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RAUM@ Positionen der Forschung zum Lebensraum edited by Andreas VOIGT, Bob MARTENS, Helena LINZER INSTITUT FÜR RÄUMLICHE INTERAKTION UND SIMULATION (IRIS) INSTITUTE FOR SPATIAL INTERACTION AND SIMULATION (ISIS) Österreichischer Kunst- und Kulturverlag
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Raum@ - Positionen der Forschung zum Lebensraum

Mar 12, 2023

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Ina Wagner
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RAUM@ Positionen der Forschung zum Lebensraum

edited by Andreas VOIGT, Bob MARTENS, Helena LINZER

INSTITUT FÜR RÄUMLICHE INTERAKTION UND SIMULATION (IRIS) INSTITUTE FOR SPATIAL INTERACTION AND SIMULATION (ISIS)

Österreichischer Kunst- und Kulturverlag

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Gefördert durch: Bank Austria-Creditanstalt. Die Bank zum Erfolg CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek: VOIGT, Andreas, MARTENS, Bob, LINZER, Helena (Hrsg.) Raum@ Positionen der Forschung zum Lebensraum IRIS-ISIS-Publications at ÖKK-Editions - vol. 7 - Österreichischer Kunst- und Kulturverlag, Wien 2003. ISBN- 3-85437-241-8 NE: IRIS-ISIS-Publications at ÖKK-Editions, vol. 7

All rights reserved. No part of this book may be reprinted or repro-duced or utilized in any form or by any electronic, mechanical or

other means, now known or hereafter invented, including photocopying and recording, or in any information storage or

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© 2003 Institute for Spatial Interaction and Simulation (Vienna)

© 2003 Österreichischer Kunst- und Kulturverlag A-1040 Wien, Freundgasse 11

Tel.: (+43-1-) 587 85 51; Fax: (+43-1-) 587 85 52 www.kunstundkulturverlag.at; [email protected]

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Vorwort Das Institut für Räumliche Interaktion und Simulation hat das Beziehungsfeld „Mensch und Raum“ zu seinem zentralen Thema gewählt: Mensch und Raum stehen in intensiver Wechselbeziehung zueinander. Einerseits beeinflussen Merkmale des Raumes die menschliche Wahrnehmung, andererseits wirkt der Mensch auf den Raum, verändert und gestaltet ihn. Durch Visualisierung und Modellbildung kann die Qualität der Kommunikation verbessert werden. Die Simulation von Räumen und Prozessen unter besonderer Berücksichtigung von angewandten Methoden, Medien und Techniken ist in weiterer Folge Gegenstand der Institutstätigkeit. In einer Festsitzung des Institutes anlässlich seines 5-jährigen Bestehens wurde auf Burg Plankenstein die Herausgabe eine Publikation vereinbart, die nun als Band 7 der Institutsschriftenreihe unter dem Titel „Raum@ Positionen der Forschung zum Lebensraum“ vorliegt. Die Beiträge spiegeln das vielfältige Wissen der Institutsmitglieder und decken somit ein breites Themenspektrum des Dialoges Mensch und Raum ab. Verschiedene Elemente und Relationen des komplexen Systems Raum werden beleuchtet. Wir wünschen der vorliegenden Publikation eine freundliche Aufnahme, eine interessierte Leserschaft und dem Institut weiterhin eine gedeihliche Entwicklung. Wien, im Dezember 2003

Andreas Voigt, Bob Martens, Helena Linzer (Herausgeber)

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IRIS-ISIS Schriftenreihe • Band 7

I N H A L T

Reinhard Breit Themen zu räumlicher Interaktion, Simulation und Stadtgestaltung: Kooperation von IRIS-ISIS und IGS - Desiderate der Forschung 1 Otmar Brunner Aktuelle Herausforderung für die Stadtentwicklungsplanung – Versuch einer Bilanz 11 Michael Busboom Blinde und Sehbehinderte in der Stadt 21 Waltraut Hala, Florian Wicke Stadt am Rande – Eindrücke einer Stadt: Krakau und Triest im Vergleich 29 Karl Haslinger, Elke Achleitner Digitale Städte 35 Arthur Kanonier Zeitgemäße Rechtsgrundlagen für eine wirkungsvolle Raumplanung 46 Alexander G. Keul Menschen in Räumen - Räume in Menschen 56 Helena Linzer Dreizehn Thesen zur Entwicklung und Erneuerung ländlicher Räume 65 Antero Markelin Licht in der Stadt 77 Bob Martens, Andreas Voigt Projektierte Forschungsarbeiten des Institutes für Räumliche Interaktion und Simulation: Ein Überblick 82

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IRIS-ISIS Schriftenreihe • Band 7

Michael Martischnig Raumanspruch im Wandel: Raumeroberung – Raumnutzung – Raumvernichtung 88 Rainer Mayerhofer Tendenzen im Wettbewerbswesen und Ansätze zur Weiterentwicklung 98 Friedrich Moser Konzeptionelle Stadtgestaltung: Eine aktuelle Aufgabe? 105 Kurt Ricica Systemtheoretische Aspekte nachhaltiger Raumnutzung 118 Peter Schmid Von extrem Leichtem Bauen, dem Konstruieren mit "Gewand" und der dritten Haut des Menschen 127 Mario Schwarz Virtuelle Realität als wissenschaftlicher Januskopf 136 Hans Peter Walchhofer Anmerkungen zur Ressourceneffizenz von Bebauungsstrukturen 139

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Themen zu räumlicher Interaktion, Simulation und Stadtgestaltung Reinhard Breit Kooperation von IRIS-ISIS und IGS - Desiderate der Forschung Viele Fachleute und Institutionen beschäftigen sich mit Architektur und Stadt, mit Landschaft, Gestalt, Behausung der Menschen, mit Bauen und Ökologie, Geschichte und Kultur des Bauens. Dennoch gibt es in allen diesen Bereichen noch viele Themen, deren Bearbeitung Voraussetzung für die Erfüllung der Aufgaben von Architekten, Städtebauern, Stadt-, Regional- und Landschafts-planern, von Verwaltung und allen Institutionen wäre, die sich unsere Gesell-schaft zum Themenkomplex des vom Menschen bewohnten Raumes geschaf-fen hat. Zwei kleine, aber wichtige solche Institutionen wollen dieses große Themen-feld gemeinsam bestellen. Einige der Themen, über die in diesem Zusammen-hang gesprochen wurde, sind in diesem Beitrag zusammengestellt. Die Absicht war, Diskussion anzuregen und Mitstreiter zu finden, um das eine oder andere Thema in Angriff zu nehmen. Es sind durchwegs Forschungsthemen, zu denen nur wenig Ergebnisse vorliegen. Die Themen sind zugleich konkrete Auf-gaben, mit denen sich Architektur und Stadtplanung täglich konfrontiert sehen. Das Ziel dieses Beitrages ist also nicht der Elfenbeinturm, sondern die Lösung von Problemen. Neun Beispiele sollen dies zeigen: Architektur, Stadt und Landschaft wahrnehmen Wie nehmen Menschen ihre tägliche Umwelt wahr? Wo weisen Gebäude, öffentlicher Raum und das durch Natur geprägte Umfeld Probleme auf, wie kann man diese lösen? Der Überlegung liegen zwei Diskussionspunkte zugrunde: • Der erste Punkt entstand aus der Beobachtung, dass der Mensch seine

Umgebung in erstaunlich hohem Maße haptisch wahrnimmt, und dass die-ser Faktor der Umwelt - Wahrnehmung oft missachtet wird. Mit Mike Bus-boom hat der Verfasser die Frage diskutiert, wie er als Blinder, ohne die optische Orientierung und aus dieser gewonnenen Abstraktion Architektur wahrnimmt, und wie wir gemeinsam dem Thema „Wahrnehmung von Architektur“ nachgehen könnten. Das Thema weitete sich in diesem Gespräch bald auf die Wahrnehmung von „Stadt“, oder „städtebaulichen Situationen“, sowie von „Landschaft“ aus. Wir meinten, dass wir gemein-sam einmal auf „Spaziergängen“ dem Thema auf empirischem Wege etwas näher kommen könnten;

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• Zweiter Ausgangspunkt war die Erfahrung, dass zu dieser Thematik (Wahr-nehmung von Architektur, Stadt, Landschaft) die bekannten Forschungser-gebnisse erhebliche Lücken aufweisen. So muss etwa für die Lehre immer wieder allein auf eigenen Vorstellungen aufgebaut werden, vor allem da Verbindungsglieder zwischen Architektur und Stadtplanung zu wenig aus-gebildet sind. Die Frage ist zu stellen, was man gemeinsam zur Deckung des beobachteten Forschungsbedarfes beitragen kann. Der Rahmen vertief-ter Forschungsarbeit, besonders ihrer Finanzierung, ist noch offen.

Zu einigen Aspekten des Themas sollen noch Anregungen angedeutet werden: • Wie weit - oder eng - soll in diesem Zusammenhang der Architekturbegriff

gefasst werden? Mit der Fragestellung liegt es nahe, den Begriff relativ weit oder auch offen zu fassen, um nicht wichtige Aspekte durch die Definition auszugrenzen. Es sollte jeweils alles einbezogen werden, was als Bestand-teil, Faktor oder wesentliches Element der wahrgenommenen „Entität“ mit ihrer besonderen Problematik wahrgenommen wird. Die präzise Begriffsbe-stimmung sollte sich also aus der Bearbeitung ergeben;

• Wesentlich ist dabei der Ausgangspunkt der Wahrnehmung. Dieser Aus-gangspunkt ist etwa für Mike Busboom anders, als für Architekturstuden-ten, und auch anders, als es sich für Zwecke der Raumplanung ergeben würde. Als allgemein verwendbarer Ausgangspunkt könnte etwa „das Bauwerk“ gewählt werden. Also nicht „der Raum“ an sich (da dieser etwa für Blinde eine völlig andere Bedeutung hat als für den Architekten), auch nicht „die Funktion“ (weil diese nur nach spezieller Schulung annähernd so wahrgenommen werden kann, dass man auch darüber sprechen kann), und auch nicht „Struktur“ oder „Form“; auch diese Begriffe sind als Ausgangs-punkt zu abstrakt;

• Entsprechende Fragen und Antworten sind zum „Stadt“-Begriff“ und zum „Landschafts“-Begriff zu diskutieren. Auch hier lautet der Antwort-Vor-schlag, vom Schwerpunkt, von Anhaltspunkten und vom Einstiegspunkt in die Diskussion des Begriffes auszugehen, und dann die Reichweite der Be-griffswahrnehmung abzutasten. Überschneidungen sollten dabei als wesent-liche Wahrnehmungs-Elemente aufgefasst werden; sie sind nicht als Man-gel einer beabsichtigten Definition aufzufassen. Eine spezielle Frage (mit Mike Busboom zu diskutieren) ist dann, was vom Landschafts-Begriff bleibt, wenn man von der romantischen Seite der Optik absieht. Im Zusammenhang mit der Landschaft müsste auch der Begriff des „ländlichen Raumes“ diskutiert werden, der dem Thema eine besondere Richtung geben könnte;

• Modische oder polemische Begriffe, wie etwa „Zwischen-Stadt“ sollten in die Diskussion nur dann eingeführt werden, wenn sich die Notwendigkeit

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aus den diskutierten Inhalten ergibt. Dasselbe gilt für Rechtsbegriffe und ähnliche, nicht aus der angeschnittenen Thematik entwickelte Begriffe. In allen diesen Fällen wäre die Gefahr zu groß, dass vage und unterschiedliche Auffassungen zu Missverständnissen führen.

Das „Wohnform – Problem “ Einem seinem Wesen nach stark differenzierten Bedarf (oder Bedürfnis) an „Behausung“ stehen heute im Wesentlichen nur zwei Wohnformen gegenüber: diese sind baulich - funktionell und ökonomisch einschränkend bestimmt: • die Geschoßwohnung als abgeschlossene, stapelbare Einheit, die keinen

direkten Zusammenhang mit dem Raum aufweist, in dem sie besteht, und die in Miete oder Formaleigentum (also von der Funktion getrennter Rechtsform) genutzt wird, und

• das Einfamilienhaus, das in der Regel frei steht (mit dem umliegenden „Garten“ verbunden ist), und in wachsendem Maße ebenfalls in einer von der Funktion getrennten Rechtsform genutzt wird.

Alle anderen real auftretenden oder angedachten Wohnformen sind dagegen marginale Erscheinungen. Sie sind entweder Relikte (Bauernhaus, Loft, altes Handwerkerhaus usw.) oder irreale, „virtuelle“ Formen (wie sie etwa in der Architektur-Biennale in Venedig gezeigt worden sind); sie können auch spe-zielle Formen annehmen, die nur für einen relativ kleinen Interessentenkreis geeignet sind (etwa wegen dauerhaft besonders großer Kosten), oder aber sie sind unzulängliche Modifikationen der beiden Grundformen (wie: Reihenhäu-ser, Maisonette usw.); auch nicht wiederholbare Einzelfälle treten auf (Schloss, Kartause, „Industriellen-Wohnhaus“, „Haus am Wasserfall“ usw.). Es gibt deutliche Hinweise, dass trotz der ökonomischen Zwänge, die in Rich-tung auf die zwei Standardformen drängen, ein großer latenter Bedarf an anderen Formen besteht. • Der Bedarf müsste differenziert erfasst werden. Der Suchrahmen für diese

Erfassung müsste inhaltlich wesentlich weiter gefasst werden, als es zum Thema „Wohnform“ heute üblich ist;

• Die Probleme (Konflikte) müssten erkannt und erfasst werden, die eine Be-friedigung „abweichenden Bedarfes“ derzeit verhindern; auch hierfür ist ein weiter Suchrahmen anzusetzen, da es sich zu einem großen Teil um latente Probleme handelt;

• Planungsprozesse zu Problemlösungen wären einzuleiten. Wegen der großen Zahl der von der Problematik berührten Menschen bedeutet das erheblichen Aufwand;

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• Modelllösungen für die dargelegten Probleme im gesamten erkannten Lösungsspielraum wären zu entwickeln, und aus allen berührten fachlichen Aspekten zu beleuchten.

Anmerkung: Das Wohnform - Problem steht in engem Zusammenhang mit dem „Subsistenz- Problem“ und dem „Schattenwirtschaft - Problem“, mit dem informellen Sektor der Wirtschaftsstruktur. Beide Probleme treten sowohl in den Industrieländern, als auch mit besonderer Härte in Entwicklungsländern auf. Sie bedingen die Dringlichkeit und das Gewicht des „Wohnform - Prob-lems“, das oft als Gedanke an individuelle Spezialwünsche abgetan wird. Ein anderer dringender Ansatzpunkt zum Wohnform - Problem ist die Energie - Problematik (etwa in Richtung Nullenergiehaus oder ähnlichem).

Stadtplanung und Städtebau als Bestandteile der Aufgabe des Architekten Jedes Bauwerk ist Element der Stadt, der Siedlung, der Landschaft. Jedes Bauwerk und jede Struktur (der Stadt, der Siedlung und der Landschaft) ist auch Bestandteil der gesamten Entwicklung der Gesellschaft im Raum. Es ist zugleich in diesem Rahmen Ausdruck einer Menge von Problemen und der Aktivitäten zur Lösung dieser Probleme, also Ausdruck umfassender und auch spezieller Planung: • Jedes Bauwerk hat damit neben den Architektur-Aufgaben im engeren

Sinne (für Bauherrn, Architekten und Nutzer) - Problemgruppe 1; • auch die Aufgabe, einen wesentlichen Beitrag zur Lösung der Probleme zu

leisten, die an seinem Standort bzw. in seinem Wirkungsbereich bestehen und zu erwarten sind - Problemgruppe 2;

• Die Erfassung, Bearbeitung und Lösung der Gesamtheit der Probleme bei-der Problemgruppen ist der Planungsaspekt der Architekturaufgabe;

• Als Thema eines Forschungsprojektes könnten einige typische Beispiele zu dieser Fragestellung bearbeitet werden;

• Dies sollten einerseits „retrospektive“ Beispiele sein (in Wien etwa: Haas-Haus, Nordbahnhof-Gelände, Pilotenweg, Gasometer, Museumsviertel, Millenniumstower, Alt-Erlaa, Aspang-Gründe und viele andere);

• andererseits sollten aktuelle, „prospektive“ Beispiele bearbeitet werden (wie: ÖBB-Bahnhofsprojekte, Wohnanlagenprojekte, Verkehrsprojekte usw.);

• sowie auch „Zukunfts-Beispiele, wie ein Hochhauskonzept, usw. Auch Beispiele aus ländlichen Räumen, in Freiraum bzw. in der Landschaft müßten herangezogen werden, das heißt die Architektur-Aufgaben unter ande-rem zu:

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• Autobahn- und Bahnprojekten (in Deutschland etwa die Verkehrsprojekte Deutsche Einheit), Flughafenprojekten usw.;

• Wintersportanlagen, Golfplätzen, und anderen Erholungs- und Freizeit-anlagen;

• Dorferweiterungen; • „Neuen Städten“; Eine besondere Frage ist mit dem Verhältnis zwischen Architektur und Land-schaftsarchitektur oder Landschaftsgestaltung aufgeworfen; ebenso ist das Verhältnis zwischen Stadt- und Regionalplanung einerseits und Landschafts-planung andererseits zu beachten. Multikulturelle Architektur - multikulturelle Stadt Diese Thematik ist aus der historischen Perspektive besonders interessant, sie wird jedoch durch die Globalisierung, durch Wanderungsbewegungen und an-dere internationale Entwicklungen (etwa EU-Verbindungen des Kosovo oder der Türkei) aktuell bzw. in Zukunft wesentlich. Sie wird in der Regel bei Pla-nungs- und Architekturaufgaben in Ländern unterschiedlicher kultureller Grundlage gegenüber Standardbetrachtungen aus der Sicht der Industrieländer und der Ökonomie in den Hintergrund gedrängt. Das führt einerseits zu großen Konfliktpotentialen, andererseits zu ebenso großen kulturellen Verlusten. Eine nähere Betrachtung wäre daher dringlich. Das Thema betrifft sowohl die Raumplanung insgesamt und die Stadtplanung im Besonderen, als auch die Architektur (etwa „das Haus in der islamischen Kultur“). Ein eindrucksvolles Teilthema wäre die Auseinandersetzung mit dem Verlust multikultureller Architektur und Stadt in Griechenland und in der Türkei. Aber auch etwa in Osteuropa treten derartige Probleme auf. Im Zuge des wirtschaft-lichen Fortschritts und einer „Modernisierung“ in den letzten Jahrzehnten ist diese Entwicklung zu beobachten. Sie ist noch nicht abgeschlossen. Auch eine Bearbeitung dieses Aspektes steht unter Zeitdruck. Verwaltung, Städtebau und Architektur In dieser Thematik ist vor allem das Verhältnis zwischen der Planungshoheit (von Gemeinde und Staat) und der Architektur hervorzuheben. Ein wesentli-cher Aspekt ist darin die Problematik „Bebauungsplan und Bauaufgabe“. Zwi-schen diesen beiden bestehen, in ihrem Wesen begründet, erhebliche Kon-flikte; es liegt eine Standardproblematik vor, die trotz vielfacher Bearbeitung noch nicht hinreichend erkannt und thematisiert worden ist.

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Einige spezielle Konfliktpotentiale im Rahmen dieser Thematik können die Diskussion anregen: • Pläne und Regelungen (der Gebietskörperschaften) schränken die Architek-

tur ein, zum Teil ohne entsprechende Gründe oder ohne Vermittlung der Gründe;

• Architektur und Bauherrn unterlaufen die Pläne und Regelungen; eine opti-male Lösung wird dadurch verhindert oder beeinträchtigt. Eine Auseinan-dersetzung mit der Problematik findet meist nicht statt;

• Das vorhandene Plan- und Planungs-Instrumentarium ist nicht geeignet, Probleme zu lösen (also die Planungs-, wie auch die Architektur-Aufgabe ganz zu erfüllen). Das einzelne Bauwerk allein kann vor allem die städte-baulichen Probleme nicht lösen. Auch durch Entwurf größerer Komplexe (Siedlungen, Wohnhausanlagen, Stadtteile) sind die gegebenen und zu er-wartenden Probleme in der Regel nicht lösbar - solche Entwurfsvorgänge sind für diese Fälle nicht die geeigneten Instrumente. Es fehlen überdies be-stimmbare Kategorien von Instrumenten, die einen erfolgreichen Einsatz der vorhandenen Instrumente (Plan, Entwurf usw.) erst ermöglichen wür-den.

Eine Teilproblematik, die relativ bald bearbeitet werden könnte, ist das Span-nungsverhältnis von „Verwaltung und Architektur“. Beide unterliegen derzeit einem wesentlichen funktionellen Wandel, auf den man vorbereitet sein sollte, und der zumindest aus der Sicht der beteiligten Disziplinen begleitet werden sollte.

Geschichte und Architektur Der Zeitablauf ergibt - aus Planungssicht - zur Architektur eine Problematik, die oft nicht hinlänglich beachtet wird. Diese Problematik betrifft sowohl die bisher abgelaufene Zeit, also den eigentlichen „Geschichte-Aspekt“, als auch den künftigen Zeitablauf, also die aktuellen Erscheinungen der künftigen Geschichte. Und selbstverständlich die Verbindung der beiden Aspekte in der Gegenwart, mit dem gegenwärtigen Handeln. Dabei ist unter anderem das Verhältnis zwischen Architekt und Bauherrn besonders zu beachten (auch wenn die Bezeichnungen für diese Funktionen nicht immer so lauten). Viele der „Vorwürfe“ gegen Architekten und Archi-tektur, die von Nutzern und aus Planungssicht vorzubringen sind, betreffen eigentlich nahezu ausschließlich den Bauherrn und die besondere Wechsel-wirkung zwischen Bauherrn, Gesellschaft und Architekten.

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Eine aktuelle Problematik dazu: Die Anonymisierung und „Entpersönlichung“ (der verschiedenen beteiligten Funktionen) führt dazu, dass heute niemand mehr ausdrücklich „Bauherr“ ist und sein kann. Die „Planungshoheit“ über die einzelne Bauaufgabe wird von niemandem wahrgenommen. Dennoch wer-den diese Bauherrnfunktionen so ausgeübt, als ob sie vom Bauherrn getragen würden. Dabei ist zu beachten, dass „Bauträger“ und „Bauherr“ meist völlig unterschiedliche Funktionen bezeichnen. Für die dargestellte Problematik ist das Thema „Demokratie als Bauherr“ eine besondere, gewichtige und zugleich in der Praxis fragwürdige Ausprägung. Als Beispiele zum Thema „Geschichte, Zeitablauf und Architektur“ können aus Planungssicht (und persönlicher Erfahrung) unter anderen folgende disku-tiert und möglichst auch bearbeitet werden: • Die „Berliner Mauer“, ihre Wahrnehmung durch Studenten (vor dem

Mauerfall) und die Behandlung des Problems nach der Wiedervereinigung; • Die Entwicklung eines Baugebietes, wie sie zum Beispiel als Studienauf-

gabe gestellt und wahrgenommen wurde (unterschiedlich durch Raumpla-ner- und Architektur-Studenten);

• Die Geschichte von Bauten an prominenter Stelle, zum Beispiel das Haas-Haus;

• Biedermeierhäuser in der Josefstadt (Lange Gasse - Josefstädter Straße); • Die „Platte“ vor der Uno-City, deren Standortwahl und die Expo; • Verbauung des Freiraumes im Donaufeld oder in Erdberg und auf der

Simmeringer Haide; • Historische städtebauliche Wechselbeziehungen (wie: Wien Hofburg - Neu-

gebäude, oder Wien - Schönbrunn), die nicht ihrer Bedeutung entsprechend beachtet werden.

Ökologisch orientierte Architektur, Energie, Wasserhaushalt Mit diesem Stichwort ist eine größere Zahl von Problemen bzw. Aufgaben an-gesprochen, wie zum Beispiel: „Wie kann Architektur die Anforderungen bewältigen, die durch folgende These gestellt sind?“ - Wenn man alle Dachflä-chen zur Energiegewinnung aus der Sonneneinstrahlung heranziehen würde, und wenn man alle praktikablen Möglichkeiten der Energieeinsparung nutzen würde (Wärmehaushalt, aber auch Verkehr und Beleuchtung, Nahrungsmittel-produktion usw.), dann ist für das menschliche Leben in den Städten und ande-ren Siedlungsformen keine oder nahezu keine Fremdenergiezuführung not-wendig.“ (offen bleibt zunächst die Frage industrieller Prozessenergie). Ähnli-che umfassende Fragestellungen ergeben sich für den Wasserhaushalt. Diese Thematik wäre unter Umständen noch dringender als die Energie-Problematik, da sie weniger Technik und daher mehr Zeit braucht.

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In diesen Fragestellungen ist wieder die gesamte Raumnutzung durch den Menschen angesprochen, also speziell hier: Architektur, Städtebau und Land-schaft, einschließlich der landwirtschaftlichen und industriellen Produktion, der Freizeit- und Erholungsfunktionen usw. Diese Forschungsaufgaben sind in besonderem Maße interdisziplinär zu be-handeln. Die erforderliche Information aus den naturwissenschaftlichen Dis-ziplinen steht dazu oft nicht in einer Form zur Verfügung, die ihre Verarbei-tung ohne unmittelbare Beteiligung dieser Wissenschaften erlauben würde. Im Gegenzug müssten die Vorstellungen aus Architektur und Planung wenigstens modellhaft vermittelt werden. Gestaltung als variable Aufgabe Gestalt eines Gebäudes, einer städtebaulichen Situation, einer Stadt oder einer Landschaft entsteht in jedem Falle durch die Aktivitäten mehrerer Akteure (meist einer großen Zahl). Gestalt entsteht nur in relativ seltenen Ausnahme-fällen aus einem eindeutig bestimmbaren Gestaltungsvorgang (etwa durch einen Architekten, Städtebauer oder Landschaftsarchitekten). Am Entstehen von Gestalt sind mehrere verschiedenartige Akteure beteiligt: Architekten, Bauausführende, Bauherrn, Bauträger und Investoren, Behörden, Banken, Politiker, Juristen, die Wirtschaft, in besonderem Maße die jeweiligen Nutzer. Am Entstehen von Gestalt wirken ebenso andere Kräfte mit: Naturge-walten, natürliche Gegebenheiten (wie Geologie, Relief, Klima usw.), Zeitab-lauf, gesellschaftliche Entwicklung, technische und wirtschaftliche Entwick-lung, aber auch Kriegsereignisse und andere Katastrophen. Es sollte nun der Frage nachgegangen werden, wie „Gestaltung“ - also das Lösen von Gestalt-Problemen, oder auch das Anstreben und Bewirken bestimmter Gestalt - tatsächlich aktiv hervorgebracht werden kann. Diese Frage tritt unter anderem bei jeder Stadterweiterung, Siedlungsanlage, Land-schaftsveränderung usw. auf. Sie kann derzeit als praktisch nicht bewältigt be-zeichnet werden, da selbst das Wirken namhafter Architekten und Städtebauer zu Ergebnissen führt, die offensichtlich hinsichtlich der tatsächlich entstehen-den Gestalt negativ zu beurteilen sind. Beispiele hiefür sind etwa: Nordbahn-hofgelände, Brünner Straße, Aspanggründe, Aspern (Pilotenweg usw.) in Wien, aus Berlin könnten ebenfalls viele prominente Beispiele eingebracht werden.

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Als spezielle Gestalt-Problemsituationen könnten folgende diskutiert werden: • Ortsränder, sowohl als „physiognomische Stadtgrenze“, als auch bei Dör-

fern in ländlichen Räumen, etwa bei der Ortserweiterung (die Stadtent-wicklung in Berlin seit der Grenzöffnung bietet zu diesem Thema reiches Material);

• Gestaltung bei Funktionswechsel: Diese Problematik ist etwa bei Industrie-brachen oder bei den „Konversionsflächen“ militärischer Anlagen in großem Maßstab aufgetreten, sie tritt aber auch bei kleinräumigen oder auf einzelne Gebäude beschränkten Vorgängen auf, nicht zuletzt in der Ent-wicklung alter Baugebiete („Stadterneuerung). In der Landschaft ergibt sich solche Problematik auch durch den Wandel der Landwirtschaft;

• Wohnumfeld, besonders auch aus der „Kinder-Perspektive“, auch aus der Perspektive verschiedener Behinderter, alter Leute und anderer Gruppen, deren Erfordernisse nicht einem vorgefassten Standard entsprechen.

Ein spezielles Feld dieser Problematik ist „die Gestaltung von Un-Gestalten“, wie etwa: • Verkehrsbauwerke, wie Autobahnknoten, Parkplätze, in Wien der Gürtel

oder die Südosttangente, aber auch die „Zweierlinie“, das Radwegeproblem usw.;

• Wasserbau-Anlagen (die Gestaltung der Donauinsel war ein seltener Aus-nahmefall);

• Plattenbau-Siedlungen in Berlin, Paris, Warschau, Moskau usw., aber auch in Wien.

Zu diesen Fragen besteht einerseits großer Diskussionsbedarf, andererseits sollten einige Beispiele untersucht werden, um die Elemente und Faktoren der Fragestellung zu konkretisieren (was bestimmt Gestalt, wodurch entsteht Gestalt?).

Aus- und Weiterbildungsprobleme Aus- und Weiterbildung für Architekten, Raumplaner usw. ist anzustreben, das heißt aller, die an den Veränderungen von Architektur, Bauwerken, Stadt, öffentlichem Raum, Landschaft usw. aktiv beteiligt sind oder beteiligt sein können. Speziell ist die Weiterbildungsfrage für die im Beruf tätigen zu stel-len, ohne Altersbegrenzung, aber auch für alle „Herkunftsfächer“. So müssten in der Raumplanung auch die dort tätigen Juristen, Ökonomen, Geographen usw. an Weiterbildung teilnehmen. Schon die Ausbildungs-Frage ist interdis-ziplinär zu stellen: Eine Grundausbildung in Planung müsste etwa bei der Aus-bildung in allen relevanten Bereichen angeboten werden: für Wirtschaftler,

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Juristen, Architekten, Bauingenieure, Soziologen, besonders Politologen, Jour-nalisten usw. Gilt nicht Ähnliches auch für die Architektur? Müsste nicht nur Planung für Architekten angeboten werden, sondern auch Architektur für Planer, Juristen usw.? Die Weiterbildungsfrage ist noch weiter gespannt, denn sie müsste auch Teilfächer umfassen, die in der Ausbildung (noch) nicht aufscheinen. Die Aus- und Weiterbildungsproblematik umfasst großen Forschungs- und Entwick-lungsbedarf. Die Curricula müssten entwickelt werden, Material und Evident-halten von Material müssten organisiert werden. Erster Schritt müsste wieder die Diskussion sein. Es könnte mit der Ausarbeitung eines Beispielbereiches begonnen werden.

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Aktuelle Herausforderung für die Stadtentwicklungs-planung – Versuch einer Bilanz Otmar Brunner Als der Verfasser im Jahre 1990 in Linz die Stelle des Leiters der Stadtplanung antrat, war seine erste Überlegung, die Stadtentwicklungsplanung auf eine neue Basis zu stellen. Dabei war klar, dass die Entwicklungsplanung für Linz auf einen längeren Zeitraum erstellt werden muss und daher mit einer gewissen Flexibilität auszustatten ist. Durch die Konstruktion des Linzer Planungsinsti-tutes (LPI) war es dem Autor auch möglich, kleine Forschungsaufträge zu ver-geben. Das LPI hätte als Forschungsinstitut weiter ausgebaut werden können, leider wurde es mit Ende 2001 aufgelöst. Ob sich diese Einsparung lohnen wird, soll die Zukunft zeigen. Keinesfalls dürfte jedoch auf die Erstellung von Grundlagenforschungen verzichtet werden, denn ein Vordenken ist auch in der Regionalplanung unumgänglich.

Einbindung der Stadtentwicklungsplanung in die Regionalplanung Da die Linzer Stadtregion als einer der dynamischsten Wirtschaftsräume gilt, und Linz ein gewaltiges Einpendlerpotential zu bewältigen hat, konnte die Linzer Stadtentwicklungsplanung nur in der Einbindung in eine größere Regi-onalplanung erfolgen. In ähnlicher Weise hatte bereits in den 70er Jahren der seinerzeitige Baudirektor Seelinger eine Arbeit über die „Linzer Stadtland-schaft“ verfasst und die Entwicklung eines größeren Bereiches untersucht. Die erste Arbeit war ein „Diskussionsbeitrag zur Entwicklungsplanung der Stadtregion Linz“. Die Auftragnehmer Kurt Leitner und Werner Rosinak schlugen vor, den Auftrag mit einer projektbegleitenden Arbeitsgruppe, beste-hend aus Fachleuten des Landes und der Stadt auszuführen. Die Projektgruppe wurde aus folgenden Fachbereichen gebildet: Landesplanung, Stadtplanung, Verkehrsplanung, Umweltplanung und Be-triebsansiedlungsplanung. Das Ergebnis dieser Studie war für Linz ermutigend und erschreckend zugleich. Es wurde klar erkannt, dass die Stadtgrenze von Linz bei Weitem nicht ausreicht, um die Problematik der Stadtentwick-lungsplanung zu erfassen. Folgende Strategien wurden vorgeschlagen: • Profilierung der Stadtregion - An erster Stelle steht dabei die Entwicklung,

Diskussion und Festlegung von Leitlinien der regionalen Entwicklung wie z.B.: + Umweltbewusstsein + Freizeitqualität

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+ gemeinsame Ansiedlungskonzepte von umweltverträglichen Betrieben + Forschungsinstitute + ein regionales Verkehrskonzept

• Organisatorische Maßnahmen - Zur Behandlung der regionalen Entwick-lungsfragen wurden drei alternative Vorschläge erörtert: + Schaffung einer Koordinationsstelle + Bildung eines Beamtengremiums mit den zuständigen Beamten der Städte Linz, Wels und Steyr als Stabstelle für eine fachliche Auseinandersetzung mit regionalen Entwicklungsfragen. + Gründung eines Forschungsinstitutes für regionale Entwicklung und Kooperation im Nahbereich der Johannes-Kepler-Universität.

In dieser Hinsicht wurde bereits einiges getan. Leider wurde nur ein Teil dieser Vorschläge umgesetzt. Insbesondere konnte festgestellt werden, dass in Linz hervorragende Leistungen auf dem Gebiet der Luftverbesserung erreicht wer-den konnten. Im Vergleich zu den Landeshauptstädten Wien, Graz, Salzburg und Innsbruck wurden in Linz im Jahr 1989 die geringsten SO2 und NO2 Be-lastungen festgestellt. Bei der Staubbelastung rangierte Linz im Jahresmittel jedoch vor Graz an 4. Stelle. Dieses Ergebnis ermutigte Linz, im Jahre 2000 ein besonders optimistisches Verkehrskonzept zu formulieren.

Regionaler Planungsbeirat Seitens der oberösterreichischen Landesregierung wurden im Jahre 1994 unter der Leitung der überörtlichen Raumplanung Planungsbeiräte gegründet. Auf-gabe der Beiräte ist die Erstattung von Raumordnungsvorschlägen und die Koordination der örtlichen Raumplanungen nach Maßgabe des § 6 Abs. 3 Oö. ROG 1994. Sie dienen der freiwilligen Koordination raumbedeutsamer Maß-nahmen der Gemeinden und anderer Planungsträger innerhalb eines bestimm-ten Teilraumes (Region) sowie der koordinierten Planung einer den Raumord-nungszielen und -grundsätzen entsprechenden Ordnung der Region. Linz ist Mitglied in den Beiräten Linz Nord (Umlandgemeinden Urfahr und Umgebung) und Linz Süd (Umlandgemeinden südlich der Donau). Die Erfah-rung des Autors bei der Mitarbeit bei diesen Beiräten war bisher noch nicht sehr positiv. Die Umlandgemeinden nördlich der Donau (Linz Nord) sind eher ärmer, wogegen die Umlandgemeinden südlich der Donau (Linz Süd) aufgrund der geographischen Lage im Einzugsbereich Wels-Linz-Enns reichere Ge-meinden mit vielen Betriebsansiedlungen sind. Die Stadt Linz wurde mit Vor-behalt betrachtet. Die Aussage eines Bürgermeisters „wir wollen ja zusam-menarbeiten, jedoch ohne Linz“ war charakteristisch, hat jedoch wenig zur Zu-sammenarbeit beigetragen. Es besteht ein „Regions-Dilemma“:

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• Jede Gemeinde verhält sich innerhalb der politischen Grenzen vermeintlich subjektiv optimal – mit insgesamt offensichtlich schlechtem Ergebnis;

• Subtile unkooperative Egoismen passieren dadurch, dass Probleme beim Nachbarn „abgelagert“ werden;

• Was in einer Gemeinde ein Vorteil ist, gerät der anderen Gemeinde zum Nachteil. Dies trifft auf die Pendlerproblematik, auf die Industrialisierung und auf die Errichtung regionaler Einkaufszentren zu.

Es konnte festgestellt werden, dass gerade in Krisenregionen die Kooperation zwischen den Gemeinden besser ist als in dynamischen Regionen. Auch im Linzer Zentralraum wurde festgestellt, dass die Grenzen des politi-schen Bezirkes überschritten werden müssen, um ein echtes Bild des wirt-schaftlichen Zusammenhanges zu erhalten.

Das Örtliche Entwicklungskonzept Mit dem Oberösterreichischen Raumordnungsgesetz aus dem Jahr 1994 (§ 18 (1) Oö. ROG) wurde vorgeschrieben, dass jede Gemeinde in Durchführung der Aufgabe der örtlichen Raumordnung durch Verordnung den Flächenwid-mungsplan mit dem örtlichen Entwicklungskonzept zu erlassen, weiterzufüh-ren und regelmäßig zu überprüfen habe. Das Örtliche Entwicklungskonzept ist auf einen Zeitraum von 10 Jahren, der Flächenwidmungsplan auf einen sol-chen von 5 Jahren auszulegen. Das Örtliche Entwicklungskonzept für die Stadt Linz wurde in zwei Teilen ausgearbeitet:

A. Der Allgemeine Teil (Gesamtkonzept) B. Teilkonzepte Dem Gesamtkonzept wurden schließlich 4 Teilkonzepte unterstellt, die den geographischen und wirtschaftlichen Gegebenheiten entsprechen. Beide Teile des Entwicklungskonzeptes wurden der Bevölkerung vorgestellt und in allen Stadtvierteln diskutiert. Die Erfahrung hat gezeigt, dass bei der Bürgerbeteiligung die Entwicklungskonzepte von der Bevölkerung in seiner Tragweite durch die schematische Darstellung im Allgemeinen noch nicht vollständig erfasst wurden.

Die Herausforderung Für die Zukunft gilt in einem noch größeren Ausmaß die Öffnung zum regio-nalen Denken . Die Entwicklungsplanung darf bei den Gemeindegrenzen nicht aufhören. Am Beispiel Linz ist deutlich erkennbar, dass die Zusammenhänge

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und Verflechtungen mit Arbeitsplätzen, Wirtschaft und dem Einkaufsverhalten lange nicht an den Stadtgrenzen und nicht an den Landesgrenzen enden. Das-selbe gilt auch für die natürliche Umgebung. Der Abbau des vorhandenen Kooperationsdefizits, die Erprobung und Stabilisierung kooperativer Struktu-ren innerhalb der Region ist demnach die zentrale Aufgabe. Eine weitere Herausforderung für die Planer ist eine intensive Bürgerbeteili-gung. Die Mitsprache der Bevölkerung ist für manche Planer und Beamte eine Hürde. Sie wird von der Bevölkerung dort verstanden, wo konkrete Projekte vorliegen. Die Problematik besteht für den Stadtplaner darin, dass konkrete Bauvorhaben bereits eine Vorplanung hinter sich haben. Diese Vorplanung ist in der Entwicklungsplanung und erst recht in der Flächenwidmungsplanung passiert. Es gibt also auch Grenzen der Bürgerbeteiligung. Für das gesamte Stadtentwicklungsvorhaben gedacht sollte der Grundsatz sein, ein Gerüst für Aktivitäten zu etablieren, das je nach Dynamik und Problemlage in der Stadt-entwicklung mit vielen oder wenigen, mit kleinen oder großen Beteiligungs-maßnahmen ergänzt werden kann. Bei der Erstellung des Flächenwidmungsplanes und vor allem des Bebauungs-planes ist dem Stadtplaner die Entwicklung eines Geviertes noch nicht be-kannt. Aus meiner langjährigen Erfahrung wird dem Bebauungsplan Schuld gegeben, wenn ein Projekt nicht in der gewünschten Form ausgeführt werden kann. Vielfach wird sofort ein Änderungsantrag eingebracht, ohne auf die Intensionen der Bebauungsvorgaben einzugehen oder aber es wäre tatsächlich möglich mit einer kleinen Änderung dem vorliegenden Projekt Rechnung zu tragen. Aus dem Verantwortungsbewusstsein des Stadtplaners werden häufig zu enge Baufluchtlinien gesetzt. Das Ideal einer Nutzungsmischung bedeutet: soziale, wirtschaftliche und kultu-relle Vielfalt, ethnische Integration, urbane Dichte, kompakte Stadt und kurze Wege. Die tägliche Praxis der Stadtentwicklung passiert jedoch völlig anders: • die Städte haben sich regionalisiert; • das Zusammenspiel von Kern, Rand- und Zwischenzone ist gleichgewichtig

geworden; • die Lebensweisen sind suburbaner geworden; • die Erwartung an eine Stadt, in der man wohnt, arbeitet und seine Freizeit

verbringt, wird nicht erfüllt; • die Handlungsmöglichkeiten für die Stadtplanung sind stark gesunken. Für die Nutzungsmischung ist das drastische Eindämmen des Flächenwachs-tums eine der wichtigsten, unverzichtbaren Handlungsoptionen. Bedingt durch

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den ökonomischen Strukturwandel wachsen die Erfolgschancen für die Pla-nung städtebaulicher Nutzungsmischung. Die in der Vergangenheit entstande-nen großmaßstäblichen monofunktionalen Einheiten werden bereits in vielen Bereichen als Fehlentwicklung gesehen. Das heißt aber nicht, dass generell nur mehr gemischte Strukturen denkbar sind. Die Rückkehr zu dezentralisierten Strukturen wäre ein Beitrag zu stadtverträglicheren mischungsfreundlichen Lösungen. Die früheren Gründe für das Prinzip der Funktionstrennung (Ver-meidung von Störungen zwischen Wohnen und Gewerbe) verlieren durch den technologischen Fortschritt an Gewicht. Während bei der Revitalisierung von historischen Gebäuden die Nutzungsmischung bestens funktioniert, entstehen bei Neubauten vermehrt Schwierigkeiten. Ein gutes Beispiel bildet das revitali-sierte Rathausgeviert in der Linzer Altstadt. Auch die ehemalige Linzer Tuch-fabrik „Himmelreich & Zwicker“ ist ein Beispiel, bei dem in einem ehemali-gen Fabriksgebäude eine Kirche, ein Einkaufsmarkt und Wohnungen unter einem Dach Platz finden. Das heißt, dass wir uns in Zukunft wieder mehr mit der Sanierung und Wiedernutzung bestehender Gebäude sowie mit der Stadt-reparatur beschäftigen müssen, um den Prinzipien der Nachhaltigkeit gerecht zu werden. Private Bauträger konnten in Linz beachtliche Beispiele für die Mischung von Wohnungen, und Geschäftslokalen in Neubauten realisieren. Probleme bei der Errichtung von Objekten entstehen, wenn der Bedarf für die jeweiligen Nut-zungen zu wenig berücksichtigt wird. Folgende Großbauvorhaben werden der-zeit im Sinne einer Nutzungsmischung in Linz gebaut: Stadtreparatur • Das Geviert des Hauptbahnhofes

Dieses Projekt soll neben der Funktion als Nahverkehrsdrehscheibe auch ein neues Landhaus, Geschäfte und Büros erhalten. Allerdings wurden bereits vorhandene Geschäfte und Wohnungen abgesiedelt;

• Die Bebauung Bulgariplatz In den 70er Jahren war im Sinne einer „Auto - verkehrsgerechten Stadt“ ein groß angelegter Verkehrsknoten vorgesehen. Das genannte Projekt schließt den Bulgariplatz räumlich ab und bietet für Wohnungen, Büros und Geschäfte Platz. Diese Entwicklung bedeutet für Linz eine groß angelegte Stadtreparatur;

• Der „Lenaupark“ Ein ehemaliges Industriegelände wird in ein Ensemble mit gemischter Nut-zung (Geschäfte, Büros, Wohnungen und Altenwohnungen) verwandelt. Die Planung des Bauvorhabens wurde sehr engagiert betrieben. Leider ist dieses Areal etwas dezentral gelegen. Bei der Planung wurde bereits im An-fangsstadium mit dem Soziologen R. Gutmann (Österr. Wohnbund) zusam-mengearbeitet. Diese Vorgangsweise kann als vorbildlich erwähnt werden;

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• Die Bebauung am Winterhafen Seitens der Stadtplanung war an eine gemischte Nutzung mit Büros, Gewerben und Wohnungen mit Freizeiteinrichtungen an der Donau gedacht. Vorerst wurde ein groß angelegtes „Technik Center“ mit Büros, Gastronomie und Nahversorgungsunternehmen realisiert. Für den Verfasser bleibt der Wunsch offen, dass die geplante Entwicklung fortgesetzt wird.

Stadterweiterung als Ergänzung eines bestehenden Stadtteiles • Die Solar City Pichling

Für die Entwicklung der Linzer Solar – City wurde gemeinsam mit dem bekannten österreichischen Architekten und Städtebauer Prof. Roland Rainer ein Masterplan erstellt. Rainer entwickelte eine Bandstadt an einer breiten, begrünten Verkehrsachse (Promenade) mit Fußweg, Radweg, Straßenbahntrasse und einer zweistreifigen Fahrbahn. Südlich dieser Erschließungsachse waren entlang einer Arkade Geschäfte, Betriebe mit darüberliegenden Büros und Wohnungen angeordnet. Nördlich der Er-schließungsstraße, im Bereich der Straßenbahntrasse und des Rad- und Fuß-weges, ein verdichteter Flachbau im Sinne der Gartenstadtidee. Die halb unterirdischen begrünten Garagen sollten direkt von der Promenade erschlossen werden, sodass die Wohnbauten fußläufig erreicht werden kön-nen. Leider wurde dieses Idealkonzept in der Realisierung weitgehend ver-lassen. Eine Zusammenarbeit mit den internationalen Architekten Norman Forster, Richard Rogers und Prof. Thomas Herzog sowie dem Soziologen Dr. Raimund Gutmann brachte trotz sehr großem Engagements nicht das ideale Ergebnis, da durch die mangelnden Möglichkeiten der Wohnungsge-nossenschaften die geplanten Nutzungsmischungen kaum realisiert werden konnten. Aus diesem Grund wurde für mich klar, dass manche gesetzliche Vorgaben und vor allem Förderungen offensichtlich falsch gelenkt werden. In einer Forschungsarbeit sollten die Ursachen abgeklärt werden.

In der Forschungsarbeit „Kurze Wege durch Nutzungsmischung“, welche durch das Linzer Planungsinstitut gemeinsam mit dem Institut für ökologische Stadt-entwicklung und dem Österreichischen Wohnbund durchgeführt wurde, werden folgende Forderungen für die Realisierung einer ausgewogenen Nutzungsmi-schung bei der Siedlungsentwicklung gestellt:

• Nutzungsmischung soll als Grundprinzip der Siedlungsentwicklung in allen Entwicklungskonzepten enthalten sein.

• Bei neuen Siedlungen soll auch eine sozial und demographisch ausgewo-gene Bevölkerungsstruktur angestrebt werden.

• Eine Planungskooperation zwischen Stadt und Umlandgemeinden soll für eine ausgewogene Verteilung der Nutzungen in der Region sorgen.

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• Die Nutzungen müssen nicht gleichmäßig über ein Siedlungsgebiet verteilt sein – das Zentrum sollte als Standort vielfältiger Nutzungen bevorzugt werden.

• Grundlage der Planung einzelner Objekte soll die Feststellung des Bedarfes sein.

• Für die Koordination bzw. Organisation von Nutzungsmischung sollen regionale Stellen für Information, Vermittlung und Planung eingerichtet werden.

• Für erforderliche Änderungen sollen Reserveflächen freigehalten werden. • Flexible Grundrisse sollen Nutzungsänderungen ermöglichen.

Die Größe von Infrastruktureinrichtungen soll der Größe des versorgten Gebietes angepasst sein.

• Nahversorgung in neuen Wohngebieten soll von Anfang an verfügbar sein. Die Versorgung kleiner Dörfer soll durch innovative, flexible Formen des Einzelhandels sichergestellt werden.

• Kurze Wege zwischen Wohnung und Arbeitsplatz sollen durch eine breite Palette baulicher und organisatorischer Maßnahmen ermöglicht werden.

• Bewusstseinsbildung soll verstärkt die Vorteile der Nutzungsmischung beto-nen und auf einen Wertewandel hinarbeiten – ökologisches Handeln muss mehr Anerkennung bringen.

• Die gesetzlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sollen so geän-dert werden, dass sie die Nutzungsmischung begünstigen.

• Modellprojekte sollen Erfahrungen mit der Umsetzung von Maßnahmen zur Nutzungsmischung bringen.

Diese Forderungen mögen hoch gegriffen sein, wenn jedoch die Voraussetzun-gen für die Schaffung von: • Urbanität mit belebten öffentlichen Räumen, • gesellschaftliche Integration, • die Stadt der kurzen Wege (Vermeidung von Autoverkehr), • Synergieeffekte aller Art und • Nachhaltigkeit erreicht werden sollen, werden sie verständlich und können als Herausforde-rung für die Zukunft betrachtet werden. Neue Wege in der Verkehrsplanung Es wurde dem Autor in seiner Praxis als Stadtplaner klar, dass die Vernetzung aller Verkehrssysteme noch immer nicht funktioniert. Die „Straßenverkehrs-planung“ und die „Schienenverkehrsplanung“ werden getrennt voneinander durchgeführt, wobei der Straßenplanung noch immer Priorität zukommt. Es wäre wichtig, dass die Projekte zeitlich zueinander abgestimmt würden..

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In Linz wurde die NAVEG (Nahverkehrserrichtungsgesellschaft) gegründet, hier werden, soweit es möglich ist, Nahverkehrsprojekte koordiniert. Weiters soll aufgrund des Verkehrsentwicklungskonzeptes ein Verkehrssystem – Management eingerichtet werden. Es ist zu hoffen, dass diese Einrichtungen im Sinne einer zeitlichen Abstimmung von Bauvorhaben wirken. Da in Zukunft mit Großprojekten sparsam umgegangen werden muss, und auch für den Bau städtischer Verkehrsprojekte wenig Erweiterungsmöglichkeiten bestehen, ist die optimale Nutzung vorhandener Verkehrswege von größter Be-deutung. Allem voraus muss bei jeder Entwicklungsplanung die Verkehrsver-meidung eine Rolle spielen. Ein Anliegen, welches vorerst nicht als Anliegen der Verkehrsplanung gesehen wird, sieht der Verfasser als Architekt in der stadträumlichen Planung und der Gestaltung der Plätze und Straßenräume. Nicht nur die technisch perfekte ge-ometrische Planung der Verkehrsstreifen ist entscheidend, sondern auch die räumliche Gestaltung der Stadt. Die Stadt der Zukunft muss somit eine urbane Stadt und eine Stadt der Fußgeher sein. Die zeitgerechte Zusammenarbeit von Architekten und Verkehrsplanern ist daher von entscheidender Bedeutung. Neue Planungsmethoden Wie bereits beschrieben, waren in vielen Linzer Bebauungsplänen die Bau-fluchtlinien zu eng gelegt, um die künftigen Bauten im erforderlichen Maß einzugrenzen. Eingereichte Projekte mussten oft aus geringfügigen Gründen abgelehnt werden. Die Folge waren viele Änderungsanträge, welche die Stadt-planung personell stark belasteten. Aus diesem Grund wurden seitens des Linzer Stadtplanungsamtes und der Ingenieurkammer für Oberösterreich und Salzburg, gemeinsam mit dem Insti-tut für Örtliche Raumplanung der TU Wien, in den Jahren nach 1990 nach „Neuen Wegen in der Bebauungsplanung“ gesucht. Der neue Ansatz war der von Friedrich Moser geprägte Begriff des „Stadtvolumens“. Unter der Voraus-setzung, dass sich das Volumen der Baukörper nicht ändert, können die Bau-körper flexibel ausgeführt werden. Diese Planungsansätze, gepaart mit den neuesten digitalen Möglichkeiten, eröffnen neue Wege einer dreidimensiona-len Stadtplanung für die Zukunft. Ein interessantes Beispiel konnte für Linz Ebelsberg im Rahmen eines Auftra-ges des Linzer Planungsinstitutes simuliert werden. Beginnend mit einem Gestaltungskonzept, samt neuen stadträumlichen Entwicklungsideen, wurde eine gesamte Ortsansicht simuliert, die es gestattet, neue Bebauungsvorschläge räumlich zu visualisieren. Die Bebauungsplanung für den Ortskern von Linz Ebelsberg erhält durch das Gestaltungskonzept ein lokales, nachvollziehbares und stadträumliches Entwicklungskonzept.

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Solche räumliche Visualisierungen helfen sowohl bei der immer mehr gefor-derten Bürgerbeteiligung, andererseits bietet die wahrheitsgetreue Darstellung eines umstrittenen Projektes in ein Ensemble die Beurteilung eines noch nicht gebauten Objektes. Die digitale Stadt In Linz bieten sich durch das Ars-Electronica-Center für die künftige Stadtpla-nung neue Möglichkeiten der Visualisierung neuer Bauvorhaben und somit der Beurteilung der Einfügung in das Stadtbild. Unter der Voraussetzung, dass die Digitalisierung in dem Ausmaß fortschreitet wie sie bisher in Linz betrieben werden konnte, bestehen sehr gute Aussichten. Die digitale Vernetzung hat sich ganz besonders bei der Erstellung des Flächen-widmungsplanes bewährt. Die Überlagerung verschiedener Planungsebenen bietet völlig neue Möglich-keiten. In der Linzer Stadtplanung wurde der Flächenwidmungsplan bereits digital erstellt und mit einer Lärmkarte überlagert. Dieser Plan wird somit zu einem Instrument der Stadtplanung mit verschiedensten Informationsebenen, wobei der eigentliche „Rechtsplan“ nur eine Ebene darstellt. In der Verkehrs-planung sind sowohl gesamtheitliche Simulationen der Verkehrsströme mög-lich, die durch Projekte entstehen, als auch die Untersuchungen von Kreuzun-gen. Verkehrsplanung wird zur „Verkehrslenkung“, was bei den nicht mehr zu erweiternden Straßennetzen von größter Bedeutung sein wird. In diesem Sinne besteht die Hoffnung, dass die Stadtentwicklungsplanung flexibler, dynami-scher, wirklichkeitsnäher und bürgernäher erfolgen wird.

Literaturhinweise Brunner, Otmar (1994); Neue Stadtentwicklung in Linz, Linzer Planungsinstitut

LPI Band 10. Linz. Brunner, Otmar (1996); Stadtentwicklungsstrategien und Strategische Punkte

in der Linzer Stadtplanung; Linzer Planungsinstitut LPI Band 11. Linz. Brunner, Otmar (1998); Neue Wege in der Bebauungsplanung; Linzer

Planungsinstitut LPI Band 12. Linz. Brunner, Otmar (1998): Raumplanung im Wechsel von Nutzungsinteressen;

Internationale Tage für nachhaltige Stadtverkehrsentwicklung, Tagungs-band 21.-24.September 1998. Linz.

Brunner, Otmar (2000); Die Stadtregion Linz, Stadtentwicklung, Stadtver-dichtung, Stadterweiterung. Linzer Planungsinstitut LPI Band 13. Linz.

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Brunner, O., Gutmann, R.; Lung, E.; Mayerhofer, R.; Skala, F. (1999); Forde-rungen für die Realisierung einer ausgewogenen Nutzungsmischung bei der Siedlungsentwicklung. Kurze Wege durch Nutzungsmischung; Linzer Planungsinstitut. Linz.

Die Stadt der Zukunft (1998); Zusammenfassung der Ergebnisse eines 3-tägi-gen Kongresses durch das Linzer Planungsinstitut in Zusammenarbeit mit dem Institut für Baubiologie und –ökologie (Wien) und Donau – Univer-sität Krems.

Goldner, F.X. (1999); Solar City Pichling; Die Stadt der Zukunft; Linzer Planungsinstitut. Linz.

Klier, Monika (1999): Beispiele für die Mischung von Wohnungen, Büros und Geschäftslokalen auf Gebäudeebene in Linz; Forschungsarbeit: Kurze Wege durch Nutzungsmischung, Linzer Planungsinstitut. Linz.

Kreuzer, Sabine (1999); Modelle der Stadtstruktur; Kurze Wege durch Nutzungsmischung; Linzer Planungsinstitut. Linz.

Knoflacher, Hermann (1998); Verkehrssysteme für eine Stadt der Zukunft; Die Stadt der Zukunft. Linzer Planungsinstitut. Linz.

Kurze Wege durch Nutzungsmischung (1999); Forschungsarbeit, herausgege-ben durch das Linzer Planungsinstitut, in Zusammenarbeit mit dem Institut für ökologische Stadtentwicklung und dem Österreichischen Wohnbund, gefördert durch das Bundesministerium für Umwelt, Jugend und Familie (Abteilung für Verkehr, Mobilität, Raumordnung und Lärm) und das Amt der Öberösterreichischen Landesregierung (Abt. Wohnungs- und Siedlungswesen). Linz.

Leitner, Kurt; Rosinak, Werner (1990); Diskussionsbeitrag zur Entwicklungs-planung der Stadtregion Linz. Linzer Planungsinstitut, Linzer Werkstatt-gespräche [Band 1. Linz].

Linzer, H.; Mayerhofer, R., Moser, F.; Voigt, A.; Walchhofer, H.P. (1998); Neue Wege in der Bebauungsplanung; Linzer Planungsinstitut LPI Band 12. Linz.

Moser, F.; Schmidinger, E.; Voigt, A.; Walchhofer, H.P. (1996); Computerin-tegrierte Stadtentwicklungsplanung – Computer Integrated City Development (CICD), Linz Ebelsberg. Linzer Planungsinstitut LPI Band 11. Linz.

Voigt, A.; Walchhofer, H.P. (2000); Stadtraumlabor; Linzer Planungsinstitut LPI Band 13. Linz.

Wachten, Kunibert (1998); Die Stadt der Zukunft, Linzer Planungsinstitut. Linz.

Wachten, Kunibert (2000) Nutzungsmischung; Linzer Planungsinstitut LPI Band 13. Linz.

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Blinde und Sehbehinderte in der Stadt Michael Busboom

Wahrnehmung gebauter Umwelt Architekten und Städtebauer nutzen für ihre Arbeit und für die Kommunikation über ihren Gegenstand wohl immer das Auge als wichtigstes Wahrnehmungsorgan. Blinde und Sehbehinderte leben, ebenso wie die Sehen-den, in der gebauten Umwelt, an deren Entstehen auch Städtebauer und Architekten mitgewirkt haben und ständig mitwirken. Blinde und Sehbehin-derte können an der Nutzung dieser gebauten Umwelt nicht mit derselben Art der Wahrnehmung teilnehmen, mit der sie geschaffen wurde. Daraus ergeben sich viele Fragen, die nur zum Teil Antworten gefunden haben. Es lohnt sich also, über die Wechselwirkung zwischen dem Entstehen der ge-bauten Umwelt und der Nutzung durch Blinde und Sehbehinderte zu diskutie-ren. Der erste Schritt in dieser Diskussion könnte es sein, sich gegenseitig die räumlichen Gegebenheiten in der Stadt zu schildern. Wie nehmen Blinde und Sehbehinderte die Stadt wahr? Und wie läuft diese Wahrnehmung beim Sehenden? Ist die Wahrnehmung der gebauten Umwelt nicht außerdem bei Städtebauern und Architekten noch anders? Solche Fragen sollte man dann noch vertiefen: Was kann wahrgenommen wer-den, und was nicht? Wie stellen sich Blinde und Sehbehinderte diese Umwelt vor - und wie Sehende? Wie können Blinde für die Gestaltung der Umwelt aktiv werden? Wie können Anliegen der Blinden und Sehbehinderten in der Realität wirksam werden? Und können diese Anliegen einen Beitrag zur Gestaltung leisten? Solche Fragen haben schließlich das Ziel, falsche Vorstel-lungen zu korrigieren, Lücken in unserer Sachkenntnis zu schließen und Feh-lerquellen zu vermeiden. Ziel sollte sein, das Leben für die Betroffenen zu be-reichern; zu reglementieren und einzuengen, sollte dagegen nicht angestrebt werden. Gegenseitige Verständigung ist notwendig. Es ist wichtig, zwischen Blinden und Sehbehinderten zu unterscheiden. Wir bezeichnen als „Blinde“ Menschen, die entweder nichts oder so wenig sehen, dass der Sehrest zur praktischen Orientierung nicht eingesetzt werden kann. Sehbehinderung reicht dann von nahezu voll sehenden Menschen bis zu jener Stufe, die wir als blind bezeichnen. Die Gruppe der Blinden und Sehbehinder-ten ist somit differenziert. Innerhalb dieser Gruppe wird oft heftig über die hier verwendeten Begriffe diskutiert. Die angestrebten Aussagen über die Wahr-nehmung können also in einem relativ weiten Bereich variieren.

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Orientierung und Verständigung Schon dieses Beispiel zeigt die große Bedeutung der Sprache für Verständi-gung und Orientierung. Oft wirkt die Sprache aber eher als ein Orientierungs-hindernis, wenn sie etwa nur aus dem Aspekt der Sehenden angewendet wird. Solche Probleme sollten mit Hilfe eingehender Untersuchungen gelöst werden, auch wenn sie den Beteiligten oft nicht bewusst sind. Missverständnisse können also auftreten und die Verständigung stören. Das können grundlegende Missverständnisse sein, wie etwa die Vorstellung, dass blindengerechte Gestaltung der räumlichen Situation ein für die Sehenden langweiliges Bild ergibt, oder dass solche Gestaltung immer teuer sei. Das muss jedoch keineswegs so sein. Der Gedanke klingt aber im Gespräch über die Gestaltung des Raumes bei Blinden wie bei Sehenden immer wieder an. Dieses Missverständnis aufzuheben ist wahrscheinlich nur mit eingehenden vergleichenden Studien möglich, die Diskussionsrunden mit Betroffenen ein-schließen. Das wäre eine von mehreren Aufgaben, die sich in unserer Diskus-sion ergeben haben. Trotz eingehender Befassung mit der angeschnittenen Thematik ist noch viel Forschungsbedarf gegeben; vieles muss noch geklärt werden; vieles sollte dann auch Realität werden. Über räumliche Entwürfe in Architektur und Städtebau zu sprechen, hat immer Raumstrukturen zum Gegenstand; das heißt die Anordnung der Objekte und Gebäudeteile im Raum. Diese Teile bilden den Raum, von dem hier die Rede ist. In diesem Raum zu leben erfordert es, sich ständig in ihm zu orientieren. Die Art der Orientierung ist daher ein zentrales Thema dieser Diskussion. Orientieren sich Blinde grundlegend anders, als Sehende - oder ist der Unter-schied eher eine Maßstabfrage? Ein Unterschied ist zweifellos, dass der Blinde, wenn ihm der Raum noch nicht bekannt ist, eine Abfolge von Orientie-rungsmarken möglichst lückenlos erkennen muss, um zu seinem Ziel gelangen zu können. Der Sehende dagegen kann in dieser Abfolge Marken übersprin-gen, da er ja zugleich mit diesen auch weiter Entferntes wahrnehmen kann, also lückenhafte Wahrnehmung in einen Überblick einfügen kann. Um die Folgen dieser Unterschiede zu erkennen und für die Gestaltung der Umwelt einsetzen zu können, wäre noch einiges an gemeinsamer Arbeit nötig.

Beispiele zu Orientierungsproblemen Das Gespräch zwischen Blinden und Sehenden über Orientierung lässt immer wieder erkennen, dass es oft dieselben Punkte sind, die Blinden und Sehenden die Orientierung erschweren. Unterschiedlich ist aber offensichtlich der Auf-wand, verlorene Orientierung wieder aufnehmen zu können. Als Beispiel

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haben wir die Orientierung an der Straßenkreuzung Florianigasse - Skodagasse in der Wiener Josefstadt diskutiert. Das Orientierungsproblem an dieser Kreuzung entsteht sowohl aus der städtebaulichen Gestalt, als auch aus ver-kehrstechnischen Regelungen. Missverständnisse treten oft in unklaren Situationen auf. Die Anhaltspunkte für das Handeln sind dann mehrdeutig oder können nur undeutlich wahrgenom-men werden. Die Folge solcher Situationen sind oft falsche Schlüsse. Die kön-nen in Fehlinformationen bestehen, also in Eindrücken, die etwas nicht Vor-handenes suggerieren. Spiegel als Wandverkleidung können für Sehbehinderte so unangenehme Folgen haben. Es können aber auch Informationen fehlen, die im Vergleich zu ähnlichen Situationen erwartet werden könnten. Die neue Abflughalle am Flughafen Schwechat ist dafür ein Musterbeispiel (für Blinde und Sehende). Akustische Kontrastarmut führt in diesem Beispiel dazu, dass die in anderen Hallen gegebene Möglichkeit einer Orientierung nach dem Gehör kaum besteht. Dazu kommt, dass in dieser orientierungslosen Umge-bung Hindernisse im Wege stehen, die man wegen des Anscheines, den die Halle bietet, nicht erwartet. Die angedeuteten Hindernisse sind ein relativ häufig auftretendes Problem, das wieder für Sehende wie für Blinde störend auftritt, für Blinde aber zum Hin-dernislauf wird: Um Aufmerksamkeit zu erregen, oft für Werbezwecke, ebenso aber zur Information der Besucher, werden verschiedene Tafeln, Ständer und andere Objekte an Stellen aufgestellt, an denen man sie nicht erwartet. Die bestehenden Anhaltspunkte für die Orientierung signalisieren dort eher freien Raum, als Hindernisse. Ohne den optischen Eindruck kann man aber weder die angestrebte Aufmerksamkeit auf die dargestellte Information richten, noch dem Hindernis rechtzeitig ausweichen; das Hindernis kann dann auch nicht als Orientierungsmarke verwertet werden. Das Fehlen der erforderlichen Information zur Orientierung charakterisiert mehrere Bauwerke. Oft sind das Verkehrsbauwerke, die zur reibungslosen Abwicklung von Bewegungen vieler Menschen geschaffen wurden. Fußgängerunterführungen und unterirdische Haltestellen sind mehrfach Ge-genstand der Kritik an ihrer Orientierbarkeit. Als Beispiele können die Stras-senbahnstation im Untergeschoß am Schottentor, wie auch die Fußgänger-unterführung bei der Wiener Staatsoper angeführt werden. Beide Anlagen sind gekrümmt. Das allein erschwert schon die Orientierung. Sie weisen darüber hinaus beide kaum Orientierungsmarken auf, die es erlauben würden, etwa die Einsteigstelle eines Straßenbahnwagens zu finden, oder den gewünschten Aus-gang zu erreichen. Auch in diesen beiden Fällen sind nicht nur Blinde von dem Erschwernis betroffen.

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Blinde wie Sehende orientieren sich im architektonisch und städtebaulich -wirksamen Raum an der Stellung von Gegenständen zu einander. Für Blinde ist die Abfolge dieser Relationen entscheidend; für Sehende ist es möglich, sich einen optischen Überblick über solche Relationen zu verschaffen und so (unter anderem) Inkonsistenzen zu erkennen und auf diese zu reagieren. Blinde müssten sich dazu erst ein „Bild“ dieses Überblicks durch wiederholtes Bege-hen auf verschiedenen Wegen erarbeiten. Nach dem Gedächtnis könnten sie sich darin dann in vielen Fällen gut orientieren. Zum letzten Gedanken noch ein einfaches Beispiel: Ein Geschäft liegt nahe an einer Straßenecke bei einer Straßenbahnhaltestelle. Vor dieser Haltestelle steht eine Bank. Die Stellung von Gebäudeecke, Gehsteigkanten, Bank bei der Haltestelle und Eingang zu dem Geschäftslokal zeigt für Blinde greifbar die räumliche Situation an. Die Situation ist signifikant. Ein einfaches Gegenbeispiel ist in der Nähe zu finden: In einer Reihe mehrerer kleiner Geschäfte sind die Portale einander haptisch sehr ähnlich gestaltet, zusätzlich orientierende Gegenstände fehlen, oder sind wahllos hingestellt. Sehende sind zur Orientierung in einer solchen Situation auf Aufschriften und Farben angewiesen; für Blinde ist hier einfach zu wenig orientierende Infor-mation greifbar. Mehr wahrnehmbare Gestaltelemente wären hier zweifellos für alle ein Vorteil. Die vorhandene gewisse Langweiligkeit könnte also durch blindengerechte Gestaltung vermieden werden. Innenräume weisen ebenfalls oft Orientierungsprobleme auf. Es können einfa-che räumliche Gegebenheiten gravierende Probleme bilden; oft sind es aber gezielt eingesetzte Gestaltungselemente oder -prinzipien, die sich störend aus-wirken. So werden oft Räume optisch untergliedert, die Untergliederung aber nicht haptisch wahrnehmbar gemacht. Man spart damit zwar Raum, aber auf Kosten für Blinde notwendiger Orientierungsmarken. Ähnliche Informations-mängel ergeben sich, wenn ausschließlich optische Orientierungssysteme ver-wendet werden, mögen diese auch noch so ausgeklügelt sein. Wie andere Problemfaktoren der Raumwahrnehmung auch, sind einseitig optische Systeme oft auch für Sehende unzulänglich; man denke etwa an einen Ausfall der Beleuchtung. Sind bei Innenräumen (oder auch kleinen Außenräumen) die Wände nicht parallel, oder sind sie teilweise gekrümmt, dann verändert das die Raumakustik in einer Art, die akustische Orientierung unter Umständen stark beeinflusst. Zusätzliche Orientierungshilfen sind dann oft zweckmäßig. Entstehen durch die Innenraumgestaltung viele sich gegenseitig überlagernde Echos, kann das desorientierende Wirkung haben. So können dort unter Umständen Eingänge

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oder Zugänge zu Treppenhäusern für Blinde schwer auffindbar werden. Die schallharten, nur teilweise gegliederten Wände und Wölbungen in den Gängen des Wiener Rathauses sind eine Beispiel für solche Wirkung. An solchen Eigenheiten kann man aber auch Baustile oder Bauepochen identifizieren. Die Orientierungsproblematik im Wiener Rathaus hat Entsprechungen etwa in den Eingangssituationen mancher Wohnbauten, die derselben Epoche angehören (Gründerzeit, Beispiel Alser Straße 20).

Details und Gefahrenquellen Oft liegen positive oder negative Wirkungen an Kleinigkeiten; am Fehlen klei-ner Hinweise, am Übersehen von Normerfordernissen oder einfachen funktio-nellen Zusammenhängen, oder an unfertiger Arbeit, an nicht abgeschlossenen Projekten. Dazu ein Beispiel: Bei Aufzügen sind oft die Stockwerksangaben, bei Bürogebäuden die Türnummern nur graphisch angebracht. Es wäre kein großer Aufwand, solche Nummern auch in Blindenschrift, oder einfach mit Reliefschrift greifbar zu machen. Man müsste dabei allerdings auch daran denken, dass Blindenschrift nicht an jeder Stelle angebracht lesbar ist: Man muss die Schrift annähernd in der normalen Lesehaltung tasten können, das heißt etwa in Augen- oder Türgriffhöhe, nicht aber zu tief unten, wie es für Kinder und Rollstuhlfahrer doch unter Umständen zu fordern ist. Man sollte die Überlegung, wie eine Beschriftung auch für Blinde lesbar gemacht werden kann, in jedem relevanten Fall anstellen. Man sollte die Anbringung solcher Zeichen nicht dem gestalterischen Zufall überlassen. Orientierung ist jedenfalls mit dem Boden verbunden, auf dem man geht. In den Boden könnte man ohne viel Aufwand eine Menge Orientierungs-Infor-mation einfügen. Für Sehbehinderte ist es zu wünschen, dass die optischen Kontraste im Boden dort betont werden, wo sie die Orientierung unterstützen oder auf Gefahren hinweisen. Verschiedene Bodenbeläge können als Markie-rung dienen und dem Blinden ebenso helfen, wie die schon an vielen Stellen angebrachten Leitlinien im Boden. Diese allerdings sollten konsequent einge-setzt werden und nicht etwa unvermittelt abbrechen. Gefahrenquellen sollten wohl in jedem Falle ausgeschaltet werden. Sie sind an Baustellen besonders häufig und für Blinde besonders gefährlich. Man muss dabei nicht an den Extremfall fehlender Abschrankung einer Baugrube denken. Schon das unbedachte Ende von Leitlinien im Boden einer U-Bahnstation kann Gefahren hervorbringen. Gefährlich sind auch abgetretene Stufen, die sowohl das Ertasten zur Orientierung, als auch die Trittsicherheit beeinträchtigen. Besondere Vorsicht müsste in solchen Fällen an einer Stelle vor der Gefahren-quelle signalisiert werden. Ähnliches gilt für ungewöhnliche Bodenge-staltungen oder einzelne auslaufende Treppenstufen auf Plätzen. Handläufe

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und ähnliches könnten zum Signalisieren der Gefahr und zu taktiler Orientie-rung genutzt werden. Auf eine gewöhnliche und häufige Gefahrenquelle soll noch hingewiesen wer-den: auf die Schwingtüren. Sie sind vor allem beim Zurückschlagen gefährlich. Man sollte solche Gefährdungen jedenfalls vermeiden. Man könnte sie durch Schiebetüren ersetzen, vor allem aber mit aktueller Technologie ausstatten, die Hindernisse im Schwingraum erkennen und auf sie reagieren kann.

Anregungen zur Aufarbeitung Alle diese Beispiele für Hindernisse, denen Blinde in der Stadt gegenüberste-hen, haben neben der alltäglichen, praktischen, auch eine theoretische Seite. Zu dieser sind Anforderungen an die Aufarbeitung schon erreichter Kenntnisse zu stellen. Von diesem Standpunkt aus betrachtet zeigt sich auch die Notwendig-keit weiterer Studien und Untersuchungen. Darüber hinaus ist praktische Ent-wicklungsarbeit zu vielen der angedeuteten Fragen notwendig. Es gibt Erkenntnisse über die Art, mit der Blinde räumliche Gestalt wahrneh-men. Geburtsblinde haben kaum eine visuelle Beziehung zur räumlichen Situ-ation, in der sie leben und sich bewegen. Späterblindete haben dagegen oft Vorstellungen von visuellen räumlichen Zusammenhängen, was oft ein rasche-res Kennenlernen eines Raumes ermöglicht. Es gibt also unter Blinden ganz erhebliche Unterschiede in der Raumwahrnehmung, in den Orientierungsvor-gängen und in den zugehörigen Vorstellungen. Über räumliche Gestalt und über räumliche Entwürfe zu sprechen, bedeutet Raumstrukturen vorzustellen, die Anordnung der Teile im Raum zu diskutieren. Das kann man abstrakt kon-struierend tun, man kann die eigenen Erfahrungen referieren, man kann aber auch versuchen, sich gemeinsam durch den Raum zu bewegen und die dabei auftretenden Gedanken auszutauschen. Man kann dann dasselbe Objekt, dieselbe aktuelle Erfahrung, aus verschiedenen Aspekten behandeln. Etwa aus dem Aspekt der räumlichen Relation von Orientierungsansätzen, der konseku-tiven Abfolge von erfassten Orientierungspunkten, oder mit dem Versuch, ganze räumliche Strukturen als Gestalten zu erfassen.

Modelle zur Orientierung Zum zuletzt genannten Punkt könnte der Gedanke beitragen, Struktur, Gestalt und Orientierung mit Hilfe von taktilen Modellen zu vermitteln und zu erfas-sen. Komplexe Gestalten, wie etwa der Wiener Stephansdom, könnten mit der Hilfe eines für das Abtasten bestimmten Modells auch für den Geburtsblinden fassbar gemacht werden. Die Orientierung in komplizierten Räumen (wie etwa den Gängen im Wiener Rathaus) könnte mit Orientierungsmodellen bei den

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Stiegen in jedem Geschoß ganz wesentlich erleichtert werden. Auch die Sicherheit könnte auf diesem Wege erhöht werden. Modelle zu begreifen müsste von dem Üben eines „Zoom-Effektes“ begleitet werden. Die wün-schenswerte Dimension solcher Modelle kann dann nach eingehenden Ver-gleichsstudien zu verschiedenen Dimensionen ermittelt werden. In Spanien gibt es ein Museum für Blinde, das vor allem Modelle enthält, die ihre Information taktil vermitteln. Vor allem die räumlichen Verhältnisse der gezeigten Gegenstände werden so in einmaliger Weise dargelegt. An solchen Beispielen könnte der Gedanke, Modelle als Orientierungshilfe einzusetzen, weiter entwickelt werden. Vielleicht findet sich zur Aufgabe, ein System der Orientierungshilfen zu entwickeln, auch der Kompromiss, Braille-beschriftete Pläne einzusetzen; die könnten aber vielleicht auch nicht alle Blinden lesen. Ein weiterer Schritt wäre ein „logisch erklärtes Modell“, das heutige und künf-tige Technologie nutzen würde. Modell-Orientierung steht der tastbaren Orientierung gegenüber; es könnten aber auch beide Wege zugleich beschritten werden. Das ist wohl so lange eine Kostenfrage, als sich noch kein System herausgebildet hat, das alle Anforde-rungen erfüllt und - weil es tatsächlich eingesetzt wird - auch kostengünstig angeboten werden kann. Bei manchen solchen Versuchen sollte bedacht wer-den, dass auch Sehende von der Entwicklung eines für Blinde notwendigen Instrumentes profitieren könnten; die Orientierung im Wiener Rathaus etwa ist nicht nur für Blinde von Interesse.

Neue Instrumente Die gleichen Ziele können schließlich auch mit Anwendung von Hochtechno-logie angestrebt werden. High-tech-Orientierung ist nicht nur im Straßennetz und im öffentlichen Raum möglich, sondern ebenso im Inneren von Gebäuden. Die Möglichkeit, mit einem „taktilen Stadtplan am Rücken“ sich im Dunkeln leiten zu lassen, wurde in Studien in den USA entwickelt. Ebenso real ist die Orientierung mit Hilfe einer Kamera-Brille, die Rauminformation aufnimmt und über Internet zu einer Zentrale leitet. Dort hört und sieht der Steuernde die Situation des Trägers der Brille, und kann diesen sprachlich führen. Hören, sehen und fühlen können so zusammengeführt werden. Die Ergebnisse solcher High-tech-Studien können zur Serienreife für die zivile Anwendung gebracht werden. Sie eröffnen Chancen für weitere Entwicklun-gen. Sie können mit Realität und Simulation im Städtebau und in der Archi-tektur verbunden werden und dem Gestaltenden neue Werkzeuge in die Hand geben. Die Kommunikation über Gestaltfragen kann damit erweitert werden.

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„Low-tech“ wird durch solche Entwicklungen keineswegs überflüssig. Nicht nur die Frage nach den Folgen eines Störungsfalles und nicht nur die Kosten sprechen dafür, parallel zur Hochtechnologie das Einfache und Naheliegende, das Handwerkliche mit der möglichen hohen Qualität anzubieten.

Bedarf an Gestaltung Wie kann man die Kreativität des Gestaltenden, des Architekten, für blinden-gerechtes Bauen einsetzen? Ist blindengerechtes Bauen eine zusätzliche Auf-gabe, die das Gestalten von Bauten erschwert, oder ist es eher die Bereiche-rung, an eine Aufgabe von verschiedenen Seiten heranzugehen? Der Bedarf an Gestaltung ist vorhanden, die Blinden und Sehbehinderten gerecht wird. Er dürfte schon durch den wachsenden Anteil alter Menschen weiter an Bedeu-tung gewinnen. Technologie und Vorgehensweisen für die Bewältigung der dabei auftretenden Probleme sind vorhanden, sie können und sollen noch aus-gebaut werden. Das Wesentliche ist aber eine Weiterentwicklung der Denk-weise und vertiefte Kooperation.

Referenzen Gardner, John A.; Science Access Project „Tactile Graphics, an Overview and

Recource Guide“ [http://dots.physics.orst.edu/publications.html] Kurz, Martin; „Giving Blind Peolpe Access to Graphics“

[http://www.infu.fu-berlin.de/~e/publications/ ] Journal of Visual Impairment and Blindness [http://www.afb.org/jvib] Journal of Rehabilitation Research and Development

[http://www.vard.org/jour/jourindx.htm] National Centre for Tactile Diagrams [http://www.nctd.org.uk] Proceedings „Österreich-Tag“ 1998 [http://www.bco.co.at/oetag98] Proceedings „Österreich-Tag“ 2000 [http://www.bco.co.at/oetag2000]

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Stadt am Rande - Eindrücke einer Stadt: Krakau und Triest im Vergleich Waltraut Hala, Florian Wicke Vorbemerkung Was macht den Charme oder die Besonderheit einer Stadt aus? Unsere Defini-tionen und Analysen der Städte, Siedlungen im weiteren Sinn, Stätte der Be-gegnung, des Handels, der Bildung, der Kultur, Platz zum Wohnen – Heimat - und Industriestandorte, um nur einige der Begriffe aufzuzählen, scheinen hier längst nicht mehr ausreichend. Warum besuchen wir sie? Warum empfinden wir eine Stadt interessant, eine andere als hässlich, wieder eine als bedeutend – worauf gründet sich der Reiz einer Agglomeration, die sie über vergleichbare, andere stellt? Dies ist der Versuch an Hand eines Vergleiches zwei gegensätzliche Städte – Triest und Krakau – einander gegenüber zu stellen und in einem kurzen, zu kurzen Moment, Dinge und Eigenschaften zu finden warum man ohne Frem-denverkehrswerbung eine Stadt beeindruckend findet – und sich spontan ange-sprochen fühlt. Kann Intuition analysiert werden oder ist es vielmehr die Summe an Beson-derheiten, die ähnlich einem Katalysator sich gegenseitig beeinflussende Fel-der erzeugen, die für diese beiden Städte die Einzigartigkeit ausmacht? Diese Gesamtheit führt schließlich zu jener Unverwechselbarkeit, welche unsere Faszination ausmacht. Gegenüberstellung / Stadtentwicklung Den ersten Ansatz suchend beginnen wir damit, beiden Städte alternierend vor dem Hintergrund ihrer historischen Entwicklung zu betrachten. Triest, dessen Name sich vom Wort Terg (Markt) ableitet, liegt zwischen dem Meer und der Hügellandschaft der nördlichen Ad-ria. Die ehemalige römische Kolo-nie, stieg schon in grauer Vorzeit zu einer der wichtigsten Städte der Re-gion auf. Diese Bedeutung verdankt Triest nicht zuletzt seiner Grenz-lage, wie auch dem nun seit mehr als 2000 Jahren bestehenden Hafen.

Abb. 1: Hafen und Markthalle in Triest

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Die Stadt Krakau, deren älteste Siedlungsspuren bis in die Jungsteinzeit und Bronzezeit zurück reichen, konzentriert sich um den mitten in der heutigen Stadt gelegenen Wawelhügel, an dessen Fuße die Weichsel fließt. Der Name der Stadt leitet sich vom legendenumwobenen prähistorischen König Krak ab. Über die Jahrhunderte erfuhr Krakau eine wechselhafte Zeit, angefangen vom Hauptsitz der polnischen Könige, der Gründung der Universität im Jahre 1364, bis hin zur Union Polens mit Litauen, bei der Krakau seine zentrale Lage ein-büßte. Eroberungen und Plünderungen durch schwedische, russische und preußische Heere führten schließlich zum Untergang des Reiches. Die österreichische k.u.k. Monarchie bildete die Grundlage für die weitere Entwicklung der beiden geographischen Randstädte: 1719 wird in Triest der Freihafen errichtet. 1777 lässt Maria Theresia den Neuen Hafen errichten, der bis zum Ende der Monarchie der modernste Hafen der Adria blieb. Nicht zuletzt durch diese Bindung an das Hinterland entsteht keine typische Adriastadt, sondern ein Industriezentrum monarchisch-städti-scher Prägung.

Im gleichen Jahrhundert kam Kra-kau zur Monarchie. Nachdem Öster-reich bei den polnischen Teilungen das südliche Polen annektiert hat, wird die Stadt allmählich wieder zu einem wirtschaftlichen und kultu-rellen Brennpunkt. Nach Wien und Budapest entwickelt sich Krakau zur drittgrößten Stadt der Donaumonar-chie.

Abb. 2: Wawel und Weichselufer in Krakau Die Folgen des ersten und des zweiten Weltkrieges, bekamen beide Städte heftig zu spüren: 1919 gelangt Triest an Italien, nach dem zweiten Weltkrieg besetzt Tito die Stadt. Das gesamte Hinterland gelangt unter die Hoheit Ju-goslawiens. Die Folge ist eine Teilung der Stadt in einen schmalen, nur 5 km breiten Küstenstreifen unter amerikanischer Verwaltung.

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1918 wird Polen unabhängig und bleibt es für kurze Zeit. 1939, nach Einmarsch der deutschen Truppen wird Krakau zur Hauptstadt des Ge-neralgouvernements bestimmt. Den Krieg übersteht Krakau unbeschä-digt, doch auch nach beiden Welt-kriegen sollte beiden Städten noch keine Ruhe beschieden sein.

Abb. 3: Alter Hafen von Triest Die Teilung von Triest unter Tito, wurde 1954 in London durch die beteiligten Parteien Jugoslawien und Italien abgesichert und 1975 im Vertrag von Oslo auch anerkannt. Die Region Triest hat damit 91% ihres Territoriums und 64 % ihrer Bevölkerung verloren. Als Kompensation wird 1963 Triest mit Görz und Udine zu einer Provinz zusammengelegt.

Krakau galt wegen seiner geistigen, religiösen und kulturellen Traditionen bei den Sozialis-ten als bourgois-dekadent. Als proletarischer Gegenpol wird in den 50er Jahren das riesige Stahl-Kombinat Nova-Huta 12 km östlich von Krakau aus dem Boden gestampft. Die Emissionen richten an den hi-storischen Gebäuden der Altstadt bis heute schwere Schäden an. 1989 fanden die ersten freien Wahlen statt, die von Solidarnosc gewonnen wurden. Ein Ende des sozialistischen Systems zeichnet sich ab.

Abb. 4: Schilderwald am Rande des Rynek Glowny Und heute? Triest als Stadt der Geschäfte und des Handels spiegelt ihre mediterranen Be-züge allerorts wieder und hat sich auf diese Weise ihre eigene Identität und Lebensfreude bewahrt. So ziehen einen rasch die kleinen Bars und Cafes in ihren Bann, winkeligen Straßenzügen folgend, von den Hügeln der Stadt hin-unter zur Küste, wo die Stadt ins Meer abtaucht. Die engen Gassen des Zent-

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rums weiten sich in Richtung der neuen, modernen Hafenzentren, ohne dass dort dem Einwohner oder gar Touristen der Zugang gestattet wäre. Über die Jahrhunderte hinweg mag dieses romantische Bild seine Gültigkeit gehabt haben, mit der Industrialisierung von Gesellschaft und Umland wurde aus Triest jedoch eine „Stadt am Rande“. Denn neben der oben be-schriebenen Altstadt, forderten die Bedürfnisse der modernen Industrie ihren Tribut. Während der Altstadt-teil durch Inbetriebnahme des Bahn-hofes mit seinen die Uferzone nut-zenden Gleisbauten den Nordteil der Stadt abschneidet, wird ein gewalti-ger Teil der Triester Stadtlandschaft durch den nunmehr letzten Freihafen Abb. 5: Industriehafen Triest des Mittelmeeres abgetrennt, eine seit 1974 rückgängige Bevölkerungszahl auf den zur Verfügung stehenden 212 km2 Fläche (zum Vergleich: Wien 415 km2) runden das Bild ab. Was als kümmerlicher Rest bleibt, ist eine 2 km lange, verparkte städtische Uferpromenade, als einziges Bindeglied zwischen Stadt und Meer.

Einwohner wie auch Touristen wei-chen in die einzige verbliebene Grünzone, einen schmalen Ufer-strich zwischen Stadtrand und Schloss Miramare aus – tägliche Staus und Verkehrsstillstand an die-ser Triester Ausfallstrasse sind die in Kauf genommenen Folgen.

Abb. 6: Stadtpromenade Triest Heute wie damals macht den besonderen Reiz der Stadt Krakau die Vielfältig-keit des Stadtkerns aus. Man findet neben kleinen Spezialgeschäften und Nut-zungen für den täglichen Bedarf moderne Einrichtungen wie Banken oder zeitgemäße Einkaufsmöglichkeiten, auch Einrichtungen, die den künstleri-schen Ruf Krakaus ausmachen.

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Theater, Kleinbühnen und Einrich-tungen der darstellenden Künste. Ein Hauch künstlerischer Lebensart ist spürbar eine Mischung verschie-dener Kulturen, teils östlicher teils westlicher-fernöstlicher Lebenslust und Lebensart verstärkt diesen ein-zigartigen Eindruck, den man kaum sachlich beurteilen oder gar analy-sieren kann. Abb.7: Tuchhallen am Rynek Glowny Man merkt, dass ein Land stolz ist auf seine „Kulturstadt“. Die Vielfalt an Stilen, die über Jahrhunderte ihre Spuren hinterlassen haben, gepaart mit Zu-

und Umbauten aus allen Epochen macht erst den besonderen Charme dieser Stadt aus, die wir in ihrer Ge-samtheit wahrnehmen. Die Stadt ist erfüllt von Leben, so hat man zumin-dest den Eindruck. Besonders der baulich ungeheuer interessante Stadt-kern mit seinem rechtwinkelig ange-legten Straßennetz den vielen Cafés und Bars sowie Restaurants rund um den einzigartigen Marktplatz, dem

Abb. 8: Munteres Leben in der City Rynek Glowny (200 x 200) laden zum Verweilen ein. Viele junge Leute tummeln sich hier - unterstützt von der Polnischen Regierung werden alle Schulklassen in die „kulturelle Metropole“ geschickt. Jährliche Jugend-Treffen verschiedenster Organisationen runden dieses Bild noch ab und tragen dazu bei, dass Krakau den Eindruck einer jungen Stadt erweckt. Chancen für die Zukunft Nach knapp mehr als 80jähriger Randlage, ergeben sich für Triest nun neue Aussichten mit der möglichen Neunutzung der alten, unrentablen oder gar schon stillgelegten Hafenflächen. Auch die Öffnung ins unmittelbare Hinter-land der Stadt, bislang ein schmaler Grenzlandstreifen zu Slowenien, bietet Entwicklungsmöglichkeiten. Die Stadt Triest, bislang nicht erstrangiges Zielgebiet des modernen Städtetou-rismus, kann so mit einer dualen Öffnung zum Meer einerseits und der Hin-

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wendung zu seinem Hinterland Istrien andererseits, wesentliche neue Akzente setzen. Es liegt in den Händen der Triester Bevölkerung, die Gunst der Stunde am Beginn dieses neuen Jahrtausends zu nutzen und nicht die Entwicklung ver-gleichbarer Hafenstädte zu wiederholen. Noch sind die wieder zu erschließen-den Hafenflächen nicht dem Moloch Verkehr nebst weiteren Stadtautobahnen geopfert, und so liegt es in greifbarer Nähe Triest schon bald nicht neben dem Meer, sondern wieder am Meer, der Adria, liegen zu lassen. Die wechselvolle Geschichte Krakaus die überall Spuren hinterließ und die bauliche Anlage der Altstadt haben Krakau geprägt. So ist Krakau zu dem ge-worden, was es heute ist; eine reizvolle Metropole inmitten eines sich neu bil-

denden Wirtschaftsraums. Ein Platz an dem man sich gerne aufhält. Es ist spürbar, dass die Stadt lebt und an neuen Entwicklungen und Her-ausforderungen interessiert ist. Ein frischer Wind der bevorstehenden Osterweiterung ist schon bemerkbar und die Bevölkerung orientiert sich neu.

Abb. 9: Jugend fühlt sich wohl in der City Conclusio Der Besucher dieser Städte begegnet nicht der perfekten Stadtanlage, die zum Bleiben verführt. So ist es vielmehr das liebevolle Miteinander der Bewohner, ihrer Einrichtungen und ihrer Lebensart, ihrem Temperament und ihrem Cha-rakter, die den Reiz dieser Orte ausmachen. Das Menschliche – nicht das Androgyne, das Greifbare und nicht das Monu-mentale hinterlässt jene Kanten und Spuren, die zur eigentlichen Wahrneh-mung und damit auch zum Raumerlebnis führen – einer Wahrnehmung, die nicht durch organisierte Touristenschaufahrten gewonnen werden kann, son-dern nur durch das Eintauchen und sprichwörtliche Erobern des Stadtraumes.

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Digitale Städte Karl Haslinger, Elke Achleitner

Einleitung Digitale Städte beschreiben urbane Räume durch dreidimensionale Stadtmo-delle. Im Raum finden die Menschen ihre Lebensgrundlage, die durch eine op-timale Nutzung wesentlich verbessert werden kann. Diese Verbesserung setzt ein detailliertes, problembezogenes Wissen über Raumressourcen sowie über Elemente und Beziehungen des Systems Raum voraus. Besonders in urbanen Räumen wird die Raumnutzung immer komplexer, weshalb der Aufbau von raumbezogenen Informations- und Planungsassistenzsystemen erforderlich wird. Als unentbehrliche Grundlage hiefür sind umfassende, aktuelle raumbe-zogene Daten, also Geodaten erforderlich, die entsprechend strukturiert erfasst und objektorientiert aufbereitet sein müssen. Schließlich entstehen aus den so geformten Geodaten unter Einbeziehung attributiver Rauminformationen drei-dimensionale Stadtmodelle (Cyber-Cities). Raumplanung ist daher mit Geoin-formation, Techniken der raumbezogenen Modellbildung und Simulation auf das engste verzahnt (prozessorientierte interdisziplinäre Verzahnung).

Entwicklung von Planungsgrundlagen für die Stadtplanung Es ist schon seit geraumer Zeit bekannt, dass die Kenntnis räumlicher Zusam-menhänge eine wesentliche Voraussetzung für Planungen im urbanen Raum ist. Die Entwicklung der dafür erforderlichen Techniken bedeutete jedoch einen langen und mühsamen Weg, der von der manuellen Datenerfassung bis hin zur interaktiven Planung im CyberSpace im folgenden vereinfacht zusam-mengefasst wird:

• Ursprünglich erfolgte die Datenerfassung mit analogen Hilfsmitteln wie mechanischen Winkelmessinstrumenten und Maßband bzw. Meßlatten;

• Bedingt durch mangelnde Farbreproduktion beschränkte sich die Planung auf mit Tusche bzw. Schwarz-Weiß gezeichneten Plänen;

• Die Grundlage für Stadtplanungen waren in analoger und zweidimen-sionaler Form dargestellt;

• Erst durch praktikable Techniken in der Farbreproduktion konnten die Planungen in Farbe durchgeführt werden;

• Lange Zeit erfolgten räumliche Darstellungen von Planungen mittels Holz- bzw. Gipsmodellen – analoge räumliche Visualisierung für die Stadtplanung;

• Die Datenerfassung wurde im Laufe der Zeit rasch weiterentwickelt. So ermöglichte unter anderem die Einführung elektrooptischer Messmittel

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und elektronischer Massenspeicher eine digitale Erfassung der Natur. Pa-rallel dazu entwickelte sich die Computertechnik so rasant, dass riesige Mengen an Messdaten in kurzer Zeit in eine Punktwolke im Landeskoor-dinatensystem transformiert werden konnten;

• Durch diese Entwicklung können digitale Naturstandsdaten erstellt wer-den und damit war der Übergang von Plänen in Papierform zu digitalen Techniken als Grundlage für eine zweidimensionale Planungen vollzo-gen;

• Während ursprünglich versucht wurde die computerunterstützte Planung vorwiegend durch den damit erzielbaren Rationalisierungseffekt zu be-gründen, hat die digitale Technologie durch die Möglichkeiten moderner Telekommunikationseinrichtungen wie beispielsweise das Internet einen völlig neuen Stellenwert bekommen. In modernen Planungsbüros ist man auf dezentralere Planungsvorgänge übergegangen (Telearbeitsplätze wur-den geschaffen);

• Die Vielzahl von koordinativ erfassten Erscheinungsformen der Natur und die daraus abgeleiteten verschiedenartigen zweidimensionalen Ob-jekte bedingten ein Ordnungssystem einzuführen, damit diese Daten ent-sprechend strukturiert verwaltet werden können. Ordnungssysteme dieser Art bezeichnen wir als Geografische Informationssysteme (GIS);

• Die Bildung von Objekten im Sinne eines GIS erfolgt aus koordinativen und topologischen Informationen (Geodaten) sowie durch Zuordnung att-ributiver Eigenschaften (Attributdaten);

• Erst in den letzten 15 Jahren erlaubte es die fortgeschrittene Computer-technologie aus so einer Punktwolke ein Drahtmodell und aus diesem ein Raummodell zu bilden. Dieses Raummodell bedingte, dass die nun drei-dimensionalen Objekte strukturiert und verwaltet werden müssen;

• Aber es war noch ein weiter Weg von diesen Raummodellen zu Objekt-modellen eines GIS (Geografischen Informationssystem) zu kommen;

• Diese einzelnen verschiedenartigen Objekte einer Stadt werden zu einem Stadtmodell zusammengefasst. Bei der Objektbildung ist die schon immer mögliche dreidimensionale Erfassung von Naturbestandsdaten schließlich zum Tragen gekommen;

• Durch diese Entwicklung haben sich auch die Ausbildung und das Be-rufsbild der Geodäten entsprechend geändert. Lag ursprünglich der Schwerpunkt bei der Technik der Messdatenerfassung, so hat sich dieser in den letzten 20 Jahren immer mehr zu einem Management von Geoda-ten im Sinne eines Geodaten Service Center verlagert. Das komplexe Zu-sammenwirken von Massendaten, deren Strukturen und die automations-unterstützte Verarbeitung und räumliche Visualisierung macht eine immer intensivere interdisziplinäre Sichtweise erforderlich;

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• Als Basis aller weiterführenden Arbeiten konnte daher ein georeferen-ziertes, objektorientiertes räumliches Datenmodell gebildet werden, das schließlich zu einem maßstabsgetreuen Abbild der Wirklichkeit führt. Die Daten dieses Raummodells werden bereits seit langem in Datenban-ken verwaltet und stehen künftig mittels Webtechnologie für mehrere Anwender gleichzeitig zur Verfügung. Auf diese Weise können Geo-däten, Informatiker und Raumplaner interaktiv ein dreidimensionales Planungsmodell bearbeiten;

• Über die Verwaltung von Geometriedaten dieses räumlichen Modells hinaus, ermöglicht die GIS-Technologie durch Verknüpfung mit zusätzli-chen Merkmalen und Eigenschaften (als Attribute) die Bildung von Raumobjekten;

• Der bis jetzt erreichte Entwicklungsstand ermöglicht schließlich, dass ein dreidimensionales GIS als Grundlage für eine prozessoptimierte Raum-planung im Cyber-Space herangezogen werden kann;

• Es ist abzusehen, dass sich für die Visualisierung im Städtebau in naher Zukunft, statt einem aufwendig gebauten Holz- bzw. Gipsmodell die interaktive Planung im Cyber-Space durchsetzen wird.

Wie die Zusammenfassung der Entwicklung der Planungsgrundlagen für die Stadtplanung zeigt, stellt die Datenerfassung einen wesentlichen Aspekt für die Bildung von 3D-Stadtmodellen bzw. digitalen Städten dar.

Datenerfassung als Grundlage für 3D-Stadtmodelle Wesentlich für die Bildung von 3D-Objektmodellen ist einerseits die Auf-nahme von Geodaten und andererseits die Erfassung und Strukturierung von Attributdaten. Bei der Erstellung eines Designs für ein digitales Stadtmodell ist besonders auf die Problematik der laufenden Aktualisierung des Datenbestan-des bedacht zu nehmen. Praktische Erfahrungen haben gezeigt, dass die lau-fende Aktualisierung von urbanen 3D-Objektmodellen ein sehr sensibler Be-reich ist und an Organisation und Finanzierung der Datenerfassung hohe An-forderungen stellt. So hat man erkannt, dass für digitale Stadtmodelle als Grundlage für Planung und Verwaltung ein Aktualisierungszyklus von maxi-mal drei Jahren nicht überschritten werden sollte. Geodaten Geodaten im Sinne eines GIS beschreiben geometrische und topologische Eigenschaften einer digitalen Stadt. Während die Geodaten die geometrischen Primitive und die räumliche Zuordnung zu einem festgelegten Inertialsystem (in unserem Fall das Österreichische Landesvermessungssytem) definieren, be-schreibt die Topologie deren Nachbarschaftsbeziehung. Geodaten sind in Vek-torform, blattschnittfrei, in einem einheitlichen Koordinatensystem und mit

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bestimmter Genauigkeit in Datenbanken (Geodatenbanken) verspeichert. Geo-daten können sowohl aus rechtlichen als auch aus Naturbestandsdaten be-stehen. Grundstückskataster (DKM-GDB) Der Grundstückskataster bildet die rechtliche Grundlage einer auf Grund-stücksgrenzen basierenden Planung. Er besteht aus dem technischen Operat, das sowohl die Koordinaten der Fest- und Grenzpunkte als auch die Katastral-mappe als grafischen Teil beinhaltet, und aus dem Grundstücksverzeichnis. Die Katastralmappe veranschaulicht im Koordinatensystem der Österreichi-schen Landesvermessung die Lage und Bezeichnung der Grundstücke, die Ab-grenzung der Benützungsarten und Nutzungen. Sie enthält außerdem weitere Angaben wie Punktnummern der Grenzpunkte, Festpunkte und sonstige Dar-stellungen. Im Wesentlichen geht die heutige Katastralmappe auf die Mess-tischmappe des so genannten Stabilen Katasters zurück (Kaiserliches Patent 1817) und diente als Grundlage für eine gerechte und gleichmäßige Besteue-rung (Grundstückskataster). Anfang 1960 wurde begonnen die Katastralmappe auf einen metrischen Maßstab im System der Landesvermessung umzubilden. Diese ursprünglich analogen Darstellungen der Grundverhältnisse, die öster-reichweit in einem einheitlichen Blattschnitt zur Verfügung stehen werden schrittweise durch die Digitale Katastralmappe (DKM) ersetzt. Die DKM enthält alle Informationen der analogen Katastralmappe und ist kon-sistent mit den Datenbanken des Katasters, wie der Grundstücksdatenbank und der Koordinatendatenbank. Die DKM incl. dem Grundstücksverzeichnis wird laufend von den Vermessungsämtern des BEV (Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen) aktualisiert und bietet in ihrer Gesamtheit wichtige Infor-mationen für ein 3D-Stadtmodell. Die DKM-Daten werden vom BEV perio-disch erworben, auf Topologie geprüft und mit der GDB abgeglichen. Damit ist die automationsunterstützte Bildung von GIS-Objekten abgeschlossen und es erfolgt die Abspeicherung in einer Geodatenbank. Luftbildphotogrammetrie Die Luftbildphotogrammetrie wird vorwiegend zur Erfassung von größeren zusammenhängenden Gebieten, oder von komplexeren Objekten angewandt. Die photographischen Aufnahmen aus der Luft ermöglichen die berührungs-freie Auswertung von Verkehrs-, Gewässerflächen, Geländeformen und Vegetation sowie unzugänglichen Dachlandschaften. Damit eignet sich diese Methode ganz besonders für die Erfassung von städtischen Räumen. Die ste-reophotogrammetrische Luftbildinterpretation besteht (vereinfacht beschrie-ben) aus einem Orientierungsverfahren und einer Bildinterpretation mit der damit verbundenen graphischen Darstellung. Im Zuge der photogrammetri-

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schen Auswertung kann die reale Welt räumlich strukturiert erfasst und mit Attributen versehen werden. Nach dieser automationsunterstützten Bildung von GIS-Objekten erfolgt die Abspeicherung in einer Geodatenbank. Tachymetrie Die Tachymetrie wird vorwiegend zur Erfassung von kleineren, meist gut er-reichbaren Gebieten, oder von nicht luftsichtbaren Details angewandt. Mit die-ser Methode werden vorwiegend Verkehrs-, Gewässerflächen, Geländeformen und Vegetation sowie Leitungsnetze und unterirdische Anlagen aufgenommen. Damit eignet sich diese Methode ganz besonders für Ergänzungen und klein-räumigere Aktualisierungen von städtischen Räumen. Global Positioning System (GPS) Die Vermessungstechnik hat in den vergangenen Jahren eine revolutionäre Entwicklung erfahren, wobei der Einsatz des auf Satelliten basierenden Global Positioning System (GPS) zur millimetergenauen Vermessung die Schnell-lebigkeit unserer Zeit gerade auf diesem Gebiet eindrucksvoll wiederspiegelt. GPS ist ein satellitenbasiertes System, bestehend aus 24 Satelliten, die die Erde in einer Höhe von ca. 20200 km in einem halben Tag umkreisen. Die Konstel-lation, das heißt die Anzahl und Verteilung der Satelliten wurde so bestimmt, dass mindestens vier Satelliten zu jeder Zeit und an jedem Ort der Erde für eine Positionsbestimmung zur Verfügung stehen. Ursprünglich war GPS ge-dacht, Einsätze im militärischen Bereich zu unterstützen. Doch schon bald wurde deutlich, dass auch Zivilisten GPS gut nutzen können. Die Anwendun-gen reichen heute vom zivilen Bereich (Ortungs- und Navigationssysteme für Autofahrer, Segler, Bergsteiger, Radfahrer, etc.), über den Einsatz im Bereich Logistik von Transportunternehmen, die Automation und Steuerung von Bau-maschinen bis hin zur Geländedatenerfassung und Vermessung. Für Vermessungsarbeiten werden sogenannte differenzielle Phasenmessungen eingesetzt, die Genauigkeiten im Zentimeter, ja sogar im Millimeterbereich ermöglichen. Anwendungen in der klassischen Vermessung sind zum Beispiel Naturbestandsaufnahmen, Kontrollmessungen von Staudämmen und Hangrut-schungen, Setzungsmessungen von Bauwerken, Vermessung von Leitungen, Brunnen und Sonden, Fest- und Passpunktvermessungen. Besonders gut eignet sich diese Art der Positionsbestimmung für 3D-Stadt-modelle, da das Ergebnis einer GPS-Datenerfassung gleichzeitig mit der Lage-position auch Höhenangabe liefert. Die Praxis hat gezeigt, dass diese Messmethode am besten in Kombination mit der Tachymetrie verwendet wird, damit eventuelle Abschattungen von Satelli-tensignalen durch Hindernisse wie Gebäude, Bäume, etc., die eine Positions-bestimmung mit GPS undurchführbar machen, kompensiert werden können. Sowie bei der Tachymetrie kann bei einer GPS-unterstützten Naturstandsauf-

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nahme durch Codierung eine unmittelbare Objektbildung in der Natur durch-geführt werden. Im Anschluss daran erfolgt die automationsunterstützte Bil-dung von GIS-Objekten, sowie die Abspeicherung in einer Geodatenbank. 3D-Laserscan aus dem Flugzeug Mittels der 3D Laserscantechnologie ist es möglich, präzise 3D Höhenmodelle der Erdoberfläche, der Geländestruktur, sowie die Gestalt von Objekten (z.B.: Gebäude, Vegetation) direkt und wirtschaftlich zu erfassen. Resultat der Ver-messung ist eine 3D-Punktwolke, welche die Oberflächengeometrie des ver-messenen Objekts äußerst exakt beschreibt und für deren weiteren Verarbei-tung (Auswertung, Modellierung, Visualisierung oder Dokumentation) spe-zielle Softwareprodukte zur Verfügung stehen. Ein flächendeckendes Digitales Höhenmodell entsteht dadurch, dass sich der Sensor vorwärts bewegt und die Querabtastung kontinuierlich wiederholt wird. Als Ergänzungen zu den Höhendaten können flächendeckende True-Orthobild-Darstellungen des beflogenen Gebietes in Farbe geliefert werden. Das mittels 3D-Laserscannerdaten aus dem Flugzeug erstellte digitale Gelän-demodell wird gemeinsam mit den zusätzlich erfassten Objekten (Gebäude, Vegetation) für die Weiterverarbeitung zu einem 3D-Stadtmodell in einer Geodatenbank abgespeichert. 3D-Laserscan terrestrisch 3D Laserscantechnologie bietet nicht nur aus der Luft, sondern auch in terrest-rischer Form revolutionierende Möglichkeiten zur Erstellung von 3D-Stadt-modellen. Durch diese innovative Technologie können Bauwerke, Innenräume und Maschinenanlagen in einer bislang unerreichten Kombination aus Genau-igkeit, Geschwindigkeit und Vollständigkeit erfasst werden. Dabei wird das zu vermessende Objekt mit einem speziell entwickelten Laserscanner in paralle-len Streifen mittels Laserimpulsen abgetastet. Die Datenaufnahme einer Szene erfolgt sehr rasch und ist in wenigen Minuten abgeschlossen. Der Laserscanner kann in beliebigen Positionen, zum Beispiel auch horizontal zur Datenerfas-sung über Kopf oder nach unten verwendet werden. Mit Hilfe terrestrisch vermessener Passpunkte ist es möglich, die vorerst im lokalen Scanner-System registrierten Daten ins Landeskoordinatensystem zu transformieren. Die berührungslose, einfache und schnelle terrestrische Laserscantechnologie liefert Genauigkeiten von 10mm im Messbereich von 2m bis 350m und 20mm im Messbereich von 2m bis 1000m. Im Bereich der Architekturvermessung bietet 3D-Laserscan sowohl die Mög-lichkeit kostengünstige 3D-Gebäudemodelle, als auch Gebäudeaufmasse mit

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2D-Grundrissen bzw. maßstäbliche Parallelprojektionen von Fassaden zu erstellen. Außerdem können mit dem terrestrischen Laserscanner in kurzer Zeit komplexe Innenräume wie Kirchen, Tunnel, Minen oder Höhlen erfasst wer-den. Für ein 3D-Stadtmodell werden alle mittels terrestrischen Laserscan erfassten Daten nach der automationsunterstützten Bildung von GIS-Objekten, in einer Geodatenbank abgespeichert. Hybride Messdatenerfassungssensoren Es ist naheliegend die bereits beschriebenen Erfassungsmethoden der digitalen Photogrammetrie, der terrestrischen Lasertechnologie und der auf Satelliten-basierenden GPS-Methode zu kombinieren, um damit eine vollständige drei-dimensionale Objektdokumentation im Sinne der Lageinformation, der Geo-metrie und des Erscheinungsbildes zu ermöglichen. Bei dieser Technologie wird eine mobile Plattform eingesetzt bei der gleichzeitig mittels hybrider Sen-sorik der Naturbestand geometrisch, radiometrisch und zeitsynchronisiert er-fasst wird. Dieses Verfahren erlaubt es, jedem einzelnen Punkt des natürlichen Raumes durch die zueinander orientierten und kalibrierten Sensoren seine dreid imensionale Rauminformation zuzuordnen. Damit ist es möglich, Detail-aufnahmen urbaner Bestände automationsunterstützt sehr genau durchzuführen und in einem nachfolgenden Schritt auf diesem Datenbestand aufbauend die dreidimensionalen Objekte bedarfsorientiert automationsunterstützt zu model-lieren. Durch die Einsatzmöglichkeiten der photogrammetrischen Fassadener-fassung liefert dieses System die Basis für ein hochdetailliertes, georeferen-ziertes Stadtmodell, einschließlich vektorisierter Fassadenmodelle und True-Orthobilder der einzelnen Gebäudeansichten. Hybride Messdatenerfassungssensoren sind zukunftsweisend und bereits er-folgreich im Einsatz. Für ein 3D-Stadtmodell werden alle mittels hybrider Messdatenerfassungssen-soren erfassten Daten nach der automationsunterstützten Bildung von GIS-Objekten, in einer Geodatenbank abgespeichert. Attributdaten Den koordinativen und topologischen Informationen werden im Zuge der Objektbildung attributive Eigenschaften zugeordnet. Zu den attributiven Eigenschaften zählen: Texturen Texturen sind Oberflächenbilder im Rasterformat wie beispielsweise aktuelle Digitalaufnahmen, gescannte historische Fassadenansichten, originale Fassa-denpläne, die den Objektflächen zugeordnet werden können. Im Sinne einer Attributierung können für eine Objektfläche beliebig viele solcher unter-

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schiedlicher (zeitliche, historische oder geplante) Texturen zur Verfügung ge-stellt werden. Dadurch kann ein reeller Eindruck der Objektmodelle zur objek-tiveren Bewertung von Planungsvarianten selbst zu unterschiedlichen Epochen vermittelt werden. Sachdaten Neben Texturen können alle anderen Eigenschaften und Merkmale wie Bau-pläne, Gebäudechronik, Adresse, Bewohnerdaten, Baualter etc. flächigen und räumlichen Objekten bzw. auch Objektteilen zugeordnet werden. Durch ein-deutigen Schlüssel können zusätzlich Sachdaten von externen Datenbanken mit den Objekten verknüpft werden. Somit liegt ein Ordnungssystem (im Sinne eines räumlichen GIS) vor, das Informationen aus unterschiedlichsten Quellen vernetzt und diese den räumlichen Positionen der Wirklichkeit ent-sprechend im Raummodell zuordnet.

Schritte für die Bildung von digitalen 3D-Stadtmodellen Die Bildung von 3D-Stadtmodellen basiert auf den in der Geodatenbank abge-speicherten Ergebnissen der Datenerfassung. Der Prozess der Modellbildung erfolgt vorteilhafterweise in sequenziellen Arbeitsschritten:

• Bildung eines digitalen Geländemodells - Basis des digitalen 3D-Stadt-modells ist die städtische Topographie (natürlicher Boden auf dem die Stadt aufgebaut ist), die durch ein digitales Geländemodell beschrieben ist;

• Bildung von digitalen Gebäudemodellen in Blockform - Blockmodelle werden entweder durch Grundrissdaten und die geschätzte Gebäudehöhe, oder mittels Verschneidung von Prismen durch räumlich erfasste Dach-traufen mit dem digitalen Geländemodell gebildet;

• Bildung von realistischen digitalen Stadtmodellen - Auf dem Gelände-modell aufbauend erfolgt die Bildung von digitalen Gebäude- und Vege-tationsmodellen, sowie die Aufbringung realistischer Fassadentexturen. In diesem Arbeitsschritt werden die Quadermodelle durch die Dachland-schaft sowie durch Fassadenstrukturen ergänzt.

Digitales Geländemodell als Basis von 3D-Stadtmodellen Das digitale Geländemodell beschreibt die Erdoberfläche (natürlicher Boden, ohne Bewuchs) in Form eines Höhenrasters. Zusätzliche Geländestrukturen wie Bruchlinien, Formlinien und markante Einzelpunkte ergänzen den regel-mäßigen Raster und liefern detaillierte Informationen über die Topographie eines Stadtgebietes. Die Erfassung von Daten für ein Geländemodell erfolgt in erster Linie durch photogrammetrische Auswertungen, oder durch Laser -Scanning. Mit einem geeigneten Interpolationsprogramm können auch zusätz-

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lich terrestrisch oder mittels GPS erfasste Daten mit ausgewertet werden. Der Aufbau eines digitalen Geländemodells für ein Stadtgebiet sollte unter dem Gesichtspunkt erfolgen, dass damit eine qualitativ hochwertige Grundlage für eine Bezugsfläche von 3D-Gebäudemodellierungen, für die Interpolation von Geländehöhen entlang der Straßen, für Visualisierungen und Planungszwecke geschaffen wird. Bildung von digitalen Gebäudemodellen in Blockform Ein 3D-Stadtmodell soll grundsätzlich sehr schnell über das gesamte Stadtge-biet erstellt werden können. Da in der Realität meist keine flächendeckende Auswertung einer detaillierten Dachlandschaft aller Gebäude vorliegt, sollten als erster Schritt Quadermodelle der Gebäude gebildet werden. Die dafür not-wendigen Daten von Gebäuden und anderen Objekten können in Form von Grundrissdaten, oder als Traufendaten (Dachumrisse aus photogrammetrischen Auswertungen) vorliegen. Sind beispielsweise Grundrissdaten aus dem digitalen Kataster vorhanden, kann die Höhe der Gebäude geschätzt werden. Hiezu gibt es verschiedene Ansätze. Die geschätzte Anzahl der Geschosse wird mit einer ungefähren Ge-schosshöhe multipliziert und das Resultat als Gebäudehöhe angenommen. Es kann weiterhin die Nachbarschaft berücksichtigt werden. So können in gleich-artigen Wohngebieten die Gebäudehöhen in etwa gleich groß sein. Auf Grund solcher Hypothesen können für Gebiete, an welche keine großen Genauig-keitsanforderungen gestellt werden Blockmodelle generiert und auf das tat-sächliche Geländemodell gesetzt werden. Photogrammetrisch ausgewertete Traufendaten beinhalten die tatsächlichen Höhen der Gebäude und erlauben daher eine weitere Steigerung der Genauig-keit von Blockmodellen. Die räumlichen Gebäudeobjekte werden mittels Ver-schneidung eines durch den Verlauf der Dachtraufe gebildeten Quaders mit dem digitalen Geländemodell erstellt und sind somit an die tatsächliche Ober-flächenstruktur angepasst. Die Verschneidung mit dem Geländemodell und die gleichzeitige Generierung der 3D-Gebäudemodelle kann halbautomatisch er-folgen. Bildung von realistischen digitalen Stadtmodellen Die Darstellung von 3D-Stadtmodellen in Blockform kann nur als erster Schritt in der Anfangsphase gelten. Blockmodelle geben nur eine schematische Darstellung der Stadt und in keinster Weise ein realistisches Abbild der Natur. Erst durch Verwendung von Dachstrukturen, hochauflösenden natürlichen Bildtexturen und durch Auswertung der Vegetation kann eine photorealistische Wiedergabe eines Stadtmodells erfolgen.

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Dynamische Verwaltung von digitalen 3D-Stadtmodellen Der reale Raum befindet sich in einem ständigen Wandel. Die Aktivitäten der Akteure im Raum und ihre Auswirkungen auf den Raum, die beispielhaft zu Neu-, Zu-, und Umbauten, zum Abbruch von Gebäuden, zu Veränderungen im Vegetationsstand, in der Verkehrsinfrastruktur usw. führen, lassen von keinem statischen Begriff des Raumes ausgehen sondern nur von einem dynamischen. So ist diese Veränderung des physischen Raumes ein wesentlicher und zu be-rücksichtigender Faktor zur Konzeption eines virtuellen Abbildes (Modells). Dies empfiehlt die Konzeption einer „Daten-Pipeline“. Der Begriff bezieht sich auf einen prozesshaften Fluss der raum- und zeitbezogenen Daten aus ver-schiedenen Quellen. Diese Pipeline leitet durch geeignete Erfassungs- und Analyseprozesse über die Datenbank unmittelbar in interaktive Visualisie-rungs- und Simulationssysteme über. Nur durch dieses Pipelinekonzept kann der Dynamik des Raums nachgekommen werden.

Zukunftsperspektiven Die Anwendungsbereiche von digitalen 3D-Stadtmodellen sind vielfältig, sie beziehen sich auf das gesamte Spektrum räumlicher Planung und Gestaltung. Die Technologie der digitalen Stadt ist erst weniger als ein Viertel Jahrhundert alt, das breite Spektrum weiterer Entwicklungen in virtuellen Räumen ist noch nicht vollständig absehbar. Beispielhaft seien folgende Ansätze genannt:

• Durch die kontinuierliche Weiterentwicklung entsprechender Messsenso-ren kann eine wesentliche Erweiterung der bereits jetzt im Einsatz be-findlichen hybriden Messdatenerfassungssensoren zu einer effizienteren und umfassenderen Datenerfassung führen als dies jetzt mit den bekann-ten konventionellen Methoden der terrestrischen Vermessung, Scannung und Tachymetrie und GPS möglich ist;

• Wesentlich dabei sollte sein, dass Geodaten automationsunterstützt um-strukturiert und in einem speziellen Migrationsverfahren einer dreidi-mensionalen Stadtobjektbildung zugeführt werden wodurch eine pro-zessorientierte Verzahnung von Geoinformatikern mit Raumplanern in-terdisziplinär erfolgen kann;

• Die dynamische Verwaltung von digitalen 3D-Stadtmodellen könnte als ständiges Planungstool für Planer adaptiert und dadurch ein dynamisches Stadtraumvolumen modelliert werden. Damit hätte die Stadtplanung durch Interaktionen die Möglichkeit, auf dynamisch aktualisierten Geo-daten basierend, die Stadt automationsunterstützt räumlich zu gestalten.

• Aus dem im „Stadtraumlabor“ interaktiv gestalteten Stadtraumvolumen werden durch entsprechende innovative Verfahren Pläne im Sinne der Stadtplanung automationsunterstützt erstellt;

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• Die Visualisierung des bestehenden Stadtmodells und der darauf auf-bauenden Planungsvarianten kann auf unterschiedliche Methoden erfol-gen,

• Zunächst werden bestehende Visualisierungsverfahren - wie beispiels-weise der CAVE - benutzt , in weiterer Zukunft sollen mit speziellen Shutter-Brillen, die geplanten Objekte als VR-Modelle in der Natur zu sehen sein. Dadurch wäre eine noch weitere Steigerung in der objektiven Beurteilung der Gestaltungen von Stadträumen möglich.

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Zeitgemäße Rechtsgrundlagen für eine wirkungsvolle Raumplanung Arthur Kanonier

„Die klassischen Rollenbilder von ordnender und regulierender hoheitlicher Planung auf der einen Seite und privat getragener realisierungs- und projektbe-zogener Planung auf der anderen Seite verschwimmen zusehends.“[1]

Der anspruchsvolle Titel des von den Herausgebern dieser Festschrift ange-fragten Beitrages kann in der gebotenen Kürze keinesfalls umfassend und detailliert vertieft werden. Die Rechtsgrundlagen in Österreich sind dafür zu vielfältig, die Interessen an zeitgemäßen Rechtsvorschriften zu differenziert und die Vorstellungen über eine wirkungsvolle Raumplanung zu heterogen. Deshalb wird von den jüngsten Änderungen ausgegangen, welche die Landes-gesetzgeber in den Raumordnungsgesetzen vorgenommen haben, und einige Neuerungen werden aus planungsrechtlicher und -systematischer Sicht darge-stellt, da grundlegende Veränderungen im planungsrechtlichen System damit einhergehen. Insbesondere das Verhältnis zwischen langfristig verbindlichen Nutzungsbeschränkungen und kurzfristiger Anlassplanung ist neu zu definie-ren, wobei die anlassbezogene Projektplanung inhaltlich und verfahrenstech-nisch weit über herkömmliche Widmungsakte hinausgeht. Bei diesen Ände-rungen treffen Anliegen aus der Planungspraxis auf rechts- und planungstheo-retische Anforderungen, was – wie in solchen Fällen nahezu immer – eine spannungsreiches Konfliktfeld eröffnet. Dem Verein IRIS-ISIS ist es seit jeher ein wesentliches Anliegen, aus den viel-fältigen räumlichen Aktivitäten besonders aktuelle Themenbereiche und Span-nungsfelder aufzugreifen und interdisziplinär zu vertiefen. Zum 5-jährigen Be-standsjubiläum ist somit IRIS-ISIS dieser Beitrag gewidmet, der vor einem planungsrechtlichen Hintergrund einen besonders dynamischen Bereich „räumlicher Interaktionen“ behandelt.

Neuerungen im Raumordnungsrecht Die Ursachen für die jüngsten Novellierungen der Raumordnungsgesetze[2] sind zunächst in landesspezifischen Sonderproblemen begründet, wobei in die-sem Zusammenhang inhaltliche und verfahrensrechtliche Detailregelungen überarbeitet und ergänzt wurden. Mehrere Länder haben darüber hinaus Be-stimmungen bezüglich baulandmobilisierender Maßnahmen, Natura 2000 oder dem Umgang mit Naturkatastrophen in den Raumordnungsgesetzen neu gere-gelt. Die weitaus größte Aufmerksamkeit haben die Gesetzgeber und die ent-

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sprechenden Beratungsgremien in den letzten Jahren allerdings der Steuerung von Großvorhaben im Einzelhandel gewidmet. So wurden in nahezu allen Bundesländern umfangreiche Diskussionen über wirkungsvolle Steuerungs-mechanismen für Einkaufszentren, aber auch über Betriebstypen und Groß-bauvorhaben[3] geführt und die gesetzlichen Grundlagen – teilweise mehrmals in kurzer Zeit – geändert. Hintergrund der „hemmungslos gewordenen Gesetzgebungsmaschinerie“, die nicht davor zurückschreckt, „ein und dasselbe Gesetz mehrmals innerhalb eines Jahres zu novellieren“[4], ist im Zusammenhang mit der Steuerung von Großprojekten eine vielschichtige rechtliche und planerische Regelungsprob-lematik. Die Gemengelage aus rechtlichen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Interessen ist dabei beachtlich und reicht über die sonstigen planungsrechtlichen Probleme weit hinaus. Kompetenzrechtliche Konflikte, die sowohl zwischen Bundes- und Landesmaterien (Gewerberecht versus Raumordnungsrecht) als auch zwischen Gebietskörperschaften (Landespla-nung versus eigener Wirkungsbereich der Gemeinden) auftreten, unbefriedi-gende Regelungsansätze, die einerseits zu detaillierte und in der Praxis kaum vollziehbare Vorschriften und andererseits zu großzügige Regelungen vor-sehen, sowie heterogene Interessen einer Vielzahl von Akteuren haben die Einkaufszentrenproblematik zur „Never Ending Story“ werden lassen. Freilich bieten die vielfältigen Lösungsversuche der Einkaufszentrenproblematik auch beachtliche Erfahrungswerte, die in modifizierter Weise auch für andere Groß-vorhaben relevant sind. Unendliche Geschichte „Einkaufszentren“ Als permanent konfliktträchtig und in der Folge verbesserungsbedürftig haben sich die Kriterien für die Qualifikation als Einkaufszentren, insbesondere die Bestimmungen bezüglich Größenangaben und Warenangebot, sowie die Regelungssystematik bei der raumplanerischen Beurteilung von Einkaufszent-renwidmungen erwiesen. Zunehmend wird deutlich, dass die traditionelle Widmungsplanung keinen ausreichenden Rahmen anbietet, der den aktuellen Anforderungen und der Interessenvielfalt bei EKZ-Projekten gerecht wird. Eine raumordnungsrechtliche Darstellung wäre in unzulässiger Weise verein-facht, die zum Ergebnis kommen würde, für die Errichtung von Einkaufszent-ren sei nur die Flächenwidmungsplanung der Gemeinden relevant. Neben den gewerberechtlichen Bestimmungen bestehen nahezu in allen Bundesländern teilweise komplizierte raumordnungsrechtliche Regelungen, die überörtliche Planungsmaßnahmen vorsehen und so die Gemeinden in ihrem Planungsspiel-raum erheblich einschränken.[5] Ohne an dieser Stelle die Detailregelungen vertiefen zu können, wird insgesamt deutlich, dass in der Regel nicht die Ge-

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meinden allein über EKZ-Standorte entscheiden können. Vereinfacht lassen sich mehrere Arten von verbindlichen Vorgaben der Landesplanung für die Sonderwidmungen im kommunalen Flächenwidmungsplan ableiten, wobei in mehreren Bundesländern eine projektbezogene Beurteilung von EKZ-Vorha-ben vorgesehen ist (z.B. Burgenland, Oberösterreich, Salzburg und Vorarl-berg). Allgemeine, landesweit gültige Verordnungen für Einkaufszentren sehen hingegen nur noch wenige Bundesländer vor (Kärnten, Steiermark, Tirol). Anzumerken ist im Zusammenhang mit der Umsetzung, dass die in den Raumordnungsgesetzen grundsätzlich vorgesehenen hierarchischen Planungs-ebenen mit abgestuften Vorgaben jedenfalls nur bei den Einkaufszentrenbe-stimmungen eine konsequente Umsetzung durch entsprechende Rechtsnormen der Planungsverwaltung finden. Anlassbezogene Projektwidmungen Der Trend zur projektbezogenen Widmung setzt sich grundsätzlich und über EKZ-Festlegungen hinaus auch bei den Gemeinden fort. Im Flächenwid-mungsplan werden nicht mehr ausschließlich allgemeine Nutzungsbeschrän-kungen in Form von Widmungskategorien, die je nach Widmungsart einen gewissen Realisierungsspielraum bieten, vorausschauend und längerfristig festgelegt, sondern erst bei Vorliegen eines konkreten Vorhabens erfolgen die projektbezogenen Grundlagenforschungen und Bewertungen. In der Regel werden Widmungen für Großvorhaben nicht mehr auf „Reserve“ gewidmet, sondern kurzfristig nach Bedarf festgelegt.[6] Aus planungspraktischen Erwägungen ist eine solche anlassbezogene Vor-gangsweise durchaus verständlich. Die traditionelle Flächenwidmungsplanung, die eine langfristige Angebotsplanung darstellt, erweist sich einerseits als zu unflexibel und anderseits als zu allgemein. Die traditionelle Widmungsplanung bietet kurzfristigen Anlassplanungen wenig Raum, da Vorhaben, die gültigen Flächenwidmungsplänen widersprechen, meist nur durch Umwidmungen durchsetzbar sind, was entsprechend aufwendige und zeitintensive Verfahren erfordert. Die aus Gründen der Rechtssicherheit beständig und nur einge-schränkt abänderbar ausgerichtete Flächenwidmungsplanung ist insbesondere auch deshalb zu starr und wenig flexibel, da konkrete Nutzungsvorschriften vielfach nur projektabhängig sinnvoll festlegbar sind. Allein mit einer Bau-land-Betriebsgebietswidmung in einem gemeindeweiten Flächenwidmungs-plan können die vielfältigen Sonderanforderungen, die aus der Größe, Nut-zungsweise und den Auswirkungen von (EKZ-)Projekten resultieren, nicht be-friedigend gesteuert werden. Anlassbezogene Projektwidmungen sind somit die verständliche Folge, wenn zusätzlich berücksichtigt wird, dass die Festleg-ung von solchen Sondergebieten nicht (mehr) einseitig hoheitlich erfolgen, sondern in enger Absprache mit den Investoren und sonstigen Planbetroffe-

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nen.[7] Dieser Entwicklung zur projektbezogenen Widmung tragen auch die Raumverträglichkeitsprüfungen Rechnung, die nunmehr in einigen Raumord-nungsgesetzen vorgesehen sind. Zwar sind RVP´s für entsprechende (Sonder-) Widmungen notwendig, doch bilden die Auswirkungen konkreter Projektvor-haben den Untersuchungsrahmen. Planungssystematisch wie raumordnungsrechtlich ist die verstärkte Projektori-entierung aus mehreren Gründen beachtlich. Das Aufzeigen einiger Probleme soll freilich nicht so verstanden werden, dass eine Rückkehr zur traditionellen „Negativplanung“ anstrebenswert wäre, sondern vor allem die vielschichtigen Herausforderungen dieses Systemwandels verdeutlichen.

Planungsvorgaben für Projektwidmungen Großprojekte – welcher Art auch immer – zeichnen sich unter anderem dadurch aus, dass ihre räumlichen Wirkungen entscheidenden Einfluss auf die künftige Siedlungsentwicklung haben. Aus raumplanerischer Sicht unzweifel-haft ist somit, dass je größer und spezieller das Vorhaben ist, desto notwendi-ger sind gerade für solche Projekte Leitlinien und Rahmenbedingungen für die Standortfindung sowie für die Nutzungsmöglichkeiten. Die Planungspraxis zeigt, dass die grundsätzlichen Ziele der Raumordnungsgesetze von der Lan-desplanung unterschiedlich und vielfach nicht ausreichend umgesetzt und kon-kretisiert werden, insbesondere wenn die Einkaufszentrenbestimmungen aus-geklammert werden. Ein hierarchisch abgestuftes System verbindlicher Pläne liegt keineswegs flächendeckend vor, was oftmals zur Folge hat, dass Wid-mungsfestlegungen lediglich an den allgemeinen Grundsätzen und Zielen der Raumordnungsgesetze ausgerichtet werden.[8] Auch wenn solche verbindliche Planungen als Beschränkung des politischen Handlungsspielraumes und als „Hindernis für ad-hoc-Reaktionismus“[9] wenig Zustimmung finden, sind al-lein anlassbezogene Entscheidungen der aktuellen Tagespolitik unzureichend. Ein hohes Maß an Flexibilität bei Planungsentscheidungen setzt klare und nachvollziehbare Entscheidungskriterien voraus, die einerseits eine differen-zierte, anlassbezogene Vorgangsweise ermöglichen. Andererseits müssen die entscheidungsrelevanten Kriterien im Sinne des Legalitätsprinzips, das nach wie vor für hoheitliche Planungsmaßnahmen uneingeschränkt gilt, eine hinrei-chende rechtliche Deckung haben. Auch wenn durch den Grundsatz der „fina-len Determinierung“ für Planungsmaßnahmen ein gewisser Ermessensspiel-raum besteht, sind keinesfalls – wie durch die Rechtsprechung des VfGH mehrfach deutlich gemacht wurde – beliebige Nutzungsmöglichkeiten zuläs-sig. Problematisch erscheinen kurzfristige Entscheidungen, die vor allem poli-tisch-wirtschaftlichen Kalkülen folgen und durch das Planungsrecht vorgege-bene öffentliche Interessen außer Acht lassen. Ein besonderes Spannungsfeld

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zwischen planungspraktisch Gewünschtem und planungsrechtlich Gebotenem eröffnet sich in diesem Zusammenhang bei widmungsbezogenen Kompensati-onszahlungen oder sonstige Gegenleistungen von Investoren für verbesserte Nutzungsmöglichkeiten. Auch wenn für Planungsbehörden ein Planwertaus-gleich – die Investoren beteiligen die öffentliche Hand an den Widmungsge-winnen insofern, als sie beispielweise die Errichtung von Kindergärten oder Schulen freiwillig übernehmen – von großem Interesse ist, sind die raumord-nungsrechtlichen Rahmenbedingungen für einen „Verkauf von Hoheitsrech-ten“[10] erst zu schaffen. Allein ein „Deal“ zwischen der Planungsbehörde und einem Investor ist planungsrechtlich noch nicht ausreichend, insbesondere wenn unklar ist, welche öffentlichen Interessen schlussendlich entscheidungs-relevant sind. Strategische Planungen als unverzichtbare Steuerungsinstrumente Strategische Planungsinstrumente[11] sind unverzichtbare Voraussetzungen, um umfangreiche Diskussionen über grundsätzliche Entwicklungsstrategien nicht erst bei konkreten Projektanlässen zu erörtern. Anlassbezogene Projekt-diskussionen, für die aus raumplanerischer Sicht nur vage Vorgaben bestehen, sind konfliktreich, in ihrem Ausgang nur schwer prognostizierbar und in der Folge zeit- und kostenintensiv. Auch wenn im Zuge der Deregulierungs- und Liberalisierungsdiskussion die Forderung nach weniger rechtlichen Vorgaben und „schlanken Verfahren“ ein populärer Dauerbrenner ist, so zeigt sich ge-rade bei Planungsprozessen für Großprojekte, dass durch reduzierte verbindli-che Vorgaben die Verfahren nicht zwingend beschleunigt werden. Der finan-zielle und vor allem zeitliche Verfahrensaufwand hat in letzter Zeit in Abhän-gigkeit von der Zahl der Beteiligten und der Heterogenität der Interessenlagen erheblich zugenommen. Schnelle Entscheidungen in Planungsverfahren – so sehr auch von Investoren gewünscht und Politikern versprochen – werden im-mer seltener. Die Konflikte werden auf die konkrete Projektebene verlagert. Grundsätzliche Probleme der räumlichen Entwicklung werden somit bei kon-kreten Projektprozessen erörtert und nicht auf geeigneteren Bezugsebenen. Durch abgestufte überörtliche und kommunale Raumpläne, die auch verbindli-che Maßnahmen enthalten sollen, werden die Rahmenbedingungen für kurz-fristige Anlassplanungen deutlicher. Gerade die Regelungen für Einkaufszent-ren in einigen Bundesländern machen klar, dass die überörtliche Raumplanung bei entsprechenden Problemlagen gefordert ist, und durchaus auch einschrän-kende Regelungen vorgeben kann. Auch wenn es verfehlt wäre, die Einkaufs-zentrenregelungen der Länder als Erfolgsstory zu deuten (dafür sind die Um-setzungsprobleme zu groß und die Steuerwirkung zu gering), ist die grund-sätzliche Steuerungsabsicht heikler räumlicher Probleme durch die Landspla-nung nicht zu übersehen.

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Entwicklungskonzept als strategisches Instrument In allen Ländern wird nunmehr das örtliche Entwicklungskonzept als strategi-sches Instrument auf Gemeindeebene dem Flächenwidmungsplan vorange-stellt, das die Aufgabe hat, „ein Orientierungs- und Handlungsrahmen mit einem längerfristigen Zeithorizont“[12] für die Gemeindeplanung zu sein. Zwar sollen alle wichtigen Planungsentscheidungen, wie Umwidmungen für Großprojekte, nur in Übereinstimmung mit langfristigen Entwicklungsabsich-ten der Gemeinde möglich sein, doch hat das Entwicklungskonzept vielfach noch nicht diese zentrale Bedeutung. Vor dem Hintergrund knapper Gemein-demittel, der zunehmenden Konkurrenz um Arbeitsplätze und einer allgemein sinkenden Regelungsakzeptanz sind die Inhalte vielfach unverbindlich und haben in konkreten Konfliktfällen kaum Relevanz. Eine Aufwertung des örtli-chen Entwicklungskonzeptes vor allem im Bewusstsein der politischen Ent-scheidungsträger ist somit eine notwendige Voraussetzung für anlassbezogene Widmungsfestlegungen. Besteht kein örtliches Entwicklungskonzept bzw. ent-haltet dieses lediglich unverbindliche und wenig konkrete Vorgaben für die örtliche Raumplanung so wäre der Flächenwidmungsplan (wieder) das zentrale Instrument der „planmäßigen, vorausschauenden Gestaltung“ des Gemeinde-gebietes (§ 1 Abs. 2 Stmk. ROG), was eine ungünstige Konstellation darstellt. Anzumerken ist bezüglich Entwicklungskonzepten, dass allein die Rechtsform der planerischen Vorgaben, ob verordnete Planinhalte oder lediglich Konzepte den Orientierungsrahmen vorgeben, im Verhältnis zur Akzeptanz der vorgese-henen Maßnahmen von zweitrangiger Bedeutung ist. Gelingt es nämlich nicht, die wesentlichen Akteure von den beabsichtigten Planungsanliegen so zu über-zeugen, dass die Vorgaben akzeptiert und eingehalten werden, so sind bei jeder projektabhängigen Planungsentscheidung grundsätzliche Diskussionen unum-gänglich. Allein die rechtliche Verankerung von Zielen und Grundsätzen schafft in diesem Zusammenhang keine Abhilfe, obwohl die jeweilige Rechts-wirkung des verordneten Planes selbstverständlich eine andere Qualität hat als unverbindliche Strategiepläne, Leitlinien und Entwicklungskonzepte. Ohne einem ausreichenden Problembewusstsein und der Bereitschaft der Planungs- sowie Umsetzungsverantwortlichen zur Einhaltung abgestimmter Ziele ver-kommen aber auch verbindliche Pläne rasch zu „Schubladenpapieren“, die ignoriert und je nach Bedarf geändert werden.

Sonderwidmung als Ergebnis von Projektverfahren Das Verschwimmen von hoheitlich ordnender Planung und privater Projekt-realisierung verändert die Funktion von Widmungen. Während durch die Fest-legung allgemeiner Widmungskategorien ein bestimmter Gestaltungs- und Nutzungsspielraum für künftige (Bau-)Vorhaben offen bleibt, sind Projekt-widmungen wegen des konkreten Anlassfalles denkbar ungeeignet als strategi-sche Richtlinien.

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Traditionelle Widmungen versus Projektwidmungen Die Festlegung allgemeiner Widmungskategorien erfolgt(e) als Rahmenbedin-gung für künftige Entwicklungen – zumindest theoretisch und nach den ge-setzlichen Bestimmungen – vorausblickend und langfristig. Die zentrale plane-rische Aktivität erfolgt bei der Erstellung des gesamten Flächenwidmungspla-nes durch einen (einmaligen) Gesamtentwurf. Obwohl in Einzelfällen umstrit-ten und in der Praxis keinesfalls immer eingehalten, sind die durch die Wid-mung festgelegten öffentlichen Interessen verhältnismäßig klar und durch jahr-zehntelange praktische Übung – auch durch Korrekturen der Höchstgerichte – eingespielt. Die Gliederung des Gemeindegebiets in verschiedene Widmungs-arten schränkt die Nutzungsmöglichkeiten zwar ein, ein bestimmtes Gestal-tungspotential für die Grundeigentümer von Bauland bleibt aber vorhanden. Die konkrete Prüfung aktueller Projekte erfolgt schlussendlich im Baubewilli-gungsverfahren, in dem durch die Baubehörde die Vorgaben des Flächenwid-mungsplanes für konkrete Vorhaben auszulegen sind. Somit kommt der Bau-behörde bei allgemeinen Widmungskategorien durchaus ein Entscheidungs-spielraum zu. Die Beurteilung, welche Bauführungen in den einzelnen Wid-mungskategorien zulässig sind, ist konfliktreich, was insbesondere die umfang-reiche Judikatur der Höchstgerichte zur Widmungskonformität von Baufüh-rungen belegt.[13] Projektwidmungen sind das Ergebnis projektbezogener Planungsprozesse. Die für Großprojekte erforderlichen Umwidmungen[14] stellen vielfach den letzten Akt in einem langen Planungsprozess dar und bilden den formellen Abschluss eines detaillierten projektbezogenen Erhebungs-, Bewertungs- und Beteili-gungsverfahrens. Grundsätzlich erfolgen die Widmungen nicht für ein gesam-tes Gemeindegebiet sondern für anlassbezogene Einzelfälle, für die Umwelt- und/oder Raumverträglichkeitsprüfungen durchgeführt werden. Solche Bau-vorhaben orientieren sich somit weniger an den Flächenwidmungsplänen, son-dern umgekehrt, die Flächenwidmungspläne werden aktuellen Einzelprojekten angepasst. Nochmals ist darauf hinzuweisen, dass eine solche Vorgangsweise aus raumplanerischer Sicht sinnvoll sein kann, wenn ausreichende Rahmenbe-dingungen auf einer hierarchisch höheren Ebene festgelegt sind. Planungsrechtliche Herausforderungen durch Projektwidmungen Planungsrechtlich ist die verstärkte Projektorientierung in der Flächenwid-mungsplanung mehrfach beachtlich. Durch den hohen Detailliertheitsgrad bei der Festlegung von Sonderwidmungen verändern sich die Aufgaben der Pla-nungs- und Baubehörde. Das Planungsverfahren gewinnt mit zunehmender inhaltlicher Komplexität und detaillierten Widmungsfestlegungen gegenüber dem Bauverfahren in planungsrechtlicher Hinsicht an Bedeutung. Da nunmehr für Einzelfälle aufwendige Planungen und Interessenabwägungen erfolgen,

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läuft das Widmungsverfahren zunehmend auf ein Projektgenehmigungsverfah-ren hinaus. Die baurechtliche Bewilligung ist vielfach aus raumordnungs-rechtlicher Sicht nur noch die formale bescheidmäßige Bestätigung der Ergeb-nisse des Widmungsprozesses, zumal die beiden Verfahren zeitlich vielfach unmittelbar aufeinander folgend abgewickelt werden. Auch wenn keine Verschmelzung der beiden Verfahren stattfindet, ist die Vorwegnahme der wesentlichen inhaltlichen Entscheidungen für ein Bauvor-haben im Zuge der Widmungsfestlegung insofern beachtlich, als eine solche Veränderung auch eine Hinterfragung der formalen Rahmenbedingungen not-wendig macht. Als Ergebnisse der Widmungs- und Bauverfahren sind mit einer Verordnung bzw. einem Bescheid unterschiedliche Rechtsnormen vorge-sehen, die sich nicht ohne weiteres zusammenführen lassen. Wird künftig die bisherige Struktur (zuerst die verordnete Widmung und dann der baurechtliche Bescheid) formal auch beibehalten, ist dennoch zu prüfen, ob bisherige Rechtswirkungen noch zeitgemäß sind, insbesondere wenn sich inhaltliche Entscheidungen verlagern. Da die rechtliche Position insbesondere der Betrof-fenen im Widmungs- bzw. im Baugenehmigungsverfahren unterschiedlich ist, treten zunehmend komplexe Beteiligungs- und Rechtsschutzprobleme auf. Die im traditionellen Widmungsverfahren und im bisherigen Bauverfahren einge-räumte Rechtsstellung der Betroffenen war keineswegs einfach, aber doch mehr oder weniger eingespielt. Die mit Verordnungen verbundenen einge-schränkten Beteiligungsmöglichkeiten und der reduzierte Rechtsschutz bei Widmungsfestlegungen erscheinen zumindest diskussionsbedürftig, wenn be-rücksichtigt wird, dass durch die (Sonder)Widmung nicht nur allgemeine Nut-zungsbeschränkungen bestimmt werden, die im Bauverfahren ihre Konkretisie-rung finden. Erfolgen im Zuge des Widmungsverfahrens wesentliche Ent-scheidungen im Sinne von Projektbeurteilungen, so erfolgt die Einräumung von Parteistellungen für Grundeigentümer oder Nachbarn erst im Baubewilli-gungsverfahren tendenziell zu spät. Neben dem späten Zeitpunkt für wirkungsvolles – rechtlich relevantes – Vor-bringen ist darüber hinaus die Abgrenzung der Planbeteiligten und deren Rechtstellung zu diskutieren. Die eingeschränkten Mitwirkungsmöglichkeiten, die das Planungsrecht den Planbetroffenen einräumt, entspricht jedenfalls nicht dem planungspolitisch gebotenen Trend zu einer offenen, partizipativen Pla-nung mit umfassenden Beteiligungsformen.

Anforderungen an zeitgemäße Rechtsgrundlagen Im Sinne der bisherigen Ausführungen ergeben sich folgende Anforderungen für aktuelle Rechtsgrundlagen:

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• Überörtliche Vorgaben der Landes- oder Regionalplanung für Großpro-jekte, die bei einem entsprechenden Regelungsbedürfnis verbindlichen Cha-rakter haben sollen;

• Aufwertung des örtlichen Entwicklungskonzeptes durch konkrete Ziele und Planungsmaßnahmen, die langfristig und strategisch angelegt sind;

• Flexibilisierung der kommunalen Flächenwidmung, um auf aktuelle Ände-rungsanforderungen, die mit den planerischen Vorgaben übereinstimmen, eingehen zu können;

• Projektwidmungen mit erweiterten Rechten für Projektbetroffene. Die Forderungen sind keinesfalls nur als Wünsche nach neuen gesetzlichen Bestimmungen zu verstehen, sondern richten sich insbesondere auch an die mit der Vollziehung betrauten Stellen. Zum überwiegenden Teil reichen die in den Gesetzen vorgesehenen Regelungen bei einem entsprechenden Umsetzungs-bewusstsein der Entscheidungsträger aus, um erhebliche Verbesserungen bei der künftigen Steuerung der Siedlungsentwicklung zu erzielen. Referenzen [1] Wekel: Planung durch Projekte, FORUM Raumplanung, 1/1999, S 11 f. [2] Vgl. Bgld Raumplanungsgesetz, LGBl. für Bgld Nr. 18/69 idF. 79/02;

Ktn Raumordnungsgesetz, LGBl. für Ktn Nr. 76/69 idF. 136/01; Ktn Ge-meindeplanungsgesetz LGBl. für Ktn. Nr. 23/95 idF. 69/01; NÖ Raumordnungsgesetz 1976, LGBl. für NÖ idF. 8000-15; Oö Raumord-nungsgesetz 1994, LGBl. für Oö Nr. 114/93 idF. 90/01; Slbg Raumord-nungsgesetz 1998, LGBl. für Slbg Nr. 44/98 idF. 82/01; Stmk Raumord-nungsgesetz 1974, LGBl. für die Stmk Nr. 127/74 idF. 7/02; Tiroler Raumordnungsgesetz, LGBl. für Tirol Nr. 93/01; Vlbg Raumplanungsge-setz, LGBl. für Vlbg Nr. 39/96 idF. 58/01; Wiener Bauordnung, LGBl. für Wien Nr.11/30 idF. 91/01.

[3] Vgl. die jüngsten Änderungen in der oö. Betriebstypenverordnung, LGBl. für OÖ. Nr. 72/01, oder die Großbauvorhabennovelle in der Wiener Bau-ordnung, LGBl. für Wien Nr. 90/01.

[4] Raschauer im Vorwort zum Allgemeinen Verwaltungsrecht, Springer-Verlag, Wien 1998.

[5] Vgl. ua. Stolzlechner: Die „Beurteilungsrichtlinien für Handelsgroßbe-triebe“ im Lichte des Systems der Standortplanung für Handelsgroßbe-triebe nach § 11a Sbg ROG, bbl 4/2001, S 136.

[6] Vgl. Kanonier: Investorenplanung im österreichischen Raumordnungs-recht; in: FORUM Raumplanung, Heft 1/1999, S 22.

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[7] Weiters zur Problematik Projekt – Planung: Rossmann: Kurzfristplanung oder Raumordnung? FORUM Raumplanung, 1/1999, 8 ff; Vatter: Pla-nung durch Projekte, FORUM Raumplanung, 1/1999, 13 ff.

[8] Für die kommunale Ebene ist festzuhalten, dass der Flächenwidmungs-plan in allen Gemeinden erstellt wurde und nach wie vor das wichtigste Planungsinstrument der österreichischen Raumplanung darstellt.

[9] Schindegger: Raumplanung – wohin? In: FORUM Raumplanung, Heft 1/2000, S 8.

[10] Vgl. Loomann: „Ausverkauf von Hoheitsrechten” in Verträgen zwischen Bauherren und Gebietskörperschaften; NJW 22/1996, S 1439.

[11] Vgl. Klotz, Frei: Strategiepläne – ein neuer Trend der Stadtentwicklungs-steuerung? IFOER-Schriftenreihe 2/1999, S 17.

[12] Amt der Oö Landesregierung: Das Örtliche Entwicklungskonzept, 1995, S 5.

[13] Vgl. Unkart/Gutleb: Rechtsätze zur Raumordnung und Raumplanung, Literas-Universitätsverlag, 1992, S 103 ff; Berka: Flächenwidmungs-pläne auf dem Prüfstand, JBl 2/1996, S 69 ff.

[14] In den seltensten Fällen kann ein Großprojekt ohne Umwidmung durch-geführt werden. Falls allerdings ein solches Vorhaben mit den gültigen Widmungen grundsätzlich übereinstimmt, wird das Baubewilligungsver-fahren oftmals entsprechend anspruchsvoll.

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Menschen in Räumen - Räume in Menschen Alexander G. Keul

Es war einmal ein Lattenzaun Mit Zwischenraum, hindurchzuschaun.

Ein Architekt, der dieses sah, stand eines Abends plötzlich da –

und nahm den Z w i s c h e n r a u m

heraus und baute draus ein großes Haus. DerZaunindessenstandganzdumm,

mitLattenohnewasherum. Ein Anblick grässlich und gemein. Drum zog auch der Senat ihn ein.

Der Architekt jedoch entfloh nach Afri- od- Ameriko.

Christian Morgenstern

Galgenlieder (1905)

Angewandte Psychologie des Raumerlebens Vertraut man den unzähligen Hinweisen auf Psychologie und Ästhetik in den Planungswissenschaften, müsste „Mensch und Raum“ eigentlich zum gut be-forschten und gesicherten Kerngebiet der Angewandten Psychologie zählen. Das ist nicht der Fall. Schrieben Planer (v.a. Architekten) über Räume, ver-standen das viele Sozialwissenschaftler nicht oder hielten es für literarisch; forschten (Kognitions-) Psychologen über den Raum, war das wiederum für Planer unverständlich und nicht praxisrelevant (Philip, 1996). Im Feld „Raumrepräsentation“ arbeiten Hirnforschung, Artificial Intelligence und Kognitive Psychologie (Denkpsychologie) mit einer Computermetapher an der Erstellung mathematischer Modelle. Das tägliche Leben kennt Hand-lungen, die sich mit dem Kognitionsparadigma abbilden und studieren lassen, etwa das Lesen von Stadtplänen, das Navigieren auf Autobahnen, die Orientie-rung im ÖPNV oder in Gebäuden. Hier spielen Kognitive Karten, innere Bil-der und Systeme, die Hauptrolle (Lynch, 1975; Downs & Stea, 1982). Dage-gen sind eine Wohnsituation, ein Stadtbummel oder eine Urlaubsreise nicht auf „komplexe Zielerkennung und Verhaltensregulation“ reduzierbar; zu ihnen ge-hört psychologisch mehr.

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Dieses „Mehr“ der subjektiven Raumerfahrung, des individuellen Erlebens und Verhaltens im Raum, wird von Planern mit Raumwirkung, subjektiver Räum-lichkeit, Ortscharakter oder Genius loci angesprochen. Die erlebten Konse-quenzen heißen Flair, Atmosphäre, Qualität und Wohlbefinden. Eigene „Struktursprachen“ (pattern language – Alexander, 1995; space syntax – Hil-lier & Hanson, 1989; Hillier, 1996) wurden dazu entwickelt. Eine historisch-philosophische Übersicht zum Raumproblem stammt von Gosztonyi (1976). Planerisch noch ungenutzt ist die phänomenologische Raumforschung aus der deutschsprachigen Psychologie, deren Ziel die historische, biografische und damit subjektive Perspektive des Raumerlebens war. Straus (1956), Merleau-Ponty (1966), Stern (1936), Bollnow (1963) sind prominente Namen dieser Schule. Anders als die nomothetisch und neopositivistisch ausgerichtete Kog-nitive Psychologie berücksichtigt die Raumphänomenologie ideografische, also individuumspezifische Daten. Bereits Bollnow und Straus betonten, dass der gelebte Alltagsraum nicht iden-tisch ist mit dem homogenen, kontinuierlichen, isotropen euklidischen Raum der Geometrie und der physischen Geografie. Unser Lebensraum ist inhomo-gen, diskontinuierlich, anisotrop, besitzt qualitativ unterschiedliche Stellen oder Punkte und subjektiv verschiedene Pole – so sind oben, vorne und rechts gegenüber unten, hinten und links ausgezeichnet. Wir erleben den Raum nicht nur visuell als Farbe, Form, Textur, Bewegung, Tiefen- und Horizontstruktur, sondern gleichzeitig auch auditiv, haptisch, olfaktorisch und kinästhetisch, also über Hör-, Tast-, Geruchs-, Muskel- und Gleichgewichtsreize. Gibson (1982) nannte die spontane optische Information „Affordanzen“. So ist etwa die „visuelle Klippe“, der Abgrund, ein angeborenes Gefahrensignal, das auch Tiere kennen. Lewin (1963) betonte, dass Umweltobjekte je nach Bedürfnis und Intention des Betrachters anderen „Aufforderungscharakter“ („Valenz“) besitzen. Räume entstehen als bedeutsame Gebilde und damit als geistige Konzepte be-reits in der Kindheit; als Träger von Emotionen (Döring-Seipel, 2000), Werten und Normen stabilisieren sie lebenslang soziale und politische Identität (Löw, 2001). Der Psychoanalytiker Bachelard (1987) spricht von der Poetik des Raumes. Dass wir Räume spüren, lange bevor wir darüber reden können, führt zur Vorsprachlichkeit der Phänomene, welche die verbale Kommunikation hemmt. Zur Verständigung werden Symbole und Metaphern notwendig. Skizze, Plan und Foto sind nicht zufällig für Planer wichtiger als Texte. Sozi-alwissenschaftler, die traditionell weniger häufig visualisieren, beklagen sich dann, dass Architekten „nur Bilder anschauen“.

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Das Raumerleben besitzt eine spezifische Intensität, aber auch einen zeitlichen Verlauf (Länge und Dauerhaftigkeit). Dabei kommt es allmählich zur Ortsbin-dung, zum raumbezogenen Identitätserleben (Tuans „topophilia“, 1974; Weichhart, 1990). In Wohnsiedlungen und umgebenden Stadtvierteln werden von den Bewohnern vor allem ästhetische Maßstäbe angelegt (Nasar, 1988), definiert sich Alltagskultur als Summe vertrauter, kontinuierlicher Objekte und Handlungsdispositionen („Phantasmen“ der Kulturpsychologie - Boesch, 1980). Schon Adolf Loos wusste: „Das Kunstwerk ist revolutionär, das Haus ist konservativ.“ Durch seinen Bezug zu menschlichen Phantasie- und Wert-welten reicht das Raumerleben bis in die Kunstpsychologie (Arnheim, 1978; Kobbert, 1986; Tunner, 1999). Entdeckt von der Gestaltpsychologie, sind die „Gestaltgesetze“ des Raumerle-bens Planern wohl vertraut. So werden ähnliche Elemente als zusammengehö-rig wahrgenommen, nahe Elemente verbunden gesehen, unvollendete Ele-mente als geschlossen erlebt usw. Auch die Perspektive ist nicht einfach gegeben, sondern eine aktive menschliche Wahrnehmungsleistung. Alltägliche Realität ist ebenso das Sich-Bewegen durch den Raum: Gibson (1982) erkannte, dass bei höheren Geschwindigkeiten (Zug, Auto, Flugzeug) „Fluss-felder“ aus verschwimmenden Linien entstehen, die eine sichere Orientierung und Stabilisierung im Raum erlauben. Dieses „Fließen“ der Landschaft macht einen wesentlichen Reiz der technischen Mobilität aus (Schönhammer, 1991). Die Sozialpsychologie der menschlichen Raumnutzung zerfällt in vier theoreti-sche Konzepte – Persönlicher Raum, Crowding, Privatheit und Territorialität. Der unmittelbare Umraum des Körpers - der Persönliche Raum (personal space - Hall, 1976; Sommer, 1969) sichert persönliche Integrität und Reizschutz, wandert wie eine Blase mit der Person und wird gegen Einengung verteidigt. Die „Blase“ sagt sowohl etwas über die Person als auch über ihre kulturellen Standards aus. Das Erleben hoher sozialer Dichte nennt man Crowding. Es ist stark subjektiv und situativ verschieden. Körperlich oder psychisch Kranke sind besonders sensibel gegen „Raumverletzungen“. Hier kommt auch das Be-dürfnis nach Privatheit (privacy) ins Spiel - andere sollen nicht unbeschränkt Einblick/Zugriff haben. Aus der Biologie entliehen ist der Begriff Territoriali-tät: Raumabschnitte, die (meist dauerhaft) exklusiv genutzt werden, wobei sie - anders als der Persönliche Raum - ortsfest sind. Menschen sind aktive Raumgestalter und -nutzer. Man kann sie daher nicht, wie der „architektonische Determinismus“ glaubte, durch Raumgestaltung zu beliebigem Verhalten zwingen. Unerwünschte Konfigurationen erzeugen Reaktanz, psychischen Widerstand. Sozial erfolgreiche Planung überformt da-her die bereits vorhandenen Impulse der Nutzer. Psychologische Evaluations-

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forschung sichert die Grundlagen. Umweltpsychologie als Unterstützung für den Planungsprozess hat sich in 25 Jahren vom Exoten zur nüchternen, empi-risch arbeitenden Disziplin entwickelt (Kaminski, 1976; Stokols & Altman, 1987; Kruse, Graumann & Lantermann, 1990; Keul, 1995). Dazu werden qualitativ-beschreibende und quantitativ-messende Verfahren kombiniert. Feldstudien verwenden häufig Beobachtung und Befragung – sie schauen, was Nutzer tatsächlich im Raum tun, und fragen parallel nach ihrem Erleben, ihrer subjektiven Wahrnehmung. Sommer (1983) nannte Planung, die auf die sub-jektive Wirklichkeit ihrer Nutzer Rücksicht nimmt, Social Design. CAD und Endoskopie sind die derzeit meistgenutzten Simulationsmethoden in der Planung (Martens, 1995). Obwohl immer mehr Kommunikation über Computerartefakte und virtuelle Realitäten läuft, sind Studien über deren psy-chologische Eigenwirkung selten. Wir versuchten dies an einem Planungsbei-spiel (Keul & Martens, 1996). Sowohl bei Planungs- wie bei Nichtplanungs-studierenden waren die Bewertungsunterschiede zwischen Endoskopie und CAD weit größer als zwischen den Gruppen. Das heißt, beide erlebten dieselbe Materialwirkung der jeweiligen Simulationstechnik. Primäres Untersuchungsfeld des Raumerlebens ist wegen ihrer baulichen und gestalterischen Vielfalt die moderne Großstadt. Städte haben die Ökologische Psychologie (heute: Umweltpsychologie) von ihrem Beginn an beschäftigt (Muchow & Muchow, 1935; Hellpach, 1939; Mitscherlich, 1965, 1971; vgl. Keul, 1995). Wichtige Beiträge für die Sozialwissenschaften kamen dabei von Planern (z.B. Lynch, 1975). Heute ist die Literatur über postmoderne Stadtge-stalt, urban sprawl, Stadtbewohner und Touristen kaum mehr überblickbar (Bott, Hubig, Pesch & Schröder, 2000; Keul & Kühberger, 1996; Sennett, 1997; Sieverts, 1977; Thabe, 1999; Zimmermann & Reulecke, 1999 u.v.a.). Ein wichtiges Orientierungsmittel beim Studium der Raumwirkungen ist die „Methodik der Stadtgestalt“ nach Moser (Moser, Mayerhofer & Frei, 1985; Moser, Frei & Voigt, 1988; Frei, 1993). Raumplaner unterscheiden dabei fol-gende Charakteristiken der Platz- und Straßenräume: Raumbildung, Raumbe-grenzung (Fluchtlinienverlauf, Bebauungsweise, Gebäudehöhe, Relief, Vege-tation, Einfriedung), Raummarkierung und -differenzierung (Baukörperstel-lung, Höhen- und Tiefenstaffelung, Straßenprofil, Dachkörper) sowie Raum-verbindung (Kontinuität, Torsituation, Sichtbeziehungen). Die Typisierung nach Moser klammert flüchtige, mobile und additive Elemente aus – Passan-ten, Autos, Stadtmobiliar, Verkehrs- und Werbeschilder kommen nicht vor. Als sinnvolle Erweiterung der Methodik von Moser bietet sich von Seiten der Psychologie die Protokollierung der subjektiven Raumwahrnehmung im Zeit-verlauf durch die Methode des Gleichzeitigen Lauten Denkens (Roth, 1993)

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an. Dabei können auch die verschiedenen Raumwirklichkeiten von Planern und Bewohnern betrachtet werden. Ein erfolgreicher Pilotversuch mit acht Planungsstudierenden der TU Wien wurde dazu im Sommersemester 2001 in drei Gassen des 7.Wiener Bezirks durchgeführt. Gerhard Kaminski, der sich Verdienste bei der Verbreitung und Diskussion der Behavior Setting-Methode Barkers (1968) im deutschen Sprachraum erwarb, arbeitet mit Studierenden in Tübingen an einer „Mikro-Ökologie“, welche den alltäglichen Umgang mit dem Lebensraum erfassen hilft (Kaminski & Rapp, 1999; Kaminski, 2001). Ein objektivierendes, bei kritischer Anwendung nützliches Dokumentations-mittel der menschlichen Informationsaufnahme ist die Blickbewegungskamera (Eye Tracker). Ein solches Gerät wird von uns in Salzburg auf seine Möglich-keiten der Wahrnehmungserfassung von Architektur getestet. Raumplaner analysieren nicht nur, sie entwickeln auch in die Zukunft gerich-tete räumliche und ökologische Leitbilder (Brandenburg, Linzer, Mayerhofer, Moser, Schacht, Voigt & Walchhofer, 1993, 1994; Voigt, 1996, 1997; Voigt & Walchhofer, 1997; Hierzegger, 1999). Städte sind dabei nicht nur visuell prä-sent, wie ein Film, sondern auch zum „Begreifen“ da - haptische und akusti-sche Phänomene bieten etwa nichtsehenden Stadtbewohnern eine zentrale Ori-entierungshilfe. Neben der bereits bewährten Kooperation mit dem Institut für Örtliche Raumplanung und dem Labor für räumliche Simulation der TU Wien werden Kontakte mit dem bundesweiten Projekt „Haus der Zukunft“ in die weitere Zusammenarbeit Raumplanung/Architektur-Psychologie mit einflies-sen. Literaturauswahl Alexander, C. (1995). Eine Muster-Sprache (Übersetzung). Wien: Löcker. Allesch, C.G.; Keul, A.G. (1993). Analyse von Mensch-Umwelt-Beziehungen.

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Dreizehn Thesen zur Entwicklung und Erneuerung ländlicher Räume Helena Linzer Die Probleme des ländlichen Raumes sind nicht weniger bedeutend als die Probleme der Großstadt, aber bedeutend weniger beachtet. Dabei wird häufig verkannt, dass das Wachstum großstädtischer Ballungsräume im ursächlichen Zusammenhang mit der Entwicklung in ländlichen Gebieten mit all ihren wirt-schaftlichen, sozialen und kulturellen Folgen steht. Nachdem das Dorf über Jahrzehnte hinweg ganz im Schatten städtischer Entwicklungen stand, beginnt es wieder Aufmerksamkeit auf sich zu lenken und zwar über die Grenzen ein-zelner Regionen hinweg:

”Noch vor wenigen Jahren war dies anders: Die räumliche Konzentration der Bevölkerung auf wenige Großräume wurde damals als unausweichliches Schick-sal einer arbeitsteilig organisierten Gesellschaft angesehen. Schlagworte wie ”Landflucht” und ”Verstädterung” machten in jenen Jahren die Runde. Der ländliche Raum war für viele Planer ein Überbleibsel, ein Restraum, dem allen-falls ”Ausgleichsfunktionen” für Verdichtungsräume zugestanden wurden, nicht jedoch ein politischer, wirtschaftlicher oder kultureller Eigenwert.”[1]

Es sind nicht wenige gewesen, für die das Dorf etwas Rückständiges war, ein Ort für solche, die den Anschluss an die allgemeine Entwicklung verpasst haben. Aber im Laufe der Jahre hat sich manches geändert und vieles beginnen wir heute mit anderen Augen zu sehen. Die Lebensbedingungen vor allem in den Großstädten sind zunehmend fragwürdiger geworden. Dies wird durch zahlreiche Meinungsumfragen bestätigt: Das Institut für Demoskopie in Allensbach (D) stellte bei zahlreichen Befragungen seit 1970 fest, dass immer mehr Menschen am liebsten auf dem Land oder in Kleinstädten leben würden. Interessant dabei ist, dass die Einstellung [2] nicht zuletzt bei den Jugendlichen weit verbreitet ist:

”Das Dorf, der ländliche Raum, ist ”gesellschaftsfähig” geworden. Der ”Zug aufs Land” ist deutlicher Ausdruck dieser Grundstimmung. Man weiß, dass es im Dorf, im ländlichen Raum Qualitäten gibt, die man in der Stadt überhaupt nicht mehr oder nur unter besonderen Schwierigkeiten findet.”[3]

All diese Entwicklungen haben dazu beigetragen, dass die Diskussion um den ländlichen Raum in Bewegung geraten ist, die Perspektive hat sich verändert: Nicht neue Konzepte der Raumordnung und Wirtschaftspolitik stehen im Vor-

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dergrund, sondern die Dörfer selbst sind es, die mehr und mehr als Ansatz- und Angelpunkt künftiger Entwicklungen angesehen werden. Um aber eine nach-haltige Entwicklung und Erneuerung zu erreichen, sind abgestimmte Pla-nungsprozesse erforderlich. Diese haben immer auch mit Bewusstseinsbildung zu tun: Die Beteiligten lernen mit- und voneinander und erreichen gemeinsam einen Konsens. Ziel dieser Prozesse ist die Erarbeitung eines Leitbildes, das als Entwicklungsrichtung für künftige Planungen gelten soll. Nicht die konkreten Maßnahmen und Projekte sind in diesem Fall vorrangig, sondern der Plan-ungsprozess selbst, der Weg zur Entwicklung von Projekten, die dann auch von den Beteiligten getragen und unterstützt werden. Es stellt sich die Frage, was getan werden muss, um Entwicklungs- und Er-neuerungsprozesse im ländlichen Raum in Gang zu bringen, sie lebendig und aktiv zu halten und auch die Umsetzung zu gewährleisten. Anhand von drei-zehn Thesen wird versucht, diese Frage zu beantworten. These 1: Erneuerungspolitik im ländlichen Raum muss sich an den Ressour-cen der Menschen und ihres Lebensraumes orientieren und nicht an ihren Defiziten. Dorferneuerung und Ortsentwicklung sind keine neuen Disziplinen der Raum-planung, sondern neue Formen, bei denen der Planungsprozess im Vorder-grund steht. Nicht die falsch verstandene Erneuerung, die sich vordergründig auf Behübschung, auf Verschönerung der Dörfer konzentriert, und auch nicht „aktionistische“, kleinräumige Einzelprojekte baulicher Natur sollen Ziel die-ser Entwicklungs- und Erneuerungsprozesse sein. Dorferneuerung ist vielmehr als eine integrale politische Aufgabe zur Verbesserung der Lebensverhältnisse und zur Entwicklung eines höheren Selbstwertgefühls anzusehen, die ganz-heitlich orientiert alle Lebens- und Wirtschaftsbereiche in ländlich geprägten Orten umfassen soll. Eine neu orientierte Raumordnungspolitik ist gefragt, die nicht nur auf Ar-beitsmarkt-, Wirtschafts- und Agrarpolitik ausgerichtet ist, sondern den Ansatz zur Entwicklung des ländlichen Raumes in der kommunalen Sozial- und Kul-turpolitik sieht. Aufgabe der Politik ist es nicht, die Defizite im ländlichen Raum ausschließlich durch Förderungen zu beheben, sondern die Gesellschaft gezielt zu aktivieren, Potentiale zu erkennen und die Entwicklung ihres Le-bensraumes und die Verantwortung dafür selbst zu übernehmen. Gefordert ist eine offene Planung, die schrittweise die Gewichte verlagert und den Men-schen die Möglichkeit zur Mitgestaltung bietet. Dies führt zu einer neuartigen Vernetzung innerhalb der Gemeinde und steigert die Legitimität von politi-schen Entscheidungen.

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These 2: Städtische Planungsprozesse dürfen nicht unmodifiziert in den ländlichen Raum übertragen werden: spezielle Probleme und Beteiligte, erfordern auch entsprechende Aktivitäten, Konzepte und Lösungsansätze. Wichtig bei den Planungen im ländlichen Raum ist eine an den örtlichen Ge-gebenheiten orientierte, problemgerechte Vorgehensweise. Die Durchsetzbar-keit von Planungsvorstellungen hängt in immer größerem Ausmaß auch von der Präsentation und Vermittlung der Planungsinhalte und einer Verstärkung der Akzeptanz bei allen am Planungsprozess Beteiligten ab. Die Akzeptanz von Planungs- und Gestaltungsmaßnahmen ist nachhaltig von einer Anschau-lichkeit der Darstellung und einer Begründung der Planungsinteressen abhän-gig. Zum einen erleichtert eine verständliche Darstellung die Meinungsfindung von Entscheidungsträgern, zum anderen hat in verstärktem Ausmaß ein Pro-zess der Bewusstseinsbildung und Sensibilisierung der Bevölkerung und der Entscheidungsträger eingesetzt, der in Ergänzung zu den gesetzlichen Anfor-derungen eine zum Planungsprozess begleitende Öffentlichkeitsarbeit und frühzeitige Information notwendig macht. Im Vordergrund sollen Konzepte und Vorschläge stehen, die den oft vorhandenen, durch starre und wenig moti-vierende Regelungen jedoch oft verloren gegangenen Entwicklungs- und Gestaltungswillen in den Dörfern anregen und unterstützen. Die Art und Weise des Vorgehens entscheidet nicht zuletzt über den Erfolg der Planung, also dar-über, ob die Bevölkerung für die Umsetzung gewonnen werden kann, oder ob letztlich Pläne „für die Schublade“ erstellt werden. These 3: Eine „endogene, geistige und gesellschaftliche Erneuerung“ (Erneuerung aus sich selbst) ist nur durch „Planung von unten“, durch „Bottom -Up-Prozesse“ zu erreichen. Die Initiativen von nachhaltigen Entwicklungs- und Erneuerungsprozessen kommen zumeist von den Bewohnern des Dorfes, die aufgrund von Unzufrie-denheit mit der bestehenden Situation Veränderungen herbeiführen wollen. Mehr Mitspracherecht und die Möglichkeit der Mitgestaltung sind in den dörf-lichen Gemeinschaften häufige Forderungen. Das bedeutet, dass bereits von einigen Menschen im Dorf ein Bewusstsein, für die vorhandenen Probleme be-steht. Erforderlich ist allerdings auch, dass sich diese ersten „von unten kom-menden“ Aktivitäten in der Folge als laufende aktive Beteiligung der Bevölke-rung an dem Planungsprozess auswirken. These 4: Seitens der Planung ist Dialogbereitschaft gefragt. Im ländlichen Raum ist eine neue Rolle des Planers gefordert: Nicht der domi-nierende Experte, der Gutachten und Pläne abliefert, ist gefragt, sondern der unterstützende Partner, der in der Lage und willens ist, mit allen Beteiligten zusammenzuarbeiten. Der Planer hat als sachkundiger Moderator, als Ver-mittler zu agieren, der es versteht, eine nach allen Seiten offene Diskussion in

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eine realistische Planung umzusetzen. Der moderierte Dialog zwischen verschiedenen Gruppen der Bevölkerung, der Gemeindeverwaltung und dem Gemeinderat über die Zukunft ihres Lebensraumes, mit dem Ziel, einen tragfä-higen Ausgleich zwischen den unterschiedlichen Interessen zu finden und die Werthaltung der Betroffenen zu respektieren, ist wesentlich. These 5: Ein vollständiger Entwicklungs- und Erneuerungsprozess muss Planung und Prozessbegleitung beinhalten. Entwicklungs- und Erneuerungsprozesse im ländlichen Raum sind durch ein hohes Maß an Komplexität und Vielfalt der Planungsbereiche in Verbindung mit einem großen Zeitaufwand und Koordinationsbedarf geprägt. Ideal für diese Prozesse wäre ein fachlich vielfältiges Planungsteam. Allerdings reicht das Budget der Dorferneuerung meist nicht aus, um so ein Team zu bezahlen, oder aber es läuft auf „Selbstausbeutung“ der Planer hin, die diesen Prozess begleiten. Daher werden beispielsweise in Niederösterreich in der Dorferneue-rung Planer nur zur Realisierung von Projekten eingesetzt, die erste Phase der Leitbilderstellung wird von den Betreuern des Landes durchgeführt. Diese An-sätze der Trennung zwischen Planung und Prozessbegleitung sind auch in anderen Bundesländern festzustellen. In Vorarlberg wurden Projektbegleiter als „Drehscheibe“ zwischen Bürgerinte-ressen, politischer Ebene, Verwaltung sowie Fachplanern ausgebildet, die Pla-nungsprozesse auf Gemeinde- und Regionsebene konzipieren, organisieren, begleiten und bewerten, allerdings nicht für die Planung zuständig sind. In der Steiermark wurde im Rahmen eines EU-Projektes (gefördert über das Aktionsprogramm LEONARDO DA VINCI) der Lehrgang „MEDIATOR“ or-ganisiert, der die Ausbildung von ProzessbegleiterInnen für Dorf- und Regi-onalentwicklung zum Ziel hatte. Man hat erkannt, dass es oft an geeigneten Mittlerpersonen fehlt, die regionale Prozesse zur Entscheidungsfindung initiie-ren und diese kompetent begleiten. Diese Trennung der Funktionen Planung und Prozessbegleitung kann aller-dings auch kritisch betrachtet werden. These 6: Aktivitäten dürfen nicht auf die kommunale Ebene beschränkt blei-ben; wichtig sind Kooperationen auf Regionsebene; der Ansatz dazu kann aber auf lokaler Ebene erfolgen. Kohr hat Zeit seines Lebens auf die Wichtigkeit kleiner überschaubarere Ein-heiten hingewiesen.[4] Er war davon überzeugt, dass nur diese Einheiten eine intensive Kommunikation ermöglichen, die zu einem gemeinsam gestalteten Leben und damit zu einen weitgehend selbstbestimmten (im Gegensatz zum fremdbestimmten) Dasein führen.

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Planungsprozesse auf lokaler Ebene sind für die Bevölkerung überschaubarer; Ergebnisse werden verstanden und eher akzeptiert. Das Dorf ist als Siedlungs-form und sozioökonomische Einheit innerhalb einer Gemeinde zu sehen, die Gemeinde wiederum als Verwaltungseinheit. Es stellt sich die Frage, ob das Dorf als solche Einheit entwickelt und erneuert werden kann. Grundsätzlich muss man anmerken, dass die soziokulturelle Erneuerung den ländlichen Raum als Ganzes erfassen, sich somit parallel auch auf die Regionsebene ausweiten muss. Denn nachhaltige Entwicklung des ländlichen Raumes kann nicht allein auf lokaler Ebene erreicht werden. Im Dorf wird sich diese Erneuerung sicht-bar und unsichtbar manifestieren. Die Kleinstädte und Märkte, die wirtschaftli-chen Zentren der Region und ihr „Hinterland“ sind verzahnt und bilden eine räumliche und funktionelle Einheit, die nicht zerstört werden darf. Den Klein-städten im ländlichen Raum kommt eine wichtige Rolle zu: Sie können bei der Gestaltung und nachhaltigen Weiterentwicklung der Regionen als Gegenkraft zum heutigen Trend der Globalisierung und Zentralisierung wirken. These 7: Eine Abstimmung der Inhalte der Planungsinstrumente auf kommunaler und regionaler Ebene ist erforderlich. Regionale Konzepte müssen stärker die umsetzungsorientierte Entwicklungsplanung zum Ziel haben und nicht Ordnungsplanung. Verstärkt werden neue regionale Konzepte erstellt, bei denen Vertreter der Gemeinden und die Bevölkerung beteiligt werden, die also gegenüber den re-gionalen Konzepten der Vergangenheit, bei denen überwiegend ordnungspoli-tische Zielsetzungen verfolgt wurden, den umsetzungsorientierten Ansatz in den Vordergrund stellen. Wichtig ist aber dabei, dass Regionen nicht „von oben herab“, somit von Landesseite verordnet werden. Sie müssen sich aus einem Bedürfnis der Menschen problembezogen bilden und nicht aufgrund von Verwaltungsgrenzen. Ein Problem liegt sicher auch in der Tatsache, dass sich in Österreich auf regionaler Ebene keine Gebietskörperschaft findet. Ähnlich wie auch auf der kommunalen Ebene sind für Regionen konkrete Leitbilder zu entwickeln und ein konzept- und umsetzungsorientierter Ablauf sicherzustellen. Den Regionen muss man aber auch Rechte, Pflichten und Verantwortung übertragen.[5] Da-nach bedarf es der Abstimmung der regionalen Konzepte mit den Zielen auf lokaler Ebene wie auch den klassischen Instrumenten der Örtlichen Raumpla-nung: dem Örtlichen Entwicklungskonzept, dem Flächenwidmungs- und dem Bebauungsplan, damit die regionalen Zielsetzungen und Planungen auch auf kommunaler Ebene ihre Entsprechung und Berücksichtigung finden.

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These 8: Zur Herbeiführung nachhaltiger Entwicklungen im ländlichen Raum kann die - im Vergleich zum städtischen Raum - größere Bereitschaft zu Einsatz und Beteiligung der betroffenen Bürger als Chance und Notwen-digkeit genutzt werden. Bürgerbeteiligung im weitesten Sinne ist in den letzten drei Jahrzehnten vom visionären Schlagwort zu einem ernstzunehmenden Bestandteil der Planungs-realität geworden. Die Beteiligung der Bürger dient weniger der Legitimation von Planungen, sondern ist substantiell notwendig und wird in Bürgerver-sammlungen, Arbeitskreisen, gezielten Aktionen bis hin zu Einzelgesprächen durchgeführt. Neue Wege müssen beschritten werden, um die im Laufe der Zeit in vielen ländlichen Gebieten aufgekommene Resignation zu überwinden. Neue Gemeinsamkeiten und veränderte Interessensschwerpunkte innerhalb der Bevölkerung gilt es aufzuspüren, um daran anknüpfend gezielt gemeinschaftli-ches Handeln zu ermöglichen. Waren es in der Anfangsphase hauptsächlich spontane Bürgerinitiativen, die von sich aus aktiv wurden, so haben die Ge-meindeverwaltungen und auch die politischen Parteien das steigende Interesse der Bürger zu einem Bestandteil ihrer Überlegungen gemacht, einerseits als In-strument positiver Mitwirkung und andererseits zur möglichst breiten demo-kratischen Absicherung von Entscheidungen. Es wird kaum noch bestritten, dass der Mitwirkung und damit der Mitbestim-mung der von Planungsmaßnahmen Betroffenen auf kommunaler Ebene große Bedeutung zukommt. Im Vergleich zum städtischen Raum, wo die Menschen mehr aus der Anonymität heraus handeln müssen und die für die Umsetzung Verantwortlichen oft unbekannt und schwerer erreichbar sind, ist die Chance und Bereitschaft zur Mitarbeit an kommunalen Fragestellungen in ländlichen Gebieten wesentlich größer. Die damit zusammenhängenden Probleme werden allerdings unterschiedlich bewertet und demgemäß unterschiedlich ist das ge-wünschte Ausmaß der Bürgerbeteiligung seitens des Planers und der Gemein-devertreter. Konflikte werden durch die Bürgerbeteiligung sicher nicht verhin-dert, jedoch werden Probleme thematisiert und diskutiert, Veränderungspro-zesse, Chancen und Grenzen werden sichtbar gemacht. Bürgerbeteiligung darf aber nicht als weitgehende Berücksichtigung der Bürgerwünsche verstanden werden. Entscheidungen seitens der Gemeindevertreter, die dafür auch Verant-wortung tragen, sind erforderlich. These 9: Ein Entwicklungs- und Erneuerungskonzept, das von einer Mehrheit im Dorf getragen wird, bedarf der Einbeziehung aller Bevölkerungsgruppen in den Planungsprozess. Die Bedingungen für kommunales Handeln und das Verhältnis der Bürger zum Geschehen in ihrem Ort haben sich gewandelt. Mit der Einsicht in die Ursa-chen und Bedingungen solcher Veränderungen werden Zusammenhänge zwi-

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schen gesellschaftlichen Verhältnissen und baulich-räumlichen Entwicklungen aufgedeckt. Vor diesem Hintergrund ist es möglich, veränderte gesellschaftli-che Bedingungen in neue Ansätze für gemeinsames Handeln umzusetzen. Vor allem wird darauf hingewiesen, dass eine geordnete Siedlungsentwicklung vom Bewusstsein der Bevölkerung abhängt. In der Praxis hat es sich als vor-teilhaft erwiesen, neben Gemeindevertretern und den örtlichen Vereinen die unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen (Landwirte, Gewerbetreibende, Ältere Dorfbewohner, Frauen, Jugendliche, Grundeigentümer, nicht nur an den ge-meinsamen Dorfgesprächen zu beteiligen, sondern deren Meinung auch in eigenen kleineren Arbeitsgruppen herauszufiltern. These 10: Der Einbindung der Bevölkerung als gleichwertigen Partner in den Planungsprozess müssen Bewusstseinsbildung und Stärkung der Identität der Dorfbewohner vorangehen. Voraussetzung für eigenständige Entwicklungs- und Erneuerungsprozesse im ländlichen Raum ist die Entwicklung regionaler Identität. Dies erfordert Be-wusstseinsbildung der Bevölkerung. Entsprechend diesen Anforderungen geht es um Bewusstmachen der eigenen Stärken, Entwicklung von Eigenverant-wortlichkeit, Schaffung eines geeigneten Diskussionsklimas, Aktivierung und Vernetzung lokaler und regionaler Potentiale. Das bewusste und unbewusste Wahrnehmen und Erkennen des Lebensraumes und der Möglichkeiten der Veränderung bestimmen das Verhalten der Menschen wesentlich. Bewussts-einsbildung hat sehr wesentlich mit Bildung zu tun: durch Ausbildung, durch gewonnene Fähigkeiten werden auch die Dialogbereitschaft, das persönliche Auftreten und die Artikulationsfähigkeit verbessert. Jeder der Beteiligten wird gleichwertiger Partner im Planungsprozess. Von der niederösterreichischen Dorf- und Stadterneuerung wurde daher auch die Initiative „Bildung und Begegnung“ gestartet, die es sich zum Ziel ge-macht hat, als offene Plattform für regionale Bildungszusammenarbeit zu fun-gieren. Von dieser Initiative erhofft man sich, dass auch auf örtlicher und regionaler Ebene Vereinigungen und Einzelpersonen stärker als bisher zusam-menarbeiten und der Zugang zu wichtigen Informationen und zur Weiterbil-dung leichter möglich ist. In zahlreichen niederösterreichischen Orten wird be-reits in diese Richtung gearbeitet. Ist es mancherorts eine Bibliothek, die sich zum örtlichen Bildungszentrum entwickelt, so sind es in andern Orten die Volkshochschule oder das Bildungswerk, die ihr Angebot erweitern.[6]

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These 11: Die Entwicklung innovativer Maßnahmen und positiver Veränderungen bedarf des Bewußtwerdens der vorhanden Potentiale einer Gemeinde und einer Region, auf die aufzubauen ist. These 12: Die Entwicklung von Risikobereitschaft der Bevölkerung zu neuen Orientierungen und auch Investitionen ist erforderlich, um einen wirtschaftlichen Aufschwung im ländlichen Raum zu erreichen. Diese beiden Thesen werden gemeinsam behandelt, weil sie in direktem Zu-sammenhang stehen und gemeinsam darzustellen und zu begründen sind. In einer Studie zu den Strukturentwicklungsmaßnahmen für die Region Aichfeld-Murboden [7] in der Steiermark wird der Schluss gezogen, dass die bisher geübte Betriebsansiedlungspolitik durch Förderungen meist nur kurzfristige Erfolge gebracht hat. Vorgeschlagen wird ein Alternativprogramm, das Maßnahmen aufzeigt, die eine Entwicklung der vorhandenen Ressourcen in der Region ermöglichen. Durch Förderungsmaßnahmen soll gesichert werden, dass Suchprozesse finanziert werden, die den Bewohnern einer Region helfen, selbständig Produkte und Dienstleistungen zu finden, die marktfähig und kri-sensicher sind. Damit kann eine autonome Entwicklung angeregt werden. Auch die heute immer stärker einsetzende Projektentwicklung im ländlichen Raum ist sehr kritisch zu betrachten. Projekte, die von „von außen“, die von ortsfremden Investoren ohne Rücksicht auf die Umgebung und die Bedürfnisse der Bevölkerung entwickelt werden, finden meist nur geringe Akzeptanz oder werden nicht angenommen. Innovative Maßnahmen und Entwicklungen sollen somit vorrangig aus der Region selbst kommen und auf die vorhanden Potenti-ale aufbauen. Innovations- und Entwicklungsprozesse in ländlichen Gebieten sind vielschichtig: Sie basieren auf dem Zusammenspiel vielfältiger, einander ergänzender Aktionen, die von unterschiedlichen Aktionsträgern durchgeführt werden. Unterschieden werden können 3 Arten von Innovationen:

• Mobilisierende innovative Aktionen, die Menschen sensibilisieren, be-wegen und gewinnen können und darauf abzielen, zwischen verschiede-nen Bevölkerungsgruppen und den Verantwortlichen der Wirtschaft Bindungen zu schaffen, Potentiale zu entdecken und den lokalen Akti-ven (wieder) Vertrauen zu geben. Die innovativen mobilisierenden Ak-tionen schaffen zwar nicht umgehend neue Wirtschaftsaktivitäten, sie machen sie aber möglich;

• Strukturierende innovative Aktionen, von zeitlich begrenzten punktuel-len Aktionen (bestimmten Projekten) aus soll das materielle oder im-materielle Umfeld des betroffenen Gebietes verändert werden, um es für andere Aktivitäten aufnahmefähiger zu machen. Es handelt sich somit um Aktionen, die im Nachhinein die Entwicklung von Wirtschaftsakti-

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vitäten oder die Gründung von Unternehmen ermöglichen. Zu dieser Art Innovationen zählen aber auch Maßnahmen zur Wahrung der „gemein-samen Güter“ (Landschaften, saubere Luft, Fauna, Flora, usw.);

• Konsolidierende innovative Aktionen, im Allgemeinen sind diese Aktio-nen in einem institutionellen oder unternehmerischen Umfeld angesie-delt. Sie führen zur Konsolidierung von Wirtschaftsaktivitäten in so vielfältigen Bereichen, wie Landwirtschaft und Ernährungswirtschaft, Handwerk, Fremdenverkehr, Dienstleistungen für die Bevölkerung, kul-turelle Angebote, Management natürlicher Ressourcen, usw. Diese Akti-onen setzen eigentlich die Möglichkeiten, die die beiden anderen Arten innovativer Aktionen eröffnet haben, in die Realität um. Ihre Umsetzung wird z.B. durch vorbereitende mobilisierende Aktionen erleichtert (z.B. durch Bürgerbeteiligung).

Die effiziente Umsetzung eines innovativen Entwicklungsprozesses erfordert eine gleichgewichtige Umsetzung der 3 Aktionsarten (Mobilisierung: „Men-schen gewinnen“, Strukturierung: „Kräfte bündeln“ und Konsolidierung: „Neues verankern, weiterentwickeln und Zukunftswege bauen“). Bei dem Ver-such, dieses Gleichgewicht zu schaffen, gibt es häufig Schwierigkeiten:

• In bestimmten Gebieten, die mit „mobilisierenden“ Arbeiten begonnen haben, kann es zu Schwierigkeiten beim Übergang zu „konsolidieren-den“ innovativen Aktionen kommen. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn der sozio-kulturelle Ansatz vorherrscht;

• Andere Gebiete, die vor allem „strukturierende“ Maßnahmen durchfüh-ren, sind nicht immer in der Lage, die erforderliche Mobilisierung der Bevölkerung und eine Konsolidierung der innovativen Aktionen zu erreichen. Dies ist häufig der Fall, wenn die Ausstattung des Gebietes wichtiger ist als die Entwicklung;

• In jenen Gebieten, wo vor allem wirtschaftliche Maßnahmen (Konsoli-dierung), ohne Berücksichtigung der beiden anderen nötigen Aktions-arten eingesetzt werden, fehlen die Grundlagen für einen lokalen und regionalen Entwicklungsprozess (Beteiligung, Aufbau von Einrichtun-gen, die Kräfte bündeln und z.B. einen Orientierungsrahmen für das ge-meinsame Handeln schaffen).

Die Entwicklung der ländlichen Gebiete ist mit einer Spirale vergleichbar, die die schrittweise Entwicklung hervorhebt. Jeder Schritt wird durch die Verbin-dung mobilisierender, strukturierender und konsolidierender innovativer Akti-onen möglich.

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Abb. 1: Die Entwicklungsspirale eines ländlichen Gebietes

Quelle: Europ. Beobachtungsstelle LEADER: ”Innovation u ländliche Entwicklung”, S. 43 Bereits realisierte Beispiele können dem weit verbreiteten Vorurteil entgegen-wirken, nach dem für einen „rückständigen“ ländlichen Raum (der technologi-sche, kulturelle und organisatorische Innovationen aus der Stadt kopiert) im-mer nur Lösungen zur Kompensation und Erleichterung gefunden werden müssen. So werden im ländlichen Raum innovative Problemlösungen gefun-den, die als Vorbild für die Lösung städtischer Probleme dienen könnten, z.B. zur Lösung des Problems der Arbeitslosigkeit, sozialer Ausgrenzung, Umwelt-verschmutzung, sozialer Isolation, usw. These 13: Finanzielle Zuschüsse und Förderungen für Planung und Umsetzung garantieren nicht den Erfolg eines Prozesses, wenn keine begleitenden Aktivitäten gesetzt werden. Zu Beginn der Dorferneuerung wurden vor allem Gestaltungsprojekte, wie etwa Gestaltung des Dorfplatzes, von Straßenräumen bestimmten öffentlichen Bauten, etc. gefördert. Die Planung und Realisierung waren bald abgeschlos-sen und damit endete oft auch das Engagement der Beteiligten. Um aber eine

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stärkere Nutzung lokaler geistiger Potentiale für den Ort und damit die Weiter-führung von Aktivitäten seitens der Bevölkerung zu erreichen, orientiert sich die Förderpolitik der Dorferneuerung in Niederösterreich an einem 4-Phasen-modell.[8] Ab 1.1.1999 werden nach den ersten (meistens 4 bis 5) Jahren in der Dorferneuerung nur mehr Maßnahmen der „geistigen Dorferneuerung" ge-fördert. Positive Modelle werden propagiert. Es wird erwartet, dass die Maß-nahmen Anstöße zu Aktivitäten in Richtung Bildungsmaßnahmen und örtlicher Kooperation geben werden. Auch mit den LEADER Programmen werden nicht die Kosten bestimmter baulicher Projekte gefördert, sondern Kreativität und Ideenreichtum der Be-völkerung und Projektentwicklung. Das Dorferneuerungs- bzw. Ortsentwicklungskonzept ist ein flexibles Instru-ment und hat keinen Verordnungscharakter. Ziel ist es daher, die Wünsche der Bevölkerung herauszufinden, ein Entwicklungsleitbild zu erarbeiten und auf-bauend auf diese Ergebnisse mit der kommunalen Entwicklungsplanung zu beginnen. Das Ergebnis dieses Planungsprozesses soll zu Zielen und Maßnah-men führen, die auch Verordnungscharakter erhalten. Die Umsetzung von Pro-jekten wird durch die Inanspruchnahme von Förderungsmittel unterstützt, aber eine Abwicklung durch begleitende Maßnahmen und Aktivitäten seitens der Planung, der Verwaltung bzw. einer Entwicklungsagentur ist ebenfalls erfor-derlich. Abschließende Bemerkungen Erfolgreiche Entwicklungs- und Erneuerungsprozesse im ländlichen Raum können auf unterschiedliche Weise verlaufen. Es gibt nicht den idealen Weg, ein ideales Instrument, das überall eingesetzt werden kann. Jedoch sind prob-lembezogene „maßgeschneiderte“, offene, iterative Planungsprozesse, bei denen der „Bottom-Up“-Ansatz im Vordergrund steht, erforderlich. Gefordert sind Entwicklungs- und Erneuerungsprozesse, die Planung und Prozess-begleitung beinhalten. Die bestehenden österreichischen Raumordnungs- und Raumplanungsinstrumente auf regionaler und kommunaler Ebene sehen diese Form von Planungen allerdings nur in Ansätzen vor (im Rahmen der Aktivitäten zur Dorferneuerung und Ortsentwicklung). Der Erfolg von Erneuerungs- und Entwicklungsprozessen ist wesentlich von der Zusammensetzung, dem Zusammenspiel und dem Engagement der Betei-ligten abhängig. Um Akzeptanz der Ergebnisse zu erreichen, ist die Beteiligung aller Bevölkerungsgruppen notwendig. Vom Planer wird in diesen Prozessen nicht nur fachliches Wissen gefordert, sondern vor allem Dialogbe-reitschaft und -fähigkeit. Die Gemeindevertreter müssen die Sachfragen und nicht die Parteipolitik in den Vordergrund stellen und die im ländlichen Raum

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bestehende größere Bereitschaft der Bevölkerung zur Beteiligung an dem Planungsprozess als Chance für ein abgestimmtes, umsetzungsorientiertes Er-gebnis ansehen und nicht als Bedrohung ihrer Position. Die Initiative zur Entwicklung und Erneuerung des Dorfes bzw. der Region muss aber von der Bevölkerung ausgehen (endogener Prozess). Veränderungen müssen gewollt sein und die gemeinsam entwickelten Maßnahmen und Pro-jekte von allen getragen werden, damit auch die Umsetzung gesichert ist. Vor-aussetzung für eine eigenständige Entwicklung des ländlichen Raumes ist Be-wusstseinsbildung der Bevölkerung („geistig-kulturelle“ Erneuerung), die zu einer Stärkung der regionalen Identität führt. Das Bewusstwerden der vorhan-denen Ressourcen, das Erkennen von deren Nutzungsmöglichkeiten und die Risikobereitschaft für Investitionen zur Umsetzung innovativer Projekte sind Voraussetzungen dafür. Verbesserung der Lebensverhältnisse im ländlichen Raum, die ganzheitlich orientiert alle Lebens- und Wirtschaftsbereiche umfas-sen soll bedarf eines regionalen Ansatzes.

Referenzen [1] Vgl. Lanner, S., in ”Dorferneuerung in Österreich - Stand und ausgewählte

Rahmenbedingungen”, ÖROK Schriftenreihe Nr. 62, Wien, 1988 [2] Institut für Kommunalwissenschaften der Konrad-Adenauer-Stiftung:

”Für das Dorf”, Deutscher Gemeindeverlag, Köln, 1983, S. 14 [3] Vgl. Lanner, S., in ”Dorferneuerung in Österreich - Stand und ausgewählte

Rahmenbedingungen”, ÖROK Schriftenreihe Nr. 62, Wien, 1988 [4] Kohr, L.: ”Das Ende der Großen - Zurück zum menschlichen Maß”,

Verlag ORAC, Wien 1986 [5] Pozarek, W. schlägt dafür als zuständige Behörde ein gewähltes

”Regionalparlament” vor (Interview am 18.3.1999) [6] Vgl. Trischler, K.: ”Neugierig ins 3.Jahrtausend”, im Magazin ”Leben in

der Stadt”, Frühling 1999, S. 14 [7] Freisitzer, K., zitiert in Schöller: ”Dorferneuerung - Anregung zum Mit-

machen”, Band 1, 1992, S. 41 [8] Richtlinien für die Erhaltung, Erneuerung und Entwicklung von Orten im

ländlichen Raum – Dorferneuerungsrichtlinien 1998

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Licht in der Stadt Antero Markelin Licht in der Stadt heißt tausende von Lichtquellen in den Häusern, in Schaufenstern, in Leuchtreklamen und in der Strasse. Wenn die Lichter in der Nacht ausgehen bleibt nur die Straßenbeleuchtung, die für die Sicherheit der Fußgänger und anderer Verkehrsteilnehmer sorgen soll. Danach kommen eventuelle weitere Aspekte. Die Planung dieser Art von Grundbeleuchtung liegt heute in der Hand der Techniker der kommunalen Stadtwerke, die ver-pflichtet sind, den Sicherheitsauftrag zu erfüllen. Bei auftretenden Missstän-den, wie Kriminalität, Verkehrsunfällen etc., werden sie gerufen um die Be-leuchtung zu verstärken. Für den Stadtplaner-Architekten wird die Lichtpla-nung interessant, wenn er damit weitere, gestalterische Ziele verfolgen kann. Solche sind u.a. die Betonung des Stadtbildes, der Wegeführung, der einzelnen Attraktionen usw. Manchmal können diese Ziele auch mit der Wahl der Stan-dardmittel verfolgt werden, oft sind aber zusätzliche Hilfen, Scheinwerfer etc., notwendig. Die Straßenbeleuchtung richtet sich hauptsächlich nach den Be-dürfnissen des Verkehrs; je mehr Verkehr desto mehr Licht, dies regeln die in-ternationalen Normen. Durch die Fußgängerzonen ist eine neue Variante in die Straßenbeleuchtung eingedrungen – eine helle, fußgängerfreundliche Beleuch-tung, während die Normen bisher nur eine schwache Beleuchtung der Park- und Fußwege kannten. Da die Straßenbeleuchtung nur die Verkehrssicherheit der Straße zu gewähr-leisten hat, nimmt sie in der Regel keine Rücksicht auf die bauliche Umge-bung. Die Straßen im Industriegebiet sind in gleicher Weise beleuchtet wie die Straßen im Zentrum. Sogar historische Plätze sind manchmal wie der Vorplatz eines Bahnhofs beleuchtet. Dasselbe Prinzip gilt für die Leuchten – technisch zweckmäßig und sachlich nüchtern ist die Devise im Leuchtendesign. Eine Ausnahme bilden die Laternen in den Fußgängerzonen, wo eine Vielfalt von Pracht-Barock bis futuristische Plastiken vertreten ist, nach dem Motto: Jeder Stadt ihre Leuchte.

Licht und das Stadtbild Wenn mit dem Stadtbild nicht nur die Türme und die Zinnen des alten Stadt-zentrums gemeint sind, sondern die gesamte Stadt mit ihren topografischen Merkmalen, mit ihrer Struktur, mit ihren typischen Bauweisen, dann soll die Straßenbeleuchtung dabei helfen, diese charakteristischen Züge bei Dunkelheit sichtbar zu machen. Dieses geschieht, indem die stadtgestalterischen Gesichts-punkte bei der Planung einer Straßenbeleuchtung berücksichtigt werden.

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Besser noch, wenn diese Planung ganze Bereiche mit Straßen und Plätzen betrifft, wo verschiedene Straßen unterschiedlich behandelt werden können. Schließlich ist es auch möglich, eine ganze Stadt von ihren Einfahrtsstraßen bis zum historischen Kern lichttechnisch zu gestalten. Dieses kann sogar unter Anwendung von Standardleuchten geschehen. Es gilt, die vorhandene Palette von Straßenleuchten und Leuchtenmasten oder andere Befestigungsanlagen in einer differenzierteren Weise zu benutzen als bisher. Einfache Möglichkeiten bietet z.B. eine niedrigere Anbringungshöhe, also mit kürzeren Masten in kürzeren Abständen, welche dichtere Lichtketten mit niedrigerer Nennleistung bilden. Die unterschiedlichen lichttechnischen Eigenschaften der Leuchten bieten ein weiteres Mittel, um alternative Beleuchtungswirkungen zu erzielen. Eine Leuchte, deren Lichtkegel strikt nach unten gerichtet ist, lässt die umliegenden Gebäude im Dunkeln, eine Leuchte dagegen, die auch Streulicht verbreitet, lässt die Gebäude sichtbar werden. Ebenso bietet die Farbe des Lichtes Mög-lichkeiten zur Variation. Straßenleuchten erfüllen ihre Aufgabe nur nachts. Am Tage sind sie Straßen-möbel, manchmal lästig, weil sie immer in großen Mengen erscheinen. Die Straßenlaterne ist das älteste Straßenmöbel überhaupt und beherrscht heute noch mengenmäßig das Straßenbild. Die eigentliche Geschichte der Laternen fängt etwa Mitte des 19. Jahrhunderts mit der Gaslaterne an. Da ihre Licht-quelle relativ schwach war, konnte sie nur in ca. 3,5 m Höhe angebracht wer-den. Diese Höhe hat sich für Fußgängerwege eingebürgert, nicht zuletzt weil sie es ermöglicht, die Gesichter der Passanten zu erkennen. Manchmal werden Leuchten auf Spanndrähten über die Strasse aufgehängt, von wo sie die Fahrbahn gut ausleuchten und der Straßenreinigung manchen Ärger sparen, weil auf die vielen Masten nicht acht gegeben werden muss. Doch Drähte fügen sich schlecht in das Straßenbild, sie müssen oft in histori-schen Fassaden verankert werden und wirken als Ganzes wie eine provisori-sche Hilfskonstruktion. Die heutige Tendenz ist gegen die Drahtaufhängung zugunsten eines bereinigten Straßenbildes. Dieses wird von dem Wunsch unterstützt, die Bürgersteige, den Raum der Fußgänger besser beleuchten zu wollen. Die Innenstadt von Paris ist z.B. ausschließlich von Mastleuchten oder von Wandarmleuchten ohne Drähte beleuchtet.

Beleuchtungskonzepte Wie schon angedeutet, lassen sich die verschiedenen Möglichkeiten der Straßenbeleuchtung gestalterisch zu Beleuchtungskonzepten erarbeiten. Diese können sich auf gewisse stadtbildmäßig bedeutende Plätze oder Strassen be-

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grenzen, was bisher meistens der Fall war. Ein Konzept kann auch einen gan-zen Stadtteil oder – wie schon erwähnt – eine ganze Stadt betreffen. Der Aus-gangspunkt eines solchen Konzeptes kann nur die Stadt oder der betreffende Stadtraum selbst sein. Hier muss sich der Beleuchtungsplaner auf gleiche Analysemethoden wie auch der Stadtgestalter stützen, er sucht nach charakte-ristischen Merkmalen, Breiten und Höhen der Straßenräume, historisch wert-vollen Bereichen und denkmalgeschützten Gebäuden. Ebenso wichtig sind Grenzbereiche zwischen Wasser und Grünraum oder Grünraum und bebauten Vierteln. Es kann z.B. ein mitten durch die Stadt fließender Fluss eine Haupt-rolle im Stadtbild spielen, die besonders bei Dunkelheit zur Geltung kommt. Nach der allerersten Anforderung nach der Sicherheit können bei der Lichtpla-nung unterschiedliche Aspekte berücksichtigt werden. Bei der Dunkelheit er-hält die Orientierung eine maßgebliche Rolle, da sie als ein wesentlicher Be-standteil zum Sicherheitsgefühl des Fußgängers beiträgt. Der Orientierung die-nen z.B. gut sichtbare, bekannte (und beleuchtete) Bauten, Kirchen, topogra-phische Formen usw. Historische Bauten, alte Bäume und Parkanlagen geben zeitliche Perspektiven. Zugleich unterstützen sie die Identität des Ortes und tragen zum Heimatgefühl der Bewohner bei. Diese, aus der Stadtgestaltungs-theorie gewonnenen Erkenntnisse gelten gleichermaßen bei Tag und Nacht. Ein wichtiges Mittel bei der Lichtplanung ist das Wechselspiel zwischen Hell und Dunkel. Helligkeit wird also vom Betrachter als freundlich, lebendig und sicher empfunden und Dunkelheit umgekehrt. Jetzt können diese Wirkungen auch umgekehrt verwendet werden, z.B. indem spotartige Leuchten verwendet werden, die den Boden gut beleuchten, aber die Umgebung dunkel wirken las-sen, wie im Nachtclub. Ähnlich können Leuchten verwendet werden, die rundum weißes Licht ausstrahlen, aber den Boden nur schwach beleuchten. Diese Leuchten, z.B. die weiße Opalkugel, verbreiten eine allgemeine Hellig-keit um sich und machen Bäume, Hauswände sichtbar. Die Lichtplanung rich-tet sich auch nach den Funktionen der Stadt und unterstützt sie. Wo viele Men-schen sich bewegen, muss es hell sein, z.B. in den Fußgängerzonen. Außerdem sieht das Zentrum nach Mitternacht anders aus. Die Sonderbeleuchtungen ge-hen aus und den Rest zu beleuchten, bleibt Aufgabe der Stadtwerke. Der Bau einer Außenbeleuchtungsanlage bedeutet den Bau von Fundamenten für Leuchtenmasten, Kabelverlegungen, Schaltzentrale etc. Diese Arbeiten werden am günstigsten im Zusammenhang mit anderen Reparaturen von Wasserleitungen, Straßenbelägen, Gartenarbeiten etc. ausgeführt.

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Abb. 1. Prinzipskizze von der Beleuchtung eines kleinen, historischen Platzes bei Anwendung von Streulicht. (A. Markelin)

Abb. 2. Skizze zur Beleuchtung einer dominierenden Strasse in Turku / Finnland. Ausgeführt 1995 (A. Markelin)

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Die Auswahl der Leuchten und dazugehörenden Masten gilt als die notwen-dige Kür bei den meisten Beleuchtungsprojekten. Die Entwicklung einer total neuen Leuchte ist durch die Flexibilität des Leuchtenherstellers manchmal auch möglich, um eine neue und individuelle Kombination von Leuchte, Mast und Farbe zu finden. Als ein neuer Aspekt treten heute Fragen der Ökologie auf, besonders im Be-zug auf Vögel und Nachtfalter, die in Massen von den blass leuchtenden Quicksilberdampflampen angezogen werden und dabei verenden. Das führt zur Überprüfung der empfohlenen Lichtquellen zu Gunsten von gelblichem Licht.

Beispiele Einige Städte haben größere oder kleinere Beleuchtungskonzepte verwirklicht. Das leuchtende Beispiel ist Lyon, wo die Stadt seit mehreren Jahren ihre öf-fentlichen Räume mit dem Schwerpunkt Licht erneuert. In Colmar wurde die Altstadt in den letzten Jahren mit neuen Beleuchtungsanlagen versehen. Größtenteils sind es Bodenscheinwerfer, die in die Bürgersteige versenkt wurden. Nach wie vor ist Paris ein Vorbild, was Stadtbeleuchtung und Stadt-möblierung betrifft. Ein interessantes Beispiel ist St.Pölten in Niederösterreich, wo der Rathaus-platz von dem Wiener Architekten Boris Podrecca umgebaut und mit einer raf-finierten Lichtanlage versehen wurde. Hier ist es möglich, unterschiedliche Beleuchtungswirkungen – von der Nachtschaltung bis zur Festbeleuchtung – zu variieren.

Literaturhinweis Gutes Licht für Straßen, Plätze, Parkanlagen; Fördergemeinschaft Gutes Licht, Frankfurt / Main.

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Projektierte Forschungsarbeiten des Institutes für Räumliche Interaktion und Simulation: Ein Überblick Bob Martens, Andreas Voigt Der nachfolgende Beitrag vermittelt in programmatischer Art geplante For-schungsprojekte, die im Rahmen des Institutes für Räumliche Interaktion und Simulation mittelfristig und nach Maßgabe der Möglichkeiten (weiter-) bear-beitet werden sollen. Der Themenbogen umfasst die virtuelle Rekonstruktion von nicht mehr existenten architektonischen Objekten, die Entwicklung eines Instrumentariums zur Vermittlung räumlich-komplexer Situationen, die Kon-zeption und schrittweise Entwicklung eines Stadtsimulators, die Weiterent-wicklung einer dynamisch-endoskopischen Modellbetrachtung bis hin zu neuen Formen der Zusammenarbeit im Planungs- und Entwurfsprozess. Im Mittel-punkt steht die Weiterentwicklung verschiedener Techniken raumbezogener Simulation, die zur Gewinnung neuer räumlicher Vorstellungen, zu einer Ver-besserung der Planungsqualität und Entscheidungsfindung in Planungs- und Gestaltungsprozessen beitragen sollen. Virtuelle Rekonstruktion von Wiener Synagogen Wissenschaftliche Grundlagenrecherche und dreidimensionale Dokumentation

Die digitale Visualisierung nicht länger existenter (Architektur-) Objekte im stadträumlichen Kontext, kommt einer “virtuellen Wiedergewinnung” gleich. Irreversible Zerstörungen, welche über die Zeiten hinweg identitätsstiftende Bauwerke aus dem Stadtraum entfernten, bilden den Anlass für den Versuch der Imaginierung. Im Zuge der Rekonstruktion tritt zunächst die Problematik der Zuverlässigkeit des vorhandenen Grundlagenmaterials in den Vordergrund. Fotografien liefern aufgrund der zweidimensionalen Speicherung nur einen ein-geschränkten Informationsgehalt über den Gegenstand der Betrachtung. Feh-lende Teile müssen ergänzt bzw. durch zusätzliche Quellen ersetzt werden. Innerhalb des Prozesses der Überlagerung unterschiedlicher Datensätze tritt die Art und Weise des Umganges mit jener Fragmentiertheit in den Mittelpunkt der Betrachtung. Die Auswahl an Information erhält Priorität. Zu den elementaren Informationen bezüglich der Wahrnehmung dreidimensionaler Objekte zählt zweifellos auch die Wirkung, welche von Farbe und Material ausgeht, Schwarz/Weißaufnahmen sind diesbezüglich kaum validierbar. Ohne Zweifel offeriert das dreidimensional rekonstruierte Objekt ungleich erweiterte Mög-lichkeiten im darauf folgenden Arbeitsprozess als etwa ein “Pappmodell mit aufgeklebter Fassadenfotografie”. Erst die vollständig durchgebildete digitale

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Modellstruktur gestattet es, die plastische Erscheinungsform einer Architektur zu veranschaulichen. Darüber hinaus kann ein virtuelles Modell in Teilmodelle zerlegt werden, ohne dass diese “Zerlegungen” einen Vernichtungsprozess nach sich ziehen. Abseits dessen gestattet das virtuelle Modell die Generierung von unterschiedlichen Rekonstruktionsvarianten hinsichtlich Farbe und Material. Architekturmodelle physischer Natur, unterliegen überdies einer örtlichen Gebundenheit. Die Erfahrungen mit der Rekonstruktion einer Synagoge in der Neudeggergasse (Wien) zeigten, dass die wirksame Wiederherstellung herbei-geführt und somit eine intensive Auseinandersetzung mit der Geschichte in Gang gesetzt werden kann. Die Implementierung computergenerierter Bau-strukturen in einer zusammengefügten Realbildumgebung vermag es, ergänzt durch “Navigation in Echtzeit” eine Wirklichkeitsnähe zu erlangen, welche sich den komplexen Vorgängen der menschlichen Wahrnehmung anzunähern trach-tet. Es ist geplant, weitere Wiener Synagogen in ähnlicher Weise zu rekon-struieren, wobei zunächst die wissenschaftliche Aufarbeitung bzw. dreidimen-sionale Dokumentation des baulichen Bestandes im Vordergrund steht.

Referenzen [1] Genée, Pierre: Synagogen in Österreich. Wien: Löcker Verlag, 1992. [2] Genée, Pierre: Wiener Synagogen 1825-1938. Wien: Löcker Verlag,

1987. [3] Krinsky, Carol H.: Europas Synagogen. Sttuttgart: DVA, 1988. [4] Martens, Bob; Uhl, Matthias; Tschuppik, Wolf-Michael, Voigt, Andreas:

“Synagogue Neudeggergasse: A Virtual Reconstruction in Vienna”, in: Constructing the Digital Space [Proceedings IVth Sigradi-Conference Rio de Janeiro], 2000, S. 165-170.

[5] Martens Bob; Herbert, Peter: "Virtual Reconstruction of Synagogues Systematic Maintenance of Modeling Data", in: Connecting the Real and the Virtual [20th eCAADe Conference Proceedings] Warsaw (Poland) 18-20 September 2002, pp. 512-517.

Die Entwicklung eines Instrumentariums zur Vermittlung räumlich-komplexer Konstellationen Zielgerichtete Explorationen an Hand der Darstellungstechnik CUBIC-VR®

Die Erzeugung “virtueller” Räume mittels QuickTime®VR (kurz: QTVR) basiert auf dem Prinzip verzweigbarer Bildsequenzen, d.h. es werden verschie-dene Bildsegmente – welche räumlichen Navigationspfaden entsprechen – an vordefinierten Knotenpunkten zusammengeführt. Der Benutzer kann an diesen Knotenpunkten den Verlauf der vorab definierten Szenerie bestimmen. Die Einzelszenerie wird hiezu auf einen virtuellen Zylinder abgebildet. Die nahtlos

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aneinander gefügten Bildteile einer Szenerie gestatten im Zuge dessen eine 360 Graddrehung in der Horizontalen. Inzwischen wurde von der Firma Apple auch die Cubic-VR®-Technik verfügbar gemacht. Bearbeitbarer Ausgangs-punkt dieser Technologie ist nicht mehr länger ein Zylinder, sondern ein Wür-fel, dessen Mantelflächen mit Fußboden-, Decken- und Wandmappings zu applizieren sind. Im Zuge einer Cubic-VR®-Darstellung fällt dem Betrachter unmittelbar auf, dass er den Blick fließend nach "oben" oder nach "unten" - wie auch in der Horizontalen “wandern” zu lassen im Stande ist. Die erreichte Bewegungsfreiheit kommt den Möglichkeiten des menschlichen Körpers, resp. des Kopfes, verhältnismäßig nahe; mehr noch, sie übertrifft diese sogar. Die euklidische Basis, der Würfel, ist dabei für gewöhnlich nicht mehr erkennbar und dient lediglich als “Untergrund” für das zu implementierende Bildmaterial. Dieses Verfahren lässt sich sowohl für Innen-, als auch für Außenräume zur Anwendung bringen. Jedoch ist es nicht allein die Möglichkeit zur Wiedergabe realer, wie auch computergestützt gerechneter räumlicher Konstellationen, welche der Cubic-VR®-Technik zu eigen ist. Diese bietet ihren Nutzern viel-mehr einen vollständig dreidimensional erfahrbaren Raum, oder vielmehr eine “Bildbühne”. Die Art und Weise der “Bespielung” schien zwar bis dato, wie dies auch mit dem QTVR-Format praktiziert wurde, auf der Hand zu liegen. Ihr tatsächliches Potenzial könnte jedoch weitreichender angelegt werden. Hiezu ist es notwendig, die Seitenflächen des Würfels als zu bespielende Ab-bildungsflächen zu begreifen. Der Würfel gestattet uns, sechs Seiten eines dreidimensional erfahrbaren räumlichen Gebildes mit Information auszustat-ten. Die Art und Weise der eingebrachten Bildinformation scheint, löst man sich einmal von der Vorstellung einer reinen Raumwiedergabe, nicht be-schränkt. Gegenstand des vorliegenden Forschungsthemas ist es, den Möglich-keiten einer “alternativen” Nutzung der Cubic-VR®-Technik näher zu kom-men. Im Zuge einer überschaubaren Anzahl an explorativen Räumen soll das Potenzial dieser Technik untersucht werden und dessen Potenzial zur Ver-mittlung räumlich komplexer Gebilde ausgelotet werden.

Referenzen [1] Ames, Adelbert: The Ames Demonstrations in Perception. New York:

Hafner Pub. Co., 1968. [2] Hotten, Robert D.; Peter R.: “The Resurgence of the 360-Degree Pano-

ramic View as a Form ff Computer-Synthesised Architectural Represen-tation“, in Proceedings ACADIA 2000 - Washington D.C., pp. 155-162.

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Stadtsimulator Prototypische Entwicklung einer Simulationseinrichtung

Raumbezogene Simulationstechniken gelangen für gewöhnlich singulär zum Einsatz. Eine Unterscheidung einzelner Wirklichkeiten hinsichtlich ihrer Quali-tät ist kaum zielführend. Vielmehr bedarf es einer Betrachtung im Sinne unter-schiedlicher Gradienten an Wirklichkeitsnähe. Beschreitet man den Weg der Integration derartiger Techniken, kommen unerwartete Synergien zum Tragen. Die Implementierung virtueller Realitäten innerhalb realmaßstäblicher Simula-tionen gestattet beispielsweise sinnvolle Erweiterungen und Ergänzungen über die engen Grenzen der baulichen Wirklichkeit hinaus. Im Sinne einer wir-kungsvollen Integration verhelfen die Vorteile der implementierten Simulati-onstechnik der “Quellsimulation” zu erhöhter Wirksamkeit. Diese Wirksamkeit zu erkennen, bedarf der Kommunikation, welche zwangsläufig eine Evaluation der eingesetzten Mittel nach sich zieht, schließlich muss dieses Simulations-netzwerk entsprechend ausgewertet werden. Realitäten unterschiedlichsten Ur-sprungs und deren Überlagerung resp. deren Zusammenführung kreieren einge-ständige Erlebniswelten, deren Qualitäten abseits der physischen Realität zu suchen sind. Derart werden Maßstabssprünge ebenso denkbar wie der Ansatz zur Überwindung zeitlich-räumlicher Barrieren. Die in adäquater Weise einge-setzte Hochleistungsgraphik verhilft dem bruchstückhaften Konglomerat zum Schritt in Richtung eines fließenden Erlebnisraumes. Die Thematik des Stadt-simulators verlangt nach einer derartigen Integration unterschiedlicher Simula-tionstechniken. Die Zielvorstellung des Forschungsprojektes ist es, die stadt-räumliche Vision, welche ob ihrer Dimension bis dato schwer fassbar war, auf breiter Basis zugänglich zu machen.

Referenzen [1] Keul, Alexander G.: “Lost in space? Architectural Psychology - Past,

Present, Future”, in: Martens, B. (Ed.), Full-scale Modeling in the Age of Virtual Reality [Proceedings of the 6th European Full-scale Modeling Association Conference in Vienna], Vienna: ÖKK-Verlag, 1996.

[2] Markelin, Antero; Fahle, Bernd: Umweltsimulation, Stuttgart: Krämer, 1979.

[3] Schmitt, Gerhard: Architectura et Machina. Computer Aided Architec-tural Design und Virtuelle Architektur. Wiesbaden: Vieweg, 1993.

[4] Schönberger, Andrea (Hrsg.): Simulation und Wirklichkeit. Köln: DuMont, 1988.

[5] Schwanzer, Berthold: Modell und Wirklichkeit. Wien: Modulverlag, 1987.

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Dynamisch-endoskopische Modellbetrachtung High-End-Entwicklung von Bewegungsverfahren und Realbildsimulationen

Bereits in den siebziger Jahren wurden erste Erfahrungen mit endoskopischer Modellbetrachtung im Bereich der Architektur und des Städtebaues gemacht. Es wird zu diesem Zwecke ein Endoskop in das Modell der künftigen Archi-tektur- und Stadträume geführt; am Monitor zeigt sich eine annähernd reale Sicht des neuen Gebäude- bzw. Stadtteiles. Der Betrachter erhält somit durch die endoskopische Aufnahme die gewohnte Blickhöhe und die Perspektive etwa eines Fußgängers (denn allzu oft werden Planungsmodelle von Häusern oder Stadtteilen überwiegend aus der Vogelperspektive beurteilt). Es wurden inzwi-schen an mehreren universitären Standorten mechanische Installationen mit verhältnismäßig beschränkten Mitteln entwickelt, um endoskopische Fahrten in einem baulichen Modell, beispielsweise eine Simulation des räumlichen Erleb-nisses aus der Sicht eines Autofahrers, zu ermöglichen. Ziel dieses Projektes ist es, aufbauend auf bisherigen Erfahrungen mit low-cost-Simulationen, high-end-Entwicklungen zu antizipieren. So kann mittels eines robotisierten Camera Rigs ein wesentlich naturgetreuerer Bewegungsablauf simuliert werden. Zu die-sem Zwecke wird im Rahmen dieses Forschungsprojektes eine entsprechend computergesteuerte Installation auf der Grundlage industrieller Komponenten entwickelt. Darüber hinaus soll eine wirkungsvolle Implementierung der hoch-auflösenden Video-Endoskopie (4-CCD-Aufnahmetechnologie) platzgreifen. Durch die damit zusammenhängende Entwicklung von Bluebox- und Mapping-Verfahren kann das Gebiet der Realbildsimulation erstmals in vollem Umfang bearbeitet werden. Die Auseinandersetzung mit der Stereo-Endoskopie stellt im Bereich der Architekturplanung ein nahezu unerforschtes Neuland dar. Dreidi-mensionale Aspekte räumlicher Planung können mittels stereoskopischer Dar-stellung wirkungsvoll vermittelt werden. Die begleitende Wirkungsforschung soll in allen Phasen des Projektes als kontrollierendes Instrument eingesetzt werden.

Referenzen [1] Aura, Seppo (et.al.): Endoscopy as a Tool in Architecture. Proceedings

EAEA-Conference. Tampere, 1993. [2] Hardie, G.J.: "Community participation based on threedimensional

simulation models", in: Design Studies, 9(1988) nr. 1, p. 56-61. [3] Hirche, Mathias: "Technische Architekturdarstellung", in: Bauwelt

(1987) 1/2, p. 46-51. [4] Janssens, Jan und Küller, Rikard: "Utilizing an Environmental Simulation

laboratory in Sweden", in: Smardon, R.C. (u.a.). Offprint from: Founda-tions for visual Project Analysis. J. Wiley & Sons, 1986, p. 265-275.

[5] Keul, Alexander; Martens, Bob: “Simulation - How Does it Shape the

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Message?”, in: Martens, Bob (Ed.). The Future of Endoscopy. Proceed-ings EAEA-Conference. Vienna, 1995.

[6] Markelin, Antero und Fahle, Bernd: "Periskopische Modellsimulation", in: Umweltsimulation, Stuttgart: Krämer, 1979, p. 53-56.

[7] Martens, Bob: Räumliche Simulationstechniken in der Architektur. Wege zu einer neuzeitlichen Raumgestaltung. Frankfurt a.M.: Lang Verlag, 1995 [Europäische Hochschulschriften - 37 - Architektur].

[8] Thomas, Wolfgang; Rosche-Terfrüchte, Maria: Umweltsimulation. Be-richt zu einem Forschungsprojekt. Universität/GH Essen [Arbeitsgruppe Umweltsimulation], 1987.

Remote Teamwork Neue Formen der Zusammenarbeit im Planungs- und Entwurfsprozess

Die Notwendigkeit zur Zusammenarbeit über die engen Grenzen räumlicher Gegebenheiten hinweg, macht auch vor dem Arbeitsfeld der Architektur und Raumplanung nicht halt. Speziell der hohe Grad an visueller Information, wel-che sich beispielsweise per Telefon nur marginal übermitteln lässt, macht die Beschäftigung mit neuartigen Technologien des Informationstransfers unum-gänglich. Die Thematik des “Remote Teamwork” gestattet es, essentielle In-formationen, über die Dislokation der Beteiligten hinaus, auszutauschen. Räumlich bedingte Einschnürungen im Bereich des Informationsaustausches innerhalb entlegener Regionen können somit nachhaltig hintangehalten wer-den. Mehr noch, Lehrinhalte werden (a-) synchron mittels Videoconferencing bzw. Videoserver zugänglich. Die Synchronübertragung von Bild und Ton (ggf. mit einem sog. Whiteboard) ist dennoch aufwendig und erfordert daher neben einer leistungsfähigen Hard- und Softwarekonfiguration auch eine ent-sprechende Datentransferkapazität. Seit Ende 1993 fanden regelmäßig Versu-che mit Videoconferencing (zunächst über IP, später auch mittels ATM) statt. Rückblickend können die bisherigen Anstrengungen als echte Pionierarbeiten qualifiziert werden, die im Rahmen dieses Forschungsthemas fortgeführt wer-den sollen. Referenzen

[1] Martens, Bob; Voigt, Andreas; Linzer, Helena: „Remote Teamwork CISP-CIVIC“, in: Jakimowicz, A. (Ed.), Approaches to Computer Aided Architectural Composition, 1996, pp. 153-161.

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Raumanspruch im Wandel: Raumeroberung – Raumnutzung – Raumvernichtung Michael Martischnig

Höhenflucht Nach wie vor wandert in Österreich pro Woche nahezu ein ganzes Dorf in die Stadt. Speziell die Höhenflucht – zum Unterschied von der Landflucht, die in die Stadt strebt – hat erschreckende Formen angenommen. Immer mehr höchst- und hochbesiedelte Anwesen werden als einst mühsam errungene Vor-posten menschlicher Kultur gegenüber dem Urland des Hochgebirges verlas-sen und zu Gunsten von Talgehöften aufgegeben, denn dorthin lockt leichtere und erträglichere Arbeit. Es wird augenscheinlich, dass in Zeiten prosperie-renden Wirtschaftswachstums niemand gewillt ist, sein Leben einem Dasein zu opfern, das aus harter Arbeit, Verzicht, finanziellen Schwierigkeiten und stän-diger Bedrohtheit durch die Kräfte der Natur besteht. Verständlicherweise sind es gerade jüngere, dynamische und leistungsfähige Menschen, die den alpinen Raum verlassen, um den Lockungen besserer Lebens- und Arbeitsbedingungen zu erliegen. Mit dem Rückgang der Heimgehöfte fallen auch gleichzeitig immer mehr Almen brach. Be- und Entwässerungsanlagen verfallen, Weiderechte werden nicht mehr genutzt, verholzte Gräser locken kein Wild, junger Waldanflug ver-wildert die einst fruchtbaren Matten, Steige werden nicht mehr in Stand gehal-ten, Landstriche veröden. So fielen besonders in Gebieten mit stark ausgepräg-ten Grenzertragsböden zahlreiche Betriebsflächen, die unsere Vorfahren gero-det und in Jahrhunderte langer Arbeit kultiviert hatten, dem extensiven Wild-wuchs anheim. Im Laufe der Geschichte gab es öfter ein Auf und Ab der Kultivierungsgren-zen, einen Wechsel von Kontraktion und Expansion. Schon in den Tiroler Kammerraitbüchern von 1290 bis 1350 ist öfter von „curiae desertae“ die Rede, also von einem Rückgang der bereits urbar gemachten Dauerwohnge-biete. Als im 17. und 18. Jahrhundert die ländliche Bevölkerung rasch zunahm und ein Mangel an Land entstand, bewirkte der Druck der Einwohner, dass die kolonisierenden Ansiedler in hoch gelegene Regionen vordrangen. Es ist be-greiflich, dass eine Rückentwicklung einsetzte, sobald Räume mit besseren Lebensbedingungen frei wurden. Bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts waren Land- und Forstwirtschaft neben einem regen, in seiner Bedeutung heute häufig unterschätzten Hausgewerbe

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die ökonomischen Grundlagen der Bevölkerung in der Alpenregion. Hier sollte auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts gezielte, vorausschauende Wirtschafts- und Strukturpolitik die Sicherstellung der land- und forstwirtschaftlichen Produktion trotz oder gerade wegen der geplanten EU-Ost-Erweiterung ermög-lichen und in den verschiedenen Sparten des Fremdenverkehrs einen Zusatz-verdienst bescheren. Dieser Zuerwerb muss die Möglichkeit bieten, die immer größer werdende Einkommensdisparität zwischen Berg- und Flachlandbetrie-ben und nichtlandwirtschaftlichen Berufszweigen auszugleichen. Auch hat im Sinne eines umfassenden Umweltschutzes die eminent wichtige Rolle der Ge-birgsbauern als Erhalter unserer Kulturlandschaft gebührend beachtet zu wer-den, will man nicht den von Jahr zu Jahr immer mehr an Bedeutung gewinnen-den Erholungswert für die heutige Freizeitgesellschaft verlieren, die Fremden das Landschaftserlebnis missen lassen und letzten Endes die Preisgabe unwie-derbringlichen Nährbodens und die Bedrohung existentieller Lebensvoraus-setzungen der Unterlieger durch Verhinderung von Erosion, Wildbächen, Muren und Lawinen riskieren! Jüngste Hochwasserereignisse mit Schäden in Höhe von Milliarden Euro sollten dies eigentlich drastisch genug vor Augen geführt haben! Unter diesem Aspekt muss man die Funktion des Bergbauern in der Alpenregion neu definieren, indem sie nicht primär in der Nahrungsmittel-produktion liegt, sondern in der Erfüllung erforderlicher infrastruktureller Leistungen. Doch fallen die Prämien zur Förderung der Offenhaltung von Grünflächen etc. samt direkten Einkommenszuschüssen noch recht bescheiden aus.

Landflucht Im Zuge der Industrialisierung war ein tiefgreifender Strukturwandel notwen-dig. Einst erstreckte sich die Abwanderung nur auf den Geburtenüberschuss, also auf die nicht erbenden Geschwister. Doch der zunehmende Bedarf der In-dustrie an Berufstätigen bewirkte einen starken Sog auf das in der Landwirt-schaft vorhandene Reservoir an Arbeitskräften, dessen Verminderung erst ein wirtschaftliches Wachstum bei gleichzeitigem technischen Fortschritt ermög-lichte. Durch die Hilfe der innovativen Landtechnik, durch verbessertes Saat-gut und weiterentwickelten Pflanzenschutz reichte ein immer geringerer Pro-zentsatz an Landwirten aus, um die Produktivität bedeutend zu erhöhen, aber auch die ehedem für die Zugtierhaltung nötigen Futterflächen für die Erzeu-gung menschlicher Nahrungsmittel frei zu bekommen. Räume mit natürlichen, geordneten und leistungsfähigen agrarstrukturellen Voraussetzungen sollten bevorzugt bäuerlichen Betrieben vorbehalten bleiben, um eine Konzentration der Bewirtschaftung auf optimale Standorte zu ermög-lichen, unrentable Flächen aber anderen Zwecken zugeführt werden. Damit könnte man einerseits die besonders in den auf Attraktivität angewiesenen

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Fremdenverkehrsgebieten immer mehr zum Problem werdende Erscheinung der Sozialbrache einschränken, andererseits statt der auf wenige große Ver-dichtungsräume beschränkte, zerstörend ausufernde Siedlungsentwicklung das zukunftsorientierte Leitbild einer neuen räumlichen Ordnung auf gegliederten Entwicklungsachsen mit zentralen Orten entlang den an die naturräumlichen Gegebenheiten angepassten Hauptverkehrslinien realisieren. Die ländliche Lebensgemeinschaft verliert mit jedem Abwanderer ein wertvol-les Glied. Kritisch ist es, seitdem die Landflucht die Substanz angriff und eine andauernde Entvölkerung bewirkte. Gleichzeitig führt dies zu einer weiteren Verdichtung in den Ballungsräumen; schon heute lebt rund die Hälfte der Be-völkerung Österreichs in Großstädten. Die immer enger werdende wirtschaftli-che wie politische Verzahnung von Land und Stadt führt dazu, dass die Gren-zen und Unterschiede zwischen diesen sozial und soziologisch verschieden strukturierten Räumen immer mehr verschwinden; zusätzliche Raumordnungs-probleme ergeben sich etwa aus der extremen Randlage der Bundeshauptstadt. Städtebauliche Nutzung bringt, unabhängig von der landwirtschaftlichen Bodengüte, einzelwirtschaftlich höhere Erträge als jede andere Verwendbarkeit wegen der hohen Grundablösen.

Stadtraum Die industriellen Unternehmen haben in den großen Zentren längst ihre Ent-wicklungsmöglichkeit aus Raum- und Kostengründen verloren; einzig die Dienstleistungsbetriebe können und müssen sich auf die City konzentrieren, um Existenzvoraussetzungen zu finden. Die teilweise Verlagerung des Trans-ports auf die Straße und das günstigere Arbeitskräftepotential im ländlichen Raum ermöglichten einen konzentrierten Ausbau mittelbetrieblicher Industrie-parks in Gemeinden zentralörtlicher Bedeutung. Weltweit gleich sind die Probleme der Stadtplaner hinsichtlich der Verteilung der Arbeitsplätze, Bewältigung des Verkehrs, der Ver- und Entsorgung und des gesamten Umweltschutzes. So kannte man um 1900 die „Stadtregulierung“ als Leitinstrument des Stadtwachstums; bei der folgenden „Stadtplanung“ stand die Flächenwidmung des Gesamtareals im Vordergrund. Es folgte die „Stadter-weiterung“ und dann die „Stadterneuerung“ mit der Sanierung historischer Stadtkerne. Letztlich ging man zum „Stadtentwicklungs“-Denken über, bei dem alle Faktoren städtischen Lebens in Reurbanisierungskonzepte einbezogen wurden. Eine städtebauliche Verflechtung von Technologie und Natur, von Produkti-vität und Rekreation wurde angestrebt, war aber nicht zufriedenstellend. In der

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so genannten „Charta von Athen“ von 1933 wurde als Mittel gegen die dama-lige städtische Evolution eine streng formulierte Zonenteilung in Funktions-kreise, in Wohnen, Arbeiten, Verkehr und Erholung verordnet; alles sollte durchgrünt, durchsonnt, entballt sein. Dieses Credo mehrerer Architekten-generationen ist heute zum Alptraum der Städteplaner geworden: Es paraly-sierte alle Lebens- und Leistungsfunktionen in Antistädten, überdimensionalen Haufendörfern, zog die Verödung der City bis zum „urbanen Brachland“ in qualitativer und quantitativer Hinsicht nach sich, brachte im Stadtkern und auch am Rand ungeheure soziologische und psychologische Fehlent-wicklungen, volkswirtschaftliche Verluste, uferlose Ausdehnung und Zersiede-lung des Stadt-Umlandes usf. Dabei trieben zwei typische Formen pseudostäd-tischer Agglomeration die „Große Landzerstörung“ – der Ausdruck stammt vom Deutschen Werkbund – vorwärts: die notdürftig geordnete Anhäufung individueller Villen-Vororte und der genossenschaftlich und kommunal diri-gierte Aufmarsch silierender Wohnblocks; in ersteren wucherten lächerliche Haus- und Gartenfantasien, letztere pressten containermäßig ihre „Ein-Woh-ner“ in die Uniform unerträglicher Monotonie. Das verhüttelnde Objekt in ver-streuter Einzellage, das unbekümmerte Aufsuchen von exponierten Lagen, das in der Gesamtgestaltung manifestierte Geltungsbedürfnis waren markante Merkmale. Da die „dynamischen“ Siedlungsbaugenossenschaften nicht nach-stehen wollten, nahm die horizontale Ausdehnung der Städte immer mehr zu. Die anregungsarme Öde durchgrünter Garten- und reglementierter Traban-tenstädte entstand. An die ungezügelte Entballungsideologie – sie geht im wirtschaftlichen Be-reich für die durch Emissionen beeinträchtigende Industrie an, nicht aber für die zahllosen sauberen Fertigungs- und Verwaltungsbetriebe – trat nun das Planungsziel der Verdichtung. Doch teils war/ist es dafür bereits zu spät: als kapitalistische Entballungs-Relikte bedingen die teils innerhalb der letzten Dezennien, teils laufend neu errichteten gigantomanischen Einkaufszentren am Stadtrand irreversibel verwaiste städtische Geschäftsstraßen und manifestieren die Hilflosigkeit heutiger Politiker gegenüber weltweit agierender Konzern-multis. Statt Entkernung jetzt Kernbildung: städtische Aktivität mit inniger Verflech-tung der menschlichen Funktionskreise Arbeit – Wohnen – Erholen am glei-chen Ort zur gleichen Zeit, um in echter Urbanität den vielgestaltigen Bedürf-nissen des Menschen wirklich erfolgreich entsprechen zu können. Die Bereit-stellung wohnungsnaher Erholungsflächen und Grünkeile, aber auch Grünver-bindungen zwischen dem noch völlig unausgelasteten Hinterhofpotential und Fußgängerzonen als „grüne Lunge“ erfüllen wirkungsvoll die an den Städtebau gerichteten Forderungen nach funktionalem, künstlerischem, sozialem und ge-sundem Charakter.

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Stadtflucht Die sentimentale Vorstellung, die „Natur“ in die Städte hineintragen zu kön-nen, hatte zur Folge, dass der unangetastete Grünraum in immer weitere Ferne rückte und letztlich beide, Stadt und Natur, entstellt zurückblieben. Da an der Natur besitzend teilzuhaben zur Statusfrage wurde, findet man den finanzkräf-tigen Bürger immer weiter draußen im Landschaftsraum, um nicht von anderen gestört zu werden, die ebenso die händlerjargonmäßig titulierte „ruhige Vor-ortelage mit Grünblick“ genießen wollen. Und dieses verhüttelnde Wettrennen hat schon längst nach den Vororten auf die Pendlergebiete übergegriffen. Da-durch ist ein täglicher Verkehrsstrom zwischen Wohnung und Arbeitsplatz mit all seinen negativen Eigenschaften vorprogrammiert, wird aber dennoch in Kauf genommen; als Gegenmaßnahme konnte die Steigerung der Attraktivität öffentlicher Verkehrssysteme wohl keine endgültige Lösung, wohl aber lin-dernde Entschärfung bringen. Fehlen Ordnung und Planung in diesen spontan-ungeregelten Verdichtungsge-bieten, welche der unserer Zeit scheinbar entsprechenden urbanen Lebens-weise gleichkommen, so stellen sich chaotische Zustände ein: Arbeitsstätten und Wohnsiedlungen, Abraumhalden und Reste von landwirtschaftlichen Nut-zungsflächen sind in ungeordnetem Nebeneinander anzutreffen. Trotz des allerorts vernehmbaren, jedoch vielfach unrezipierten Schlagwortes der Nach-haltigkeit geht das biologische Potential des Landschaftsraums (hier) unwie-derbringlich verloren. Diese als ausgebeutete Verfallsgebiete anzusprechenden Zonen zeigen, dass die Überschreitung der ökologischen Leistungsfähigkeit mit schwersten Schäden verbunden ist, für die nun nachfolgende Generationen aufkommen müssen. Es hat trotz allem aber keinen Sinn, nur die Frage der Landschaftserhaltung oder den Umstand, dass wertvolle Flächen entzogen werden, zu diskutieren, ohne die Möglichkeit der Selbstverwirklichung und des Naturkontaktes und deren Mangel in Ballungsräumen zu beachten! Daher ist es unabdingbar, der lebensnotwendigen Erfüllung und Rekreation sowohl in den Kernstädten als auch in den Umländern zu entsprechen, wenn nicht durch die in unkontrol-lierbaren Bahnen verlaufende Stadtflucht statt der Dörfer in den heute noch natürlichen ländlichen Räumen unvorstellbare, verstädterte, zersiedelte Ge-lände entstehen sollen: das düstere Bild der „Stadt ohne Landschaft“ nach H. Sedlmayr. Zur Bewahrung bzw. Sanierung der unterschiedlichen Gebiete gibt es theore-tisch genügend legislative landschaftspflegerische Handhaben, wie die örtliche Bauordnung, Flächenwidmungspläne und die nähere Details festlegenden Be-bauungspläne, Raumordungs-, Landschaftsschutz-, Naturschutzgesetze, auch

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Entwicklungsprogramme usw. Mit modernen Bauformen und konzentriert ge-planter Grundausnutzung, insbesondere durch die seit Jahrtausenden in allen Kulturen bekannte verdichtete Flachbauweise, sollten ohne Verlust der Eigen-heimqualität neue, ökonomisch vertretbare, den gesellschafts-politischen Zie-len entsprechende Anschauungen im Wohn- und Siedlungsbau in den Vorder-grund gerückt werden. Die gesunde mittlere Anzahl von teppichartigen Flach-bauquartieren beträgt das Sechsfache der Dichte frei stehender Einfamilien-hausbebauung und ermöglicht die Forderung nach infrastruktureller Urbanität mit dem Wunsch nach Intimität im privaten Freiraum zu verbinden. Innerhalb der Einheit, die auf jeden Fall sichtbar werden soll, kann man ruhig individu-elle Eigenarten zulassen. Auch sind die Randzonen durch Subzentren und Kernbildung mit verschiedenen Gemeinschaftseinrichtungen zur Entlastung, nicht aber Sinnentleerung des historischen Stadtkerns zu beleben, auf festge-legten Entwicklungsbändern speziell mit Massenverkehrsmitteln zu koordinie-ren und die Sozialstruktur zu verbessern. Wo örtlich zulässig, kann eine verti-kale Bebauung an Stelle der Flächenbesiedelung treten, doch muss auch eine Überdichte durch Hochhäuser auf zu engem Raum vermieden werden, obwohl ihre Errichtung in dafür geeigneten Gebieten durchaus ihre Berechtigung hat. Gegen Baulandverschwendung sind eine höhere Bodennutzungsziffer und ge-ringere Abstandsflächen anzustreben. Die Vermeidung der Zersiedelung würde Freiräume für die Erholungssuchenden offen halten, und eine weitere Belas-tung des Naturhaushaltes durch Flächenentzug unterbliebe. Zusätzlich sind aber jene Kräfte, die diesen wachsenden Raumbedarf herbeiführen (Bevölke-rungs-, Konsumations- und Produktionszuwachs) in Schranken zu halten, denn kein maximales, sondern nur ein optimales Wachstum kann unserer Zeit ge-recht werden.

Raumkonsum Die willkürlich ausufernde Ausdehnung der Städte, die Entwicklung geschlos-sener Dörfer zu Streusiedlungen und die planlose Splitterbesiedlung immer und überall engen unseren aktiven Lebensraum stetig mehr ein. Es gibt kaum noch einen ländlichen Ort, an den nicht neue Siedlungsteile angegliedert wor-den sind. Sie finden sich auch massiert als Wochenend-, Ferienhaus- oder Zweitwohnungsgebiet in den Erholungslagen, zumeist in landschaftlich bevor-zugter Randzone, nämlich den als wertvollste Gebiete in biologischer, erschei-nungs- und erholungsmäßiger Hinsicht erkannten Räumen an Bach-, Fluss- und Seeufern sowie Waldrändern. Der Trend zur Zweitwohnung besteht, solange es Großstädte gibt: die römi-sche „villa rustica“, die Landsitze der aristokratischen Gesellschaftsschicht, die Lebensweise der „besseren Leute“ in den Kurorten, die bei Nestroy nachzule-sende Sommerwohnung in den Vororten des biedermeierlichen Wiens, die Schrebergärten um 1900. Heute zählen in allen politischen Systemen vornehm-

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lich die Bewohner der Ballungszentren zu den Freizeithausbesitzern. Scheinen mehrere Wohnsitze an sich erstrebenswerte Güter zu sein, da sie in jeder Hinsicht ein Mehr an Selbsterfüllung vermitteln, so darf dies nicht eine Über-forderung der Gemeinden als Planungshoheit erster Instanz zur Folge haben, denn es kommt durch die in landschaftspflegerisch und architektonisch zumeist unbefriedigender Weise errichteten Zweitwohnsitze zur gröblichsten Störung des ökologischen Gleichgewichts, des Landschaftsbildes, des Erho-lungswertes, wodurch die Rekreationslandschaft letzten Endes gleiche Stress-eigenschaften aufzuweisen beginnt, die auch dem großstädtischen Verdich-tungsraum eigen sind und der deshalb geflohen wurde. Darüber hinaus erwachsen den betreffenden Gemeinden viele Nachteile, wie hohe Er-schließungskosten für die am Ortsrand liegenden Appartementhäuser, laufende Kosten für maximal nötige Ver- und Entsorgung etc. Derzeit strebt beinahe jede zweite Familie eine Zweitwohnung an, wenn das auch außerhalb der finanziellen Möglichkeit großer Bevölkerungsgruppen liegt. Letztlich steht der Aufwand zweier Wohnsitze – halbe Nutzung und dop-pelte Auslagen sowohl in der Freizeitsiedlung als auch in den Städten – ganz im Zeichen unseres modernen Konsumverhaltens, und ist im Grunde schizo-phren. Zweitwohnsitze schienen für zurückgebliebene ländliche Gebiete in regional-politischer und -wirtschaftlicher Hinsicht erwünscht, denn sie wiesen diesen Räumen neue Funktionen und Entwicklungsmöglichkeiten zu. Man präsen-tierte „Appartement-Hotels“ mit Dienstleistungsbetrieben und urbanen Laden-straßen als fremdenverkehrspolitische Kompromisslösung, sollte sie aber zu Gunsten von familiengerechten Ferienwohnungen im ursprünglichen Bauern-hof als Alternative zur bloßen Privatzimmervermietung reduzieren. Auf län-gere Zeit vergeben, wird das äußere Erscheinungsbild des dadurch vor dem Verfall geretteten, ursprünglichen Bauerngehöftes und somit auch das Land-schaftsbild in keiner Weise verändert und gewährt außerdem dem Landwirt ein nicht unbeträchtliches Nebeneinkommen. Fazit: der individuelle Rauman-spruch kann zu Gunsten des kollektiv benützten Erholungsraumes auf ein Mi-nimum beschränkt bleiben! Mit dem Problem der Zersiedelung durch Zweitwohnsitze ist auch das explosi-onsartige Anwachsen der über-regionalen Freizeitzentren verbunden. Durch das „Neonomadentum“ schossen Beherbergungsbetriebe wie Pilze an den landschaftlich schönsten Plätzen aus dem Boden, um dem Erlebnistourismus willfährig zu sein. Warnungen und Klagen von Soziologen, Ökologen, Biolo-gen, Hydrologen, Ornithologen, Raumplanern etc. sowie verzweifelt protestie-renden Bürgern verhallten unbeachtet. Um schwerwiegende kommunalpoliti-

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sche Probleme aufgrund stark saisonaler Schwankungen mit hektischem Tru-bel und Überbesatz gegenüber teurer und zu geringer Auslastung außerhalb der Saison zu überwinden, trachtet fast jede Gemeinde danach, alle irgendwie praktikablen fremdenverkehrswirtschaftlichen Aktivitäten bei sich zu verwirk-lichen. Die Erschließung erfolgt zumeist ohne Klärung der Tatsache, ob der Landschaftsraum für die beabsichtigten Maßnahmen geeignet, ob er entspre-chend belastbar ist. So werden Flussauen zu Campingplätzen, Berghänge zu Schipisten, Flussufer zu Badeanstalten, Weiden zu Golfparadiesen und Berg-gipfel zu Seilbahnstationen: die totale Umwandlung der Natur in übererschlos-senes Freizeitgelände. Extrapoliert man das Maß, in dem heute der Freiraum solcher Großerholungsgebiete beansprucht, ja im eigentlichen Wortsinn verbraucht wird, so scheint der Zeitpunkt leicht absehbar, zu dem die Qualitä-ten, denen diese Areale ihre Anziehungskraft verdanken, vernichtet sein wer-den. Je mehr Vielfältigkeit und Ursprünglichkeit im Landschaftsgefüge zur freien Verfügung steht, umso besser kann vermieden werden, dass die eigentli-chen Freiräume, die für die Erholung Suchenden der Ballungsgebiete gedacht sind, letztlich wieder zu Agglomerationsräumen werden.

R. Jungk urteilte über die längst abgeschlossen geglaubte paläotechnische Pe-riode, dass sie, „wo immer sie auftauchte, Schönheit vernichtet, uralte Zusam-menhänge zerstört, die Landschaft mit Abfällen ihrer Produktion übersät“ habe. Und heute? Ernst zu nehmende Stimmen behaupten, dass künftig nicht das Ernährungsproblem für den Weiterbestand der Menschheit im Vordergrund stehen werde, sondern der fehlende Freiraum, die unausweichbare Raumenge. Allenfalls beginnt man erst dabei die gegenseitige Abhängigkeit von Mensch und Umwelt zu spüren und sich die berechtigte Frage vorzulegen, wie lange noch – so begann Cicero in einer Stunde höchster Gefahr seine Anklagerede gegen Catilina – wie lange noch der homo sapiens in eitler Selbstgefälligkeit gedenkt, an der Zerstörung seiner eigenen Lebensgrundlagen zu arbeiten, anstatt mittätig zu werden am vernünftigen Gebrauch seiner Umwelt? Leider entspricht es den Tatsachen, dass wir täglich damit beschäftigt sind, die Erde unwohnlicher, ja unbewohnbarer zu machen! Offenbar genügen zur unbe-denklichen Erhaltung des Biotops nicht bloß dirigistische Maßnahmen etwa der Raumordnung mit ihrer vorausschauenden und planvollen Gestaltung im Sinne erwünschter gesellschaftlicher, wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Zielsetzungen und Leitlinien. Gelingt es, die Lernfähigkeit, die sich bisher großteils auf die Schaffung technischer Dinge richtete, auf jene Bereiche zu übertragen, auf denen man bisher mit dem wohltätigen Walten von Allmutter Natur rechnen durfte, die schon längst – bevor es zu spät ist – bewusster Kontrolle, Steuerung und Gestaltung bedürfen? Trotz einer verzweiflungsvoll ungünstigen Prognose muss dieser Umstand nicht zur Lähmung von Initiativen führen, denn es liegt allein bei uns, an jedem einzelnen, im Bewusstwerden

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unserer gemeinsamen Verantwortung ein neues Verhältnis zur Umwelt zu entwickeln. Sind dadurch egozentrische Einzelinteressen, Obstruktion und Lethargie überwunden – „Wer an den Dingen seiner Stadt keinen Anteil nimmt, ist nicht ein stiller Bürger, sondern ein schlechter“ (Perikles) –, so wird in Zukunft menschliche Freiheit nur in freiwilligem Verzicht und persönlichen Einschränkungen ermöglicht werden können.

Conclusion: Als vor rund eineinhalb Jahrhunderten der scheinbar zufriedenstellende, einfa-che Dreiklang von Natur, Glaube und Arbeit zu versagen begann, dezimierte die Abwanderung unbarmherzig die Landbevölkerung zu dezimieren. Industrie lockte in die Städte, Überlebensdrang in fremde Kontinente. Planlos verstäd-ternde Ausbreitung führte zu Agglomerationen menschenunerträglicher Bal-lungsräume. „Soziales Grün“ sollte retten; des wirtschaftsprosperitären Bür-gers Wunschbild vom Haus auf dem Lande ließ das Umland zersiedelt zurück. Die zumindest wöchentliche Völkerwanderung der Freizeitkonsumenten aus der Enge immer stärker werdender Umweltbelastung in überfüllte Erholungs-gebiete ist für die Landschaftspfleger und Verkehrsexperten zum Alptraum ge-worden. Letztlich findet man sich dem gegenüber, dem man entfliehen wollte; die begrenzte Leistung- und Belastungsfähigkeit des Landschaftsraumes lässt sich weltweit in ausgedehnter, irreversibler Zerstörung klar erkennen. Die Dis-kussion über Globalisierung ist nicht zufällig allgegenwärtig. Somit scheint es momentan zielführender, statt detaillierte Leitgedanken aufstellen zu wollen, Wesensmerkmale ernst zu nehmender Entwicklungstendenzen aufzuzeigen.

Weiterführende Literatur [1] Bittner, R. ed. (2002): Die Stadt als Event. Frankfurt [2] Borsdorf, Axel et al. (2000): Das Stadt-Land-Kontinuum im Alpenraum.

Methodenvergleich zur Abgrenzung von Stadtregionen in verfingerten Raumsystemen, in: A. Borsdorf, M. Paal ed., Die „Alpine Stadt“ zwi-schen lokaler Verankerung und globaler Vernetzung. Wien, S. 59-75

[3] Frohmann, Erwin (2000): Gestaltqualitäten in Landschaft und Freiraum. Wien, 2. Aufl.

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[4] Häußermann, Hartmut ed. (2000): Großstadt. Soziologische Stichworte. Opladen

[5] Heitmeyer Wilhelm, Anhut Reimund (2000) Bedrohte Stadtgesellschaft. Soziale Desintegrationsprozesse und ethnisch-kulturelle Konfliktkons-tellationen. Weinheim –München

[6] Löw, Martina (2001): Raumsoziologie. Frankfurt am Main [7] Maresch, Rudolf et al. (2002): Der Wille zum Raum. Frankfurt [8] Martischnig, Michael (1974): „Unsere Kulturlandschaft zu Beginn der III.

Industriellen Revolution“, in: Verband der wissenschaftlichen Gesell-schaften Österreichs ed., Wildnis, Forst und Ackerland / Wilderness, Woods and Fields. Aus Österreichs Wissenschaft, Wien, S. 278-298

[9] Zschokke Walter, Riepl Peter (1996): Stadt in Latenz. Urbanisierung in zweiter Lesung. Wien

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Tendenzen im Wettbewerbswesen und Ansätze zur Weiterentwicklung Rainer Mayerhofer Vorbemerkung Die Einstellung zu Wettbewerben scheint gegenwärtig ambivalenter zu sein als je zuvor. Einerseits werden von Auslobern wie von Teilnehmern die negativen Aspekte hervorgehoben (da: Wettbewerbe sind zu teuer, zu langwierig, mit-unter auch von geringer Qualität, dort: schlechte Vorbereitung, geringe Preis-gelder und Ausbeutung aller nicht Prämierter - um nur einige zu nennen – und die gegenseitige Beschuldigung, die andere Seite manipulieren zu wollen), an-dererseits wird insbesondere von den Standesvertretern, teilweise aber auch von manchen Medien und letztlich von der herrschenden Marktwirtschaft mehr Wettbewerb eingefordert. Hier muss nun unterschieden werden zwischen Wettbewerb im Sinne von Preiskonkurrenz für ein definiertes Werk und dem Wettbewerb zur Erlangung von Ideen und Entwürfen. Exkurs in die Vergabepraxis Schon seit Jahrzehnten (um nicht zu vermuten: seit jeher) standen sich zumin-dest im Planungs- und Bauwesen zwei Tendenzen gegenüber: • der Ansatz, ein Werk möglichst pauschal umzusetzen, also von einer Insti-

tution planen und ausführen zu lassen (Generalunternehmer) und • der Ansatz, die Umsetzung dieses Werkes in möglichst viele, transparente

Einzelschritte und Gewerke zu zerlegen. Insbesondere potente Bauherrn (ob öffentliche oder private) haben sich immer schon für die erste Art der Umsetzung erwärmt – im allgemeinen mit dem be-haupteten Argument der nur dadurch möglichen knappen Planungs- und Bau-zeit, der damit verbundenen geringen inneren Reibungsverluste (bessere Koor-dination) und der theoretisch zu erwartenden Kostensenkung – und der Auf-traggeber kann sich zurücklehnen und auf die Kontrolle beschränken. Die meist verschwiegenen Hintergedanken dabei dürften aber rein machtpolitisch sein: einen einzigen Vertragspartner hat man im allgemeinen besser im Griff, er ist für alles und jedes verantwortlich und man kann ihm auch geänderte Wünsche leichter unterjubeln, denn er hat viel zu verlieren. Die Bauwirtschaft ist auf diesen Wagen seit jeher aufgesprungen, widersetzt hat sich ebenso tra-ditionell ein Großteil der Architektenschaft (als Exponent einer transparenten Planung).

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Die vielen "Bauskandale" der Vergangenheit – und es darf ohne viel Risiko auch prognostiziert werden: auch der Zukunft – beweisen, dass dieses System anfällig gegen Fehler ist und die gewünschte Kosteneinsparung oft ins Gegen-teil umschlägt: durch mangelnde Qualität (irgendwo muss ja letztlich einge-spart werden, wenn der Generalunternehmer einen niedrig(er)en Gesamtpreis garantiert – und das ist meist am unteren Ende der Kette) und die darauf fol-genden Gewährleistungsprozesse, immer wieder zu beobachtende Konkurse (samt Anschlusskonkursen) hat der Auftraggeber meist letztlich nichts erreicht, das Werk ist sowohl langwieriger als auch teurer geworden und entspricht mit-unter auch nicht den Vorstellungen des Bauherrn. Die Gegenposition hat je-doch ebenso ihre Schwächen: wohl sind die einzelnen Schritte klarer definier-bar und risikoloser auf Einhaltung des (finanziellen und qualitativen) Zieles zu prüfen, aber die Aneinanderreihung derselben braucht Zeit bzw. ein konzer-tiertes Vorgehen mit hervorragender Koordination - und beides kostet Geld. Verquickung von Ausschreibung und Wettbewerb (eine Analyse) Die Institutionen der öffentlichen Hand und der Sektorenbetriebe sind seit der Übernahme des EU-Rechtes in die österreichischen Vergabegesetze noch mehr als vor diesem Zeitpunkt durch die damaligen Vergabegesetze verpflichtet, Leistungen auszuschreiben. Das bezieht sich nun auch auf alle geistigen Leis-tungen. Durch die nun im Vergleich zu den früher gehandhabten Ausschrei-bungsrichtlinien stark gesenkten Schwellenwerte unterliegen jetzt Unmengen von Planungs- und Bauvorhaben dem Wettbewerb, bzw. auch der Verpflich-tung zur EU-weiten Ausschreibung nach einem der in diesen Gesetzen dezi-diert angeführten Verfahren (offenes Verfahren = öffentliche Ausschreibung, nicht offenes Verfahren = beschränkte Ausschreibung und Verhandlungs-verfahren = freihändige Vergabe). Das hat in der Umstellungsphase zu ganz unerwarteten Konsequenzen geführt - eine Zeit lang waren öffentliche Auf-traggeber wie gelähmt (und sind es zum Teil in kleineren Gemeinden immer noch), da die bis dahin geübte Praxis nicht mehr anwendbar war (ist). Es mussten erst für weite Bereiche, insbesondere für geistige Leistungen, u.a. alle Entwurfs- und Planungsleistungen, aber auch die der Vorbereitung, Abwick-lung und Vorprüfung von Wettbewerben, Leistungsbeschreibungen erarbeitet werden, nach denen vergleichbare Angebote einzufordern und zu beurteilen waren. Das hat u.a. im Magistrat der Stadt Wien eine mehr als halbjährige Vergabeunterbrechung bewirkt. Andere, insbesondere kleinere Gemeinden, stehen mitunter ziemlich hilflos dieser Situation gegenüber. Das hat weiters dazu geführt, dass ein Stau an auszuschreibenden Verfahren aufgetreten ist, für deren gleichzeitige Durchführung weder die personellen Ressourcen noch die Finanzierung gegeben waren, bzw. sind. Vielfach wurde an die Billigstbieter vergeben - wobei zu konzedieren ist, dass viele Institutionen, die bis dahin keine Ausschreibungsverfahren durchführen mussten, keine Vergleichswerte

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haben. Das hat zu einer Reihe äußerst unprofessionell abgewickelter und in der Öffentlichkeit wie in Fachkreisen stark kritisierter Verfahren geführt. Dabei war auch häufig eine Verquickung der Verfahren zu beobachten: Verfahren, die einen Entwurf zum Ziel haben, wurden als Verhandlungsverfahren abgewi-ckelt, also mit der Honorarfrage des Planers verknüpft. (Dabei stehen die Ver-handlungsspielräume beim Planungshonorar in keinem Verhältnis zu den möglichen Preisunterschieden unterschiedlicher Entwürfe). Dadurch wurden auch die Fristen für die Erstellung der Ausschreibungen und die Durchführung solcher, aber auch von echten Wettbewerbsverfahren immer knapper – es wer-den gerne die gesetzlichen Mindestfristen der Vergabeverfahren angewendet, es werden zum Teil auch Verfahren mit verkürzter Ankündigungsfrist ausge-schrieben – ein zusätzlicher Faktor für nur oberflächlich vorbereitete und durchgeführte Verfahren. Das hat der eingangs geschilderten Debatte um die Sinnhaftigkeit von Wettbewerben weitere Facetten hinzugefügt. Es wird daher jetzt nach Möglichkeiten gesucht, Lösungen für dieses vielschichtige Dilemma zu finden. Die (gegenwärtige) Ausgangslage Die gegenwärtige Gesetzeslage lässt sich wie folgt zusammenfassen: • Die öffentliche Hand muss wie die Sektorenbetriebe alle ihre externen Leis-

tungen (über einer unterschiedlich hohen Bagatellegrenze) öffentlich aus-schreiben, ab den festgelegten Schwellenwerten sogar europaweit;

• Vergabeverfahren werden häufig der Form nach sehr ähnlich wie Wettbewerbe nach WOA (Wettbewerbsordnung für Architekten) abgewi-ckelt, nur eben um ein Honorarangebot erweitert;

• Für Beschwerden in Vergabeverfahren ist ein Instanzenzug (Vergabe-kontrollkommission - Vergabekontrollamt) gesetzlich vorgesehen, der – wie die Praxis der letzten Jahre zeigt - zunehmend öfter beschritten wird;

• In der Folge von Beeinspruchungen treten fast immer Terminverzögerun-gen auf, die bis zur Wiederholung des ganzen Verfahrens führen können,

• Die Haltung, statt Wettbewerben Verhandlungsverfahren abzuwickeln, wird bei öffentlichen Auslobern zunehmend kritisch gesehen. Der Trend geht allmählich wieder zum nicht beeinspruchbaren Wettbewerb;

• Wettbewerbe, auch zweistufige, sind entgegen der allgemeinen Behauptung nicht wesentlich zeitaufwendiger als analoge Verhandlungsverfahren – die Differenz macht in der Regel nur 1 bis max. 2 Monate aus;

• Die Zahl der Experten, die Erfahrung mit der Ausschreibung und Verfah-rensbegleitung (inkl. Vorprüfung und Protokollierung) hat, ist sehr klein - die Zahl derer, die sich in diesen neuen Markt drängen, logischerweise viel größer.

• Die Verfahren werden in der Regel viel zu spät eingeleitet (kurze Vorberei-tungs-, kurze Durchführungszeit)

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Diverse Denkansätze Infolge einer Reihe schlecht abgewickelter, beeinspruchter und sogar aufgeho-bener Verfahren wurde verschiedentlich über Methoden zur Verbesserung die-ser Situation nachgedacht: • Entflechtung der Verfahren: Die Vermischung von Wettbewerbsverfahren

ieS und Vergabe-/Verhandlungsverfahren sollte grundsätzlich vermieden werden, weil dabei Äpfel mit Birnen gemischt werden. Die Trennung in den Wettbewerb, also das Auswahlverfahren für den besten Entwurf / die beste Idee (wobei hier durchaus auch die Kosten der Realisierung des-/derselben eine gewichtige Rolle spielen) und in ein gesondertes Beauftra-gungsverfahren scheint für alle Beteiligten die optimale Lösung zu sein. Anmerkung: Das ist an sich nichts Neues, außer dass die Beauftragung jetzt formalisiert erfolgen muss.

• Rechtzeitige Vorbereitung: An die Adresse der Auslober (Wettbewerb) /

Auftraggeber (Vergabeverfahren) ist daher die Forderung nach frühzeitiger Einbindung eines Experten für Ausschreibungs- und Verfahrensbegleitung zu richten – dies zu ihrem eigenen Vorteil: dies ist kaum mit erhöhten Kos-ten verbunden (da ja die gleiche Leistung zu erbringen ist) und garantiert eine kontrollierte Abwicklung, von der Wahl des optimalen Verfahrens und der daran Beteiligten (Teilnehmer/Jury/Berater) angefangen bis hin zur um-fassenden inhaltlichen Definition der Aufgabenstellung und der Aufberei-tung der erläuternden Beilagen. Anmerkung: Die in der Analyse geschilderte Misere (Verfahrensstau) war vorhersehbar; trotzdem ist es leider gängige Praxis, dass Verfahren – wel-cher Art auch immer – erst im allerletzten Augenblick in Angriff genommen werden.

• Genaue Definition und Gewichtung der Beurteilungskriterien: An die Ad-

resse der Jurymitglieder ist die Forderung zu stellen, aktiv an der Definition der Beurteilungskriterien und der Gewichtung derselben teilzunehmen, weil die Einhaltung dieser bei Vergabeverfahren zwingend vorgeschriebenen Bedingungen von ausschlaggebender Bedeutung sein kann - dort sind viele Einsprüche zu gewärtigen. Anmerkung: Viele Juroren nehmen immer noch den großen Freiraum der Entscheidungsfindung des Wettbewerbes ieS, in dem die Jury "in Fach- und Ermessensfragen unabhängig, unanfechtbar und endgültig entscheidet", auch bei Vergabeverfahren in Anspruch und machen damit die Ent-scheidung anfechtbar.

• Zweistufige Verfahren: Von Ausloberseite werden immer häufiger zweistu-

fige Verfahren angedacht und auch schon durchgeführt, bei denen die Auf-

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gabenstellung in der 1. Stufe auf die Entwurfsidee ohne großartige Durch-arbeitung reduziert wird. Damit hofft man, der Kritik der Ausbeutung zu begegnen, da der "verlorene" Aufwand für eine große Zahl erfolgloser Teilnehmer gering gehalten werden kann. Erst in der 2. Stufe erfolgt die vorentwurfsmäßige Bearbeitung der Aufgabenstellung. Die Praxis zeigt aber, dass das Konkurrenzdenken der Teilnehmer trotzdem meist zu einer gar nicht gewünschten Materialschlacht führt. Anmerkung: Letztlich wird daraus eigentlich ein dreistufiges Verfahren, da die Vergabegesetze den Auslober zu (anschließenden) Verhandlungen ver-pflichten - de facto ein Verhandlungsverfahren, bei dem es nicht mehr um den Planinhalt, sondern um das Planungshonorar geht.

• Zweistufige Jury: Von Seiten der Standesvertretungen wird - in Anlehnung

an die Empfehlung der WOA, möglichst nur einstufige Wettbewerbe durchzuführen – das Modell eines mehrstufigen Jurierungsprozesses bei einstufigen Verfahren in Diskussion gebracht. Die Aufgabenstellung be-schränkt sich bei diesem Ansatz für die Teilnehmer auf den Entwurf - alle sonst häufig verlangten Nachweise (wie Heizkostenberechnungen, Bau- und Betriebskostenermittlungen, etc.) werden nach dieser Vorstellung im Anschluss an eine erste Jurysitzung – mit Auswahl der funktional und ge-stalterisch besten Entwürfe – von unabhängigen Fachleuten (erweiterte Vorprüfung) einheitlich ermittelt und bilden diese nun vergleichbaren Werte die Grundlage für die Entscheidung in einer zweiten, zeitlich ge-trennten Juryrunde. Anmerkung: Die Vorprüfungspraxis zeigt, dass solche Nachweise meist nur sehr oberflächlich erbracht werden, bei Kostenermittlungen vielfach nur ein entsprechend aus dem Finanzrahmen zurückgerechneter Quadrat-meterpreis – ohne Nachweis der realen Machbarkeit - angegeben wird, und diese in die Juryentscheidung meist nicht entscheidend einfließen (können). Manchmal werden solche Nachweise, sofern sie nicht gesetzlich vorge-schrieben sind, von Jurien auch aus der Ausschreibung herausgestrichen.

• Modell U-2: Um bei extrem aufwendigen Aufgabenstellungen (wie z.B.

dem U-Bahnbau) nicht nur auf relativ wenige Großbüros zurückgreifen zu können, sondern das kreative Potential auch kleinerer, jüngerer Planungs-büros zu nutzen, wurde vom Auslober WIENER LINIEN und der Kammer für Wien, NÖ und Bgld. ein eigener, empfehlenswerter Modus entwickelt und angewendet: in der ersten Stufe waren keine Einschränkungen hin-sichtlich der Größe des Büros vorgegeben und nur die Gestaltungsideen eingefordert. Für den Fall der Auswahl in die 2. Stufe war es jedoch erfor-derlich, die hohe Kapazität von gleichzeitig 15-20 erfahrenen Technikern samt ebenso vielen Computerarbeitsplätzen auf 3 Jahre hinaus zu garantie-

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ren – entweder durch ein schon existierendes Großbüro oder durch Arbeits-gemeinschaft mit einem solchen. Die zusätzlich eingeplante Möglichkeit der Nachbesserung (also eine kurzfristige Aufstockung der Bürokapazität für den Fall, dass die vorgeschlagene Kapazität die erforderliche Hürde nicht schaffen sollte) musste nicht in Anspruch genommen werden.

• Gebührenordnung für Wettbewerbsvorbereitung und -begleitung: Aufgrund

der inflationären Tendenz bei der Honorierung der Verfahrensbetreuung haben mehrere Standesvertretungen den Vorstoß unternommen, eine Hono-rarordnung für diesen Sektor zu erarbeiten. Derzeit liegt ein Vorschlag der Länderkammer Steiermark/Kärnten und der Bundeskammer vor, an einem Vorschlag der Länderkammer Wien, NÖ und Bgld. wird gearbeitet. Ziel aller drei Vorschläge ist es, für ein genaues Leistungsbild zu kos-tendeckenden Honorarsätzen zu kommen. Anmerkung: Bei der Definition des Leistungsbildes wird vorgeschlagen, nach gleich bleibenden Leistungsschritten (jeweils in Relation zur Größe der Aufgabenstellung des Verfahrens erfassbar) zu unterscheiden und in zu-sätzliche Leistungen, die – weil jeweils individuell auftretend – nicht mit Honorarsätzen erfassbar sind. Diese müssten gesondert nach Zeitaufwand in Rechnung zu stellen sein.

• Schulungsseminar für "Berater des Auslobers": In der Bundeskammer wird

– nach einigen missglückten Wettbewerben - erwogen, Schulungsseminare für potentielle Betreuer durchzuführen und insbesondere mit der Stadt Wien zu einer Vereinbarung zu gelangen, dass nur solchermaßen „geschulte“ Zi-viltechniker für Wettbewerbsbetreuung eingesetzt werden. Diese Seminare sollen inhaltlich die ganze Bandbreite der Möglichkeiten (Vorarbeiten vor der Auslobung, rechtliche Rahmenbedingungen, Wettbewerbsvorberei-tung/Auslobung und die Vorprüfungstätigkeit/Juryteilnahme) umfassen. Anmerkung: Von den Praktikern wird dazu kritisiert, dass die Teilnahme an solchen Seminaren wohl wesentliches Hintergrundwissen, aber noch keine Erfahrung vermitteln kann. Da jedes Verfahren anders gelagert ist, kann damit die Erreichung des gesteckten Zieles nicht garantiert werden. Wei-ters ist zu hinterfragen, warum die Jurytätigkeit dabei kein Thema ist.

• Teambildung als weitergehende Schulung: So wie die Ziviltechnikerlauf-

bahn einige Lehrjahre vor der Prüfung und Befugniserteilung umfasst, wä-ren auch in diesem Beratungsbereich (der eine echte Ziviltechnikerleistung im ursprünglichsten Sinne ist) eine Vorbereitung auf federführende Tätig-keit durch Teambildung eines Aspiranten mit einem Routinier denkbar.

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• Schulung von Jurymitgliedern/Verpflichtungen derselben: Nicht nur die gewissenhafte Wettbewerbsbegleitung ist für den Erfolg eines Verfahrens unerlässlich, dieser hängt auch von der Kompetenz der Jury ab. Wie bei der Teambildung für Berater, wäre es sinnvoll, dass auch Juroren ihre „Praxis-jahre“ absolvieren, indem sie als Ersatzjuroren (ohne Stimmrecht an einer gewissen Anzahl an Jurien teilnehmen müssen, bevor sie Hauptjuroren werden können. Anmerkung: Dies war vor längerer Zeit bereits gehandhabte Praxis, ist aber offensichtlich nach mehreren personellen Veränderungen in den Kammern in Vergessenheit geraten.

• Schulung für Auslober? Zumindest in Form von Aufklärungsveranstaltun-

gen oder -schriften könnten auch potentielle Auslober (und das können durchaus bisher nicht damit befasste Personen in Institutionen sein, die traditionell mit Wettbewerben befasst sind) auf Erfordernisse und auf Erfahrungen, bzw. Risken bei solchen Verfahren hingewiesen werden.

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Konzeptionelle Stadtgestaltung: Eine aktuelle Aufgabe? Friedrich Moser Die gegenwärtige Diskussion über die Gestaltung des großen Ereignisses der Ernennung der Landeshauptstadt Graz zur EU-Kulturhauptstadt des Jahres 2003 ist ein Anlass, ein Konzept aus dem Jahr 1990, das vom früh verstorbe-nen Stadtrat für Stadtplanung, Erich Edegger unter dem Titel „Platz für Men-schen“ initiiert wurde, in Erinnerung zu rufen. Es scheint bemerkenswert, dass grundsätzliche Ziele, Erkenntnisse und qualifizierte Vorstellungen von einer zukünftigen Entwicklung und Gestaltung der Grazer Altstadt, über einen län-geren Zeitraum von 12 Jahren (1990 bis 2002) kaum an Aktualität verloren ha-ben. Stadtentwicklung und Stadtgestaltung stehen in Wechselwirkung zwi-schen Erhaltung und Veränderung. In der räumlichen Planung besteht die Möglichkeit: • Bereiche mit Erhaltungsvorrang abzugrenzen, in denen die Veränderungs-

potentiale zu definieren sind, und • Bereiche mit Veränderungsvorrang abzugrenzen, in denen die Erhaltungs-

potentiale zu definieren sind.

Die daraus abzuleitende Entscheidungsfindung kann damit auf Konzepte zu-rückgreifen, die vor allem in sensiblen, bauhistorisch bedeutenden Altstadtbe-reichen eine erforderliche Ausgewogenheit zwischen Bewahrung und Verän-derung sicherstellen können. Mit dem Konzept „Platz für Menschen“ wurden einige Probleme, Ziele und Grundsätze zur Diskussion gestellt, die für den fortlaufenden Prozess der Stadtgestalt von gewisser Bedeutung sind. Vorbemerkung Gestaltungsfragen werden immer mehr zum Anliegen unserer Zeit. Der Man-gel an spürbarem Gestaltungswillen in den letzten Jahrzehnten prägt das Bild unserer Städte. Die Suche nach Methoden der Planung nach einer neuen For-mensprache für die Gestaltung von Siedlungsräumen unter besonderer Beach-tung des Wohnumfeldes, wirft ständig neue Fragen auf. Die Absicht, die öffentlichen Räume des zentralen Bereiches der Landeshauptstadt Graz einer koordinierten Gestaltanalyse zu unterziehen, entspricht durchaus internationa-len Erfahrungen. Die Erstellung eines Gestaltungskonzeptes, das vor allem einen Katalog von Problemen und Maßnahmen beinhaltet, hat gegenüber punktuellen Einzelentscheidungen den unschätzbaren Vorteil, dass mit einem solchen Konzept ein vielfältiger Handlungsrahmen erarbeitet werden kann, der im Zuge der Realisierung die für eine zeitliche Abfolge der Maßnahmen nötige Flexibilität bringt.

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Im Sinne einer bürgernahen Planung – wie sie in Graz bereits Tradition besitzt – ist es erforderlich, den Bürger zu informieren und am Planungsprozess teilnehmen zu lassen. Diese Forderung setzt voraus, dass die zu erarbeitenden Gestaltvorstellungen so anschaulich wie möglich dargestellt werden. Neben allgemeinen Grundlagen ist daher die Bedeutung von visuellen, also bildhaften Darstellungen besonders hervorzuheben. Eine Problemanalyse in Form von bildhaften Darstellungen bietet z.B. die Möglichkeit der Diskussion mit Beteiligten und Betroffenen aber auch die Entwicklung von alternativen Lösungen. Darüber hinaus können die Maßnahmen im Rahmen eines Gesamtgestaltungskonzeptes aufeinander abgestimmt und stereotype, allzu schematische Gestaltungsansätze vermieden werden. Die Altstadt als Lebensraum ist als Identifikationsbereich der Bewohner der Stadt und des Umlandes zu bezeichnen. In ihr findet der Stadtbürger Woh-nung, Arbeitsplatz, Erholung und Kultur. Diese Daseinsgrundfunktionen sind zu erhalten, weiterzuentwickeln und zu kultivieren. Im Sinne der Lebensraum-gestaltung ist die „Qualität der Stadtgestalt“ als Ganzes, mehr als die Summe der vielfältigen Einzelaspekte. Sie resultiert aus der noch immer ablesbaren Geschichte der Stadt, die in der baulichen Gestalt der Plätze, Straßen und Gas-sen, in der Lebendigkeit und Dynamik der Wirtschaftsentwicklung, im Zu-sammenwirken von Architektur, Stadtgrundriss und Naturraum, Realität ge-worden ist. Diese „Gestaltqualität“ wird nicht nur im Durchschreiten der Stadt-räume erlebt, die exponierte Lage des Schlossberges inmitten der Altstadt bie-tet dem Betrachter differenziert Einblicke in die Stadt. Stadtstruktur, Stadtent-wicklung, Dachlandschaften, charakteristische Bereiche, Merkzeichen und Dominanten können so bewusst oder unbewusst wahrgenommen werden.

Ablesbare Geschichte der Stadt Die Stadtgeschichte prägt den Stadtraum in unterschiedlicher, aber in jedem Fall wirksamer Weise. Unter der Prämisse, dass die Ablesbarkeit der Stadtge-schichte in der Stadtarchitektur erhalten bleiben soll, können folgende Fragen aufgeworfen werden: • Welche Elemente der geschichtlichen Entwicklung der Stadt prägen in wel-

cher Weise die Stadtgestalt?; • Stadtmauern, Monumentalgebäude, Stadttore, Plätze, Straßen und Gassen

sind es vor allem, die den geschichtlichen Stadtraum zum Erlebnisraum machen;

• In welcher Weise ist die Stadtgeschichte in der Stadtarchitektur ablesbar?; • Darunter kann sowohl der so genannte „Klassische Formenkanon“ mit sei-

nen vielfältigen Gliederungs- und Gestaltungsmerkmalen, als auch die Entwicklung der Architektur (Baukunst) mit ihren charakteristischen Epo-chen bis zur Gegenwart, verstanden werden.

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Als „methodischer Ansatz“ bieten sich dazu folgende Schritte an: • Herausarbeitung der Charakteristika der Stadtgestalt im Laufe der Ge-

schichte; • Schlussfolgerungen aus der Analyse zur Raum- und Gestaltwirksamkeit; • Verallgemeinerungen der Ergebnisse über Analogieschlüsse; • Entwicklung eines Gestaltungskonzeptes als raum- und gestaltbezogene

Vorstellung.

Ziele des Gestaltungskonzeptes „Platz für Menschen“ Maßnahmen der Stadtgestalt beziehen sich auf größere Bereiche des „Lebens-raumes Stadt“, daher sind sie als ganzheitliche Aufgabe anzusehen. Eine we-sentliche Voraussetzung für die Erneuerung historische Stadtkerne ist die um-fassende planerische Vorbereitung der notwendigen Maßnahmen. Ein Gestal-tungskonzept, das zum Ziel hat, die Altstadt von Graz als „Platz für Men-schen“ zu gestalten, ist darauf ausgerichtet, die Eigenart und Unverwechsel-barkeit des Stadtbildes dem Stadtbürger bewusst zu machen. Gerade in unserer gegenwärtigen Zeit, in der eine Informationsflut den Menschen täglich über-rollt, scheint es dringend erforderlich, jene Merkmale des Lebensraumes, in welchem sich der Mensch bewegt, vielfältigen Tätigkeiten und Aktivitäten nachgeht, in sein Bewusstsein zu bringen und damit dem Menschen die Mög-lichkeit einer vertieften Identifikation zu bieten. Mit einem Gestaltungskonzept „Platz für Menschen“ wird u.a. das Ziel ver-folgt, Maßnahmen der Verkehrsorganisation und Verkehrsberuhigung mit Maßnahmen der Stadtgestaltung in Verbindung zu bringen. Nur durch ein konkretes Angebot an begleitenden Gestaltungsmaßnahmen können zum Beispiel der Verlust an Stellplätzen, die weitere Einschränkung von Individualverkehrsrelationen und andere verkehrspolitische Maßnahmen verstanden und schließlich akzeptiert werden. In diesem Sinne kann und soll ein auf Anschaulichkeit und Verständlichkeit begründetes Gestaltungskonzept jene Grundlagen vermitteln, die für die Mitwirkung der Bevölkerung an der Gestaltung seines näheren und weiteren Wohnumfeldes erforderlich sind. An-schaulichkeit und Verständnis sind überdies eine wesentliche Voraussetzung zur Akzeptanz der zu setzenden Maßnahmen. Mit dem vorliegenden Konzept werden ausgewählte Platz- und Straßenräume sowohl hinsichtlich bestehender Gestaltungsdefizite, als auch differenzierter Gestaltungsmöglichkeiten analy-siert. Die Analyse erfolgt in Form von graphischen Hochzeichnungen und knapp gehaltenen Textbeschreibungen. Es bleibt zu hoffen, dass die Diskus-sion in der Öffentlichkeit weitere Anregungen erbringen und über den Bereich der Grazer Altstadt hinaus auch in den übrigen Stadtteilen zu ähnlichen Über-legungen führen wird.

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Bauhistorische Entwicklung Im Jahre 1129 wurde Graz erstmalig urkundlich erwähnt (Urkunde des Stiftes Rein). Zu dieser Zeit bestand bereits die Burg am Schlossberg sowie eine An-siedlung zwischen Mur und Schlossberg. In der Folge entwickelte sich der Ort Graz entlang der Färbergasse, Hof-, Bürger- und Burggasse. In den Jahren 1242/1244 wurde Graz zur Stadt erhoben. Damit verbunden war das Recht, die Stadt mit einer entsprechenden Wehranlage zu ummauern. Der wirtschaftliche Aufschwung in den folgenden Jahrzehnten brachte die notwendige Erweite-rung, es entstand die Murvorstadt. Noch innerhalb der „Mittelalterlichen Stadtmauern“ wurden Dom und Burg unter Friedrich III errichtet. Ab 1544 wurde Graz zur Hauptfestung ausgebaut und dadurch vor allem in westlicher Richtung stark erweitert.

Abb. 1: Bauhistorische Entwicklung

Ein Großteil der Befestigungsanlagen wurde nach 1784 (Aufhebung der Fes-tungswerke) nahezu völlig abgetragen, jedoch sind noch Relikte dieser Bau-werke im Altstadtgefüge erkennbar. Der Stadtpark verdankt seinen Bestand der damals durchgeführten Begrünung und Bepflanzung der Wallanlagen. Die im 19. Jahrhundert einsetzende Industrialisierung des Obersteirischen Eisen- und

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des Köflacher Braunkohlenreviers bringt in Graz eine neuerliche wirtschaftli-che Hochkonjunktur mit sich. Landflucht und soziale Änderungen führten schließlich zu einer Bevölkerungszunahme, die ein weiteres Anwachsen der Stadt zur Folge hatte.

Raum- und Platzfolge In der Grazer Altstadt hat sich das Gefüge von Plätzen, Straßen und Gassen in seiner ganzen Vielfalt bis auf den heutigen Tag erhalten. Monumentalgebäude, Baudenkmäler – Zeugen der bürgerlichen und religiösen Baukultur – prägen diese Räume in unverwechselbarer Weise. Die Altstadt als „Platz für Men-schen“ ist bei aller Veränderung durch die Zeit in ihrer Bedeutung ein Ort der Begegnung im weitesten Sinn geblieben. Das differenzierte Netz der Raumfol-gen, die Konzentration geschäftlicher Nutzungen auf engstem Raum sind we-sentliche Voraussetzungen, dass sich der Stadtbürger mit diesem Ort identifi-zieren kann.

Abb. 2: Raum- und Platzfolge Es gehört zur alltäglichen Erfahrung in der örtlichen Raumplanung, dass jegli-che Planung an der erzielten Gestalt gemessen wird. Alle raumbezogenen Maßnahmen werden letztlich Gestalt. Fragen der Gestaltung sind aber auch deshalb von zunehmender Bedeutung, weil sie als Mittel der Identifikation der

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Bürger mit ihrem Lebensraum zu sehen sind. Ein Mangel an Identifikations-möglichkeiten führt zu Stadtflucht, Frustration und mangelndem Interesse an Belangen der Wohnumwelt und Gemeinschaft. Es muss daher mit aller Deut-lichkeit hingewiesen werden, dass Lösungsansätze in der Stadtgestalt nur zu finden sein werden, wenn es gelingt, vielfältige Initiativen zu wecken und Be-troffene und Beteiligte für die gestellten Aufgaben zu motivieren. Vorausset-zungen für die Erreichung des gesetzten Zieles sind unter anderem: • Abbau von Barrieren zwischen unterschiedlichen Gruppen; • Rückgewinnung des Vertrauens in die Verwaltung und Kommunalpolitik; • Schaffung von geeigneten Organisationsformen in der Kontaktzone zwi-

schen Bürger und Planungsverwaltung; • Sicherung eines Mitwirkungs- und Mitspracherechts; • Angebot an Gestaltvorstellungen und Alternativen; • Abgrenzung der Problemgebiete und gleichzeitige Bearbeitung der wich-

tigsten Schwerpunkte; • Erkennen (Einschätzen) der Langzeitwirkung der zu setzenden Maßnah-

men; • Verbesserung der rechtlichen und finanziellen Möglichkeiten.

Erkennt man in der Stadterneuerung einen wichtigen Beitrag zur Stadtgestalt, so wird die Forderung nach Einleitung einer Bearbeitungsphase größeren Ausmaßes verständlich. Denn Stadterneuerung heißt nicht: Flächensanierung, Abbruch und Wiederaufbau, Erfüllung der Bauklassen und Ausnutzung maxi-maler Dichten. Stadterneuerung heißt primär: • Rückgewinnung von städtischen Lebensräumen; • Rekonstruktionsversuch menschlicher Heimat; • Berücksichtigung unterschiedlicher Gestaltqualität; • Erhaltung der Charakteristik von Stadtvierteln, Bereichen und Straßenräu-

men; • Gliederung und Gestaltung der Bereiche, Platz- und Straßenräume unter

Beachtung von Orientierung, Identifikation und Maßstab.

Die vorgefundene Stadtgestalt ist das Ergebnis historischer und sozio-kultu-reller Entwicklungen im weitesten Sinn und gleichzeitig Ausgangspunkt für künftige Veränderungen und Entwicklungen. Es erscheint daher sinnvoll, be-sonders im Aufgabenbereich der Stadtgestaltung, von seinem Bestand auszu-gehen. Dies bedingt allerdings eine Analyse des räumlichen Erscheinungsbil-des der Stadt – eine Vorgehensweise, der bisher zu wenig Bedeutung beige-messen wurde. Nach einer Problemanalyse zeichnen sich etwa folgende Handlungsmöglichkeiten ab:

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• Abkehr von der bisherigen Methode der „passiven“ Planung; • Organisation und Entwicklung einer „aktiven“ Planungsphase.

Das heißt: • Einsatz der bestehenden Instrumente als Mittel zur Gestaltung, • Erfassung aller Probleme, die mit der Stadterneuerung und Stadtgestaltung

zusammenhängen; • Auswertung aller bisher erarbeiteten Grundlagen, • Gliederung des Planungsraumes in strukturähnlichen Bereiche und Beach-

tung des unterschiedlichen Gestaltniveaus, • Überprüfung und Erfassung der Ziele der Stadtgestalt auf allen Planungs-

ebenen; • Information und Beteiligung der Betroffenen; • Erarbeitung von Sachkonzepten unter besonderer Berücksichtigung der

Ziele und Möglichkeiten der Stadtgestaltung; • Erarbeitung von Rahmenbedingungen für die Erhaltung, Umgestaltung und

Gestaltung der Stadt, bezogen auf Gesamtraum, Bereiche, Platz- und Straßenräume, Einzelobjekte.

Einer weiteren vertieften Bearbeitung sollten folgende Thesen vorangestellt werden. Die Stadt ist als Beziehungssystem zu sehen; es sind daher die vielfäl-tigen Wechselbeziehungen der räumlichen Gliederung zu beachten. Es können folgende „Grundsätze“ gelten: • Bevorzugte Lage erfordert bevorzugte Gestaltung; • Gebäude der öffentlichen Hand und Gebäude mit öffentlichen Funktionen

haben eine höhere Gestaltqualität aufzuweisen; • Die den bestehenden Horizont einer Stadt, Stadtteil- oder Straßenraumsil-

houette überragenden Objekte haben sich durch besondere Gestaltqualität auszuzeichnen;

• Die bestehende Raumcharakteristik ist hinsichtlich ihrer Bedeutung für die Prägung des Stadtraumes zu bewerten und bei der Erhaltung, Umgestaltung und Erneuerung der Stadt zu berücksichtigen;

• Die historisch bedeutsame Bausubstanz ist als wesentlicher Bestandteil des räumlichen-mentalen Beziehungssystems der Stadt zu erhalten. Sie ist wichtige Grundlage für die Gliederung des Stadtkörpers und die Orientie-rung im Stadtraum.

Nutzungsstruktur Die durch die Jahrhunderte „gewachsene“ Stadt war bis zur „industriellen Re-volution“ immer von Vielfalt geprägt:

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• von der Funktionsvielfalt; • der Gestaltvielfalt und • der Vielfalt des städtischen Lebens.

Das Prinzip der Vielfalt spiegelt sich bis heute in der Gestalt der alten Stadt- und Ortskerne wider. Wesentliches zentrales Element des Stadtgrundrisses war der Markt, jedoch in seiner Ausformung nicht monofunktionales Element, sondern seiner Bedeutung nach Platz, Treffpunkt, Kommunikationsbereich. Beachtet man alte Stadtgrundrisse und Stadtbilder, so wird dieses Prinzip der Vielfalt deutlich ablesbar. Darüber hinaus ist aber ein weiteres funktionales Ordnungsprinzip erkennbar: • öffentliche Gebäude; • religiöse, kulturelle Zentren

werden immer in Verbindung mit • Handelseinrichtungen

geplant und errichtet.

Abb. 3: Nutzungsstruktur Diese räumliche Zuordnung von öffentlichen Einrichtungen und Handelsfunk-tionen bleibt als Grundprinzip der Stadtgestalt bis ins 19. Jahrhundert bestehen, geht dann durch die strenge Trennung der einzelnen Daseinsgrundfunktionen

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Wohnen, Arbeiten, Bildung, Verkehr, Erholung usw. teilweise verloren und wird nach neueren Erkenntnissen der Raumplanung heute wieder allmählich zurück gewonnen.

Bedingt durch die einsetzende Industrialisierung und das damit zusammenhän-gende gesteigerte Wachstum der Städte kommt es zunächst zu einer Funkti-onsüberlagerung und schließlich zur Trennung der Funktionen Wohnen und Arbeiten. Gleichzeitig werden neue Verkehrsmittel entwickelt, die eine weitere extensive Flächennutzung ermöglichen. Diese Entwicklung führte zu einem zweiten Wachstumsschub der Städte, der in Europa etwa Mitte der fünfziger Jahre einsetzte. Bekannte Beispiele dafür sind der flächenextensive Ausbau von Stadtstraßen oder die Konzentration bestimmter Funktionen in abge-grenzten Gebietseinheiten, wie etwa Verwaltungs-, Einkaufs- oder Wohnzent-ren. Obwohl die Altstadt von Graz vorrangig der betrieblichen und kulturellen Nutzung vorbehalten bleibt, ist in den Randzonen genügend Wohnbevölkerung beheimatet, die berechtigte Wünsche an die Gestaltung des Wohnumfeldes stellen kann.

Abb. 4: Erlebnisräume Ein Gestaltungskonzept für den ganzen Zentrumsbereich muss daher neben einem großzügigen Ausbau der Cityfunktionen auch Gestaltungsbeiträge für

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eine zumindest punktuelle Verbesserung des Wohnklimas beinhalten. Dazu bieten sich Begrünungs- und Bepflanzungsmaßnahmen, aber auch Maßnahmen der Verkehrsberuhigung an.

Erlebnisräume Stadtgestalt wird im Durchschreiten der Plätze, Straßen und Gassen wahrge-nommen. Der Spaziergang oder auch nur der zurückgelegte Weg wird für den Besucher und den Bewohner zum täglichen Erlebnis. Elemente der Stadtge-stalt, unverwechselbare Zeichen, Torsituationen und Sichtbeziehungen werden zum Gegenstand und Inhalt der Orientierung im Stadtraum. Die hohe Gestalt-qualität der Grazer Altstadt ist letztlich eine wesentliche Basis für die Identifi-kation der Menschen mit diesem Ort.

Beispiele In drei ausgewählten Analysebeispielen wird die Gegenüberstellung von Problemen: Maßnahmen durch Text und Bild vermittelt. Computergestützte Visualisierungsmethoden bis hin zur Computer-Animation gehören heute zum Standard einer gezielten Gestaltplanung und stellen einen wichtigen For-schungsschwerpunkt der Örtlichen Raumplanung und Stadtgestaltung dar.

Abb. 5a: Hauptbrücke (Beispiel 1)

Problem: Durch die fortschreitende Verkehrsberuhigung hat die Hauptbrücke ihre Verkehrsbedeutung für den Individualverkehr verloren. Die Straßenober-fläche wirkt unmaßstäblich und benutzerfeindlich.

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Abb. 5b: Hauptbrücke (Beispiel 1)

Maßnahme: Durch die Anordnung von Verkaufs- und Ausstellungsmöglich-keiten kann eine attraktive räumliche Verbindung zur Murvorstadt geschaffen werden.

Abb. 6a: Andreas Hofer platz (Beispiel 2)

Problem: Durch den Bau einer Tiefgarage, einen großflächigen Ausbau des In-dividualverkehrs und flächen-extensive Nutzungen entstand ein unmaßstäbli-cher, städtebaulich nicht gefasster Platzraum.

Abb. 6b: Andreas Hofer Platz (Beispiel 2)

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Maßnahmen: Durch die Neugestaltung der Verkehrsflächen bei gleichzeitiger Berücksichtigung des öffentlichen Verkehrs, einer Gliederung der Platzober-flächen mit akzentuierter Bepflanzung und einer möglichen Überbauung kann die ursprüngliche Maßstäblichkeit des Platzes zurück gewonnen wer-den.

Abb. 7a: Brückenkopf Murgasse (Beispiel 3)

Problem: Durch den Ausbau der Brückenunterführung entstand ein empfindli-cher Eingriff in die Silhouette der Altstadt. Betonstützmauern, Stahlbetonstüt-zen, auskragende Gehsteige und undifferenzierte Geländeformen bedingen ein hohes Gestaltungsdefizit im Sichtbereich dieser wichtigen Torsituation.

Abb. 7b: Brückenkopf Murgasse (Beispiel 3)

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Maßnahmen: Durch eine Verkleidung der Stützmauern mit Natursteinen erhält das Altstadtensemble einen gestalteten Vordergrund. Durch Absenkung des Gehsteiges kann das Erscheinungsbild ebenso verbessert werden. Ein rhythmi-sches Pfeilergeländer entspricht besser dem Maßstab der Altstadtstruktur. Quellenverzeichnis Moser, F., Walchhofer, H.P. (1990): Platz für Menschen, Gestaltungskonzept Zentrum Graz; im Auftrag des Magistrates Graz/Stadtplanung, Graz

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IRIS-ISIS Schriftenreihe • Band 7 / 118

Systemtheoretische Aspekte nachhaltiger Raumnutzung Kurt Ricica Alle Raumanalysen können drei großen Themenkomplexen zugeordnet wer-den: Dem philosophischen, zu dem auch die Raumanalysen der Sinnespsy-chologie und der Phänomenologie zu zählen sind, dem geometrischen und dem mathematisch-physikalischen.[1] Dieser Betrachtungsweise entsprechen auch die Paradigmen systemischen Denkens [2]: System mit Selbstdifferenz (Be-wusstsein), System als Maschine und System als (lebendige) Ganzheit. Nach-haltigkeit wird entsprechend dem nach Gro Harlem Brundtland benannten Be-richt der Vereinten Nationen als eine Form der menschlichen Bedürfnisbefrie-digung, die die Entwicklung zukünftiger Generationen nicht beeinträchtigt, definiert. Das heißt, wir wollen, dass die menschliche Entwicklung weitergeht, dass sie auf einem hohen Niveau dauerhaft ist. Nachhaltigkeit ist deshalb zu aller erst eine Frage von Werten und Ethik. Wir haben mit aller Deutlichkeit und Dringlichkeit sehen gelernt, dass und in welch vielfältig verflochtener Weise der Mensch eingebunden ist sowohl in natürliche als auch in soziale und ökonomische Systeme. [3] Auf Grund der Komplexität der zu analysierenden Zusammenhänge und auf Grund der starken Abhängigkeiten zwischen den einzelnen Bereichen erscheint ein systemischer Zugang zum Problemkreis der Nachhaltigkeit sowohl ange-bracht als auch erforderlich. Grundsätzlich geht es dabei zum einen um die Modellierung von Teilsystemen und zum anderen um die Beschreibung der Interaktion zwischen den Teilsystemen [4]. Nur wenn neben dem Fortbestand der einzelnen Teilsysteme auch die Wechselwirkung zwischen diesen langfris-tig aufrecht erhalten werden kann, liegt nachhaltige Entwicklung vor. „So be-trachtet ist es nicht nur überflüssig, sondern sogar störend, von ‚ökologischer Nachhaltigkeit’ auf der einen, ‚sozialer’ und ‚ökonomischer Nachhaltigkeit’ auf der anderen Seite zu sprechen. Es gibt nur eine Bestimmung für Nachhal-tigkeit, und die betrifft beide Seiten der Interaktion, das soziale und das natür-liche System. Eine nicht nachhaltige Interaktion führt zu Veränderungen des Natursystems, die Veränderungen im Verhalten des Sozialsystems erzwingen. Ein Mangel an ‚ökologischer Nachhaltigkeit’ bedingt über kurz oder lang eine ökonomische Störung.“[5] Die praktische Schwierigkeit bei der Implementie-rung des Nachhaltigkeitsgedankens besteht nun darin, zu erkennen, wann die laufend notwendigen Anpassungsprozesse die Elastizitätsgrenze eines der be-teiligten Teilsysteme oder ihrer Relationen überschreiten, also zu im Ganzen nicht mehr behebbaren Störungen führen. Daher bedarf es für die Operationali-sierung der Nachhaltigkeit entsprechender Modelle, die in der Lage sind, die wesentlichen Parameter abzubilden und handhabbar zu machen. Das ‚Leit-

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wertmodell’ von Hartmut Bossel[6] und das ‚ökologisch-gesellschaftliche Transformationsmodell’ von Brigitte Ömer[7] erscheinen mir dafür besonders geeignet und werden im Folgenden in der gebotenen Kürze skizziert.

Das ‚Leitwertmodell’ von Hartmut Bossel Der Systemtheoretiker Hartmut Bossel zeigt auf, wie die Erkenntnisse der all-gemeinen Systemtheorie auch für die Thematik der Nachhaltigkeit fruchtbar gemacht werden können, indem er die elementaren Eigenschaften der System-umwelt und die korrespondierenden Grund- oder Leitwerte des Systems her-ausarbeitet und miteinander verknüpft. Nach Bossel sind Systemumwelten die-ser Erde von sechs fundamentalen Umwelteigenschaften gekennzeichnet: • Normalzustand der Umwelt - Der Umweltzustand schwankt in gewissen

Grenzen um einen Normalzustand; • Ressourcenknappheit - Die für die Funktion und Entwicklung eines Sys-

tems lebensnotwendigen Ressourcen (Energie, Materie, Information) sind nur begrenzt, verstreut und zeitlich und räumlich ungleich verteilt verfüg-bar;

• Umweltvielfalt - Die Umwelt bietet meist eine große, in Zeit und Raum stark veränderliche Vielfalt von Bedingungen, Gestalten, Mustern, Syste-men;

• Umweltunsicherheit - Der Umweltzustand kann z.T. starke, meist zufällige Schwankungen um seinen Normalzustand zeigen;

• Umweltwandel - Die Systemumwelt ist nicht statisch, sondern entwickelt sich u.a. in Koevolution der beteiligten Systeme. Im Lauf der Zeit kann sich der normale Umweltzustand allmählich oder plötzlich in einen dauerhaften anderen Normalzustand verändern;

• Andere Systeme - Im Allgemeinen findet ein System in einer Umwelt noch andere Systeme vor, die seine Umweltbedingungen und die Systement-wicklung verändern können.

Aus diesen Umwelteigenschaften erwachsen dem System ‚Zwänge’, nach denen es seine Struktur, seine Funktion und sein Verhalten ausrichten muss, um in seiner Umwelt erfolgreich bzw. entwicklungsfähig sein zu können. Diese allgemeinen Orientierungen der Systementwicklung bezeichnet Bossel als Leitwerte. Jede der sechs Umwelteigenschaften konfrontiert das System mit speziellen Anforderungen, die sich in den systemumweltbedingten Leitwerten für autonome, selbstorganisierende Systeme wiederspiegeln: • Existenz - Das System muss dem Normalzustand der Umwelt angepasst

sein, um in ihm überleben zu können. Die Ressourcen (Energie, Materie, Information), die das System zum Überleben benötigt, müssen vorhanden sein;

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IRIS-ISIS Schriftenreihe • Band 7 / 120

• Wirksamkeit - Das System muss in seiner Umwelt zurechtkommen und sich die notwendigen Ressourcen (Energie, Materie, Information) beschaffen können, wobei langfristig gesehen der Aufwand den Erfolg nicht überstei-gen darf,

• Handlungsfreiheit - Das System muss auf die vielfältigen Anforderungen der Umwelt durch Wahl angemessener Reaktionen reagieren können,

• Sicherheit - Das System muss sich vor unvorhersehbaren und potentiell ge-fährlichen Schwankungen der Umwelt schützen können;

• Wandlungsfähigkeit - Das System muss auf dauerhaften Umweltwandel durch Lernen, Anpassung und Selbstorganisation angemessen reagieren können;

• Koexistenz - Das System muss auf Vorhandensein und Verhalten anderer Systeme in seiner Umwelt ‚vernünftig’ reagieren, d.h. es muss in der Lage sein, sein Verhalten zu modifizieren, Verhalten und Leitwerte (Systemin-teressen) anderer Systeme in seiner Umwelt zu berücksichtigen.

Zur Beschreibung von selbsterzeugenden, empfindungsfähigen und bewussten Systemen bedarf es darüber hinaus noch folgender systembedingter Leitwerte: • Reproduktion - Selbsterzeugende (autopoietische) und/oder sich fortpflan-

zende Systeme müssen sich reproduzieren bzw. replizieren können, • Psychische Bedürfnisse - Empfindungsfähige Wesen haben psychische Be-

dürfnisse, die befriedigt werden müssen; • Ethisches Leitprinzip - Bewusste Akteure können die Folgen ihrer Handlun-

gen (teilweise) übersehen, sind damit verantwortlich für ihre Entscheidun-gen und brauchen hierzu eine normative Orientierung.

Die Allgemeingültigkeit der systemtheoretisch abgeleiteten Leitwerte von Bossel wird durch verwandte theoretische Konzepte bzw. Denkmuster aus den Fachbereichen der Psychologie (,Psychische und soziale Bedürfnisse’, Max-Neef) der Entwicklungsbiologie (‚Eigenschaften der Lebewesen’, Rienesl) und der Humanökologie (‚Koevolution von Natur- und Humansystem’, Ömer) un-termauert, wie durch die nachstehende Tabelle angedeutet wird. [8]

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Abb 1: Systemtheoretisch abgeleitete Leitwerte

Leitwerte Psychische und soziale Bedürfnisse

Eigenschaften der Lebewesen

Koevolution von Natur- und Humansystem

Bossel Max-Neef Rienesl Ömer

Existenz Lebenserhalt Existenz (Lebens-fähigkeit)

Koexistenz

Wirksamkeit Kompetenz, Muße

Viabilität (Über-lebensfähigkeit)

Leitbildorientie-rung und Ressour-ceneffizienz

Sicherheit Schutz Variabilität (Fähig-keit zur individuellen Veränderung, Plasti-zität, Modifikation)

Vorsorgeprinzip

Koexistenz Beteiligung Koexistenz (Fähig-keit zur Interaktion)

Integration und Interaktion

Wandlungs-fähigkeit

Beschaffung von Neuem

Evolution (Wand-lungsfähigkeit)

Varietät

Handlungsfreiheit Freiheit Variabilität (Fähig-keit zur stammesge-schichtlichen Ver-änderung, Adaption)

Subsidiarität

Psychische Bedürfnisse

Zuneigung, Identität

- Regionale Identität

Das ‚ökologisch-gesellschaftliche Transformationsmodell’ von Ömer Bei diesem Denkansatz werden zunächst ökologische Funktionsprinzipien systemtheoretisch interpretiert, sodann in sozioökonomische Ziele und diese wiederum in gesellschaftliche Werte transformiert. Zentrale Charakteristika natürlicher Systeme sind Diversität (Komplexität), Vernetzung, Selbstherstellung und Selbsterhaltung (Autopoiese) sowie Selbst-organisation. Die Dynamik natürlicher Systeme umfasst einerseits die dynami-sche Stabilisierung des Systems in seinem Umfeld (‚Dynamik des Zustands’, Homöostase, ‚Stabilität’) und andererseits seine Weiterentwicklung zu immer komplexeren Wirkungszusammenhängen (‚Dynamik der Entwicklung’, Suk-zession, Evolution und Entropiereduktion (‚Offenheit’)). Diese Funktionsprin-zipien natürlicher Systeme (vgl. auch Rienesl) bilden den Ausgangspunkt für das ‚ökologisch-gesellschaftliche Transformationsmodell’.

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Im Hinblick auf eine nachhaltige Entwicklung des Humansystems interpretiert, werden daraus folgende gesellschaftliche Zielebündel abgeleitet: • Ziele zur Erhaltung der ökologischen Voraussetzungen; • Ziele zur Förderung einer nachhaltigen Entwicklung von Gesellschaft und

Wirtschaft.

Die gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung ist nur dann nachhaltig, wenn sie innerhalb vorgegebener ökologischer Grenzen (‚Leitplanken’) liegt. Die beiden Zielebündel unterscheiden sich demnach dadurch, dass erstere wesentlich invariable Grenzen vorgeben, während zweitere qualitativ variabler sind. Zur Transformation der Zielvorstellungen in gesellschaftliche Werte strukturiert Ömer die Zielvorstellungen in Anlehnung an das Zielsystem für nachhaltige Entwicklung aus dem Landesumweltprogramm für Oberöster-reich.[9] Abb. 2: Zielsystem zur Erhaltung der ökologischen Voraussetzungen (vereinfachte Darstellung):

Erhaltung der natürlichen

Entwicklungsfähigkeit

Erhaltung des

ökologischen Aus-gleichspotentials

Erhaltung der Produktions-

leistung der Natur

Bewahrung der genetischen

Information und der Artenvielfalt

Erhaltung und Entwicklung viel-

fältiger Öko-systeme und Naturräume

Erhaltung und Förderung aus-gleichsfähiger

Naturstrukturen

Abstimmung der stofflichen Ent-

nahmen mit natür-lichen Prozessen

.... Strukturierte Inhalte werden auf die Wertebene projiziert und in zwei zentrale gesell-

schaftliche Werte zusammengeführt: VIELFALT NATÜRLICHKEIT/SICHERHEIT

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IRIS-ISIS Schriftenreihe • Band 7 / 123

Abb. 3: Zielsystem zur Förderung einer nachhaltigen Entwicklung von Gesellschaft und Wirtschaft (vereinfachte Darstellung):

Zukunftsverträgliche Deckung der menschlichen

Bedürfnisse und Ansprüche

Umweltgerechter Wertewandel

Abstimmung der stoffli-chen Ent-

nahmen mit natürlichen Prozessen

Verringerung der Entropie-

produktion

Strukturelle Kompatibilität

zwischen anthropo-genen und natürlichen Systemen

Erweiterung und

Vermittlung ökologischen

Wissens

Aufbau adäquater

Entscheidungs- und

Verwaltungs-strukturen

... ... ... ... ...

Systemorientierung Leitbildorientierung ... .... Problemlösung im Sinne des Subsidiaritätsprinzips

Die Übertragung des Zielsystems auf die Wertebene führt im Ergebnis zu folgenden

Werten:

DEMATERIALISIERUNG (Überleitung vom

quantitativen in qualitatives Wachstum)

NÄHE/ DENZENTRALITÄT

MITBESTIMMUNG/ KREATIVITÄT

Die ermittelten zentralen gesellschaftlichen Werte Vielfalt, Natürlichkeit / -Sicherheit, Dematerialisierung, Nähe/Dezentralität, Mitbestimmung/Kreativität werden in einer Matrix mit Themenbereichen der Raumplanung verknüpft.

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IRIS-ISIS Schriftenreihe • Band 7 / 124

Abb. 4: Themenbereiche der Raumplanung

Werte Themenbereiche

Vie

lfal

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Nat

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hkei

t/ Si

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heit

Dem

ater

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Dez

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Mitb

estim

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g/

Kre

ativ

ität

Stoffhaushalt/ Ressourcen-management

Grünräume und Naturschutz Überregionale Planung Standort Landwirtschaft ... Diese Matrix dient als Grundgerüst für die Erstellung von Leitlinien für ein-zelne Themenbereiche der Raumplanung unter Berücksichtigung des Konzep-tes der Nachhaltigen Entwicklung. Schritte vom Denken zum Handeln Mit den beiden Herangehensweisen ‚Leitwertmodell von Hartmut Bossel’ und ‚ökologisch-gesellschaftliches Transformationsmodell von Brigitte Ömer’ werden Möglichkeiten aufgezeigt, ‚Nachhaltigkeit’ unter Berücksichtigung systemtheoretischer Aspekte - auch und insbesondere für die Raumplanung - zu operationalisieren. Um seinen Denkansatz in die Praxis umzusetzen, skiz-ziert Bossel die Gesellschaft als System mit folgenden charakteristischen Teil-systemen, die auf vielfältige Weise miteinander verknüpft sind:

• Bewusstseinssystem; • Organisationssystem (Staat und Verwaltung); • Sozialsystem; • Wirtschaftssystem, • Umwelt- und Ressourcensystem; • Infrastruktursystem

Wesentlich ist, die zueinander in Wechselbeziehung stehenden Entwicklungen der Teilsysteme gleichzeitig zu betrachten, um ein zuverlässiges Bild der zu-künftigen Entwicklung des Gesamtsystems Gesellschaft zu erhalten. Für die Orientierung von Systemverhalten gilt, dass Verbesserungen auf der Ebene einzelner Leitwerte nur dann sinnvoll sind, wenn zugleich die Minimalerfül-lung aller Leitwerte gewährleistet ist. Bossel vertritt dabei eine Ethik der Part-nerschaft, die ethische Überlegungen auf alle gegenwärtigen und zukünftigen

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Teilsysteme ausdehnt, gleich ob sie menschlich oder nichtmenschlich, belebt oder unbelebt sind. Ömer verfolgt mit ihrem Konzept das von vorneherein handlungsorientierte Ziel, den ethischen Anspruch einer nachhaltigen Entwicklung im verhaltens-wirksamen gesellschaftlichen Wertsystem zu konkretisieren. Die Umsetzung ist somit als ein Ausdruck des sich praktisch vollziehenden Wertewandels zu sehen. Die Matrizen zur Erstellung von Leitlinien machen den Prozess der Zielkonkretisierung für Zwecke der Raumplanung transparent. Da jedes Da-sein eines im Raum ist, haben alle Überlegungen zur Gestaltung von Prozessen immer starke räumliche Implikationen. Nachhaltige Prozesse müssen immer solche eines nachhaltigen Umganges mit dem Raum sein. Sich mit Nachhal-tigkeit zu beschäftigen heißt daher insbesondere der Frage zu begegnen, wie sich die menschlichen Aktivitäten auf den Raum auswirken. Der Übergang von der theoretischen Auseinandersetzung zu praktischen Fragen der Raumplanung ist daher als ein in der Sache selbst begründeter zu verstehen. Ein weiterer Versuch dazu wurde mit der Erarbeitung des Leitfadens ‚Raum-verträglichkeit als Beitrag zur nachhaltigen Raumnutzung’[10] unternommen, welcher als Momentaufnahme in einem fortzuführenden Denkprozess zu ver-stehen ist. Aus Gründen der Praxisnähe und der Pragmatik der Lesbarkeit er-folgte in Anlehnung an Bossel und das Modell des Raumes, welches dem Wiener Naturschutzgesetz 1998 zu Grunde liegt [11], eine thematischsequen-tielle Beschreibung des Raumes nach ausgewählten ‚Systemelementen’ und ‚Systemrelationen’. Da die natürlichen Systeme einerseits die verlässlichsten uns zur Verfügung stehenden Referenzsysteme für nachhaltige Entwicklung darstellen, anderer-seits die Suche nach jenen Gestaltungs- und Entwicklungsprinzipien von Hu-mansystemen im Zentrum einer Politik der Nachhaltigkeit stehen, die deren langfristige Einbindung in das Natursystem gewährleisten, kommen auch hier die ökologischen Funktionsprinzipien - wie auch bei Ömer - zum Tragen. Nachdem nunmehr m.E. tragfähige Konzepte zur Konkretisierung des Nach-haltigkeitsgedankens auf Ebene der Zielfindung und Wertsynthese vorliegen, wird an einer Vertiefung des Verständnisses der Zielbeziehungen, insbeson-dere der Zielkonflikte, wie sie auf operationaler Ebene unvermeidlich wieder ins Spiel kommen und die meist nicht ganz einfach mit Hinweis auf einen der Leitwerte, ein gesellschaftliches Leitbild o.ä. ausgeräumt werden können, zu arbeiten sein. Hiefür kann auf eine Reihe von wissenschaftlichen und bereits bewährten Instrumenten zur Konfliktbearbeitung zurückgegriffen werden, nicht zuletzt auf das Instrumentarium der Raumplanung.

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Referenzen [1] Gosztonyi, Alexander (1976); Der Raum: Geschichte seiner Probleme in

Philosophie und Wissenschaften. 2 Bände. Freiburg, München [2] Fischer, Roland (1994); Drei Paradigmen systemischen Denkens. Wissen-

schaftliche Blätter, Angewandte Ökologie der wissenschaftlichen Lan-desakademie für Niederösterreich, Heft 1/1994

[3] Narodoslawsky, Michael (1999); Indikatoren – Ein Kernkonzept nach-haltiger Entwicklung. Umweltindikatoren für Österreich, Umweltbundes-amt GmbH, Wien 1999

[4] vgl. die Forderung von Bertalanffy, dass aus systemtheoretischen Grün-den für die Darstellung eines Systems immer die Angabe von Elementen und Relationen erforderlich ist; in: Theorien und Modelle, Forschungs-schwerpunkt Kulturlandschaft. Schriftenreihe des Bundesministeriums für Wissenschaft und Verkehr Nr. 4. Wien 1998

[5] Fischer-Kowalski, Marina (1996): Das magische Dreieck von Nachhaltig-keit: Lebensqualität, Wohlstand und ökologische Verträglichkeit. IFF – Soziale Ökologie

[6] Bossel, Hartmut (1998): Globale Wende – Wege zu einem gesellschaftli-chen und ökologischen Strukturwandel. München

[7] Ömer, Brigitte (2000): Ökologische Leitplanken einer nachhaltigen Ent-wicklung. Umsetzungsorientierte Modellbildung zur Transformation ökologischer Lebensprinzipien in gesellschaftliche Werte. ÖIN im Auf-trag des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Kultur

[8] siehe Endnote 6, 7 und 10 [9] Durch nachhaltige Entwicklung die Zukunft sichern. Landesumweltpro-

gramm für Oberösterreich. OÖ Umweltakademie. Linz 1995 [10] Ricica Kurt, Voigt Andreas et al. (1998): Raumverträglichkeit als Beitrag

zur nachhaltigen Raumnutzung. IRIS-ISIS Schriftenreihe Nr. 4, Kunst- und Kulturverlag. Wien

[11] Wiener Naturschutzgesetz, LGBl. für Wien Nr. 45/1998

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Experimenteller Hochbau: Vom extrem Leichtem Bauen, dem Konstruieren mit "Gewand" und der dritten Haut des Menschen Peter Schmid Vorbemerkung Von 1994 bis 1999 hatte der Verfasser die Gelegenheit als Lehrbeauftragter jährlich einen Intensiv-Workshop im Raumexperimentierlabor der TU Wien abzuhalten. Als zentrales Thema für die Hochbau-Experimente mit starkem Realitätsbezug wurde das im allgemeinen noch wenig übliche Bauen mit ex-trem leichten, vor allem textilen Materialien gewählt. Experimente waren ge-fragt, denn die zur Errichtung gebrachten Prototypen sollten auch ein perma-nentes Wohnen im mitteleuropäischen Klima ermöglichen. Hinzu gesellten sich die Gedanken an ein nachhaltiges und ein ressourcenschonendes Bauen. Der Handlungsrahmen Wie bereits angedeutet, wurde der extreme Leichtbau als thematische Aufgabe für die Hochbausimulationen ausgewählt. Dieses überaus interessante und her-ausfordernde Thema lädt - da beinahe noch zur Gänze 'unausgebaut' - zwei-fellos zum Experimentieren ein. Hinzu kommt, dass eine Weiterentwicklung des Leichtbaus in Bezug auf eine bislang so gut wie fehlende Integration ent-sprechender Wärmedämmmaßnahmen im raueren Klima tatsächlich von prak-tischem Nutzen sein sollte. Die Tatsache, dass Leichtbau aufgrund seines ge-ringeren Gewichtes schon allein deshalb eine geringere Umweltbelastung dar-stellt, macht demnach ein Arbeiten in diese Richtung nicht nur relevant, son-dern geradezu höchst notwendig. Die wichtige Entwicklungsarbeit von Frei Otto am Institut für leichte Flä-chentragwerke in Stuttgart ist bei den hier beschriebenen Übungen von ebenso unschätzbarem Wert, wie die Traditionen der Teepee’s, Jurten Camping-, Hee-res-, Baustellen-, und Zirkuszelte. Mit den gestellten Aufgaben wurde die Absicht verbunden, den Komfort des Innenraumklimas auf 'unsere' gewohnten Erwartungen abzustimmen, und den Materialbedarf aus erneuerbaren und nachwachsenden Grundstoffen abzu-decken. Unter Hinzufügung dieser neuen Dimensionen mag die Themenwahl für den auf diese Weise modifizierten Leichtbau sowohl fachwissenschaftlich als auch gesellschaftlich überaus relevant sein.

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Die Entwurfsmethode Im Zuge der letzten Jahre wurden die zumeist in wahrer Größe ausgeführten Hochbau-Experimente, beziehungsweise die Prototypen der durch die Studie-renden konzipierten Baumethoden, Bausysteme, Bauarten, Gebäude oder ge-bäudeähnlichen Objekte (zumindest in exemplarischen Teilen) in systemati-scher Gemeinschaftsarbeit entwickelt. Das durch Konrad Wachsmann und Walter Gropius in den vierziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts einge-führte Teamwork und die auf Konsens ausgerichtete Beratungs- oder Konsul-tationstechnik mancher 'Ureinwohnerschaft' findet sich in den Grundlagen der MHP – der „Methode Holistischer Partizipation“ wieder (Der Verfasser hat mit dieser Methode mittlerweile ungefähr 100 Workshops betreut).

Abb. 1: Das Logo der MHP (Methode Holistische Partizipation) bringt das Ineinander flechten verschiedener Faktoren und zusammenwirkender Individualitäten zu einem gemeinsamen Ganzen zum Ausdruck.

Mit Hilfe dieser Methode, welche sowohl an die Größe einer Gruppe als auch an die zur Verfügung stehende Zeit angepasst werden kann, wurde die For-schungs- und Entwurfsphase von allen Teilnehmern systematisch durchlaufen. Somit konnte sich jeder Studierende mit allen einzelnen Teilproblemen aus-einandersetzen, wie auch im multilateralen Gedankenaustausch die Gesamt-entwicklung vorantreiben. Es ist notwendig zu erwähnen, dass durch die kon-krete Ausführung des Gedachten und Geplanten, mitunter entsprechende An-passungen erforderlich wurden, da erst im Zuge der konkreten Errichtung in natürlicher Größe wesentliche Fragestellungen zu Tage treten. Dieser Umstand stellt einen nicht unwesentlichen Teil des didaktischen Prozesses dar.

Die Durchführung Die „Methode Holistischer Partizipation“ schafft im Zuge der Materialisierung Raum für zumeist auf persönlichen Talenten, Fertigkeiten und Vorlieben beru-hende Auswahlentscheidungen. Mitunter ist zwar der Unterschied in den mitgebrachten Fähigkeiten, wie auch im Einsatz deutlich erkennbar, doch kam

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es letztlich zu einer, durch das Team, gemeinsam getragenen Leistung. Begeisterung war bei den Studenten die dominierende Stimmungslage; dies schon im Entwicklungs- und Entwurfsstadium, aber erst recht im Zuge der überraschungsreichen Ausführung, welche vor allem ein erhöhtes Maß an Improvisation einforderte. Zweifellos wäre die Arbeit ohne Kooperation und Partizipation um ein Vielfaches träger und langwieriger von statten gegangen. Die nachfolgend dargelegten Übungsergebnisse gewähren Einblick in die Arbeitsweise, und lassen die Geschehnisse ein wenig erahnen. Darüber hinaus zeigen sie gangbare Pfade auf, welche weiter zu verfolgen, es wert wäre:

(1) - Spanntuch – Raumteilung mit Netz, 1994/95 Die Abbildungen zeigen eine phantasievolle räumliche Intervention, die durchaus ernst zu nehmende Entwicklungsmöglichkeiten in sich birgt: Eine morphologisch-topographisch-bewegte (Zwischen-) Ebene im Wohn- oder Büroverband könnte tatsächlich mit der ihr eigenen Flexibilität und der leich-ten Einbaumöglichkeit in zahlreichen bestehenden Objekten, resp. Altbauten ein dringendes Wohnbedürfnis abdecken. Gleichzeitig werden mit diesem Vorschlag spielerische und visionäre Dimensionen eröffnet. Die Zwischen-ebene erweist sich dabei als minimal und wenig kostenintensiv.

(2) - Demonstrationszelle in Gewandbauart, 1995/96 Bei dieser textilen Konstruktion handelt es sich um eine Arbeit an zahlreichen Erschwernissen, da nicht bloß Wand- und Dachteile sondern auch ein als Nutz-fläche zu verwendender und zu begehender Boden zu schaffen war. Die letzt-lich erstellte Versuchsanordnung erlaubte die tatsächliche Begehung wie auch eine konkrete Benutzung. Die Wärmedämmung wurde hingegen in der gegen-ständlichen Simulation nicht realisiert, muss also hinzu gedacht werden. Für dieses Konzept einer über dem Erdboden "schwebenden gewandeten Zelle" sind unterschiedlichste Anwendungen denkbar. Beobachtungen in und aus der Umgebung lassen dabei beispielsweise an Natur-Observationen denken. Neben

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einer additiven Kombination einzelner Elemente besteht unter Beibehaltung des Systems darüber hinaus die Möglichkeit, anderweitige Grundrissfigurati-onen zu erstellen, wie auch eine stärker geneigte Dachebene zu realisieren.

(3) - Nomaden der Stadt - Gewandbauart, 1995/96 Hierbei galt es ein sowohl physisch benutzbares, als auch symbolisch aus-drucksstarkes Obdach für Menschen ohne fixen Wohnort zu errichten. Die Minimalbehausung sollte nicht nur thermischen und psychologischen Schutz gewähren, sondern darüber hinaus durch den Obdachlosen selbst einfach zu er-richten und zu demontieren sein. Unterschiedliche 'dritte Häute' lassen den Prototypen dabei auch gestalterisch unterschiedlich erscheinen. Das räumlich- funktionelle Zusammenwirken mit einer Parkbank wurde weiterführend in Be-tracht gezogen. Für das konzipierte Objekt wäre neben der Erfüllung des Asyl-problems auch eine Anwendung im Bereich von Katastropheneinsätzen, wie auch temporären Reiseunterkünften denkbar.

(4) - Tropfen in der Baulücke - Gewandbauart, 1996/97 Der Gedanke aus dem weichen Hüllenmaterial einen Tropfen zu formen, bildet den Ausgangspunkt des Entwurfes. Entstanden ist ein in jeder Hinsicht Gebor-genheit vermittelnder Innenraum Die Möglichkeit zur Multiplikation, wie auch die Ausnützung der Vorteile innerhalb einer Baulücke wurde weiterführend

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angedacht. Im Zuge der Entwurfsarbeit fand eine vertiefte Reflexion über be-kannte Standards und Automatismen im Zuge der Verknüpfung von Form und Funktion, wie auch Material und Konstruktion statt. Auch wenn sich der aus-geführte Prototyp den Gegebenheiten des Laboratoriums folgend, im Bereich der Minimalarchitektur bewegt, so zeigte der Diskurs doch weiterführende Perspektiven auf. Vor allem solche, die für heute für gewöhnlich noch un-trennbar mit dem Massivbau verbunden sind.

(5) - Behaglicher Halbwurm – Gewandbauart, 1996/97 Der vorgestellte Prototyp enthält zahlreiche wertvolle Detaillösungen und könnte zeifelsohne auch kurzfristig, in größerem Maßstab, zur Anwendung gelangen. In besonderem Maße hervorzuheben ist seine Eigenschaft freitra-gend zu sein. Ein bogenförmiges Tragwerk wird dabei aus kurzen Abfallholz-brettern zu einer Art Nagelbinder zusammengestellt. Eine kontinuierliche Haut überdeckt Wand und Dach. Die Öffnungen werden durch abnehmbare lappen-artigen Wandelemente bewerkstelligt. Diese, wie auch alle anderen raumbe-grenzenden Bestandteile sind mittels Schafwollmatten wärmegedämmt und durch eine Regenhaut vor Feuchtigkeit gesichert.

(6) - Seidenraupenkokon - Gewandbauart, 1997/98 Diese Übung stellt auf gewisse Weise eine Ausnahmesituation dar. Da die entworfene Struktur die Dimensionen des Wiener Labors gesprengt hätte,

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wurde die Anordnung im Maßstab 1:3 ausgeführt. Wie der Name schon an-deutet, kam die Inspiration aus dem Reich der Natur (Architektur-Bionik). Im Besonderen von der Umhüllung der Seidenraupe. Da seitlich tragende oder Kräfte-aufnehmende Elemente notwendig waren, um das Hängen des Objektes möglich zu machen, wurde ein geflochtenes Netzwerk entwickelt, welches mit dämmendem, durchsichtigem/durchscheinendem, oder abdichtendem Material durchflochten wurde. Auch wenn das Prinzip, erst im größeren Maßstab voll zur Entfaltung gelangt, so verweist doch auch das Modell bereits auf das Potential, welches zu ergründen, wünschenswert wäre.

(7) - Wasch mich, aber mach mich nicht nass - Gewandbauart, 1997/98 Die 'Patentidee' zu vorliegendem Projekt liegt darin begründet eine textile Haut aufzuhängen, ohne dabei jedoch die Oberfläche zu durchdringen. Eine Ein-schnürung, mitsamt einer eigens entwickelten Verstärkung führt zum veran-schaulichten Ergebnis. Hüllflächen jeglicher Art scheinen auf diese Weise rea-lisierbar, stets vorausgesetzt, es besteht die Möglichkeit einer Anbindung an eine umgebende tragende Struktur. Der Patentknoten erhielt die Bezeichnung: "gewaschen ohne nass zu werden".

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(8) - Spielkartenhaus - Gewandbauart, 1998/99 Neben der Idee ein leichtes und gut gedämmtes Bausystem zu entwickeln, galt das Augenmerk einem Höchstmaß an Flexibilität. Frei nach Eames´s "Wolken-kuckuckshaus" sollte das Bausystem verschiedenste Raumkonfigurationen zu umhüllen im Stande sein. So erinnert die Struktur in starkem Maße an die Str-ategien bekannter Taschenspiele, deren Faltmechanismus mehr als nur Faszi-nation auslöst. Zur Anwendung gebracht ließe sich das entwickelte Prinzip vor allem im Bereich von Bauten für Kultur und Gemeinschaft vorstellen.

(9) - Moderne Jurte 'Anna Hamburg' - Gewandbauart, 1999/2000 Im Zuge des bislang letzten Workshops gelang es, einen unerwartet hohen Grad von Integration zu erreichen. Das Ergebnis weist eine funktionell mehr-schichtige Außen-Haut bestehend aus 'Regenschirm' und 'Wollpullover' auf. Die zwischengeschaltete Pufferzone sorgt für eine gezielte Hinterlüftung. Die mit Dämmstoff gefüllten Jutesäcke vermitteln ein weiches, polstermöbelartiges Erscheinungsbild. Die äußerliche Verwandtschaft mit einem Zelt ist zwar un-verkennbar, doch liegt dieser Umstand vor allem in den räumlichen Beschrän-kungen des Labors begründet. Tatsächlich jedoch sind selbst freie Formen in variierenden Größen durchaus denkbar. Bei entsprechender Dimensionierung erscheint das Prinzip durchaus geeignet, um 'mitteleuropäisch' angewendet zu werden. Die Aufgabenstellung scheint damit optimal erfüllt.

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Resumee Obgleich StudentInnen unterschiedlicher Generationen im Verlaufe der ver-gangenen fünf/sechs Jahre die thematisch aneinander gebundenen Lehrveran-staltungen besuchten, war eine deutlich progressive Entwicklung in qualitati-ver Hinsicht festzustellen. Das Bewusstsein über die Notwendigkeit eines nachhaltigen Bauens hat sich in diesem Zeitraum im allgemeinen vertieft; die Möglichkeiten 'anders', nämlich extrem leicht, nicht nur zu Campingzwecken, zu bauen, werden realistischer als noch vor geraumer Zeit betrachtet; und – vielleicht nicht zuletzt – wirkt sich eine durch besondere Aufmerksamkeit ge-kennzeichnete Lehr- und Forschungsatmosphäre aus.

Die gesammelten Ergebnisse der vergangenen Jahre geben Hoffnung, dass mit diesen Übungen ein substanzieller Beitrag, ein kleines Stück Entwicklungsge-schichte für ein „Nachhaltiges Bauen“ einhergehend mit einer gerechteren Ressourcenverteilung, geleistet wurde. Es bleibt zu hoffen, dass die anregen-den Resultate aufgegriffen werden und eine wie auch immer geartete Realisie-rung erfahren.

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Referenzen Schmid, Peter (1988); MHP – Eine Teamwork Methode (Methode Holistische

Partizipation), in Bio-logische Architektur - ganzheitliche human-ökolo-gisches Bauen [3. Auflage]., Köln: Müller-Verlag, 1988.

Schmid, Peter (2000); „Results from Design in Team - Building Technology Experiments in the Vienna Space Lab“, in: DDSS – 5th Design and Deci-sion Support Systems in Architecture and Urban Planning Conference, 22.-25. August, Nijkerk [The Netherlands].

Schmid, Peter (2000); The Art, science, technology and wisdom to build, Eindhoven University of Technology [Afscheidscollege 29. 9.2002].

Schmid, Peter (2000); „Design Charette (MHP Teamwork) in the frame of Sustainable Building Design Creative Healthy and Environmental-Sound Architecture in a Green Millennium“ [Invited Key Note], in Conference Proceedings World Congress on Environmental Design for the New Millennium Creativity Respecting – Human – Earth – Culture Universal Design – Green Design – Culture Design, 14. November, Seoul [Korea].

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Virtuelle Realität als wissenschaftlicher Januskopf Mario Schwarz Man hat gelernt, Darstellungen virtueller Realität, kreiert in computergestützter Zeichen- und Wiedergabetechnik, als selbstverständlichen Teil der Erfah-rungsgegenwart zu akzeptieren. Der alltägliche Umgang mit derartigen visu-ellen Erzeugnissen hat die ursprüngliche Faszination, die von diesem neuen Umsetzungsmedium virtueller Inhalte zunächst ausgegangen war, merklich ausgedünnt. Dennoch zeigt ein Blick auf die mit den neuen Darstellungstech-niken verbundenen Möglichkeiten für die wissenschaftliche Forschung, dass bei aller Inflation der Anwendung dieser Technologien noch lange nicht alle Optionen ausgeschöpft sind. Speziell auf dem Gebiet der Architektur erweist sich die Perspektive der Anwendungsmöglichkeiten computergestützter Dar-stellungstechniken in Planungspraxis wie in Theorie und Forschung gleichsam als “Januskopf”, als eine Ambivalenz von Möglichkeiten, in die Zukunft oder in die Vergangenheit vorzustoßen. Die beiden fakultativen Richtungen dieses Ausblicks sind bisher jedoch erst sehr unterschiedlich beschritten und in ihren Möglichkeiten ausgenutzt worden. Während die Visualisierung architektonischer Entwürfe noch vor zehn, zwölf Jahren in den Händen einiger weniger Fachkundiger und technologisch hoch-gerüsteter Planungsbüros lag, derer man sich für hohe Kosten von Fall zu Fall bedienen konnte, überschwemmt heute die allgegenwärtige Präsenz computer-generierter Entwurfsvisualisierungen die gesamte Baubranche. Durch die von Jahr zu Jahr enorm gesteigerte Leistungsfähigkeit der Computerhardware bis in noch vor wenigen Jahren unvorstellbare Dimensionen, durch die Entwick-lung immer benutzerfreundlicherer Software und durch die eminente Senkung der Anschaffungskosten für beide Bereiche ist heute jedes Architekturbüro in der Lage, sich mit der erforderlichen Technologie auszustatten. Nun liegt der Wettbewerb nur mehr in der Raffinesse der Darstellungsmodi oder im Angebot von Inhalten, die mit der Visualisierung gekoppelt werden können, wie etwa Aussagen über die Statik, die Beleuchtungsverhältnisse oder die Akustik des Entwurfswerks. Jedes Küchenstudio bietet in Sekundenschnelle die zeichneri-sche Visualisierung der gewünschten Schrank- und Gerätekombination an, der Konsument betrachtet dieses Service indessen als Selbstverständlichkeit. Doch die computergestützte Architekurdarstellung bietet eben nicht nur die Möglichkeit, Geplantes, Vorausgedachtes, also Zukünftiges zu visualisieren. Blickt Janus in die Gegenrichtung, so öffnet sich ein - mindestens für die Ar-chitekturforschung - ebenso interessantes Anwendungsfeld, nämlich die Visu-alisierung von Gewesenem, von Verlorenem und von Vergangenheit. Von die-

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ser Möglichkeit hat als erste Wissenschaftsdisziplin die Archäologie Gebrauch gemacht. Da die Grabungsarchäologie immer mit der Zerstörung von Zu-standsbildern verbunden ist, um zu den noch tiefer in der Vergangenheit ver-borgenen Inhalten vorstoßen zu können, bietet sich die Anwendung virtueller Darstellungen von Gebäuderekonstruktionen aus den einzelnen Bestandspha-sen schon im Zusammenhang mit der Grabungsdokumentation an. Der Ar-chäologe ist ebenso wie der Architekt auf seine Fähigkeit des räumlichen Vor-stellungsvermögens von virtuellen Zustandsbildern angewiesen, allerdings sind dies keine willkürlich gestalteten oder veränderbaren wie beim architektoni-schen Entwurf, sondern durch die Parameter der archäologischen Forschungen - mehr oder weniger eindeutig - festgelegte Inhalte. Dennoch kann auch der Archäologe, gestützt auf seinen Erfahrungsapparat, im Bereich von Ergebni-sunschärfen seiner Befunde Variationen erproben und schließlich auf Lö-sungsmodelle von optimaler Wahrscheinlichkeit einengen. Damit sind auch der archäologischen Visualisierung in gewissen Grenzen experimentelle Mög-lichkeiten freigestellt. So etwa können die Möglichkeiten der Anastylose, das heißt, der Wiedererrichtung originaler, in Sturzlage aufgefundener Bauteile, studiert und bis zur praktischen Durchführung eines Wiederaufbaues entwi-ckelt werden. Oft genug wird man sich angesichts der hohen Kosten solcher realer Wiederherstellungsarbeiten jedoch mit einem ausgereiften virtuellen Modell des erforschten Objekts begnügen, wobei man durch Ergebnisse ent-schädigt wird, die neuerdings nahezu jeden Wunsch an visueller Realitätsnähe erfüllen.

Zögerlich hat sich bisher erst die Kunstgeschichte des Mittelalters und der Neuzeit gegenüber den neuartigen Darstellungsmöglichkeiten verhalten. Doch auch in dieser kulturhistorischen Wissenschaftsdisziplin sind unermessliche Anwendungsmöglichkeiten erkennbar. Die meisten europäischen Städte bein-halten neben ihrer Entwicklungsgeschichte von Neubauten und Umgestaltun-gen ein ebenso reiches virtuelles Bild von einstmals Gewesenem, von Unter-gegangenem, Beseitigtem, von Verändertem. Wieder sind es Grabungen, die im dicht verbauten Gebiet meist nur punktuell und anlassbezogen durchgeführt werden können, und die die Grundmauern von Vorgängerbauten und verges-sene Strukturen zum Vorschein bringen. Gespeist aus der Fülle zusätzlicher In-formationen, wie quellenkundliche Baunachrichten, historische Ansichten, Stadtpläne und Baurisse, ist die Erstellung eines mehr oder weniger zuverläs-sigen virtuellen Modells möglich, das den gewesenen städtebaulichen Zustand in einem bestimmten Bereich visualisiert. Wenn es auch kaum durchführbar erscheint, Befunde dieser Art in gleichmäßiger Qualität flächendeckend zu erstellen, so kann dennoch die Ausarbeitung eines virtuellen Katasters abge-kommener historischer Bauten angestrebt werden, der nach allen Richtungen ausbaufähig, mit jeder weiteren erforschten Einheit erweitert und verdichtet

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wird. Gelingt es, die einzelnen Objektvisualisierungen mit optimierten bauge-schichtlichen Informationsangeboten zu koppeln, so wächst dieser Kataster allmählich zu einer Enzyklopädie der Stadtgeschichte zusammen, die es er-möglicht, einen Bauzustand der Vergangenheit synoptisch in visualisierter Re-konstruktion und mitgelieferter Hintergrundsgeschichte zu erfassen. Die An-wendungsmöglichkeit dieses Modells ist freilich nicht nur auf abgekommene Bauten eingeschränkt, sie umfasst darüber hinaus auch den weit gespannten Bereich aller dokumentierbaren Veränderungen, wie Zu- und Umbauten an noch heute bestehenden Gebäuden. Ein ebenso großes Feld ist die einst ge-plante, jedoch niemals gebaute Architektur, etwa, wenn wir uns vorstellen wollen, wie die Umgebung der Wiener Karlskirche aussehen würde, wenn Otto Wagners Stadtmuseum tatsächlich gebaut worden wäre.

Die jahrelangen, überaus positiven Erfahrungen der Zusammenarbeit zwischen den Mitarbeitern des Instituts für Örtliche Raumplanung der Technischen Uni-versität Wien (A. Voigt, H.-P. Walchhofer und E. Schmidinger), mit dem Verfasser dieser Zeilen vom Institut für Kunstgeschichte der Universität Wien, deren bedeutendstes Ergebnis die Visualisierung der virtuellen Rekonstruktion der Capella Speciosa von Klosterneuburg (1996) war, führten nunmehr zu einem neuen gemeinsamen Projekt, das die Erstellung eines virtuellen Katasters verloren gegangener Bauten der Wiener Innenstadt zum Gegenstand hat. In der ersten Phase dieses ausbaufähigen Forschungsprojekts sollen die nicht mehr bestehenden mittelalterlichen Kirchen und Klöster Wiens innerhalb der einstigen Stadtbefestigung erfasst und dokumentiert werden. Erforscht und rekonstruiert werden u.a. die vorbarocken Bauten der Peterskirche, der Schot-tenkirche und der Dominikanerkirche sowie die abgekommenen Anlagen des Dorotheerklosters, des Himmelpfortklosters, des Zisterzienserinnenklosters St. Nikolai, des Augustiner-Chorfrauenstiftes St. Jakob, des Clarissenklosters St. Clara, und des Dominikanerinnenklosters St. Laurenz. Nachfolgende Projekt-phasen sollen verloren gegangene Bauten späterer Epochen behandeln, wobei Schwerpunkte in den weitreichenden urbanistischen Veränderungen Wiens im 19. Jhdts. mit dem Fall der Basteien und dem Bau der Wiener Ringstraße, sowie in der Folge des Zweiten Weltkriegs liegen werden. Konkreten Nutzen soll das Ergebnis, dessen Zielsetzung im Einklang mit den Aktivitäten von ISIS-IRIS zu sehen ist, nicht nur der kunsthistorischen Bauforschung und der Wiener Stadtgeschichte bringen, sondern wird darüber hinaus auch der ange-wandten Denkmalforschung und praktischen Denkmalpflege zugute kommen. Durch die Beteiligung von Studierenden der Kunstgeschichte an der Universi-tät Wien im Rahmen eines Seminars bei der Erstellung der Rekonstruktionen und der Erfassung des Quellenmaterials soll auch ein didaktisch-experimentel-ler Anteil an dieser projektierten Gemeinschaftsarbeit sichergestellt werden.

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Anmerkungen zur Ressourceneffizenz von Bebauungsstrukturen Hans Peter Walchhofer Die Raumplanung bereitet die künftige räumliche Entwicklung und Ordnung in der Gemeinde vor. Sie setzt daher die Rahmenbedingungen für Eingriffe in Natur- und Landschaftshaushalt, für Beeinflussungen des klimatischen Wir-kungsgefüges, für Beeinträchtigungen des lokalen Wasserhaushalts, für die Er-zeugung von Ziel- und Quellverkehr oder für Veränderungen des Orts- und Landschaftsbildes. Damit in unmittelbarem Zusammenhang steht hoher Res-sourcenverbrauch, wie Flächenverbrauch, Energieverbrauch und, neben sozia-len Problemen, enorme Umweltbelastungen. Den Forderungen nach Energie-einsparung, Ökobilanzen und Stoffstrommanagement im Gebäudebereich wird seit längerer Zeit Rechnung getragen. Konzepte zur Errichtung von Niedrig-energiehäusern über Passivhäuser hin zu energieautarken Häusern liegen vor und werden bereits in der Praxis umgesetzt. Geeignete stadtentwicklungsplanende Rahmenbedingungen, die zum Ziel ha-ben, den Ressourcenverbrauch durch Reproduktion, Substitution und Regene-ration zu begrenzen, sind jedoch noch zu wenig bekannt. Der Grund dafür sind komplexe soziale, ökonomische und ökologische Zusammenhänge. Dies be-deutet, dass Siedlungs-/Bebauungsstrukturen in ihrer Entwicklung von kon-kreten raum- und zeitbezogenen Ansprüchen der Menschen entsprechend den jeweiligen gesellschaftlichen Wertvorstellungen determiniert werden. Die der-zeit herrschenden technischen und finanziellen Möglichkeiten sowie die Ver-fügbarkeit von Bauland führen zu Suburbanisierung und zur Fragmentierung der stadträumlichen Strukturen. Als dominierende landteilende Form ist dabei die Einzelparzelle als selbstzentrierende, sich abkapselnde und den größeren Zusammenhang ausschließende Einheit zu identifizieren, die aber vom über-wiegenden Teil der Bevölkerung bevorzugt wird. Diese sich daraus entwi-ckelnden Gebiete der verstädterten Landschaft oder die Zwischenstadt wie Thomas Sieberts sie bezeichnet, sind gekennzeichnet durch Funktionstrennung insbesondere von Wohnen und Arbeiten, sozialer Segregation und durch Ver-schwendung der natürlichen Ressourcen wie Boden, Energie, Wasser, etc.

In Anbetracht des in diesem Zusammenhang stehenden enormen Zuwachses der Siedlungs- und Verkehrsflächen sollte die Erhaltung der ökologischen Funktionsfähigkeit der Böden und die Reduktion des Energieeinsatzes ein vor-rangiges Ziel sein. Dabei geht es aber auch um die Anpassung der Bebauungs-strukturen in Hinblick auf die Attraktivierung der Quartiere mit dem Ergebnis

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eines ansprechenden Wohnumfeldes als auch einer hohen Wohnqualität. Dem Wunsch der Bewohner nach ausreichender Intimität, Geborgenheit und Sicher-heit mit den Möglichkeiten des sozialen Austausches ist daher zu entsprechen. Eine für die Benutzer erfahrbare räumliche Abgrenzung der Wohnungen und Objekteinheiten gegenüber der Umwelt (Intimität und Sicherheit) als auch die Möglichkeit der Interaktion mit dem Milieu (Kontakte) sind die Vorausset-zung, um die Funktionsfähigkeit der Bebauungsstrukturen dauerhaft zu sichern. Dem Bebauungsplanung kommt die zentrale Rolle zu, die Siedlungsentwick-lung einerseits auf die nutzbaren Flächenreserven im Bauland zu lenken und bei der Siedlungserweiterung andererseits verdichtete Bauformen anzustreben, um flächensparendes Bauen zur Schonung der nicht erneuerbaren Ressourcen durchzusetzen. Planerische Vorgaben, wie z.B. der Standort mit seinen klima-tischen Verhältnissen, der gewählte Gebäudetyp, die Gebäudestellung, die Dachform, die Gebäudeabstände sowie auch die Standorte der Vegetations-elemente, beeinflussen sowohl die Solargewinne und damit den Heizenergie-verbrauch als auch die Wohnqualität der zukünftigen Bebauung. Der Energiebedarf von Objekten ist grundsätzlich von den klimatischen Ein-flüssen abhängig. An exponierten Lagen betragen die Wärmeverluste das Viel-fache gegenüber einer geschützten Südhanglage. Die Nutzung der Sonnen-energie wie auch die Beachtung der Wirkungen der lokalen Wind- und Tempe-raturverhältnisse auf die Gebäude können zu einer Verbesserung der Energie-bilanz eingesetzt werden, wodurch der Gesamtenergieverbrauch und die damit im Zusammenhang stehenden Umweltbelastungen reduziert werden. Die Wärmeverluste eines Gebäudes durch Wind können je nach technischer Aus-führung bis zu 50 % der Gesamtbilanz betragen. Standorte in Kaltluftseen oder an exponierten Lagen weisen eine niedrigere Umgebungstemperatur auf, die zu einer Erhöhung des Heizenergiebedarfes bis zu 20 % führen kann. Der Dichte von Bebauungsstrukturen kommt aufgrund ihrer unterschiedlichen Flächeneffizienz besondere Bedeutung zu. Verdichtete Strukturen mit Ge-schoßflächenzahlen (GFZ) zwischen 0,6 und 1,0 sind anzustreben, da hier der Flächenverbrauch am geringsten ist. Bei stärkerer baulicher Verdichtung (größer 1,0) nimmt dieser Effekt sehr rasch ab. Ähnlich der Geschoßflächen-zahl zeigen sich Belastungsreduzierungen auch bei einer bis auf 4 Geschoße zunehmenden Geschoßzahl. Darüber hinaus ist erkennbar, dass die Bebauungs-grundtypen Zeilenbebauung und Blockrandbebauung mit entsprechender Höhenentwicklung, günstige Ausprägungen hinsichtlich einer Begrenzung der Bodenbeanspruchung zeigen. Bereits deutlich schlechtere Ergebnisse erzielen Reihenhausgebiete und teilweise gekuppelte Einfamilienwohnhausformen. Zur

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Minimierung des Grundstücksbedarfs und somit auch seiner Kosten gilt es da-her die Grundflächenzahl (GRZ) und die Geschoßflächenzahl (GFZ) optimal auszuschöpfen.

Abb. 1: Wettbewerbsbeitrag Eisenstadt – Kirchäcker (ArGe-Projekte mit Arch. Erlach und Institut für Ökologische Stadtentwicklung)

Die Kompaktheit der Gebäudestruktur hat direkten Einfluss auf die Wärmever-luste einer Siedlungsstruktur. Bei sinkendem Heizwärmebedarf steigt der Ein-fluss der Solargewinne und damit die klimatischen Randbedingungen deutlich an. Bei Objekten mit hohem Dämmstandard (Passivhaus) ist aufgrund der nun anteilig sehr geringen effektiven Lüftungswärmeverluste der Einfluss der Kompaktheit wesentlich geringer als bei herkömmlichen Dämmstandards. Eine geringe Erhöhung des Wärmebedarfes bei diesen Gebäudekonzepten wirkt sich dagegen negativ aus. Ebenso wird in der Regel bei einer GFZ unter 0,4 der Anteil der offenen Bebauung und somit die Gesamtfläche der thermischen Hülle, also auch der Transmissionswärmeverlust, vergrößert sein. Für Siedlungsstrukturen, die durch Objekte mit hohen Dämmstandards gebil-det werden, ist die Sicherung des Zugangs zur Sonne ein wesentlicher städte-baulicher Beitrag zu deren Wärmegewinneigenschaften. Die Obergrenze an er-reichbarer Dichte für energetisch optimierte Strukturen, die sich aus den Be-sonnungsanforderungen ergibt, liegt im Bereich von 0,7 bis 1,2 (bis 1,4 bei Nutzungsmischung). Die Abstandsflächen sollte daher so dimensioniert wer-den, dass die Erdgeschoßzone noch nicht verschattet wird. Die 4-geschoßige Bebauung führt dabei bei einer GFZ von 1,0 noch zu einem unverschatteten Baukörper. Die Erhöhung um ein Geschoß führt bereits zu einer Verschattung

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der Erdgeschoßzone. Auch die Trakttiefen der Objekte haben einen großen Einfluss auf die erreichbaren Dichten. Besonders die unteren Geschoße von Gebäuden sind von der Einstrahlungsminderung betroffen. Bei gleicher Dichte lässt sich für tiefere Gebäudetypen eine bessere Besonnung sichern als bei schmalen. Bei kompakten Bebauungsformen kann zur Erhöhung der baulichen Dichte das Prinzip der vertikalen Schichtung unterschiedlicher Nutzungen, die geringere Anforderungen an die Besonnung stellen, angewendet werden, wo-bei Wohnfolgeeinrichtungen, etc. in den unteren Geschoßen untergebracht werden können. Der Einfluss der Orientierung steigt mit dem Dämmstandard der Objekte deut-lich an. Kleine Abweichungen erhöhen den Heizwärmebedarf nur geringfügig, bei größeren Abweichungen (Azimutabweichungen > 45 Grad) sind die Aus-wirkungen bereits stark spürbar. Eine Ost-West-Orientierung hat bereits eine erhebliche Erhöhung des Heizwärmebedarf von bis zu 40 % zur Folge. Einfache Modellrechnungen mit verschiedenen Dichten zeigen, dass bei dem heutigen Wohnflächenbedarf pro Einwohner (rund 35 - 40 m2) in einem reinen Wohngebiet erst ab einer Durchschnittsdichte von 0,8 GFZ Quartiere entste-hen, bei denen innerhalb einer Fläche von 75 ha Bruttobaugebiet eine ausrei-chende Anzahl von Einwohnern leben kann, die eine Grundstufe der Ausstat-tung eines Ortes tragfähig werden lässt und die Erreichbarkeiten dieser Ein-richtungen innerhalb von 800 m zulässt. Nutzungsdichte und Erschließungsstruktur eines Siedlungsgebietes stehen in unmittelbarem Zusammenhang mit der Integration des öffentlichen Personen-nahverkehrs (ÖPNV). Ausschlaggebend für die Wirtschaftlichkeit und Tragfä-higkeit der Konzepte des ÖPNV sind die räumliche Nutzungsverteilung nach Art und baulicher Dichte. Zwischen Siedlungsform und der für Mobilität auf-zuwendenden Energie (und den damit verbundenen Schadstoffemissionen) lässt sich ebenso ein deutlicher Zusammenhang erkennen. Die Raumplanung und hier im Besonderen die Bebauungsplanung kann zu einer integrierten Verkehrs- und Siedlungsentwicklung beitragen, weil deren standörtliche Nutzungsfestlegungen maßgeblich die Verkehrsbelastung des Planungsgebietes, der Umgebung und des Einzugsgebietes beeinflussen. Die gute Durchmischung der Funktionen Wohnen, Arbeiten, Versorgen und Frei-zeit ist ein wesentlicher Beitrag zur Einschränkung des Individualverkehrs und damit zur Ressourceneffizienz einer stadträumlichen Struktur. Unter ökologischen Zielsetzungen ist die Erschließung von Siedlungsstruktu-ren für leitungsgebundene Energie (Fernwärme) eine wichtige Forderung. Je

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höher die Dichte der Struktur desto geringer fallen die Leitungslängen aus. Dies gilt auch für die Leitungsverluste. Ab einer Dichte von über 1.0 Ge-schoßflächenzahl (GFZ) nimmt dieser Effekt aber aufgrund zusätzlicher Ver-sorgungseinrichtungen etc. bereits wieder ab. Der Einsatz von regenerativen Energieträgern wie Solarthermie, Windkraft, Biomasse usw. erfordert ein früh-zeitiges Reagieren der Planung und die Festlegung von Rahmenbedingungen auf der Ebene des Bebauungsplanes. In der Zusammenschau aller oben angesprochenen Aspekte zeigt sich, dass bei baulichen Dichten (GFZ-Werte) zwischen 0,8 und 1,0 die möglichen Nachteile der Verdichtung noch ausgleichbar sind, andererseits aber bereits eine Quar-tiersbildung mit den Vorteilen der guten Erreichbarkeit von Versorgungsein-richtungen und der guten Erschließung durch den ÖPNV gegeben ist. Resümee Die Verdichtung von Bebauungsstrukturen kann als Schlüssel zur Umsetzung einer ressourceneffizienten Siedlungsentwicklung angesehen werden. Der Grund dafür ist gut nachvollziehbar. Es wird einerseits weniger Bauland und damit weniger Grund und Landschaft verbraucht (Flächeneffizienz) und ande-rerseits ist der Energieaufwand geringer (Energieeffizienz) vor allem für die Ver- und Entsorgung durch kürzere Wege und durch geringeren Wärmebedarf bei kompakten Bebauungstypen. Neben der Ersparnis in der gesamtstädtischen Flächenbilanz können ressourceneffiziente Bau- und Siedlungsformen: • die Wirtschaftlichkeit der leitungsgebundenen Energieträger im Planungs-

gebiet verbessern; • den Primärenergieeinsatz durch die Nutzung regenerativer Energieträger

reduzieren; • den Wärmebedarf durch kompakte und geschlossene Bebauungsweisen

senken; • eine Anbindung des Planungsgebietes an den öffentlichen Nahverkehr be-

günstigen; • die zentralen Einrichtungen fußläufig erreichbar machen. Bauwerke mit hohen Dämmstandards wie z.B. das „Passivhaus“ sind nur unter den Bedingungen einer hohen Kompaktheit des Gebäudes und einer optimalen Ausrichtung zur Sonne und der Beachtung der klimatologischen Verhältnisse einsetzbar. Diese Forderung nach einer hohen Kompaktheit setzt jedoch große Gebäudetiefen voraus. Im Gegensatz dazu ist das Erfordernis der optimalen Ausrichtung zur Sonne zwangsläufig mit dem Einsatz von schmalen und damit unwirtschaftlichen Gebäudetypen verbunden. Aus Gründen der Ressourcen-effizienz (z.B. Übererschließung von rein südorientierten Zeilen) und stadtge-

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stalterischen Gesichtspunkten sind aber Strukturen die nur unter dem Aspekt der optimalen Orientierung entwickelt werden, nicht wünschenswert. Deshalb sind für den Einsatz dieses zukunftsfähigen Gebäudekonzeptes Lösungen an-zubieten, die den Gesichtspunkten der Stadtgestalt nicht zuwiderlaufen. Inwieweit die aktuellen stadträumlichen Entwürfe wie z.B. die Europan-6-Wettbewerbsbeiträge diesen Forderungen und den sich rasant entwickelnden raum- und zeitbezogenen Ansprüchen der Menschen entsprechen sowie den eingangs beschriebenen Problemzonen gerecht werden, ist kritisch zu unter-suchen. Dabei ist neben den energetischen und flächensparenden Aspekten und der Bedachtnahme auf die Flexibilität der angeboten Grundrisslösungen der Neubestimmung des öffentlichen Raumes besondere Bedeutung beizumessen.

Abb. 2a-b: Gestauchte Glasbänder, Jyväskyla-Äijälänranta Finnland, 1. Preis; Arch. cero 9, Madrid [Bauwelt 2001(32-33), S. 18]

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Abb. 3: Küstenriegel, Barakaldo, Spanien, Ankauf, Arch. Ocanadel Valle, Madrid, [Bauwelt 2001(32-33), S. 24]

Referenzen Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau - Hrsg.

(1997); Nachhaltige Baupolitik zwischen Ökologie und Ökonomie, Ta-gungsband, Bad Godesberg

Europan 6 (2001); Bauwelt Heft 32-33 Maturana, H.R.; Varela, F.J. (1984); Der Baum der Erkenntnis, Goldmann,

München Opaschowski, H.W. (1996); Zukunftsperspektiven von Arbeit, Freizeit, Mobi-

lität und Konsum, in Conturen 2/96 Stadt-Landschaft oder Landschafts-Stadt Schweiz (2000); Archithese, FSAI,

Sulgen/Zürich

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Valentin, R. (1998); Passivhäuser - Impulse zur Weiterentwicklung städtebau-licher Themen , in 2. Passivhaus-Tagung, Darmstadt

Voigt, A.; Walchhofer, H.P. (1994); Computergestützte Bebauungsplanung - Verbesserung und Optimierung der Entscheidungsfindung (Computer-aided Building-up Planning), mit Unterstützung der Hochschuljubiläums-stiftung der Stadt Wien, Wien

Walchhofer, H.P. (2000); Ressourceneffiziente Bebauungsstrukturen, Wien Wuppertal Institut für Klima Umwelt, Energie (1996); Zukunftsfähiges

Deutschland - Ein Beitrag zu einer global nachhaltigen Entwicklung, Bund und Miseror (Hrsg.), Basel

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IRIS-ISIS-PUBLICATIONS

URL: http://info.tuwien.ac.at/raumsim/iris-isis Vol. 1: Bob MARTENS (Ed.): The Future of Endoscopy. Proceedings of the 2nd European Architectural Endosocpy Asscociation Conference in Vienna, Austria, 1995. EUR 14,50 EAEA '95 Vienna aimed at a critical investigation of today's endoscopic cultu-re with regard to future developments. The Aspern-Workshop represented the highlight of this conference. Prior to the conference nine universities had submitted endoscopic and computer-assisted space simulations for this urban expansion area north of the Vienna Danube. The outcome was not to be regarded as a "noble competition" between the various institutions partici-pating, but rather to sound out the actual potential of various simulation tech-niques and their combinations for future use. The conference proceedings contain the papers presented at the meeting by 23 experts from 15 universities. The papers cover such areas as the technical features of endoscopy and environmental simulation, theories supporting the use of endoscopy, practical applications, and discussions on the future of endoscopy and environmental simulation in comparison with other means of architectural representation. Vol. 2: Bob MARTENS (Ed.): Full-Scale Modeling in the Age of Virtual Reality. Proceedings of the the 6th European Full-scale Modeling Association Conference in Vienna, Austria, 1996. EUR 14,50 In the early eighties the European Full-scale Modeling Association (abrev. EFA, full-scale standing for 1:1 or simulation in full-scale) was founded acting as the patron of a conference every two years. In line with the conference title "Full-scale Modeling in the Age of Virtual Reality" the participants were particularly concerned with the relationship of physical 1:1 simulations and VR. The assumption that those creating architecture provide of a higher degree of affinity to physical than to virtual models and prototypes was subject of vivid discussions.

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Vol. 3: Bob MARTENS, Helena LINZER, Andreas VOIGT (Eds.): Challen-ges of the Future. Proceedings of the 15th Education in Computer Aided Architectural Design in Europe-Conference in Vienna, Austria, 1997. [CD-ROM] EUR 14,50 "Challenges of the Future" features the further advancement regarding computer-assisted design and planning processes with close consideration of research teaching throughout the design and planning professions. Recent no-vel technologies in the development are discussed redarding their impact. More than 65 contributions offer insight into the focal issues of Spatial Mo-deling, Digital Design Process and Collaborative Teamwork. Vol. 4: Kurt RICICA, Andreas VOIGT (Eds.); Ulrike HASLINGER, Michael KOSZ, Helena LINZER, Rainer MADERTHANER, Rainer MAYERHOFER, Kurt RICICA, Jürgen RIENESL, Stefan SALHOFER, Sepp SNIZEK, Andreas VOIGT, Hans Peter WALCHHOFER: Raumverträglichkeit als Beitrag zur nachhaltigen Raumnutzung. Ein Leitfaden. 3 Bände. Wien, 1998. EUR 14,50 Spatial Impact as Contribution Regarding Sustainable Utilization of Space: The creative dialogue of "planning" and critical "reviewing" of planning work and projects with a relation to space fundamentally aims at a "sustainable utilization of space" in line with the key-pattern for "sustainability". Reviewing of spatial impact first will call for the model-representation of space. In addition, all effects resulting from planning and projects for the area under investigation are to be demonstrated clearly and thoroughly. The description of space therefore is accomplished according to system elements and system relations. The spatial impact analysis is to be regarded generally as a contribution for objectifying, adding transparency and comprehension to planning processes. Vol. 5: Bob MARTENS (Ed.). Full-Scale Modeling and the Simulation of Light. Proceedings of the the 7th European Full-scale Modeling Association Conference in Florence, Italy, 1999. Wien 1999. EUR 14,50 EFA Œ 99 covered the use of light throughout 1:1 simulation. As a rule the field of light design has a closer relation with simulation in true scale. Therefore, it is surprising that a conference dealing with this field did not take place at an earlier stage which might be due to the differing approaches concerning implementation and working focus at the various laboratories. The remarkable achievements of the individual lighting companies on the market regarding research work seem very promising and necessarily are to be duly acknowledged also on the part of academic circles. Furthermore, a productive exchange of information might develop between the, somewhat incompatibly seeming, interest groups. More interaction would surely prove wise, as the

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stage for successful research work in the field of light design and light impact is only to be set by combining all strengths. Vol. 6: Wolf-Michael Oliver TSCHUPPIK. Die andere Realität. Wien 1998. EUR 14,50 By definition the term "simulation" is diametrically opposed to the term "reality". True-scale simulations, however, clearly refer to a real world with its real objects. The possibly different qualities of impact and observation demonstrated herein make for the title of the present work. An attempt of illustrating the autonomy of the medium of true-scale simulation with regard to architecture-minded perception is offered in cyclic-related chapters. Special attention is directed to the specific connection concerning the built or merely drafted reality.

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