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Salisches Kaisertum und neues Europa Die Zeit Heinrichs IV.und Heinrichs V. Herausgegeben von Bernd Schneidmüller und Stefan Weinfurter
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Jun 19, 2019

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Salisches Kaisertumund neues Europa

Die Zeit Heinrichs IV.und Heinrichs V.

Herausgegeben vonBernd Schneidmüller und Stefan Weinfurter

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ERNST-DIETER HEHL

König - Kaiser - PapstGedankliche Kategorien eines Konflikts

Als einziger Beitrag des Bandes »Salisches Kaisertum und neues Euro-pa in der Zeit Heinrichs IV. und Heinrichs Y.« nennt der folgende den»König« in seinem Titel'. Der Konflikt, um den es in der Kette meinerTitelstichwörter geht, ist der zwischen den salischen Herrschern undden Päpsten, vor allem seit Gregor VII. Das Wormser Konkordat zwi-schen Heinrich V.und Calixt n.beendet ihn. Als frühen Höhepunkt desKonfliktes zwischen dem römisch-deutschen Kaiser und den Päpsten,als Kaiser-Papst-Konflikt, hat ihn die Forschung immer wieder behan-delt, als einen Teil der für die lateinische Christenheit charakteristi-schen Auseinandersetzung um die Abgrenzung zwischen weltlicherund geistlicher Gewalt verstanden, in einer den Quellen angelehntenForschungsterminologie geht es um eine Auseinandersetzung und' Ab-grenzung zwischen Regnum und Sacerdotium. Eine um Kaiser undKaisertum kreisende Begrifflichkeit erschließt den Konflikt offensicht-lich nur zum Teil beziehungsweise wird zur Chiffre für einen Konfliktzwischen den beiden höchsten Instanzen weltlicher und geistlicher Ge-walt in der lateinischen Christenheit. Hier war nur der Papst unange-fochten für diesen Raum als ganzen zuständig, und »Kaiser« kann alsInbegriff herrscherlicher Gewalt gelten, und zwar für einen definiertenRaum, der nicht mit der lateinischen Christenheit als solcher gleich-zusetzen ist. Der Kaiser ist in diesem Verständnis der Idealtypus einesKönigs, und er ist aufgrund seines Herrschaftsraumes in einer spezi-fischen Art der römischen Kirche und deren Oberhaupt zugeordnet.

Das Ende des Konfliktes zwischen Kaiser und Papst in der salischenEpoche, das Wormser Konkordat', definiert deshalb die Rechte Kaiser

1 An Abkürzungen/Siglen sind verwendet: JL • PHILlPPUS IAPPB,Regesta pontificumRomanorum. Editionem secundam et auctam auspiciis GULIELMIWATIENBACHcura-verunt SAMULLOEWENPELO/FEROINANOKALTENBRUNNER/PAULEWALO,2 Bde., Leipzig1885-1888. MIGNBPL - I.-P. MIGNB, Patrologiae cursus completus. Series Latina.

2 MGH Constitutiones 1, ed. LUOWIGWEILAND, Hannover 1893, Nr. 107 (UrkundeHeinrichs V.) und 108 (Urkunde Calixts ll.), S. 159-161. Grundlegend PBTERCLASSBN,Das Wormser Konkordat in der deutschen Verfassungsgeschichte, in:Investiturstreit

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Heinrichs V. nicht als kaiserliche Rechte, sondern als Rechte in seinenKönigreichen. Heinrichs zentrales Herrschaftsgebiet und seine eigent-liche Machtbasis wird ausdrücklich als ein solches benannt. Im regnumTeutonicum soll er die Bischöfe und Äbte investieren, bevor sie die Wei-he erhalten. In den anderen partes imperii soll der Gewählte innerhalbvon sechs Monaten nach seiner Wahl investiert werden. Den Begriff»Investitur/investieren« vermeidet jedoch die päpstliche Urkunde, diedem Herrscher diese Rechte zugesteht, sondern es ist vom Empfangder regalia durch den Bischof die Rede. Nicht eine vom Kaisertum, son-dern eine vom Königtum abgeleitete BegrifflichkeitJ prägt so die päpst-liche Urkunde des Konkordats; auch die kaiserliche kommt ohne denRekurs auf das Königtum nicht aus. Heinrich, Dei gratia Romanorumimperator augustus, gesteht für alle Kirchen, die sich in seinem regnumbzw. imperium befinden, die kanonische Wahl und freie Weihe zu.

Diese Beilegung eines rund fünfzig Jahre alten Konflikts spiegeltzunächst einmal einen simplen Sachverhalt wider. Entstanden war derKonflikt zwischen König und Papst, und als solcher musste er deshalbauch ein Ende finden', Zugespitzt hatte sich der Konflikt zwischen densalischen Herrschern und den römischen Päpsten, weil er sich bereitsin seinen Anfängen mit einem Konflikt zwischen dem Herrscher undseinen Großen verknüpft hatte. Auch hier handelte es sich seit demSächsischen Aufstand der l070er Jahre um einen Konflikt, in den der

und Reichsverfassung, hg. von JOSEFFLECI<ENSTEIN(Vorträge und Forschungen 17),Sigmaringen 1973, S. 411-460; zum Abschluss vg!. die Diskussion zwischen CLAUDIAZEY, Der Romzugsplan Heinrichs V. 1122/23. Neue Überlegungen zum Abschlussdes Wormser Konkordats, in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 56,2000, S. 447-504, und BEATEScHILLING, Ist das Wormser Konkordat überhaupt nichtgeschlossen worden? Ein Beitrag zur hochmittelalterlichen Vertragstechnik, in: ebd.58,2002, S. 123-191.

3 Vg!. lRENEOrT, Der Regalienbegriff im 12. Jahrhundert, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Kan. Abt. 35, 1948, S.234-304; JOHANNESFRIED, DerRegalienbegriff im 11. und 12. Jahrhundert, in: Deutsches Archiv für Erforschungdes Mittelalters 29,1973, S. 45{}-528; CLAUDlAMÄRTL, "Res ecclesiae«, "beneficia ec-clesiastica« und Regalien im Investiturstreit, in: Chiesa e mondo feudale nei secolix-xn. Atti della dodicesima Settimana internazionale di studio, Mendola, 24-28agosto 1992 (Miscellanea del Centro di studi medioevali 14), Mailand 1995, S.451-472, bes. S. 466ff.

4 Die Frage, ob der Konflikt durch ein päpstliches Investiturverbot ausgelöst wordenist, berührt nicht das hier interessierende Problem. Vg!. die Diskussion zwischenRUDOLFScHIEFFER,Die Entstehung des päpstlichen Investiturverbots für den deut-schen König (Schriften der MGH 28), Stuttgart 1981, und (als seine letzte Stellung-nahme) JOHANNESLAUDAGB,Nochmals: Wie kam es zum Investiturstreit, in: VomUmbruch zur Erneuerung? Das 11. und beginnende 12. Jahrhundert - Positionender Forschung, hg. von JÖRG ]ARNUT!MATTHIASWIlMHOFF (MittelalterStudien 13),München 2006, S. 133-150, der aber davor warnt, »die anfängliche Bedeutung desInvestiturverbots zu überschätzen«, das er für 1075 annimmt.

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König - Kaiser - Papst

König involviert war. Weder Heinrichs IV. Kaiserkrönung von 1084 -vom Reformpapsttum naturgemäß ignoriert" - noch die seines Sohnesund Nachfolgers 1111 hatten diese Grundkonstellationen verschoben.Die Grundfrage meines Referats ist deshalb, ob auch das Kaisertumdie Beschreibung des Konflikts und die Suche nach einer Lösungs-möglichkeit geprägt und verändert hat. Ich konzentriere mich dabeiauf den Konflikt zwischen Herrscher und Papst. Dass seine Lösung aufdie königliche, nicht auf die kaiserliche Herrschaft abhob, habe ich be-reits angedeutet. Das führt zu der Fragestellung, ob für das Kaisertumgetroffene Aussagen der Zeitgenossen auf das Königtum übertragenwurden.

Dass die Salier selbst ihrem Kaisertum einen hohen Rang einräum-ten, zeigte sich bereits in ihren Anfängen. Konrad 11. ließ 1028 auf sei-ner Kaiserbulle seinen bereits zum König erhobenen Sohn Heinrich Ill.darstellen und als spes imperii bezeichnen", Dessen Herrschaft jedochbewies, dass es auch in den Beziehungen zur römischen Kirche unver-ziehtbar war, aufgrund königlicher Stellung handeln zu können. AlsKönig hat Heinrich Ill. auf der Synode von Sutri für die Entfernungder drei um die Papstwürde rivalisierenden Päpste gesorgt und für dieErhebung eines neuen, der ihn dann zum Kaiser krönte. Vergleichbarhatte Otto Ill. 996 unmittelbar vor seiner Kaiserkrönung die EinsetzungPapst Gregors V. betrieben'. Doch damals war der rechtmäßig am tie-

5 Vg!. ALPaNSBECKER,Urban II. und die deutsche Kirche, in: Investiturstreit undReichsverfassung (wie Anm. 2), S. 241-275. Becker konstatiert S. 244, dass in denerhaltenen Schriftstücken Urbans die Worte imperator bzw. imperium nicht mehr be-gegnen bis auf eine Ausnahme, ein »Trost- und Mahnschreiben« an Abt Berengarvon St. Laurentius in Lüttich. Dort ist Heinrich IV, als homo Christianae pacis eoersoret ecclesiarum sacrilegus venditor, Romani imperii destructor, haereticorum auctor et defen-sor charakterisiert (MIGNBPL 151, Sp. 396; Regest: JL 5538). Erhalten bleibt jedochdie Nennung des Kaisers in Urbans Urkunden in der traditionellen Sanctio. Vg!.etwa für Empfänger aus dem nordalpinen Reich die Urkunden für Rottenbuch von1090 und 1092: Sane, si quis in crastinum archiepiscopus, episcopus, imperator aut rex,princeps ... huius nostri privilegii paginam sciens contra eam temere venire temptaoerit ...(JL 5428: J. VONPpLUGK-HARTIUNG,Acta pontificum Romanorum inedita 2, Stuttgart1884, S. 147; JL 5459: MIGNBPL 151, Sp. 339 C, dort imperator aut princeps). Urbannimmt den Kaiser nur noch als potentiellen Störer der kirchlichen Ordnung wahr.

6 KARL5cHMID,Zum Haus- und Herrschaftsverständnis der Salier, in: Die Salier unddas Reich I: Salier, Adel und Reichsverfassung, hg. von STBFANWEINFURTBRunterMitarbeit von HELMUTIfKLUGER,Sigmaringen 1991, S.21-54, hier S.29. Vg!. auchTILMANSTRUVE,Kaisertum und Romgedanke in salischer Zeit, in: Deutsches Archivfür Erforschung des Mittelalters 44, 1988, S. 424-454, hier S. 426f.

7 Zu Sutri zusammenfassend HEINZWOLTBR,Die Synoden im Reichsgebiet und inReichsitalien von 916 bis 1056, Paderbom 1988, S.379ft. Zu Gregors V.AmtsantrittTETAE. MOEHS,Gregorius V (996-999). A Biographical Study (Päpste und Papsttum2), Stuttgart 1972, S. 25f.; SEBASTIANScHOLZ,Politik - Selbstverständnis - Selbstdar-stellung. Die Päpste in karolingischer und ottonischer Zeit (Historische Forschun-

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rende Papst unmittelbar zuvor gestorben. Heinrich Ill. hatte jedoch di-rekt in eine verworrene Situation des Papsttums eingegriffen, und baldwurde diskutiert, ob er dazu überhaupt berechtigt gewesen war.

Den schärfstenAngriff erhob der Verfasser des sogenannten TraktatsDe ordinando poniifice. Nicht dass Heinrich noch kein Kaiser gewesensei, ist für diesen das Unerhörte. Er bezeichnet nämlich Heinrich aus-drücklich als Kaiser und bestreitet dann grundsätzlich das Recht einesKaisers, sich in eine Papstwahl einzumischen. Denn einen weltlichenHerrscher gehe die Vergabe der höchsten geistlichen Würde nichtsan. Der Kaiser sei ein Laie - und Heinrich ein Laie von zweifelhaftemRuf', Heinrich selbst hatte versucht, sich eine zusätzliche Legitimationzu verschaffen, indem er mit seinem Kaisertitel auch den Titel einespatricius Romanorum angenommen hatte. Als Petrus Damiani mit seinerDisceptatio synodalis im Cadalusschisma die Diskussion um die Ereig-nisse von Sutri aufgriff, hat er mit diesem Amt Heinrichs Vorgehen ge-rechtfertigt. Nicht als Kaiser habe Heinrich interveniert. Den Versuch,dem König in seiner Eigenschaft als rex Romanorum bei der Papstwahldie Rechte des Romanus imperator zuzuschreiben, den der Verteidigerdes Königs in der Disceptatio unternommen hatte, ließ Petrus Damiani

gen 26), Stuttgart 2006, S. 332ff., dort S. 363 zur Grabinschrift, in der die Lenkungder Papstwahl durch Otto III. hervorgehoben wird. Dieses Motiv findet sich auchauf dem von Sergius errichteten Epitaph für Silvester n., dazu ebd., S. 393.

8 Letzte Edition: Der Traktat De ordinando pontifice, ed. ERWINFRAUENKNECHT(MGHStudien und Texte 5), Hannover 1995; vgl. hier S. 98, Z. 311-313: Post has itaque sane-forum prohibitiones, post in aposiolicae sedis ueneraiione tot institutas sanctiones imperatoriste Deo odibilis non dubitavit deponere, quem ei non licebat eligere; elegit, quem non eratJas deicere. Voraus geht eine scharfe Kritik am Kaisertum (und damit weltlicher Herr-schaft) überhaupt, S.96, Z. 291-S. 97, Z. 1: Ubi enim inveniuntur imperatores locumChristi obtinere? Si verius liceat nobis dicere potius offitio diaboli funguntur in gladio etsanguine, ut, dum per penitentiam eruantur vitia spirituali resecaiione, ipsi insaniant vel incede vel in membrorum carnali obtruncatione. Zur Rolle der Laien bei Absetzung undWahl von summi sacerdotes ebd., S. 92, Z. 246ff. Absetzung als Gericht steht alleinGott zu. Bei der Wahl dürfen Laien mitwirken, sed post sacerdotale iuditium (Z. 255).Die Einreihung des Kaisers unter die Laien und »einfachen« Menschen geht aus derPassage ab S. 89, Z. 201, und den dort gesammelten Zitaten hervor. Zu den Äußerun-gen über Heinrich III. vgl. HANSHUDERTANTON,Der sogenannte Traktat »De ordi-nando pontifice«. Ein Rechtsgutachten in Zusammenhang mit der Synode von Sutri(1046) (Bonner Historische Forschungen 48), Bonn 1982, S.49ff. Zur Verknüpfungder weltlichen Gewalt mit Teufelswerk in den Auseinandersetzungen der Kirchen-reform und des Investiturstreits vgl. WOLFGANGSTÜRNER,Peccatum und Potestas.Der Sündenfall und die Entstehung der herrscherlichen Gewalt im mittelalterlichenStaatsdenken (Beiträge zur Geschichte und Quellenkunde des Mittelalters 11), Sig-maringen 1987, S. 123ff. (zu De ordinando S. 13lf.); BERNHARDTÖPFER,Urzustand undSündenfall in der mittelalterlichen Gesellschafts- und Staatstheorie (Monographienzur Geschichte des Mittelalters 45), Stuttgart 1999, S. 123ff. (einsetzend mit De ordi-nando).

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König - Kaiser - Papst 11

ins Leere laufen", Anerkannt hat er aber das Argument, Heinrich habevon den Römern mit der Würde des patricius Romanorum den princi-patus bei der Wahl des Papstes erhalten", Hier handelt der Herrscherdemnach als Erster der Römer, als Haupt des römischen Volkes, dasnach kanonischer Tradition an der Wahl seines Bischofs zu beteiligenwar. Das Problem der Entfernung der drei rivalisierenden Päpste ausihrem Amt wird überspielt, das politisch Entscheidende jedoch gesagt:Der Kaiser als solcher hat keinen Anteil an der Papsterhebung. Impli-ziert ist weiterhin: Die Stellung als patricius, die ihm diesen Anteil gibt,verdankt er innerrömischen Strukturen, doch sollte das Patriziat ver-erblich sein". Heinrich IV. hat dann die Bindung der patricius-Würdean die Verleihung durch die Römer gelöst. 1076berief er sich in seinemAbdankungsbefehl an Gregor VII. auf seine Einsetzung durch Gott, wasdie Römer durch Eidesleistung anerkannt hätten". Die Erhebung Wi-berts von Ravenna zum (Gegen-)Papst erfolgte 1084 consentiente pariteret agente rege Henricho eodemque patricio Romanae ecclesiaev,

Als rombezogene Würde stellte das Patriziat den Herrscher vor dasProblem, welchen Anteil römische Instanzen an dessen Verleihung hat-ten. Herrschaft und von der Person des Herrschers wahrgenommeneRechte konnten unterschiedlich legitimiert sein und aus verschiedenerWurzel stammen. Sich auf die Verleihung durch Gott zu berufen, istder Versuch, Divergierendes zu einer neuen gedanklichen Einheit zuintegrieren. Nicht allein der polemisierende Verfasser des Traktats De

9 Petrus Damiani, Disceptatio synodalis, ed. LOTHARVONHIlINIlMANN,in: MGH Libellide lite 1, Hannover 1891, S. 78, Z. 33 - S. 79, Z. 39; diese Edition hat die Disceptatio,die in einen Brief Damianis an den Gegenpapst Honorius 11.(Cadalus von Parma)integriert ist, separiert; überlieferungsgerechte Edition: Die Briefe des Petrus Dami-ani, ed. KURTRIlINDIlL(MGH Die Briefe der deutschen Kaiserzeit 4), Tei12, München1988, S.531-572, Brief 89; hier S.543, Z. 18 - S. 546, Z. 10. Zur Sache vgl. HANNAVOLLRATH,Kaisertum und Patriziat in den Anfängen des Investiturstreits, in: Zeit-schrift für Kirchengeschichte 85, 1974, S. 11-44, hier S. 28.

10 Petrus Damiani, Brief 89 / Disceptatio synodalis, ed. RIlINDIlL(wie Anrn. 9), S. 547,Z. 18ff. - S. 548, Z. 11 - MGH Libelli de lite 1 S. 80, Z. 29 - S. 81, Z. 2. Vgl. VOLLRATH,Kaisertum und Patriziat (wie Anrn. 9), S. 30.

11 Vgl. VOLLRATH,Kaisertum und Patriziat (wie Anm. 9), S. 38.12 Die Briefe Heinrichs IV., ed. URL ERDMANN(MGH Deutsches Mittelalter I), Leip-

zig 1937, ep. 11, S. 14, Z. 24ft.: ego quoque assentiens omne tibi papatue ius, quod haberevisus es, abrenuntio aique a sede urbis, cuius mihi patriciatus deo tribuente et iurato Ro-manorum assensu debeiut, ut descendas edico. Vgl. VOLLRATH,Kaisertum und Patriziat(wie Anm. 9), S. 13f.;GUIDOMARTIN,Der salische Herrscher als Patricius Romanorum.Zur Einflussnahme Heinrichs Ill. und Heinrichs IV. auf die Besetzung der CathedraPetri, in: Frührnittelalterliche Studien 28, 1994, S. 257-295, hier S. 287.

13 Liber de unitate ecclesiae conservanda, ed. W. ScHWIlNKENBIlCHIlR,in: MGH Libellide lite 2, Hannover 1892, S. 173-284, hier S. 217, Z. 22f.; vgl. mit Hinweis auf dieähnliche Formulierung ebd. S. 238, Z. 8-10 MARTIN,Patridus (wie Anm. 12), S.292mit Anrn. 187.

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ordinando pontifice, sondern auch der auf Ausgleich bedachte PetrusDamiani treffen das Kaisertum im Grundsätzlichen: Der Verfasser desTraktats, indem er dem Kaiser jedes Recht an der Beteiligung an derPapsterhebung abspricht, aber doch an einer »einheitlichen« Kaiser-herrschaft festhält; Petrus Damiani hingegen, indem er die Rechte desHerrschers in Einzelbestandteile unterschiedlicher Herkunft und Legi-timation auflöst. Zurückgewiesen hat Damiani auch Vorstellungen, eskönne einen nahtlosen Übergang zwischen der Rechtsstellung des rexRomanorum als künftigem Kaiser und des gekrönten Kaisers geben.

Doch die Bereitschaft, dem Herrscher eine Position bei der Papst-erhebung weiterhin zuzugestehen, war bei den frühen Reformern vor-handen. Der sogenannte Königsparagraph des Papstwahldekrets von1059 bezeugt das>, Gleichzeitig macht er sichtbar, dass der deutscheKönig als künftiger Kaiser in die Vorgänge der Papsterhebung integriertwerden sollte, aber nicht aufgrund eigenständiger Rechtsstellung, son-dern aufgrund einer Konzedierung durch die römische Kirche. Posi-tionen, die Einfluss auf die römische Kirche erlaubten, ließen sich inden Augen der Reformer nicht durch Erbe erreichen. Bereits den Königmit derartiger Konzedierung einbeziehen zu können, war wegen derpolitischen Gefährdung der Reformer in Rom geboten und praktischnotwendig, weil eine Papsterhebung in die oft jahrelange Zeitspannefallen konnte, die zwischen dem Regierungsantritt des Königs und sei-ner Kaiserkrönung liegen konnte.

Deutlich wird in der Diskussion um die Einwirkungsmöglichkeitendes deutschen Herrschers auf die Papsterhebung, dass die Parteigängerder Salier nach dem Tod Heinrichs III. zunehmend von einem König-tum ausgingen, das zur kaiserlichen Gewalt gleichsam anwuchs, mitanderen Worten: diese in nuce bereits enthielt. Auf diese Weise konntendie römischen Angelegenheiten in die Zuständigkeit des Königs inte-griert werden, die königliche Stellung im nordalpinen Reich blieb davonunberührt. Die Reformer betrachteten das salische Königtum hingegenals eines, dem wie jedem anderen Königtum die Regierungsgewalt imeigenen Reich zufiel, weitergehende Rechte bezüglich der römischenKirche aber eigens zugestanden und verliehen werden mussten.

Der zentrale Konflikt zwischen Heinrich IV. und Gregor VII. unddessen Nachfolgern kreist um die Wahrnehmung königlicher Rechte,die zwischen den beiden Polen »normales« Königtum - »erweitertes«

14 Derzeit maßgebliche Edition: DETLEVJASPER,Das Papstwahldekret von 1059. Über-lieferung und Textgestalt (Beiträge zur Geschichte und Quellenkunde des Mittel-alters 12), Sigmaringen 1986, S. 98-119, hier S. 104, Z. 84ft. (echte Fassung). Aus-gangspunkt der immer noch anhaltenden Forschungsdiskussion ist HANS-GEORGKRAUSE,Das Papstwahldekret von 1059 und seine Rolle im lnvestiturstreit (StudiGregoriani 7), Rom 1960.

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König - Kaiser - Papst 13

Königtum, um sie so zu benennen, oszillieren. Die offiziöse AbsageHeinrichs IV. an den Papst und die Aufforderung, Gregor solle vompäpstlichen Thron herabsteigen, beruht auf seiner Königsstellung, diedurch das Patriziat erweitert ist", und bezeichnenderweise fehlt derHinweis auf das Patriziat in dem propagandistischen Absagebrief, denHeinrich im Reich verbreiten ließ. Hier betont er, dass er seine könig-liche Vollgewalt unmittelbar von Gott erhalten habe und der Papst mitRegnum und Imperium nichts zu tun habe", Das Investiturproblem alssolches, das dann seit dem letzten Jahrzehnt des elften Jahrhundertsmehr und mehr in den Vordergrund trat, entstand aus der Wahrneh-mung eines königlichen Rechtes, wie es im Reich, aber auch in denwesteuropäischen Monarchien geübt wurde. Mit einer Sonderstellungdes deutschen Königs, die über seine Beziehungen zu Rom und demPapsttum begründet war, hatte es nichts zu tun, sondern, wie es zu Be-ginn des Jahrhunderts Thietmar von Merseburg formuliert hatte, miteiner spezifischen, durch die Königssalbung vermittelten Sakralität desHerrschers 17.

Gregors Reaktion auf die Ereignisse von Worms demonstriert: Vonnun an war Heinrich in seinen Augen ein König wie jeder andere, aberausgezeichnet durch besondere Bosheit. Die Exkommunikation undAbsetzung des Herrschers, die er auf der Fastensynode des Jahres 1076verkündete, betraf Heinrich als Herrn des regnum Teutonicorum et Italiae,aufgrund der Lösung der Treueide, solle ihm keiner mehr sicut regi die-nen". Die von Heinrich in Anspruch genommene Sonderstellung inBezug auf die Römische Kirche ignorierte der Papst völlig. Heinrichhatte die besondere Rolle seines Königtums verspielt, wie Gregor in

15 Briefe Heinrichs IV. (wie Anm. 12), epp. 10 und 11, S. 12-14; siehe oben Anm. 12 dasZitat aus ep. 11 (dieser Brief ist in ep. 10 aufgenommen worden).

16 Ebd., ep. 12 (5. 15-17).17 Thietmar von Merseburg, Chronik L 26, ed. ROBERTHOLTZMANN(MGH Scriptores

rerum Germanicarum, Nova Series 9), Berlin 1935, S. 34. Thietmar stellt mit Genug-tuung fest, dass die Macht Herzog Amulfs von Bayern, die Bistümer seines Herr-schaftsbereiches zu verleihen (sua distribuere manu), nach dem Tod des Herzogsnicht auf dessen Nachfolger übergegangen sei: Quin potius reges nostri et imperaiores,summi rectoris vice in hac peregrinacione prepositi, hoc soli ordinant meritoque pre caeterispastoribus suis presunt, quia incongruum nimis est, ut hii, quos Christus sui memores huiusterrae principes constituit, sub aliquo sint dominio absque eorum, qui exemplo Domini bene-diccionis et coronae gloria mortales cunctos precellunt. Vg!. auch Thietmars Kritik an denZuständen im Königreich Burgund, dessen König die Bischöfe in die Abhängigkeitvon den Großen hat geraten lassen. Für diesen Herrscher gilt: nomen tantum et coro-nam habet (VII, 30; ebd., S. 434, Z. 21£.).Vg!. generell HAGENKELLER,Die Investitur.Ein Beitrag zum Problem der -Staatssymbolik- im Hochmittelalter, in: Frühmittelal-terliche Studien 27,1993, S. 51-86.

18 Das Register Gregors VII., ed. ERICHCASPAR(MGH Epistolae selectae 2), Berlin1920-1923; hier Register Ill, 10 a, S. 270, Z. 15-23.

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einem Schreiben nach Deutschland erkennen lässt, das außerhalb sei-nes Registers überliefert ist". Gregor lässt hier seine Erfahrungen mitdem Herrscher Revue passieren, dessen übles Verhalten er geduldigpropter imperialem dignitatem et reverentiam patris et matris des Königs er-tragen habe. In der Hoffnung auf Besserung habe er Heinrich ermahnt,»von seiner Bosheit zu lassen und eingedenk seines durchlauchten Ge-schlechtes und seiner Würde sein Leben so zu führen, wie es sich füreinen König und - so Gott wolle - künftigen Kaiser zieme«. Es ist dieletzte Stelle, an der Gregor den König als künftigen Kaiser anspricht,später heißt es in dem gleichen Brief, er, Gregor, habe bis zuletzt dar-auf gehofft, mit demjenigen, der »zum Fürsten (princeps) des Volkesgesetzt und mit der Führung des größten Reiches betraut, der Vertei-diger des allgemeinen Friedens und der allgemeinen Gerechtigkeit(catholicae pads et iustitiae defensor) sein sollte«, zu einem Ausgleich zukommen=. Heinrichs Position ist als Herrscher des größten und mäch-tigsten Reiches beschrieben, vom Kaisertum und seinen Implikationenist nicht mehr die Rede.

Mit der Lösung der Treueide hatte Gregor VII. den König in seinerHandlungsfähigkeit entscheidend geschwächt, der Opposition gegenden Salier hatte er gleichzeitig neue Handlungsmöglichkeiten eröffnet,die noch 1077 in der Wahl Rudolfs von Rheinfeiden gipfelten. Die Ka-nonistik des 12. Jahrhunderts hat die Lösung von Treueiden, die demKönig geleistet worden waren, als dessen faktische Absetzung begrif-fen". Im ausgehenden 11. Jahrhundert sahen die Parteigänger der Sa-lier darin die Voraussetzung für den Bürgerkrieg. Sie betonen somitebenfalls die politischen Konsequenzen, aber auch die geistlichen.Denn Gregor habe dem Meineid Tür und Tor geöffnet, führe mit seinerAufforderung, den Heinrich geleisteten Eid nicht zu beachten, in Sün-de und gefährde das Seelenheil derer, die auf sein Wort vertrauten",

19 ]L 4999;The Epistolae vagantes of Pope Gregory VII, edited and translated by H. E. J.COWDREY,Oxford 1972, Nr. 14, S. 32-41; überliefert auch in: Brunos Buch vom Sach-senkrieg c. 72, ed. HANs-EBERHARDLO~~ANN(MGH Deutsches Mittelalter 2), Leip-zig 1937, S. 62~; hiernach zitiert, zur Ubersetzung siehe die folgende Anm.

20 Bruno, Buch vom Sachsenkrieg, ed. LOHMANN(wie Anm. 19), c. 72, S.63, Z. 1~;S. 65, Z. 4--6. Übersetzung nach der lateinisch/deutschen Ausgabe: Brunos Buch vomSachsenkrieg, neu übersetzt von FRANz-JoSEPScHMALE,in: Quellen zur GeschichteHeinrichs IV.(Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters. Frei-herr vom Stein-Gedächtnisausgabe 12), Darmstadt 1968, S. 191-405, hier S. 290/291,S.294/295.

21 Grundlegend OrnMARHAGENEDER,Das päpstliche Recht der Fürstenabsetzung: sei-ne kanonistische Grundlegung, in: Archivum Historiae Pontificiae 1, 1963, S. 53-95.

22 TILMANSTRUVE,Das Problem der Eideslösung in den Streitschriften des lnvestitur-streites, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Kan. Abt. 75, 1989,S. 107-132, hier S. 109; zur Verschränkung mit dem Kriegsproblem CARLERDMANN,Die Entstehung des Kreuzzugsgedankens (Forschungen zur Kirchen- und Geistes-

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König - Kaiser - Papst 15

Die Diskussion, ob der Papst berechtigt sei, Treueide zu lösen, warheftig. Zwar hat Gregor in seinem Dictatus Papae das Recht des Paps-tes aufgeführt, Untergebene von ihren Treueiden zu lösen-', doch hater sich in seinen Briefen in das Reich darauf berufen, bei der ErhebungPippins zum König habe der Papst auch die Treueide der Franken ge-löst". Diesen historischen Hinweis hat Gregor zunächst nur beiläufiggegeben.

Auch die Verteidiger des salischen Königtums haben kaum daraufabgehoben, dass der Papst Eide gelöst hatte, die einem König geleistetworden waren. Sie bestritten vielmehr grundsätzlich, dass ein Eid über-haupt gelöst werden könne, denn er ist im Namen Gottes geschworenund damit unverfügbar". Der König geriet erst dadurch ins Blickfeld,dass diejenigen, die sich auf die Lösung der Treueide durch Gregorberiefen, als meineidig gegenüber dem König und als Rebellen galten.Hier griffen nicht nur römischrechtliche Vorstellungen vom Majestäts-verbrechen, sondern auch die Verfügungen westgotischer Konzilien,die Rebellion gegen den König unter kirchliche Strafe stellten und demBruch des Treueids das sacrilegium folgen ließen, die Hand gegen denGesalbten des Herrn zu erheben",

Gelöst hatte Gregor auch die Eide, die Heinrich in Zukunft geleistetwürden. Bei der zweiten Exkommunikation und Absetzung Heinrichspräzisiert der Papst 1080 diese Eide: Sie werden de regni dominatione ge-leistet, beziehen sich auf Heinrichs Königtum und Königsherrschaft21.Unmittelbar zuvor hatte er erneut verboten, Heinrich »als König« (si-cut regz) zu gehorchen. In seinem zweiten Schreiben an Hermann vonMetz, in dem er die erneute Absetzung Heinrichs und die erneute Lö-sung der Treueide rechtfertigte, berief sich Gregor nicht allein auf dieEideslösung bei Pippins Königserhebung, sondern auch darauf, dassbei der durch den Papst verfügten Absetzung eines Bischofs, dessenKrieger von den Treueiden gelöst würden, die sie diesem geleistet hät-ten: milites absolvit a vinculo iuramenti, quod factum est his episcopis, qui

geschichte 6), Stuttgart 1935,bes. S. 213ff. Vgl. zu diesen Zusammenhängen Wenrichvon Trier, Epistola sub Theoderici episcopi nomine composita, ed. KUNOFRANCKB,in: MGH Libelli de lite 1, Hannover 1891, S. 280-299, hier c. 6 und c. 7, S. 293-296.

23 Register Gregors VII. (wie Anm. 18), II, 55 a: XXVII. Quod afidelitate iniquorum subiec-tos potest absolvere (5. 208).

24 VgI. die beiden Schreiben an Hermann von Metz: Register Gregors VII. (wie Anm. 18)rv 2 (1076 August 25), S. 294, Z. 13-16; VIII, 21 (1081 März 15), S. 554, Z.7f.

25 WERNERAFFBLDT,Königserhebung Pippins und Unlösbarkeit des Eides im Liber deunitate ecc1esiae conservanda, in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters25,1969, 5.313-346, hier S. 336ff.; STRUVE,Problem der Eideslösung (wie Anm. 22),s.noa

26 VgI. STRUVE,Problem der Eideslösung (wie Anm. 22), S. 117£.27 Register Gregors VII. (wie Anm. 18), VII 14 a, S. 486, Z. 19.

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apostolica auctoritate a pontificali gradu deponuntut": Dem König ist oderwird in Zukunft ein Eid geleistet, der die dominatio regni betrifft, denBischöfen sind Eide geleistet worden, die bei einer Absetzung gelöstwerden, also nur so lange gültig sind, wie die Bischöfe rechtmäßig diedominatio ihres Bistums besitzen und in ihrem bischöflichen Amt sind.Amt und Würde sind bei der Eidesleistung von der Person ihres Trä-gers getrennt, der Eid zielt auf etwas Transpersonales.

Gregors Parteigänger hatten der heinrizianischen These von derUnauflösbarkeit eines Eides vor allem die Überlegung entgegengesetzt,man dürfe und könne sich nicht durch Eid zu etwas Bösem und Sünd-haftem verpflichten. Das ist ein moralischer Einwand, Gregor selbstverkündete eine institutionelle Bewertung des Eides, die den, dem derEid geleistet wird, in zwei Personen aufspaltet: in eine »Prlvatperson«und in den Träger eines Amtes.

Direkt ausgesprochen hat derartige Auffassungen Bemold vonSt. Blasien in seinem Traktat De solutione iuramentorunr". Wieder geht esum die Frage, ob gegenüber Abgesetzten und Exkommunizierten dasjuramentum subiectionis zu bewahren sei, obwohl sie der Papst synodaliiudicio davon gelöst habe. Der Papst kann die höchsten geistlichenWürdenträger absetzen und deshalb natürlich auch einen der princi-pes mundi wie den König, die ihre Würde ohnehin eher menschlicherErfindungskraft (humana adinventio) als göttlicher Einsetzung (divinainstitutio) verdanken". Eine derartige Absetzung mache jedoch keinenSinn, wenn nicht gleichzeitig die Gehorsamspflicht der Untergebenenaufgelöst werde. So ist Gehorsam gewissermaßen automatisch an die

28 Register Gregors VII. (wie Anm. 18), VIII, 21, S. 554, Z. 8ff. 1075 hat Gregor VII. Kle-rus und Laien der Diözese Konstanz von der Erfüllung ihrer eidlichen Verpflich-tung gegenüber Bischof Otto gelöst, bis dieser zum Gehorsam gegenüber dem apo-stolischen Stuhl zurückgekehrt sei (JL 4971; Epistolae vagantes, ed. COWDREY[wieAnm. 19], Nr. 10, S.22-26); vgl. PAOLOPRom, Das Sakrament der Herrschaft. Derpolitische Eid in der Verfassungsgeschichte des Okzidents (Schriften des Italienisch-Deutschen Historischen Instituts in Trient 11), Berlin 1997 (ital. 1992), S. 107 (dasdort weiterhin genannte Beispiel von Gregors Brief nach Therouanne und an GrafRobert von Flandern [JL 5250; COWDREYNr. 46, S. 110-113], betrifft nicht unser Pro-blem, denn hier soll die dem König versprochene fidelitas nicht zur Unterstützungdes von diesem eingesetzten Lambert als Bischof verpflichten).

29 Libelli, ed. Friedrich THANER,in: MGH Libelli de lite 2, Hannover 1892, S.I-168,hier Libellus XIL S.146-149; vg!. STRUVE,Problem der Eideslösung (wie Anm. 22),S. 119ff.Das Problem der eidlichen Bindung an einen iuxta legum constitutiones abge-setzten Bischof, Herzog oder eine andere hochgestellte Persönlichkeit erörtert auchGebehard von Salzburg in seinem Brief an Hermann von Metz (c. 27). Hier müssendie alten Eide »nicht freiwillig, sondern gezwungen« aufgegeben werden, die Lö-sung der Eide wird dann zu einem Akt der Seelsorge, zur indulgentia culpae, ed.KUNOFRANCKE,in: MGH Libelli de Lite 1, Hannover 1891, S.261-279, hier S. 275,Z.29-35.

30 Libelli de lite 2, S. 147, Z. 44£.

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Amtsdauer dessen gebunden, dem er unter Eid versprochen wurde.Bernold formuliert jedoch eine Einsicht, die Eid und Empfänger desEides unmittelbar miteinander verknüpft: »Wenn wir es sorgfältig be-trachten, dann wird ein Eid der Unterwerfung den Vorgesetzten nurhinsichtlich ihrer Eigenschaft als Vorgesetzte (pro respectu praelationis)geleistet. Auch wenn das bei dem Eid nicht speziell in Worten ausge-drückt wird, so muss es doch im Eid mitverstanden werden, d. h., dassdieser sich jenem getreulich unterwirft, solange jener diesem im Amtdes Vorgesetzten übergeordnet ist«31.

Die Schlussfolgerung ist klar. Sobald jemand aus der vorgesetztenStellung entfernt wird, ist der Unterwerfungseid hinfällig, weil er nurad officium praelationis geschworen wurde. Bei der Absetzung eines Vor-gesetzten ist eine formale Eideslösung deshalb gar nicht notwendig.Sie geschehe nur »wegen der Zweifel geistig Schwacher, die glauben,in einer derartigen Angelegenheit sei nichts erfolgt, wenn es nicht aus-drücklich benannt worden sei«, An den zitierten Stellen nennt Bernoldden König nicht eigens, umso deutlicher wird, dass er in ihm einenbloßen Amtsträger sieht.

Erst die Dekretistik der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts hat inder Eidesfrage ähnlich klare Positionen formuliert wie Bernold. Rufinusunterschied ausdrücklich zwischen Eiden, die intuitu personarum oderintuitu dignitatum geleistet worden waren", Die letzten, und zu ihnengehörte der Eid an einen Bischof, erloschen, wenn der Bischof seinesAmtes enthoben wurde. Diese Eide konnten demnach aufgelöst wer-den. Das galt auch für den Eid an einen König, wenn dieser sein Amtverlor. Diese Überlegungen des Dekretisten stehen in dem Kommentarzu Gregors zweitem Brief an Hermann von Metz, in dem Gregor dieLösung der dem letzten Merowinger geleisteten Treueide mit dem Hin-weis auf die Lösung eines Eides an den Bischof ergänzt hatte".

31 Ebd., S. 149, Z. 13-19; das Folgende ebd., Z. 19-25. STRUVE,Problem der Eideslösung(wie Anm. 22), S. 120, hebt auf das Erlöschen der eidlichen Verpflichtung mit demErlöschen des Amtes ab. Dass der Eid dem Vorgesetzten als Amtsträger geleistetwurde, thematisiert er nicht.

32 ERNsT-DIETERHEHL,Kirche und Krieg im 12. Jahrhundert. Studien zu kanonischemRecht und politischer Wirklichkeit (Monographien zur Geschichte des Mittelal-ters 19), Stuttgart 1980, S. 214; DERS.,Krieg, Individualisierung und Staatlichkeit imausgehenden 11. und im 12. Jahrhundert, in: Europa an der Schwelle zum 12. Jahr-hundert. Beiträge zu Ehren von Wemer Goez, hg. von KLAus HERBERs,Stuttgart2001, S. 117-133, hier S. 128.

33 Rufinus, Summa decretorum, ed. HEINRICHSINGER,Paderbom 1902, hier S. 350 zuDecretum Gratiani Causa 15 quaestio 6 c. 3. Die Schlussfolgerung des Rufinus lau-tet: lsti enim regi Franeorum iuraverant Franci intuitu regie potestatis; postquam ergo rexlegitime regnum perdidii, iuramenii vinculum absolutum fuit.

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Dass diese Eide gelöst wurden, scheint aber nur auf den ersten Blickso. Denn inWirklichkeit bestand die eidliche Bindung an die dignitasweiter, trat mit der Neubesetzung des Bistums erneut in Kraft. Hugucciohat am Ende des 12. Jahrhunderts die Eide an den König in dieses Ge-dankenmodell ausdrücklich einbezogen. Ein dem König intuitu regnigeleisteter Eid schuf eine unauflösliche Verpflichtung gegenüber demReich, nicht gegenüber der Person des Königs. Eine päpstliche Eideslö-sung erklärte demzufolge nur, der König könne sich nicht mehr daraufberufen, ihm sei ein Treueid geschworen worden, und dann Gehorsameinfordern. Die Verpflichtung quoad regnum war von der Eideslösungnicht betroffen; sobald ein neuer Herrscher imAmt sei, gelte wieder diepristina obligatio. Hatte Bernold erklärt, eine formale Eideslösung nachder Absetzung eines Vorgesetzten sei nur deshalb erforderlich, weilMenschen von einfacher Natur solche direkten Vorgaben benötigten,so findet sich parallel dazu am Ende des 12. Jahrhunderts die Vorstel-lung, der Eid an einen neuen Herrscher sei nur deshalb geboten, damitdie Verpflichtungen ihm gegenüber offenkundig würden. Sie geschiehtnach Huguccios Worten ad cautelam, damit »durch die Dauer der Zeitdie Bedingung der Verpflichtung nicht verdunkelt werde«34. Juristischnotwendig war das nicht, denn der einmal geleistete Eid hatte quoadregnum dauernde Gültigkeit. In der Diskussion um die Gültigkeit unddie Lösung eines Eides wird deshalb im ausgehenden elften Jahrhun-dert ein neues Verständnis von König, Königsherrschaft und König-tum formuliert. Manegold von Lautenbach hat dies auf eine prägnanteFormel gebracht: Quod rex non sit nomen naturae, sed vocabulum officii»,Allein die Verteilung der Begriffe nomen und vocabulum stand hier einermetaphysischen Aufladung des Königtums entgegen. Dem Kaiser unddem Kaisertum fiel in dieser Diskussion keine argumentative Rolle zu,auch zählte es zu den officia praelationis, auf die Bernold in seiner Dis-kussion der Eideslösung abgehoben hatte.

Die Forschung sieht in der politischen Diskussion und in den Kon-flikten der ausgehenden Salierzeit zu Recht die Tendenz zur Entsakra-lisierung des Herrscheramtes". Dieser Prozess der Entsakralisierungund - wenn man so will- Säkularisierung baute jedoch auf einergleichzeitigen Funktionalisierung der geistlichen und weltlichen Füh-rungspositionen auf. Die eben vorgestellte Diskussion um die Lösung

34 HEHL,Kirche und Krieg (wie Anm. 32), S. 215f.35 Manegold von Lautenbach, Ad Gebehardum Liber, ed. KUNo FRANCKE,in: MGH

Libelli de lite 1, Hannover 1891, S. 300-430, hier c. 30 (Überschrift), S. 365.36 Vg!. zusammenfassend FRANZ-REINERERKENS,Herrschersakralität im Mittelalter.

Von den Anfängen bis zum Investiturstreit, Stuttgart 2006, S. 2ooff., dort S. 213f. eineKette von differenzierenden Bemerkungen. Vgl. auch seinen unten Anm, 60 genann-ten Aufsatz.

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der Eide macht das deutlich. Bischof und König sind hier gleichge-ordnet und werden als Träger eines Amtes begriffen. Das Argurnen-tationsmuster, in dem die Lösbarkeit des Eides verteidigt wurde, istdas gleiche. Mag der König in solcher Diskussion auch als der poli-tische Verlierer erscheinen, so tritt doch neben die Dauerhaftigkeit derBischofskirche die Transpersonalität und Dauerhaftigkeit des regnum,zu beiden Institutionen bestanden dauerhafte eidliche Bindungen.

Argument für Dauerhaftigkeit wurde das Römische Recht. Vonseinem Ursprung her war es mit dem Kaisertum verbunden. In denKonflikten zwischen Gregor VII. und Heinrich IV. hat es die salischeSeite zunehmend genutzt. Als »Ansätze zur Entwicklung einer säku-laren Herrschaftstheorie« hat Tilman Struve diesen Vorgang zuletztbeschrieben". Die Defensio Heinrici des Petrus Crassus und die soge-nannten »falschen Investiturprivilegien« sind die Quellen, in denendas am systematischsten geschieht". Sowohl die Dauerhaftigkeit undUnanfechtbarkeit der salischen Herrschaft als auch ihres Irrvestitur-rechts wollen sie verteidigen. Entscheidend ist jedoch, dass in beidenQuellen die Aussagen des Römischen Rechtes zu Kaiser und Kaisertumauf den König und das Königtum übertragen werden. Bei der Vertei-digungsschrift des Petrus Crassus war das gar nicht anders möglich,denn Heinrich hatte damals noch nicht die Kaiserkrone erhalten.

Petrus gibt dafür eine theologische Begründung. Gott habe den Men-schen zweierlei Gesetze gegeben: »Das eine von ihnen trug er durchdie Apostel und ihre Nachfolger kirchlichen Männem auf, das andereaber teilte er durch die Kaiser und Könige den weltlichen Menschenzu«. Mit einer Aussage Augustins belegt Petrus seine Meinung: »Diemenschlichen Rechte teilte Gott durch irdische Kaiser und Könige demMenschengeschlecht ZU«39.Die kurz danach zitierte Praefatio der Insti-tutiones Justinians, die »kaiserliche Majestät« (imperatoria majestas) müs-

37 TILMANSTRUVE,Die Salier und das römische Recht. Ansätze zur Entwicklung einersäkularen Herrschaftstheorie in der Zeit des Investiturstreites (Akademie der Wis-senschaften und der Literatur. Abhandlungen der Geistes- und Sozialwissenschaft-lichen Klasse 1999 Nr. 5), Stuttgart 1999.

38 Zu beiden vg!. KARLJORDAN,Der Kaisergedanke in Ravenna zur Zeit Heinrichs IV.Ein Beitrag zur Vorgeschichte der staufischen Reichsidee, in: Deutsches Archiv fürGeschichte des Mittelalters 2, 1938, 5.85--128; VERS.,Ravennater Fälschungen ausden Anfängen des Investiturstreits, in: Archiv für Urkundenforschung 15, 1938,S. 426-448; STRUVE,Salier (wie Anm. 37), S. 44ff. (ebd., S. 67f. zur Verfasserschaftund Lokalisierung der Defensio Heinrici des Petrus Crassus).

39 Petrus Crassus, Defensio Heinrici IV. regis, ed. L. VONHBINEMANN,in: MGH Libellide lite I, Hannover 1891, S. 432-453, hier c. 4 S. 438, Z. 39-45. Übersetzung nach derlateinisch-deutschen Ausgabe: Quellen zum Investiturstreit, Teil 2: Schriften überden Streit zwischen Regnum und Sacerdotium, übersetzt von IRENBScHMALB-Orr(Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters. Freiherr vomStein-Gedächtnisausgabe 12b), Darmstadt 1984, s. hier S. 188/189.

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se mit Waffen und Gesetzen geschmückt und gewappnet sein, beziehter deshalb auf Kaiser und Könige, die mit den Gesetzen die Bosheit derMenschen in die Schranken weisen sollen. Das Verhalten Gregors VII.,der Mailänder Pataria und der Sachsen gegenüber Heinrich misstPetrus an Sätzen des Römischen Rechtes und verurteilt es. Die Sach-sen haben nicht allein die erbrechtliehen Grundsätze des RömischenRechtes missachtet, die Heinrichs Königtum legitimierten, sondern siesind auch gemäß der Lex lulia maiestatis als Majestätsverbrecher zu ver-urteilen, »die contra imperatorem vel rempublicam etwas ins Werk gesetzthabene". Die Strafe, die ihnen droht, beschreibt Petrus mit einem wei-teren spätrömischen Kaisergesetz. Doch sie haben eine Hoffnung: die»Barmherzigkeit des Richters«, Ihr soll alles überlassen werden, »damijKönig Heinrich in seiner Güte und Frömmigkeit die Strenge des Ge-setzes gnädig mildert und allen, die um Verzeihung bitten, barmherzigverzeihte". Die durch das spätantike römische Kaiserrecht gestützteKönigsherrschaft Heinrichs soll sich in traditioneller Form äußern: inVerzeihung für die, die darum bitten.

Die falschen Investiturprivilegien kennen die Lex regia als Grund-lage der kaiserlichen Herrschaft, sowohl im Hadrianum als auch imPriuilegium maius wird sie erwähnt=. Sie bildet die rechtliche Grundlagedafür, dass der Kaiser den Papst bestimmen kann. Die von den Römernvorgenommene Übertragung der Herrschaftsrechte gilt als unwiderruf-lich. Aber mit Begriffsbildungen wie rex Romani imperii und rex Roma-num gubernans imperium43lassen die Fälschungen wiederum erkennen,dass die Absicherung der salischen Königsherrschaft Voraussetzung fürsalisches Kaisertum ist. Reihenweise zitiert das Privilegium maius soauch die kirchlichen Kanones zum Schutz der Königsherrschaft. Dieserrex Romani imperii soll seinen Nachfolger frei bestimmen können, wasmit Vorbildern der Königsnachfolge im Alten Testament belegt wird.Das Privilegium minus erkennt dieses Recht Otto dem Großen zu, dem»ersten deutschen König« und seinen Nachfolgern in diesem »Regnumltaliaee": Das Imperium Romanum wird hier offenkundig als Konglo-merat von Königreichen verstanden. In den Regelungen zur Investiturist regelmäßig von König und Regnum die Rede".

40 c. 8, 5.452, Z. 40-43 (5. 234/235).41 c. 8, S. 453, Z. 13-16 (5. 236/237).42 CLAUDIA MÄRTL, Die falschen Investiturprivilegien (MGH Fontes iuris Germanici

antiqui in usum scholarum separatim editi 13), Hannover 1986: Hadrianum, S. 144,Z. 49ff.; Maius, S. 181, Z. 24ff.

43 Vg!. ebd.: Minus, S. 152, Z. 40f.; Maius, S. 202, Z. 375; Maius, S. 188, Z. 112f.44 Zur Nachfolgebestimmung vg!. Maius S. 202, Z. 384ff.; Minus, S. 151, Z. 30f.45 Hadrianum, 5.145, Z. 59ff.; Maius, S. 202, Z. 379; im Minus erscheint der König als

der Investierende (5. 153, Z. 45), doch wird auch erwähnt, dass der Kaiser das demKönig zustehende Investiturrecht einem anderen verleihen kann (5. 151, Z. 30ff.).

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Sowohl bei Petrus Crassus als auch in den falschen Investiturpri-vilegien vermischen sich Argumente, die aus kaiserbezogener Traditi-on stammen, mit denen aus königsbezogener. Aber sie laufen auf dieKonstruktion einer königlichen Herrschaft hinaus oder auf eine all-gemein als monarchische Herrschaft zu charakterisierende, in der dieLegitimationselemente von Kaiser- und Königtum vermischt sind unddie Unterschiede zwischen kaiserlicher und königlicher Herrschaft ver-schwimmen und verschwinden.

Die römischrechtlichen Vorstellungen, die seit dem letzten Vierteldes elften Jahrhunderts vermehrt begegnen, lassen sich nämlich nichtauf die Person des Kaisers eingrenzen und ausschließlich zur Etablie-rung von Kaisertum und kaiserlicher Herrschaft nutzen, sondern siedienen der Stütze weltlicher Macht an sich, wie sie in der Regel vomKönig eingenommen wurde. Das römische Recht gilt zwar seiner Her-kunft gemäß formal als kaiserliches, ist aber inhaltlich gleichzeitig auchein königliches.

Ivo von Chartres hat in einem Brief an Erzbischof Hugo von Lyon,in dem er zur Investiturproblematik in Frankreich Stellung nahm, die-sen Übergang, oder besser diese Gleichheit zwischen kaiserlichem undköniglichem Recht mit einem Augustinuszitat herausgestellt. Ivo ginges um die Rechte seines Königs bei der Einsetzung eines Bischofs. Dassdie Könige mit der Investitur nichts Geistliches vergeben wollen (undkönnen), ist für ihn selbstverständlich, die weltlichen Besitztümer kön-nen jedoch nur iure humano besessen werden. Nimmt man die iura im-peratorum weg, kann es keinen weltlichen Besitztitel geben. AugustinsSchlussfolgerung war: Per iura regum possidentur possessiones. Ivo zitierthier nur den spätantiken Kirchenvater, der hier keinen Unterschiedzwischen den iura imperatorum und iura regum machte",

Am Ende der langen Auseinandersetzung zwischen den salischenHerrschern und der Reformkirche waren deshalb kaum die kaiser-lichen, wohl aber die königlichen Rechte präzisiert, nicht das Kaiser-tum, sondern das Königtum hatte gedanklich an Kontur gewonnen.Weil Heinrich als König mit dem Papst in den entscheidenden Konfliktgeraten war, hatten die Reformer vor allem das Königtum im Blick, und

46 Ivo, ep. 60: Yves de Chartres, Correspondance, editee et traduit JEANLECLERCQ(Lesclassiques de l'histoire de France au moyen age 22), Paris 1949,S. 238-254, hier S. 248;das Augustinuszitat stammt aus dessen Tractatus in Ionannis evangelium VI, 25. Ivohat diese AugustinussteIJe in seine Kanonessammlungen aufgenommen, vg!. sein inMIGNE,PL 161 gedrucktes Decretum Ill, 194, Sp. 244 und Panormia 11,63, Sp. 1095f.Zu Ivos Brief grundlegend HARTMUTHOFFMANN,Ivo von Chartres und die Lösungdes Investiturproblems, in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 15,1959, S. 393-440. Zur Bedeutung der AugustinussteIle im Dekret Gratians vg!. HEHL,Kirche und Krieg (wie Arun. 32), S. 97ff.

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Heinrichs Anhänger konnten die Auseinandersetzung nicht auf dasFeld Kaisertum verlagern. Die salischen Herrscher mussten zu allererstihre Position als Könige verteidigen.

Deutlich sichtbar wird das in den Verhandlungen, die Heinrich V.mit Papst Paschalis 11.über die Lösung des Investiturproblems führte.Damit sollte seine Kaiserkrönung vorbereitet und ermöglicht werden.Im Vorfeld der Synode von Guastalla vom Oktober 1106 bestanden dieAnhänger des neuen Königs darauf, dass der Papst das ius regni an-erkenne", Die Gesandtschaft, die Heinrich V. im folgenden Jahr nachChälons-sur-Marne zu Verhandlungen mit dem Papst schickte, bestandebenso auf dem ius regni": Der Traktat De investitura episcoporum, indem die Forschung ein »offiziöses, im Auftrag des (salischen) Hofesverfasstes« Memorandum sieht", das seit seiner Entstehung im Jahre1109 in den Verhandlungen zwischen Heinrich und Paschalis benutztwurde, knüpfte an die falschen Investiturprivilegien an, wurde abernicht müde zu betonen, das Recht zur Investitur sei nicht an das Kai-sertum gebunden, sondern stehe den Königen zu - nicht nur dem deut-schen, sondern allen im lateinischen Europa. »Von den Bischöfen Spa-niens, Schottlands, Englands und Ungarns liest man, wie sie von altersher bis in die Gegenwart durch die Hand der Könige rein und makellosin ihr Amt eingetreten sind, im Frieden mit den weltlichen Belangen«,heißt es in dem Traktat, dessen Verfasser die Schlussfolgerung zieht:»Daher müssen bei der Investitur die alten Rechte je nach dem Her-

47 Donizo, Vita Mathildis celeberrimae principis Italiae II,17 v. 1091, ed. LUIGISIMEONI(Rerum Italicarurn Scriptores 5/2), Bologna 1931-1940, S. 92. Vg!. CARLOSERVATIUS,Paschalis Il, (1099-1119). Studien zu seiner Person und seiner Politik (Päpste undPapsttum 14), Stuttgart 1979, S. 202; STEFANWEINFURTER,Papsttum, Reich und kai-serliche Autorität. Von Rom 1111 bis Venedig 1177, in: Das Papsttum in der Welt des12. Jahrhunderts, hg. von ERNsT-DIETERHEHL/lNGRIDH. RINGEL/HUBERTUSSEIBERT(Mittelalter-Forschungen 6), Stuttgart 2002, S. 77-99, hier S. 82; GEORGGRESSER,DieSynoden und Konzilien in der Zeit des Reformpapsttums in Deutschland und Itali-en von Leo IX. bis Calixt n. 1049-1123, Paderbom 2006, S. 369 und S. 376.

48 Suger, Vie de Louis VI le Gros c. 10, editee et traduite HENRIWAQUET(Les classi-ques de l'histoire de France au moyen age 11), Paris 1929, S. 56. Vorn ius regni ist inder Grußformel Erzbischof Brunos von Trier, des königlichen Gesandten, die Rede.Suger bezeichnet Heinrich bereits als imperator und lässt Bruno dann vortragen, dietraditionelle Weise der Bischofserhebung solle vorn Papst anerkannt werden, dennsie gehöre zum ius imperii. Suger sieht in Heinrich einen König mit einern spezifi-schen Titel, nämlich dem des imperaior, und das impertum ist die Bezeichnung für einspezifisches Königreich, das dem französischen nichts voraus hat.

49 JUTTAKRIMM-BEuMANN,Der Traktat »De investitura episcoporum« von 1109, in:Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 33, 1977, S.37-83, hier S.38;S. 6fr83 Edition. Vg!. auch JUTTABEuMANN,Sigebert von Gembloux und der Traktatde investitura episcoporum (Vorträge und Forschungen. Sonderbd. 20), Sigmarin-gen 1976, S. 91ff.

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kommen in den Königreichen des Erdkreises bewahrt werden-'", DieStellung des Bischofs im Gefüge des jeweiligen Reiches, ob ihm der Kö-nig Regalien anvertraut hat oder nicht, begründet das Investiturrechtdes Herrschers. Es ist nicht mehr an eine sakrale Position des Herr-schers gebunden, denn auch ungesalbte Könige und die fränkischenHausmeier haben mit Recht Bischöfe investiert".

Die Definition der Regalien als »weltliche« Gerechtsame, die derTraktat entwickelt, nimmt dem König gleichzeitig ein Stück seinerangestammten Sakralität, zumindest bedarf er ihrer nicht, um seineRechte in der Kirche seines Reiches zu wahren's, Weil der Verfasserdes Traktats dem deutschen Herrscher - sei er noch König oder be-reits Kaiser - keine andere Rolle in der Investiturfrage zuschrieb alsden übrigen Königen Europas, bestand er nicht auf einem prinzipiellenUnterschied zwischen Kaiser und König, gleich wo letztere herrschten.Das einzige, was den Kaiser über die Könige heraushob, waren seineRechte bei der Erhebung eines Papstes. Doch diese Rechte verdankteer dem römischen Patriziat, den Papst Hadrian unter der Zustimmungder Römer und einer großen Synode Kar! dem Großen übertragen hat-te53• Mit dieser Auffassung folgte der Traktat nämlich dem Hadrianumder »falschen Investiturprivilegien«, und damit einem Text, der sa-lische Auffassungen spiegelt. Wenn ein Kaiser wie hier Rechte besitzt,die diejenigen der übrigen Könige überragen, dann fließen diese nichtaus seiner kaiserlichen Stellung, sondern aus päpstlicher Verleihung.

50 KRIMM-BEUMANN,Traktat (wie Anm. 49), S. 74, Z. 107-110 und S. 79, Z. 177£.:Ex hoc,prout sunt consuetudines in regnis per orbem terrarum. de episcopis investiendis servandasunt antiqua iura. Übersetzung nach der lateinisch-deutschen Ausgabe: Quellen zumInvestiturstreit, Teil2: Schriften über den Streit zwischen Regnum und Sacerdotium,übersetzt von lRENEScHMALE-Orr(wie Anm. 39), S. 587 und S. 591 (hier ist per orbemterrarum nicht übersetzt).

51 KRIMM-BEuMANN,Traktat (wie Anm. 49), S.74, Z. 121-123: Longe mim ante decretumAdriani papae eiusque successorum reges, qui non erant uncti, et maiores domus investitu-ras episcoporum fecerunt.

52 Hier liegt auch ein Ansatzpunkt für die Aufkündigung der »reforrnreligiösen Heils-gemeinschaft« zwischen Herrscher, Bischöfen und weltlichen Großen, die StefanWeinfurter als Kern der Vereinbarungen bei der Kaiserkrönung Heinrichs sieht, dieeinen Rückfall der Regalien an den Herrscher vorsah und sich nicht durchsetzenließ. Vgl. STEFANWEINFURTER,Reforrnidee und Königtum im spätsalischen Reich.Überlegungen zu einer Neubewertung Kaiser Heinrichs v., in: Reforrnidee und Re-forrnpolitik im spätsalisch-frühstaufischen Reich (Quellen und Abhandlungen zurrnittelrheinischen Kirchengeschichte 68), Mainz 1992, S. 1-45, bes. 33ff.; DERS.,Papst-tum, Reich (wie Anm. 47), S. 84ff.

53 KRIMM-BEuMANN,Traktat (wie Anm. 49), S. 67, Z. 23ff.: Et Adrianus papa, collaudanii-bus Romanis et plena synodo primaium, archiepiscoporum, episcoporum, abbatum, ducumet principum acelamanie. Karolo magno eiusque successoribus, futuris imperaioribus, subanaihemate concessit patriciatum Romanum, el per se vel per nunlios suos confirmationemin electione vel in consecraiione Romani pontificis concessit.

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Indem das Wormser Konkordat 1122 die Investiturrechte des Kai-sers auf dessen Regna bezogen und Heinrich V. das billigte, reihte sichder Kaiser unter die Könige Europas ein. Die in Würzburg versammel-ten Fürsten hatten diesen Schritt für das Reich im Jahr zuvor bereitsgetan. Bei der von ihnen geforderten Lösung des Investiturproblemsverpflichteten sie sich, darauf zu achten, dass der honor regni gewahrtbleibe",

Die differenzierende Betrachtung der Position und Rechte des Herr-schers, der ich an einigen Punkten nachgegangen bin, hat die Forschungauf die Begriffe Rationalisierung und Entsakralisierung gebracht. StefanWeinfurter hat von einer »Entzauberung der Welt« gesprochen unddamit einen von Max Weber geprägten Begriff aufgenommen", Aber:nun ging der Zauber erst richtig los, die französischen und englischenKönige begannen ihre Laufbahn als Wunderheiler, sie wurden zu »roisthaumaturgesv", die Deutschen unterlagen erneut und verstärkt demZauber des Kaisertums.

Die entzauberte Welt, die aus der Zeit der gregorianischen Reformhervorging, war jedoch keine säkularisierte Welt. Auch weiterhin stell-ten Religion und Kirche die Ideale des Handelns bereit: »Religiös wert-voll« ist, so urteilt Max Weber über die Folgen der Entzauberung derWelt, »das rational Ethische«, »das Handeln nach Gottes Gebot, undauch dies nur aus der gottgeheiligten Gesinnung herause". Handelnaus gottgeheiligter Gesinnung heraus, forderten die Reformer auch vonden Laien. Am Ende des n. Jahrhunderts gewann die Teilnahme amKreuzzug daraus ihre Legitimation". Hatte sich am ersten Kreuzzugkeiner der europäischen Könige beteiligt, so sind die Herrscher der Kö-nigreiche des lateinischen Westens dem bedrängten Heiligen Land im

54 MGH Constitutiones 1 (wie Anm. 2), Nr. 106, S. 158, Z. 26-28: Hoc etiam, quod ecclesiaadversus inperatorem et regnum de investituris causatur; principes sine dolo et sine simu-latione elaborareinienduni, ut in hoc regnum honorem suum retineat. Vgl. JUTfASCHLICk,König, Fürsten und Reich (1056-1159). Herrschaftsverständnis imWandel (Mittelal-ter-Forschungen 7), Stuttgart 2001, S. 79ff.

55 STEFANWEINFURTER,Canossa. Die Entzauberung der Welt, München 2006.56 Grundlegend MARCBLOCH,Die wundertätigen Könige. Mit einem Vorwort von

Jacques Le Goff. Aus dem Französischen übersetzt von CLAUDIAMÄRTL,München1998 (franz, 1924: Les rois thaumaturges. Etude sur le caractere surnaturel attribuä ala puissance royale particulierement en France et en Angleterre, Neuaufl. 1983).

57 MAx WEBER,Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen, in: DERs., Gesammelte Auf-sätze zur Religionssoziologie I, 1.Aufl. 1920, mehrere photomechanisch gedruckteAuflagen, zuletzt 8. Aufl. Tübingen 1986, S. 513. Die »Entzauberung der Welt«, vonder Weber zuvor spricht, besteht darin, dass »alles Magische teuflisch geworden«ist, danach folgt die zitierte Charakteristik des religiös Wertvollen. Weber verstehtdie Entzauberung der Welt vor allem als einen innerreligiösen Vorgang, auch des-halb ist sie nicht mit Säkularisierung gleichzusetzen.

58 ERNST-DIETERHEHL,Was ist eigentlich ein Kreuzzug?, in: Historische Zeitschrift 259,1994, S. 297-336.

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König - Kaiser - Papst 25

zweiten und dritten Kreuzzug zur Hilfe geeilt. Friedrich BarbarossasPrestige, das er sich am Ende seines Lebens unter den europäischenKönigen erwarb, beruhte darauf, dass er sich mit seinem Aufbruchzum Dritten Kreuzzug an einem Unternehmen beteiligte, das den Kö-nigen als gemeinsame Aufgabe gestellt war", Dass der Herrscher seinAmt von Gott habe, blieb auch im 12. Jahrhundert eine weit verbreiteteÜberzeugung. Die »sakrallegitimierte Königsherrschaft« ist der »Ent-zauberung der Welt« nicht zum Opfer gefallen", aber der Herrschermusste sich daran messen lassen, ob er in seinem politischen Handelnder göttlichen Ordnung auch gerecht werde. Doch weniger die Persondes Herrschers als solche war sakral, sondern die Sakralität des Herr-schertums musste gleichsam immer wieder erneut »erworben« und»verdient« werden". Gute Königsherrschaft ließ sich rational beschrei-ben, doch derartige »Rationalität« allein genügte den Herrschern undihren Zeitgenossen nicht.

Rationale Differenzierung und Abstrahierung ließen sich nämlichnicht ohne weiteres in politisches Verhalten umsetzen. So hatte etwaIvo von Chartres erklärt, es sei gleich, mit welchem Symbol ein Kö-nig die Investitur vornehme, solange klar sei, er vergebe damit nichtsCeistliches'S und trotzdem stritt man im Reich noch zwei Jahrzehnteum das Investitursymbol, bis man sich auf das Zepter geeinigt hatte.

Warum das so war, haben die Urheber dieser Rationalisierungspro-zesse meiner Ansicht nach selbst gesagt. Die Abstraktion allein genügte

59 RUDOLFHIESTAND,»precipua tocius chrisiianismi columpna«. Barbarossa und derKreuzzug, in: Friedrich Barbarossa. Handlungsspielräume und Wirkungsweisendes staufischen Kaisers, hg. von ALFREDHAvERKAMP(Vorträge und Forschungen40), Sigmaringen 1992, 5.51-108. Zum Ansehen, das der französische König ausseinem Eintreten für Papst und Kirche gewann, vg!. BERNDScHNEIDMÜllER,Regniaut ecclesiae turbator. Kaiser Heinrich V. in der zeitgenössischen französischen Ge-schichtsschreibung, in: Auslandsbeziehungen unter den salischen Kaisern. GeistigeAuseinandersetzungen und Politik, hg. von FRANzSTAAB,Speyer 1994, S. 19~220,hier bes. S. 215ff.

60 Vg!. FRANz-REINERERKENS,Der pia Dei ordinaiione rex und die Krise sakrallegiti-mierter Königsherrschaft in spätsalisch-frühstaufischer Zeit, in: Vom Umbruchzur Erneuerung (wie Anm. 4), 5.71-101; DERS.,Herrschersakralität (wie Anm. 36),S.222ff.

61 Vg!. am Beispiel Rudolfs von Rheinfelden ERNsT-DIETERHEHL,Maria und das ot-tonisch-salische Königtum. Urkunden - Liturgie - Bilder, in: Historisches Jahrbuch117, 1997, 5.271-310, hier S.306; DERS.,Krieg, Individualisierung (wie Anm.32),S. 115f. ERKENS,Herrschersakralität (wie Anm. 36), S. 223, verweist auf die zahlrei-chen Heiligsprechungen von Königen im 12. Jahrhundert; diese Heiligsprechungensind Anerkennung erworbener und verdienter Sakralität, die dem amtierendenHerrscher als Ansporn und Vorbild dienen sollte. Vgl. auch die Formulierung vonErkens: »VorsteUung von einer eigenen Sakralität der Herrscher, von einem beson-deren Verhältnis der Könige zur göttlichen Sphäre, das sich durch die Lebensfüh-rung der Könige auf das Allgemeinwohl auswirken konnte ...« (ebd., S. 222).

62 Vg!. HOFFMANN,Ivo (wie Anm. 46), S. 407.

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nicht. Anschaulichkeit war ebenso gefordert. Deshalb wurden Eide ge-löst, deren Erfüllung nicht mehr eingefordert werden konnte, weil sieinzwischen automatisch einem anderen galten. Deshalb wurden einemBischof oder einem König weiterhin Lehnseide geleistet, obwohl sienach Ansicht der Fachleute angesichts fortdauernder Lehnsbindungan Bischofskirche und Reich überflüssig waren. Mochte die Figur desKaisers unter den europäischen Königen auch gleichsam aufgegangensein, so schien den Deutschen doch noch generationenlang der Kaiserund das Kaisertum die anschaulichste Form königlicher Herrschaft zusein. Und das galt wohl nicht allein für Menschen von eher schlichterDenkart, denen Bernold ein besonderes Bedürfnis nach Anschaulich-keit zugeschrieben hatte.

An der gedanklichen Präzisierung des Kaisertums aber, die auf-grund des Wesens des Konfliktes, der seit Heinrich IV.und Gregor VII.das Verhältnis zwischen dem römisch-deutschen Herrscher und denPäpsten bestimmte, nicht oder nur unzureichend in der ausgehendenSalierzeit erfolgen konnte=, versuchten sich die römisch-deutschenHerrscher dann in der Zeit Friedrich Barbarossas.

Die Einreihung des römisch-deutschen Königs in das »neue Euro-pa der Könige« jedoch, die das spätsalische Kaisertum vollzogen hatteund die gedanklich in der-zeitgenössischen Reflexion über die Rech-te der Könige in den Kirchen ihrer Reiche vorbereitet worden war, siewurde vielleicht bereits in den Anfängen der Dynastie begonnen. DennKonrad 11.,der seinen Sohn Heinrich als spes imperii feierte, ließ für denThronfolger schließlich doch nicht mehr eine Braut im kaiserlichen By-zanz suchen=, sondern im benachbarten dänischen Königreich. Für dieottonischen Kaiser war noch Byzanz das Maß aller Dinge gewesen. Vondort kam Ottos 11.Gemahlin Theophanu und auch die künftige FrauOttos Ill. wurde von dort erwartet. Die Salier hingegen wandten sich inZukunft bei ihrer Brautschau an die benachbarten lateinischen Königeund Reiche, auch das bedeutet eine Eingliederung in das Europa derKönige.

63 Vgl. auch STRUVB,Kaisertum und Romgedanke (wie Anm. 6), S.436ff. Den Höhe-punkt des salischen Kaisergedankens sieht Struve im Werk Benzos von Alba ge-geben. Für die Zeit nach 1085 führt er nichts Vergleichbares an. Für das Königtumkann Struve eine vergleichbare Analyse jedoch bis in das frühe 12. Jahrhundert füh-ren, vgl. TILMANSTRUVH,Die Stellung des Königtums in der politischen Theorie derSalierzeit, in: Die Salier und das Reich 3: Gesellschaftlicher und ideengeschichtli-cher Wandel im Reich der Salier, hg. von STBFANWBINFURTBRunter Mitarbeit vonHU81lRTUSSEI8IlRT,Sigmaringen 1991, S. 217-244.

64 Zu den Brautwerbungen für Heinrich Ill., wofür man sich zunächst in Byzanz be-mühte, vgl. FRANZ-RBINERERKENS,Konrad Il.Herrschaft und Reich des ersten Salier-kaisers, Regensburg 1998, S. 113ff., S. 175f.; HERWIGWOLFRAM,Konrad n. 990-1039.Kaiser dreier Reiche, München 2000, S. 160, S. 215ff.