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Psalm 1-2 als Proömium des Psalters - mit einer Skizze zu Ps 2,3

Mar 05, 2023

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Erkan Kart
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Page 3: Psalm 1-2 als Proömium des Psalters - mit einer Skizze zu Ps 2,3

Andreas Bedenbender / Dick Boer /Alexandra Hippchen / Gerhard Jankowski (Hg.)

Weiter denken, I

Festschrift für Ton Veerkamp

an läßlich seines 80. Geburtstagsam 19. November 2013

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Page 4: Psalm 1-2 als Proömium des Psalters - mit einer Skizze zu Ps 2,3

Inhalt

Teil I: Würdigungen

Gerhard JankowskiZum Geleit 7-10

Frigga HaugTon Veerkamp begegnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11-17

Kees KokGeistverwandter Franz Overbeck (1837-1905) . . . . . . . . . . 18-27

Teil 11:Bibel und Hermeneutik

Rinse Reeling BrouwerDie Bibel als Große Erzählung? . . . . . . . . . . . . , , , . . 31-40

Michael RammingerWozu noch nach dieser Lektüre die Große Erzählung lesen?Eine Auseinandersetzung mit dem Buch »Die Welt anders- . . . . 4'1-49

Huub OosterhuisNeue Menschheit - neue Welt , , , . , . . , . , , . . , . . , 50-54

Andreas BedenbenderDie Schlange auf der Stange,Predigt über Num 21,4-9 und Joh 3,14-17 samt einerexegetischen Nachbemerkung zu 2 Kön 18,4 , . , , , 55-64

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Inhalt

Dirk WagnerPsalm 1-2 als Proömium des Psalters - mit einer Skizze zu Ps 2,3. 65-75

Klara Butting»Gott nahe zu sein ist mein Glück" (Psalm 73,28).Die Jahreslosung 2014. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76-83

Dick BoerIn Staub und Asche getröstet ...Ton Veerkamps Hiob-Auslegung revisited 84-96

Alex van HeusdenKontextuelle Anmerkungen zum Römerbrief 97-103

Ulrich Duchrow»Nur die Schrift«. Hegemoniales Prinzip oder Gegenkultur? . . . 104-119

Teil 111:Philosophie, Ökonomie und Politik

Andreas PangritzChristentum und Toleranz .... . . . . . . . . . . . . . . 123-137

Wolfgang Fritz HaugÜbergänge ins Diesseits.Variationen über ein Thema von Ernst Bloch . . . . . . . . . . 138-147

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Dirk Wagner

Psalm 1-2 als Proömium des Psaltersmit einer Skizze zu Ps 2,3

Johann Sebastian Bach hat die Alttestamentliche Wissenschaft, wie wir sie heutebetreiben, nicht gekannt. Aber er hat mit der »Kunst der Fuge« und dem »Wohl-temperierten Klavier« Werke geschaffen, die für Generationen von Musiktheo-

~ retikern und Genießern eine Fundgrube musikalischer Genialität darstellten -und bis auf den heutigen Tag darstellen. Dass auch der Psalter, der zur Zeit desNeuen Testaments noch gesungen wurde' (und dessen ursprüngliche musikali-sche Komponente sich leider heutigem Zugang entzieht) allein schon von derpoetischen Gestaltungskraft ein den Kompositionen Bachs in nichts nachstehen-des Meisterwerk ist, ist erst in der neueren Forschung entdeckt worderr'.

Dieser Aufsatz will zum einen in den Blick nehmen, wie die ersten beidenPsalmen als Exposition des Gesamtwerks funktionieren/gehört werden können.Zum anderen soll insbesondere Ps 2,3 in den Blick genommen werden - ein Vers,der - von der Forschung vielfach vernachlässigt - für die Interpretation von Ps 2

wie des Psalters insgesamt von einiger Bedeutsamkeit ist.

1. Ps 1-2 als Proömium des Psalters

Schon der Kirchvater Hieronymus (ca. 347-419/420) bezeichnete Ps I als »diegroße Haupttür« (gran dis porta), die in das »große Haus« (magna dornus) desPsalters einführt:

I Z.B. Jak 5,13·2 So spricht z.B. B. Weber, 24, im Zusammenhang mit den Psalmen von "Poesie als

-Musik der Sprache,,,.

Texte & Kontexte Nr. 141-143, 37. Jg., Heft 1-3/2014,65-75. 65

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Dirk Wagner

»Der Psalter ist gewissermaßen ein großes Haus, das zwar einen Schlüssel für die Außentürhat, aber eigene Schlüssel für die verschiedenen inneren Räume. Mag auch der Schlüssel derHaupttür, der Heilige Geist, größer sein, so hat doch auch jeder Raum sein eigenes Schlüs-selchen. Wenn also jemand die Schlüssel des Hauses durcheinander wirft, so kann er, wenner einen Raum öffnen will, es nicht tun, außer er findet den Schlüssel. So sind die einzelnenPsalmen gewissermaßen einzelne Räume, die ihre eigenen Schlüssel haben. Die Haupttürdes Hauses ist der erste Psalrn.«?

Damit stimmt die neuere Psalmenforschung überein'.Für eine Zusammenschau von Ps I mit Ps 2 als »Proömium«, »Eingangsportal«

oder Vorrede zum gesamten Psalter lassen sich rein formal zunächst folgendeGründe geltend machen":

I. Apg 13,33 zitiert Ps 2. Eine abweichende, aber nicht unwichtige Lesart deswestlichen Textes bezeichnet das hier angeführte Zitat explizit als zum erstenPsalm gehörig.

2. Bei beiden Psalmen fehlt eine Überschrift; der »erste Psalm, der eine Über-schrift trägt, ist Psalm 3«6.

3. In beiden Psalmen fehlt jeweils eine Gottesanrede.4. Während Ps 1 mit einem Makarismus beginnt (r,r), schließt Ps 2 mit einem

solchen (2,12); die Makarismen bilden somit eine Klammer um beide Psalmen,eine inclusio-Struktur wird erkennbar.

5. »Ps rund 2 werden bereits in frühjüdischer und rabbinischer Tradition aufein-ander bezogen, ohne allerdings als redaktionelle Einheit zu gelten«"

6. Ps 1 und 2 sind außer durch aschre (glückselig) durch weitere Stichworte mit-einander verbunden:

• Ps I stellt den Weg (derekh) des/r Gerechten dem der Frevler gegenüber,Ps 2 warnt die Völker vor einem Weg in den Untergang.

• Das Lexem haga fungiert als Kontrastmotiv: während der Gerechte in 1,1über die Tara nachsinnt (wört!.: murmelt), sinnen die Völker in 2,2 auf Nich-tiges.

• Dem Menschen ist nicht angeraten, sich in den Kreis der Spötter zu setzen(1,1), JHWH dagegen thront irn HilTIlTIel (2,4): jaschav (sich setzen, sitzen,thronen).

• Die Feststellung, dass der Weg der Frevler vergeht, wird am Ende von 1,6partizipial mit dem gleichen Verb getroffen wie die Warnung vor einem Wegdes Zugrundegehens an die Völker in 2,12: avad.

3 In: Tractatus S. Hiernonymi Presbyteri in librorum Psalrnorum, zit, bei F. Harten-stein/B. Janowski, Psalmen, 2.

4 Vgl. ebd.5 Vgl. ebd.6 Ebd.7 Ebd., Hervorhebung durch Hartenstein/janowski,

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Psalm 1-2 als Proömium des Psalters

Dass die uns vorliegende Psalmensammlung aus fünf Büchern besteht, bezeugenHippolytos und Epiphanios übereinstimmend mit dem Midrasch zu Ps 1,1:

»Mose gab den Israeliten die fünf Bücher der Tara, und diesen entsprechend gab ihnenDavid das Buch der Psalmen, welches aus fünf Büchern besteht.«"

Die Fünf teilung ist formal dadurch gekennzeichnet, dass jeder der ersten vierTeile mit einer Doxologie schließt (Ps 41,14; 72,18f.; 89,53; 106,48), während Ps150 als »volltönendes Finale des Ganzen« gelten kann". Die Sammlung von Ein-zelpsalmen bzw. Psalmengruppen geht auf verschiedene Verfasser zurück. Aus-gehend von den Überschriften werden die meisten Psalmen David zugeschrieben(was nicht heißen muss, dass er selbst der Verfasser ist; auch an eine Widmungoder nachträgliche »Davidisierung« kann gedacht werden"). Andere Gruppenvon Psalmen sind sog. Tempelsängergilden wie Asaph (Pss 5°.73-83) oder denSöhnen Korachs (Pss 42-49.84-85.87-88) zugeordnet. In den Überschriften ein-zelner Psalmen sind ferner Salomo (Ps 72), Hemam (Ps 88), Ethan (Ps 89) oderMose (Ps 90) genannt. Die Mehrheit der Forscherinnen und Forscher geht davonaus, dass die Endredaktion des Psalters über einen längeren Zeitraum in einemmehrstufigen komplizierten Entstehungsprozess erfolgte.

Dazu werden verschiedene Theorien vertreten. Die Bandbreite geht von derBetrachtung von Einzelpsalmen, die deren historische Entwicklung ohne Berück-sichtigung ihres jeweiligen Kontextes nachzeichnen will", über z.B. die schon im19.Jh. durch Delitzsch vertretene Auffassung, dass »der Grundstock der Grund-sammlung innerhalb Ps. 3-72 vorliegen muß«12. Zenger sieht einen »ElohistischenPsalter« (Ps 42-83) als Kern des Psalters an". Schließlich konstatiert Millard, dass

»der Psalter in der Zeit von Qumran etwa ab Psalm I3 bis Psalm 93 deutlich stabiler als anseinen Rändern ist- und deshalb »auch an eine Ausbaustufe des Psalters in persischer Zeitzu denken ist, die mindestens die Psalmen 13-93 umfasst.« "

So sind die Psalmen I und 2 schon von ihrer Randlage her gesondert zu betrach-ten. Die besagte Überschriftslosigkeit der ersten beiden Psalmen legt den Schlusseiner nachträglichen Voranstellung durch spätere Stufen der Redaktion im Zugeeiner thematischen Rahmengebung des Psalters nahe.

Ps I und Ps 2 sind wohl unterschiedlich zu datieren. Während die neuereForschungsgeschichte in Ps I ein eigens für das Proömium geschaffenes Werksieht, das dementsprechend jüngeren Datums sein muss", sind bei Ps 2 einigeBesonderheiten auffallend:

8 Vgl. F. Delitzseh, I2; Zitat ebd.9 Ebd.

10 Vgl. B. Weber, 41.

1 I Vgl. M. Millard, 6.12 F. Delitzseh, I4.

13 Vgl. M. Millard, 6.14 Ebd.I ~ Vgl. F. Hartenstein/B, Janowski, 4·

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Dirk Wagner

• Relativ häufig wird direkte Rede aus unterschiedlichen Sprecherperspektiven anverschiedene Adressaten verwendet = werden - untereinander verschiedene -Adressaten von - ebenfalls unterschiedlichen - Sprechern direkt angeredet (VV.3.6.7-9.10-12).

• Darin enthalten ist wahrscheinlich ein möglicherweise älteres Traditionsstück(VV. 7-9)16: der Spruch könnte einem altorientalischen Investiturformular ent-nommen oder entlehnt sein.

• Die auf ]HWH bezogene Geburtsmetaphorik ist wahrscheinlich vorexilisclr".• Die in 3-5 verwendeten Personalsuffixe auf rno- sind ungewöhnlich und kön-

nen - je nach Betrachtungsweise - entweder wegen der alten Formen auf einenhöheres Alter der Texte schließen lassen oder als nachträglich »archaisierend«eingetragen betrachtet werden".

Im Anschluss an Hermann Gunkels formgeschichtliche Untersuchungen ist Ps 1

den weisheitliehen Psalmen (oder Tora-Psalmen) zuzuordnen, während Ps 2 einenKönigspsalm darstellt" bzw. explizit auch als messianischer Psalm interpretierbarist. Interessant im Blick auf den Psalter ist nun die Beobachtung, dass es sich beiden Psalmen, die sich am Anfang oder am Schluss der einzelnen Psalmenbücherbefinden, jeweils um Königs- oder weisheitliehe Psalmen handelt. Bei diesen sog.»Eck- und Scharnierpsalmen« sind somit die Gattungen der beiden ersten Psalmenwieder repräsentiert. Die Verzahnung von Weisheits-/Tora- und Königs-/Messias-psalmen kann somit als Strukturelement des Gesamtpsalters angesehen werderr",

2

Weisheit lieh er Psalter-Rahmen (.Thora")

gesamte Schöpfung =.Alles, was Atem hat.

lobe den Herrn!"

Anhand von Beobachtungen der Motive auf synchroner Ebene wird deutlich,dass Ps 1-2 auch motivisch vielfach mit den nachfolgenden Psalmen verknüpft ist.Z. B. werden einzelne Motive aus Ps 1-2 dort weiter entfaltet"; das Tag- und

16 Ebd.17 Vgl. R. FeldmeieriH. Spieckermann, 5:Z~18 Für diesen Hinweis auf meine Nachfrage danke ich Frau Prof. A. Grund, Universität

Marburg.19 Vgl. M. Rösel, 148-15°; H. D. Preuß/K. Berger, I34f.; E. Zenger u.a., 3I8-321; B. We-

ber,53·20 Siehe Skizze in Anlehnung an B. Weber, 44.21 Z.B.: Ps 3: Feindbedrängnis, Berg, Zerschmetterung; Ps 4: Soziale Not, Erwählung,

Fruchtmotiv: Ps 5: Rechtsnot, Frevler, Weg, Zuflucht; Ps 6: Krankheit, Zorn und

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Psalm 1-2 als Proömium des Psalters

Nachtmotiv aus Ps 1,2 wird in Pss 3-7 durch jeweils einzelne Zeiten aufgenom-men"; und in allen Scharnier- und Eckpsalmen zzgl. Schlusshallel finden sichpraktisch alle Einzelmotive und Wortfelder aus Ps 1-2 in irgendeiner Weise wie-der, wie der folgenden exemplarischen Übersicht entnommen werden kann:

Motive aus Ps I-Z in den Eck- und Scharnierpsalmen (ohne Anspruchauf Vollständigkeit und in unsystematischer Zusammenstellung):

• Makarismen (41,2; 89,16; 106,3; 144,15)• Weg (89,31; 107,17; 145,17; 146,9)• Wort und WeisunglTora (89,31; .107,20; I47,15.18-20; 148,8)• Fruchtmotiv (72,6f.I6; 144,12-14)• Frevler (73,3-12; 145,20; 146,9;147,8)• Tages- und Nachtzeiten (42,4.9; 73,14; 9°,4-6.14; 144,4)• Gelingen (9°,17)• Bergmotiv (42,7;43,J; 72,3.16; 90,2; 144,5-7)• Zion (146,10; 147,2.12; 149,2)• Erwählung/Salbung (89,20f.39.52; 106,5.23; 148,14)• Könige bzw. Königsperspektiven

(72,I.10f.; 89,28; 144,2.10; 146,3; 148,1I; 149,8)- als Garant von Recht und Gerechtigkeit (72,lf.)- als Beschützer Armer und Schwacher/Heiler von Krankheit

(41,2-4; 72,4·12f.; 1°7,41; 146,7-9; 149,4)- durch Thronmotiv (89,5-15.30.37.45)- durch Insignien- und Zerschmetterungsmetaphorik

(89,14.24.33; 144,1; 149,5)durch Feindunterwerfungsmotiv (72,4.9)

- durch Fesselmotiv (149,8)- durch Sohn-Gottes-Metaphorik (89,7.27.28; 149,2)- durch gestellte Frage nach Verschwörung und möglichem Scheitern

des messianischen Unternehmens (41,10; 42,8.10f.; 89,39-46)• Zorn- und Grimmmotiv (90,7.II; 106,23.40)• Völker und Nationen (72,1I.I7; 89,51; 106,34f·47; 148,II; 149>1f.)• Zuflucht (73,28)

Grimm; Ps 7: Feindbedrängnis, Zuflucht, Zorn und Grimm, Thron, Frevler; Ps 8:Himmel, alleLande,königlicheInsignien;Ps 9: Thron, Zuflucht,Frevler,Nationen; PsIO:Frevler, Zerschmetterung, Möglichkeit des Scheiterns, König, Nationen, Ps I I:Berg, Zuflucht, Thron, Frevler; Ps 12: Wort, Frevler; Ps I3: Tag für Tag, Ps 14:Zu-flucht.

22 Ps ),6: Morgen; Ps 4,9: Abend; Ps 5,4: Morgen; Ps 6,7; Nacht, Ps 7,I2: Tag.

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2. Übersetzung und Gliederung

Psalm 1

I Glückselig der Mensch (wörtl. Mann),der nicht gefolgt ist dem Rat der Frevler

und nicht betreten hat den Weg der Sünder,noch gesessen hat am Sitz(platz) der Spötter,

2 sondern seine Lust hat an der Weisung (vTora«) ]HWHSund sinnt über seiner Weisung (»Tora«) Tag und Nacht.

3 Der wird sein wie ein Baum, an Wasserbächen gepflanzt:Er bringt seine Frucht zu seiner Zeit,

und seine Blätter welken nicht.Alles, was er tut, gelingt ihm.

4 Nicht so die Frevler:sondern (sie sind) wie Spreu,

die der Wind verwehen wird.Darum werden die Frevler nicht bestehen im Gericht,

noch die Sünder in der Gemeinde der Gerechten.

6 Denn ]HWH kennt den Weg der Gerechten,aber der Weg der Frevler vergeht.

Psalm 2

I Wozu sind die (Heiden- )Völker unruhig gewordenund sinnen Völkerschaften auf Nichtiges,

3 stellen sich auf die Könige der Erdeund haben Fürsten sich zusammengetan

gegen ]HWH und seinen Gesalbten?(lt. LXX: Pause /» Ztuiscbenspiel«)

3 »Wir wollen zerreißen ihre Strickeund von uns werfen ihre Fesseln!«

4 Der im Himmel thront, lacht,der Herr spottet über sie.

Da fährt er sie an in seinem Zorn,und in seinem, Grimm erschreckt er sie:

6 »Ich selbst habe meinen könig eingesetztauf Zion, meinem heiligen Berg.«

7 Kundtun will ich den Beschluss ]HWHS:Er sprach zu mir:

»Mein Sohn bist du,ich habe dich heute gezeugt.

8 Bitte von mir, so gebe ich dir die Nationen zum Erbeund die Enden der Erde zum Eigentum.

9 Du wirst sie zerschlagen mit eisernem Stab,wie Töpfergeschirr sie zerschmeißen.«

70

I

II

III

I

II

III

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Psalm 1-2 als Proömium des Psalters

IO Darum, ihr Könige, kommt zur Einsicht,lasst euch warnen, ihr Herrscher der Erde!

II Dient JHWH mit Furcht,und jubelt mit Zittern.

I2 Küsst den Sohn", damit er nicht zürntund ihr auf eurem Weg (nicht) zugrunde geht,

denn leicht entbrennt sein Zorn.Glückselig alle, die Zuflucht suchen bei ihm.

IV

3. Inhalt, Struktur und Poesie

Ps I sucht mit weisheit1icher Terminologie eine Antwort auf die Frage des Ein-zelnen, welchen Weg es zu gehen gilt. Den einzelnen Gerechten stellt er derMehrzahl der Frevler antithetisch gegenüber und zeichnet schließlich »als Quint-essenz den doppelten Ausgang ihres jeweiligen Verhaltens. «24 Ps 2 beschäftigt sichmit der Problematik, der sich das (Gottes-) Volk im Gegenüber zu den (Heiden-)Völkern ausgesetzt sieht, repräsentiert jeweils durch Könige und Machthaber aufder einen und durch JHWH und seinen Messias auf der anderen Seite. Die Schluss-folgerung ist hier eine warnende Handlungsanweisung an die Repräsentanten derVölker bzw. an die Völker selbst im Blick auf ihren Weg und eine schließendeSeligpreisung an das Volk (»alle«), das bei Gott seine Zuflucht sucht, die der ein-leitenden Seligpreisung an den Einzelnen in Ps 1,1 gegenübersteht. Das bündelndeFazit von r,6, das das Wort »Weg« als Leitbcgriff hat, klingt in 2, 12 wieder an.

Hauptgestaltungselement beider Psalmen ist der Parallismus membrorum. Erzeigt sich in einer Gliederung in zwei bzw. max. drei Ebenen. Die erste (links-bündige) Ebene ergibt für sich gelesen praktisch einen vollständigen Sinn insich25, die zweite (bzw. ggf. auch dritte) Ebene ist dazu jeweils synonym, kom-plementär oder antithetisch bzw. präzisierend und erweiternd.

Ps I besteht aus drei Stanzen, von denen die erste die längste (VV. r-3) und dieletzte die kürzeste (V. 6) ist. Zentrum der ersten Stanze ist V. 2, der die Weisung(sTora«) für das Leben des Gerechten hervorhebt, und an dem die erste Stanzekomplett gespiegelt ist: V. ra korrespondiert mit V. 3d; was in V. rb-d negativbzw. abgrenzend ausgedrückt wird, wird in V. j a-c positiv mit dem Bildmotivdes fruchtbringenden Baumes jeweils dreigliedrig dargestellt. Gegenstand derStanze I ist der Gerechte (vgl. V. 6a); wogegen Gegenstand von Stanze II (VV. 4f.)die Frevler (siehe auch V. 6b) sind. Das Porträt der Frevler fällt gegenüber demdes Gerechten kürzer aus; so wird deren Flüchtigkeit noch einmal gestalterisch

23 Nach Korrektur des MT, vgl. Zürcher Bibel, 720. Andere Übersetzungsmöglichkeit:Fügt euch dem Sohn, ...

24 B. Weber, 48.25 Vgl. auch F. HartensteinlB. Janowski, 62.

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unterstrichen. Die dritte Stanze fasst das Ergebnis der ersten beiden in einemWeisheitsspruch mit einer nochmaligen Gegenüberstellung von Gerechten undFrevlern zusammen, dabei geht es um die langfristige Perspektive für Leben undZukunft.

Ps 2, der doppelt so viele Verse wie Ps I umfasst, lässt sich in 4 Stanzeneinteilen, die je 3 Verse mit 6-8 Zeilen beinhalten". Die ersten beiden Stanzen(VV. 1-3; VV. 4-6) schließen mit einer direkten Rede, die jeweils im letzten Versdargestellt ist (V 3; 6), während die dritte Stanze schon mit der im Parallelismusstehenden Ankündigung (V. 7a) und dem folgenden Zitat (VV. 7b-9) nur ausdirekter Rede besteht. Die vierte Stanze (VV. 10-12) enthält als Schlussfolgerungeine Anrede an die KönigeNölker und schließt mit dem Makarisrnus in V. 12d.

4. Ps 2,3 - Stimme der Völker in Auflehnunggegen Gott und seinen Messias?

Eine für die Deutung von Ps 2 nicht unerhebliche Frage scheint mir die nach derSubjektzuordnung der wahrscheinlich direkten Rede in V. 3 zu sein. Die Mehr-zahl der Kommentatoren geht davon aus, dass hier die Völker und Völkerschaf-ten, die Könige der Erde und die Fürsten von VV. rf. zur Sprache kommen. DasObjekt zu den beiden Nominalformen in V. 3 (übersetzt mit »ihre Fesseln« und»Stricke«) bezieht sich demnach auf »JHWH und seinen Gesalbten« (aus V. 2C), alsginge es um eine Auflehnung der Völker gegen Gott. So prangert z.B. Kraus dasAutonorniebestreben der Völker an:

»Die feindlichen Mächte wollen -autonorn- sein, unabhängig von Jahwe und dem Reprä-sentanten seiner Herrschaft. Die -Bande- und -Stricke- sind ein Bild für die Unterordnungund Unterwerfung. Die fremden Mächte wollen frei und selbständig sein.,,27

Auch Weber ist der Ansicht, dass »3 auf jeden Fall ein Zitat der (unterjochten undrebellierenden) Feinde darstellt-e", ohne dies jedoch zu begründen. Ähnlich un-befriedigend sind hier auch die anderen mir zugänglichen Kommentare; teilweisewerden die Einzelheiten von V. 3 sogar gar nicht behandelt".

Folgende Beobachtungen zu V. 3 lassen einen anderen Schluss zu:• Bei mossrotemo und 'avotemo handelt es sich jeweils um äußerst ungewöhn-

liche Suffixformen. Die Endung mo findet sich auch in V. 4: lamo und V. 5:elemo und jevahalemo. Sie wird somit Stanzen übergreifend verwendet. Die

26 Vgl. B. Weber, 53.27 H.-J. Kraus, 16.28 B. Weber, 53.29 Vgl. z.B. F. Delitzsch, 93; F. Hartenstein/B. Janowski, 58; F.-L. Hossfeld/E. Zenger,

49·53; K. Seybold, 32; A. Weiser, 74.

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Psalm 1-2 als Proömium des Psalters

Vermutung, dass sie damit allesamt auf dasselbe Objekt bezogen sind, erscheintdaher nicht abwegig.

• Bei einer Betrachtung des gesamten Psalters deutet die inhaltliche Verwendungder Termini mossrot und 'avot jeweils auf einen Zusammenhang hin, in dem dieBitte um göttliche Befreiung geäußert wird: einerseits von Fesseln (1°7,14: fürdas Volk; II6,16: für den Einzelnen), andererseits vom Strick der Frevler(129,4), 'avot wird zudem auch im Simson-Komplex (Ri 15,13f.; 16,IIf.) ver-wendet.

Die Perspektive ist somit die des (Gottes-)Volkes oder die des Einzelnen, derseine Not Gott klagt und die Befreiung von Fesseln und Stricken ersehnt.

• Das in 4 mit jiss~aq wiedergegebene Lachen Gottes über die Nationen findetim Psalter seine Entsprechung in 59,9 (über die Nationen) und 37,13 (über denFrevler) ebenso wie in Simsons Scherzen im Palast der Philister (Ri 16,27) - beigleicher Wurzel ist an ein breites Bedeutungsfeld zu denken, das auch Selbstiro-nie und schwarzen Humor mit einschließt.

• Theologisch erscheint eine Befreiung von den Fesseln und Stricken JHWHS undseines Messias' (als der vermeintlichen Unterdrücker) als wenig zielführend, dasich die Einsetzung des Sohnes mit V. 6 sowie VV. 7-9 erst im Anbruch befin-det. Die eschatologische Perspektive der durchgreifenden Herrschaft des Mes-sias kündigt sich erst an.

• Der Objektbezug der Nomen in V. 3 (»Stricke« und »Fesseln«) auf die beidenjeweils im Singular stehenden Nomen von V. 2C (»JHWH und seinen Gesalb-ten«) wirkt konstruiert und sperrig.

• Ein Objektbezug dieser Nomen auf die Subjekte von V. rf. in ihrer Gesamtheit(also auf »Völker- und »Völkerschaften«, »Könige« und »Fürsten«) erscheinteher sinnvoll, da dieser mit VV. 4f. ohnehin gegeben ist. Somit ergibt es Sinn,schon V. 3 durchgängig als auf die Völker und deren Könige bezogen zu lesen.

Ist die Zuordnung von 3 als »Zitat der (... ) Feinde-e'? möglicherweise einem eherdespotischen Gottesbild geschuldet, oder handelt es sich um ein quietistischesMissverständnis? Um Fehldeutungen entgegenzuwirken, hat vielleicht schon beider Übersetzung ins Griechische durch die LXX die Einfügung eines oLa'IjJa"-lJ.anach V. 2 gedient, das dem hebräischen sela entspricht, aber in Ps 2 im MT hierohne Gegenstück ist. Der Perspektivwechsel, der mit V. 3 einsetzt, wäre damitunterstrichen. Insgesamt erscheint V. 3 eher sinnvoll als ein Aufschrei des vonden Völkern und deren Königen bedrängten (Gottes-)Volkes, der der Sehnsuchtnach Befreiung von Fesseln und Stricken Ausdruck verleiht.

Sollte Kraus mit seiner Aussage Recht haben, dass »es sich in dem Satzstück>gegen Jahwe und seinen Gesalbten- (... ) um eine erklärende Hinzufügung han-delt,,3l, wird umso deutlicher, dass sich jede Feindschaft gegen ]HWH und seinenGesalbten in der Bedrängung und Bedrückung seines Volkes manifestiert. Der

30 B. Weber, 53.3r H-J. Kraus, r6.

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Dirk Wagner

Notwendigkeit eines Aufschreis des (Gottes- )Volkes verleiht dies nur Nach-druck.

Über die Frage nach dem Wie der Befreiung geben erst die nachfolgendenVerse Aufschluss: eine gewaltsame Reaktion auf das in V. rf. beschriebene sichanbahnende Geschehen ist (zunächst) überhaupt nicht im Blick. Statt dessen hö-ren wir, wie die Einsetzung des Sohnes als des gesalbten Königs vorbereitet wird,und erfahren Details von seiner Akklamation. Erst die in der Anrede eröffneteMöglichkeit der Bitte (V. 8) verleiht dem Messias die Macht, Gegengewalt aus-zuüben und durchzusetzen (V. 9).

Beachtung verdient ferner die Symmetrie des Psalms. Stanze I korrespondiertinhaltlich mit Stanze IV: Auf die Unruhe der Völker und das Ansinnen ihrerKönige und Machthaber (VV. rf.) antwortet Gott mit einer an sie gerichtetenWarnung (VV. rO-12c); auf den Aufschrei des Volkes (V. 3) antwortet die in einenMakarismus gekleidete Verheißung der Zuflucht bei Gott (V. I2d).

Und während Stanze IIIdie Stanze II inhaltlich entfaltet, ist in Stanze II derWeg gezeichnet, wie die in V. 3 ersehnte Befreiung funktionieren kann. Die ei-gentliche Wende nach dem Hilfeschrei beginnt mit dem Herrn (adonai), der imHimmel thront, seinem Humor und Spott (V. 4), dem Schrecken, der von seinemZorn und Grimm ausgeht (V. 5) und seinem wirkmächtigen Spruch, der dieKönigseinsetzung auf dem Zion konstituiert (V. 6).

Die Komposition des Psalters kann mit Recht als symphonische Dichtungbezeichnet werden; Ps 1-2 dient dabei als Ouvertüre. Die hier im Einzelnenschon aufgerufenen Motive und Themen erfahren durch den gesamten Psalterhindurch ihre thematische und kontrapunktische Durchführung in unterschied-lichen Modulationen und Brechungen.

Grundlegend ist die Bedeutung der Tora für den Einzelnen, die sich nichtzuletzt immer auch im Gegenüber zu denen, die diesen Weg nicht mitgehen (den»Frevlern«), erweist und die nach Konkretisierung verlangt. Auch die Verheißungvon JHWHS Messias für sein Volk steht im Gegenüber und in Auseinandersetzungzur Menge der (Heiden-) Völker. Leiden und Unterdrückung sucht Antwort. Ps2,3 bildet schon im Eingangsportal des Psalters die Stimme des unterdrückten(Gottes- )Volks wie des leidenden Einzelnen vor, die ein Grundrecht auf Freiheiteinklagt. Gottes Souveränität äußert sich zuallererst in seinem über der Sachestehenden Humor. Und doch ist die messianische Perspektive ambivalent - dereingesetzte König = Sohfist gleichzeitig Schrecken der Völker und Heilsmittlerfür das Volk (»alle, die Zuflucht suchen bei ihm«; V. 12).

Bereits im Proömium des Psalters lässt sich also die Stimme der Klage verneh-men, die in einen Ruf nach Freiheit mündet und die in der Seligpreisung einetrostreiche Antwort findet. Ps 2 ist im Neuen Testament einer der meistzitiertenalttestamentlichen Texte. Die neutestamentlichen Autoren haben es verstanden,ihn in eschatologischer Präsenz wie zugleich in noch zu erwartender Eschatologiezu deuten.

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Page 16: Psalm 1-2 als Proömium des Psalters - mit einer Skizze zu Ps 2,3

Psalm 1-2 als Proömium des Psalters

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