Reverse-Mentoring: Literatur und Best-Practice Deliverable 3 Projekt: Reverse-Mentoring als Möglichkeit zur Dekonstruktion von Gender-Stereotypen in der ITProjekt Akronym: re-ment Projektnummer: 5321923 Programm/Ausschreibung: Talente/FEMtech 4. Ausschreibung Datum: 21. Dezember 2015 AP-Leitung: MOVES- Zentrum für Gender und Diversität Verfasserin: Sabine Zauchner-Studnicka Ergänzungen und Feedback: Michaela Gindl, Gerald Stachl, Kathrin Permoser
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Reverse-Mentoring: Literatur und Best-Practice · ein Modul für die modulare Oberstufe, die im Jahr 2017 im österreichischen Schulsystem eingeführt wird. 1 ... Persönlichkeiten,
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Reverse-Mentoring: Literatur und
Best-Practice
Deliverable 3
Projekt: Reverse-Mentoring als Möglichkeit zur Dekonstruktion von Gender-Stereotypen in der ITProjekt
Das Projekt re-ment setzt sich zum Ziel, Schülerinnen mittels Reverse-Mentoring für technische und
naturwissenschaftliche Berufe zu interessieren und Rollenbilder bzw. stereotype Vorstellungen
über berufliche Lebensentwürfe zu dekonstruieren.
Das Projekt adressiert die geschlechtsspezifische Segregation im Bereich der Informations- und
Kommunikationstechnologien (IKT) und bietet eine neue ressourcenorientierte Möglichkeit, die
Chancengleichheit von Mädchen in diesem Bereich zu fördern. Dazu wird im Rahmen von re-ment
erstmals in Österreich ein Reverse-Mentoring-Programm an vier Schulen der Sekundarstufe II
entwickelt und umgesetzt.
Reverse-Mentoring wurzelt im klassischen Mentoring, das in der Regel eine Förderbeziehung
zwischen einer erst in Ansätzen etablierten Person und einer bereits erfahrenen Person bezeichnet.
Es meint einen Ansatz, bei dem das übliche Konzept des Mentoring umgekehrt wird: i.d.R. junge
Menschen mit einer hohen Kompetenz in einer bestimmten Thematik werden zu MentorInnen.
Reverse-Mentoring ist international eine erprobte und vielfach angewandte Methode, bisher aber
vor allem aber in Unternehmen als Managementtool und Personalentwicklungsmaßnahme.
Beispiele für Reverse-Mentoring an Schulen gibt es nur vereinzelt und wenn überhaupt dann nur
international. Einigkeit besteht jedoch über das große Potential von Reverse-Mentoring für die
innovative Weiterentwicklung von Bildungssettings.
Gerade für die Informations- und Kommunikationstechnologien erscheint ein derartiger Ansatz
sehr vielversprechend, wenn das Computer-Nutzungsverhalten von Jugendlichen und auch die
deutlichen Alterseffekte im Hinblick auf IT-Kompetenzen berücksichtigt werden. So zeigt die
österreichische Auswertung der PIAAC-Studie (Programme for the International Assessment of
Adult Competencies), dass der Prozentsatz von älteren Menschen in den niedrigeren
Kompetenzstufen deutlich höher ist als der von jüngeren Personen.
Der Ansatz des Reverse-Mentorings bietet eine ganz neue Perspektive in der Chancengleichheit von
Mädchen in der Technik. Wir stellen mit dem Reverse-Mentoring-Ansatz nicht die (vermeintlichen)
Defizite von Mädchen und jungen Frauen in das Zentrum unserer Forschungsarbeit, sondern ihre
zweifellos vorhandenen Kompetenzen. Mädchen werden zu Mentorinnen für ihre LehrerInnen oder
Eltern. So trägt das Projekt nicht nur auf individuellen Ebenen zur Erhöhung von IKT-Kompetenzen
bei, sondern bietet auch Ansatzpunkte zur Dekonstruktion von Gender-Stereotypen in der Technik.
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Im Rahmen von re-ment werden an vier Schulen der Sekundarstufe II Reverse-Mentoring-
Programme entwickelt und gemeinsam mit Mädchen bzw. jungen Frauen im Alter von 16 bis 17
Jahren durchgeführt werden. Dabei fungieren Schülerinnen als Mentorinnen für LehrerInnen bzw.
Eltern. Auf diese Rolle werden sie durch individuelle Coachings vorbereitet und während der
Durchführung auch kontinuierlich begleitet.
Die Ergebnisse der begleitenden qualitativen und quantitativen Evaluation des Programms bilden
die Basis für die Entwicklung eines kostenfreien Weiterbildungsangebotes für Institutionen der
LehrerInnenbildung, das eine erste Implementierung an der PH Niederösterreich erfahren wird.
Dieses Angebot beinhaltet ein Präsenzseminar, das auch als Online-Variante angeboten wird und
ein Modul für die modulare Oberstufe, die im Jahr 2017 im österreichischen Schulsystem eingeführt
wird.
1.2 ZIEL DES DELIVERABLES
Ziel von Deliverable 3 ist die systematische Aufarbeitung der vorhandenen Literatur zum Thema
Reverse-Mentoring sowie das Aufzeigen von Best-Practice-Beispielen zu Reverse-Mentoring im
schulischen Bereich. Deliverable 3 stellt die Basis für das Reverse-Mentoring-Konzept (Deliverable
4) dar, das ab September 2016 im Rahmen von re-ment eingesetzt werden soll, indem es die
vorhandene, relevante Literatur zum Thema Mentoring und Reverse-Mentoring aufarbeitet und für
das re-ment Konzept nutzbar macht.
Darüber hinaus soll Deliverable 3 Eckpunkte für die Evaluierung, die laufend zur konkreten
Durchführung des Projektes an den vier Partnerschulen durchgeführt werden wird, liefern.
1.3 METHODISCHE HERANGEHENSWEISE
Es wurde eine online Recherche mittels PubPsych (http://www.pubpsych.de/) durchgeführt. Über
diese Plattform können die für das Projekt re-ment relevanten Datenbanken abgefragt werden, i.e.
die psychologische Datenbank Psyndex, die pädagogische Datenbak ERIC sowie die medizinische
Datenbank Medline.
Als Suchbegriffe wurden „Mentoring“ und „Reverse Mentoring“ mit dem Zusatz „in Schulen“
eingesetzt. Für den Suchbegriff „Reverse Mentoring“ wurde in diesen wissenschaftlichen
Abstractdatenbanken keine Entsprechung gefunden. Daher wurde auch auf Scholar Google als
Recherchetool zurückgegriffen. Hier gibt es einige Entsprechungen zum Suchbegriff, die – sofern es
sich nicht um Veröffentlichungen in Fachzeitschriften mit Review Verfahren handelte – auf Basis
der Anzahl Ihrer Zitationen ausgewählt wurden.
Außerdem wurde der Österreichische Bibliothekenverbund (ÖBV) für die Recherche von
Fachbüchern bzw. die Regensburger Zeitschriftendatenbank für die Fachzeitschriftensuche genutzt.
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Sowohl das seit dem Jahr 2003 bestehende „International Journal of Evidence Based Coaching and
Mentoring“ als auch das seit 2012 bestehende „International Journal for Mentoring and Coaching
in Education“ wurden auf diesem Weg gefunden und jeweils vollständig auf für re-ment relevante
Inhalte durchsucht. Teilweise waren die Artikel als open access verfügbar, mehrere Publikationen
wurden über den Dokumentenlieferdienst Subito bestellt.
In Summe ist festzuhalten, dass der Suchbegriff Mentoring zu einer Vielzahl von Publikationen
führt, dass allerdings der Begriff Reverse-Mentoring speziell in den klassischen
geisteswissenschaftlichen Fachdatenbanken nur sehr eingeschränkt zu Resultaten führt.
Nachdem sich Reverse-Mentoring stark auf das klassische Mentoring bezieht, wird in der Folge der
Forschungsstand zu diesem Thema in einem ersten Schritt aufgearbeitet. Dabei wird Bezug
genommen auf Definitionen, Best Practice, den theoretischen Hintergrund, Erfolgsfaktoren und
Effekte von Mentoring auf Mentees und MentorInnen. Ein weiteres Kapitel beschäftigt sich mit für
re-ment relevanten, ausgewählten Projektbeispielen von Mentoring allgemein im schulischen- und
im MINT (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik)-Bereich. Schließlich erfolgt
eine Aufarbeitung der verfügbaren Reverse-Mentoring-Literatur. Abschließend werden
Schlussfolgerungen für die Entwicklung des Reverse-Mentoring-Programms von re-ment
aufgestellt.
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2 MENTORING
Reverse-Mentoring hat seine Wurzeln im „klassischen“ Mentoring und dessen
Weiterentwicklungen, die sich stark in Richtung reziproker Ansätze bewegen und es wird als eine
Sonderform von Mentoring angesehen. Daher soll in der Folge vorerst grundlegend auf das Konzept
des Mentoring, seine Hintergründe und Auswirkungen eingegangen werden und der Versuch
unternommen werden, eine Definition für das Konzept abzuleiten.
2.1 DER BEGRIFF, ABGRENZUNGEN UND DEFINITION
Der Begriff Mentoring geht auf die Antike zurück und hat seinen Ursprung in der Odyssee. Er bezieht
sich darauf, dass Odysseus, als er in den Krieg gegen Troja zog, seinen Sohn Telemach in die Obhut
seines Freundes Mentor gab und ihn bat, sich um Telemachs Erziehung zu kümmern. Mentor war
mehr als ein Erzieher – er war ein Beschützer, kluger Berater und väterlicher Freund. Eine
Besonderheit ergibt sich dadurch, dass Pallas Athene – die Göttin der Weisheit – immer wieder die
Rolle von Mentor annahm (Sander, Ebach, & Endepohls-Ulpe, 2010; Ziegler, 2009). Dieser Mythos
fand im 17. Jahrhundert über den französischen Schriftsteller Francois de Saglinac de La Mothe
Fénelon Eingang in die Literatur und der Begriff „Mentoring“ ging bald in den französischen und
englischen Sprachgebrauch über. Albert Ziegler (2009) beschreibt zur Erläuterung historische
Persönlichkeiten, die in einem derartigen Mentor/Mentee1 Verhältnis zueinander standen, wie
Aristoteles mit Alexander dem Großen oder auch aktuelle (Film)Kombinationen wie Obi Wan
Kenobi und Anakin Skywalker und später dessen Sohn Luke.
Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Mentoring-Konzepten begann in den achtziger
Jahren des letzten Jahrhunderts. Hier ist insbesondere die US-Amerikanische
Wirtschaftsprofessorin Kathy Kram (1983) zu erwähnen, deren Artikel „Phases of mentor
relationship“ aktuell immer noch zu den am häufigsten zitierten Publikationen zählt (Ziegler, 2009;
S. 12). So ergeben die in diesem Kontext relevanten Datenbanken ERIC, Psyndex und Medline in
den Jahren 1980 bis 1989 insgesamt 39 vorwiegend englische Einträge für den Suchbegriff
„Mentoring“. Die neunziger Jahre (1990-1999) bringen bereits 107 Artikel in Englisch und 17 in
Deutsch. Mit 275 Artikeln (drei Viertel davon in Englisch) verdoppelt sich die Publikationsleistung
unter diesem Suchbegriff im ersten Jahrzehnt dieses Jahrtausends (2000-2009). Seit 2010 bis zum
Zeitpunkt der Literaturrecherche für diesen Bericht im Oktober 2015 sind bereits 281 Artikel (66 in
1 Im englischen Sprachraum deckt sich die Begrifflichkeit für MentorInnen (mentors), allerdings wird für den im Deutschen verwendeten Begriff der/des Mentees durchgehend die Bezeichnung protégé verwendet.
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Deutsch) zu Mentoring veröffentlicht worden, was annähernd wieder einer Verdoppelung
gleichkommt und ein deutliches Zeichen dafür ist, dass das Thema weiterhin viel Zuspruch erhält.
So unterschiedlich wie die Anwendungskontexte und Durchführungskonzepte von Mentoring sind,
so wenig einheitlich ist die Vielzahl von Definitionen für diesen Begriff. Für das vorliegende Kapitel
wird vorerst eine allgemeine Beschreibung gewählt, die diese Aktivität im Wesentlichen
kennzeichnet:
„Mentoring bezeichnet einen individuellen Lernprozess, in dem eine erfahrene Person
(MentorIn) eine weniger erfahrene Person (Mentee) über einen längeren Zeitraum in ´Vier-
Augen-Gesprächen´ berät.“ (Schmid & Haasen, 2011; S. 14).
Dabei ist die Häufigkeit der Begegnungen variabel, thematisch liegen Lösungen für berufliche
und/oder persönliche Themen, die der Entwicklung des/der Mentee dienen, im Fokus.
2.1.1 Abgrenzungen
Bereits diese Definition ermöglicht eine Abgrenzung vom Begriff des Trainings bei dem – in seiner
klassischen Form – die Wissensvermittlung in der Gruppe im Vordergrund steht. Der/die TrainerIn
verfügt über eine spezifische Fachkenntnis, die im Rahmen des Trainings an die Teilnehmenden
weitergegeben werden soll. Wie beim Mentoring in seiner klassischen Form, existiert hier eine klare
hierarchische Rollenverteilung.
Bei der Supervision handelt es sich um eine Beratungsform, die berufliche Zusammenhänge
thematisiert (Schreyögg, 1992) und sich mit allen Themen rund um das Berufs- und Arbeitsleben
auseinandersetzt (Abdul-Hussain, 2012, S. 50). Eine hierarchische Rollenverteilung gibt es auch in
der Supervision, das Argument der Gruppe aber kann auch hierher übertragen werden. Die
Charakteristik der Supervision in Form einer spezifischen Fach- und Feldkompetenz, die im Rahmen
spezieller Ausbildungen erworben wird, und ihr primäres Vorkommen im Sozialbereich macht diese
außerdem vom Mentoring abgrenzbar.
Eine Ähnlichkeit bzw. ein fließender Übergang zum Coaching, speziell zum Business Coaching, ist
allerdings deutlich gegeben. Denn auch das Coaching – sofern es nicht in Richtung einer Lebens-
und Sozialberatung gedacht wird – richtet sich an Berufstätige, die berufliche Fragen bearbeiten
wollen, neue Handlungsmöglichkeiten entwickeln oder Werte und Einstellungen hinterfragen
möchten (Schmid & Haasen, 2011, S.17). Ein sehr wesentlicher Faktor der Abgrenzung des
klassischen Mentorings2 vom Coaching besteht jedoch darin, dass im systemisch-
konstruktivistischen Coaching nicht von einem hierarchischen Verhältnis zwischen Coach und
Coachee ausgegangen wird (vgl. auch Rotering-Steinberg, 2009). Der Coachingsprozess bezeichnet
hingegen ein Gespräch zwischen ExpertInnen, das dazu dient, Lösungen für berufliche Anliegen zu
entwickeln. Die Expertise für ihr Leben und ihre Lösungen wird den Coachees zugeschrieben,
der/die Coach unterstützt und begleitet dabei, Lösungen zu erarbeiten, indem sie/er die
2 In der Folge werden wir noch sehen, dass neuere Mentoring-Konzepte sich deutlich stärker an der Gegenseitigkeit/Reziprozität der Mentoring Beziehung zwischen Mentorin und Mentee orientieren.
2012; Tomaschek, 2009) und eine breite Palette an unterschiedlichen Methoden und
Fragetechniken einsetzt (z.B. Rauen, 2004; Ryba, Pauw, Ginati, & Rietmann, 2014). In der Regel
werden Coachings mit ein bis fünf Treffen in einem kürzeren Zeitrahmen angesetzt. Mentoring-
Beziehungen umfassen deutlich längere Zeitspannen. Im Mentoring werden persönliche
Beziehungen aufgebaut, die in der Folge auch der Netzwerkbildung dienen können – das ist im
Coaching nicht der Fall: Coaches berücksichtigen die persönliche Hoheitsgrenze zum/zur Coachee
und überschreiten diese nur in prozessbedingten Ausnahmefällen, wie beispielsweise zum
Normalisieren („Andere erleben das auch so“) oder um Komplimente zu machen.
2.1.2 Funktionen, Formen, Definitionen
Abgrenzungen alleine verhelfen noch nicht zu einer definitorischen Bestimmung eines Begriffs,
dafür ist es erforderlich, den in den Forschungsarbeiten eingesetzten Begriffen nachzugehen.
Das haben Dana L. Haggard, Thomas W. Dougherty, Daniel P. Turban und James E. Wilbanks (2011)
gemacht, indem sie 124 Studien zu Mentoring von den neunzehnachtziger Jahren bis 2009 im
Hinblick auf die eingesetzten Definitionen analysiert haben. Sie stellten fest, dass sich die
Definitionen nicht chronologisch veränderten, sondern, dass es die einzelnen WissenschaftlerInnen
waren, die in ihren Projekten detailliertere oder weniger detaillierte Definitionen einsetzten und
dass sich diese Definitionen darüber hinaus auf teilweise ganz unterschiedliche Aspekte von
Mentoring konzentrierten. Diese Unterschiedlichkeit stellt sich zum Beispiel in der folgenden Weise
dar:
„Someone, other than your manager or immediate coworkers, who provides you with technical
career advice, coaching, or information on an informal basis.“ (Seibert, 1999; zit nach Haggard
et al., 2011; S. 285).
oder
“Mentoring is described as a one to one relationship between a more experienced and senior
person (Mentor) and a new entrant or less experienced person (his/her protégé) in the
organizational setup. The mentor need not to be the supervisor or department head and not
necessarily from the same department. A mentor can generally be defined as an influential
individual in your work environment who has advanced work experience and knowledge and
who is committed to providing upward mobility and support to your career.” (Scandura &
Williams, 2001; zit. nach Haggard et al., 2011; S. 285).
und
„Mentoring is a process for the informal transmission of knowledge, social capital and
psychosocial support perceived by the recipient as relevant to work, career or professional
development; mentoring entails informal communication, usually face-to-face and during a
sustained period of time, between a person who is perceived to have greater relevant
knowledge, wisdom or experience (the mentor) and a person who is perceived to have less (the
protégé).”(Bozeman & Feeney, 2007; S. 731)
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Relevant für Mentoring-Definitionen ist also auch, inwieweit die wesentlichen Funktionen von
Mentorings darin aufgenommen werden. Diese lassen sich nach Kathy Kram (1983; S. 614) bezogen
auf den Unternehmenskontext generell zwei Kategorien zuordnen, und zwar karriererelevanten
Funktionen und psychosozialen Funktionen. Erstere umfassen die Bereiche „Sponsoring“, Publicity
(„Exposure and Visibility“), Coaching, Beschützen und herausfordernde Vereinbarungen zu stellen.
Sponsoring bedeutet, konkrete Aktivitäten für die Mentees zu setzen und/oder ihnen eigene
Ressourcen zur Verfügung zu stellen, die förderlich für ihren Karriereverlauf sind (z.B. Treffen mit
der Geschäftsführung, Mitnahme auf Konferenzen, Kontakte mit EntscheidungsträgerInnen
herstellen)3. Unter den psychosozialen Faktoren ist die Funktion als Role-Model, und darüber
hinaus Bestätigung, Beratung und Freundschaft zu verstehen.
Aber es sind auch Bedingungen relevant, wie die hierarchische Position des/der MentorIn innerhalb
der Organisation, ob es sich um ein ChefIn/MitarbeiterIn-Verhältnis oder ob es sich um eine
informelle oder formelle Beziehung zwischen dem/der MentorIn und der/dem Mentee handelt
(Haggard et al., 2011). Diese Begriffe weisen bereits auf die jeweilige Form des Mentoring hin:
Informelles Mentoring wird entweder von der/dem Mentee initiiert oder aber auch von den
MentorInnen in die Wege geleitet, es beruht alleine auf Vereinbarungen zwischen den beiden.
Formelle Mentoringangebote werden von Organisationen, Netzwerken (vgl. Kapitel 2.4.3) oder
Unternehmen angeboten. Dabei kann es sich wiederum um internes oder externes Mentoring
handeln. Bei internen Mentoringangeboten kommen Mentee und MentorInnen aus derselben
Organisation, befinden sich jedoch nicht in einer direkten Arbeitsbeziehung. Häufig befindet sich
der/die MentorIn in höheren Hierarchiestufen und kennt die „Spielregeln“ der Organisation besser
als der/die Mentee. Beim externen Mentoring kommt der/die MentorIn aus einer anderen
Organisation. Vorteilhaft ist dabei, dass unmittelbare hierarchische Unterschiede hier wegfallen,
dadurch unter Umständen schneller Vertrauen aufgebaut werden kann und dass neue
Vorgehensweisen aus anderen Unternehmen kennengelernt werden können. Auch erhöht sich die
Auswahlmöglichkeit für MentorInnen, sodass auch kleinere Unternehmen ein derartiges Programm
anbieten können.
„Cross Mentoring“ ist hier als eine Sonderform des externen Mentorings zu verstehen, bei der
mehrere Unternehmen gemeinsam ein Mentoring-Programm entwickeln und Mentees des einen
Unternehmens mit MentorInnen aus den jeweils anderen Unternehmen zusammenarbeiten
können (Schmid und Haasen, 2011). Peer-Mentoring wiederum steht für eine reziproke Beziehung
zwischen Individuen mit ähnlichen Charakteristika, Attributen oder Umständen (häufig
Studierende), wobei der/die MentorIn in einem bestimmten Bereich mehr Erfahrung als der/die
Mentee aufweist. Das reziproke Verhältnis bedeutet, dass in einem Peer Mentoring-Prozess sowohl
3 In dieser Sichtweise der Funktionen von Mentoring wird Sponsoring als ein zentrales Element von Mentoring angesehen. Allerdings existieren aktuell auch Konzepte, die Sponsoring als ein distinktes Angebot ansehen – Mentoring wird hier als Begleitung zum nächsten Karriereschritt angesehen, während Sponsoring als das Instrument der eigentlichen Karriereförderung im Sinne der Vermittlung von Aufstiegsmöglichkeiten über die relevanten Netzwerke betrachtet wird (Cao & Yang, 2013). Aktuell wird Sponsoring speziell im Kontext von Frauenförderungsprogrammen aktiv diskutiert.
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für MentorIn als auch Mentee durch die Möglichkeit des Wachstums und der persönlichen
Weiterentwicklung gegeben ist (Gillman & Kleist, 2007).
Einen interessanten Aspekt bringt Lesley Scanlon (2009) ein, indem sie sich mit Typologien von
MentorInnen beschäftigt. Sie bezieht sich auf ein Gruppen-Mentoring Programm an einer Fakultät
für Bildung und Soziale Arbeit, dessen Ziel es war, den erstsemestrigen Studierenden den Umstieg
an die Fakultät leichter zu machen. Die Rolle der MentorInnen wurde von höhersemestrigen
StudentInnen eingenommen, die im Rahmen des Programms erste Lehrerfahrungen sammeln
konnten. Das Gruppenmentoring (ein/e MentorIn betreut mehrere Mentees) bestand aus
wöchentlichen Workshops, die von StudentInnen im dritten oder vierten Studienjahr über einen
Zeitraum von acht Wochen beginnend mit dem neuen Studienjahr durchgeführt wurden. Das Ziel
war, den Studierenden erste akademische Kompetenzen zu vermitteln (Präsentationstechniken,
wissenschaftliche Recherche, Nutzung von Datenbanken für die Recherche) und ihnen im
Gruppenrahmen Möglichkeiten zum Netzwerken anzubieten. Die Workshops waren von reflexiver
Praxis geleitet, das heißt, dass der Übergang der StudienanfängerInnen an die Universität von
Reflexionen ihrer früheren Lernerfahrungen wie auch der Lernerfahrungen anderer (Generationen)
oder der Darstellung von Lernen in den Medien bzw. der populären Kultur begleitet war. Die
MentorInnen wiederum führten Reflexionstagebücher über ihre Mentoringerfahrungen.
In dieser Reflexionsarbeit wurden die MentorInnen angehalten, Metaphern für ihr Tun
beziehungsweise ihre Rolle zu finden: Diese waren der/die NavigatorIn, der/die Weise, der/die
LehrerIn und der/die FreundIn. Die Metapher des/der NavigatorIn nimmt die historische
Entstehungsgeschichte auf, in der sich Telemach mit Mentor auf eine Reise begibt nicht nur seinen
Vater zu finden, sondern auch auf eine Reise in die Selbsterkenntnis. Auch die spanische
Übersetzung von Mentor „orientar“ weist auf die lenkende Funktion von MentorInnen hin. Auch
die Metapher der/des Weisen findet ihre Entsprechung in der Mythologie, nachdem Pallas Athene,
die Göttin der Weisheit, immer wieder die Rolle von Mentor angenommen hat. Die Metapher
entspricht auch gängigen Sichtweisen von Mentoring, das eine erfahrende Person mit einer weniger
erfahrenden Person zusammenbringt. MentorInnen als LehrerInnen anzusehen stellt eine weitere
Version dar und unterstützt Ansichten, die davon ausgehen, dass jede Form des Lehrens auch
Elemente von Mentoring beinhalten sollte (Yamamoto, Kaoru, 1988; zit. nach Scanlon 2009; S. 77).
Die Vorstellung von MentorInnen als FreudInnen unterstützt (neuere) Modelle, die von einem
reziproken, von gegenseitigem Respekt geprägten Verhältnis im Mentoring ausgehen.
All diese oben dargestellten einzelnen, unterschiedlichen Aspekte lassen es augenscheinlich sehr
schwierig erscheinen, eine einzige einheitliche Definition von Mentoring zu entwickeln. Es kann
nach Haggard et al. (2011, S. 292-294) aber zumindest der Versuch unternommen werden, sich in
der Wissenschaftscommunity auf die fundamentalen Charakteristika von Mentoring-Beziehungen
zu einigen. Dafür schlagen sie nach einer Sichtung und Analyse der in 124 Studien genutzten
Mentoringdefinitionen die folgenden Elemente vor:
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1) Gegenseitigkeit: Mentoring erfordert eine gegenseitige soziale Beziehung, die einseitige
Verhältnisse ausschließt. Diese Beziehung kann unterschiedliche Formen annehmen, wie
beispielsweise formell/informell, Peer-Mentoring oder interne/externe MentorInnen.
2) Einen entwicklungsmäßigen Gewinn für die Arbeit oder die Karriere des/der Mentee, in
neueren Mentoringkonzepten häufig aber auch einen Gewinn für den/die MentorIn über
die Reziprozität einer „Lernpartnerschaft“ (Zachary, 2012; zit nach Searby, 2014, S. 256).
Eine Lernpartnerschaft bedeutet, dass der/die MentorIn Wissen und Erfahrung und der/die
Mentee neue Ideen in die Mentoringbeziehung einbringt.
3) Eine reguläre/konsistente Beziehung über einen gewissen Zeitraum, der häufig über die
Dauer von Beziehungen in Coachings oder Beratungen hinausgeht.
Interessant ist, dass Albert Ziegler (2009) in seiner Beschreibung eines Mentorings im Unterschied
zu Punkt 1 von einer dyadischen, hierarchischen Beziehung zwischen MentorIn und Mentee
ausgeht. Das kann damit zu tun zu haben, dass er sich stärker auf frühere Mentoringprojekte oder
Projekte aus dem US-Amerikanischen Raum bezieht. Denn Europäischen Mentoring-Ansätzen wird
eher eine nicht-direktive Basis nachgesagt (Brondyk & Searby, 2013). Es kann aber auch damit zu
tun haben, dass er sich stärker auf entwicklungstheoretische Ansätze des Mentoring bezieht (vgl.
Theoretischer Hintergrund; Kap. 2.4).
Der Autor sieht jedoch auch keine Möglichkeit einer einheitlichen Definition, zumal sich neben dem
dyadischen Mentoring, Formen des Team- und Netzwerkmentoring (vgl. Kapitel 2.4.3) etabliert
haben. Auch kaskadisches Mentoring, bei dem beispielsweise eine Professorin Studierende betreut,
die wiederum als Peer-MentorInnen für StudienanfängerInnen fungieren, oder sequentielles
Mentoring, bei dem eine/e Mentee nacheinander unterschiedliche MentorInnen erhält. Schließlich
müssen auch Unterschiede im Formalisierungsgrad oder Mentoringbeziehungen berücksichtigt
werden, die E-Mentoring nutzen (vgl. Kapitel 2.2).
So behilft sich Albert Ziegler (2011) mit der Beschreibung eines Idealtypus von Mentoring, der – wie
er ausführt – keineswegs eine ideale Mentoringdefinition darstellen kann, sondern den Begriffskern
eines typischen Mentoring umfassen soll. Mit Ausnahme der Gegenseitigkeit/Reziprozität, die
schließlich auch für den Lerngewinn von MentorInnen im Rahmen von Mentoring-Konzepten steht,
stellt sich dieser ähnlich wie bei Haggard et al. (2009; vgl. oben) so dar:
„Mentoring ist eine zeitlich relativ stabile dyadische Beziehung zwischen einem/einer
erfahrenden MentorIn und seinem/r/ihrem/r weniger erfahrenen Mentee. Sie ist durch
gegenseitiges Vertrauen und Wohlwollen geprägt, ihr Ziel ist die Förderung des Lernens und
der Entwicklung sowie das Vorankommen des/der Mentees.“ (Ziegler, 2009, S. 11)
Diese Definition wird als Arbeitsdefinition, als erster Ausgangspunkt, für den weiteren Bericht
genutzt und im Zuge der weiteren Erstellung des Deliverables erweitert bzw. an die Bedürfnisse des
re-ment-Projektes angepasst werden.
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2.2 E-MENTORING
Re-ment fokussiert inhaltlich auf Informations- und Kommunikationstechnologien, so ist es
wahrscheinlich, dass die re-ment Mentorinnen mit ihren Mentees über E-Mail und soziale Medien
in Kontakt treten, oder gegebenenfalls auch hre Mentoring-Stunden über Skype oder andere
Dienste wie Adobe Connect abhalten. Es kann auch durchaus sein, dass die Kommunikation über
digitale Medien einen inhaltlichen Baustein im Mentoring ausmacht, der von den Mentorinnen
angeboten und von den Mentees nachgefragt ist. Es soll daher in der Folge gesondert auf
Strukturen, neue Möglichkeiten und gleichzeitig Herausforderungen durch derartige Angebote
eingegangen werden.
E-Mentoring hat fast noch eine längere Geschichte als Mentoring an sich, denn es wurde in einer
informellen Form bereits Ende der 70er Jahre des vorigen Jahrtausends über das ARPA-Net unter
WissenschaftlerInnen durchgeführt, ist somit in seiner (Vor)Urform wiederum dem US-
Amerikanischen Raum zuzuordnen. Die allgemeine Verfügbarkeit des Internet und
nutzungsfreundliche Browser haben in der Folge zu einer breiten Nutzung von E-Mentoring geführt.
In der Literatur wird das „Electronic Emissary Project“ als das erste große E-Mentoring-Projekt
gehandelt, das es SchülerInnen ermöglichte, gemeinsam mit nicht anwesenden ExpertInnen
fachliche Inhalte zu bearbeiten (Stöger, 2009). Nach Heidrun Stöger (2009; S. 229) wird E-Mentoring
„[…]als eine spezielle Form des Mentoring bezeichnet, bei der die Kommunikation zumindest
teilweise elektronisch erfolgt.“
Typologisierungen von E-Mentoring lassen sich über das Ausmaß der digitalen Interaktion von
völliger Technologieunterstützung bis hin zur Supplementierung von Face-To-Face Mentoring durch
elektronische Kommunikation entwickeln. Stöger (2009) beschreibt die in der Literatur am
häufigsten eingesetzte Kategorisierung: Dabei werden – in Abhängigkeit vom Online-
Kommunikationsanteil – Programme mit ausschließlich computervermittelter Kommunikation,
Programme mit vorrangig computervermittelter Kommunikation, Programme mit
computervermittelter Kommunikation als Ergänzung zur Face-to-Face-Kommunikation und
Programme mit ausschließlicher Face-to-Face-Kommunikation unterschieden. Die Form der
Kommunikation kann sowohl synchron als auch asynchron gestaltet sein und vergleichbar mit
traditionellem Mentoring besteht je nach Technologieeinsatz die Möglichkeit eines 1:1 Mentoring
oder auch die Möglichkeit von Team- oder Gruppenmentorings oder Entwicklungsnetzwerken bzw.
von weiteren Mentoringformen, die im Kapitel 2.1.2 beschrieben wurden.
Aaron Butler, Rodney S. Whiteman und Gary S. Crow (2013) setzen sich im Kontext von
Bildungssettings damit auseinander, wie Technologie ins Mentoring integriert werden kann und
welche Vor- und Nachteile sich ergeben können. Die Autoren beziehen sich in ihren Ausführungen
ausschließlich auf asynchrone Konzepte. Die Vorteile, die sie nennen, unterscheiden sich vorab
nicht von Vorteilen, die ohnehin aus anderen Kontexten wie beispielsweise der E-Learning-
Forschung bestens bekannt sind (z.B. Arnold, Kilian, Thillosen, & Zimmer, 2013), nämlich die
zeitliche oder örtliche Flexibilität; Lange Anfahrtszeiten entfallen, zeitliche Abstimmungen mit
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beruflich geforderten MentorInnen fallen leichter. Als weitere Vorteile von asynchronen E-
Mentoring-Konzepten geben die AutorInnen an, dass es Personen mit eingeschränkter zeitlicher
Verfügbarkeit entgegenkommt und dass es unter Umständen positiv ist, mehr Zeit für das
Ausformulieren der Antworten auf anspruchsvolle Fragen von Mentees zu haben als in der direkten
Kommunikation. Speziell auf Mentoring bezogen, gehen die Autoren davon aus, dass wenn sich der
örtliche Radius durch die Technologie erweitert, auch eine größere Anzahl/Vielfalt an Personen als
MentorIn Frage kommt und sich dadurch auch die Vielfalt in Entwicklungsnetzwerken der Mentees
(vgl. Higgins und Kram, 2001 und Kapitel 2.4.3) erhöhen kann. Es kann auch sein, dass es für
bestimmte außergewöhnliche Fachgebiete leichter ist, geeignete MentorInnen zu finden, nachdem
die Suche praktisch weltweit erfolgen kann. Die Autoren gehen von einer „transformational
perspective on mentoring“ (ebd., S. 238) aus, die auf konstruktivistischen Vorstellungen von Lernen
basiert (vgl. Kapitel 2.4.2) und sprechen davon, dass sich der Technologieeinsatz hier besonders
lohnen würde. Zusätzlicher Nutzen kann für Mentees in diesem Kontext durch den Austausch mit
Peers oder anderen MentorInnen entstehen. Darüber hinaus spricht auch die organisatorische
Möglichkeit, über die Technologie den gesamten Mentoring-Prozess im Detail nachvollziehen zu
können, für E-Mentoring. Schließlich nivellieren sich in asynchronen Settings soziale Unterschiede,
da durch das Fehlen visueller und auditiver Anhaltspunkte weniger Hinweise auf den Status
gegeben sind, was wiederum für höhere Reziprozität in der Mentoringbeziehung steht.
Gerade Letzteres hat jedoch auch eine andere Seite, denn es kann auch einen Nachteil für die
Beziehung bedeuten, wenn alles non-verbale Verhalten aus der Kommunikation ausgeklammert
bleibt. Dass non-verbale Hinweise allerdings größten Informationswert besitzen, steht außer Frage.
Technische Probleme können auch bei der besten Vorbereitung und Absicherung nie vollständig
ausgeschlossen werden, was im Vergleich zu Face-to-Face Konzepten nachteilig ist. Es ist auch zu
berücksichtigen, dass sich Beziehungen zwischen MentorInnen und Mentees in Programmen, die
vorwiegend oder ausschließlich mit E-Mentoring arbeiten, schlechter oder langsamer entwickeln
(Butler et al., 2013). Stöger (2009) ergänzt in ihrer Analyse der negativen Aspekte von E-Mentoring,
dass speziell textvermittelte Kommunikation eine hohes schriftliches Sprachvermögen erfordert,
dass das Thema Datenschutz eine hohe Aufmerksamkeit benötigt und durch die Anschaffung der
Technologie, Administration und Support die Kosten für das Programm stark steigen.
Festgehalten werden kann auch, dass E-Mentoring Angebote neue Herausforderungen für
MentorInnen und Mentees im Hinblick auf deren technische Kompetenzen bedeuten, was im
Rahmen eines Mentoring-Projekts Niederschlag in den Schulungen finden muss (vgl. auch Williams,
Sunderman & Kim, 2012).
Nach Ansicht der Autorin des vorliegenden Berichts schöpfen Butler et al. (2013) mit der alleinigen
Fokussierung auf asynchrone Medien nicht das gesamte Potential neuer Technologien bzw. neuer
Medien aus. Synchrone Medien würden sich beispielsweise gut eignen, rasch auf ein bestimmtes
Ereignis reagieren zu können, indem Fachexpertise in einem Netzwerk von MentorInnen oder Peers
nachgefragt wird und eine synchrone, (videounterstütze) Mentoringstunde macht das
Kennenlernen leichter im Vergleich zur E-Mail- oder Forendiskussion, denn eine synchrone
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Kommunikation – insbesondere wenn sie videounterstützt ist – kommt einer Face-to-Face
Kommunikation sehr nahe.
Wesentlich ist bei der Gestaltung von E-Mentoring Angeboten, sich den eigenen theoretischen
Ausgangspunkt vor Augen zu halten. In der Theorie der sozialen Konstruktion von Technologie wird
davon ausgegangen, dass vereinfacht gesagt, jede Technologie immer die gesellschaftlichen
Verhältnisse abbildet, in denen sie entwickelt wird (Pinch, & Bijker, 1984). So sind auch die
spezifischen Funktionen von Technologien, die für Prozesse wie Mentoring eingesetzt werden,
dadurch geprägt, auf welchen theoretischen Annahmen sie beruhen – diese Vorannahmen werden
in die Technologie sozusagen „eingeschrieben“, was im Übrigen auch für Genderaspekte in der
Konstruktion von Technologie gilt (Zauchner-Studnicka, 2013a). Das heißt, wenn der
lerntheoretische Hintergrund für den Einsatz von Technologie im Mentoring auf behavioristischen
Vorannahmen beruht, wird ein Apprenticeship-Modell abgebildet werden. Dafür kann es schon
reichen, Aufgaben per E-Mail zu vergeben und anschließend deren Richtigkeit zu bewerten. Wenn
der Hintergrund konstruktivistische Formen des Lernens umfasst, ist vorstellbar, dass ein
Entwicklungsnetzwerk nach Higgins und Kram (2001) abgebildet wird. Dann wäre die
technologische Unterstützung beispielsweise durch ein soziales Netzwerk oder über eine
Community of Practice gegeben.
Ein Beispiel für ein E-Mentoring-Konzept im Bildungsbereich, bei dem der Prozess ausschließlich
online durchgeführt wird, beschreiben die Autorinnen Sandra Williams und Justin Kim (2011) im
Rahmen eines Online Master Kurses an einer US-amerikanischen Universität. Das Ziel des
Mentoring bestand darin, Studierende bei einem Projekt in der Endphase ihres Studiums durch
externe MentorInnen begleiten zu lassen. Die Aufgabe der Mentees war, in einem Unternehmen
ein Projekt durchzuführen, in dem sie ihre erworbenen Kenntnisse einsetzen können. An
technischen Möglichkeiten wurden in diesem Projekt sowohl synchrone als auch asynchrone Tools
eingesetzt: E-Mail, Eluminate (ein Web-Conferencing-Tool), Skype und Moodle, ein
Lernmanagementsystem. Ebenso wurden schlicht Telefonate geführt.
Williams und Kim beschreiben das E-Mentoring-Schema für dieses Projekt anhand der folgenden
Elemente:
Die Struktur des Programms beschreibt die Dauer sowie in diesem Fall den formalen und
hierarchischen Charakter.
Die Lernziele für die Studierenden, die durch das Mentoring-Programm erreicht werden
sollen, stellen eine weitere Kategorie dar.
Der administrative Support kümmert sich um die E-MentorInnen und sorgt dafür, dass sie
über alle Ressourcen der Universität, die für das Mentoring erforderlich sind, verfügen
können.
Eine wesentliche Funktion nimmt in diesem Schema schließlich der technische Support
sowohl für die MentorInnen als auch die Mentees ein.
15
2.3 BEST PRACTICE IM MENTORING?
Während eindrucksvolle Fallstudien die Effektivität von Mentoring belegen und die empirische
Forschung die Sicht von Mentoring als einen Ansatz bestätigt, der die Entwicklung von Individuen
und Organisationen ermöglicht (Brondyk & Searby, 2013), kommt Albert Ziegler (2009; S. 13) im
Hinblick auf Evaluationsergebnisse zu Mentoring zum Schluss, dass Mentoring zwar eine äußerst
effektivste Fördermethode sein kann, dass die praktische Anwendung jedoch häufig gravierende
Mängel aufweist. Das bezieht sich darauf, dass Mentoring-Programme häufig nicht
WiSER (Women in Science and Engineering Research) ist ein Beispiel für ein Mentoring Programm,
das vor dem bekannten Hintergrund der Unterrepräsentation von Frauen in „SET - Science,
Engineering und Technology“ und dem massiven Verlust von Frauen im akademischen
Karriereverlauf durchgeführt wurde. Am Trinity College der Universität Dublin, lag der Prozentsatz
an Frauen bei wissenschaftlichen MitarbeiterInnen im Jahr 2009 in diesen Fachbereichen zwar bei
knapp vierzig Prozent, sie stellten aber nur mehr 14 % der ProfessorInnen. Ziel des Mentoring
Programms war unterschiedlich zu den beiden vorher vorgestellten Projekten, die Bleiberaten von
Wissenschaftlerinnen am College positiv zu beeinflussen (Geber & Roughneen, 2011).
Das WiSER Mentoring Programm war strategisch in den theoretischen Rahmen des WiSER Centers
eingebunden, der sich im Wesentlichen aus einer Abfolge aus rechtlichen Bedingungen von
Gleichstellung („Tinkering“), dem Anerkennen und Umgehen mit unterschiedlichen
Karriereverläufen von Männern und Frauen („Tailoring“) und Gender Mainstraming
(„Transforming“) zusammensetzt. Das Mentoring-Programm bezog sich auf die beiden letzteren
Aspekte.
In einem ersten Schritt wurden den LeiterInnen der Untereinheiten der Fakultät für
Ingenieurwissenschaften, Mathematik und Naturwissenschaften über das Programm informiert. Es
wurde als Karriereentwicklung für besonders talentierte Forscherinnen präsentiert, um – wie es die
Autorinnen formulieren – von Vornherein auszuschließen, dass der Gedanke, Förderung nötig zu
haben, negative Konsequenzen für die Frauen haben könnte. Die Zielgruppen – Lecturers mit
permanenten Verträgen und wissenschaftliche Mitarbeiterinnen mit Dreijahresverträgen –wurden
über den Dekan der Fakultät und den Forschungsdekan angesprochen, es wurde
34
Informationsmaterial verteilt, in Frage kommende Frauen direkt angesprochen: Lauter
Maßnahmen, um das Programm innerhalb der Organisation bekannt zu machen und MentorInnen
und Mentees zu akquirieren.
20 Tandems nahmen schließlich am Programm teil. Diese wurden nach spezifischen Kriterien
(MentorIn in höherer akademischer Position, Tandem kommt nicht aus derselben Unit, Geschlecht
der/des Mentor/in/s nach Wunsch der/des Mentee, Unterstützung oder Wissen, das von Mentees
nachgefragt wurde) zusammengestellt. Vor Beginn des Mentoring-Programms, das ein Jahr lang
dauerte, wurde sowohl für die MentorInnen als auch die Mentees eine Schulung durchgeführt.
Das Programm wurde formativ begleitet und Diskussionsrunden zur Halbzeit brachten Feedback,
das zu Änderungen führte, wie der Installation von Begleitprogrammen (z.B. Schreiben von
Forschungsanträgen, Schreibgruppen, Panel mit MentorInnen mit Betreuungspflichten) aber auch
die Häufigkeit der Treffen wurde insbesondere von den MentorInnen als zu gering angesehen (im
Durchschnitt 2 Treffen in 6 Monaten). In der Abschlussevaluation stellte es sich als besonders
hilfreich heraus, dass die Mentees im Rahmen des Programms angehalten waren, sich ganz
konkrete Ziele zu setzten, die sie innerhalb des Jahres erreichen wollen. Das hat es auch für die
MentorInnen erleichtert, ihre Unterstützung effizient zu gestalten. Die Autorinnen geben an, dass
die Bleiberaten gut seien, da alle Frauen auf Lecture Positionen diese zum Zeitpunkt der Publikation
immer noch innehaben und drei der wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen weiter am Trinity College
beschäftigt sind, sechs an anderen Universitäten oder Instituten in Europa. Nur eine
wissenschaftliche Mitarbeiterin habe den Bereich aus Finanzierungsgründen verlassen. Die
Aktivitäten außerhalb der MentorIn/Mentee-Beziehungen wurden als sehr bereichernd gesehen
und sprechen somit wieder für Mentoring-Konzepte, die verstärkt den Netzwerk-Gedanken
aufnehmen.
Die positiven Entwicklungen durch das WiSER-Mentoring Programm haben dazu geführt, dass das
Programm auf alle Fakultäten ausgeweitet wurde (Geber & Roughneen, 2011, S. 72)
„The Trinity College has acknowledged the transformative value of the programme and has
embarked on a mainstream approach to mentoring of early career academics“.
3.4 THE BLACKWATER EXPERIENCE – MENTORING IN DER SCHULE
Wenn über Mentoring an Schulen gesprochen wird, muss eine Perspektive mitgedacht werden, die
im öffentlichen Bereich von größter Bedeutung ist: die der Politik. Eine Studie von Göran Fransson
und Sarah K. MacMahan (2013) soll daher der Schilderung eines Mentoringkonzepts an einer Schule
einleitend vorangestellt werden. Die Autorinnen beschäftigten sich mit Mentoringstrategien und
deren politischer Verankerung in der der Bildung. Eine umfassende Literaturauswahl erbrachte 37
Artikel, die in ihre Untersuchung mit einbezogen werden konnten. Vor der Tatsache, dass die
AutorInnen massiven Forschungsbedarf in der Thematik feststellen, ergaben die Artikel wenig
überraschend erstens, dass gerade die strategisch-politische Verankerung einen wesentlichen
35
Einfluss auf die praktische Umsetzung von Mentoring in der Bildung hat und zweitens, dass die
Miteinbeziehung von Stakeholdern die Qualität der Programme erhöht. Drittens wurde in diesen
Studien festgestellt, dass Politik und Mentoringstrategie stark miteinander verwoben sind und
Bestrebungen, Mentoring in der Schule einzuführen nur erfolgreich sein können, wenn die
politische Agenda mitgedacht wird.
Beim Mentoring im schulischen Bereich lassen sich grundsätzlich zwei Ansätze identifizieren: der
eine Ansatz nimmt die Perspektive der Personalentwicklung von LehrerInnen auf, der andere nützt
Mentoring für die Weiterentwicklung/das Lernen von SchülerInnen.
Exemplarisch für klassische Mentoringbeziehungen zwischen LehrerInnen und SchülerInnen wird in
der Folge das Mentoring-Programm der Blackwater Community School in Irland vorgestellt (David
King, 2012). Den Ausgangspunkt nahm das Programm im strategischen Ziel für die
Schulentwicklung, den akademischen Fokus zu verstärken und die Leistungen der SchülerInnen zu
verbessern. Organisiert von zwei freigestellten KoordinatorInnen (eine/n, die/der sich um die
Mentorings für die älteren Schülerinnen kümmert und eine/n, die/der sich um die Mentorings der
jüngeren SchülerInnen kümmert) standen 23 freiwillige LehrerInnen als MentorInnen für 220
SchülerInnen zur Verfügung, die gerade dabei waren, ihre Staatsexamen abzulegen. Die
MentorInnen suchten sich zehn bis 14 SchülerInnen aus, die sie für ein Schuljahr in ihre
Mentoringgruppe aufnahmen. Somit wurde in dieser Schule ein Gruppenmentoring-Ansatz
gewählt. Im Laufe des Schuljahres wurden verpflichtend vier zweiwöchige „Mentoringrunden“
abgehalten, die von den beiden KoordinatorInnen überwacht bzw. begleitet wurden. Die
SchülerInnen dokumentierten die Weiterentwicklungen in „mentoring sheets“. Jeweils nach den
Mentoringrunden gab es ein Meeting von den MentorInnen und den KoordinatorInnen, um die
Mentoringrunden zu reflektieren und die nächsten Runden zu planen.
Das Programm an der Blackwater School wurde begleitend quantitativ und qualitativ evaluiert. Vor
dem Hintergrund, dass das Projekt sowohl von der Schulorganisation als auch den MentorInnen
und den Mentees grundsätzlich als gewinnbringend beurteilt wurde, bezog sich das
Veränderungspotential insbesondere auf zeitliche Aspekte: Einerseits erschien den Mentees der
Zeitrahmen der Meetings zu kurz, um effektive Mentorings durchzuführen. Auch erschienen den
Mentees die Zeitpunkte, an denen die Mentoringrunden im Schuljahr angesetzt wurden als nicht
günstig gewählt – eine Abstimmung mit der Prüfungszeit (vor den Examen) wäre ihnen sinnvoller
erschienen und sie kritisierten, dass sie keinen Einfluss auf die Zuteilung zu ihren MentorInnen
hatten.
Für die Durchführung weiterer Mentoringprojekte an Schulen gibt der Autor folgende
Empfehlungen:
o Inhaltlicher Fokus im Mentoring soll in einer entspannten, zwanglosen Atmosphäre auf
Zielorientierung, Zeitmanagement, und Lernkompetenzen gelegt werden ohne die
seelischen Bedürfnisse der Mentees außer Acht zu lassen.
36
o Ein hoher Grad an Organisation ist erforderlich. Dazu gehört ein/e KoordinatorIn, die/der
den Prozess kontinuierlich begleitet und für die Mentees als AnsprechartnerIn und ggf. als
MotivatorIn zur Verfügung steht. Die Mentorings sollten zu Zeiten angesetzt werden, die
für die Entwicklung der Mentees günstig und für die freiwilligen MentorInnen auch
machbar sind, damit der Prozess von beiden Gruppen gleichermaßen getragen wird.
o Beziehung ist zentral, daher sollte man sich ich immer vor Augen halten, was eine/n gute/n
MentorIn für SchülerInnen ausmacht: Empathie, Zuhören, Unterstützung, Verfügbarkeit
und der Wille zum Helfen.
Die Perspektive der Personalentwicklung von LehrerInnen beschreibt Linda Larson (2009) in einem
Projekt, in dem Mentoring an einer Fakultät für LehrerInnenausbildung genutzt wird, um die
Lehrenden an der Fakultät mit der Nutzung von neuen Technologien in der Lehre vertraut zu
machen, damit diese Kompetenz an ihre Studierenden weitergegeben werden konnte. Es wurde
ein 1:1 Mentoring-Ansatz gewählt, wobei die MentorInnen von der Fakultät für Lerntechnologien
kamen. Das Programm lief über einen Zeitraum von drei Jahren, wobei die Mentees zwischen einem
und 6 Semestern daran teilnahmen. Das Matching erfolgte auf Basis der individuellen
Anforderungen der Mentees, die wiederum angehalten wurden, ihre Lernerfahrungen in
Projektform zu dokumentieren. Es wurden monetäre Anreize gesetzt, indem der Abschluss der
Projekte mit 1000.- Dollar belohnt wurde. Es nahmen 81% der Fakultätsmitglieder (68 von 84
Personen) am Mentoring-Programm teil. Die Evaluierung erfolgte in Form einer Triangulation, also
sowohl durch qualitative als auch quantitative Methoden.
Die Hauptergebnisse dieser Studie stellen fünf Faktoren dar, die kritisch für den Erfolg des
Mentoring-Programms bzw. das Gelingen der Projekte der Mentees waren.
1) Realitätsüberprüfung
Mit Hilfe ihrer MentorInnen konnten die Mentees die Realisierbarkeit ihrer Projekte überprüfen
und sie konnten sich realistische Ziele setzen. Der/die MentorIn konnte die individuelle
Technikkompetenz ihrer/ihres Mentees einschätzen und die Ziele dementsprechend adaptieren.
2) Individualisiertes Lernen
Unabhängig vom Technologie-Kompetenzlevel der Mentees, haben diese rückgemeldet, dass sie
speziell von der 1:1 Variante profitiert haben. Das individuelle Eingehen auf die jeweiligen Fragen
hat die Mentees in einer Weise ihren Zielen nähergebracht, die in einem Trainingsprogramm nicht
in der Form möglich gewesen wäre. Diese Lernbeziehung erlaubt es den Mentees auch, sich im
eigenen Tempo die erforderlichen Kompetenzen anzueignen und die neuen Technologien auch so
lange auszuprobieren, wie es ihnen erforderlich erschien.
3) Inhaltliche Kontrolle durch die Mentees
Nicht nur das eigene Tempo, sondern auch die Tatsache, dass sich der Inhalt der Mentoring-Sitzung
auf die spezifischen Interessen und Bedürfnisse wurde als ein positiver Faktor beschrieben und zwar
37
insofern, als die Mentees ihre jeweiligen Projekte für die eigene Karriereentwicklung nützten (z.B.
für ihre Forschung, ihre Lehre, den nächsten Karriereschritt in der Fakultät).
4) Inhaltliche Expertise der MentorInnen
Die Mentees haben es als Vorteil empfunden, dass ihre MentorInnen nicht nur
TechnologieexpertInnen waren, sondern, dass sie ebenfalls über inhaltliche Expertise in der Bildung
verfügten. Das machte es leichter, das Projekt mit ihnen zu diskutieren und die optimale technische
Unterstützung bzw. Umsetzung zu entwickeln.
5) Persönliche Beziehung
Als eine wertvolle Komponente des Programms wurde die Beziehung zum/zur MentorIn
angesehen, die sich im Austausch mit den anderen TeilnehmerInnen zu einer Community of
Practice entwickelte, was wiederum neue Aspekte, Konzepte Problemlösungen oder Erfahrungen
in die 1:1 Beziehungen brachte.
So unterschiedlich die vier vorgestellten Projekte auch sein mögen, ein überall genannter Faktor ist
die äußert positive bewertete und als gewinnbringend erachtete Vernetzung der Beteiligten, die
über die Grenzen des jeweiligen Tandems hinausgeht und andere/neue wertvolle Ressourcen
zugänglich macht. Es soll auch noch einmal auf die Bedeutung der Beziehung als Erfolgsfaktor
hingewiesen werden, denn auch diese wurde in jeder der dargestellten Projektevaluierungen als
äußerst relevant erachtet.
38
4 REVERSE-MENTORING
Während die Masse an Publikationen zum Thema Mentoring die Herausforderung in sich birgt, die
wesentlichen früheren und aktuellen Erkenntnisse der wissenschaftlichen Forschung
herauszufiltern und alle relevanten Aspekte abzudecken, stellt sich die Herausforderung im
Reverse-Mentoring völlig anders dar: Es gibt kaum Literatur zum Thema. Wie im Kapitel 1.3
(methodische Herangehensweise) dargestellt, finden sich in den einschlägigen Fachdatenbanken
keine Artikel zu Reverse-Mentoring. Scholar Google war die Suchmaschine, die einige zitierfähige
Artikel erbrachte, die in der Folge dargestellt werden. Reverse-Mentoring weist in Relation zu
Mentoring einige Spezifika auf, nachdem es sich jedoch um eine Spezialform von Mentoring, wie
Cross-Mentoring, Peer-Mentoring oder kaskadisches Mentoring handelt, kann mit aller Vorsicht
davon ausgegangen werden, dass viele der im vorherigen Kapitel zitierten Forschungsergebnisse
auch auf Reverse-Mentoring zutreffen.
4.1 DEFINITION
Im Allgemeinen wird im Reverse-Mentoring die Mentoring-Beziehung „umgedreht“ und eine
weniger erfahrende Person fungiert als MentorIn für eine erfahrenere Person, die wiederum die
Rolle des/der Mentee einnimmt.
Häufig findet Reverse-Mentoring im Technologiekontext statt, wenn junge MitarbeiterInnen ihre
aktuellen Kompetenzen an KollegInnen weitergeben, die nicht in dem Maße kompetent im Umgang
mit den Informationstechnologien sind. Den Wissensvorsprung junger gut ausgebildeter
MitarbeiterInnen machen sich Organisationen so zunutze, um Reverse-Mentoring Programme zu
entwickeln, in denen dieses Wissen an ältere ManagerInnen/MitarbeiterInnen weitergegeben wird
(Haggard et al., 2011). Adwoka Buahene und Giselle Kovary (2009) sprechen in diesem Kontext
davon, dass „Gen Ys“ (=Millennials) vielmehr als ExpertInnen angesehen werden müssen, denn als
Proteégés, denn sie sind in einer online Welt aufgewachsen, in der es normal ist, Informationen
hochzuladen, Wissen zu verbreiten und Meinungen zu teilen. Häufig sind sie auch besser
ausgebildet als es die langjährigen MitarbeiterInnen von Unternehmen damals im gleichen Alter
waren. Jeanne C. Meister und Karie Willyerd (2010) sprechen davon, dass Millennials von Reverse-
Mentoring-Konzepten insofern auch besonders profitieren können, als sie über ihre Mentees –
KollegInnen in höheren Positionen im Unternehmen als sie – Einblicke in die Organisation erhalten
können, die sie sonst nicht hätten. Als Millennials werden Menschen bezeichnet, die zwischen 1977
39
und 1997 geboren sind, mit dem Internet aufgewachsen und es gewohnt sind, Tag und Nacht
vernetzt zu sein7 (Gibson & Sodeman, 2014).
Wenn Reverse-Mentoring nun als eine Sonderform des Mentoring angesehen wird, ist die in
Kapitel 3 gewählte Arbeitsdefinition von Albert Ziegler (2009, S. 11) wie folgt zu verändern:
„Reverse-Mentoring ist eine Sonderform des Mentoring und bezeichnet eine zeitlich relativ
stabile reziproke Beziehung zwischen einem/einer weniger erfahrenden MentorIn, der/die
über eine spezifische Kompetenz in einem bestimmten Fachgebiet verfügt, und einem/r
erfahrenen Mentee, der/die diese Kompetenz bzw. dieses Fachwissen erwerben möchte. Sie
ist durch gegenseitiges Vertrauen und Wohlwollen geprägt, ihr Ziel ist die Förderung des
Lernens und der Entwicklung sowie das Vorankommen beider Beteiligten.“
Es ist auch insofern eine Sonderform, als es sich auf den ersten Blick auf nur eine der beiden
zentralen Funktionen von Mentoring – nämlich die Wissensvermittlung – bezieht und die
psychosoziale Komponente weitgehend außer Acht lässt. Inwieweit diese Funktion möglicherweise
aber dennoch über das reziproke Verhältnis von MentorIn und Mentee, beziehungsweise über die
Funktion der/des Mentorin/Mentors gegeben ist, wird im nächsten Unterkapitel dargestellt und
sollte jedenfalls Teil der Begleitevaluation von re-ment sein.
Wie schon mehrmals erwähnt, ist die Literatur zu Reverse-Mentoring überschaubar. Ein erstes, aus
finanziellen Gründen nicht weitergeführtes Projekt wurde allerdings bereits im Jahr 1998 von n.
Cotunga und E.C Vickery publiziert (zit. nach Thomson, 2012). In diesem Projekt ging es darum, dass
technologieaffine StudentInnen ErnährungsexpertInnen auf einer 1:1 Basis die Nutzung von
Computer und Internet nahebrachten. Die AutorInnen schlossen, dass sich Reverse-Mentoring gut
für technologiebasierte Themen eignet. In der Tat ist es auch so, dass sich Reverse-Mentoring-
Projekte auf die Vermittlung von IKT-Kompetenzen konzentrieren.
4.2 REVERSE-MENTORING IN UNTERNEHMEN
Auch das erste formale Reverse-Mentoring-Projekt im Unternehmensbereich, das von General
Electric, einem US-Amerikanischen Großunternehmen, durchgeführt wurde, zielte darauf ab, dem
Top-Management des Unternehmens Internetkenntnisse zu vermitteln: 500 ManagerInnen
wurden angewiesen, sich eine/n MentorIn zu suchen, die/der in der Lage war ihnen
Internetkenntnisse zu vermitteln. Das Programm wurde implementiert, nachdem der CEO Jack
Welch selbst sehr positive Lernerfahrungen als Mentee eines jüngeren, technikaffinen Mitarbeiters
gemacht hatte. Andere Großunternehmen wie Procter & Gamble, Unilever, Dell, Time Warner oder
Deloitte & Touche folgten. Dabei wird aber durchaus auch gesehen, dass die gerade aktuell
7 Als „Veterans“ werden Menschen bezeichnet, die vor 1945 geboren sind, „Baby Boomer“ sind zwischen 1946 und 1964 und die „Generation X „ ist zwischen 1965 und 1978 geboren. Diesen Gruppen werden in Unternehmen auch bestimmte differente Charakteristika wie Anforderungen an den Arbeitsplatz, Einstellungen oder Kompetenzen zugeschrieben.
40
ausgebildeten MentorInnen auch andere Kompetenzen in Unternehmen einbringen können, wie
beispielsweise die neuesten Wirtschaftstheorien und Sprachkenntnisse oder besonders auch neue