschaft ihre Standorte in dieser Hinsicht be-
sonders prägt und damit zur Entstehung von Szeneviertel beiträgt. Das heißt kreative Unter-
nehmen suchen nicht nur nach offenen, toleranten und diversifizierten Räumen in der Stadt,
ihre Anwesenheit trägt gleichzeitig zur Produktion der gewünschten Standortattribute bei.
Kreative können ein eigenes soziokulturelles Umfeld an ihrem Unternehmensstandort kreie-
ren und etablieren. Sobald bestimmte Raumstellen durch Kulturveranstaltungen oder sonstige
Events kommuniziert werden, wird das Image einer neuaufkommenden Szene nach außen
projiziert und von den Medien aufgegriffen. Damit kann die räumliche Konzentration von krea-
tiven Unternehmen dem Quartier eine besondere Identität oder ein herausragendes Image
verleihen.
Fünf der Interviewten dieser Studie bestätigten, aktiv am Aufbau der kreativen Szene und des
Images ihres Quartiers beteiligt gewesen zu sein. So berichtet beispielsweise eine Modede-
signerin, wie sie zusammen mit ihrem Mann und anderen Kreativen neben ihrem Atelier und
Showroom auch ein Kino innerhalb des Gewerbehofes ins Leben gerufen hat, was sich bis
heute zu einem berlinweiten kulturellen Treffpunkt entwickelt hat. Allerdings ist der größte Teil
der befragten Unternehmen von vorneherein in existierende kreative Knotenpunkte der Stadt
gezogen. Demnach scheinen die Quartiere erst für mehr als einzelne Unternehmen der Krea-
tivwirtschaft interessant zu werden, wenn die Aufwertung schon fortgeschritten ist, die Sozial-
indizes begonnen haben eine positive Dynamik abzubilden und das Quartier als Szeneviertel
bereits von den Medien aufgegriffen wurde und eine gewisse Präsenz in der öffentlichen
Wahrnehmung erlangt hat.
Insgesamt sehen die Hälfte der Interviewten das Quartier, in dem sie ansässig sind, als einen
Konzentrationspunkt der kreativen Szene und immerhin ein Viertel sogar als kreatives Aus-
hängeschild Berlins. Die restlichen fünf Befragten haben hauptsächlich aufgrund von immobi-
lienbezogen Faktoren ein Quartier gewählt, dass eher abseits der Kreativräume liegt. Dass
hier eher Kompromisse bei der Standortentscheidung zum Tragen kamen als eine ausdrück-
lich gewünschte peripherere Lage, wird dadurch bestätigt, dass sich insbesondere diese Un-
ternehmen als alternative Standortwahl einen Umzug in ein Szenequartier mit zentraler Lage
und ‚Hipness-Faktor‘ vorstellen könnten. Daher stellt sich die Frage, warum ist eine kreative
Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft: Standortfaktoren und Immobilienstrategien
Szene oder das Image eines Quartier so bedeutend für die Ansiedlung von kreativen Unter-
nehmen?
Viele der Interviewten betonten in diesem Zusammenhang zunächst die Vorteile der räumli-
chen Nähe zu Kunden, Kooperationspartnern oder einem kreativen Pool an freien Mitarbei-
tern, die bereits im vorherigen Kapitel näher beleuchtet wurden. In der Ausgangsstudie konn-
te zudem aufgezeigt werden, dass sich bei einem nicht unerheblichen Teil der kreativen Un-
ternehmen eine standortrelevante Orientierung an den etablierten Meinungsmachern oder
Leitfiguren der kreativen Branchen nachweisen lässt. Auch die vorliegenden Ergebnisse zei-
gen, dass bei ungefähr der Hälfte der Befragten die Standortwahl von Ankerunternehmen ihre
Geschäftstätigkeiten positiv beeinflussten. Drei Unternehmen gaben die Standortwahl von
Ankerunternehmen sogar als Hauptansiedlungsgrund an. Wenn auch nur bei einem Unter-
nehmen in diesem Zusammenhang eine intensive Kooperation entstanden ist, sind sich die
restlichen über die positive Wirkung in Hinblick auf die Etablierung einer kreativen Szene ei-
nig. So betont eine Produktionsfirma aus der Filmbranche: „Insbesondere bekannte Werbe-
agenturen ziehen mehrheitlich Kunden, Lieferanten und Geschäftspartner in unser direktes
Umfeld.“
Quartiere mit einer herausragenden Identität oder einem besonderen Image können sich aber
auch aus anderen Gründen positiv für die Geschäftstätigkeit der ansässigen Unternehmen
auswirken. Bereits Molotch (1976) beschreibt, wie Produkte und Dienstleistungen auf dem
Markt mit dem Image einer Szene in Verbindung gebracht werden und Wettbewerbsvorteile
für die Unternehmen generieren, die mit ihr in Verbindung stehen. Krätke (2002) nennt Bei-
spiele wie die ‚Pariser Mode‘ oder ‚Hollywood Filme‘, wobei die Produkte durch ihre Herkunft
zu einem Merkmal von Produktqualität und -authentizität werden. Für den Großteil der befrag-
ten Kreativen konnte nachgewiesen werden, dass neben dem Image von Berlin als Kultur-
metropole auch die Identität oder das vorherrschende Image des Quartiers, in dem die Unter-
nehmen ansässig sind, bei der Profilbildung eine wichtige Rolle spielen und Einfluss auf die
Reputation des Unternehmens haben. Denn häufig sind es bestimmte kreative Szenequartie-
re oder Orte, die auch international bekannt sind und der Stadt zur ihrem Image verholfen ha-
ben. So erklärt der Leiter eines Tonstudios, dass er bewusst den Namen Kreuzberg als
Imageträger nutzt und ihn deshalb sogar in den Firmennamen integriert hat. Der Name wecke
sofort Assoziationen mit einem künstlerischen, freiheitlichen Image, das in ganz Deutschland
etabliert ist, so der Unternehmensführer. Dennoch scheint es notwendig, das Image bestimm-
ter Szenequartier in der Realität differenziert zu betrachten. Auffällig ist, dass einige Inter-
viewte durchaus auch negative Wirkungen von bestimmten Szenequartieren hervorheben.
Der Standort selbst und das Quartier seien kommunikationsbedürftig, um falschen Erwartun-
gen von Kunden entgegenzuwirken, erklärt ein anderes Kreuzberger Kreativunternehmen.
Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft: Standortfaktoren und Immobilienstrategien
Szenequartiere können demnach sowohl positiv und einladend wirken in Bezug auf kreativ,
trendy, cool und authentisch, aber auch negativ insbesondere bei konservativen, nicht lokalen
Geschäftspartnern. Dennoch scheint auch der entgegengesetzte Fall möglich, wenn zum
Beispiel das international bekannte Szenequartier um den Hackeschen Markt aufgrund von
zunehmenden ‚Easyjet-Touristen’ und Kettenunternehmen lokal bereits negative Auswirkun-
gen auf Stammkunden hat und nur noch als Imageträger für auswärtige Kunden fungiert. Ein
weiterer wichtiger Grund für die Wahl eines Unternehmensstandorts in einem Szenequartier
scheint das besondere Freizeit- und Kulturangebot zu sein. Die Ausstattung des Quartiers mit
guten und besonderen gastronomischen Einrichtungen wird von allen Interviewten als sehr
wichtig eingestuft. Hierbei steht neben Geschäftsessen mit Kunden auch die Nahversorgung
der Mitarbeiter im Vordergrund. Wenn der Blick nun ganz von den Kunden weg zu den Mitar-
beitern der Unternehmen gelenkt wird, rückt das Thema von impulsgebenden und inspirie-
renden Quellen in den Vordergrund. In der Literatur wird ebenso von der Rolle kreativer Mili-
eus (vgl. Camagni 2000) für die Generierung von Ideen und Innovationen gesprochen wie der
‚Look and Feel‘ von Quartieren, die als Inspirationsquelle wirken (vgl. Helbrecht 1998, 2004).
Demnach wirkt das Quartier selbst stimulierend und hat eine Art Katalysatorfunktion auf die
individuelle Kreativität. Auch einige der befragten Unternehmen bestätigen diese Annahmen.
Die Leiterin einer Werbeagentur argumentiert, das Quartier sei durchaus Ressource für krea-
tive Ideen, denn „ein gutes Umfeld schafft bessere Ideen“, deshalb seien auch Spaziergänge
wichtig, um „den Kopf frei zu bekommen“.
Dennoch sollte der Aspekt der Inspirationsquellen insbesondere in Zusammenhang mit der in
den Medien vorherrschende Debatte um das ‚Karawanenverhalten‘ der Kreativwirtschaft nicht
überstrapaziert werden. Häufig wird den Kreativen ein nomadenhaftes Umziehen unterstellt,
sobald die ersten Zeichen der Gentrifizierung in Quartieren einsetzten. Um freie Inspirations-
möglichkeiten und Kreativität zu gewährleisten, ziehen die Kreativen weiter an noch unent-
deckte Quartiere abseits des Mainstreams. Dieser Aspekt konnte bereits in der Ausgangsstu-
die größtenteils widerlegt werden (Herkommer und Henckel 2008).
Wirft man einen Blick auf die Umzugshäufigkeit der kreativen Unternehmen, zeigen auch die
Ergebnisse dieser Studie einen engen Zusammenhang zwischen dem Alter der Unternehmen
und der Umzugshäufigkeit. Entsprechend der Gründungsjahre haben alle befragten Unter-
nehmen ihren derzeitigen Standort erst nach der Wende bezogen mit einer Tendenz in den
2000er Jahren. Die Standortwahl fällt häufig mit denen der Sanierung der Altbaugewerbehöfe
und einem vermehrten Angebot an freien Räumlichkeiten zusammen. Im Schnitt haben die
befragten Unternehmen bereits einmal ihren Standort innerhalb der Stadt gewechselt. Insge-
samt streckt sich die Bandbreite der Standortwechsel vom Standort der Gründung bis zu drei
Umzügen.
Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft: Standortfaktoren und Immobilienstrategien
Der Anreiz zu häufigen Standortwechseln der kreativen Industrien kann allerdings weitaus
weniger auf die Entdeckung neuer Geheimtipps an bislang vernachlässigten Standorten zu-
rückgeführt werden, als in der Öffentlichkeit angenommen wird. Häufig steht die Umzugsmo-
tivation in Zusammenhang mit Vergrößerung oder Verkleinerung des Unternehmens und da-
mit mit der Suche nach neuen Räumlichkeiten, die den veränderten Bedürfnissen angepasst
sind. Aber auch ein auslaufender Vertrag oder die Erhöhung von Mieten oder veränderten
Vertragsbedingungen können einen Standortwechsel bedingen. Mehrfache Standortwechsel
stehen in erster Linie in Verbindung mit der Entwicklungsphase des Unternehmens. Ältere
Unternehmen sind bereits länger am Markt etabliert, hatten häufiger Gelegenheit und Anlass
umzuziehen. Demnach kann auch der Erfolg oder Misserfolg eines Unternehmens die Anfor-
derungen an den Standort verändern. So äußerte sich der Leiter einer Werbeagentur über
seinen Umzug in den Spreespeicher wie folgt: „Früher wurde von einem erwartet, in Mitte zu
sein, heute ziehe ich diese Räumlichkeiten vor.“ Nach der Etablierung des Unternehmens zo-
gen sie einen weniger zentralen Standort vor, dafür allerdings mit idealen Räumlichkeiten und
Wasserlage.
Nicht zu vernachlässigen sind außerdem die Kosten, die mit einem Umzug verbunden sind.
Insbesondere wenn Unternehmen auf spezielle Infrastruktur angewiesen sind, die auf die je-
weilige Raumsituation angepasst werden muss (vgl. Kapitel 3.3), scheitern Umzugsvorhaben
häufig an den Kosten. Die qualitativen Interviews bestätigen demnach die Annahmen der
Ausgangsstudie: in erster Linie wirken hier längere Zeithorizonte und für die meisten Unter-
nehmen sind zahlreiche Umzüge, vor allem aufgrund der entstehenden Kosten, unrealistisch.
Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft: Standortfaktoren und Immobilienstrategien
3.3. Immobilie
Ästhetik und Funktionalität der Räume
Welche Eigenschaften und Funktionen müssen die gemieteten Räumlichkeiten, die Immobilie
an sich oder der gesamte Gewerbehof erfüllen, damit sie attraktiv für kreative Unternehmen
wirken? Diese Fragestellung steht gewissermaßen zwischen den Abgrenzungslinien von har-
ten und weichen Standortfaktoren. Funktionalität ließe sich durchaus messen und quantifizie-
ren, ist aber so eng mit städtebaulich-architektonischen Ästhetikmerkmalen verbunden, dass
beide Aspekte gemeinsam betrachtet werden müssen, so dass sich die Messbarkeit wieder
reduziert. Da wir zudem annehmen, dass diese Zusammenhänge für die Standortentschei-
dungen von großer Rolle Bedeutung sind, wird der Punkt gesondert und als erstes behandelt.
Es ist oft der erste Eindruck, der zählt. Diese „Volksweisheit“ trifft oft auch auf die Standort-
entscheidungen von Unternehmen zu. Auch viele kreative Unternehmen lassen sich bei der
Standortsuche auf Mikroebene häufig von persönlichen Empfindungen und Emotionen der
Unternehmensleitung beeinflussen. Das Gefühl, sein Unternehmen an einem besonderen Ort
zu etablieren, hat auch eine zuvor in Mitte ansässige Werbeagentur dazu veranlasst, ihren
Unternehmensstandort in den Spreespeicher im Stadtteil Friedrichshain zu verlagern. „Eine
Immobilie muss innerhalb von fünf Minuten Klick machen“, erklärt der Chef der Agentur die
Anmietung von luxuriösen Räumlichkeiten, die sowohl direktes Sonnenlicht als auch Wasser-
blick garantieren. Für die „Liebe auf den ersten Blick“ können häufig sogar eindeutig funktio-
nale Nachteile der Räumlichkeiten in den Hintergrund rücken. Eine Hörspielfirma berichtet,
dass sie für diese Liebe sogar Flächen- und Akustikprobleme aufgrund einer Druckerei im da-
runter liegenden Stockwerk in Kauf genommen hat. Andere Unternehmen weisen auf stören-
de Reflektionen des Sonnenlichtes auf den Computerbildschirmen hin oder auf die unerträgli-
che Hitze in den Sommermonaten durch die nach Süden exponierte Lage. Aber diese Prob-
leme akzeptieren die Unternehmen für die strahlend hellen Räume, die sie sich immer ge-
wünscht haben.
Es scheinen also nicht so sehr der Mietpreis oder die Flächengröße zu sein, die den aus-
schlaggebenden Impuls für die Anmietung von Büro- und Gewerberäumen in der Kreativwirt-
schaft geben, sondern die Art der Räumlichkeiten und der Immobilie. Selbstverständlich bil-
den Preis und Flächengröße wichtige rahmensetzende Kriterien – den letztlichen Ausschlag
jedoch gibt die Begeisterung für die vier Wände, innerhalb derer man die nächsten Jahre ge-
meinsam arbeiten wird. Kreative Unternehmen entwerfen nicht nur Produkte, die durch einen
überdurchschnittlich hohen symbolischen und künstlerisch-ästhetischen Wert gekennzeichnet
Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft: Standortfaktoren und Immobilienstrategien
sind (vgl. Scott 2000). Betrachtet man ihre Arbeitsplätze fällt auf, dass diese mindestens ge-
nauso kreativ gestaltet sind oder über besondere stilistische Qualitäten verfügen wie die spä-
ter hier erstellten Produkte und Dienstleistungen: Industriearchitektur mit lichtdurchfluteten
Büros und Wasserblick, offene Lofts oder ausgebaute Dachgeschosse, dazu eine integrierte
Coffee-Bar und selbst designte Möbel. Bei der Immobilien- und Raumwahl sowie deren Ge-
staltung räumen kreative Unternehmen bestimmten „Must-haves“ aus dem ästhetischen
Merkmalkatalog eine ebenso wichtige Position ein wie funktionalen Eigenschaften. Die ästhe-
tischen und funktionalen Merkmale sind dabei teilweise untrennbar miteinander verwoben.
Der Strukturwandel und die nach der Wende massiv einsetzende Deindustralisierung in Berlin
boten zahlreiche frei verfügbare und preiswerte Räumlichkeiten in den ehemaligen Fabrikan-
lagen. Doch die Entstehung der auf diese Flächen gerichteten Nachfrage von Unternehmen
aus der kreativen Branche lässt sich am besten mit der Entwicklung eines Trends erklären,
der von der Kunstszene initiiert wurde und unkonventionelle Arbeits- und Wohnformen in den
Fabriketagen populär werden ließ (Zukin 1989). Auch der größte Teil der interviewten Unter-
nehmer legt großen Wert auf Immobilien, die durch ihre einmalige industrielle Architektur ge-
prägt sind. Immer wieder wird insbesondere „der ursprüngliche Charme der Industriebauten“
als wichtiges Kriterium genannt aber auch dem Alten, dem Verlassenen „neues Leben einzu-
hauchen“ und damit die Kombination von Altem und Neuem wird als Motiv aufgeführt. Aber
es ist nicht nur der besondere Stil und der städtebaulich- architektonische Reiz der Industrie-
bzw. Altbauarchitektur, der von den Kreativen bevorzugt wird, sondern auch die Flexibilität,
Nachhaltigkeit („welche Neubauten halten über 100 Jahre Strukturwandel aus?“) und Funkti-
onalität ihrer Räumlichkeiten. Nahezu alle Befragten stufen die eigenen Gestaltungsmöglich-
keiten als wichtigste Vorraussetzung für die Anmietung von Büro- und Gewerberäumen ein.
Um diese nach ihren Bedürfnissen und Vorstellungen selbst zu kreieren, sucht der größte Teil
bewusst offene Großräume, die zahlreich in den ehemaligen Industriegebäuden zur Verfü-
gung stehen. Denn anders als angenommen bleiben diese häufig gar nicht groß und offen,
sondern werden erneut unterteilt in Büro-, Empfangs- und Besprechungsräume, Aufnahme-
und Fotostudios, Schnitt- und Werkstattplätze sowie Küchennischen und Ruhezonen. Die
Kombination aus großen Gemeinschaftsräumen, in denen sich die Entwickler zusammenset-
zen können, aber auch das Vorhandensein von Rückzugsräume, in denen eigenständig neue
Ideen kreiert werden können, bildet eine beliebte Form der Raumgestaltung kreativer Unter-
nehmen.
Die benötigten funktionalen Raumeigenschaften sind dennoch abhängig von der Brache oder
dem Betätigungsfeld der kreativen Unternehmen. Sind diese beispielsweise bei ihrer Arbeit
auf Aufnahmestudios angewiesen, stellen hohe Decken nicht nur ein nettes Accessoire dar.
Aufgrund einer aufwendigen Raum-in-Raum-Konstruktion, die man nach Aussagen eines In-
Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft: Standortfaktoren und Immobilienstrategien
terviewpartners „keinem Dritten überlässt“, sind diese für den Studiobau eine notwendige Be-
dingung. Außerdem profitiere man von der massiven Bauweise der Altbauten, was Investitio-
nen in den Schallschutz minimieren würde. Architekten, die sich auf den Modellbau speziali-
siert haben, bevorzugen wiederum die guten Verlademöglichkeiten und -flächen der ehemali-
gen industriellen Gewerbehöfe. Grundsätzlich stehen den Industrie- bzw. Altbauten daher
auch aus funktionaler Sicht weitaus mehr Vorteile als Nachteile gegenüber. Lediglich die rela-
tiv hohen Kostenaufwendungen für die eigene Gestaltung der Räume, welche teilweise auch
die Installation von Elektrizität oder anderer technischer Infrastruktur beinhalten kann, werden
als Nachteile genannt. Weitere Aspekte wie beispielsweise die in der Regel fehlende Klimati-
sierung oder hohe Verkehrsflächenanteile kamen in keinem Mieterinterview zur Sprache.
Die vorherrschende öffentliche Meinung über eine regelrechte Neubau-Phobie der Kreativen,
triff in der Realität in dieser Schärfe dennoch nicht zu. Zwar weist ein großer Teil der Befrag-
ten explizit darauf hin, einen Altbau dem Neubau sowohl unter ästhetischen als auch funktio-
nalen Gesichtspunkten vorzuziehen, jedoch geht es hierbei vorwiegend um besondere städ-
tebauliche Qualitäten. Handelt es sich bei dem Neubau demnach nicht um „einen klassischen
Bürobau mit 2,50 Meter hohen Decken“ oder eine „60er-Jahre-Kiste“, sondern um eine stilis-
tisch und städtebaulich hochwertige Neubauarchitektur, wäre mehr als die Hälfte der Befrag-
ten bereit, auch dort Räume zu beziehen. Daraus lässt sich schlussfolgern, dass die Kreativ-
wirtschaft dem Neubau grundsätzlich nicht ablehnend gegenüber steht. Sollte der momenta-
ne Trend mit dem Fokus auf die Industriearchitektur daher irgendwann nachlassen, ist durch-
aus denkbar, dass auch neuere architektonische Epochen in Mode kommen.
Harte Standortfaktoren (Mietpreis, Größe, Lage und Ausstattung)
Das vorherige Kapitel hat bereits gezeigt, dass dem Standort spezifische Charakteristika in-
newohnen müssen, damit er für die Kreativwirtschaft attraktiv ist. Da wir jedoch das gesamte
Bild der Standortentscheidung kreativer Unternehmen im Detail betrachten und analysieren
wollen, müssen wir uns auch auf der Mikroebene mit den sogenannten harten Standortfakto-
ren auseinandersetzen. Flächen- und Mietpreise gelten in der Theorie unabhängig von der
Branche des Unternehmens als wichtiger kalkulierbarer, harter Standortfaktor. Dies ist wenig
überraschend, da die Mietkosten nach den Personalkosten, den zweitgrößten Kostenfaktor
darstellen (vgl. Herkommer und Henckel 2008). Ein niedriges Mietniveau und freie verfügbare
Räumlichkeiten werden in vielen Studien zur Erklärung räumlicher Konzentrationsprozesse
der kreativen Industrien angeführt. Diese standortspezifischen Pullfaktoren werden – so die
verbreitete Annahme – häufig durch Pushfaktoren, wie Verdrängungsprozesse der Kreativen
aus anderen Stadtteilen im Zuge der Aufwertung von Quartieren und Mietpreissteigerungen
Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft: Standortfaktoren und Immobilienstrategien
verstärkt. Insbesondere für die Gruppe der kreativen Pioniere oder Start-Up-Unternehmen,
die noch nicht auf dem Markt etabliert sind, stellen geringe Kosten in der Anfangsphase der
Selbständigkeit einen entscheidenden Faktor für deren Standortwahl dar (vgl. Klaus 2006).
Würden jedoch solche Standortfaktoren die Ansiedlungsentscheidungen dominieren, wäre es
eher wahrscheinlich, dass sich kreative Unternehmen z.B. auch in peripheren Lagen oder in
kleinen und günstigen Neubauten konzentrieren oder über den Raum verteilen. Welchen Ein-
fluss hat also der Mietpreis auf die Standortentscheidung wirklich? Und bei welchen Faktoren
sind kreative Unternehmen am ehesten bereit, Kompromisse einzugehen?
Obwohl die Erhebungen zur Bedeutung von Mietpreisen in Standortentscheidungen wohl nie
zum Ergebnis haben werden, dass diese unwichtig sind, sprach zum einen niemand der Be-
fragten diesem Standortfaktor eine ausschlaggebende Relevanz bei der Standortentschei-
dung zu. Zum anderen ordnete sogar die Hälfte der Befragten dem Mietpreis nur eine geringe
Bedeutung zu, d.h. der Mietpreis entscheidet erst dann, wenn alle anderen gewünschten Ei-
genschaften des Standortes realisiert werden können. Die Tragweite dieses Ergebnisses wird
noch verstärkt, betrachtet man die Bedeutung der in öffentlichen Medien vorherrschenden
Annahme zu Standortleitmotiven kreativer Unternehmen: „Hauptsache zentral und billig“. In-
nerhalb dieser Hypothese konnte sich niemand der Interviewten wiederfinden. „Niemand wür-
de auf den letzten Gammelhof ziehen, auch wenn dieser zentral liegen würde“, äußert sich
ein Architekt ablehnend der These gegenüber. Der Mietpreis übernimmt überraschend häufig
eher die Rolle des „Züngleins an der Waage“ bzw. eines groben, grundsätzlichen Orientie-
rungsrahmens ganz zu Beginn der Standortsuche – selbst wenn mitunter am Ende der
Standortsuche davon abgewichen und Abstriche beim Preis gemacht werden, um eine be-
stimmte Fläche zu bekommen.
In dieser Ausprägung sollten die Ergebnisse dennoch im Kontext des im bundesweiten Ver-
gleich relativ niedrigen Mietniveaus von Büro- und Gewerbeimmobilien in Berlin gewertet
werden. Hier liegen auch die Gründe dafür, warum nur ein relativ geringer Teil der Befragten
überhaupt angab, Kompromisse bezüglich der Lage oder der Räumlichkeiten bei der Stand-
ortwahl zu Gunsten des Mietpreises eingegangen zu sein. Betrachtet man die Art der Kom-
promisse genauer, lassen sich keine eindeutigen Tendenzen erkennen. Sechs der Befragten
erklärten eher Kompromisse bei den Räumen eingegangen zu sein, wohingegen sieben an-
gaben, eine unattraktivere Lage in Kauf genommen zu haben, um die Mietkosten langfristig
tragen oder sich besondere Räumlichkeiten leisten zu können.
Dies erscheint als logische Schlussfolgerung, zieht man die bisherigen Ergebnisse in Be-
tracht. Ist dementsprechend die räumliche Nähe zu Kunden und Geschäftspartnern, wie wir
sie häufig bei kreativen Dienstleistern von Werbeagenturen vorfinden, die in Berlin zum Bei-
spiel einen Standort innerhalb des zentralen Clusters der Werbeunternehmen in Mitte su-
Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft: Standortfaktoren und Immobilienstrategien
chen, werden am ehesten Einsparungen bei der Größe der Räumlichkeiten oder der Immobi-
lie in Kauf genommen. Ist das Unternehmen hingegen auf relativ große Räumlichkeiten auf-
grund eines Bedarfs für Präsentations-, Schulungs- und Seminarräume, Werkstätten oder
Lagerflächen angewiesen, rückt die Lage weiter in den Hintergrund.
Insgesamt zeigen die Ergebnisse zum ‚Kompromissverhalten’ kreativer Unternehmen, dass
sowohl der Mietpreis als auch die Größe der Räumlichkeiten vielmehr Suchkriterien und ei-
nen vorstrukturierenden Orientierungsrahmen darstellen und nur ergänzend direkt in den Ent-
scheidungsprozess einwirken. So erklärt ein kreativer Unternehmer, dass Quartiere wie Mitte
oder Schöneberg von vornherein aus der Suche ausgeschieden seien, weil hier das Mietni-
veau für Gewerberäume bei einer benötigten Mindestgröße nicht finanzierbar waren. Auch
die Größe der Räumlichkeiten variiert oder muss gezwungenermaßen an die wirtschaftliche
Lage des Unternehmens angepasst werden. Dennoch existiert eine Mindestgröße, die man
nicht unterschreiten darf oder sollte. Zudem ist es insbesondere in den kreativen Branchen
wichtig, auch Freiräume und Rückzugsorte zu gewährleisten, so die Chefin eines Designbü-
ros, die je nach Auftragslage zusätzliche Räume anmietet oder aufgibt. Eine nur selten vorge-
fundene Möglichkeit, bei hohen Quadratmeterpreisen dennoch einen bestimmten Standort zu
nutzen, bietet die mit anderen Büros geteilte Gemeinschaftsetage, durch die eine Optimie-
rung der Aufwendungen für Verkehrsflächen, Besprechungsräume, Küchen und Sanitärräu-
me erreicht werden kann.
Betrachtet man den Lagefaktor nach Maßstabsebenen differenziert, fällt zunächst auf, dass
die Unternehmen am ehesten bereit sind, innerhalb eines bestimmten Quartiers Kompromis-
se bei der Lage einzugehen. Auch wenn z.B. die räumliche Nähe zu Kunden und Geschäfts-
partnern für einige Unternehmen die Wahl eines bestimmten Quartiers bedingt, trifft dies auf
Mikroebene weniger zu. Innerhalb des Quartiers oder einer häufig fußläufigen Entfernung zu
Geschäftspartnern werden mehrere Immobilien mit ähnlichen Qualitäten in Betracht gezogen.
Diese Tendenz wird auch dadurch bestätigt, dass keine intensivere Kooperation oder Zu-
sammenarbeit zwischen Unternehmen innerhalb eines Gewerbehofs festgestellt werden
konnte. Anders als angenommen scheint des Weiteren die Lage innerhalb des Gewerbehofs
oder der Immobilie eine nicht unwichtige Rolle zu spielen. Der überwiegende Teil der inter-
viewten Unternehmen bevorzugt die oberen Stockwerke. Diese garantieren am ehesten die
bevorzugte Helligkeit der Räume und einen Weitblick. Allerdings ist das Vorhandensein eines
Fahrstuhls oder Lastenaufzuges sowie eine gute Beschilderung der Immobilie eine wichtige
Bedingung in diesem Zusammenhang, so dass Unternehmen von Kunden oder Geschäfts-
partnern leicht gefunden werden. Dennoch gibt es durchaus auch kreative Branchen, die eine
Erdgeschosslage präferieren bzw. diese sogar eine Grundvoraussetzung darstellt. Insbeson-
dere Modedesigner oder Galerien benötigen Ladenfronten und Präsentationsflächen, um
Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft: Standortfaktoren und Immobilienstrategien
Laufpublikum und Kunden für sich zu gewinnen. Auch Modellbauer ziehen eine ebenerdige
Lage vor, aufgrund von schwer transportierbaren Maschinen und besseren Verlademöglich-
keiten der fertigen Produkte. Unabhängig des Stockwerks stellen die Ausrichtung nach Sü-
den, der Blick ins Grüne oder aufs Wasser wichtige Lagekriterien auf Mikroebene dar. Aber
auch eine ruhige Innenhoflage ist beispielsweise für Aufnahmestudios aufgrund der Akustik
von hohem Stellenwert.
Zum Abschluss der Betrachtung der harten Standortfaktoren werden die Präferenzen der
kreativen Unternehmen in Hinblick auf die Ausstattung der Räumlichkeiten zusammenge-
fasst. Schenkt man den in den Medien gehandelten Trends Glauben, so sind es besonderes
die rohen, unsanierten Altbauräume, die vermehrt von Kreativen nachgefragt werden. Die Be-
fragung hat allerdings ein davon abweichendes Bild ergeben. Nur der kleine Kreis der kreati-
ven Pioniere sucht sowohl aus Kostenersparnis als auch aus Gestaltungsgründen bewusst
unsanierte Immobilien. Jedoch findet auch das andere Extrem der vollausgebauten Räum-
lichkeiten aufgrund der hohen Bedeutung, die dem eigenen Gestaltungspielraum zugespro-
chen wird, kaum Zuspruch unter den Befragten. Im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen
also sanierte Altbauten, die bereits über eine Basisinfrastruktur, wie z.B. Elektrizität und Tele-
kommunikation, sanitäre Anlagen oder Fahrstühle verfügen. Insbesondere die Ausstattung
mit technischer Infrastruktur nimmt eine herausragende Stellung ein. Zeichenbrett und Blei-
stift, Filmrollen und Fotolabore wurden im Zeitalter der Informations- und Kommunikations-
medien durch Programme wie AutoCAD, InDesign oder Photoshop ersetzt. Für die Übermitt-
lung digitaler Daten, den E-Mailversand oder Videokonferenzen werden leistungsstarke Inter-
netleitungen benötigt.
Nimmt man das Thema weiterer ergänzender Services in die Betrachtung auf, ist festzustel-
len, dass sich kaum deutliche Präferenzen kreativer Unternehmen für Immobilien mit ver-
stärktem Serviceangebot (z.B. Hackesche Höfe, Mitte) ergeben. Lediglich die durch einen
Pförtner oder Wachschutz gewährleistete Sicherung der Immobilie gilt für viele Befragte als
notwendige Bedingung und kann daher als wichtigster Faktor hervorgehoben werden. Jedoch
reicht hier die Bandbreite von Immobilien, die lediglich ab einer bestimmten Zeit vom Haus-
meister oder Pförtner abgeschlossen werden zu Immobilien mit permanenter Bewachung
durch professionelles Security-Personal.
Über diese Sicherheitsbedingungen hinaus gibt es zwei Tendenzen, die zum einen mit den fi-
nanziellen Ressourcen und der Größe des Unternehmens in Zusammenhang stehen und
zum anderen mit der Ausstattung der jeweiligen Quartiere. Klein- und Mikrounternehmen,
sowie kreative Selbständige lassen sich eher der Gruppe zu ordnen, die Tätigkeiten, wie z.B.
Botengänge, Wäscherei, Babysitter oder Catering selber organisiert und nicht bereit ist, für
solche Zusatzleistungen einen Mietzuschlag zu zahlen. Insbesondere größere, etablierte Fir-
Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft: Standortfaktoren und Immobilienstrategien
men nehmen dagegen durchaus einige Serviceleistungen in Anspruch oder würden eine fi-
nanzielle Aufwendung dafür in Kauf nehmen. Allerdings sprechen sich die meisten Befragten
eher für eine Bezahlung je nach temporärer Nutzung aus als für einen direkten Umschlag auf
den Mietpreis. Hier geht es in erster Linie um die Nutzung von zusätzlichen Räumen für Ta-
gungen, Seminare oder Schulungen, Dachterrassen und Außenbereichen sowie Kleintrans-
portern. Darüberhinaus setzen sich einige kreative Unternehmen intensiv für einen integrier-
ten Kindergarten oder eine alternative Kinderbetreuung am Standort ein. Ein zusätzliches
Service-Angebot insbesondere auch im gastronomischen Bereich stößt außerdem bei Unter-
nehmen auf Befürwortung, wo das direkte Umfeld über nicht ausreichende Möglichkeiten ver-
fügt, wie z.B. im Falle von Helmholtzstraße und Bülowbogen. An beiden Standorten hat der
Vermieter gezielt für ein – im einen Fall gut, im anderen schlecht angenommenes – gastro-
nomisches Angebot in den eigenen Flächen gesorgt. Gibt es allerdings ein umfangreiches
Angebot einer Vielzahl von Dienstleistungen in fußläufiger Entfernung (wie beispielsweise in
Mitte oder in Kreuzberg), so rücken integrierte Serviceleistungen am Standort weiter in den
Hintergrund.
Weiche Standortfaktoren: Image, Präsentation und Wahrnehmung
Nimmt man die weichen Standortfaktoren in den Blick, rücken Faktoren in den Mittelpunkt, die
in Zusammenhang mit dem Image, der Präsentation oder der Wahrnehmung der Immobilie
stehen.
Für den Großteil der befragten kreativen Unternehmen konnte bereits auf Quartiersebene
nachgewiesen werden, dass neben dem Image von Berlin als Kulturmetropole auch das vor-
herrschende Image der einzelnen Quartiere Einfluss auf die Standortentscheidung hat. Der
Aufbau von Images gewinnt ohne Zweifel bei Unternehmen vieler Branchen zunehmend an
Bedeutung. Hinter der Imageproduktion steht der Versuch, aufgrund von schnelllebigen Märk-
ten und immer kürzer werdenden Produktlebenszyklen auf sich aufmerksam zu machen, eine
Reputation zu erlangen und für sich und seine Produkte zu werben (Scott 2000). Ebenfalls
werden Themen wie die Ökonomie der Aufmerksamkeit diskutiert, also der Bedeutungszu-
wachs von Bildern als komprimierte Information in einer Welt eines stetig anwachsenden
Überangebots von Informationen und Optionen. Auch die gestiegene Bedeutung der ‚Produk-
tion von Erfahrungen’ – ein Thema mit Tradition vom fürstlichen Landschaftspark bis hin zu
Disney und Las Vegas – gehört in den Kontext des Standortfaktors Image und Wahrneh-
mung.
Welche Rolle aber spielt das Image auf der Mikroebene? Suchen kreative Unternehmen be-
wusst nach Arbeitsräumen in bekannten, imageträchtigen Immobilien? Oder welche Bedeu-
Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft: Standortfaktoren und Immobilienstrategien
tung wird der Immobilie für die Profilbildung beigemessen? Und inwiefern beeinflusst eine
Distinktionsstrategie des Vermieters die Standortentscheidung kreativer Unternehmen?
Die Ergebnisse zeigen nicht unerwartet auch auf Maßstabebene der Immobilie eine heraus-
ragende Relevanz von weichen Standortfaktoren auf. Diese spiegelt sich beispielsweise in
der wichtigen Rolle wider, die der Standort innerhalb der Unternehmenskommunikation ein-
nimmt. Insgesamt messen Dreiviertel der Befragten dem Standort eine mittel bis besonders
wichtige Bedeutung innerhalb ihrer Unternehmenskommunikation zu. Folgt man der Argu-
mentationslinie der Kreativen, spielen hier Aspekte wie „der besondere Auftritt“ oder die Dis-
tinktionsstrategie eine entscheidende Rolle. „Es macht für uns einen großen Unterschied, ob
man hier in ein x-beliebiges Haus reingeht oder in etwas Besonders“, erklärt der Leiter einer
Agentur. Zudem betont er „die bekannte Adresse des Spreespeichers“ durch die Ansiedlung
des Musikkonzerns Universal, sowie dessen Logogestaltung an der Außenfassade. Auch
wenn Ankerunternehmen keine direkte Auswirkung in Form von Unternehmenskooperation
haben, kann sich die Nähe grundsätzlich positiv für ansässige Unternehmen auswirken. Ob-
wohl Universal sogar in einer anderen Branche als das befragte Unternehmen tätig ist, profi-
tiert dieses von dem Landmark ‚Spreespeicher’. Insgesamt gaben fünf weitere Unternehmen
an, gezielt nach imageträchtigen Immobilien mit bekannten Adressen gesucht zu haben oder
diese strategisch für die eigene Profilbildung zu nutzen.
Ähnlich wie bei dem Risiko einer negativen Wirkung von Szenequartieren, wie wir sie exemp-
larisch rund um den Hackeschen Markt beobachten können, der bisweilen ablehnende Reak-
tionen bei lokalen Kunden und Kooperationspartnern hervorruft, kann ein solcher Fall auch
bei bekannten Immobilien eintreten. Zwei unserer Gesprächspartner gaben an, dass eine be-
kannte Adresse insbesondere in Verbindung mit einem standortprägenden Ankerunterneh-
men eine Art ‚Major-Phobie’ auslösen kann, die das Verhältnis einzelner Geschäftspartner zu
ihrem Standorten prägen. Der Vorwurf eines vermeintlichen Authentizitätsverlusts einer Im-
mobilie kann sich aber auch daran entzünden, dass ihre Popularität von kreativen Pionieren
begründet wurde, die mittlerweile hochwertig sanierten Räume jedoch heute von weitaus fi-
nanzkräftigeren Typen von Mietern genutzt werden. Setzt sich ein solches Image fest, können
je nach Kunde oder Geschäftspartner auch negative Imagewirkungen die Folge sein.
Ähnlich verhält es sich auch mit einprägsamen Eigennamen der Immobilie. Diese erhalten
grundsätzlich zwar bei vielen Interviewten aufgrund des Wiedererkennungswertes Zuspruch,
allerdings lehnen die meisten künstlich geschaffene Namen ohne einen aktuellen inhaltlichen
oder geschichtlichen, traditionellen Bezug zum Standort ab. Der Leiter eines Architekturbüros
erklärt beispielsweise, er habe sogar die Geschichte seines Unternehmensstandortes im
Stadtarchiv nachrecherchiert, um seinen Kunden diese vermitteln zu können. Der Architek-
turmarkt sei ein „Lifestylemarkt“, in dem „Repräsentation und Selbstdarstellung“ sehr wichtig
Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft: Standortfaktoren und Immobilienstrategien
seien. Daher müsse man sich mit dem Unternehmensstandort identifizieren können. Auch
werbliche Anstrengungen von Seiten der Vermieter sollten daher gezielt nach den Bedürfnis-
sen der kreativen Industrien ausgerichtet sein, so der interviewte Architekt.
Auch wenn die Image-, Erfahrungs- oder Erlebnisdimension der Immobilie eine nur schwer
fassbare Größe darstellt, können weitere Indikatoren zu ihrer signifikanten Bedeutung heran-
gezogen werden. In diesem Zusammenhang steht auch der ‚Look and Feel’ des Standorts,
dem von allen Interviewpartnern eine wichtige bis teilweise wichtige Bedeutung zu geschrie-
ben wurde. Hier geht es vordergründig um die Schaffung einer angenehmen Arbeitsatmo-
sphäre. „Du kannst nur so kreativ sein wie deine Mitarbeiter“, hebt ein Werbeunternehmer,
die Bedeutung einer geschützten Hoflage mit attraktiv gestalteten Außen-, Grün- und Wasser-
flächen hervor, die zu einer positiven Arbeitsatmosphäre beitragen würden. Das Argument
der stimulierenden und inspirierenden Wirkung des Arbeitsumfeldes ist dabei eindeutig ein
ökonomisches: der Geschäftserfolg, zu dem eine angenehme Atmosphäre am Standort bei-
trägt und die zusätzlich einladend auf Kunden und Geschäftspartner wirkt, steht klar im Vor-
dergrund.
Anders als bei der eigenen Gestaltung der Räumlichkeiten werden die Außenräume oder der
Innenhof der Immobilie fast ausschließlich von dem Vermieter gestaltet. Nur ein Unternehmen
gab an bei der Außenraumgestaltung mitgewirkt zu haben. Auch hier spielen neben rein funk-
tionalen Aspekten, wie Anlieferzonen und Stellplätzen eben besonders die Ausstattung mit
Grünflächen, (Dach-)Terrassen und Sitzgelegenheiten eine wichtige Rolle. So kritisiert ein Ar-
chitekt, die Umgestaltung eines Innenhofes, bei der eine Grünfläche mit Teich einem Park-
haus weichen musste. Aber auch ein effizientes Leit- und Lichtsystem, welches durch den
Gewerbehof führt, sowie Firmenschilder oder sogar die Darstellung der Unternehmensprofile
im Eingangsbereich sind notwendige Ausstattungsmerkmale. Insbesondere wenn Unterneh-
men auf Laufpublikum angewiesen sind, spielt die Zugänglichkeit und Präsentation eine her-
ausragende Rolle. Insgesamt lassen sich die befragten kreativen Unternehmen weder dem
Typ ‚schlicht und einfach’ noch dem Typ ‚durchgestylt und konzeptorientiert’ eindeutig zu ord-
nen. Vor allem der Erhalt des ursprünglichen Flairs und die Vermeidung einer ‚Partysierung’
des Hofes stellen wichtige Punkte im Zusammenhang mit der Außenraumgestaltung und der
Öffnung der Immobilie zum öffentlichen Raum dar. So geht die öffentliche Zugänglichkeit ein-
her mit gewünschten Eigenschaften wie Bekanntheit und Prestige, aber auch mit potenziell
störenden Touristenströmen, wie wir sie beispielsweise in den Hackeschen Höfen vorfinden.
Außerdem birgt die Öffnung der Immobilie immer auch ein gewisses Sicherheitsrisiko in sich,
wobei es nicht nur um den Schutz materieller Güter geht, sondern auch immaterieller wie
geistiges Eigentum. Es scheint gerade das Wechselspiel zwischen der geschützten Hoflage
vieler Immobilien und einer temporären Öffnung der Immobilie zum öffentlichen Raum durch
Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft: Standortfaktoren und Immobilienstrategien
Kulturevents, Hoffeste, Vernissagen oder sonstige Veranstaltungen zu sein, die den Vorstel-
lungen der Mehrzahl der kreativen Unternehmen am ehesten entspricht.
Die Gestaltung der Immobilie und ihre Ausstattung mit einer bestimmten räumlichen Infra-
struktur an Treffpunkten und Kommunikationsräumen sollte in der Befragung auch vor dem
Hintergrund der Theorieansätze der Wissensökonomie und kreativen Milieus sowie unseren
bisherigen Ergebnissen zur Bedeutung von räumlicher Nähe betrachtet werden. Aus der
Theorie der kreativen Milieus kann abgeleitet werden, dass eine Infrastruktur von Kommuni-
kationsräumen in der Standortsuche entscheidungsrelevant ist, da diese den Austausch von
Wissen und Ideen unter Mitarbeitern der ansässigen Firmen unterstützen. Bereits in der Aus-
gangsstudie rückte dieser Faktor jedoch unerwartet deutlich in den Hintergrund (vgl. Her-
kommer und Henckel 2008). Auch in der vorliegenden Studie wird diesem Faktor von den Be-
fragten im Verhältnis zu anderen Faktoren weniger Aufmerksamkeit geschenkt. 12 der be-
fragten Unternehmen wiesen der Ausstattung der Immobilie mit Treffpunkten nur eine geringe
bis teilweise wichtige Bedeutung zu. Auch wenn die Ausstattung der Immobilie mit Bänken,
Cafés, Dachterrassen oder Kantinen durchaus gewünscht ist, scheint diese nicht vorrangig
mit dem Wissensaustausch der Unternehmen am Standort in Verbindung zu stehen. Aussa-
gen wie die, dass „man einmal quer über den Hof läuft und 20 Kunden und Partner trifft“ wa-
ren eher selten. Überwiegend konnten keine signifikanten Anhaltspunkte für die Intensivie-
rung der Austausch- und Kooperationsbeziehungen innerhalb einer Immobilie oder eines
Gewerbehofes durch gestaltete Kommunikationsräume festgestellt werden. Lediglich bei gro-
ßen Unternehmen, die sich ihre kleineren kreativen Dienstleister direkt im Gebäude ansie-
deln, werden Aufenthaltsräume in der Immobilie gezielt als Räume des Wissensaustauschs
gesucht. Insgesamt sollten diese Ergebnisse jedoch in zweierlei Hinsicht nicht missverstan-
den werden: erstens werden gestaltete Aufenthaltsräume wie beschrieben durchaus ge-
wünscht – nur wird deren Funktion nicht immer primär als Orte des Wissens- und Ideenaus-
tausch gesehen. Zweitens spielt eine räumliche Infrastruktur aus Treffpunkten zum Wissens-
austausch durchaus eine Rolle – nur eben nicht zwingend in der eigenen Immobilie. Dies
zeigte sich bei der Frage nach Branchentreffpunkten und der Nähe zu anderen kreativen Un-
ternehmen, denn die Treffpunkte werden im Quartier in fußläufiger Entfernung gesucht. Der
Grund hierfür ist unseres Erachtens eindeutig in einer nur geringen Kooperationsintensität
zwischen den Mietern in den Gewerbehöfen zu sehen. Zumal Firmen, die aufgrund von Vor-
teilen durch Nähe zu einem Kooperationspartner oder Auftraggeber den Standort wechseln,
eher selten die Gelegenheit bekommen werden, in dieselbe Immobilie wie dieser Partner zu
ziehen. Für den Ideenaustausch sind daher entsprechende Orte im Quartier von größerer
Bedeutung, Von Vermieterseite wurde im Übrigen in einzelnen Fällen auch eine Abnahme der
internen Vernetzung und Kooperation an den Standorten beschrieben.
Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft: Standortfaktoren und Immobilienstrategien
3.4. Veränderungsbedarf: Vermieterstrategien und Stadtentwicklungspolitik
Das alt bekannte Thema der Gentrifizierung, ein Prozess der Aufwertung von marginalisierten
Quartieren durch Künstler, Kreative und Studenten, die in Folge von Mietsteigerungen durch
einkommensstärkere Schichten verdrängt werden, wurde durch die Kreativwirtschaftsdebatte
neu entfacht. Demnach nutzen die verantwortlichen Stadtregierungen oder Immobilienanbie-
ter bewusst kreative Unternehmen als Schlüsselakteure innerhalb eines Aufwertungsprozess
von heruntergekommen Immobilien oder Quartieren. Die reine Zweckorientierung dieser Stra-
tegie oder die Nutzung der Kreative als ‚Hefe im Teig’ kommt dann zum Vorschein, sobald in
Folge der Inwertsetzung der Orte eine erzwungene Abwanderung der ansässigen Kreativen
durch gestiegene Preis- und Mietniveaus erfolgt. Der öffentliche Protest gegen zunehmende
Gentrifizierungsprozesse in Berliner Szenequartieren lässt vermuten, dass sich insbesondere
die kreativen Pioniere für die Attraktivitätssteigerung der Bestände in ihrer Rolle instrumenta-
lisiert fühlen, wenn sie sich anschließend den eigenen Standort nicht mehr leisten können.
Aber wie schätzen die Kreativen ihre eigene Position innerhalb dieses Aufwertungsprozesses
ein? Wo sehen sie am meisten Veränderungsbedarf bei der Strategie der Vermieter und der
Gestaltung der Immobilie oder auf Quartiersebene und damit im Rahmen von Stadtentwick-
lungsmaßnahmen? Und inwiefern zeigen sich auf der anderen Seite Stadt und Vermieter fle-
xibel oder bereit kreativen Unternehmen besondere Zugeständnisse zu machen?
Entgegen der öffentlich vorherrschenden Meinung vermuten die Kreativen in den meisten der
untersuchten Fälle keine beabsichtigte Strategie des Vermieters, die darauf abzielt, vor allem
kreative Unternehmen am Standort anzusiedeln. Nur vier der befragten Unternehmen berich-
ten über ein ‚Kreativ-Branding‘ des Vermieters. Hierbei handelt es sich um die Immobilien der
Hackeschen Höfe oder des Bülowbogens, bei denen der Vermieter aus Sicht einiger Kreati-
ver ein spezielles Marketing verfolge, was gezielt auf den Kreativsektor ausgerichtet sei. An
den anderen Standorten stehe schlicht die Vermietung der Räume im Vordergrund um „einen
lebendigen Standort“ zu schaffen, in dem es „keine dunklen Ecken“ gäbe, vermuten mehrere
befragte Unternehmen. Insbesondere bei den Gewerbehöfen der GSG-ORCO haben einige
der Befragten die Belegungspolitik des Vermieters als Beispiel genannt, die gezielt die Mi-
schung aus Handwerk und hochspezialisierten Enklaven der Wissensökonomie zu erhalten
bzw. unterstützen. Die Tatsache, dass alle untersuchten Standorte zu den Schwerpunktad-
ressen der Kreativwirtschaft in Berlin zählen, begründeten die Befragten mit dem Marktge-
schehen, in dem die Nachfrage der Kreativen nach brachgefallenen Industrieflächen auf ein
entsprechendes Angebot an Räumlichkeiten trifft. Interessanterweise wird hier neben der
nüchternen Analyse, dass eine Nachfrage mehr oder weniger zufällig auf ein Angebot trifft,
Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft: Standortfaktoren und Immobilienstrategien
eine zentrale Aussage über das Standortverhalten von Kreativen getroffen: es wird von einem
spezifischen Geschmack ausgegangen, der einen bestimmten Architekturstil, die für Gewer-
behöfe typische Ausprägung einer räumliche Abfolge und das Motiv der Überformung und
Umdeutung der Hinterlassenschaften eines überkommenen Wirtschaftsmodells gegenüber
der Bandbreite alternativer Architektursprachen und Raumtypen bevorzugt.
Überraschenderweise fühlte sich nur einer der 19 Interviewten in seiner Rolle als kreativer Pi-
onier instrumentalisiert. In dem Konzept ihres Vermieters sieht die Modedesignerin eine „Illu-
sion“, denn die „Mode nach Maß von Berliner Jungdesignern, die selber am Standort produ-
zieren“, gäbe es in solch einer Form heute fast nicht mehr innerhalb des Gewerbehofes. Auch
sie sieht sich mit steigenden Mietpreisen konfrontiert, musste sich am Standort bereits ver-
kleinern und ihre Produktionsstätte räumlich verlagern.
Entsprechend der bisherigen Ergebnisse lässt sich auch das Verhältnis der befragten Kreati-
ven zu ihrem Vermieter weitestgehend als problemlos einstufen. Der Großteil hat keine Ver-
ständigungsprobleme mit seinem Vermieter und beurteilt die Kommunikation als „sachlich
und gut“, „verständnisvoll“ oder „stressfrei“. Teilwiese wird sogar von Treffen berichtet, bei
denen Veränderungen, Neuerungen oder auch Mängel besprochen werden. Hier werden
„Schwierigkeiten offen ausgetragen“ und versucht „gemeinsam eine Lösung zu finden“. Zu
Verärgerungen seitens der Kreativen kommt es dann, wenn der Vermieter seine Rolle nicht
den Erwartungen entsprechend erfüllt. Bemängelt werden vorwiegend eine fehlende Transpa-
renz, Verlässlichkeit und Erreichbarkeit des Vermieters. Nur einer der Befragten gab an, gar
kein Verständnis für die Profitorientierung ihres Vermieters aufzubringen und schilderte ein
problematisches Verhältnis: „Am Anfang war das Verhältnis gut. Heute reden wir zwar noch
mit den gleichen Bildern, aber sprechen nicht mehr die gleiche Sprache. Was nach Außen
kommuniziert wird, stimmt mit der Realität nicht mehr über ein.“
Die insgesamt relativ problemlose Verständigung mit dem Vermieter, spiegelt sich auch in der
Zufriedenheit der Kreativen mit ihren Vertragsbedingungen wider. 15 der 19 Befragten sehen
diese nicht als auffällig verbesserungswürdig an. Oftmals heben sie zudem die flexible Ge-
staltung ihrer Mietverträge positiv hervor, ein Aspekt, dem bereits in der Ausgangsstudie hohe
Priorität von Seiten der Kreativen zu geschrieben wurde. Dieses betrifft insbesondere den
Spielraum in der Eigengestaltung durch die Nutzer, welcher einen wichtigen Stellenwert in der
Standortentscheidung der Kreativen einnimmt. Zum einen gibt es Mietarrangements, bei de-
nen kreative Unternehmen, ihren Ausbau zugunsten einer günstigeren Miete selber finanzie-
ren können. In anderen Fällen erfolgt die Finanzierung durch den Vermieter, die einen Um-
schlag auf die Mietkosten zur Folge hat. Fünf der Befragten konnten darüber hinaus hinsicht-
lich der Laufzeit besondere Mietarrangements mit ihrem Vermieter vereinbaren.
Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft: Standortfaktoren und Immobilienstrategien
In Hinblick auf Verbesserungsvorschläge und Wünsche von Seiten der Kreativen, tritt die Im-
mobilie weit hinter der Quartiersebene zurück, wo 13 der Befragten deutlich mehr Verände-
rungsbedarf sehen. Der überwiegende Teil der Befragten hat sogar nur geringe Verbesse-
rungsvorschläge in Bezug auf Immobilienfaktoren anzubringen. Auf Quartiersebene sehen
dagegen immerhin neun der Befragten einen mittleren Veränderungsbedarf und vier sogar
einen großen, was insbesondere die Gewerbehöfe abseits der kreativen Szenequartiere be-
trifft. Dies Bild spiegelt noch mal das größtenteils zufriedene Mieterportrait dieser Studie wi-
der.
Werfen wir nun einen genaueren Blick auf die verbesserungswürdigen Faktoren, so konzent-
rieren sich diese sowohl auf Immobilien- als auch auf Quartiersebene im Wesentlichen auf
vier Bereiche: 1. Telekommunikations- und Verkehrsinfrastruktur, 2. Aufenthalts- und Außen-
flächen, 3. Vergabe- und Belegungspolitik 4. Image- und Distinktionsstrategien.
Die Forderung nach Verbesserungen der technischen Infrastruktur am Standort und dessen
Umfeld wurde neben der Qualität und der Gestaltung der Aufenthalts- und Außenflächen am
häufigsten von den Befragten angeführt. Bemängelt wurden insbesondere die Qualität und
Kosten der Ausstattung der Immobilien mit Telekommunikationstechnik. Hier wünschen sich
viele eine größere individuelle Anpassung an ihre Bedürfnisse. Seit der Privatisierung der
Netze ist dieses nicht mehr unmittelbar ein Handlungsfeld städtischer Politik. Es ergeben sich
insbesondere dann Handlungsanforderungen an den Vermieter, wenn die ‚handelsübliche’
Bandbreite der lokalen Anbieter unterdurchschnittlich ist. Zum Beispiel sind Teile des Media-
spree-Gebietes mit Glasfaserkabeln ausgestattet worden, während die herkömmliche DSL-
Erschließung auf eine 1.000er bis 2.000er Bandbreite beschränkt blieb. Nach dem Ausblei-
ben der weiteren flächendeckenden Entwicklung der Glasfasertechnik ist die im Straßenland
des Mediaspree-Areals verbaute Infrastruktur jedoch gar nicht nutzbar. Gleichzeitig wird an-
gesichts der verlustreichen Verlegung der Glasfasern auf eine Aufwertung des DSL-Angebots
vor Ort verzichtet. Hier können vor allem große Immobilienanbieter wie die ORCO-GSG mit
ihrem eigenen funktionierenden Hochgeschwindigkeits-Glasfasernetz in allen Höfen ein sehr
attraktives Angebot machen. Für kleinere Vermieter in ähnlichen Situationen drängt sich je-
doch ebenfalls eine eigene Lösung, beispielsweise mit Anbietern leistungsfähiger Funknetze
an. Bezogen auf die Verkehrsinfrastruktur, geht es in erster Linie um die Anbindung des je-
weiligen Standortes oder um die direkte Umgebung des Gewerbehofes. Beispielsweise ist ei-
ner der größten kreativen Gewerbehof in Berlin (Helmholtzstraße) nur durch eine Buslinie in
das Berliner ÖPNV-System eingebunden, was wenig überraschend von den ansässigen Un-
ternehmen negativ bewertet wird. An anderen Standorten stehen eher die häufig problemati-
sche Parkplatzsituation der dicht bebauten Innenstadtquartiere, der Wusch nach verkehrsbe-
ruhigten Zonen und einem besseren Ausbau der Radwege im Vordergrund. Allerdings muss
Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft: Standortfaktoren und Immobilienstrategien
man die Forderungen nach Investitionen in diesem Bereich vor dem Hintergrund der insge-
samt guten Bewertung des öffentlichen, sowie des Individualverkehrs der Stadt Berlin von
Seiten der Befragten betrachten. Daher sollte es für die Stadt vor allem um den Erhalt und
Ausbau der vorhandenen Stärken gehen.
In Quartieren wie Mitte oder Kreuzberg, die durch ein vielseitiges Kultur- und Freizeitangebot
bestechen, mag diese Handlungsempfehlung auch auf die gebotene Qualität der Aufenthalts-
und Freiflächen zutreffen. Im Rahmen von Stadtentwicklungsmaßnahmen sollte es in diesem
Fall darum gehen die vorhandenen Stärken aufrechtzuerhalten und einer möglichen negati-
ven Entwicklung entgegenzuwirken. Denn eine zunehmende vom Markt gesteuerte Entwick-
lung, die lediglich ein Angebot für Touristen beinhaltet, könnte langfristig ein „Umkippen“ sol-
cher Szenequartiere bewirken, wie wir es bereits ansatzweise am Hackeschen Markt be-
obachten können. Daher verlangen ansässige Kreativunternehmen hier besonders ein Ein-
greifen der Stadt, um eine weitere Ansiedlung von Hostels und Kettenunternehmen am
Standort zu verhindern und die Entwicklung zum „Ballermann Berlins“ abzuwenden. Auf der
anderen Seite nimmt abseits der kreativen Szenequartiere die Verbesserung der teilweise
sogar als mangelhaft angesehen Ausstattung des Quartiers mit qualitativ hochwertigen öffent-
lichen Räumen, gastronomischen Einrichtungen, Hotellerie oder sonstigem kulturellen Ange-
bot eine bedeutende Rolle ein. So nehmen bisher Immobilien wie der Bülowbogen mit einem
hohen Aufenthaltswert innerhalb des Gewerbehofes quasi eine Insellage innerhalb eines
Quartiers ein, was kaum Aufenthaltsqualitäten zu bieten hat.
Insgesamt wurde die Qualität der Außenflächen der einzelnen Immobilie nur an zwei Standor-
ten von den interviewten Unternehmen durchweg als positiv empfunden bzw. als nicht ver-
besserungsbedürftig eingeschätzt. Häufig wird das Verhältnis der Anzahl an Stellplätzen ge-
genüber reduzierter Aufenthaltsqualität am Standort kritisiert oder als verbesserungsfähig be-
schrieben. Auch wenn Immobilien wie z.B. in der Schlesischen Straße mit einer einmaligen
Wasserlage auf den ersten Blick bestechen, kompensiert diese dennoch nicht fehlende Auf-
enthaltsflächen wie Terrassen, Sitzgelegenheiten oder Grünflächen, die diese einmalige Lage
für alle Mieter nutzbar bzw. erlebbar machen.
In Zusammenhang mit der Aufenthaltsqualität stehen auch Fragen nach Art der Gestaltung.
Obwohl der überwiegende Teil der Interviewten hier eindeutig eine Aufgabe des Vermieters
sieht, wünscht sich ein Großteil der Kreativen Mitspracherechte in diesem Bereich. Insbeson-
dere bei größeren Veränderungen (z.B. Bau eines Parkhauses zuungunsten von Grünflä-
chen) oder wenn die Gestaltung der Immobilie auf den vermeintlich kreativ-künstlerischen Be-
reich abzielt (z.B. Kunst am Bau), sehen einige der Mieter die Kompetenz des Vermieters
überschritten. „Bei gestalterischen Fragen sollten die Mieter zwecks Identifikation mit dem
eignen Standort immer beteiligt werden“, so ein Architekt, der bei einigen Umgestaltungen
Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft: Standortfaktoren und Immobilienstrategien
des Gewerbehofes gerne eine beratende Funktion eingenommen hätte. Aber nicht nur in die-
sem Zusammenhang würden Kreative Mitspracherechte wünschenswert finden, sondern
auch im Bereich der Vergabe- und Belegungspolitik der Vermieter. Hier geht es zum einen
um die Möglichkeit selber zusätzliche Flächen in der Immobilie anzumieten, aber auch um
(potentiellen) Kooperationspartnern und Kunden Räume zu vermitteln. Eine transparente
Vergabe- und Belegungspolitik ist darüber hinaus für viele Kreative wichtig, um auch unge-
wünschte Ansiedlungen am Standort zu verhindern oder wenigsten beeinflussen zu können.
Das betrifft nicht nur direkte Konkurrenzunternehmen, sondern auch solche, die z.B. eine ho-
he Lärm- und Geräuschkulisse (u.a. Druckereien) verursachen und sich daher als unmittelba-
re Nachbarn für z. B. Film- und Tonstudios nicht eignen.
Die Forderung nach transparenteren Informationen über Flächenverfügbarkeiten auf der
Quartiersebene war ein wesentliches Ergebnis der Ausgangsstudie. Daher wurden die Inter-
viewten dieser Studie zusätzlich gefragt, ob sie sich an Versuchen des Senats oder des Be-
zirks beteiligen würden, bei denen versucht wird mit Subventionen Immobilien in problembe-
hafteten Quartieren zu Kreativzentren zu entwickeln und so Räume für die Kreativwirtschaft
zu schaffen bzw. schwer umzunutzende und schwer zu vermarktende Immobilien neuen Nut-
zern zuzuführen. Solche subventionierte Zentren werden zwar von vielen Befragten als
unterstützenswert empfunden. Allerdings können sich nur wenige ein eigenes Engagement
vorstellen und das auch nur dann, wenn es an bestimmte Bedingungen gebunden ist. Nicht
überraschend spielt die Bedeutung von standortbezogener Förderung in genannter Form für
etablierte Unternehmen lediglich in Hinblick auf die Eröffnung einer Zweigstelle eine Rolle.
Die Strategie funktioniert in erster Linie in Form von Gründerzentren und ist damit vor allem
für Start-ups interessant, so die Meinung einiger Interviewter. Aber auch Unternehmen, die
besonderen Wert auf quartiersbezogene Faktoren legen, können sich nur bedingt vorstellen
bei solchen Projektvorhaben zu partizipieren. „Sinnvoll ist das aus Sicht der benachteiligten
Quartiere. Ich würde nur mitmachen, wenn auch wichtige Agenturen dahin ziehen würden“,
bemerkt die Leiterin eines Medienunternehmens aus Mitte. Außerdem müssen die Anstren-
gungen von Seiten der Stadt gezielt an den Bedürfnissen der kreativen Industrien ausgerich-
tet sein. Einige der Befragten warnen vor unüberlegtem Handeln, d.h. die Maßnahmen sollte
nicht das Ziel verfolgen, künstlich geschaffene Strukturen zu fördern, sondern eine tragfähige
und nachhaltige Entwicklung anzustoßen. Hier sehen auch die Gegner dieser Maßnahmen ih-
re Ablehnung solcher Entwicklungskonzepte gegenüber begründet. Diese fordern das Her-
aushalten der öffentlichen Hand aus der Standortwahl der Kreativwirtschaft. Denn ihrer Mei-
nung nach lassen sich „Kreative nur schwer in spezielle Orte stecken“ und „Kreativität nicht
auf dem Reißbrett planen.“ Investieren sollte die Stadt daher ihrer Meinung nach eher in die
Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft: Standortfaktoren und Immobilienstrategien
Stärkung der Managementfähigkeit kreativer Unternehmen und in die Schaffung von leicht
zugänglichen Fördermitteln, die speziell auf die Kreativwirtschaft zugeschnitten sind.
Um die Schaffung von nachhaltigen Strukturen geht es den Kreativen auch in Hinblick auf die
Verbesserung von Image- und Distinktionsstrategien. Auf Quartiersebene betonen die Kreati-
ven insbesondere die Gefahr der Gentrifizierung und damit die Entwicklung zum „Schicki-
Micki“- Viertel durch Marketingkampagnen der Stadt, die letztlich eine Verdrängung der Krea-
tiven zur Folge haben könnten. Daher fordern die meisten Befragten klare, stadtplanerische
Entwicklungskonzepte sowie sinnvolle und langfristig geplante Imagekampagnen, die einen
Bezug zum Quartier aufweisen. Unter diesen Bedingungen findet auch der Einsatz von Krea-
tiven als Promotoren im Quartier einen Zuspruch.
Auf Immobilienebene schwankt die Meinung ebenfalls zwischen einer gewünschten Aufwer-
tung in Form von Kulturevents, Galerien, Hoffesten oder sonstigen Veranstaltungen und der
Gefahr einer ‚Partyisierung’ oder ‚Eventisierung’ des Standortes. Wie bereits im vorherigen
Kapitel angedeutet, scheint die optimale Lösung eine Gratwanderung zwischen den Extremen
‚Kreativ-Branding’ auf der einen Seite und einfache Vermarktungsstrategie auf der anderen
zu sein.
Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft: Standortfaktoren und Immobilienstrategien
4. Auswertung der Vermieterbefragung
Die Ergebnisse der Vermieterbefragung können aus offensichtlichen Gründen nicht im Detail
standortbezogen wiedergegeben werden. Um einleitend noch einmal die Annahmen zu rekapitu-
lieren, die für die Befragung der Vermieter getroffen werden, sind im Folgenden noch einmal die
wichtigsten Schlagzeilen aufgeführt:
Die befragten Vermieter haben eine präzise Strategie für Kreative und sind auf sie speziali-
siert.
Vermieter sehen Kreative als Instrument einer Aufwertungsstrategie für Quartier und Im-
mobilie.
Die Rolle von Ankerunternehmen als Meinungsmacher und wichtige Kooperationspartner
für zahlreiche kreative „Zulieferer“ wird von Vermietern erkannt.
Mietern werden wenig Mitgestaltungsmöglichkeiten und tendenziell kein Einfluss auf Ver-
gabepolitik eingeräumt.
Im Bewusstsein der Vermieter ist die Bedeutung der architektonischen Qualität des eige-
nen Angebots fest verankert.
Das Thema Wohnen steht für Anbieter reiner Gewerbehofimmobilien nicht im Vordergrund.
Vermieter erwarten von der Stadtentwicklungspolitik eine bedingungslose Stärkung der
Kreativwirtschaft und ein Bemühen um die Aufwertung kreativer Quartiere.
Öffentlich subventionierte Kreativzentren allein oder in Kooperation zu betreiben, ist für
Vermieter uninteressant, Kooperation mit der öffentlichen Hand wird eher auf anderen
Ebenen für möglich befunden.
Es wurden die Vermieter von insgesamt sieben Standorten befragt. Drei dieser Standorte befin-
den sich im Eigentum der ORCO-GSG. Von den übrigen vier Standorten liegen bei nur einem
ebenfalls Eigentum und Verwaltung in einer Hand. In drei Fällen sind die Immobilien im Besitz
privater Einzeleigentümer, die Externe mit Betrieb und Verwaltung beauftragt haben. In diesen
Fällen haben wir die Verwaltungen, nicht die Eigentümer befragt.
Das älteste untersuchte Gebäude sind die Hackeschen Höfe, deren früheste Bauten bereits 1858
errichtet wurden. Den jüngsten Altbau stellt eines der Gebäude der Spreespeicher, das im Jahr
1929 erbaut wurde. Beide Standorte können als die Immobilien mit der aufwändigsten Sanierung
im Teilnehmerfeld dargestellt werden, wobei im Falle der Hackeschen Höfe besonderer Wert auf
die Wiederherstellung der historischen Fassaden und übrigen baulichen Details gelegt wurde, um
ein authentisch historisches Ambiente sowohl der Fassaden und Außenräume als auch der innen
Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft: Standortfaktoren und Immobilienstrategien
liegenden Flächen (insbesondere der Verkehrsflächen) zu erzeugen. Im Falle der Spreespeicher
wurde einerseits großer Aufwand für die bessere Belichtung der sehr tiefen Gebäude als auch für
die Herrichtung und Anpassung der Fassaden betrieben. Im Inneren wurde statt auf eine histori-
sierende Atmosphäre auf moderne Ausstattung und zeitgemäßes Design Wert gelegt.
Auch unter den anderen Standorten befindet sich keiner, der in einem schlechten baulichen Zu-
stand wäre, in allen Fällen wurden zumindest die Fassaden umfassend saniert und die Mietflä-
chen grundmodernisiert – mit allerdings stark abweichenden Ausstattungs- und Ausbauniveaus.
Der auf Erhalt der historischen Details, auf hohe Wertigkeit und liebevolle Bepflanzung ausge-
richteten Sanierung des Bülowbogens stehen deutlich schlichtere Erhaltungsmaßnahmen wie in
den beiden Standorten in der Schlesischen Straße gegenüber. Das Bild einer außergewöhnli-
chen Konstellation aus aufwändigen Sanierungs- und Umbaumaßnahmen und einem am Auf-
wand gemessen ästhetisch eher enttäuschenden Ergebnis stellt sich im nichtsdestotrotz belieb-
ten Gewerbehof Helmholtzstraße dar. Wertvollen und hervorragend wiederhergestellten Fassa-
den stehen die Kehrseiten einer etwas brachialen Entkernung gegenüber. Hinter den historischen
Fassaden eröffnen sich betonierte Büroflächen von durchschnittlichem Neubaustandard, die den
Charme der Außenansicht leider schnell vergessen machen. Für eine überdimensioniert erschei-
nende Zahl ebenerdiger Parkplätze sowie ein Parkhaus wurde auf (halb-)öffentliche Räume mit
Aufenthaltsqualität verzichtet bzw. zuvor vorhandene Grünanlagen zubetoniert. Insgesamt lässt
sich hier der Eindruck übermotivierten Modernisierungswillens nicht ganz vertreiben.
Wie die baulich-ästhetischen Qualitäten ist auch das Flächenangebot der Standorte sehr unter-
schiedlich und reicht von 8.700 m2 bis 38.000 m2. Nur zwei der sieben Immobilien bieten aus-
schließlich Gewerbenutzungen an, fünf Standorte integrieren dagegen auch Flächen für Gastro-
nomie, Einzelhandel oder Wohnen.
Wie erwartet bekundet die überwiegende Mehrheit der Vermieter (fünf von sieben), Kreative ge-
zielt anzusprechen bzw. sich auf Kreative als Zielgruppe zu spezialisieren. Hervorstechendstes
Beispiel ist eine Immobilie, die nach Vermieteraussage mithilfe sehr gezielter Vergabe- und
Kommunikationspolitik auf dem Markt der Kreativwirtschaft positioniert wird und mit einer ausge-
prägten, weithin bekannten Marke (aktives Branding) so etwas wie die Topadresse auf diesem
Markt der Kreativen-Standorte darstellt. Demgegenüber wurde von anderen Vermietern häufig
einschränkend angemerkt, dass die eigene Spezialisierung auf Kreative keine ausschließliche
Konzentration bedeuten würde. Vielmehr würden gezielt insbesondere Handwerksunternehmen
und Leichtindustrie angesiedelt, auch aus Gründen der Wahrung einer authentischen Mischung.
Da keiner der Standorte Leerstandsprobleme aufweist und bei mindestens dreien der Höfe sogar
Wartelisten von Mieteranfragen geführt werden, erscheinen die Vermieter durchaus in der kom-
fortablen Lage, sich die Mieter nach eigenen Kriterien aussuchen zu können. Eine weitere Ein-
schränkung hinsichtlich der spezialisierten Ansprache der Kreativwirtschaft als Zielgruppe mach-
Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft: Standortfaktoren und Immobilienstrategien
ten insbesondere die Vermieter zweier Standorte, an denen eine spezielle „Kreativenstrategie“
vor einigen Jahren gefahren wurde, die in der Form als aktive gezielte Ansprache heute nicht
mehr weitergeführt zu werden braucht bzw. hinter die Ausbalancierung der Belegung gerade
durch andere Branchen zurücktritt. Interessant sind in diesem Zusammenhang auch die Hinweise
auf die Hintergründe, die mit dem wirtschaftlichen Strukturwandel der Stadt zusammenhängen.
So fiel der Beginn der Ausrichtung auf Kreative in einigen Fällen mit den schweren Einbrüchen
des produzierenden Gewerbes in Berlin nach dem Mauerfall zusammen. Verbreitet wurde in die-
sem Fall die Vermutung getätigt, dass sich insbesondere zu dieser Zeit kaum jemand anders als
Kreative für Gewerbehöfe als Standorte interessierte. Gerade für diese Phase der Entwicklung
wurde die Bedeutung von in den kreativen Szenen gut vernetzten Promotoren betont. Anderer-
seits wurde auch auf die besonderen Anstrengungen um erste spezialisierte Flächen- und Ver-
mietungsangebote wie Bürogemeinschaften für Freelancer und Start-Ups sowie unter mehreren
Parteien geteilte Etagen verwiesen. An anderen Standorten setzte die Orientierung auf Kreative
erst mit dem Aufstieg der ‚New Economy’ ein, zu einem Zeitpunkt also, als es bereits so etwas
wie das Klischee von den ‚Kreativen in den Backsteinhöfen’ gab.
Entgegen der im Vorfeld getroffenen Annahme werden Firmen der Kreativwirtschaft seitens der
Vermieter in der Mehrzahl als „gewöhnliche Mieter“ (fünf von sieben) angesprochen und nicht im
Rahmen einer „Hefe-Strategie“ (zwei von sieben), die auf die Aufwertung von Standort und Im-
mobilie im Zuge der viel diskutierten gentrifizierenden Wirkung von Kreativen setzt. Hier wurde
eher argumentiert, das umgebende Quartier erfahre durch die Beliebtheit bei Kreativen eine Auf-
wertung vor allem als Wohn- und Freizeitstandort. Die positive Wirkung auf die eigene Immobilie
wurde aus einer solchen Betrachtung erstaunlich konsistent ausgeklammert.
Inwiefern diese Aussagen generalisierbar sind, ist schwer zu beurteilen. Denn unter den Standor-
ten ist aktuell keiner von Vermarktungsschwierigkeiten betroffen, weshalb womöglich eine solche
strategische Überlegung noch gar nicht konkret in Betracht gezogen wurde – in einem Fall wurde
uns direkt bestätigt, erst durch unsere Frage auf eine solche mögliche Veredelungsstrategie mit-
hilfe von kreativen Firmen aufmerksam gemacht worden zu sein. Ferner werden an einigen
Standorten bereits sehr etablierte Firmen der Kreativwirtschaft angesprochen und ein ver-
gleichsweise hohes Mietniveau verlangt, so dass kaum noch größere Steigerungen durch eine
solche Strategie erzielbar wären.
Unter den Methoden der Ansprache dominieren klassische Wege über Anzeigen in verschiede-
nen Medien oder auch das Einschalten von Maklern. An zwei Standorten wird auf Kunst- und
Kulturevents gesetzt. Der gezielte Einsatz ausgewählter Promotoren wird nur in einem Fall auch
für die Gegenwart eindeutig bestätigt. In der Vergangenheit haben von diesem Instrument jedoch
insgesamt drei der sieben Anbieter Gebrauch gemacht. Auch ohne eine solche explizite Promo-
torenstrategie geben alle Vermieter an, auf die eigenen Mieter zu setzen, wenn es darum geht,
Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft: Standortfaktoren und Immobilienstrategien
den Standort in den kreativen Szenen bekannt zu machen. Insgesamt wird der gegenseitigen
Anziehungskraft von kreativen Firmen eine hohe Bedeutung beigemessen („Kreative gehen da-
hin, wo schon andere Kreative sind“). Dies ist einerseits ein Hinweis auf gegenseitige Anziehung
von Kreativen auch ohne faktisch existierende oder im Aufbau befindliche lokale Kooperationen –
offenbar allein aus Gründen einer gemeinsamen Arbeitskultur, eines gemeinsamen geschäftli-
chen Milieus mit ähnlichen Werten und Codes. Andererseits verweist dies auf die hohe Bedeu-
tung von Mund-zu-Mund-Propaganda als Vertriebsweg innerhalb kreativer Zielgruppen. Zwar
nutzen auch die Vermieter, die sich nicht auf Kreative als Zielgruppe spezialisieren, den Koopera-
tions- und Bekanntenkreis ihrer Bestandsmieter in der Vermarktung, verhalten sich dabei jedoch
eher passiv. Eine Quantifizierung des angesprochenen ‚Mundpropaganda-Effekts’ konnte durch
einen Vermieter angegeben werden, der auf der Basis selbst erhobener Zahlen davon ausgeht,
dass bei weitem der Großteil des jährlichen Flächenumsatzes durch Mund-zu-Mund-Vermarktung
erzielt wird. Dabei werden der Weitergabe der eigenen Fläche an Nachmieter einerseits und an-
dererseits dem Versuch, die eigenen Kooperationspartner an den Standort zu bekommen, in
etwa gleich viel Gewicht beigemessen.
Die Rolle von Ankerunternehmen der Kreativwirtschaft wird von den Vermietern zwiespältig beur-
teilt. Zwar identifizierten die Vermieter an den von uns ausgewählten Standorten mit Ankerunter-
nehmen (in der Umgebung bzw. am Standort selbst) durchweg die von uns im Vorfeld gefunde-
nen Ankerfirmen (und teilweise zusätzliche). Eine die eigene Vermietung potentiell unterstützen-
de Rolle der Ankerunternehmen wurde jedoch nur von zwei Vermietern (mit Ankern am eigenen
Standort) gesehen. Hier erscheint uns noch Potenzial für Vermarktungsaktivitäten zu liegen, die
Vorstellungskraft für innovative Kooperationsformen ist hier bei weitem nicht ausgeschöpft. Of-
fenbar werden solche Ansätze in Situationen der Vollvermietung jedoch nicht als Wertsteige-
rungs- und Verstetigungsmöglichkeiten wahrgenommen. Insofern hat sich nur unsere Annahme,
dass die jeweiligen Ankerunternehmen den Vermietern bekannt und bewusst sind, voll bestätigt.
Zum Thema der Vermarktung gehört auch die Frage, wie die eigene Kommunikation mit den
Kreativen eingeschätzt wird. Hier ergab sich ebenfalls ein zwiespältiges Bild: eine unkomplizierte,
uneingeschränkt gute Kommunikation sah nur ein Vermieter. Auch eine durch zu große ge-
schäftskulturelle Unterschiede erschwerte Kommunikation sah nur ein befragter Vermieter. Fünf
Vermieter beurteilten diese Frage dagegen gemischt und begründeten dies mit der großen Hete-
rogenität der Kreativwirtschaft. Keiner der Vermieter sah den Bedarf, hier eine spezielle Kommu-
nikation zu entwickeln. Vielmehr sehen die Befragten es als sinnvoll an, sich auf die eigene Rolle
zu konzentrieren und stören sich nicht daran, „als Immobilienfritzen wahrgenommen“ zu werden.
Inwiefern Vermieter tatsächlich auch spezialisierte Angebote für Kreative machen, lässt sich nicht
eindeutig beurteilen. Auf den ersten Blick suggerieren die Antworten nicht unbedingt eine eindeu-
tige Spezialisierung und einen konkreten Zuschnitt der Angebote auf Kreative. Vielmehr erschei-
Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft: Standortfaktoren und Immobilienstrategien
nen insbesondere die bauliche Aufwertung und die Flexibilisierungsangebote im Umgang mit
Mietflächen und Verträgen, die ohnehin zu den wichtigsten Gestaltungsmöglichkeiten der Immo-
bilienwirtschaft gehören, gängige Praxis gegenüber grundsätzlich erst einmal allen Mietern zu
sein. Erst recht ist nicht davon auszugehen, dass solche Maßnahmen speziell für Mieter der Kre-
ativwirtschaft entwickelt wurden. Im Detail kommt es jedoch auf die genaue Ausgestaltung dieser
Angebote an, und hier kommen Branchenkenntnis und die bereits genannte „Kompetenz im Zu-
hören“ ins Spiel. Mitgestaltungsrechte, die für Mieter aus der Kreativwirtschaft besonders wichtig
sind, erschöpfen sich überwiegend im Mieterausbau der eigenen Flächen. Ein Mitreden bei der
Fassadengestaltung etwa gibt es nur an einem der sieben Standorte. Für den Mieterausbau wird
zudem in der Regel gefordert, dass dieser leicht zurückzubauen ist. Flächenteilungen und -
zusammenlegungen werden nur an zwei Standorten regelmäßig angeboten. Dies liegt auch an
den begrenzten Möglichkeiten der Altbau-Substanz und den Konsequenzen für die
Erschließbarkeit der Flächen (Teilung) respektive den Anteil der Verkehrsflächen an der Ge-
samtmietfläche (Zusammenlegung).
Wie angenommen fassen Vermieter die architektonische Qualität des eigenen Angebots als ei-
nes der zentralen Attraktionsmerkmale auf. Stärker als die faktische Mitbestimmung in Gestal-
tungsfragen wird dabei die Finanzierung der Aufwertung der Flächen als eigenes Handlungsfeld
verstanden. Die äußerliche Aufwertung steht derzeit für einen großen Teil der Vermieter auf dem
Handlungsplan, darunter die Aufwertung der Fassade an vier Standorten und die Verbesserung
der Aufenthaltsqualitäten der Außenräume an drei Standorten. Zur über diese natürlichen Hand-
lungsfelder hinausgehenden Unterstützung der räumlichen Aufwertung zählen fünf Vermieter die
Möglichkeit, dem Mieter bei Ausbau und Qualifizierung der eigenen Fläche durch flexible Miet-
verhältnisse und insbesondere Preissenkungen entgegenzukommen. Nur einer dieser fünf Ver-
mieter finanziert den Flächenausbau nach Mieterwünschen mitunter vollständig selbst. Preis-
nachlässe werden nicht speziell nur Kreativen gemacht: zwar werden insbesondere seitens der
Orco-GSG z.B. Künstlerateliers zu äußerst günstigen Preisen vergeben. Andererseits gibt es
auch zwei Beispiele für Vermieter, die speziell Handwerksbetrieben Preisnachlässe gewähren,
um so die Mischung unterschiedlicher Branchen zu wahren und nicht zu einem reinen
„Kreativenhof“ zu werden. Das Niveau der Mietpreise deckt alle Marktsegmente ab. Nur in Aus-
nahmefällen und in Verbindung mit einem einfachen Ausbaustandard werden Kampfpreise von 5
€/m2 angesetzt. Insbesondere bei den hochwertig gestalteten Angeboten herrscht ein mittleres
Preisniveau von durchschnittlich 9,50 bis 15 €/m2 im Bürosegment und 40 bis 60 €/m2 im Einzel-
handel. Der Vermieter eines der sieben Standorte verneinte die Bereitschaft zu Flexibilisierung
von Konditionen und Flächenzuschnitten aus strategischen Gründen und setzt dieses Mittel nur
ausnahmsweise auf schwer vermietbaren Flächen ein. Wie angenommen spielt die Mitsprache
Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft: Standortfaktoren und Immobilienstrategien
bei der Vergabepolitik der Vermieter so gut wie keine Rolle: nur an einem Standort wird dies in
engen Grenzen ermöglicht.
Eine insgesamt untergeordnete Rolle spielt auch die Nutzung einer konkreten Distinktionsstrate-
gie. Zwar haben alle vier Einzelvermieter als eine Art Minimum der Markenbildung einen Eigen-
namen für die angebotene Immobilie gewählt bzw. aus Historie oder Lage abgeleitet. Die drei
untersuchten Höfe der Orco-GSG dagegen haben keinen Namen, sondern werden nur der Ad-
resse zugeordnet. Diese Strategie, mit der auch ein in Grenzen einheitlicher Standard und eine
Position der Stärke am Markt kommuniziert werden sollen, wird seitens des Unternehmens nur in
Einzelfällen durch Distinktionsstrategien komplementiert, wie momentan am Beispiel der ‚Prin-
zessin’ am Kreuzberger Moritzplatz zu beobachten ist. Grundsätzlich wird jedoch eher versucht,
die Distinktion der Dachmarke als geschlossenes Ganzes zu stärken als individuelle Profile der
einzelnen Höfe zu entwickeln. In Teilen wird die Vermarktung von Flächen an Künstler auch ge-
zielt als Instrument der Positionierung auf dem Markt der Kreativen eingesetzt (zwei Standorte),
jedoch wird nur in einem Fall auch eigens Kunst am Bau angekauft. Distinktion durch die Veran-
staltung kultureller Events wird ebenfalls nur an zwei Standorten zu erreichen versucht.
Mittelmäßig verbreitet ist das Angebot von zusätzlichen Services. Nur Pförtner- und
Securitydienste werden sehr häufig angeboten (sechs der sieben Standorte), Gastronomie- und
zentralisierte Postdienste gehören an je drei Standorten zum eigenen Angebot ebenso wie die
Verfügbarkeit einer eigenen leistungsfähigen IT-Infrastruktur (Glasfasernetz). Alle anderen For-
men von Zusatzservices wie Sekretariats- und andere Bürodienste, Wäscherei, Boten, Mietwa-
gen, Kindergärten, Verwaltungsgänge oder auch Hundesitter werden entweder überhaupt nicht
oder nur in je einem Fall angeboten und können daher vernachlässigt werden. In der Regel wird
dies mit schwacher Nachfrage begründet oder schlicht nicht zum eigenen Kompetenzfeld ge-
rechnet.
In der Einschätzung des eigenen Quartiers sehen zwei Vermieter ihre Quartiere als Aushänge-
schild der Berliner Kreativwirtschaft. Aus Sicht der Autoren kann dieses Attribut, das stark auf die
Außenwirkung der Quartiere abstellt, jedoch nur einem Standort, der Spandauer Vorstadt rund
um die Hackeschen Höfe, zugesprochen werden. Das Quartier der Spreeufer rund um das
Schlesische Tor hat zwar „durch die Ansiedlung von Universal den Ritterschlag erhalten“ und
mittlerweile zahlreiche hochkarätige Firmen der Kreativwirtschaft vorzuweisen. Im Vergleich zur
Spandauer Vorstadt erscheint das Quartier jedoch durch die trennende Wirkung der Spree eher
in zwei, für sich genommen nicht ausreichend starke Teile zu zerfallen.
Drei Vermieter sahen eine etablierte lokale Szene der Kreativwirtschaft im eigenen Quartier. Ein
Vermieter hielt die eigene Lage für von den Kreativen bislang unterschätzt, nur einer sah das
eigene Standortumfeld als abseits der Trampelpfade der Kreativen gelegen an. Aus Sicht der
Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft: Standortfaktoren und Immobilienstrategien
Autoren müssten dagegen eindeutig beide letztgenannten Standorte zur Kategorie der abseits
der kreativen Räume liegenden Quartiere gezählt werden.
Was die Entwicklung des eigenen Quartiers angeht, blicken beinahe alle Vermieter positiv auf die
letzten Jahre zurück (sechs von sieben). Nur in einem Fall wird als kritisch beurteilt, unter Um-
ständen sogar eine zu starke Aufwertung zu erleben. Der Preisanstieg insbesondere bei Gewer-
bemieten habe zu einer Vereinheitlichung des Angebots geführt und speziell die qualitätvolle
Gastronomie, in der aufgrund der Preisrelationen und Kostenstrukturen gewisse Mietobergrenzen
nicht überschritten werden könnten, verdrängt. Hier werden zunehmender Massentourismus und
dessen Auswüchse (Stichwort ‚Pub-Crawling’) durchaus als Bedrohung auch der Qualität des
eigenen Angebots wahrgenommen. Die positiven Impulse, die an zwei Standorten im westlichen
Zentrum der Stadt gesehen werden, müssen mit starken Einschränkungen versehen werden, da
die positive Entwicklung von einem vergleichsweise geringen Ausgangsniveau aus beginnt und
aus Sicht der Autoren anders als an anderen Standorten auch keine bedeutend bessere Zu-
kunftsperspektive besteht. Zu den Hauptfaktoren der Einschätzung von Veränderung im Quartier
werden insbesondere die Qualität des gastronomischen Angebots und die Präsenz kreativer Fir-
men gezählt, aber auch die Attraktivität als Wohnstandort und die Sozialstruktur der Bevölkerung.
Die Attraktivität der eigenen Immobilie wird überwiegend anhand der Kriterien Mikrolage (z.B.
Wasserlage, Spreeblick), Makrolage (Quartier), Architektur und Flächenstruktur beurteilt. Der
Preis und die Verkehrsanbindung spielen ebenfalls eine Rolle, wurden jedoch im Vergleich nur
selten genannt. In Bezug auf die Schwächen der eigenen Immobilie herrschte auf Vermieterseite
überwiegend ein recht klarer, unverstellter Blick. In der Gesamtbewertung schätzen die Vermieter
von zwei Standorten die Attraktivität für Kreative als sehr hoch und die Vermieter von fünf Stan-
dorten deren Attraktivität für kreative Firmen immer noch hoch ein.
Das Thema Wohnen als ergänzendes Angebot in Gewerbehöfen spielt die erwartet untergeord-
nete Rolle, ausgenommen die beiden Standorte mit einerseits 100 und andererseits 53 Wohn-
einheiten im Angebot. Beide Vermieter dieser Standorte gaben an, dass durchaus auch Mieter
von Gewerbeflächen am Standort wohnen würden. Einer der Vermieter präzisierte, dass 17 %
der Wohnungen von benachbarten Gewerbemietern bewohnt würden und diese auch bei der
Vergabe bevorzugt würden. Dieser und auch ein Vermieter ohne eigenes Wohnangebot sahen
durchaus steigende Nachfrage nach entsprechenden Flächen am Standort. In beiden Fällen und
auch bei den vier Vermietern ohne Interesse an einem Angebot von Wohnflächen bestehen je-
doch planungsrechtliche Restriktionen (Ausweisung als Gewerbegebiet, nicht als Mischgebiet) für
eine Ausweitung bzw. Erstentwicklung eines Wohnungsangebots. Eine Umwidmung politisch zu
erwirken, wird durchweg als kein lohnenswertes Unterfangen angesehen. Teilweise schränken
auch andere Überlegungen das Interesse an der Thematik ein, dazu zählen insbesondere Fra-
gen der Lärmentwicklung und der Sicherheit. Ebenfalls aus Sicherheitsgründen wird eine stärke-
Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft: Standortfaktoren und Immobilienstrategien
re Öffnung der Immobilie für die Öffentlichkeit beispielsweise durch die Schaffung von
Gastronomieflächen oder Aufenthaltsorten im Außenraum von keinem der vier Vermieter ohne
solche Angebote als sinnvoll angesehen.
Gefragt nach der Einschätzung des Bedarfs nach Veränderungen für den Erhalt der Attraktivität
für Kreative wird von allen Vermietern auf das Quartier und nicht so sehr auf die eigene, im Zwei-
fel voll vermietete, Immobilie verwiesen. Zwei Vermieter mit eher hochpreisigem Angebot haben
konkrete Planungen, trotz hoher Zufriedenheit der Mieter mit weiteren Aufwertungs- und Investiti-
onsmaßnahmen (z.B. Lichtkonzepte, Erweiterungsbauten) zu beginnen. Ansonsten wird momen-
tan kein Veränderungsbedarf, auch aufgrund fehlender Refinanzierungsmöglichkeiten durch
Mietsteigerungen, gesehen. Dies gilt auch für zusätzliche Serviceangebote, über die nur an ei-
nem der sieben untersuchten Standorte nachgedacht wird. Operativ würden solche Angebote
jedoch grundsätzlich von keinem der Anbieter selbst übernommen, sondern externalisiert. Am
häufigsten wurde hier das Angebot von Kinderbetreuung genannt (drei Standorte).
Entgegen der im Vorfeld getroffenen Annahmen werden gegenüber der öffentlichen Hand keine
umfassenden Forderungen hinsichtlich der Stärkung des lokalen Umfelds formuliert. In einem
Fall eines in der Vergangenheit deutlich aufgewerteten Quartiers wird schon eher gefordert, für
eine Verlangsamung der Entwicklung zu sorgen, wobei hier keine konkreten Vorstellungen vor-
liegen, wie dies geschehen könnte.
Dagegen entspricht die Haltung gegenüber öffentlich geförderten Immobilien als Zentren der
Kreativwirtschaft voll den formulierten Annahmen: diese werden sehr kritisch gesehen und eine
solche Kooperation, und sei es nur im Sinne des Know-How-Transfers, erscheint keinem der
Befragten vorstellbar. Vielfach bestimmt hier auch die Enttäuschung über den Verlauf zurücklie-
gender Engagements privat-öffentlicher Kooperationen das Bild. Stattdessen werden von zwei
Vermietern stärker Möglichkeiten der Kooperation mit anderen Vermietern gesehen und dafür,
z.B. mithilfe des Instruments der Business Improvement Districts (BID), staatliche Unterstützung
gefordert. Hier wird insbesondere kritisiert, dass Berlin anders als andere Bundesländer noch
nicht die notwendigen gesetzlichen Grundlagen geschaffen hat.
Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft: Standortfaktoren und Immobilienstrategien
5. Ankerunternehmen
Für die vorliegende Studie konnten Führungskräfte aus drei in Berlin ansässigen Unternehmen,
die man als ‚Ankerunternehmen der Kreativwirtschaft’ bezeichnen kann, als Gesprächspartner
gewonnen werden. Ankerunternehmen deshalb, da davon ausgegangen wird, dass mitunter
mehrere kleine kreative Firmen an bestimmten Unternehmen mit großem Gewicht in ihrer Bran-
che gewissermaßen „andocken“. Darunter können Unternehmen ganz verschiedener Größe sein,
da sich die Rolle als Branchenvorreiter oder Meinungsmacher unter Umständen auch allein aus
dem Kontaktnetzwerk oder besonderen Spezialisierungen resultieren kann. Für Stadtforschung
und Stadtentwicklungspolitik sind diese Firmen deshalb so besonders interessant, da davon aus-
gegangen wird, dass mithilfe ihrer Anziehungskraft Entwicklungen in den Quartieren angestoßen
werden können.
Das Schwergewicht unter den drei befragten Ankern ist ein internationaler Konzern der Musikin-
dustrie, dessen Standort in einem der aufstrebenden Kreativquartiere an der Spree liegt. An ei-
nem traditionellen Standort der alteingesessenen Kreativwirtschaft um den Charlottenburger Kur-
fürstendamm dagegen sitzt das zweite befragt Unternehmen, eine vor allem auf dem nationalen
Markt aktive Agentur für Kommunikationsdesign und Corporate Branding, die zu den fünf Größ-
ten ihrer Branche zählt. Der dritte befragte Anker der Kreativwirtschaft tanzt insofern aus der Rei-
he, als es sich um eine Branchenplattform für Produktdesign handelt, die in Berlin und internatio-
nal als Veranstalter von Branchentreffen, Festivals und Ausstellungen agiert und sowohl bereits
etablierten Designern als auch Newcomern eine Präsentationsfläche und die Möglichkeit zum
gegenseitigen Austausch bietet.
Zwei der drei befragten Ankerunternehmen stammen nicht ursprünglich aus Berlin, sondern wur-
den von anderen deutschen Standorten hierher verlagert. Dies geschah einerseits aus politisch
gesetzten Anreizen und aus unternehmensinternen strategischen Überlegungen, andererseits
aus dem Bestreben, einen neuen Partner mit wichtigen (Kunden-) Kontakten ins Unternehmen
aufzunehmen, der stark mit Berlin verbunden ist und nur Berlin als Standort des gemeinsamen
Unternehmens akzeptierte. Die Gründungsgeschichte des dritten Unternehmens ist sehr eng mit
der Berliner Kreativszene verknüpft. Die Firma ist ein Berliner Eigengewächs, für das es erst
dann Alternativen zum Standort Berlin geben dürfte, sollte die Kreativwirtschaft insgesamt Berlin
eines Tages den Rücken kehren. Die von uns getroffene Annahme, dass Berlin für Ankerunter-
nehmen der Kreativwirtschaft zunehmend alternativlos ist, lässt sich also zumindest was die Ge-
schichte hinter der Ansiedlung in Berlin betrifft nur schwer eindeutig beurteilen. Nichtsdestotrotz
ging aus allen drei Gesprächen mit Ankerunternehmen hervor, dass Berlin heute, im laufenden
Betrieb und nach einmal erfolgter Ansiedlung als alternativlos gesehen wird. Das hängt nicht nur
Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft: Standortfaktoren und Immobilienstrategien
mit Umzugskosten zusammen, die im engen Zusammenhang mit der Größe der Firma stehen
und nicht nur von den rein faktischen Kosten der Umsiedlung, sondern insbesondere von Rei-
bungsverlusten, Zeitverlust und Problemen bei der Aufrechterhaltung des Mitarbeiterstocks aus-
gemacht werden. In allen Fällen spielt für die Bindung an Berlin auch die teils sehr aktiv betriebe-
ne Anziehung von Verbänden, Kooperations- und Geschäftspartnern bzw. der Aufbau des eige-
nen Netzwerks eine wichtige Rolle – Anstrengungen, die ein Umzug weg aus Berlin konterkarie-
ren würde. Interessanterweise ist im Falle der Ankerunternehmen das Netzwerk noch stärker als
stadtweites Netzwerk anzusehen, bei dem es nicht unbedingt um enge räumliche Nähe geht,
sondern darum, dieselben Treffpunkte besuchen zu können. In einem Fall ist diese stadtweite
Aktivität allerdings komplementiert von einer klar lokal bezogenen Ansiedlungspolitik, die einzel-
ne Dienstleister in die eigene Immobilie und zwei branchenverwandte Großunternehmen, die
ihrerseits als Anker fungieren, ins Nachbarhaus gelockt hat.
In der rückwärtigen Betrachtung bewerten die Unternehmen die Entscheidung für Berlin als
Standort als überwiegend richtige Entscheidung. Die Attraktivität für die eigenen Zielgruppen als
(Wohn-) Ort mit reichhaltigem Kulturangebot gilt allen Unternehmen als wichtiger Faktor. In zwei
Fällen sind die Lebensqualität Berlins und deren Rolle für die Verfügbarkeit eines ausreichenden
Pools qualifizierter Mitarbeiter ein zentrales weiteres Argument für das Festhalten an Berlin, in
einem Fall ist es besonders der Imagefaktor, als Branchenführer nicht in einer anderen deut-
schen Stadt auftreten zu können. Während der Nahverkehr gelobt wird, wird insbesondere die
Integration in den internationalen Flugverkehr als zu schwach kritisiert. Kritik ernteten auch die
Qualität der Betreuungs- und Ausbildungsstätten und auch ein stückweit die Berliner Mentalität
der eine gewisse Härte und gleichzeitig mangelnde Kritikfähigkeit attestiert wurde.
Für zwei der Unternehmen war die Auswahl an alternativ in Betracht gezogenen Immobilien sehr
gering, da hier ein ‚Signature Building’, also ein Standort mit hoher Symbolkraft und zum Unter-
nehmen passenden Image gesucht wurde und teilweise auch spezielle Größenanforderungen
galten. Für das dritte Ankerunternehmen war die Anzahl der lokalen Alternativstandorte sehr
groß, da es hier vor allem um ein der Startphase angemessenes Preisniveau ging. Gleichzeitig
hatten alle drei Unternehmen präzise Vorstellungen von den für attraktiv befundenen Quartieren,
so dass bereits die Vorauswahl infrage kommender Immobilien eingeschränkt war.
Eine bewusst angenommene und aktive Rolle als Ankerunternehmen wollte nur ein Unternehmen
für sich gelten lassen. In den anderen beiden Fällen wird einerseits gezielt versucht, im Hinter-
grund zu bleiben, andererseits wird keine Funktion als Anker gesehen, da sich die kreative Szene
am Standort von allein entwickelte und der eigene Netzwerkaufbau auf stadtweiter Ebene betrie-
ben wird. Gleichzeitig können auch diese beiden Firmen mit einer von außen zugeschriebenen
Rolle als Anker gut leben. Alle drei befragten Unternehmen zeigten sich bereit, diese Rolle auch
aktiv in möglichen Kooperationen mit der öffentlichen Hand zur Aktivierung von ‚problematischen’
Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft: Standortfaktoren und Immobilienstrategien
Immobilien oder zur Quartiersentwicklung einzusetzen – in einem Fall wurde dies jedoch nur als
inoffizielle, nicht kommunizierte Aktivität gesehen.
Im Gespräch mit den Ankerunternehmen konnte erneut ein Phänomen beobachtet werden, dass
bereits in den Interviews der Vermieter auftrat: einige Gesprächspartner schienen mit den von
uns gestellten Fragen zum ersten Mal konfrontiert gewesen und so überhaupt erst auf bestimmte
Ideen für eigene Angebote oder Tätigkeiten gekommen zu sein. So wurde beispielsweise im Zu-
sammenhang mit der Frage nach Kooperationen mit der öffentlichen Hand zur Aktivierung von
Immobilien oder Quartieren mit einem der Gesprächspartner der Ankerunternehmen die Idee
entwickelt, das ‚Warmwohnen’ und ‚Attraktivmachen’ von Immobilien oder Quartieren zum eige-
nen Geschäftsmodell mit entsprechender Beteiligung an den Wertsteigerungen zu machen.
Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft: Standortfaktoren und Immobilienstrategien
6. Rückschlüsse
Dieses Kapitel soll exemplarisch die Schlüsse aus den Resultaten der Mieter- und
Vermieterbefragung ziehen. Zu Beginn stehen die Analyse der Sichtweisen von Mietern und
Vermietern und die Frage nach Unterschieden und Gemeinsamkeiten. Anschließend werden
Strategieoptionen für Vermieter untersucht und abschließend die Rolle der öffentlichen Hand
behandelt.
6.1. Vermietersicht – Mietersicht
Dass Vermieter und Mieter nicht unbedingt identische Antworten geben, wenn sie nach den
Qualitäten der eigenen Immobilie und ihrer Umgebung gefragt werden, liegt auf der Hand.
Auch verschiedene Mieter derselben Immobilie sprechen nicht gleich über ihren Standort. Im
Folgenden sollen daher nur einzelne relevante Beispiele für solche unterschiedlichen Haltun-
gen und Einschätzungen behandelt werden. Aufgrund der gebotenen Diskretion erfolgt dies
selbstverständlich nicht standortgenau.
Die grundsätzliche Einschätzung beider Seiten zur Kommunikation mit dem Gegenüber ist
eher besser als angenommen. Insbesondere seitens eines Großteils der Vermieter werden
eigentlich keine Verständigungsprobleme gesehen. Es gab jedoch auch Ausnahmen unter
den Vermietern, die Kreative teilweise nicht einmal als ernst zu nehmende Gesprächs- und
Geschäftspartner akzeptierten. Andere sahen Kreative als ganz normale Mieter, was mögli-
cherweise auch am Ziel vorbeigeht – ein präzises Verständnis des Gegenübers, seiner Präfe-
renzen und seiner Rolle ist dann nicht gegeben. Der größere Teil der Gesprächspartner auf
beiden Seiten hat genau diese Haltung jedoch auch zum Ausdruck kommen lassen. Tatsäch-
lich große Irritationen lösen dagegen eher Mängel in der Erfüllung der jeweiligen Rolle aus.
Kreative haben insgesamt eher kein grundlegendes Kommunikationsproblem mit „den
Immobilienfritzen“, solange diese ihre Rolle richtig und transparent ausfüllen. Bleibt dies je-
doch aus, verstärken sich mitunter Klischees und ablehnende Haltungen. Andererseits wer-
den Kreativen einige Zugeständnisse im Geschäftsgebaren gemacht, solange sie ihrerseits
„nicht zu sehr über die Stränge schlagen“.
In der Gegenüberstellung der Antworten von Mietern und Vermietern ergeben sich die erwar-
teten Unterschiede in der Einschätzung der Qualitäten des jeweiligen Standorts in immerhin
Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft: Standortfaktoren und Immobilienstrategien
fünf von sieben Fällen zu signifikanten Aspekten. In drei Fällen betrifft dies die Qualitäten der
Außenräume am Standort bzw. die Bedeutung dieses Faktors: Mieter schätzen die Bedeu-
tung höher ein und sehen die gebotene Qualität gleichzeitig schlechter als Vermieter. In zwei
dieser drei Fälle ist dabei insbesondere ein Missverhältnis in der wechselseitigen Bewertung
der zuungunsten von Aufenthaltsqualitäten errichteten Parkplätze zu nennen. Neben diesen
drei eindeutigen Fällen gibt es noch zwei Beispiele für Standorte, an denen keine aktive Ge-
staltung der Außenräume betrieben wird, die jedoch von spektakulärer Lage (z.B. am Was-
ser) oder Architektur profitieren können. Letztlich bleiben nur zwei Höfe, an denen wirklich
aufwändige Außenraumgestaltung betrieben und als Markenzeichen bzw. Spezialisierung
verstanden wird. Zwei andere Höfe profitieren mehr oder weniger stillschweigend von spekta-
kulären Eigenschaften und tun nicht viel dafür, diese stärker auszunutzen und diese Stärken
auszuspielen.
Kaum Differenzen ergeben sich in der Bewertung der Attraktivität des umgebenden Quartiers
für Kreative. Hier scheint sich auf beiden Seiten des Marktes eine recht nüchterne, realisti-
sche Sicht etabliert zu haben. Die beiden von uns in dieser Hinsicht am schlechtesten bewer-
teten Standorte wurden nur in einem Fall seitens der Vermieter leicht besser bewertet als von
den Mietern (und von den Autoren). Allerdings betraf dies auch stärker die Attraktivität des
gastronomischen Angebots als die Einschätzung der Präsenz einer kreativen Szene. Interes-
santerweise herrscht in beiden Fällen der Standorte abseits der „kreativen Trampelpfade“ Ei-
nigkeit unter Mietern und Vermietern, sich in einer Insel innerhalb eines ansonsten mit attrak-
tiven Immobilien wenig gesegneten Quartiers zu befinden.
Sehr unterschiedlich eingeschätzt wird – kaum überraschend – die Bedeutung von Mitspra-
cherechten in Gestaltungsfragen insbesondere bezüglich der Außenräume. Hier stößt auch
manch gut gemeinte Maßnahme (Stichwort: Kunst am Bau) auf Kritik, da hier die Kompetenz
der Vermieter, die Anforderungen kreativer Mieter zu treffen, infrage gestellt wird. Dass es in
der Regel keine groß angelegte Mitsprache in der Vergabepolitik gibt, wird zwar auch bedau-
ert, meistens jedoch als in der Natur der Sache liegend akzeptiert. Scharf kritisiert wird je-
doch, wenn die tatsächliche Vergabe- und Vertragspolitik anders (öffentlich) kommuniziert
wird als in der Praxis umgesetzt.
Dagegen herrscht weitgehende Einigkeit über die Natur und Qualität der strategischen Positi-
onierung der Immobilien. Nur dort, wo es ein echtes ‚Kreativen-Branding’ gibt, wird dieses
auch so wahrgenommen. Da diese Strategie mehr oder weniger anspruchsvoll umgesetzt
werden kann, unterscheidet sich auch die Haltung der Mieter dazu. In der Mehrzahl standen
die Mieter einer zu deutlichen und insbesondere einer zu einfachen Brandingstrategie ableh-
nend gegenüber. Hier zeigt sich allerdings auch eine Schwäche der Untersuchung, die mit ih-
rer methodischen Anlage zusammenhängt. Da anstelle einer freien Wahl der zu untersu-
Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft: Standortfaktoren und Immobilienstrategien
chenden Standorte deren systematische Ableitung aus der Vorläuferstudie gewählt wurde,
konnte nicht zusätzlich ein Extrembeispiel einer ausgesprochenen ‚Kreativen-Vermarktung’
analysiert werden, wie es zum Beispiel die in der Entwicklung befindlichen Schuckert-Höfe
des Projektentwicklers Berggruen Holdings gewesen wären.
Beim Thema Wohnen am Standort zeigt sich auf den ersten Blick seitens der Gewerbemieter
keine derart große Nachfrage, dass man die überwiegend skeptische Haltung der Vermieter
unbedingt als verpasstes Wertschöpfungs- bzw. Cross-Promotion Potenzial kritisieren müss-
te. Häufig sahen Mieter den Bedarf für eine räumliche Trennung zwischen Wohn- und Ar-
beitsort, die allein aus psychologischen Gründen nicht in derselben Immobilie, wohl aber im
selben Quartier, gesucht werden. Allerdings ist hier zu bedenken zu geben, dass es durchaus
Potenziale gibt, das Thema Wohnen als Nischenprodukt bzw. besonderes Profil eines Hofes
zu entwickeln. Aus der Befragung heraus kann dies exemplarisch an der Mieterin gezeigt
werden, die über einen längeren Zeitraum hinweg häufig zwischen der westdeutschen Fir-
menzentrale und der Berliner Niederlassung hin- und herpendelte. Hierfür böte das klassi-
sche Konzept der Dienstwohnung am Firmenstandort eine mögliche, wenn gleich eine viel-
leicht etwas überholte Antwort. Zeitgemäßer erscheinen da Konzept wie Serviced Apartments
oder Boarding Houses, die auch den Markt der geschäftlichen Long-Stay Mieter bedienen,
sich gleichzeitig aber auch dem touristischen Short- und Medium-Stay Segment öffnen. Eben-
falls ist methodisch bedingt eine potenzielle Nachfragergruppe in der Untersuchung ausge-
blendet gewesen: Selbständige, Freelancer oder auch Künstler, die bevorzugt Wohn- und Ar-
beitsplatz sogar in denselben vier Wänden unterbringen, um so nicht zweimal Raummieten
bezahlen zu müssen. Für solche Zielgruppen, die laut einzelner Vermieteraussagen durchaus
entsprechende Anfragen stellen, könnten ganz neue, eigene Konzepte entwickelt werden.
Insbesondere für Höfe, die planungsrechtlich in Kern-, oder Mischgebieten liegen, sind solche
Überlegungen daher unter Umständen durchaus erwägenswert, Ob sich für Vermieter von
Immobilien in ausgewiesenen Gewerbegebieten allerdings die Anstrengung lohnen würde, in
den Verwaltungen für eine Umwidmung zu werben, um auch Wohnnutzungen zu ermögli-
chen, kann eher bezweifelt werden.
Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft: Standortfaktoren und Immobilienstrategien
6.2. Vermieterstrategien
Strategische Entscheidungen auf Seiten der Vermieter prägen insbesondere die Bereiche der
Positionierung des eigenen Angebots, der baulichen Gestaltung, der Mietkonditionen und der
Kommunikation. Beide Befragungen, die quantitative Online-Befragung der Ausgangsstudie
sowie die qualitative mündliche Befragung dieser Vertiefung, legen nahe, generalisierte Aus-
sagen und Empfehlungen zu vermeiden. Dafür sind die Quartiere, die Immobilien selbst, aber
auch die Mieter aus der Kreativwirtschaft zu heterogen. Was an einem Standort richtig ist,
kann unweit entfernt schon wieder falsch sein.
Zum Teil lassen sich verschiedene Strategietypen bilden, doch auch innerhalb der Typen gibt
es feine Unterschiede, die selbst bei gleichem oder ähnlichem Investitionsaufwand zu völlig
anderen baulichen und atmosphärischen Resultaten und letztlich auch zu unterschiedlichen
Mietermilieus führen. Unter anderem kann aus der Entwicklung mehrerer Standorte der iden-
tische Anspruch abgelesen werden, mit einigem Aufwand nach einem einschneidenden
Strukturbruch im Rahmen einer Kombination aus temporärer ‚Hefestrategie’ und anschlie-
ßend hochwertiger Positionierung ein erfolgreiches Angebot zu schaffen. Dennoch stehen die
Standorte unterschiedlich da. Bestes Beispiel: der Vergleich zweier Höfe, die abseits der
etablierten Kreativquartiere liegen und die beide zu Beginn der 1990er Jahre erheblich mit
den Folgen des Strukturwandels zu kämpfen hatten. Beide Immobilien wurden zunächst mit-
hilfe von kreativen Pioniernutzern und Promotoren unter großen Zugeständnissen neu positi-
oniert und mit erheblichem finanziellen Aufwand – in einem Fall öffentlich finanziert – hoch-
wertig umgestaltet. An beiden Standorten wird kein aktives Marketing bei Kreativen mehr ge-
tätigt und beide Vermieter haben ein unkompliziertes Verhältnis zu kreativen Mietern, ohne
diese zu bevorzugen – im Gegenteil: gerade die handwerklichen und kleinindustriellen Betrie-
be sollen am Standort gehalten werden, um die Branchenmischung zu erhalten. Beide Höfe
verfügen über eigene Gastronomieflächen und sind heute voll vermietet – und trotz ähnlicher
Ausgangsbedingungen und nominell gleicher Strategie ist das Bild heute ein ganz anderes.
Das betrifft einerseits das gefühlte Bild, das Erlebnis: in einem Fall drängt sich der Eindruck
einer herausgeputzten Altbaufassade, die einem schmucklosen, austauschbaren Neubau mit
Bürozellen vorgehängt sind, auf. Im anderen Fall wird der Charme des äußeren Eindrucks
durch großzügige Raumzuschnitte, aber auch über liebevolle Details wie hochwertige Holz-
fußböden in den Innenbereich hineingezogen. In den Außenräumen herrscht in einem Fall die
entspannte, fast romantische Atmosphäre eines lebendigen, in der eigenen Geschichte ru-
henden Ensembles. Im anderen Fall wird jede emotionale Regung durch ein Betonmeer von
Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft: Standortfaktoren und Immobilienstrategien
Parkplätzen erstickt. Woran misst sich jetzt der Erfolg dieser nominell so ähnlichen Strate-
gien, die doch ganz unterschiedliche Ergebnisse hervorgebracht haben? Aktuell können in
ökonomischer Hinsicht zwar beide Vermieter Vollvermietung vermelden, doch liegen die
Mietniveaus deutlich auseinander. Trotz der ausschließlich privat finanzierten Investitionen
dürfte sich so mindestens mittelfristig eine höhere Rentabilität des nicht mit öffentlicher Förde-
rung umgebauten Standortes ergeben. Analog zum Eindruck des liebevolleren Umgangs und
der höheren Wertigkeit erschien uns die Mieterzufriedenheit ungleich verteilt, was im konkre-
ten Fall dafür spricht, dass der Mietpreisunterschied als angemessen einzuschätzen ist.
Das Beispiel zeigt, wie schwer es möglich ist, methodisch sauber konsistente Strategietypen
aus den Fallbeispielen und Ergebnissen der Untersuchung abzuleiten. Trotz ähnlicher Aus-
gangsbedingungen und nominell weitgehend gleicher Strategien werden atmosphärisch und
anscheinend auch ökonomisch ganz unterschiedliche Ergebnisse erzielt, da ähnliche strate-
gische Ansätze letztlich entsprechend der Unternehmenskultur der Vermieter unterschiedlich
interpretiert werden. Aus diesem Grund sollen im Folgenden verschiedene Optionen der stra-
tegischen Ausrichtung betrachtet werden, die jedoch nicht vollständig jeweils einzelnen Fall-
beispielen zugeordnet werden können, zumal in Realität Merkmalskombinationen unter-
schiedlichster Art angewandt werden, was einerseits die Schwächen der Typenbildung unter-
streicht, andererseits ein Zeichen für eine noch geringe Verbreitung langfristig strategischen
Denkens ist.
Analytisch sollen vier strategische Ansätze unterschieden werden, die Hefestrategie, die
Hochwertigkeitsstrategie, die Kampfpreisstrategie und die 0815-Strategie (geringe Profilie-
rung). Selbstredend ist keiner der vier Ansätze grundsätzlich richtig oder falsch, es kommt
immer auf die konkrete Lage, den Zustand der Immobilie und die Rentabilitätserfordernisse,
Kostenstrukturen und Investitionsmöglichkeiten an. Ebenfalls ist zu beachten, dass sich Stra-
tegien ändern und manche Höfe heute mit einer anderen Strategie vermarktet werden als zu
früheren Zeitpunkten.
Hefestrategie
Unter einer ‚Hefestrategie’ verstehen wir in Anlehnung an ein Bonmot eines Unternehmers
aus der Kreativwirtschaft den Versuch einer radikalen Umkehrung der Positionierung einer
Immobilie sowie, meist logisch verknüpft, ihres räumlichen Umfeldes. Die Attraktivierung von
Stadtquartieren durch von kreativen Pionieren wesentlich mitgetragene
Gentrifizierungsprozesse soll sich mindestens zunutze gemacht, wenn nicht sogar initiiert
werden, um nach einer riskanten Phase der Preissenkung, Lockerung von Konditionen und
großzügigen Gewährung von Freiheiten in eine Phase der Aufwertung, Investition und
Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft: Standortfaktoren und Immobilienstrategien
schließlich Wert- und Mietpreissteigerung mit marktüblichen Vertragskonditionen überzuge-
hen.
Die Hefestrategie zeichnet sich durch eine klare Positionierung auf dem Markt der kreativen
Mieter und ein gutes Verständnis von Prozessen der Stadtentwicklung aus. Sie bietet sich an,
wenn das Standortumfeld typische Anzeichen einer beginnenden Gentrifizierung zeigt, also
ein relativ günstiges Mietniveau, ein eher vernachlässigter baulicher Zustand und durchaus
auch eine Konzentration sozialstruktureller Probleme, deren Symptome sich bei zunehmen-
der Mieterfluktuation und dem Zuzug kreativer Pioniere häufen. Wird eine solche Situation er-
kannt, ergeben sich im Prinzip vor allem zwei strategische Optionen: als passiver Trittbrett-
fahrer wird man eher versuchen, mit einer Kampfpreisstrategie bei minimalen Investitionen
solange von den relativ finanzschwachen lokalen Mietern zu profitieren, bis das Quartier auf-
gewertet ist und sich Investitionen unmittelbar durch deutliche Mietsteigerungen wieder auf-
fangen lassen.
Die größte Gefahr hierbei ist, dass sich zu viele Vermieter im Quartier so verhalten und die
erhoffte Aufwertung nicht eintritt. Als die aktivere und gezielt auf Kreative zugeschnittene Op-
tion bietet sich die Hefestrategie an, die versucht, die Entwicklung zu beschleunigen und so
einen Beitrag zur Aufwertung des Quartiers zu leisten. Hierbei kann temporär auch das
Preisniveau der auf dauerhaft unterdurchschnittliche Mieten ausgerichteten Kampfpreisstra-
tegie unterboten oder sogar zum Selbstkostenpreis angeboten werden. Entscheidend ist hier
der Ansatz der bewussten zeitlichen Befristung der Lockerung von Konditionen und vor allem
die strategische Auswahl der Partner, denen man ein solches Angebot macht. Hier ist neben
dem Entwicklungspotenzial der Nutzer selbst insbesondere auf deren hochgradige Vernet-
zung in kreative Szenen hinein und durchaus auch auf eine gewisse Breitenwirkung zu ach-
ten.
Die Hefestrategie ist zudem keineswegs kostenlos zu haben: da das Ziel ist, das eigene An-
gebot unter anderem mithilfe von kreativen Mietern in ein höheres Marktsegment zu hieven,
muss die Qualität des Flächenangebots am Ende dem Niveau dieses höheren Segments
auch gerecht werden. Die größten Risiken der Hefestrategie sind einerseits, die Kosten der
Aufwertung zu tragen, während nebenan andere Vermieter als Trittbrettfahrer ‚die Früchte
ernten’ und andererseits den Moment zu verpassen, an dem Angebot und Nachfrager glei-
chermaßen in ein anderes Niveau überführt werden müssen. Steht am Ende keine hochwer-
tig (nicht übermäßig!) sanierte Immobilie mit Mietern, die in den jeweiligen kreativen Szenen
als wichtige Player und Meinungsmacher anerkannt sind und die bereit sind, die fünffache
Nettokaltmiete zu bezahlen wie die ersten kreativen Pioniere, dann ist die Hefestrategie nicht
voll aufgegangen.
Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft: Standortfaktoren und Immobilienstrategien
Aktuell findet sich kein Standort unter den von uns untersuchten Gewerbehöfen, dessen Posi-
tionierung eindeutig zur Hefestrategie in Reinform passt. Einer der Höfe am Spreeufer oszil-
liert zwar zwischen Hefe- und Kampfpreisstrategie, es ist jedoch derzeit nicht möglich zu
prognostizieren, worauf die Entwicklung hinausläuft. Auch die Befragungsergebnisse legen
hierzu keine eindeutige Aussage nahe.
Im Post-Stadium der Hefestrategie sind dagegen drei Höfe, die alle in den frühen 1990er Jah-
ren von großen Umbrüchen geprägt waren und dann zumindest temporär von kreativen Pio-
nieren neu besetzt wurden. Gerade die Tatsache, dass diese drei Höfe heute nicht alle den
selben Status haben zeigt, wie sehr es bei der Hefestrategie einerseits auf die gleichgerichte-
te Entwicklung des Umfelds ankommt, andererseits auf die geschickte Wahl der richtigen
Folgestrategie. Unter den drei Fallbeispielen mit zurückliegender Hefestrategie ist ein Hof, der
sehr erfolgreich und im Gleichschritt mit seiner Umgebung in eine Hochwertigkeitsstrategie
überführt werden konnte. Ein weiterer wird ebenfalls als hochwertiger Standort positioniert, al-
lerdings ist er eine Insel in einer Umgebung, die sich kaum weiterentwickelt hat. Dies bedingt
auch das Verbleiben der Immobilie am unteren Rand des höherwertigen Marktsegments. Im
dritten Fall ist die Hefestrategie von einer 0815-Strategie abgelöst worden, was den Über-
gang in ein wirklich höherwertiges Segment verhindert hat. Zudem ist das Quartier nur winzi-
ge Schritte weiter als zu Beginn der Entwicklung.
Als ein aktuelles Beispiel für den Versuch einer Neupositionierung mit einer Hefestrategie
kann ein Gewerbehof außerhalb der von uns untersuchten Standorte zählen, der GSG-Hof
Prinzessinnenstraße, der als ‚Prinzessin’ vermarktet wird. Hier hat insbesondere die rasant
gestiegene Bekanntheit des sich betahaus nennenden Konzeptes temporärer Arbeitsräume
für kreative Projekte und Freelancer dazu geführt, dass der Standort am Rande der etablier-
ten Kreativmeile Oranienstraße ins Licht der öffentlichen Aufmerksamkeit gerückt ist. Spätes-
tens die Wahlkampfauftritte des SPD-Bundestagskandidaten Björn Böhning unterstützt von
Franz Müntefering haben den ehemaligen Sorgenkind-Standort neu auf die (mentale) Land-
karte gesetzt. Allerdings ist derzeit noch unklar, ob und wenn ja durch welche Strategie dieser
Ansatz im Laufe der Zeit abgelöst wird, und ob sich der Standort wirklich in einem höheren
Segment platzieren lässt.
Die Signale hierzu sind widersprüchlich: einerseits hat eine Reihe von großen Konzernen im
Rahmen von Akademien und Symposien mit den zahlreichen kreativen Mikrounternehmen,
die das betahaus nutzen, kooperiert. Dies könnte ein Hinweis auf eine Ernst zu nehmende
Substanz sein. In bestimmten, sehr jungen Szenen ist das betahaus mittlerweile ohne Abstri-
che als ein Ankerunternehmen zu bezeichnen. Andererseits haben etliche von uns probehal-
ber auf den Standort angesprochene Mieter eher ablehnend reagiert, auch aufgrund des
Images, das den kreativen Pionieren als potenzielle Nachbarn anhaftet. Dies ist erneut ein
Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft: Standortfaktoren und Immobilienstrategien
deutlicher Hinweis darauf, wie schwierig es sein kann, im Rahmen der Hefestrategie ein Ent-
wicklungsstadium erfolgreich in das nächste zu überführen. Dies hängt, wie bereits beschrie-
ben – auch nicht alleine von der einzelnen Immobilie ab, sondern auch von ihrem Umfeld und
dessen Entwicklung.
Dies legt insgesamt folgenden Schluss nahe: die Hefestrategie macht Sinn, wenn ein Quartier
beginnt, unter Kreativen auch (und zunächst vordringlich) als Wohn- und Freizeitstandort be-
liebt zu werden und insbesondere dann, wenn gleichzeitig seitens der öffentlichen Hand An-
strengungen für eine Umfeldverbesserung und Aufwertung unternommen werden. Auch soll-
ten weitere potenziell attraktive Gewerbestandorte im Umfeld liegen, um zu einer tatsächli-
chen Ballung von Firmen und der Entstehung eines lokalen kreativen Milieus zu führen. Kon-
zertierte Anstrengungen in Kooperation mit der Kommune, anderen Vermietern, privaten oder
halb-öffentlichen Initiativen (Zwischennutzungsagenturen, Quartiersmanagement etc.) und im
besten Fall einem interessierten Ankerunternehmen haben die größten Aussichten auf Erfolg.
Eine isolierte Entwicklung innerhalb eines möglicherweise nicht aufwertenden Quartiers ist
dagegen für eine Hefestrategie mit viel zu hohen Risiken verbunden. Das ‚Aufquellen des Ku-
chens’ insgesamt ist schließlich davon abhängig, dass die kreative Hefe nicht nur punktuell
eingestreut wird. Nach Ansicht der Autoren und auch einzelner befragter Vermieter und Mie-
ter ist derzeit zum Beispiel die Initiative ‚m:street’ rund um die Schöneberger Kurfürsten- und
Potsdamer Straße, an der sich private Vermieter, einzelne kreative Firmen der Umgebung
und in sehr engen Grenzen auch die öffentliche Hand beteiligen, ein aktuelles Beispiel einer
aller Voraussicht nach nicht erfolgreichen Hefestrategie.
Zentraler Grund für dieses Scheitern ist nach unserer Einschätzung primär die verfehlte
Standortwahl bzw. ein dem Standort nicht angepasster Umfang der eingesetzten Mittel. Das
Rotlichtmilieu der Kurfürstenstraße und die immer mehr verblassende Potsdamer Straße
werden sich nicht so leicht in einen Ballungsraum der Kreativwirtschaft verwandeln lassen,
auch wenn derzeit eine handvoll Galerien leerstehende Ladenflächen bespielt. Es gibt kein
starkes Kreativquartier in der Nähe, an das die ‚m:street’ andocken könnte und momentan
bleiben auch substanzielle Investitionen sowohl privater Eigentümer oder Investoren als auch
der öffentlich Hand aus. Es gibt daher keine verbindlichen Signale eines gemeinsamen Auf-
bruchs. Zudem legt nach Berichten einzelner Befragter, die sich hier engagiert haben, der öf-
fentlich beauftragte Träger zu wenig Verlässlichkeit und Interesse für die Anliegen der Partner
und deren Vorschläge an den Tag.
Es liegt auf der Hand, dass Eigentümer, Bezirke und lokale Interessenvertreter ihre strategi-
schen Entscheidungen vom eigenen Standort aus treffen. Es gibt für sie daher keine Stand-
ortwahl im Sinne der Suche nach einem geeigneten Ort, eine einmal gewählte Strategie um-
Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft: Standortfaktoren und Immobilienstrategien
zusetzen. Vielmehr steht der Standort fest und es geht um die richtige Strategiewahl. Und
hier scheint es sich momentan als gängige Notlösung zu etablieren, kreative Pioniere anzulo-
cken, um zu versuchen jedweden noch so ungeeigneten Standort aufzuwerten. ‚Wenn gar
nichts mehr geht, hol die Kreativen und Künstler rein’, scheint das Motto zu sein. Dies ist je-
doch bei weitem kein Selbstläufer.
Damit sind drei wesentliche Risiken der Hefestrategie, die ein Scheitern bewirken können be-
nannt: Trittbrettfahrer in der Umgebung, das Ausbleiben der Überführung in ein hochwertiges
Segment und falsche Bewertung der Potenziale des Standorts bzw. falsche Einschätzung der
erforderlichen Mittel und Energien für eine erfolgreiche Aufwertung.
Darüber hinaus besteht jedoch noch ein anderes Risiko, und zwar nicht eines des Scheiterns,
sondern des eigenen Erfolges. Standorte wie z. B. die Hackeschen Höfe lösen bisweilen auch
ablehnende Reaktionen bei Kunden und Kooperationspartnern hervor. Am Beispiel des Mu-
sikbusiness lässt sich das Phänomen anschaulich illustrieren: hier ist eine ablehnende Reak-
tion gegenüber Künstlern, die vor dem Hintergrund einer unabhängig aufgebauten Karriere
bei zunehmendem Erfolg zu einer großen Plattenfirma (‚Major Label’) wechseln, weitläufig
bekannt. In der Regel wird dieser Karriereschritt mit einem Verrat an den eigenen Wurzeln,
einem Verlust von Authentizität und einem Ausverkauf der eigenen Identität gleichgesetzt.
Dies geht soweit, dass sich auch bei den Künstlern bei allem Erfolgswillen die Angst vor
Kommerzialisierung breit macht, weswegen manche Verträge mit Majors vermeiden oder zu
kaschieren versuchen (Sub-Labels). Dieselben Mechanismen gibt es auch im Verhältnis zu
Standorten und Immobilien.
Gleich zwei unserer Gesprächspartner übertrugen den Begriff der ‚Major-Phobie’ aus dem
Musikgeschäft auf die Schwierigkeiten, die manche ihrer Geschäftspartner mit ihren Standor-
ten haben. Der Vorwurf eines vermeintlichen Authentizitätsverlusts einer Immobilie kann sich,
wie bereits erwähnt, daran entzünden, dass ihre Popularität von kreativen Pionieren begrün-
det wurde, die mittlerweile hochwertig sanierten Räume jedoch heute von völlig anderen
weitaus finanzkräftigeren Typen von Mietern genutzt werden. Setzt sich ein solches Image
fest, kann eine erfolgreich aus der Hefestrategie in eine hochwertige Positionierung überführ-
te Immobilie auch einmal Opfer des eigenen Erfolgs werden.
Als Vermieter kann man solche Haltungen ignorieren – bis die eigenen Mieter deswegen un-
zufrieden werden. In der Regel wird es selbstverständlich das Ziel sein, durch gezielte Bele-
gungspolitik einem möglichen Glaubwürdigkeitsverlust als authentisches Hauptquartier der
Kreativwirtschaft entgegenzuwirken. Es gehört zu den zentralen strategischen Entscheidun-
gen, diese Positionierung im Detail zu planen und abzuwägen, welche Kompromisse dafür
einzugehen man unter Umständen bereit ist.
Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft: Standortfaktoren und Immobilienstrategien
Was die Kommunikation angeht könnte man denken, dass ein erfolgreich neu positionierter
Hof mit Mieterwartelisten keiner Maßnahmen mehr benötigt. Der Blick auf die Imagerisiken im
Post-Stadium der Hefestrategie jedoch zeigt, wie trügerisch ein solcher Eindruck sein kann.
Die Strategieempfehlung orientiert sich hier ganz klar an den Etappen der Hefestrategie. Zu
Beginn können durchaus noch über virales Marketing kommunizierte und sogar fremd veran-
staltete wilde Parties Teil des Maßnahmenmixes sein. Dagegen verbieten sich in diesen ers-
ten Entwicklungsstadien groß angelegte Kampagnen im Sinne klassischer Zeitungsannoncen
und -artikel, die den späteren Umbau und die Investition vorwegnehmen. Ebenfalls in eine
frühe Phase gehört die Entscheidung, ob ein Eigenname für den Hof kreiert oder ggf. geän-
dert wird. Hier geht die Empfehlung eindeutig zugunsten einer Namensgebung, wobei darauf
zu achten ist, dass der Name bis in spätere, höherwertige Entwicklungsstadien tragen können
muss. Das Besprayen-Lassen von Wänden kann gegen Ende der Startphase (Abgleich mit
der Entwicklung des Quartiers!) schrittweise abgelöst werden von Galerien und Künstlerateli-
ers. Die Bespielung der Fläche ist in diesen Phasen weit wichtiger als das unmittelbare darü-
ber reden.
Mit Beginn der Investition in die bauliche Aufwertung kann die Kommunikation über die da-
nach avisierte Positionierung begonnen werden. Mieter der ersten (oder auch zweiten) Stun-
de, die sich ökonomisch etablieren, sollten jetzt unbedingt am Standort gehalten werden, um
bereits hier das Fundament gegen spätere Kritik an der Verdrängung der Pioniere oder gegen
den Verdacht des Glaubwürdigkeitsverlustes zu legen. Im anschließenden Stadium der
hochwertigen Positionierung kommt es darauf an, Plattitüden wie ‚hier finde ich Räume, die
meine Kreativität inspirieren’ zu ersetzen durch echte Testimonials von anerkannten Bran-
chenführern, Meinungsmachern und sonstigen Multiplikatoren der Kreativwirtschaft. Auch
zweigleisige Strategien können in Frage kommen, wenn sie zum Beispiel einerseits die an
Bedeutung gewinnenden ‚Social Media’ bedienen und andererseits durch Symposien bei-
spielsweise zu Trends in Design und Architektur ein Bild der mit Inhalten gefüllten Seriosität
vermitteln.
Hochwertigkeitsstrategie
Die Hochwertigkeitsstrategie kann das Ergebnis einer Hefestrategie sein, muss dies aber
nicht. Soll eine hochwertige Standortpositionierung am Markt für Kreative erfolgen, ohne die
popularisierende Wirkung kreativer Pioniere einzusetzen (vgl. Hefestrategie), so kommt es
unseres Erachtens ganz entscheidend auf die Alleinstellungsmerkmale der Immobilie an.
Denn die Ergebnisse der Studie lassen nicht den Schluss zu, dass Kreative für durchschnittli-
che Räume allein aufgrund ihrer Lage in einem bestimmten Quartier einen hohen Preis be-
Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft: Standortfaktoren und Immobilienstrategien
zahlen würden. Umgekehrt ist es möglich, hochwertige Angebote in Quartieren zu positionie-
ren, die nicht zwangsläufig bereits Ballungsräume der Kreativwirtschaft sind. In diesem Fall ist
der Bedarf für Alleinstellungsmerkmale des Objektes besonders groß, es muss ein besonde-
res Identifikationsangebot geben. Ist dies nicht der Fall, lassen sich im lokalen Vergleich nur
wenig überdurchschnittliche Mietpreise erzielen. Weitere Risikominimierer sind beispielsweise
umfangreiche Fördermittelzusagen oder Steuerabschreibungsmöglichkeiten für die Restaurie-
rung eines Baudenkmals, wie es an mindestens zwei untersuchten Standorten der Fall war.
Im Rahmen unserer Studie haben wir zwei Standorte untersucht, die nach anfänglicher Hefe-
strategie in eine Hochwertigkeitsstrategie überführt wurden und einen, der unmittelbar als
hochwertiges Angebot positioniert wurde. Den größten ökonomischen Erfolg hat hierbei der
Standort mit Hefestrategie, der in einem mittlerweile als absolutes Herzstück der Berliner
Kreativwirtschaft anerkannten Quartier liegt. Hier gehen Alleinstellungs- und Qualitätsmerk-
male der Immobilie und des Quartiers also Hand in Hand. Im zweiten Fall der Hefestrategie
fällt die Qualität des Quartiers deutlich gegenüber dem Niveau der Immobilie ab, was zu deut-
lich kleineren Erträgen führt. Im letzten Fall der unmittelbaren Entwicklung eines Objekts als
hochwertiges Angebot ohne begleitende oder vorgeschaltete Hefestrategie fällt auf, dass laut
Aussage des Vermieters die Immobilie nicht einmal speziell auf Kreative ausgerichtet war.
Der Zufall der Vermietung an ein kreatives Ankerunternehmen als Großmieter hat vielmehr
dazu geführt, dass sich hier ein Image als Kreativen-Standort gebildet hat und sich in der Fol-
ge zahlreiche kreative Firmen, darunter auch weitere sehr wichtige Meinungsmacher hier und
in der Nachbarschaft angesiedelt haben.
Ein zentrales Risiko bei einer Hochwertigkeitsstrategie, sofern man den Markt der Kreativen
anpeilt, was viele Vermietern offenbar von der Architektur abhängig machen, ist die konkrete
Raumgestaltung. Gerade kostspielige Sanierungen mit entkernten Fassaden und neugebau-
tem Interieur sind keine Garantie für geschmackvolle Gestaltung. Genauso verhält es sich im
Falle des Einsatzes von Kunst am Bau. Zwar gab es nur zwei Beispiele von Höfen, an denen
Kunst eingesetzt wurde. In beiden Fällen war dies jedoch eher wenig erfolgreich.
Die Raumgestaltung stellt einen ganz wesentlichen Kostenblock für den Vermieter oder In-
vestor dar und ist nur teilweise reversibel, weshalb gerade hier Fehltritte fatal sein können.
Die Definition von ‚Fehltritt’ fällt natürlich schwer. Grundsätzlich kann man jedoch festhalten,
dass vor einer ‚Übersanierung’ gewarnt werden muss, die dem Gebäude den Charakter aus-
treibt. Dass Kreative hier sehr sensibel sind, hat nicht erst diese qualitative Befragung, son-
dern auch bereits die Ausgangsstudie gezeigt. Eine Empfehlung wäre hier, Architekten zu
beauftragen, die eindeutig in kreativen Szenen verankert sind. Genauso empfiehlt es sich im
Umgang mit Kunst am Bau vielleicht eher eine Galerie am Standort unterzubringen und even-
tuell diese temporär den Außenraum bespielen zu lassen, als nur auf den eigenen Ge-
Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft: Standortfaktoren und Immobilienstrategien
schmack zu vertrauen. Die Qualität der Raumgestaltung entscheidet viel mehr als die in sie
investierte Summe, ob am Ende das Hochwertige in der Positionierung auch wirklich bei den
Zielgruppen ankommt. Das Risiko verfehlter Gestaltung ist dennoch aus Gründen der Kosten-
intensität so besonders hoch. Ein weiteres nicht unerhebliches Risiko liegt in falscher Kom-
munikation.
In der Kommunikation kommt es darauf an, sich zu professionalisieren. Zu häufig noch wird
dieser Bereich entweder stiefmütterlich und wenig innovativ oder übertrieben kreischig be-
handelt. Ähnlich wie im Endstadium der Hefestrategie kommt es darauf an, die Positionierung
im Markt der Kreativen mit Inhalten zu füllen. Der Einsatz von Promotoren aus der Szene, im
besten Fall die Akquise eines Ankerunternehmens als Mieter, kann als zentraler Vermark-
tungsbestandteil gelten. Insbesondere im Rahmen einer Hochwertigkeitsstrategie ist es von
Vorteil, sich von den üblichen Standards des Immobilienmarketings zu verabschieden. Viel-
mehr geht es darum, die Konsequenzen aus den Hinweisen auf eine Bevorzugung eines be-
stimmten Architekturstils und einer bestimmten Arbeitsatmosphäre zu ziehen. Die Ergebnisse
legen deutlich so etwas wie branchentypische Vorstellungen von Geschmack und Ästhetik
nahe. Das heißt nicht, dass nur Industriearchitektur und die Werbung damit eine Chance auf
Erfolg hat. Vielmehr muss verstanden werden, wie bedeutend Fragen des Lebens- und Ar-
beitsstils für die Standortwahl sind. Das bedeutet, Standorte und Immobilien wie Lifestyle-
Marken zu entwickeln und zu vermarkten.
Kampfpreisstrategie
Kampfpreisstrategien basieren auf reduziertem Mitteleinsatz vor allem in der Gestaltung von
Außen- und insbesondere Innenräumen und bieten sich als abwartende Strategie in aktuell
oder potentiell aufwertenden Quartieren an. Im besten Fall findet man hier herausgeputzte
Fassaden vor. In den Innenbereichen dagegen wird alles dem mietereigenen Ausbau über-
lassen, die Wände werden zum Teil nur verputzt oder auch direkt gestrichen, Kabelleitungen
und sonstige Installationen werden in von den Decken abgehängten Installationsschienen ge-
führt und an der Stelle von Lichtschaltern gibt es Sicherungskästen. Diese Art verbesserter
Rohbauzustand findet sich in zahlreichen Höfen. Er bietet Mietern große Gestaltungsspiel-
räume, wobei die Freiheit dazu zu geben geradezu zwingend für Vermieter ist, die eine sol-
che Kampfpreisstrategie verfolgen. Der ‚roughe Charme’ dieser Räume ist für zahlreiche,
auch etablierte kreative Unternehmen attraktiv und preislich sind so Wasserlagen ab 5 €/m2
nettokalt möglich.
Entlang der Schlesischen Straße am Kreuzberger Spreeufer gibt es eine ganze Reihe von
Höfen, die eine abwartende Kampfpreisstrategie zu verfolgen scheinen. Viele dieser Standor-
Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft: Standortfaktoren und Immobilienstrategien
te sind von außen kaum zu erkennen, da sie sich häufig hinter gewöhnlichen Wohngebäuden
entlang der Straße befinden. Möglicherweise ist die wenig exponierte Lage ein Grund, warum
die entsprechenden Vermieter hier nicht auf eine grundsätzlich nahe liegende Hefestrategie
setzen, da ihnen die natürliche Aufmerksamkeit fehlt. Grundsätzlich ist der Unterschied zwi-
schen beiden Ansätzen hauptsächlich der, dass die Kampfpreisstrategie eine so weitgehende
Reduktion auf das Nötigste darstellt, dass allein der Management- und Konzeptaufwand einer
Hefestrategie bereits als zu kostspielig angesehen wird. Insbesondere die Investitionskosten
der späteren Stadien der Hefestrategie werden vom Standpunkt der Kampfpreisstrategie aus
für viel zu riskant gehalten oder können von den betreffenden Vermietern schlichtweg nicht
gestemmt werden.
Ähnlich verhält es sich mit der Kommunikation: der Aufwand für jegliche Form des Immobi-
lienmarketings ist im Rahmen einer Kampfpreisstrategie grundsätzlich erst einmal als zu hoch
einzuschätzen. Nur in Ausnahmefällen, wenn sich etwa Leerstände zu verfestigen drohen,
drängt sich hier Aktivität auf. Die Namensgebung wird nicht als Frage der Distinktionsstrate-
gie entschieden, sondern meist dem Zufall überlassen (vorliegender ‚historischer’ oder topo-
graphisch angelehnter Name oder nicht).
0815-Strategie/ Profillosigkeit
Die ‚0815-Strategie’ ist eine Strategie ohne Strategie. Sie zeichnet sich stattdessen eher
durch mangelnde Profilierung aus. Es gibt so gut wie keine spezielle Ausrichtung auf Kreative
geschweige denn auf einen bestimmten Teilmarkt. Mieter werden genommen, wie sie kom-
men – geregelte Verhältnisse vorausgesetzt. Die Risikobereitschaft ist klein, daher wird in ein
akzeptables Äußeres (auch zu geringe Investition ist ein Risiko) investiert, aber auch nicht
mehr. Diese Standorte funktionieren in zwei Fällen: mitten in einem beliebten Quartier, das
als Ballungsraum kreativer Unternehmen etabliert ist und in dem ein gewisser Flächendruck
besteht sowie als Insel in einem ansonsten für Kreative wenig attraktiven Quartier, in dem die
Immobilie die einzige mögliche Wahl darstellt. Im letzteren Fall kommen Kreative hauptsäch-
lich aus Gründen der Kundennähe oder aus sonstigen Gründen der geographischen Lage,
d.h. Kreative, die im Großraum des Quartiers einen Standort suchen und dort noch die beste
Architektur finden.
Zeigen sich an Standorten mit 0815-Strategie Probleme, wird die Strategie mitunter auch ge-
ändert – jedoch nur halbherzig. In den Fällen, in denen diese Standorte gut funktionieren
werden sie vom Vermieter als Selbstläufer betrachtet und das Alltagsgeschäft der Bestands-
verwaltung dominiert die eigene Beschäftigung mit dem Standort. Kreative werden zwar nicht
bevorzugt oder durch spezielle Angebote anzusprechen versucht. Sie werden gleichwohl als
Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft: Standortfaktoren und Immobilienstrategien
substantielle Mietergruppe erkannt und ernst genommen. Dies drückt sich auch in der Kom-
munikation aus, in der hauptsächlich mit dem Motiv der Beliebtheit unter Kreativen geworben
wird. Die Mittel dieser Eigendarstellung sind allerdings sehr konventionell gewählt und verste-
hen es nicht zu überraschen.
Vermieter mit einer solchen Strategie sind bei Kreativen nicht unbeliebt. Das liegt vor allem
daran, dass sie unaufgeregt ‚ihren Job machen’ und sich auf ihr Kerngeschäft konzentrieren.
Tun sie dies jedoch nicht ausreichend gut, aufmerksam und verlässlich, ist die Verärgerung
jedoch umso größer, im Zweifel auch größer als bei einem ungewöhnlichen Vermieter, der
andere Stärken als das Kerngeschäft hat.
Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft: Standortfaktoren und Immobilienstrategien
6.3. Rolle der öffentlichen Hand
Vielfach wird unterstellt, die Kommunen täten nicht genug für die Entwicklung der Kreativwirt-
schaft. Gleichzeitig hat es selten ein anderes Thema gegeben, auf das sich kommunale Pla-
ner und Wirtschaftsförderer so schnell und so massiv gestürzt haben, wie dieses. Insbeson-
dere die Hoffnungen auf eine schnelle Entwicklung problembelasteter Stadtteile mithilfe von
Kreativen befeuern das Interesse der Kommunen. Diese Hoffnungen werden aus der Erfah-
rung rasch aufwertender Quartiere wie Berlin Mitte und aus dem Zusammenhang zwischen
Kreativwirtschaft und Gentrifizierung geschöpft. Man sollte sich hierbei nichts vormachen: nur
wer ein Interesse an der Zementierung von allgemein als negativ empfundenen Zuständen
hat, sollte eine totale Verhinderung von Gentrifizierung fordern. Dass diese jedoch künstlich
eingesetzt werden kann, um Quartiere in sehr kurzer Zeit sehr viel attraktiver zu machen, da-
von gehen im Moment allem Anschein nach sowohl die öffentliche Hand, als auch diejenigen
Vermieter aus, die eine ‚Hefestrategie’ verfolgen. Wer die Verbesserung von räumlichen Qua-
litäten dem natürlichen Lauf überlassen will, muss entweder dem Zufall vertrauen und/oder
langwierige Sanierungsmaßnahmen abwarten. Wer derzeit schnellere Erfolge sehen will, der
setzt, so scheint es, auf die Kreativen und auf Gentrifizierung.
Gleichzeitig ist dieses Thema in der Öffentlichkeit stark negativ besetzt. Die Betroffenen von
Gentrifizierung fühlen sich von Verdrängung bedroht, während sich der Rest der Stadt und
zunehmend auch Touristen in den chicen Bars und Boutiquen vor ihrer Haustür amüsieren
und die Immobilieneigentümer steigende Erträge realisieren und ggf. investieren (vgl.
Breckner 2010). Hierin drückt sich eine merkwürdige Ambivalenz aus: jeder scheint das An-
fangsstadium, sozusagen die Party-Phase der Gentrifizierung zu lieben, ohne jedoch den
vermeintlichen ‚Kater danach’ zu vertragen. In jeder Stadt der Welt werden derzeit die Quar-
tiere in den Reiseführern empfohlen, die beginnen aufgewertet zu werden oder die dieses An-
fangsstadium gerade hinter sich haben. Doch anschließend lässt die Popularität die Mieten
steigen und verdrängt die Pioniere der Aufwertung oder lässt diese ‚erwachsen werden’ (was
erklärt, das Quartiere von der Mehrzahl der Kreativen nicht wieder aufgegeben werden, sie
etablieren sich mit ihnen). Und hieran entzündet sich der öffentliche Protest und hieraus
speist sich die Furcht vor relativ bissunfreudigen Tigern wie der Investorenplattform Media-
spree.
Wir haben in unserer Studie keinen Standort untersucht, der aktuell mit Leerständen zu
kämpfen hatte. Methodisch bedingt waren alle Standorte mittlerweile so erfolgreich, dass
höchstens aus den Quartieren mit einer gefühlt ‚zu weit gehenden’ Aufwertung der Ruf nach
Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft: Standortfaktoren und Immobilienstrategien
einer Intervention der Kommune laut wurde, also eher nach dem Einbremsen des Erfolges.
An anderer Stelle wird der Bedarf für Handeln nur selten gesehen. Wie noch gezeigt wird, ist
dies wenn, dann in Quartieren mit Entwicklungsrückstand und im Kontext gemeinsamer Initia-
tiven der Fall. Beispielsweise eine Verbesserung der Nahverkehrsanbindung zu fordern
kommt keinem der Befragten bei nüchterner Betrachtung in den Sinn. Insbesondere an zwei
Standorten wurde dies zwar als Problem wahrgenommen, aber das Bewusstsein für die
mangelnden öffentlichen Mittel verdrängt jedes Wunschdenken, das ja unter Umständen den
Weg zu innovativen Alternativen öffnen könnte.
Neben der Diskussion um stadträumliche Interventionen der öffentlichen Hand zugunsten
entweder der Intensivierung oder der Verlangsamung der Entwicklung kreativer Quartiere
wurde auch das völlige Heraushalten der Politik aus der Standortgestaltung oder -entwicklung
für Kreative gefordert. Hier wurde einerseits auf die marktverzerrende Wirkung solchen Han-
delns verwiesen, auf Mitnahmeeffekte, andererseits auf die Grenzen der Planbarkeit von
Branchenschwerpunkten und auf den gerade bei Kreativen ausgeprägten Unwillen, sich in
designierte ‚Kreativimmobilien’ stecken zu lassen. Stattdessen wurde von dieser (relativ klei-
nen) Gruppe der Befragten eine Konzentration auf unternehmensbezogene Förderung, sei es
durch leicht zugängliche Fördermittel oder durch Stärkung der Managementkompetenzen
kreativer Firmen angeregt.
Da im Rahmen dieser Studie jedoch das Standortverhalten im Vordergrund steht, konzentriert
sich dieser Abschnitt auf folgende Aspekte kommunalen Handelns im Kontext der ‚kreativen
Stadtentwicklung’:
auf den selektiven Abbau von Defiziten in problematischen Quartieren und die Stärkung
von Entwicklungsansätzen dort, wo diese eine Chance auf Durchsetzung und Etablie-
rung einer dauerhaften Verbesserung haben.
auf den Schutz von Kreativquartieren vor dem eigenen Erfolg durch ‚Deckelung’ des
Aufwertungsdrucks.
Aufwertung und Quartiersentwicklung: kommunale Hefestrategie mit Kreativen
Es hört sich abgedroschen an, aber im konkreten Fall kann man es nicht oft genug sagen:
Kommunikation und Dialog sind alles! Die reduzierten Handlungsspielräume der Kommunen
werden sich in nächster Zeit kaum wieder früheren Maßstäben, als mehrstellige Millionenbe-
träge in Entwicklungsgebiete mit fragwürdiger Marktakzeptanz gepumpt wurden, annähern.
Von daher drängt sich automatisch der Gedanke des kooperativen Handelns, der Stadtent-
wicklung im Dialog auf. Berlin verfügt über zahlreiche Beispiele, insbesondere in der Förde-
Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft: Standortfaktoren und Immobilienstrategien
rung des Gründungsgeschehens, an denen Eigentümer, Firmen und Kommune an einem
Strang ziehen und – jeder in der Verfolgung seiner Interessen – zu einer positiven Entwick-
lung von Standorten beitragen.
Kreative genauso wenig wie Vermieter erwarten von der öffentlichen Hand keine Wunderta-
ten. Aber: dort, wo es Initiativen zur kooperativen Standortentwicklung gibt, wie zum Beispiel
in der Schöneberger m:street rund um Potsdamer und Kurfürstenstraße, wird von der öffentli-
chen Hand mehr erwartet, als bloß den Dialog zu eröffnen. Es geht darum, ihn auch gegen
Widerstände am Leben zu erhalten. Dazu braucht es auch verbindliche Signale bzw. Signale
des verbindlichen Engagements, wie zum Beispiel ernsthafte Investitionen in den öffentlichen
Raum, rasche Durchführung einzelner Sanierungsmaßnahmen, die Unterstützung von inves-
titionswilligen Eigentümern in Form von Incentives und eine stärkere Öffnung für kurzfristigen,
manchmal zeitlich beschränkten Wandel. Dies hat auch mit unkomplizierter Vergabe von
temporären Nutzungsrechten, der Lockerung von Umwidmungsbeschränkungen und mit der
Entwicklung zumindest einer Haltung gegenüber der Frage des temporären Baurechts zu tun.
Standortentwicklung im Dialog ist für alle Beteiligten doppelt anstrengend. Nicht nur muss ei-
ne eigene Position abgestimmt und definiert werden, es müssen mit hohem Koordinations-
aufwand Kompromisse und neue gemeinsame Wege gefunden werden. Gerade deshalb liegt
das größte Problem der Ansätze zur kooperativen Stadtentwicklung in der Erfahrung von
Misserfolg, in der Erfahrung des Einschlafens von Bemühungen, in der Erinnerung daran,
dass sich am Ende ja doch nichts bewegt, auch wenn man selbst viel gegeben hat. Dieses
Gefühl der Ernüchterung, so konnten wir sowohl von Mietern als auch von Vermietern hören,
macht sich, um im Beispiel zu bleiben, im Falle der m:street gerade bei den verschiedensten
Partnern breit.
Aus Sicht der Autoren hatte die Initiative m:street ohnehin nur geringe Erfolgsaussichten, da
der Standort zwischen der Rotlichtmeile Kurfürstenstraße und der zusehends an großen Bü-
romietern (Tagesspiegel) und Attraktionspunkten (Varieté Wintergarten) verlierenden Pots-
damer Straße sich kaum durch eine handvoll Galerien wird „umdrehen“ lassen. Für die Initia-
lisierung einer solchen Wendung ist ein in der derzeitigen Konstellation zu großer Kraftakt nö-
tig, um hier Erfolge zu zeitigen. Doch selbst wenn man von dieser schwierigen Grundkonstel-
lation (das heißt: falschen Standortwahl oder Fehlallokation von Mitteln!) einmal absieht, wird
schnell klar, dass hier seitens der öffentlichen Hand entweder falsche Erwartungen geweckt
wurden oder umgekehrt nicht genug getan wird, um den Erwartungen gerecht zu werden.
Beide Partner, Vermieter und Mieter in der Umgebung drückten Ihre Enttäuschung über man-
gelndes Engagement und mangelnde Verlässlichkeit insbesondere seitens der Kommune
bzw. der von ihr engagierten Manager der Initiative aus.
Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft: Standortfaktoren und Immobilienstrategien
Welche positiven Vorbilder gibt es?
Im Grunde ist der Erfolg von Berlin Mitte in der Entstehung eines Kreativquartiers, das mitt-
lerweile einen nicht unbeträchtlichen Anteil der Berliner Wirtschaftsleistung ausmacht, auch
das Ergebnis einer, zwar nicht aktiv konzertierten, aber dennoch gemeinsam unternommenen
und gleichgerichteten Anstrengung um Quartiersentwicklung. Die öffentlichen Fördergelder
und insbesondere die Planungs- und Koordinationsleistungen, die von staatlicher und städti-
scher Seite her in Form der Festsetzung des Sanierungsgebiets, der Planung der Sanie-
rungsmaßnahmen und der Steuerung des gesamten Prozesses gestellt wurden, sind durch
Eigenaufwendungen der Eigentümer und insbesondere die freizügige Vergabe leerstehender
Flächen an Künstler und Kreative der ersten Stunde ergänzt worden. An dieser einerseits na-
türlich gewachsenen, andererseits massiv (öffentlich und privat) unterstützten Entwicklung
wird deutlich, wie große Anstrengungen nötig wären, um dieses Vorbild in Gänze auf andere
Stadtquartiere zu übertragen, auf denen von Marktseite her ein weit geringerer Aufwertungs-
druck liegt.
Eine ähnliche Entwicklung nun für Nord-Neukölln oder die Kreuzberger Spreeufer zu erwarten
ist vor diesem Hintergrund eher unrealistisch. In beiden Gebieten konnten jedoch – zeitver-
setzt, der Wrangelkiez ist nun schon seit fünf Jahren keine ‚No-Go-Area’ mehr – positive Im-
pulse durch kompetentes Leerstandsmanagement und konzertiertes Handeln von Stadtpla-
nung/Quartiersmanagement, Eigentümern und Kreativen gesetzt werden. So ist durchaus
auch ein Geschäftsmodell entstanden. Die sehr erfolgreiche ‚Zwischennutzungsagentur Neu-
kölln’, die einer Reihe kreativer Start-Ups zu Beginn Flächen zum Nebenkostenpreis vermit-
telte, die heute von den eigenen Produkten leben und ein paar Häuser weiter eine reguläre
Miete zahlen, hat sich nach dem Ende des öffentlichen Auftrags neu aufgestellt und macht als
Planungsbüro Coopolis nun eigenständig als Dialogplattform und Flächenvermittlung für ko-
operative Quartiersentwicklung weiter.
Dies zeigt, wie viel Potential in der öffentlichen Unterstützung der Selbstorganisation von ko-
operativer Stadt(teil)entwicklung liegt. Der unterschiedliche Erfolg in Wrangelkiez, Nord-
Neukölln und Schöneberger m:street macht darauf aufmerksam, wie sehr es dabei auf die
Wahl der richtigen Partner und auch der richtigen (geographischen) Mittelallokation ankommt.
Für die Vermieter von Gewerbehöfen wird dies in zwei Fällen relevant: Selbst bei zufrieden-
stellender Vermietung der eigenen Immobilie sind ein Abbau von Leerständen oder sonstigen
Defiziten in der Umgebung immer ein Vorteil, der sich auch in zusätzlichen Wertsteigerungen
ausdrückt. Ein von uns untersuchter hochwertig positionierter Hof bleibt nur deshalb unter
den Erträgen der aktuellen Benchmark in Berlin für kreativwirtschaftlich genutzte Gewerbehö-
fe, weil er vollkommen isoliert in einem Quartier mit sozialstrukturellen Problemen und man-
Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft: Standortfaktoren und Immobilienstrategien
gelndem Angebot attraktiver Gewerbeflächen und letztlich auch einem fehlenden, dichten
Netzwerk lokaler kreativer Firmen liegt. Von daher ist die Unterstützung kooperativer An-
strengungen um Quartiersentwicklung auch bei Vollvermietung nicht zwangsläufig uninteres-
sant. Zweitens sind hier Vermieter von Immobilien angesprochen, die Vermietungsprobleme
haben und eine Positionierung am Markt der kreativen Mieter avisieren. Häufig bietet sich
dies, wie beschrieben, im Rahmen einer Hefestrategie und in Grenznähe zu etablierten oder
sich entwickelnden Kreativquartieren (GSG-Hof Prinzessin, GSG Hof Hermannplatz/ Ur-
banstr.) an. Hier kann eine enge Kooperation mit öffentlich unterstützten Initiativen und insbe-
sondere Leerstandsmanagern und Flächenbörsen kurzfristig weiterhelfen.
Für die öffentliche Hand bedeutet diese Betonung der Erfolgsaussichten einer Unterstützung
intermediärer Akteure und kooperativer Ansätze nicht, aus der Verantwortung für eigene An-
strengungen auch planerischer und finanzieller Art, genommen zu werden. Bisher gibt es kei-
ne Alternative dazu, solche Bemühungen auch durch Anstoßinvestitionen in die Aufwertung
öffentlicher Räume und durch Förderung der Investitionen durch Eigentümer zu flankieren.
Ansonsten nämlich kann es durchaus bei Zwischenmietern zum Nebenkostenpreis und nur
notdürftig geflickten Baubeständen bleiben.
Für beide, öffentliche Hand und Vermieter, ist es entscheidend, die Einbettung oder noch
besser die Entwicklung dieser Bemühungen aus einem strategischen Konzept der Standort-
bzw. Quartiersentwicklung. Alles andere erschwert die Koordination von Interessen und die
Steuerung von Interventionen erheblich. Den größten Nutzen verspricht daher die bereits
gemeinsame Erarbeitung von Strategien.
Ein wieder anderes Thema im Kontext der Entwicklungsfunktion der Kreativwirtschaft ist die
Rolle der öffentlichen Hand als Eigentümer von Immobilien mit ‚schwieriger Vermietungsper-
spektive’. Gerade in Berlin gibt es eine Reihe solcher Objekte. Die Kommune versucht hier
zunehmend, brach gefallene Fabriken und andere schwer umgestaltbare und oft mit Altlasten
verbundene Immobilien (mitunter Flughäfen...) an kreative Mieter zu vergeben bzw. als Zen-
tren der Kreativwirtschaft zu entwickeln. Den Zuspruch, den Kooperationsanfragen der öffent-
lichen Hand für die Entwicklung solcher Immobilien seitens der von uns befragten Mieter und
Vermieter erhalten würden, kann man nur als verhalten beschreiben. Beide der an solchen
Projekten Interessierten unter den befragten Mietern fanden die Präsenz anderer ernsthafter
oder auch wichtiger Firmen am Standort für die eigene Entscheidung weit bedeutender als
die Frage nach subventionierten oder gar erlassenen Mietkosten. Ein großes Problem stellt
auch das aus den Befragungsergebnissen herauszulesende mangelnde Interesse der Immo-
bilienwirtschaft an solchen objektbezogenen Kooperationen dar. Denn es müsste gerade das
Know-How aus Entwicklung, Vermarktung und Vermietung transferiert werden, da nicht allein
die bloße Nutzung von ‚Problemimmobilien’ das Ziel sein sollte. Vielmehr sollten sie zu einem
Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft: Standortfaktoren und Immobilienstrategien
gegebenen Zeitpunkt auch Erträge generieren. Das bedeutet unter Umständen auch, dass
hier durch andere als kreative Nutzungen Ertragsbringer integriert werden müssen. Für die
Immobilienwirtschaft müsste insbesondere der Anreiz definiert werden, sich an solchen Auf-
gaben zu beteiligen.
Generell ist es jedoch wichtig sich vor Augen zu führen, dass jegliche Vorstellung einer Nut-
zung der ‚Entwicklungsfunktion’ der Kreativen vor allem auf Start-Ups und experimentelle bis
unsichere Innovationsträger abstellt, da sie ganz wesentlich auf der Gleichung ‚Kreative Pio-
niere = monetäre Knappheit bei hohem eigenem Einsatz und hohem Gestaltungswillen’ be-
ruht. Daher darf es nicht verwundern, dass bereits gut etablierte kreative Firmen weit jenseits
der Start-Up-Phase sich nur sehr begrenzt für (immerhin mit einem Umzug verbundene) An-
gebote interessieren, die außer niedrigsten Flächenkosten meist wenig mehr bieten als Ge-
staltungsspielraum (auch dies keine Garantie) und die vage Hoffnung, an der Entstehung ei-
nes neuen kreativen Nucleus beteiligt gewesen zu sein. Demgegenüber stehen nicht uner-
hebliche Risiken, insbesondere in Hinsicht auf das Image der Firma und bestehende Koope-
rationsbeziehungen.
Unter Umständen scheint es ggf. einfacher, eine solche Immobilie vollständig an ein interes-
siertes kreatives Ankerunternehmen zu vergeben, das sich das Gebäude als Signature
Building ausbaut, wie dies z.B. metadesign mit einem Umspannwerk in Charlottenburg getan
hat. Die Chancen auf eine solche Entwicklung bieten sich allerdings grundsätzlich eher sel-
ten. Die Erfolgsaussichten einer solchen Strategie haben sehr viel mit der Lage und den Qua-
litäten solcher Immobilien und auch mit der Deckungsgleichheit zwischen Architektur und
Firmenidentität, ihrem Lifestyle bzw. Workstyle, zu tun.
Eine interessante Untersuchungsfrage wäre auch, ob es überhaupt Beispiele für Kontaktauf-
nahmen der öffentlichen Hand mit kreativen Meinungsmachern oder Ankerunternehmen zur
Vermittlung von schwer zu entwickelnden Immobilien gegeben hat oder umgekehrt, wie oft es
Anfragen von Ankerunternehmen nach den Rahmenbedingungen einer Übernahme solcher
Bestände gab.
Schutz kreativer Quartiere vor dem eigenen Erfolg durch kommunale Interventionen zur De-
ckelung der Aufwertung
In Ergänzung der Darstellung geplanter Entwicklungsstrategien, die auf eine Schaffung neuer
Strukturen und Räume für die Kreativwirtschaft in Quartieren oder Immobilien fokussiert ist,
soll im Folgenden auf Forderungen nach Wahrung und Schutz oder auch Unterstützung be-
reits bestehender Strukturen eingegangen werden. Die Entstehung von Kreativquartieren ist
bisher noch selten eine Folge planerischen Handelns, das genau dieses Ziel hatte. Wie je-
Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft: Standortfaktoren und Immobilienstrategien
doch sieht es mit Überlegungen zur Wahrung ihrer Funktion und ihres Charakters aus? So-
wohl seitens einzelner Befragungsteilnehmer als auch in der öffentlichen und fachlichen De-
batte wird teilweise die Forderung an die Kommune erhoben, erfolgreiche Szenequartiere
langfristig nicht sich selbst zu überlassen. Kerngedanke ist hierbei so etwas wie der Schutz
vor dem eigenen Erfolg, vor einer zu weitgehenden Aufwertung und Kommerzialisierung, die
Räume für kreative Pioniere verschwinden lässt und so langsam die Wurzel des Erfolgs als
Kreativquartier und die ‚Erzählbarkeit’ der authentischen Geschichte untergräbt.
Der hier bereits vielfach besprochene Begriff der Gentrifizierung ist auch insofern negativ
konnotiert, als er eine Aufwertung mit anschließender ‚Wiederabwertung‘ beschreibt. Das
heißt eine Homogenisierung und Filialisierung des Gebietes durch eine vom Markt gesteuerte
Entwicklung kann langfristig schlicht langweilig wirken, zum Einschlafen der kreativen Ener-
gien führen und ein ‚Umkippen‘ vorher gehypter kreativer Szenequartiere bewirken.
In Berlin werden solche Bedrohungsszenarien und daraus abgeleitet die Forderung nach ei-
ner ‚Deckelung’ der Aufwertung häufig am Beispiel der Spandauer Vorstadt dargestellt. Die
Spandauer Vorstadt befand sich zu Beginn der 1990erJahre mangels umfangreicher Moder-
nisierungsmaßnahmen zumeist in einem heruntergekommenen Zustand, denen die Auswei-
sung als Sanierungsgebiet Abhilfe verschaffen sollte (vgl. Krajewski 2006). Die vorwiegend
unzerstörte und von realsozialistischem Städtebau weitgehend verschont gebliebene Altbau-
architektur und niedrige Mieten zogen schnell Künstler und Kreative an, die sich hier nieder-
ließen und die ersten Galerien, Clubs und andere kulturelle Aktivitäten etablierten. Ein we-
sentlicher Treiber der Entwicklung war die Wohnungsbaugesellschaft Mitte (WBM), die zahl-
reiche leerstehende Ladenlokale und andere Flächen an Kreative, Künstler und Gastronomen
vergab.
Durch die Reprivatisierung entstand jedoch eine völlig neue Eigentümerstruktur. Das Restitu-
tionsverfahren hatte einen schnellen Verkauf vieler Immobilien zur Folge und unterstützt von
der öffentlichen Sanierungsplanung und der monetären Förderung erlebte die Spandauer
Vorstadt die größte Sanierungsdynamik in Berlin. Die darauf folgenden Anpassungs- und
Modernisierungsprozesse ließen im Laufe der Zeit die Mietpreise durchweg ansteigen (vgl.
Krajewski 2006). Im gleichen Maße kam es auch zu einer funktionalen Aufwertung der Span-
dauer Vorstadt und das Quartier rund um den Hackeschen Markt entwickelte sich zum kreati-
ven Aushängeschild Berlins mit einem höherwertigen Dienstleistungs-, Einzelhandels- und
Gastronomieangebot.
Aktuell sehen jedoch Teile der an Stadtentwicklung interessierten Öffentlichkeit und der
Fachwelt, aber auch unserer Gesprächspartner die Schattenseite des Erfolges sichtbar wer-
den. Der zunehmende Tourismus, pubcrawlende Kneipengänger und eine Filialisierung so-
Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft: Standortfaktoren und Immobilienstrategien
wohl im Einzelhandel als auch in der Gastronomie zeigen den Trend zu einer möglichen Ver-
änderung von Berlins kreativem Hauptquartier an. Einige Mieter der Hackeschen Höfe brach-
ten daher im Gespräch mit uns kein Verständnis dafür auf, warum die Stadt weitere Hostels
für ‚Easyjettouristen‘ am Hackeschen Markt nicht unterbindet, ein klares Entwicklungskonzept
entwirft und damit versucht die Balance am Standort zu wahren.
Wie eingangs erwähnt geht es wenigen darum, einen Gentrifizierungsprozess komplett auf-
halten zu wollen. Breckner (2010) weißt darauf hin, dass die sogenannten Gentrifier heutzu-
tage nicht mehr aus erfolgreichen Städten wegzudenken sind, da sie hier als Humankapital
benötigt werden. Übertragen auf die Kreativwirtschaft müssten jedoch effektive Strategien
entwickelt werden, wie die unterschiedlichen Potentiale von Gentrifiern und kreativen Pionie-
ren sinnvoll miteinander verknüpft werden können. Diese Forderungen gründen auf der An-
nahme, dass es für eine langfristige und nachhaltige Attraktivität von Kreativquartieren bedeu-
tungsvoll ist, den Pionieren ihrer Entwicklung vor Ort Räume zu erhalten – auch oder gerade
weil um sie herum die Preise steigen und die Gefahr einer Homogenisierung droht. Es geht
also um die Vorstellung eines ‚kontrollierten Gentrifizierungsprozesses‘ oder einer ‚Gentrifizie-
rung ohne Verlierer‘ (Krajewski 2006: 305), bei der auch Nischen für Experimente und Expe-
rimentierfreudige bestehen bleiben und durch die Aufrechterhaltung einer diversifizierten Nut-
zungs-, Nutzer- und Preisstruktur ein vielfältiges Angebot gewährleistet wird (vgl. Herkommer
und Henckel 2008).
In der Realität gibt es natürlich bereits eine ganze Reihe von stadtplanerischen Instrumenten,
die insbesondere die negativen Verdrängungserscheinungen der Gentrifizierung eindämmen
und zur Wahrung der Milieustrukturen beitragen können. Dazu zählen bestimmte Instrumente
von Sanierungsverfahren, die Sozialplanung, Milieuschutzsatzungen etc. So konnte auch in
den ostberliner Quartieren eine sprunghafte Mietpreissteigerung durch sogenannte Luxussa-
nierungen unterbunden werden (vgl. Krajewski 2006). Dennoch droht die Gefahr wie in der
Spandauer Vorstadt bisweilen sichtbar, dass der Wegfall von Schutzinstrumenten eine nega-
tive Entwicklung in Gang setzen könnte.
Für den Schutz einer kreativen Szene in einem Quartier bedarf es zunächst einer entspre-
chenden politischen Willensbildung. Teilweise wird diskutiert bestehende stadtplanerische In-
strumente, die für das Wohnen gelten, auf den Gewerbesektor auszuweiten, um eine kreativ-
wirtschaftliche und gastronomische Vielfalt zu gewährleisten. Currid (2007) weist beispiels-
weise darauf hin, dass in New York die Einführung von Mietpreisobergrenzen für Künstler und
kommunal betriebene Künstlerhäuser in New York debattiert werden. Aber auch in deutschen
Städten gibt es vergleichbare Beispiele. In Hamburg hat sich z.B. der Senat im Dezember
2009 dazu entschieden, den Besetzern der Hafenstraße angesichts der hitzigen öffentlichen
Diskussion und breiten Solidarität mit den Künstlern und Kreativen des Gängeviertels, das
Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft: Standortfaktoren und Immobilienstrategien
Gelände aufzukaufen. Breckner (2010) betont in diesem Zusammenhang zumindest den Wil-
len der Stadt Hamburg, einen „meistbietenenden Ausverkauf der Stadt“ (Breckner 2010:31)
zu verhindern. Das heißt, Grundstücke sollen nicht mehr denen überlassen werden, die dafür
am meisten bereit sind zu bezahlen, sondern denen mit dem besten Konzept, welches den
Gegebenheiten am Standort eine positive Entwicklung verspricht. Ein solches Vorhaben er-
fordert besonders das Wissen über die vor Ort laufenden Prozesse und mehr als eine an
standardisierte Maßnahmen gewohnte Stadtpolitik. Der Schlüssel zum Erfolg liegt in einem
Dialog und in einer offenen Planung lokaler Prozesse, Ressourcen und Potentiale. Eine sol-
che Haltung müsste besonders die Ideen und Vorstellungen derjenigen berücksichtigen, die
in dem Areal leben und arbeiten.
Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft: Standortfaktoren und Immobilienstrategien
7. Resümee und Ausblick
Die vorliegende Untersuchung hat in ihrer methodischen Ausrichtung der Befragung von Mietern
und Vermietern an Schwerpunktorten einer urbanen Kreativwirtschaft einen blinden Punkt in der
bisherigen Debatte um Kreativwirtschaft und regionalökonomische Entwicklung besetzt.
Dabei haben sich für Vermieter wichtige Erkenntnisse nicht nur über die Formen der Standortsu-
che und -entdeckung sowie die gestalterischen und belegungspolitischen Präferenzen kreativer
Unternehmen ergeben, sondern auch über die Bedeutung strategischer Ausrichtung, verschiede-
ne Etappen von Strategien und Strategiewechsel und die Anforderungen an eine Professionali-
sierung (d.h. nicht Übertreibung!) von Kommunikation.
Für die teilnehmenden kreativen Firmen mag der zentrale Ansporn zur Teilnahme die Möglichkeit
gewesen sein, die eigene Haltung und Vorschläge zur Verbesserung auszudrücken. Neben der
bereits in der Ausgangsstudie betonten Kritik an lokal mangelhafter Qualität der Ausstattung mit
Telekommunikationsinfrastruktur können hier insbesondere die Aspekte Einfluss auf räumliche
Gestaltung und Belegungspolitik, die Warnung vor übertriebenem bzw. inhaltslosem ‚Kreativ-
Branding’, die Sorge um die Authentizität der ‚Story’ von (zu) erfolgreichen Standorten und die
gespaltene Haltung gegenüber den adäquaten Handlungsfeldern der Kommune genannt werden.
Für die Kommune leitet sich daraus ein nicht ganz klares, uneindeutiges Bild ab. Teilweise wurde
jegliche räumlich artikulierte Intervention zur Förderung von Stadtentwicklung im kreativwirt-
schaftlichen Kontext und zur Beeinflussung der Standortwahl von Kreativen strikt abgelehnt und
stattdessen auf die Bedeutung monetärer und Kompetenzen bildender Förderung verwiesen. Von
anderen Teilnehmern wurde jedoch die Erwartungshaltung einer sehr stark räumlichen Interven-
tion geäußert. Hier wurde zwar stärker die unterstützende Begleitung von Quartiersaufwertung
gefordert, teilweise jedoch auch die Verlangsamung und Deckelung von Entwicklungsprozessen,
die vermeintlich ein erfolgreich verbessertes Quartier um die Wurzeln des eigenen Erfolgs brin-
gen. Auch die Umwidmung brachgefallener Immobilien in subventionierte Zentren der Kreativ-
wirtschaft wurde von Teilen der Befragten unterstützt, auch wenn eine eigene Beteiligung als
Promotoren solcher Flächen nur selten in Betracht gezogen wurde. Mit Blick auf die Ankerunter-
nehmen kann davon ausgegangen werden, dass diese sich durchaus als erster Ansprechpartner
der Kommune sehen und auch zur Unterstützung z.B. als Promotoren bestimmter Standorte be-
reit sind. In Teilen wurde auch die Bereitschaft zum ‚Warmwohnen’ von Standorten zu deren
Attraktivierung unter der Prämisse der späteren Beteiligung an Aufwertungsgewinnen signalisiert.
Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft: Standortfaktoren und Immobilienstrategien
Im Ausblick auf mögliche Themen sich anschließender weiterer Forschung im Themenfeld Krea-
tivwirtschaft und Stadtentwicklung muss mit einer rückblickenden Methodenkritik begonnen wer-
den, um ansatzweise die offen gebliebenen Punkte zu skizzieren.
Ganz wesentlich scheint bei einer solchen Betrachtung immer der methodische Zugang. Aus der
von den Autoren gewählten Form der Umsetzung des Auftrags, der die vorliegende Untersu-
chung als Vertiefung und Weiterentwicklung der Ausgangsstudie „Creative Class in Berlin“ defi-
niert hat, haben sich gewisse methodische Schwierigkeiten ergeben. Die Auswahl der Fallbei-
spiele ausschließlich aus den in der Ausgangsstudie identifizierten Schwerpunktadressen der
Berliner Kreativwirtschaft zu treffen, war nicht in jeder Hinsicht hilfreich. Selbstverständlich hätte
eine (kleinere!) Gruppe solcher Beispielstandorte den Kern der Untersuchung bilden müssen.
Jedoch hätten insbesondere vier Typen von Standorten außerhalb dieses methodisch direkt ab-
leitbaren Sets von Fallbeispielen noch größeren Erkenntnisgewinn versprochen:
Neu entwickelte, explizit als Standorte für Kreative positionierte und gebrandete Standorte
wie die Schuckert-Höfe der Berggruen-Holdings.
Standorte mit Entwicklungsdefiziten und Leerständen, deren Neupositionierung im Rahmen
einer Hefe-Strategie gerade begonnen wurde wie beispielsweise die Kreuzberger ‚Prinzes-
sin’ der Orco-GSG.
Standorte mit anderer als der typischen Gewerbehof-Architektur, z.B. Neubauten der 60er
Jahre oder auch der Nachwendezeit einbezogen werden können, um gerade unter den
Mietern nicht immer nur diejenigen zu befragen, die nun einmal eine solche Architektur als
ihr Arbeitsumfeld und als Teil ihres Images gewählt haben und sich daher in diesen und
eventuell auch anderen Punkten möglicherweise zu ähnlich waren.
Standorte wie einzelne, teilweise zwischengenutzte Ladenflächen wie in den Neuköllner
Quartieren Reuterkiez oder S-Bahnhof Sonnenallee, in denen sich gerade der ‚kreative
Humus’ junger Selbständiger und Künstler eine eigene Welt inmitten der sozialstatistisch
größten Probleme der Stadt aufbaut. Hier hätten abweichende Fragen nach den Erfahrun-
gen als ‚Raumpioniere’ und nach den Vorstellungen von der Firmenimmobilie in zehn Jah-
ren gestellt werden können. Auch den Vermietern hätte man vom Standardgesprächsleit-
faden abweichende Fragen stellen können bzw. müssen.
Ein solches erweitertes Standort-Set hätte jedoch den Rahmen dieser Studie überschritten. Ge-
gebenenfalls hätte die Anzahl der pro Fallbeispiel befragten Teilnehmer auf einen bis maximal
zwei Interviewpartner pro Standort reduziert werden müssen, was wiederum die Aussagekraft der
standortspezifischen Einschätzung verringert. Eine weitere Möglichkeit das Erkenntnisspektrum
zu vergrößern, wäre die Einbeziehung der Kommune, um eine weitere Perspektive in die Analyse
zu integrieren.
Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft: Standortfaktoren und Immobilienstrategien
Inhaltlich ist festzustellen, dass die Konzentration auf die Kernthemen der Debatte um Standort-
faktoren das mit Sicherheit zukünftig prägende Thema der Nachhaltigkeit und Energieeffizienz an
den Rand gedrängt hat. Zwar ist hier einschränkend zu bemerken, dass keiner der Gesprächs-
partner die mehrfach gegebenen Gelegenheiten, ein nicht von uns berücksichtigtes Thema anzu-
sprechen, dafür genutzt hat, die Energieeffizienz von Immobilien zu diskutieren. Dennoch spricht
derzeit alles dafür, dass die Frage der Energieeffizienz und der damit verbundenen Imageaspek-
te sowie der Konsequenzen auf der Betriebskostenseite zu einem zentralen Problem der Bewer-
tung von Standortfaktoren in der nahen Zukunft wird.
Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft: Standortfaktoren und Immobilienstrategien
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Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft: Standortfaktoren und Immobilienstrategien
Anhang: Standorte
Im Folgenden soll ein kurzer Überblick über die untersuchten Standorte gegeben werden. Einlei-
tend wird jeweils das Quartier und der Gewerbehof sowie die Besonderheiten und die Standort-
einschätzung aus Sicht der kreativen Unternehmen beschrieben. Im Anschluss folgen jeweils
einige photographische Eindrücke sowie ein tabellarischer Überblick zu den wichtigsten Kennda-
ten der Immobilie.
a. Hackesche Höfe, Mitte
Einleitung: Standortbeschreibung
Die Hackeschen Höfe sind der wohl bekannteste Standort in dieser Studie und genießen eine
weit über die Berliner Grenzen hinausreichende Reputation.
1858 erwarb der Glasfabrikant Quilitz das Grundstück an der Rosenthaler Straße 40 in Berlin
Mitte und ließ erste Gewerbebauten für den Eigenbedarf errichten. Erst 1905 erwarb die Er-
bengemeinschaft Quilitz die angrenzenden Grundstücke Rosenthaler Straße 41 und So-
phienstraße 6 und ließ 1906/1907 von den Architekten Berndt und Endell den Gewerbehof
planen und bauen. Seit dem Jahr 1977 steht die Anlage unter Denkmalschutz und wurde un-
ter Auflagen in den Jahren 1995-1997 saniert. Der Gewerbehof wechselte einige Male seinen
Eigentümer. Heute gehört der Standort dem Bauunternehmer Roland Ernst und dem Immobi-
lienunternehmer Dr. Rainer Behne. Die Verwaltung und das Vermietungsmanagement über-
nimmt die Pentanex GmbH, die auch in den Höfen ansässig ist. Insgesamt bietet der im östli-
chen Zentrum Berlins gelegene Hof ca. 16.000 qm Gewerbefläche.
Die große Zeitspanne zwischen der Errichtung des ersten und des letzten Gebäudes schlägt
sich in der Architektur nieder, die vordringlich durch klassische Backsteingebäude und grün-
derzeitliche Gewerbebauten gekennzeichnet ist, jedoch als Highlight einen Hof mit wieder-
hergestellten Jugendstilfassaden aufweist. ,Diese schaffen zusammen mit der Innenhofge-
staltung eine besondere Aufenthaltsqualität und Atmosphäre. Die Höfe verfügen über Sitzge-
legenheiten, einige Grünflächen und einen Springbrunnen, dafür gibt es allerdings keine
Stellplätze für PKW. Die Innenhöfe sind geprägt durch Ladenfronten von Einzelhandelsbe-
trieben und Gastronomie in den Erdgeschossen und einer Mischung aus Büronutzung und
Wohnungen in den Obergeschossen. Die Hackeschen Höfe und die sie umgebende Span-
dauer Vorstadt haben sich zum kreativen Aushängeschild Berlins und international bekannten
Touristenziel entwickelt. Kein Tag vergeht, an dem sich nicht Touristengruppen durch die
Gewerbehöfe schieben, die jugendstilverzierte Fassade begutachten, in einem der Cafés
verweilen oder an den Schaufenstern der Läden stehen bleiben.
Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft: Standortfaktoren und Immobilienstrategien
Unter den Standortfaktoren, die von den in den Hackeschen Höfen sitzenden Unternehmen
als Gründe für ihre Standortentscheidung angeführt werden, sind sowohl immobilienbezoge-
ne als auch quartiersbezogene Faktoren. Der Vermieter räumt den Kreativen einen hohen
Spielraum für eigene Gestaltungsmöglichkeiten ein. Besonders positiv hervorgehoben wird
die Qualität der Aufenthaltsflächen und Gestaltung der Immobilie. Der Stadtteil Mitte als Kon-
zentrationspunkt der kreativen Szene Berlins spielt aufgrund der Nähe zu Kunden und Koo-
perationspartnern eine wichtige Rolle. Insbesondere die Werbebranche scheint sich hier mit
einigen namhaften Ankerunternehmen zu ballen und kreative Dienstleister (z.B. für die Verto-
nung oder Visual Effects bei Werbespots) an den Standort zu ziehen. Als negative Entwick-
lung wird die ständige Zunahme des Tourismus gesehen sowie die Gefahr der Filialisierung
und Homogenisierung des Quartiers und der Verdrängung von Kreativen durch stetig stei-
gende Mietpreise.
Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft: Standortfaktoren und Immobilienstrategien
Eindrücke
Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft: Standortfaktoren und Immobilienstrategien
Fact Sheet
Name Die Hackeschen Höfe
Adresse Rosenthalerstraße 40/41 & Sophienstraße 6, 10178 Berlin
- Kreatives Szenequartier Mitte und kommerzielles Zentrum der City-Ost - Gastronomie und Einzelhandel des kurz- bis längerfristigen Bedarfs - Vielseitiges Freizeit- und Kulturangebot (u.a. Kino, Theater, Varieté)
Architektur Historische Backsteinindustriearchitektur mit detailliertem Fassaden-schmuck (Jugendstilelemente)
Baualter Erste Gewerbebauten 1858, Erweiterungen 1906/07
Baulicher Zustand - Denkmalschutz seit 1977 - Sanierung 1995 -1997
Gestaltete öffentl. Räume
Mehrere zusammenhängende Innenhöfe mit aufwendig gestalteten öffent-lichen Flächen (Sitzgelegenheiten, Begrünung, Springbrunnen)
Look & Feel Immobilie und Quartier
- Belebte Immobilie, hohe Aufenthaltsqualität durch besondere Innenhof-gestaltung, kulturelle und gastronomische Einrichtung
- Szenequartier und kommerzielles Zentrum der City-Ost, Touristenan-ziehungspunkt (hoher Publikumsstrom)
USP, Distinktion Hoher Bekanntheitsgrad (Image, Medienpräsenz, bekannte Adresse), qualitativ hochwertige Fassaden- und Innenhofgestaltung, Mischnutzung (Wohnen und Gewerbe), Full-Service-Angebot
Eigentümer Heidelberger Bauunternehmer Roland Ernst und Düsseldorfer Immobilien-unternehmer Dr. Rainer Behne
Verwaltung / Management
PENTANEX GmbH Ansprechpartner: Herr David S. Kastner Adresse: Rosenthalerstraße 40/41 & Sophienstraße 6, 10178 Berlin
Umfeld, Funktionsviel-falt, Dienstleistungen, etc.
- Abseits der kreativen Szenequartiere, geringes Freizeit- und Kulturangebot, Nahversorgung des kurzfristigen Bedarfs
- Wohnquartier mit hohem Anteil an gefördertem Wohnungsbau - Nähe zum Rotlichtmilieu (Kurfürstenstraße)
Architektur Historische Backsteinindustriearchitektur mit Fassadenschmuck
Baualter Erbaut 1889
Baulicher Zustand - Aufwendig sanierte Außenfassaden - Teilweise neubauartiger Innenausbau
Gestaltete öffentl. Räume Gestaltung der Innenhöfe durch Begrünung und Kunst am Bau
Look & Feel Immobilie und Quartier
- Große offene Höfe, Innenhofgestaltung mit Fassadenbegrünung und Per-gola schafft Atmosphäre und wirkt einladend, dennoch geschäftig durch die Handwerksunternehmen (hauptsächlich im EG)
- Sozial benachteiligtes (Wohn-)Quartier, keine hochwertige Gastronomie (vorwiegend Imbisse) und Mangel an Freizeit- und Kulturangebot
USP, Distinktion - Historisch wertvolle Backsteinarchitektur - atmosphärische Innenhofgestaltung - Kunst am Bau
Räumliche Nähe zu den Szenequartieren in Friedrichshain und Kreuzberg, Eastside Gallery (hoher Bekanntheitsgrad und touristische Attraktivität), Spreeuferweg, Brachflächen und Umbaumaßnahmen (Mediaspree)
Architektur Gründerzeitliche Industriearchitektur mit modernen Innausbau
Szenequartier Kreuzberg (Wrangelkiez), hohe Anzahl an kulturellen und gastronomischen Einrichtungen (u.a. Arena, Badeschiff, Clubs und Bars entlang der Schlesischen Str.), sozial u. kulturell durchmischtes Wohngebiet
Szenequartier Kreuzberg (Wrangelkiez), hohe Anzahl an kulturellen und gastronomischen Einrichtungen (u.a. Arena, Badeschiff, Clubs und Bars entlang der Schlesischen Straße), sozial und kulturell durchmischtes Wohngebiet
Zentrale Lage innerhalb des Szenequartiers Kreuzbergs in unmittelbarer Nähe zur Oranienstraße, großes Gastronomie-, Kultur- und Freizeitangebot in der Umgebung, sozial und kulturell durchmischtes Wohngebiet (mit geför-dertem Wohnungsbau)
- Fassadenbegrünung - keine Aufenthalts- oder Grünflächen
Look & Feel Immobilie und Quartier
- Schlicht gestalteter Gewerbehof, Fassadenbegrünung und ursprüngliches Flair schaffen Atmosphäre, Stellplätze zugunsten von Aufenthaltsqualität
- Ruhige Straße in unmittelbarer Nähe zur belebten Oranienstraße
USP, Distinktion Überschaubarkeit, ursprüngliches Flair (u.a. Erhalt der Fabrikschlote), ruhige Straßelage bei gleichzeitiger zentraler Lage (Nähe Oranienstraße) in Kreuz-berg
Eigentümer ORCO-GSG
Verwaltung / Management
GSG Asset GmbH & Co. Verwaltungs KG Adresse: Franklinstraße 27, 10587 Berlin
Branchenstruktur Unternehmen der Kreativwirtschaft: 9
Branche Anzahl Firmen
Design Architektur, Planung und kulturelles Erbe Werbung, PR Musikwirtschaft Kunstmarkt Buch- und Pressemarkt Software, IT
3 1 1 1 1 1 1
Unternehmen aus nicht kreativen Branchen: 15 (vorwiegend Handwerk)
Mietfläche - 8.700 qm - 37 Stellplätze
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g. Orco-GSG Helmholtzstr. 2-9, Charlottenburg
Einleitung: Standortbeschreibung
Die historischen Teile des Gewerbehofs in der Helmholtzstraße 2-9 in 10587 Berlin Charlot-
tenburg stammen aus den Jahren 1898 und 1899. Die roten Backsteingebäude wurden als
Glühlampenwerk vom Unternehmen Siemens & Halske erbaut und waren später Sitz des Un-
ternehmens Osram. Seit dem Jahr 1969 befindet sich die denkmalgeschützte Anlage im Be-
sitz der GSG. Umfassende Sanierungsarbeiten und Gebäudeerweiterungen fanden im Jahr
2000 statt. Insgesamt bietet der Gewerbehof ca. 34.000 qm Gewerbefläche und verfügt über
179 Mieteinheiten. Die Struktur der näheren Umgebung stellt sich als eine Mischung aus For-
schung, Gewerbe- und Wohnnutzung dar. Die Größe der Anlage wird durch die wuchtig wir-
kende Architektur der Backsteingebäude unterstrichen. Die Erweiterungsbauten versuchen,
den Stil aufzunehmen, und imitieren die Industriearchitektur mit großen Fensterfronten. Der
moderne Innenausbau mit Neubaucharakter hat den Gebäuden den Charme genommen. Die
Innenhofgestaltung beschränkt sich auf wenige Grünflächen und viele Stellplätze. Der Hof be-
findet sich abseits der gegenwärtigen Geographie der kreativen Zentren der Stadt. Geogra-
phisch liegt er zwischen Spree und Landwehrkanal, unweit vom Ernst-Reuter-Platz entfernt.
Durch die Nähe zur TU Berlin und zur Universität der Künste ist die nähere Umgebung ge-
prägt von forschungs- und entwicklungsintensiven Instituten und Unternehmen. Im Gewerbe-
hof befindet sich die European Telematics Factory, die Unternehmen aus den Bereichen der
mobilen IT und Telematik Räumlichkeiten und Vernetzungsmöglichkeiten bietet.
Gegenüber diesen Standortvorteilen wäre die schlechte Erreichbarkeit mit dem öffentlichen
Personennahverkehr als Nachteil zu nennen. Während die Anbindung mit dem PKW/LKW gut
ist, kann man ohne den Individualverkehr zu nutzen die Anlage nur mit einer Buslinie errei-
chen. Hier setzt auch die Kritik von Seiten der befragten kreativen Unternehmen an. Zudem
fehlt es im Gebiet an hinreichender gastronomischer und kultureller Infrastruktur. Daher sind
es auch hier die immobilienbezogenen Faktoren, welche die Standortentscheidung dominie-
ren. Wer sich beispielsweise aus Gründen der geographischen Lage für den Großraum nörd-
liches Charlottenburg/Moabit entscheidet, der findet kaum Flächen in einer ansprechenderen
Architektur als im Hof in der Helmholtzstraße. Als besonders positiv lässt sich die Größe des
Gewerbehofes hervorheben, die eine Anmietung von Seminarräumen, einer Dachterrasse
oder gastronomischer Einrichtung am Standort ermöglicht. Als verbesserungsbedürftig emp-
finden die ansässigen Unternehmen die besonders die Gestaltung der Außenflächen. Hier
mussten Grünflächen zusätzlichen Stellplätzen und einem Parkhaus weichen. Auffällig ist,
dass sich an dem Standort überdurchschnittlich viele Architekten konzentrieren, was sich auf
die Nähe der Architekturfakultäten der Berliner Universitäten zurückführen lässt.
Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft: Standortfaktoren und Immobilienstrategien
Eindrücke
Schwerpunktorte der Berliner Kreativwirtschaft: Standortfaktoren und Immobilienstrategien
Gemischtes Gebiet aus Forschungs- und Entwicklungsinstituten, Gewerbe- und Wohneinheiten, Nähe zur TU Berlin und Universität der Künste, Land-wehrkanal und Spreeufer in fußläufiger Entfernung