Einleitung „ You, the pen, are most sanely insane. You cannot be spoken of rationally. Opposites are drawn into your presence, but not to be resolved. You are not whole or ever complete. You are the wonder without willpower going where you want“ - Rumi Der Themenfindungsprozess für die vorliegende Arbeit ging einher mit meinen Beobachtungen während des Studiums an der Hochschule in Darmstadt. Im Laufe der vorigen sechs Semester fiel mir auf, dass die Interaktion zwischen den Studierenden 1 , aber auch den Lehrenden, die sich der sozialpolitisch verankerten Kritischen Sozialen Arbeit nahe fühlen, und denjenigen, die sich mit der eher kirchlich geprägten Sozialen Arbeit identifizieren, häufig entweder auf offizielle Notwendigkeiten beschränkt oder von Unverständnis und Spannungen geprägt ist. Die Frage der religiösen Motivation im Gegensatz zur politischen Motivation der Studierenden und Professionellen der Soziale Arbeit schien Auswirkungen auf ihr Selbstverständnis sowohl auf der Ebene der Profession als auch der Disziplin zu haben. Als ich im Rahmen des Praktikums meine Anleiterin bei einem Netzwerktreff der Jugendberufshilfe begleitete, sagte eine Beraterin der Diakonie zu der Tatsache, dass Geflüchtete von diesen Maßnahmen ausgeschlossen sind: „Das ist ja eine politische Sache, wir machen hier nur Beratung.“ Andererseits lehnte ein Kommilitone meinen Vorschlag ab, im Semester-Eröffnungsgottesdienst Werbung für eine Protestaktion gegen die Flüchtlingspolitik zu machen. Seiner Meinung nach war der Gottesdienst angeblich der falsche Ort, Widerstand zu mobilisieren. Diese und ähnliche Erfahrungen brachten mich zu der Frage, inwieweit Religion und Protest sich zueinander und zu sozialer Veränderung verhalten. Auf diese Frage stieß ich erneut, als ich mich mit den Dichtungen der Sufi-Mystiker Jelaluddin Rumi (1207-1273) und Kabir (1398/1440-1518) beschäftigte, die aus dem indo- persischen Sprachraum stammten. Ich war erstaunt über das Widerstandspotential für soziale Veränderung, dass diese von Mystik gefärbt Dichtung mir eröffnete. Zum anderen hat mich die Literatur über Protest- und Widerstandsbewegungen z. B. von Arundhati Roy, Howard Zinn, Noam Chomsky etc. im Rahmen meiner Teilnahme an den Blockupy-Protesten (Proteste in BDR, angelehnt an der Occupy-Bewegung) neugierig gemacht. Insbesondere 1 Ich verwende durchgängig die männliche Schreibweise in dieser Arbeit. Alle andere Geschlechter sind damit ebenfalls gemeint. 1
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Protest als Religion, Religion als Protest: Soziale Arbeit zwischen Frömmigkeit und Subversion
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Transcript
Einleitung
„ You, the pen, are most sanely insane. You cannot be spoken of rationally.
Opposites are drawn into your presence, but not to be resolved.
You are not whole or ever complete.
You are the wonder without willpower going where you want“
- Rumi
Der Themenfindungsprozess für die vorliegende Arbeit ging einher mit meinen
Beobachtungen während des Studiums an der Hochschule in Darmstadt. Im Laufe der vorigen
sechs Semester fiel mir auf, dass die Interaktion zwischen den Studierenden1, aber auch den
Lehrenden, die sich der sozialpolitisch verankerten Kritischen Sozialen Arbeit nahe fühlen,
und denjenigen, die sich mit der eher kirchlich geprägten Sozialen Arbeit identifizieren,
häufig entweder auf offizielle Notwendigkeiten beschränkt oder von Unverständnis und
Spannungen geprägt ist. Die Frage der religiösen Motivation im Gegensatz zur politischen
Motivation der Studierenden und Professionellen der Soziale Arbeit schien Auswirkungen auf
ihr Selbstverständnis sowohl auf der Ebene der Profession als auch der Disziplin zu haben.
Als ich im Rahmen des Praktikums meine Anleiterin bei einem Netzwerktreff der
Jugendberufshilfe begleitete, sagte eine Beraterin der Diakonie zu der Tatsache, dass
Geflüchtete von diesen Maßnahmen ausgeschlossen sind: „Das ist ja eine politische Sache,
wir machen hier nur Beratung.“ Andererseits lehnte ein Kommilitone meinen Vorschlag ab,
im Semester-Eröffnungsgottesdienst Werbung für eine Protestaktion gegen die
Flüchtlingspolitik zu machen. Seiner Meinung nach war der Gottesdienst angeblich der
falsche Ort, Widerstand zu mobilisieren. Diese und ähnliche Erfahrungen brachten mich zu
der Frage, inwieweit Religion und Protest sich zueinander und zu sozialer Veränderung
verhalten.
Auf diese Frage stieß ich erneut, als ich mich mit den Dichtungen der Sufi-Mystiker
Jelaluddin Rumi (1207-1273) und Kabir (1398/1440-1518) beschäftigte, die aus dem indo-
persischen Sprachraum stammten. Ich war erstaunt über das Widerstandspotential für soziale
Veränderung, dass diese von Mystik gefärbt Dichtung mir eröffnete. Zum anderen hat mich
die Literatur über Protest- und Widerstandsbewegungen z. B. von Arundhati Roy, Howard
Zinn, Noam Chomsky etc. im Rahmen meiner Teilnahme an den Blockupy-Protesten
(Proteste in BDR, angelehnt an der Occupy-Bewegung) neugierig gemacht. Insbesondere
1 Ich verwende durchgängig die männliche Schreibweise in dieser Arbeit. Alle andere Geschlechter sind damitebenfalls gemeint.
1
gaben mir Zinns Essays über die 'Sit-ins', Proteste gegen die Segregationspraxen in den USA
in den 60er Jahren wichtige Anregungen über die religiösen Dimensionen von politischem
Protest und sozialer Veränderung. Das bewog mich, die Überkreuzungen, Verbindungslinien
und Spannungsfelder dieser zwei Dimensionen in Bezug zu meinen akademischen
Erkenntnissen und Erfahrungen mit der Sozialen Arbeit zu setzen.
Die vorliegende Arbeit intendiert, Religion und Protest als Phänomene und Dimensionen
sozialer Veränderungen zu untersuchen. Was verbindet sie? Was unterscheidet sie? Wie sind
sie in der dialektischen Spannung zwischen dem Persönlichen und dem Politischen
eingebettet? Wie entfalten sie sich in ihrer Historizität, Glokalität und Aktualität? Wie
beeinflussen sie die Praxen und theoretischen Orientierungen der Sozialen Arbeit? Zunächst
wird diese Fragestellung exploriert und präzisiert. Danach werden theoretische Perspektiven
dargestellt, anhand dessen dieses Thema untersucht wird. Wichtige Impulse hierfür sind: die
Konstitution und Konstruktion des Sozialen; die sozialen Ursachen von Unterordnung und
Widerstand; die Formen, Kontexte und Bewegungen der Religion in modernen und
postmodernen Zeiten; und die Beziehung zwischen Mystik und Widerstand. Anhand dieser
theoretischen Perspektiven werden zwei sozialpolitische Bewegungen und eine religiöse
Bewegung genauer untersucht. Zunächst wird Sufismus als eine religiöse Bewegung
erforscht, gefolgt von der Bürgerrechtsbewegung gegen Segregation in den USA und die
aktuelle internationale Occupy-Bewegung. In einem nächsten Schritt werden die Kohärenzen
und Divergenzen dieser drei Bewegungen untersucht. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse
werden dann mit Blick auf die Soziale Arbeit kontextualisiert. Es wird geprüft, in wieweit die
Soziale Arbeit im Prozess sozialer Veränderung eingebettet ist und wie sie zur Unterbindung
oder Ermöglichung von sozialer Veränderung dient. Abschließend wird kurz erörtert,
inwieweit die Soziale Arbeit Impulse aus den drei Bewegungen für sich nutzbar machen kann.
Das ursprüngliche Vorhaben dieser Arbeit war es, die Wirkungen und das Potential von
Religion und Protest hinsichtlich sozialer Veränderungen zu untersuchen und dabei auf die
Ambivalenzen und Widersprüche beider Phänomene hinzuweisen. Während des Schreibens
habe ich mich allerdings mehr auf die soziale Veränderung ermöglichenden Aspekte von
Religion und Protest fokussiert. Der Aspekt der Frömmigkeit von Widerstands- bzw.
Protestphänomenen und ihre dialektische Einbettung im gesellschaftlichen System konnte im
Rahmen dieser Arbeit nicht berücksichtigt werden. Dies könnte besonders in Hinblick auf die
Verbindung zur Sozialen Arbeit Thema einer weiteren Untersuchung werden.
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1. Exploration der Fragestellung
Was würde der Mystiker und Dichter Rumi zu den Occupy-Protesten sagen? Diese Frage hat
mir wichtige Hinweise für die wissenschaftliche Untersuchung des Verhältnisses von Religion
und Protest zur sozialen Veränderung gegeben. Zum einen macht sie aufmerksam auf die
strukturellen, diskursiven und interaktionellen Verbindungslinien und Divergenzen zwischen
Religion und Protest. Zweitens schlägt sie eine Brücke zwischen dem 8. und 21. Jahrhundert.
Es wäre interessant zu erforschen, wie sich in diesem Zeitraum die Überkreuzungen zwischen
Religion und Protest verwandelt haben. Drittens eröffnet sie eine transnationale
Untersuchungsarena, in der sich das Zusammenspiel zwischen Religion und Protest entfaltet.
Unter Berücksichtigung dieser drei Untersuchungsdimensionen möchte ich folgende
Fragenfelder markieren, explorieren und präzisieren, die für diese Arbeit wichtig sind.
Intersektionelle Fragen: Zum einen geht es um die inhaltlichen Bestimmungen: Welche
Konzeptionen und Konstruktionen von Religion und Protest sind erkennbar, wenn es um
soziale Veränderung geht? Wie wird Religion zwischen der Transzendenz und Immanenz des
menschlichen Lebens verortet? Hat Religion auch einen Widerstandsauftrag? Wo gibt es
Momente der Revolte in religiöser Praxis? Hat Protest bzw. Widerstand religiöse Elemente
oder Momente aufzuweisen? Und wenn Ja, welche? Was hat Protest mit religiöser
Überzeugung oder Motivation zu tun? Gibt es z. B. bestimmte Funktionalitäten der Religion,
die besonders interessant sind für die Mobilisierung von Widerstand? Welche Auswirkungen
haben Protestbewegungen auf die Religiosität ihrer Mitglieder und andere Menschen?
Zum anderen geht es um Form-Fragen, Fragen, die sich mit den unterschiedlichen
Expressionen von Religiosität und Protestkultur beschäftigen. Wie sehen die Inszenierungen
und Liturgien von religiösen und sozialen Protestbewegungen aus? Wer z. B. sind die Akteure
von solchen Bewegungen? Wie fromm oder gehorsam sind sie (im Sinne von Status quo
erhaltend) und was für ein subversives Potential haben sie in Bezug auf soziale
Veränderungen? Welche Organisationsformen haben diese Bewegungen? Welche Praxen
werden kultiviert und praktiziert, welche werden verhindert?
Zeitliche Fragen: Die Untersuchung der Intersektion von Religion und Protest ist sowohl in
historischen als auch in gegenwärtigen Kontexten eingebettet. In der zeitlichen Dimension
gibt es hierbei sowohl Kontinuitäten als auch Brüche. So lässt sich fragen, warum gerade in
den letzten zehn Jahren öffentliche Proteste zugenommen haben? Gibt es da
Strukturparallelen zu der Revitalisierung der Religion als Akteur des sozialen und politischen
3
Lebens? Sind die Proteste des arabischen Frühlings, die Proteste gegen die
Vergewaltigungsfälle in Indien, die Occupy-Proteste etc. ein Hinweis darauf, wie Protest als
Akteur der sozialen Veränderung wieder entdeckt wird oder sind sie als Teil der neoliberalen
Maschinerie zu verstehen, bei der Proteste Produkte im Sinne der Dialektik der Aufklärung
verkörpern ? Unterscheiden sich die Proteste der Vormoderne und der Moderne von denen der
Postmoderne? Verkörpern gegenwärtige soziale und religiöse Bewegungen alte Konflikte, die
neu inszeniert werden? Unter welchen zeitlichen Besonderheiten, Bedingungen und
Bestimmungen lassen sich Protest-Bewegungen religiös mobilisieren?
Räumliche Fragen: Die Frage der räumlichen Kontexte, unter denen religiöse und soziale
Bewegungen sich organisieren, machen sowohl eine globale – im Sinne einer transnationalen
und transkulturellen Perspektive – als auch eine lokale Verortung notwendig. So kann es
interessant sein zu fragen, welchen Einfluss koloniale Mächte auf indigene Protest-
Bewegungen haben? Inwieweit hat die religiöse Mobilisierung von Protest mit den
Machtasymmetrien zwischen den Entwicklungsregionen und den industrialisierten Regionen
zu tun? Fragen der kulturellen Konstruktionen des 'Orients' und 'Okzidents' und ihrer
Auswirkungen auf die Überkreuzung von Religion und Protest werden virulent. Außerdem
lässt sich fragen, ob es eine transnationale Organisation von Religions- und Protest-
Bewegungen gibt? Auch die Frage der Beteiligung von Migranten in lokalen Protest-
Bewegungen wird interessant, wenn man Proteste privilegierter Aktivisten mit denen von
unterprivilegierten Betroffenen vergleicht.
Fragen bezüglich der Sozialen Arbeit: Insofern Soziale Arbeit die Arbeit mit dem 'Sozialen'
beinhaltet, lässt sich fragen, wo sich die theoretischen Konzeptionen der Sozialen Arbeit als
'fromm' (sich dem Ordnungswissen unterordnend) oder kompensatorisch erweisen. Welche
Handlungspraxen der Sozialen Arbeit weisen auf eine soziale Nicht-Veränderung hin? Welche
Sprecher-Positionen teilt die Soziale Arbeit ihren Adressaten, ihren Auftraggebern und ihren
Akteuren zu? Wie positioniert sich die Soziale Arbeit zwischen 'Solidarity' und 'Charity'?
Beinhaltet Soziale Arbeit auch 'Social Activism'? Wie können Konzeptionen und Praxen einer
widerstandsfähigen Sozialen Arbeit aussehen?
Dieser Untersuchung bewegt sich entlang dieser Fragestellungen, ohne den Anspruch alle zu
beantworten. Sie sind eher als Bezugspunkte zu denken und dienen dazu, den Suchprozess
anzutreiben, Irritationen nachzugehen und nicht eine eindeutige Antwortsprogrammatik zu
generieren.
4
2. Theoretische Perspektive
Im Folgenden möchte ich die theoretischen Grundlegungen darstellen, die als Eckpfeiler für
diese Untersuchung – das Verhältnis zwischen Religion und Protest – wichtige Impulse
geliefert haben. Um der Vielschichtigkeit, Uneindeutigkeit und Komplexität dieses
Verhältnisses Rechnung zu tragen, erscheint mir eine interdisziplinäre Herangehensweise
sinnvoll. Beitrage aus der Kritische Psychologie, Soziologie, Theologie, Anthropologie,
Religionssoziologie und Literaturwissenschaft werden in den theoretischen Überlegungen
berücksichtigt.
2.1. Konstitution und Konstruktion des Sozialen
Religion und Protest können sowohl als individuelle als auch gesellschaftliche Phänomene
betrachtet werden. Beide haben eine persönliche und eine sozialpolitische Dimension, die
nicht dichotom, sondern eher rekursiv wirken. Insofern ist für das Thema ein theoretisches
Framework sinnvoll, welches die dialektische Untersuchung des Verhältnisses zwischen
Mensch und Gesellschaft ermöglicht. Die kritische Psychologie formuliert u. a. die
Konzeption der gesellschaftlichen Vermitteltheit des Individuums oder der Intersubjektivität,
um die Verbindungen, Bedingtheiten und Wechselwirkungen zwischen dem Individuum und
seiner Umwelt, also um die Konstitution und Konstruktion des Sozialen zu untersuchen.
Außerdem gibt sie interessante Impulse für die Analyse der Prämissen, die für subjektives
Sein und Handeln wichtig sind. Weiterhin macht sie aufmerksam auf die unterschiedlichen
Handlungsfähigkeiten der Subjekte. Im Folgenden werden einiger dieser Impulse skizziert.
2.1.1. Die Intersubjektivität
Die kritische Psychologie versucht, durch die Idee der Intersubjektivität eine Verbindung
zwischen der ontogenetischen (individuellen) und der phylogenetischen (gesellschaftlichen)
Entwicklung des Menschen herzustellen (vgl. Meretz 2012, S. 111). Der Mensch lebt oder
überlebt nicht allein, sondern in seiner Umwelt. Der menschliche Organismus entwickelt in
diesem Prozess Eigenschaften und Fähigkeiten, mit der Umwelt (Gesellschaft) zu
interagieren, mit ihr zu kooperieren bzw. auf sie einzugehen oder ihr zu widerstehen, sie zu
verändern und gestalten. Er wird zu einem gesellschaftlichen Wesen, das die Gesellschaft
formt und gleichzeitig von ihr geformt wird. Somit ist der Mensch und seine Umwelt in einer
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intersubjektiven Beziehung. „Die gesellschaftlichen Menschen sind gleichzeitig die
menschliche Gesellschaft, vermittels derer sie leben, indem sie ihre Lebensbedingungen und
damit auch sich selbst herstellen“ (ebd. S. 66).
Die Intersubjektivität zwischen Mensch und Gesellschaft, wie in der kritischen Psychologie
formuliert, würdigt die Herstellung der Verhältnisse sowie die Werdung des Individuums als
subjektives und alltägliches 'Tun' und hebt damit die Passivität der Subjekte auf (vgl.
Brenssell 2012, S. 200). Sie sucht die scheinbar subjektiven Verhaltensweisen auf ihre
Vermitteltheit mit objektiven Lebensbedingungen hin zu durchdringen. Somit liefert die
Intersubjektivität Impulse, um die Erschaffung und Entwicklung des Menschen und der
Gesellschaft als einen rekursiven und widersprüchlichen Prozess zu betrachten und die
Situation der aktiv handelnden Menschen in dynamischen Verhältnissen in den Blick zu
nehmen.
Nicht nur individuelles Verhalten, sondern auch gesellschaftliche Differenzkategorien, z. B.
männlich/weiblich, Migrant/Nicht-Migrant, homosexuell/heterosexuell, religiös/areligiös sind
intersubjektiv zu verstehen. Sie ordnen soziale Interaktion in gesellschaftliche Verhältnisse
ein. Sie können einerseits als Wirklichkeitskonstruktionen gesehen werden, die als Produkte
verschiedener gesellschaftlicher, symbolischer Ordnungen entstehen, verhandelt werden und
wirksam sind. Andererseits sind sie auch sehr prozessual, da sie von Menschen gelebt, erlebt,
erzählt und produziert bzw. reproduziert werden. Sie haben reale Auswirkungen auf ihr
Leben, ihre Teilhabe- und Gestaltungsmöglichkeiten. Mecheril und Melter fassen diese beide
Aspekte der Hergestelltheit und der Prozesshaftigkeit der Differenzkategorien sehr treffend
zusammen:
„Erfahren, begriffen und verstanden wird mit Hilfe von Differenzordnungen gesellschaftlicher Realität und die
eigene Position in ihr. Differenzordnungen strukturieren und konstituieren Erfahrungen, sie normieren und
subjektivieren, rufen historisch aufklärbare Individuen als Subjekte an. Differenzordnungen können zugleich
durch gesellschaftliche Aushandlungsprozesse in ihrer Machtförmigkeit, ihrer grundlegenden Bedeutung und
ihrem Verhältnis zu anderen Differenzordnungen verschoben, destabilisiert, verändert oder weniger bedeutsam
gemacht werden. Sie sind kontingente und sich wandelnde Zusammenhänge“ (Mecheril/Melter 2012, S. 265).
2.1.2. Restriktive versus verallgemeinerte Handlungsfähigkeit
Im Hinblick auf soziale Veränderung wird die Frage der Handlungsfähigkeit der Subjekte
relevant, sei es als Akteure der Religion oder des Protests. Die kritische Psychologie
unterscheidet zwischen „restriktive[r] Handlungsfähigkeit, als individuell-unmittelbare
Bedürfnisbefriedigung und 'verallgemeinerte[r] Handlungsfähigkeit' als gemeinsame
Erweiterung der gesellschaftlichen Lebensmöglichkeiten“ (Meretz S. 100). Die restriktive
Handlungsfähigkeit kann als eine Fähigkeit zur Bewältigung von eigenen Problemen unter
6
gegebenen sozialen Umständen verstanden werden. Hier geht es darum, die Probleme unter
gegebenen, restriktiven, als nicht veränderbar gesehenen sozialen Bedingungen, d. h. auch
Macht- und Herrschaftsverhältnissen zu lösen. Die Subjekte arrangieren sich oder gehen eine
Komplizenschaft mit Machtverhältnissen ein und verzichten möglicherweise auf eine
Erweiterung eigener Lebensmöglichkeiten. Die eigene Mitverantwortung für die
Reproduktion bzw. die Verfestigung der sozialen Verhältnisse und Bedingungen wird dabei
häufig ins Unbewusste verdrängt (vgl. Kalpein 2012, S. 253). Im Gegensatz dazu bezieht die
verallgemeinerte Handlungsfähigkeit die gesellschaftlichen Verhältnisse bei der Bewältigung
von individuellen Problemlagen mit ein. Sie ist somit als „die Verfügung des Individuums
über seine eigenen Lebensbedingungen in Teilhabe an der Verfügung über den
gesellschaftlichen Prozess“ (Meretz S. 76) zu verstehen. Sie beinhaltet den Versuch, eigene
Lebensmöglichkeiten durch aktive Veränderung der Lebensbedingungen bzw.
Machtverhältnisse zu erweitern. Darin wird ihr intersubjektiver Charakter deutlich. Damit ist
sie auch mehr konfliktorientiert als die restriktive Handlungsfähigkeit und spricht die
Widersprüche zwischen den individuellen Handlungsmöglichkeiten und gesellschaftlichen
Handlungsbeschränkungen an.
2.2. Enteignung und Entstehung von Widerstand
Um die Frage der menschlichen Handlungsfähigkeit im Hinblick auf soziale Veränderung
genauer zu untersuchen, gibt der Soziologe Barrington Moore interessante Hinweise. Er geht
in seinem Buch 'Injustice – The Social Bases of Obedience and Revolt' der Frage nach,
warum Menschen sich mit ihren gesellschaftlichen Verhältnissen abfinden und warum sie
manchmal dagegen Widerstand leisten und diese Verhältnisse zu verändern versuchen. Dabei
scheint die Vorstellung und das Empfinden von Ungerechtigkeit und ihre Vermeidbarkeit eine
wichtige Rolle zu spielen. Moore geht einmal auf psychologische und soziologische
Mechanismen ein, die das Unrechtsempfinden der Menschen unterdrücken oder abtöten bzw.
sie verleiten, in Gehorsam mit den gesellschaftlichen Verhältnissen zu leben. Zweitens geht er
auf die Elemente von moralischer Entrüstung bzw. Empörung ein, die er als konstitutionell für
die Entstehung von Widerstand betrachtet. Damit meint er nicht das 'Leiden der
Intellektuellen', die ungerechte Weltverhältnisse beklagen, sondern eher die Empörung oder
Wut, die Menschen antreibt, gegen Unterdrückung aufzubegehren. Diese Empörung hat zwar
auch eine moralische Komponente, ist aber nicht moralisierend, herablassend oder
selbstgerecht, sondern viel unmittelbarer und direkter (vgl. Moore 1982, S. 9).
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Nach Moore sind soziale Regeln und ihre Verletzung entscheidende Komponente bei der
Wahrnehmung von Ungerechtigkeit und der Entstehung moralischer Empörung. Diese kann
sich auf die Tatsache beziehen, dass die herrschenden Regeln falsch sind oder dass jemand
diese gültigen Regeln bricht (ebd. S. 21). Andererseits geht Moore von einer 'natürlichen
Moral' im Sinne einiger moralischer Präferenzen aus, die nicht nur Folgen sozialer
Konditionierung sind (ebd. S. 24). Anhand von Beispielen aus ganz unterschiedlichen
Gesellschaften mit und ohne Schriftkultur zeigt er, dass es unter bestimmten Voraussetzungen
und Situationen (z. B. beim Versagen einer Autorität bei der Erfüllung ihrer expliziten oder
impliziten Verpflichtungen; einer ungerechten Arbeitsteilung oder der ungerechten Verteilung
des Sozialprodukts) zu einer allgemeinen Reaktion der moralischen Empörung kommen kann
(ebd. S. 76). An diesem Punkt kann festgehalten werden, dass auch moralische Empörung ein
intersubjektives Phänomen ist, das einerseits gesellschaftlichen Regeln unterliegt, andererseits
nicht ganz in ihnen aufgeht.
2.2.1. Enteignung moralischer Empörung
Moore beschreibt anhand von drei konkreten Beispielen, durch welche psychologischen,
kulturellen und gesellschaftlichen Mechanismen Menschen ihr vorhandenes Gefühl für
Ungerechtigkeit unterdrücken und schmerzhafte oder herabwürdigende Erfahrungen als
moralisch gerechtfertigt empfinden. Erstens nennt er die Asketen, die das Leiden bzw.
schmerzhaft erlebte Verhältnisse als unvermeidbar akzeptieren und die dadurch
hervorgerufene Feindseligkeit gegen die eigene Person richten anstatt gegen die Verhältnisse
(vgl. ebd. S. 87).2 Somit handelt es sich um eine Internalisierung von Konflikten. Zweitens
nennt er die Kaste der Unberührbaren in Indien, die den vorherrschenden Glauben der
herrschenden Kasten über Schicksal und Karma (Handlung) verinnerlicht haben. Dieser
Glauben lässt den Status der Unberührbaren als eine Folge individueller Handlungen
erscheinen und verbindet ihn mit der Möglichkeit eines gesellschaftlichen Aufstiegs und
Abstiegs im nächsten Leben (vgl. ebd. S. 90). Zusätzlich wird ihr Verhalten durch Sanktionen
geformt, die verhindern, dass sie ein Selbstwertgefühl entwickeln und die Autorität der
herrschenden Kasten in Frage stellen.3 Hier ist die Unterdrückung der moralischen Empörung
mit dem Versprechen einer bessere Zukunft und dem Akzeptieren des niedrigen
Selbstwertgefühls verbunden. Dies kann als eine sozio-religiöse Rationalisierung von
Ungerechtigkeit verstanden werden. Drittens nennt er die Gefangenen in
Konzentrationslagern, die durch sehr komplexe Machtmechanismen dazu gebracht wurden,
die moralische Autorität ihre Unterdrücker zu akzeptieren. Dies erreichte man u. a. durch
2 Moore benennt die Askese hier als negative Utopie oder Ersatz für die Revolution, vgl. S. 87.3 Der Diskurs der individuellen und sozialen 'Verunreinigung' wurde hierfür eingeführt.
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Isolation bzw. Verhinderung der Solidarität, Formen der Kooption (z. B. durch materiellen
Entzug), Degradierung durch Homogenisierung, Zerstörung der Selbstachtung etc. Hier kann
von einer Repression von Empörungspotential gesprochen werden.
2.2.2. Entstehung und Konstitution moralischer Empörung
„Menschen neigen offenbar dazu, dem, was unvermeidlich scheint oder ist, Legitimität
zuzusprechen. (…) Die Überwindung dieses Gefühls der Unvermeidbarkeit ist wesentlich für
die Entwicklung einer politisch wirksamen moralischen Empörung“ (Moore S. 605). In einem
weiteren Schritt zeigt Barrington Moore, welche Bedingungen die Entstehung von Widerstand
zur notwendigen sozialen Veränderung begünstigen.
Der Prozess der Entstehung von moralischer Empörung beinhaltet auf der Ebene der
individuellen Persönlichkeit, die Abhängigkeit von anderen zu überwinden. „Es ist ein Teil
des Lernprozesses, der moralischen Autorität der Unterdrücker zu widerstehen, sich selbst zu
sagen, daß die Bestrafungen der Unterdrücker unverdient sind. (…) Wie jeder Revolutionär
erkennt, müssen die Opfer »ihren Sinn stählen«“ (ebd. S. 615). Nach Moore geht es
psychologisch gesehen um eine 'Stählung'4 der menschlichen Seele, die ihr die Kraft zu
urteilen und zu handeln geben soll (vgl. ebd. S. 122). Dieses 'Stählen des Sinns' oder
moralische Autonomie beinhaltet drei Elemente. Erstens: Moralisches Erwachen als die
Fähigkeit, unterdrückende gesellschaftliche Zwänge und Regeln zu erkennen. Zweitens:
Moralischer Mut als eine Fähigkeit, diesen machtvollen Zwängen zum Gehorsam zu
widerstehen. Und Drittens: Moralische Erfindungsgabe als die Fähigkeit, neuartige Formen
der Verurteilung dessen, was besteht, zu entwickeln (vgl. ebd. S. 134).
Zum andern weist er anhand von Milgram und anderen psychologischen Experimenten darauf
hin, dass gesellschaftliche Unterstützung, Einfühlungsvermögen mit Opfern, Solidarität
zwischen Gleichgestellten sowie Allianzen zwischen verschiedenen Gruppen für die
Entstehung von Widerstand von Bedeutung sind (vgl. ebd. S. 142). Auf der Ebene
gesellschaftlicher Organisation plädiert er für neue Formen der Solidarität und Netze der
Zusammenarbeit. „Anstelle einer Solidarität der heroischen Haltung, die die Gruppe
gefährdet, werden Wege gefunden werden müssen, um effektiv Widerstand zu leisten“ (ebd.
S. 609). So beobachtet er: „Die Zersetzung muß sich auf die herrschenden Klassen ausdehnen
und sie in einer solchen Weise spalten, daß zwischen Elementen der herrschenden wie der
unterdrückten Klassen Bündnisse geschlossen werden können“ (ebd. S. 621). In der Moderne
nehmen diese Zusammenschlüsse verschiedene Organisationsformen an. Er benennt die
Gewerkschaften, revolutionäre politische Parteien und die revolutionäre Masse bzw. den Mob
4 Der englische Wort 'extract' (to extract iron from iron-ore) beschreibt sehr bildhaft den Prozess der Berufungdes 'Eigensinns', um gesellschaftliche Verhältnisse bzw. Konditionierung in Frage zu stellen.
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als die drei wichtige Formen, um gesellschaftliche Veränderungen durchzusetzen (ebd. S.
632).
Auf der Ebene kultureller Normen ist die Überwindung der Illusion wichtig, dass die
bestehende Ordnung gerecht oder die ungerechte Ordnung unvermeidlich sei. Dies impliziert
die Erarbeitung neuer moralischer Normen der Verurteilung (vgl. ebd. S. 130/609). Hierfür ist
die Rolle der moralischen Erfindungsgabe der Intellektuellen5 wichtig, so Moore. Die
„Vorstellungen einer neuen gesellschaftlichen Ordnung entstanden hauptsächlich unter
andersdenkenden Intellektuellen“ (ebd. S. 629).
Nach Moore „gab es keine soziale Bewegung ohne ihre Armee von Predigern und Militanten, die die frohen
Botschaften der Rettung von Schmerzen und Übeln dieser Welt verbreiten. (…) Es ist immer eine aktivistische
Minderheit, die neue Maßstäbe der Verurteilung befürwortet und verkündet. (…) Im allgemeinen sind sie
ziemlich jung und nicht mit gesellschaftlichen Bindungen und Verpflichtungen belastet. (…) Sehr häufig sind sie
Außenseiter in der Gegend, wo sie tätig sind. Ihre Aufgabe liegt darin, latenten Unmut aufzuspüren und zu
artikulieren, die herrschende Mythologie infrage zu stellen und eine Auseinandersetzung mit den herrschenden
Kräften zu organisieren. Die Agitatoren von außerhalb leisten die schwere Aufgabe, das alte Gefühl der
Unvermeidlichkeit zu unterminieren“ (ebd. S. 623).
Im Hinblick auf die Enteignung moralischer Empörung in der kapitalistischen Entwicklung
beobachtet Moore: „das System teilt dem gesellschaftlichen Vorrat an moralischer Empörung
in genau derselben Weise zu, wie es dem Markt das Angebot an Fruchtsaft oder eingemachten
Kartoffeln zuteilt. Diejenigen, die das Produkt am meisten brauchen, können es nicht
bekommen, weil ihnen die Ausdrucksmittel für den Marktmechanismus fehlen, und neue
Anbieter können Mühe haben, in einen überfüllten Markt einzubrechen“ (ebd. S. 661). Diese
Beobachtung wird interessant im Kontext der Unterscheidung zwischen privilegierten
intellektuellen Aktivisten und unterdrückten Betroffenen, die in der Regel nicht in der Lage
sind Widerstand zu leisten.
Sowohl Prozesse der Enteignung als auch Entstehung von moralischer Empörung sind
intersubjektiv zu verstehen. Bei den Enteignungsprozessen kann von einer restriktiven
Handlungsfähigkeit der Menschen gesprochen werden, die versuchen, innerhalb der als
gegeben und unveränderbar erachteten Verhältnisse für sich die bestmöglichen Wege zu
finden. Im Gegensatz dazu wird bei der Entstehung und Aneignung von moralischer
Empörung eine veränderte Handlungsfähigkeit sichtbar, die durch Veränderung der gegebene
Verhältnisse Handlungsspielräume eröffnet.
5 Mit Intellektuellen meint er nicht nur 'Gelehrte', sondern Menschen mit einem geistigen Horizont, die die gesellschaftlichen Gegebenheiten sprengen.
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2.3. Religion in modernen und postmodernen Kontexten
Nachdem ich Widerstand als soziales Phänomen untersucht habe, möchte ich als nächstes das
Thema der Religion aufgreifen. Um etwas so komplexes, dynamisches und volatiles wie
Religion im Kontext des Sozialen zu thematisieren, sind Systematisierungen hilfreich. Die
Theologin Linda Woodhead und der Anthropologe Paul Heelas untersuchen in ihrem Buch
'Religion in modern times' die unterschiedlichen Typen/Formen der Religion, die
verschiedenen Kontexte ihrer Einbettung und ihres Wirken sowie ihrer diversen Trends. Ihre
Systematisierungen sind nicht linear, statisch und eindeutig zu verstehen. Im Folgenden
skizziere ich einige Aspekte dieser theoretischen Systematisierungen, die mir im Hinblick auf
die Verbindungslinien zwischen Religion und Widerstand sinnvoll erscheinen.
2.3.1. Typen/Formen von Religion
Basierend auf dem Verständnis der Beziehung zwischen Gott, Mensch und Welt bzw. Natur,
haben Woodhead und Heelas Religionen in den folgenden drei Kategorien eingeordnet.
Religions of Difference: Religionen unter dieser Kategorie betonen das 'Transzendente'
(Göttliche), das über dem Immanenten (dem Menschlichen und Weltlichen) liegt (vgl.
Woodhead/Heelas 2000, S. 15). Sie haben einen eher autoritären Stil. Die göttliche Autorität
manifestiert sich durch weltliche (mediating) Autoritäten. Diese können heilige Texte, heilige
Personen oder heilige Traditionskörper sein. Hier geht es um „correctly structured
differences“, also Unterschiede zwischen Gott-Mensch, Mann-Frau, Kind-Erwachsener,
Autorität-Gefolge, Zugehörige-Außenstehende, die 'prescriptive' (d. h. auf das Richtige und
Gute wegweisend) sind (ebd.). Die Idee der Sünde und Erlösung durch Gott machen
Gehorsam, Demut und Selbstkontrolle moralisch interessant (ebd.). In ihrer Sozialität zeigen
sie sich als „tightly bounded communities“, die identitär, exklusiv und durch einen
Wahrheitsanspruch selbstbestätigend sind (ebd. S. 27f.).
Religions of Humanity: „Religions of Humanity attribute considerably greater authority and
goodness to what the human has to offer, in particular the excercise of reason“ (ebd. S. 15).
Diese humanistischen Religionen haben einen vergleichsweise liberalen Stil. Sie sind
gegenüber Autoritäten jeglicher Art misstrauisch und vertrauen eher auf eigene Denkweisen.
Freiheit und Toleranz sind wichtige Werte. Sie zeigen sich als „loosely bounded communities“
oder 'Denominations', die eher inclusiv sind und die kollektive Dimension der Sozialität
unterstreichen. Sie sind in ihren Handlungsansätzen ethisch orientiert und nicht so sehr in
11
Doktrinen befangen (vgl. ebd. S. 70f.).
Spiritualities of Life: „Spiritualities of life locate the sacred within the self and nature“ (ebd.
S. 15). Hier ist das Wichtigste die spirituelle Erfahrung des Einseins zwischen Mensch, Gott
und Natur bzw. Umwelt. Lehren und Praxen sind auf dieses Ziel gerichtet. Menschen sind
gemeinsam mit Gott und Natur die 'Co-creaters of reality'. Sie haben einen expressiven Stil.
Das Sein und Handeln im Hier und Jetzt ist bedeutend. Das mystische Element betont die
'perennial' Philosophie6, die alles miteinander verbindet. Sie sind in ihrer Sozialität eher als
ent-traditionalisierte und pluralistische communities sichtbar, deren Bindungen sowohl 'tigh'
als auch 'loose' sein können (vgl. ebd. S. 110-115).
„Religious life and thought is often messy, transgressing the neat divisions of the academic“
(ebd. S. 16). Dementsprechend sind die oben genannten Formen der Religionen nicht immer
'pur', sondern sie überlappen, variieren und mischen sich. Sie sind manchmal im Konflikt
miteinander oder sie ergänzen sich.
2.3.2. Kontextualisierung der Religion
„Religions are historically and materially defined. They occupy a concrete time and space. They are cultural,
political and material enterprises. They involve individuals, social groups and social action. They interact with
their economic and political contexts, and excercise a transforming or determinative role in relation to their
social frame“ (ebd. S. 171).
Woodhead und Heelas machen hier darauf aufmerksam, dass das Phänomen Religion (so wie
der Widerstand) einen intersubjektiven Charakter hat. Im Folgenden möchte ich das
Zusammenspiel der Religion mit den ökonomischen und politischen Kontexten kurz
darstellen.
Ökonomischer Kontext: Spätestens seit Max Weber ist die These von der Trennung zwischen
dem Religiösen und dem Ökonomischen in der Gesellschaft aufgehoben. Sein Werk zeigt die
Rolle, die Religion in der Entwicklung der kapitalistischen Marktwirtschaft gespielt hat.
Anthony Giddens macht in seiner Zusammenfassung von Weber darauf aufmerksam, wie die
Reformation eine protestantische Ethik etablierte, in der Arbeit und 'wealth creation' durch
biblische Autorität legitimiert wird, als ein Zeichen, dass die Reichen von Gott zur Erlösung
'auserwählt' wurden. Somit wurde ein arbeitsames und sparsamen Leben zur moralischen
Pflicht (vgl. ebd. S. 183ff). Peter Berger zeigt auch: „churches have been the most important
conduits for lower class people into the 'Protestant ethic' and thus into the promised land of
6 Vgl. 'The perennial philosophy' von Aldous Huxley, in: Woodhead/Heelas.
12
bourgeois respectability“ (vgl. ebd S. 201). Andererseits sprechen Woodhead und Heelas von
'Prosperity Religion' als die 'sacralization of utilitarian individualism.' Dies sei „a way of
empowering, indeed legitimating and giving substance to the utilitarian self intent on enjoying
the materialistic life“ (ebd. S. 175). Ferner ist die Rolle der Religion als Lieferant für 'social
capital' (creating strong communities and plausibility structures) sowie 'moral Capital'
(generating a life of meaning) sehr interessant7 (vgl. ebd. S. 55-60). Auch die Idee der
Selbstverwirklichung in der religiösen Sphäre, wie Michael Rose sie thematisiert, verkörpert
die kapitalistische Wertsteigerung des Selbst im post-bourgeoisen Komplex. Nigel Thrift
benennt hier 'Soft Capitalism', in der „the significance of work is transformed in that it is
concieved as providing the opportunity to work on oneself“ (ebd. S. 205-208).
Andererseits wird der These der 'Bastardization' von Religion durch die Ökonomie auch
widersprochen: Die Religion kann auch eine wichtige Rolle spielen, um kapitalistische
Tendenzen zu kritisieren und andere Alternativen zu entwickeln. Die Beispiele hierfür sind die
Impulse der 'Liberation Theologie' oder der 'Eco-spiritualism'8. Die Rolle der Religion in
ökonomischen Kontexten (Entwicklung der Marktwirtschaft) muss in der Überkreuzung mit
den politischen Kontexten (Entwicklung des Nationalstaats) gesehen werden.
Politischer Kontext: Um das Zusammenspiel von Religion und Politik zu untersuchen,
orientieren sich Woodhead und Heelas an der die Konstitution des Politischen, wie es Alfred
Stephan formuliert. Demnach sind drei Komponente wichtig: Erstens der Staat – „the
extensive and interconnected administrative, bureaucratic, legal and coercive system, which
includes the apparatus of government“. Zweitens die Politik (politcal society) – „the arena in
which a polity specifically arranges itself for political contestation to gain control over public
power and the state apparatus“. Und drittens die Zivilgesellschaft – „the arena of institutions
and movements which are not explicitly political or involved in state activities, but which can
excercise profound political influence“ (ebd. S. 216). So kann Religion entweder in der
Verfassung des Staates komplett abgeschafft werden. Oder der Staat distanziert sich von
religiöser Parteilichkeit, indem er Allparteilichkeit verspricht bzw. allen Religionen religiöse
Freiheit garantiert. Der Staat kann aber auch Religion instrumentalisieren, indem er ihre
Legitimation auf einer nationalen Ebene institutionalisiert.
Die Religion kann den Nationalstaat legitimieren, ihn finanzieren und mit religiösen Mythen
und Symbolen die nationale Identität festigen9 (vgl. ebd. S. 214-216). Andererseits kann die
Zivilgesellschaft durch Religion durch dem Nationalstaat Widerstand leisten, sogar
7 Vgl. Andrew Greeley, Peter Berger, Nancy Ammerman, in: Woodhead/Heelas.8 Vgl. Szersynski über 'radical environmental protest as a new mode of performing public sphere'.
In:Woodhead/Heelas9 Vgl. David Martin, Wuthnow, Troeltsch und Parsons, in: Woodhead/Heelas.
13
Kolonialmächte entmachten.10 Dies ist besonders im Zusammenhang mit 'ethnic- or cultural
nationalism' zu beobachten.11 Außerdem kann Religion alternative communities hervorrufen,
ein ziviles Ethos12 fördern, im Hinblick auf Menschenrechte Druck ausüben, Kapitalismus-
Kritik liefern und 'public policy'-Debatten führen.
2.3.3. Trends in der Religion
Religiöse Trends sind als transformative gesellschaftliche Prozesse zu verstehen, die in dem
Zusammenspiel von Religion und Gesellschaft geschehen. Zum einen geht es hier um
Prozesse, in denen die Quantität und/oder Bedeutung der Religion ausgehandelt wird, zum
anderen um Prozesse der Veränderung des Religiösen an sich (vgl. Woodhead/Heelas S.
305f.). Im Folgenden möchte ich einige Trends der Religion thematisieren, die in ihrer
Koexistenz sowohl 'congenial' als auch 'conflictual' sein können (vgl. ebd. S. 481).
Secularization: Hierbei geht es um Prozesse der Moderne, in der erstens Religion aus
gesellschaftlichen und privaten Sphären verschwindet (disappearance theory)13; zweitens in
den sozialen Zonen an Bedeutung verliert, wobei sie im privaten Bereich wichtig bleibt
(differentiation theory)14; und drittens nur als 'consumerised experience' zugänglich bleibt
(deintensification theory) (vgl. ebd. S. 307f.).
Sacralization: Im Gegensatz zu den Prozessen der Säkularisierung geht es hier um die
Prozesse der Expansion der religiösen Gemeinschaften (durch Konversionen); die
Wiederverzauberung von 'public space' (dedifferentiation bzw. deprivatization15) und die
Revitalisierung (intensification through 'applied religiosity') der Religion (vgl. ebd. S. 430).
Detraditionalization: Damit werden Prozesse innerhalb des Religiösen bezeichnet, die einen
„shift from the authority of an external, supra-individual and traditional source of sacrality to
the authority of the self (…) that is sacred“ verkörpern (ebd. S. 306). Dies beinhaltet Prozesse
der Deinstitutionalisierung, Dekulturalisierung und Individualisierung der Religion, durch
welche die ethische Erfahrung wichtiger wird als ethische Prinzipien.
10 Vgl. Chaudhuri, in: Woodhead/Heelas.11 Vgl. Juergenmeyer über religiösen Nationalismus und die westliche Trennung zwischen Religion und
Politik, in: Woodhead/Heelas.12 'Civic Religion' – „an informal transdenominational civic religion which serves to undergird American
democracy“, in: Woodhead/Heelas S. 215.13 Vgl. Peter Berger zur Entzauberung der Welt, in: Woodhead/Heelas; Peter Berger, Zur Dialektik von
Religion und Gesellschaft, 1967.14 Vgl. Byron Wilson zur privatization of religion. in: Woodhead/Heelas.15 Vgl. Jose Casanova zur deprivatization. in: Woodhead/Heelas.
14
Universalization: Hier geht es um die Prozesse der Deterritorialisierung16, Dedifferenzierung17
und Pluralismus. Das 'Humane', was Menschen verbindet (the human ethic18), wird
hervorgehoben im Sinne eine 'unity in diversity'.
Im Hinblick auf die oben genannten Thematisierungen lässt sich fragen: Wie verhalten sich
verschiedene Religionsformen zu Prozessen der Enteignung und Mobilisierung von
moralischer Empörung; in welche polit-ökonomischen Kontexte sind sie eingebettet bzw. wie
verhalten sie sich im Hinblick auf Nationalstaat und Marktwirtschaft; und wie beeinflussen
gesellschaftliche Trends bzw. transformative Prozesse das Zusammenspiel von Religion und
Protest.
2.4. Mystik und Widerstand
Als nächstes möchte ich Mystik als eine besondere Dimension des Religiösen thematisieren,
in der die Frage der Transzendenz eine wichtige Rolle spielt. Da aber Transzendenz in
weltlichen Kontexten eingebettet ist, hat es auch soziale Motive und Auswirkungen. Insofern,
dass Prozesse der Entstehung und Aneignung von moralischer Empörung auch Elemente des
'Überschreitens' der gesellschaftlichen Codes (social transgression) beinhalten, könnte es
zwischen Mystik und Widerstand Kohärenzen geben. Die Theologin Dorothee Sölle stellt in
ihren Buch 'Mystik und Widerstand' einige Charakteristiken der Mystik vor, die hinsichtlich
der Überkreuzung von Religion und Protest interessante Hinweise geben. Im Folgenden gehe
ich auf diese ein.
Nicht selten wird Mystik mit 'Magie' verwechselt. „(...) many social scientists unfamiliar with
serious academic studies of the mystical traditions of self-transcendence (...) still erroneously
use the terms 'magic' and 'mysticism' casually as synonyms“ (Howell/van Bruinessen, 2007 S.
5). Im deutschen Sprachgebrauch ist das Wort Mystik relativ spät, vor etwa 200 Jahren, im
Zusammenhang mit der Romantik aufgetaucht. „Das lateinische Wort 'Mysticus' im Sinne von
geheimnisvoll oder verborgen war schon lange im Gebrauch. (…) Die sprachliche Wurzel des
Wortes liegt im griechischen verbum myo, ich schließe die Lippen oder die Augen“ (Sölle
1998, S. 33f.). In diesem Sinne geht es in der Mystik um eine unmittelbare Erfahrung des
Seins, das verborgen ist bzw. 'nicht mit gewöhnlichen Mitteln oder intellektuellem Bemühen'
zu erreichen ist, sondern durch die Gnosis, also die Weisheit des Herzens ermöglicht wird
16 Vgl. Oliver Roy, in: Heilige Einfalt, 2011.17 Vgl. Heelas zur differentiation and dedifferentiation, in: Woodhead/Heelas. 18 Vgl. Heelas zur ethic of humanity, in: Woodhead/Heelas.
15
(vgl. Schimmel, 1995 S. 16f.). In der abendländischen Tradition erinnern die griechischen
Mysterienkulte an die Mystik im Hinblick auf 'veränderte Bewusstseinszustände' (ebd.). Die
religiösen Traditionen anderer Kulturen weisen eine viel längere Tradition der Mystik auf.
Obwohl es dafür unterschiedliche Bezeichnungen gibt, geht es in der Mystik um die zentrale
Erfahrung der 'Unio Mystica' oder Begegnung bzw. Vereinigung des Menschlichen mit der
göttlichen Wirklichkeit. Im Folgenden möchte ich wichtige Elemente der Mystik und ihre
Interpretation darstellen, um ihren Weltbezug oder sozialen Bezug, insbesondere zum
Die Liebe scheint ein zentrales Element der Mystik zu sein. Im Gegensatz zur religiösen
Orthodoxie, die eine autoritäre oder herrschaftliche Beziehung zwischen Gott und Mensch
vertritt, verkörpert die Mystik eine Liebesbeziehung zwischen dem Menschlichen und dem
Göttlichen. Die berühmte Religionswissenschaftlerin Annemarie Schimmel definiert sie als
„'Liebe zum Absoluten' (...) Diese Liebe kann das Herz des Mystikers in die göttliche
Gegenwart tragen“ (vgl. ebd. S. 17). Dorothee Sölle betont in einer ungewöhnlichen Umkehr
der evangelischen Interpretation dieser Liebe, dass es nicht nur Gott ist, der uns liebt,
beschützt, neu macht und errettet, sondern dass Menschen Gott lieben, beschützen, neu
machen und erretten (vgl. Sölle S. 16). Diese Gegenseitigkeit der Liebe ist ein wichtiges
Element der Mystik. Es verkörpert eine 'Ver-rücktheit' in der Beziehung zu Gott. Nicht selten
wurden Mystiker von anderen als verrückt angesehen, weil sie das Herrschaftsverhältnis zu
Gott in ein Liebesverhältnis verwandelten (vgl. ebd. S. 366). So sagt Rabi'a Al Adawiya, eine
der wichtigsten Sufi-Mystikerin : „Ich will Feuer ans Paradies legen und Wasser in die Hölle
gießen, damit diese beiden Schleier verschwinden und es deutlich wird, wer Gott aus Liebe
und nicht aus Höllenfurcht oder Hoffnung aufs Paradies anbetet“ (ebd. S. 57). Diese
zwecklose Liebe, bedingungslose Annahme von Mensch und Gott entstammt einer
'gleichwürdigen' Beziehung zwischen Mensch und Gott. Insofern kann die Mystik als die
antiautoritäre Religion schlechthin begriffen werden, in der aus dem befehlenden Herrn der
Geliebte wird (vgl. ebd. S. 58).
2.4.2. Erfahrung statt Verdinglichung
Das unmittelbare 'Sein' oder die unmittelbare 'Erfahrung' ist wesentlich in der Mystik. Einige
Züge der mystische Grunderfahrung können sein: das Gefühl des Einssein mit allem; die
Versenkung ins unbekannte Ganze; das Erstaunen; das Erschrecken, die Überwältigung; die
Verzückung, die intensive und unbegründbare Freude (vgl. ebd. S. 28/29/39). Diese
16
Erfahrungsdimension widersteht der 'Verdinglichung' des Seins. C. J. Lewis beschreibt in dem
Satz „Ich bin was ich tue“ die Übereinstimmung von Sein und Handeln oder die 'Unio
Mystica' zwischen Gegenstand und Gegenwart als die grundlegende Erfahrung der Mystik.
„Auch die gewöhnlichen Formen religiöser, pantheistischer oder ästhetischer Erfahrung haben mystische
Elemente in sich. Oft übersteigt das (…) 'religiöse' Gefühl den gegenständlichen Inhalt des Erlebens, und die
verborgenen, nicht rationalen, oft unbewußten Anteile sind expressiver und mächtiger als die kenntlich
gemachten. Das normale Bewusstsein weitet sich (...) so daß Wahrheit im Sinne von Unverborgenheit erscheinen
kann. Die Erfahrung einer Gegenwart des Göttlichen geschieht dann nicht mehr durch Lehre, heilige Schrift oder
Sakrament vermittelt. Die Zeit steht still in der Gegenwart des mystischen Nun“ (ebd. S. 32).
Diese unmittelbare Erfahrung ist jedem zugänglich. Sie ist nicht nur in sogenannten
spirituellen oder kontemplativen Praxen möglich. Es ist eine „allgemeine menschliche
Erfahrung wie die Hingabe an etwas oder jemanden, das nicht 'Ich' ist, in der gerade das Ich
als Gefängnis erscheint, viel zu eng, und klein für die Wirklichkeit des Du“ (ebd. S. 39).
Insofern ist mystische Erfahrung eine, in der die „Abgeschlossenheit des Selbst durchbrochen
wird“ (ebd. S. 41). Indem die Mystik die unmittelbare eigene Erfahrung als die relevanteste
Legitimationsinstanz betont, widersteht sie dem Ordnungskörper des Evidenz-basierten
Wissens und technokratischem Handeln. Sie ruft auf, 'second hand'-Wissen oder -Erfahrung in
Frage zu stellen. So meint Sölle: „Es sind diese unmittelbaren Erfahrungen, die mich
mißtrauisch machen gegen Einteilung derer, die sich mit Mystik beschäftigen“ (ebd. S. 32).
2.4.3. Ekstase statt Ichsucht
Die Erfahrung der Ekstase im Sinne der Selbsttranszendenz ist ein wichtiges Element der
Mystik. Dabei wird nicht die gelebte Immanenz aufgegeben, um einer phantastischen
Transzendenz willen (vgl. Sölle S. 49), sondern die Grenzen des Ichs, das in der Trivialität
oder im Totsein der Welt gefangen ist, werden durchbrochen. „All die [sozialen] Hüllen,
Formen, Rollen, Erfrierungen, die das Ich normalerweise unter Kontrolle haben, fallen weg“
(ebd. S. 44) und man ist auf sich selbst zurück geworfen. C. J. Lewis beschreibt dieses „Bei
sich selber sein als eine Erfahrung des Außer sich Geratens“ (ebd. S. 45). Es kann auch als
eine Erweckung aus der gesellschaftlichen Narkose verstanden werden. Martin Buber
beschreibt die Situation der Verdinglichung als Getriebe der Welt: „Das Getriebe läßt mich die
Dinge haben und die Ideen dazu, nur nicht die Einheit. (…) Name und Subjekt sind des
Getriebes, und mein ist die Hand, die sich ausstreckt – ins Leere“ (Buber, zitiert von Sölle S.
51). Diese Unmittelbarkeit der Erfahrung oder, wie Anthony De'mello es formuliert,
„unencumbered by Baggage“ zu sein, feiert das 'Ich' bzw. das Sein an sich. Die grundlose
Freude an der eigenen nackten Existenz ohne die Zwänge der Welt ist eine mystische
17
Erfahrung. Das ekstatische 'Ich' verleugnet das soziale Ich nicht, sondern tritt bewusst aus ihm
heraus. Paradoxerweise geschieht dies, indem das eigene Verflochtensein in den Verhältnissen
sichtbar wird. Die Ekstase, die die Grenzen des sozialen Ichs und die gesellschaftlichen
Verhältnisse transzendiert, kann als eine Form von Widerstand verstanden werden.
2.4.4. Gemeinschaft statt Isolation
Die Mystik ist nicht eine exklusive Liebesbeziehung zwischen Gott und Mensch, sondern eine
Liebesbeziehung zwischen Gott, Mensch und Welt im Sinne von Gemeinschaft. Die
mystische Erfahrung der Liebe, der Unmittelbarkeit und der Ekstase entfalten sich in der
realen Gemeinschaft. Nach Martin Buber vollzieht sich religiöses Leben im Alltag der Welt,
in dem dialogischen Ich-DU und dem daraus entstehenden 'Wir'-Bezug (vgl. Sölle S. 209-
212 ). „Das dialogische Denken besteht nicht in einer geschichtslosen und gesellschaftsfreien
Zweisamkeit von Ich und DU [Mensch-Gott-Dialog], vielmehr in der Konkretion von
Gemeinsamkeit (…) Philosophisch formuliert er sie als eine Sozialität, die in der Sprache
selbst, im Angesprochenwerden und Antwortgeben wurzelt. Das Subjekt wird nur Subjekt in
der Sozialität“ (ebd.). Bubers berühmter Satz „Im Anfang war die Beziehung“ macht darauf
aufmerksam, dass das „Verhältnis vom Baum zum Wald, von Individualität zu Sozialität, von
Liberté zu Fraternité (...) ein immer wieder neu geträumter mystischer Traum“ ist (ebd. S.
202). Buber sieht eine größere mystische Aufgabe darin, in der Welt zu bleiben und in ihr dem
Drang nach Besitz und Herrschaft zu widerstehen. Das bedeutet auch, den Anderen nicht nur
als das eigene Erlebnis, nur als 'Meinheit' bestehen zu lassen (ebd.). Dabei grenzt er das echte
'Wir' ab vom Kollektivismus des 'Man' und erinnert, dass nur Menschen, die fähig sind,
zueinander wahrhaft 'Du' zu sagen, miteinander wahrhaft 'Wir' sagen können (ebd.).
In der Gemeinschaft entfaltet sich auch eine „Demokratisierung der Mystik“ (Sölle S. 28).
Sölle zitiert den flämischen Mystiker Ruysbroeck, der Gott als „gemein“, d. h. für jeden
verfügbar bezeichnete. So sind Mystiker gewöhnliche Menschen, Schuhmacher,
Kindermädchen, Wollfärber, Hausfrauen oder Physiker. Mystik ist nicht Angelegenheit von
Auserwählten, sondern ist allen zugänglich (vgl. ebd. S. 28/37). Eine wahrhaftig
demokratische Mystik ist im Alltag und in der Gemeinschaft eingebettet, wo sie nicht als
Konsum oder spirituelle Flucht des Individuums oder zum 'spiritual bypassing' (vgl. Welwood
o. S.) der individuellen bzw. gesellschaftlichen Konflikte praktiziert wird.
2.4.5. Weltdistanz statt Weltflucht
Mystische Erfahrungen entfalten sich in der Welt und müssen sich zu ihr verhalten. In ihr wird
die Unterscheidung des spirituellen Innen und soziopolitischen Außen aufgehoben. Mystik ist
18
nicht als Flucht von der Welt zu verstehen, sondern als eine bewusste Distanzierung zu
weltlichen Verhältnissen. Mystik ist Widerstand: das Praktizieren der Verrücktheit des Nein
(mystischer Trotz) aus einer Liebe zum Leben (vgl. Sölle S. 18f). Sie ist nicht „Rückzug aus
der schrecklichen Wirklichkeit, sondern eher als ein Innehalten, um diese Wirklichkeit
anzusehen, in ihrer Schrecklichkeit und in ihrer Schönheit“ zu verstehen (ebd. S. 260).
„Faith is a way of participating in the world, faith is the lived protest against the belief that
life is meaningless“ (vgl. Peter Rollins o. S.). In diesem Sinne ist Mystik Widerstand gegen
Hoffnungslosigkeit, gegen „es bringt nichts“ oder das TINA-Syndrom (there is no
alternative). Mystik als Widerstand bedeutet auch, den „Agenten der Macht in uns
wegzuschicken, der uns von der Aussichtslosigkeit des Unternehmens, der Übermacht der
Institutionen überzeugen will“ (ebd. Sölle S. 289). Die Mystik wirft die Frage nach dem
gelebten Widerstand auf. Sölle kritisiert in diesem Kontext den 'einsamen Analytiker', der
alles schlimm findet, sich in seinen Argumenten abschottet und auftrumpft. Sie spricht von
einer widerstandsunfähigen Trauer unter uns, die für die reiche Welt charakteristisch ist.
Gemeint ist hiermit auch eine Kritik an dem 'schlechten Gewissen' der Privilegierten (vgl.
ebd. S. 257f.). Mystik als Wiederverzauberung der Welt ist Widerstand gegen die
'Entzauberung der Welt'. Die widerständige Mystik ist eine Form der Subversion der Religion,
die als Ordnungsmacht fungiert oder als 'Opium fürs Volk'. In der Mystik fungiert Religion als
ein Akteur des Protests und des sozialpolitischen Wandels. Henning Luther beschreibt eine
solche Religion folgendermaßen:
„Sie kann (…) die der Beruhigung vorausgehende Beunruhigung und Verunsicherung gerade wachhalten und das
normalerweise nicht thematisierte Hintergrundwissen problematisieren und in Klammern setzen („als ob“). (...)
Die Beunruhigung wird hier nicht als abzuwehrendes Unheil wahrgenommen, sondern gerade als heilsam.
Religiöse Sprache bietet hierzu die Artikulationshilfe, das, was selbstverständlich ist, verfremdend von seiner
Differenz her zu denken. (…) Religion, die sich nicht zur Beruhigung instrumentalisieren läßt, vermittelt so die
Gewissheit der Ungewissheit, die Bergung im Ungeborgenen, die Anfreundung mit dem Befremdlichen, die
Beheimatung im Unbehausten“ (Luther 1992, S. 215f.).
Spuren der Mystik lassen sich in unterschiedlichen religiösen Formen finden, vor allem in
dem Typus 'Spiritualities of Life'. Häufig ist zu beobachten, dass sie als Gegenströmungen zu
den 'Religions of Differenz' wirkt, ohne sie ganz von ihnen abzukoppeln. Nicht selten sind
auch demokratische Prinzipien der 'Religions of Humanity' in der Praxis der Mystik
erkennbar. Die Mystik ist eingebettet in den gesellschaftlichen, polit-ökonomischen
Kontexten und nimmt auch Einfluss auf diese und ist so gesehen intersubjektiv. Abgeschnitten
von der Gemeinschaft und als spirituelle 'Gluttony' kann sie aber auch zur Enteignung
moralischer Empörung oder zu Widerstand führen.
19
3. Konkretisierungen in religiösen und sozialen Bewegungen
Die Untersuchung religiöser und sozialer Bewegungen bietet ein interessantes Feld, um die
Verbindungslinien, Überkreuzungen und das Zusammenspiel zwischen Religion und Protest
hinsichtlich gesellschaftlicher Veränderung zu untersuchen. Gleichzeitig wirft dies auch
einige formbezogene Schwierigkeiten auf: Bewegungen, ob sozial oder religiös, sind schwer
als strukturierte Einheiten zu erfassen, da sie als fluide Zusammenschlüsse eher in ihrer
Mobilisierungswirkung sichtbar werden (vgl. Wagner 2009, S. 10). Sie haben ein eher
dialektisches Verhältnis zu sozialem Wandel: einerseits sind sie Ergebnis und Ausdruck
gesellschaftlicher Transformationsprozesse, andererseits können sie solche Prozesse auslösen
und hervorrufen. Sie bewegen und sind gleichzeitig auch beweglich. Fast alle sozialen und
religiösen Bewegungen beinhalten Elemente wie Zusammenschlüsse von Menschen, eine
Identitätsbildung, eine gewisse Kontinuität des Geschehens bzw. Prozesshaftigkeit und einen
Anspruch auf die Gestaltung der Lebensweisen (ebd.).
Als nächstes untersuche ich Sufismus als eine religiöse Bewegung in ihrem Verhältnis zu
Protest und sozialem Wandel. Danach gehe ich auf die amerikanische Bürgerrechtsbewegung
und die gegenwärtige Occupy-Bewegung als soziale Protestbewegungen und ihr Verhältnis zu
Religion und sozialer Veränderung ein.19Da diese Bewegungen von Kontinuitäten sowie
Diskontinuitäten geprägt sind, möchte ich auf ihre Kategorisierung als alte oder neue soziale
bzw. religiöse Bewegung für dieser Arbeit verzichten.
3.1. Der Sufismus
„For we shall be mostly talking in sociological and political terms. Poetry will not have a place in our discourse,
nor will the language of spirituality lead us astray. But who knows? Maybe at a certain moment in the
proceedings the three Qalandars20 will suddenly march in. Beyond all forms of academic orgy, they know the real
story, and they are always good for a surprise“ (Van Ess S. 44).
Wissenschaftliche Untersuchungen zum Sufismus stellen zwar, etwa durch Übersetzungen,
dieses Gedankengut für den Sufi-Fremden zur Verfügung, aber nicht ohne sie durch eigene
Prägungen zu beeinflussen oder gar zu verändern. Van Ems weißt darauf hin, dass, „quite a
number of publications considered to be authoritative reports about mystical movements in
19 Ich stelle nur ein paar Aspekte dieser Bewegungen dar, die meines Erachtens relevant für die Untersuchung vom Verhältnis von Religion und Protest sein könnten. Auch andere Untersuchungsperspektiven sind möglich.
20 Wandernde Derwische, die im Sufismus im Gegensatz zum Anhänger einer Tariqa (Derwischorden mit fest geregelten Grundsätzen) stehen.
20
the begining of our century were closely linked to colonialism and mirrored its anxieties and
prejudices. (…) We are dealing, (...) with a littérature de surveillance or when the writings are
produced by british or american missionaries, an 'Islamic Peril Literature'“ (ebd. S. 39f.). Im
Bewusstsein dieser Gefahren habe ich in der folgenden Darstellung des Sufismus versucht,
sowohl Sufi-Dichtung/Texte (in Hindi, Urdu, englischer Übersetzung) als auch
wissenschaftliche Texte über den Sufismus zu beachten.
3.1.1. Wichtige Elemente der Sufimystik
Sufismus oder 'Tasawwuf', wie die Sufis es nennen, als eine Form der islamischen Mystik
entstand mit Beginn des 2. Jahrhunderts nach Higra (islamische Zeitrechnung), also seit dem
7. bzw. 8. Jahrhundert in Bagdad und Basra. Es war eine Gegenbewegung zu den
Verweltlichungstendenzen der Muslime dieser Zeit, so waren Frömmigkeit, Askese und
Gottesfurcht wichtige Ausdrucksformen dieser Lebensart (vgl. Günes o. S.). Der Name 'Sufi'
stammt von dem arabischen 'Suf' und bedeutet Wolle. Diese deutet auf ihre Herkunft aus dem
Asketentum in Ostpersien hin, wo Sufis das Wollgewand der Askese und der Armut trugen
und ihr Leben in Wanderschaft und Gebet verbrachten (vgl. Sölle S. 55). Einige Zeitgenossen
von Junaid (ca. 910) beschrieben die asketische Lebensform folgendermaßen: „Sufismus
bedeutet, nichts zu besitzen und von nichts besessen zu sein“ (Schimmel S. 32). Andere hoben
den Aspekt der 'Safa' oder Reinheit hervor, was auf die rituellen Waschungen und auf das
Freiwerden von aller Ich-Sucht bezogen werden kann (vgl. Sölle S. 55).
Nach der Frühphase der 'Askese' und 'Gottesfurcht' stand im Sufismus relativ bald die
'Gottesliebe' im Mittelpunkt. „Im Akt der Gottesminne (ishq), dessen Gipfel die Unio mystica
ist, sind Liebender, Geliebter und die Liebe eins“ (Günes o. S.). Mit ihrer überströmenden und
leidenschaftlichen Liebessehnsucht nach Gott haben die Sufis die islamische Orthodoxie
irritiert. Sie haben „gegen den Widerstand der Orthodoxie die Begriffe mahabba, hubb
(Liebe) für die Beziehung zwischen Gott und Mensch gebraucht. In der Orthodoxie wurde
Liebe meistens als 'Liebe zum Gehorsam Gottes' verstanden. Später würde vor allem in der
persisch-türkischen Tradition der Ausdruck 'asq' 'ishq' (starke glühende Liebe) zum zentral
Begriff“ (Günes o. S.). In der für viele mystischen Traditionen typischen Umkehr des
Gehorsams- bzw. Herrschaftsverhältnisses zwischen Gott und Mensch in einem
Liebesverhältnis findet man im Sufismus den Gedanken, dass „Gott ein verborgener Schatz
war, der sich sehnte, erkannt zu werden, (…) daß Gott lieben und geliebt werden wolle“
(Schimmel S. 202).
Ein wichtiger Aspekt des Verständnisses der Liebe im Sufismus ist 'Fana' oder das
'Entwerden'. „Der Mensch entwird seinen Eigenschaften, indem er Gottes Eigenschaften
21
annimmt.“ Fana weist auf „die völlige Aufhebung des Ichbewusstseins (...) der Zustand vor
der Spaltung in Subjekt und Objekt“ (ebd. S. 208). Die Liebe wird als ein Akt des Sterbens
gedeutet, „denn Tod bedeutet die Vernichtung der individuellen Qualitäten, das Aufheben des
Schleiers, der den ur-ewigen Geliebten von dem zeitlich geschaffenen Liebenden trennt“ (ebd.
S. 197). Nimmt die Tradition „Sterbt bevor ihr sterbt“ Bezug auf 'Fana' oder das mystische
Entwerden, so sprechen die Sufis auch von 'Baqa', oder dem Zustand des Bleibens in Gott, das
oft mit prophetischer Aktivität verbunden wird. So wird im Sufismus die Prophetie als eine
Weiterführung der Mystik in der Welt verstanden.
Die Spannungen zwischen der Orthodoxie und den Sufis beruhte auch auf der Relativierung
des 'Ilm' oder Wissens, das im Sufismus als der größte Schleier beschrieben wird, der den
Mensch von Gott trennt (vgl. ebd. S. 204). Die Wissenschaften werden gesehen als
Brillengläser, die selbst nichts sehen können, sondern zwischen Auge und Objekt stehen
(ebd.). Die Sufis dagegen legen Wert auf die 'Ma'rifa': Die unmittelbare Erkenntnis oder
Gnosis, ein Wissen, das man nicht mittels des diskursiven Verstandes erreichen kann (vgl.
ebd. S. 191). „Manche Mystiker hielten es für den ersten Schritt im Sufismus, die Tintenfässer
zu zerbrechen und die Bücher zu zerreißen. (…) Andere Sufis wurden durch Träume dazu
getrieben, ihre kostbaren Büchersammlungen in einen Fluß zu werfen“ (ebd. S. 36). Diese
Vorliebe der Sufis für unmittelbare Erkenntnis im Gegensatz zur legalistischen Gelehrsamkeit
und ein technokratisches Verständnis von Wissen wurde oft durch ihren Spott über die
Rechtsschulen ausgedrückt (ebd.). Attar, eine bekannte Sufi des 9. Jahrhunderts, sagte: „Von
Worten wie 'Ursubstanz' und 'Prima Causa' wirst du nicht den Weg in die Gegenwart Gottes
finden“ (ebd. S. 38). Auch die von griechischem Gedankengut beeinflusste Philosophie diente
als Angriffsziel und der kleine Philosoph war für die Sufis sowohl Ziel des Spottes als auch
Sündenbock. Einen solchen Anti-Intellektualismus betrachteten die Orthodoxen als gefährlich
für das Leben der Gemeinschaft (ebd.).
Dagegen war die Figur des Narren oder des weisen Idioten im Sufismus sehr verbreitet, der
seine Kritik am sozialen und politischen Leben offen aussprach. Der Typus des 'Entrückten',
der unter dem Schock einer mystischen Vision seinen Verstand verloren hat und völlig nackt
herum gelaufen ist, hat bei der Orthodoxie sehr viel Aufsehen erregt. Im Sufismus aber wurde
dem Typus der analphabetischen, ungeschliffenen und manchmal recht 'unverschämten'
Heiligen eine wichtige Stellung eingeräumt (vgl. ebd. S. 39f.). Die Sufis waren beim Volk
auch für ihr charismatisches Verhalten und für Wundertaten beliebt. Andererseits bezeichnete
die Orthodoxie diese als 'satanistisch', weil es die Stellung des Propheten und der Sharia
gefährde (vgl. De Jong/Radtke, 1999 S. 4).
Auch die Praxis der 'Sama', das tiefes Hinhören der Sufi-Texte, die oft als Dichtung verfasst
22
waren und mit Musik oder Bewegung begleitet wurden, erregte bei der Orthodoxie heftige
Kritik. Samakhanas (Gebetssäle), wo Sufis durch Poesie, Musik und Tanz ekstatische
Zustände erreichten, wurden in Bagdad schon in der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts
gegründet und die Orthodoxie war empört über die Dinge, die dort geschahen (vgl. Schimmel
S. 258). Die Orthodoxen setzten diese Praxis mit sinnlicher Begierde und Frivolität gleich. So
wurden die tanzende Derwische auch später (z. B. durch Atatürk) verboten. Viele Sufis sahen
'Sama' als eine emotionale Form des Gottesdienstes, was ihnen das Ritualgebet nicht geben
konnte (vgl. ebd. S. 256).
Die Sprache der Sufimystik zeichnet sich im Gegensatz zu dem moralischen Skriptualismus
eher durch Poesie, Metaphern, Witz und Paradox aus. Manche Bemerkungen dürften von den
Sufi-Meistern als eine Art Ko'an, ein Paradox, geäußert worden sein, um den Hörer zu
schockieren, um eine Diskussion zu entfachen oder um das logische Denken zu verwirren
(autodeconstruction). So sollte beim Hörer ein nicht-logisches Verständnis des betreffenden
Wortes oder ein mystischer Zustand hervorgerufen werden. Die Sufis spielen mit Sprache und
genießen ihre unendlichen Möglichkeiten, sie lieben Reime oder stark rhythmisch betonte
Formen, in denen das magische Spiel von Laut und Sinn sich entfaltet. So wird oft der Sinn
eines Wortes eher verzerrt als erläutert (vgl. ebd. S. 28-30).
Unter den Sufis gab es auch selbstkritische Stimmen. Schimmel erwähnt Shibli, einen
Mystiker, der Asketen angriff, die ihre Augen vor der geschaffenen Welt verschlossen und
sich ausschließlich auf Gott konzentrierten. So fragte er, „wenn Gott doch die einzige Realität
ist, wie kann man da an 'Andersheit' denken und versuchen sie zu vermeiden?“ (ebd. S. 33f.).
Der persische Mystiker Mu'ahd warnte: „Vermeide die Gesellschaft von drei Gruppen von
Menschen – nachlässigen Gelehrten, heuchlerischen Koranlesern und dummen angeblichen
Sufis“ (ebd. S. 41). Hiermit meinte er Sufis, die nur auf die äußere Form achteten. Im 11.
Jahrhundert wurde oft geklagt: „Heute ist Sufismus ein Name ohne Realität, während er
früher eine Realität ohne Namen war (…) blinde Nachahmung hat den geistigen
Enthusiasmus ersetzt“ (ebd. S. 41).
3.1.2. Al Hallaj (858-922) und sein Ausspruch „Ana'l Haqq“ (Ich bin Gott)
Eine sehr bekannte Sufi-Figur, die mit der Orthodoxie in Konflikt geraten ist, war Hussain
Mansur Al Hallaj. Der Sohn eines Baumwollhechlers wurde als Pantheist, heimlicher Christ,
Erzketzer, orthodoxer Theologe und als Ideal verzückter Sufis beschrieben. Man warf ihm
Blasphemie vor und richtete ihn hin. Er gilt als der Märtyrer des Islam (vgl. Schimmel
S.101f.). Folgende Erzählung findet man in unterschiedlichen Überlieferungen: Als er von
Mekka zurückkehrte, klopfte er an die Tür seines Lehrers Junaid. Als der Meister fragte: ,Wer
23
ist dort?, antwortete er in einem Zustand der Ekstase: „Ana'l Haqq“, was in der Übersetzung
soviel heißt wie: 'Ich bin die absolute oder schöpferische Wahrheit' oder 'die wahrer Realität'
oder 'Ich bin Gott' (vgl. ebd. S. 103). Dieser Satz erscheint in seinem Buch 'Kitab at-tawasin',
das er wahrscheinlich während seiner Gefangenschaft niederschrieb. Der wirkliche Kontext
des Ana'l Haqq ist unbekannt. Jedenfalls wurde er von seinem Lehrer beschuldigt, falsche
religiöse Ansichten zu verbreiten und stieß auch bei anderen Bagdader Mystikern auf
Ablehnung. Schließlich verließ er die Stadt und ging auf Wanderung, u. a. nach Indien.
Parallelen zwischen seinem Ana'l Haqq und dem 'Aham Brahmasmi' (Ich bin Gott) der Veden
sind mehrfach erwähnt worden. Er behauptete, wahre Vereinigung mit seinem göttlichen
Geliebten erreicht zu haben – eine Vorstellung, die die Anhänger der platonischen Liebe nicht
akzeptieren konnten. Aber es waren nicht nur subtile Fragen mystischer Liebe, sondern auch
politische Fragen im Spiel.
„Er war unwissend, frech, unterwürfig, doch mutig in der Gegenwart von Königen; er
versuchte große Dinge und wollte dringend einen Regierungswechsel“ (Ibn-an-Nadim, zitiert
von Schimmel S. 102). Manche Quellen besagen, dass seine Worte auf kostbarem Papier
niedergeschrieben wurden. Das machte ihn in den Augen der Bagdader Regierung verdächtig.
Und noch verdächtiger war die Tatsache, dass er möglicherweise mit den gefährlichsten
Gegnern der Regierung, den schiitischen Karmaten Kontakt hatte (vgl. ebd. S. 104).
„Hallaj war ein Freund des Kämmerers Nasr-al-Qushuri, der für eine bessere Verwaltung und eine gerechtere
Besteuerung eintrat. Das waren gefährliche Ideen in einer Zeit da der Kalif fast machtlos war und die jeweils fast
allmächtigen Wezire ständig wechselten. (...) Denn alle fürchteten, daß die Wirkung einer religiösen
Wiederbelebung der Massen Auswirkungen auf die soziale Organisation, ja auf die politische Struktur des
Reiches haben könnte. Der Gedanke, die Herzen aller Muslime zu bekehren und sie das Geheimnis persönlicher
Heiligung anstelle blinder Nachahmung zu lehren wäre gefährlich für eine Gesellschaft gewesen, deren religiöse
und politische Führer weder die Kraft noch die Absicht hatten, die muslimische Gemeinde wirklich zu beleben“
(Schimmel S. 105 ).
Sein Benehmen reizte sowohl politische als auch religiöse Kreise zur Opposition. Sowohl die
Schiiten als auch die orthodoxen Sunniten hielten ihn für gefährlich. Er vertrat die Lehre, dass
„gewisse religiöse Pflichten durch andere, im Moment nützlichere Akte ersetzt werden
können. Statt die Pilgerfahrt zu vollziehen, könnte man zum Beispiel Waisenkinder einladen,
sie speisen, neu einkleiden und am Tage des großen Pilgerfestes erfreuen. Solche Gedanken
waren natürlich für die Legalisten unannehmbar“ (ebd. S. 111). Hallaj war überzeugt, dass
alle Meinungen über Gott ihn verfehlten. Deswegen warnte er vor dem Bekenntnis der Einheit
Gottes, das zu den grundlegenden religiösen Pflichten jedes Islam-Gläubigen zählt. So meinte
er: „Lass dich nicht von Gott täuschen und verzweifle nicht an Ihm; begehre seine Liebe nicht
und gib dich nicht damit zufrieden, Ihn nicht zu lieben; spricht nicht über Ihn, um Ihn zu
24
bestätigen, und neige dich nicht seiner Leugnung zu. Und hüte dich vor dem Bekenntnis
Seiner Einheit!“ (ebd.). Diese Überzeugung machte ihn zum Ketzer. Ende des Jahres 912
wurde er verhaftet und 922 hingerichtet. Er wurde verstümmelt, gekreuzigt oder gehängt und
dann enthauptet; seinen Körper verbrannte man und seine Asche warf man in den Tigris. Es
wird überliefert, wie er in seinen Fesseln tanzte und in seinem letzten Gebet das Geheimnis
der unaussprechlichen Einheit und Trennung von Mensch und Gott berührte (ebd. S. 106).
„Das Geheimnis, das im Herz ist,
Keine Predigt wird es sein –
Auf dem Galgen kannst du 's sagen.
Aber auf der Kanzel – nein!“ (ebd. S. 117)
So machte er seinen Tod zum politischen Akt von göttlicher Qualität. So sehr er von den
Orthodoxen und politische Kreisen gehasst wurde, so sehr wurde er von den Dichtern und den
nachfolgenden Sufi-Generationen geliebt und gefeiert. Seine Poesie und sein Leben, das die
Liebe als Kern des göttlichen Wesens und das Mysterium der Schöpfung feierte, machte ihn
in der ganzen islamischen Welt bekannt (vgl. ebd. S. 112).
3.1.3. Sufismus in verschiedenen Politlandschaften
In der Moderne waren die Sufis häufig in einem dialektischen Prozess der Integration und
Opposition in der jeweiligen sozio-politischen Umgebung. Es waren hauptsächlich drei
oppositionelle Kräfte, die gegen den Sufismus agierten:
„(...) the salafiyya for whom mysticism went against their puritanism and scriptualism, political reformers for
whom it went against their secularism and nationalism, and the Europeans for whom it went against their
imperialism and colonialism“ (Van Ess, 1999 S. 39).
Unter dem Einfluß der Aufklärung legitimierten viele Kolonialmächte Prozesse der
Säkularisierung, um das vermeintlich rationale Christentum zu verbreiten. Dabei wurde den
Religionen mehr Plausibilität zugeschrieben, die sich von magischen und ekstatischen Praxen
distanzierten (vgl. Howell/van Bruinessen S. 4f.). Im Folgenden möchte ich einige Beispiele
für die unterschiedlichen Positionierungen der Sufis in den verschiedenen politischen
Kontexten diverser Ländern skizzieren.
In Algerien koalierten die ottomanischen Herrscher mit den Juristen und der Orthodoxie
gegen die 'maraboutic tribes', die starken, lokalen Sufi-Gemeinschaften. Ab Mitte der 17.
Jahrhunderts wurden sie stärker bekämpft. Im Kontext wachsender ökonomischer wurden die
Sufis in der zweiten Hälfte der 18. Jahrhunderts massiv unterdrückt. Die konservative
Quasimi- und Wahabiorthodoxie verfolgte Sufi-Orden, vernichtete ihre Grabstätten, nahm
Sheikhs gefangen und verbrannte ihre Schriften (vgl. De Jong/Radtke S. 5f).
25
Im Gegensatz dazu haben die Sufis im Jemen die ottomanischen Invasoren willkommen
geheißen und gemeinsam mit ihnen die 'Qasimi Imamate' bekämpft (ebd.). Nach der
Niederwerfung des Mahdireiches 1898 begrüßten viele Sufis im Sudan die anglo-ägyptischen
Invasoren, die es ihnen ermöglichten, ihre religiösen Praxen wieder auszuüben (vgl. ebd. S.
8f.). Im Senegal dagegen wurde die salafistische Organisation der Cheik Touré an der
Kolonialregierung beteiligt, um die Macht der eher säkularen Sufi 'Marabaouts' zu relativieren
(vgl. ebd. S. 10).
Im Indien der Mogul-Ära wurde der Sufismus unterdrückt, da sich die Königsmacht durch die
spirituelle Autorität der Mystiker gefährdet sah. Manchmal wurden aber auch Allianzen mit
den Sufis eingegangen. So ging König Akhbar im 16. Jahrhundert eine Verbindung mit der
'Chistiya'-Sufi-Bruderschaft ein, um seine Macht zu konsolidieren (vgl. ebd S. 11).
In Südafrika waren die Sufis im Kampf gegen die Apartheid aktiv. Dagegen wurden ihren
Gegnern, der südafrikanische Ulama und der Tabligh-Bewegung, mit einer (streng
orthodoxen) Wahabi-Orientierung vorgeworfen, die rassistische Politik der Regierung zu
unterstützen (vgl. ebd. S. 13).
In Ägypten wurden die Sufis in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts durch die Muslim-
Bruderschaften unterdrückt. Als diese 1955 durch die neue sozialistische Regierung verboten
wurden, sind viele Sufi-Gemeinschaften wieder aktiv geworden (vgl. ebd. S. 18).
3.1.4. Sufismus in postmodernen Topoi
Bei der postmodernen Entwicklung des Sufismus wird ein breites Spektrum diverser Praxen,
Organisationsformen und theoretischer Bezugspunkte sichtbar:
„there is a diverse range of sufi cults that combine universalistic orientation with particularistic orientation to a
specific site or holy person . (…) A coexistence of local and global communities in the same organisations to
create their own 'sacred' topographies and flows of goods and people“ (Werbner 2007 S. 199).
Dabei überkreuzen sich „popular rural religiosity, sober urban-based scripturalism and new
age spiritualism in the Sufimileu“. Allen Religiositäten ist aber eine „heightened awareness of
the Divine“ gemeinsam (Howell/van Bruinessen S. 6). Außerdem sind auch „the relationship
between a guide and a seeker, bonds of solidarity among fellow seekers or the community“
wichtige gemeinsame Elemente (ebd. S. 17). Die Tendenz der Pluralität und Koexistenz
verläuft nicht ohne Widersprüche und Konflikte. So wird in Bezug auf die Meister-Schüler-
Beziehung berichtet, dass sie nicht in einer linearen Entwicklung von 'directing sheikh to the
mediating sheikh' eingeordnet werden kann (vgl. Werbner S. 198). Van Ess macht darauf
aufmerksam, dass
26
„the sufis themselves looked at things in a different way. Where we see power structures, they talked about
rabita, the close connection between the disciple and his shaykh, the urge to become identical with him; (…)
where we see only political influence and the will to dominate, they talked about tasarruf, the ability of the
shaykh to dispose over other people, and what they meant by this was frequently the magical side of his
personality, his power to bewitch his enemies“ (Van Ess S. 40f.).
Trotzdem taucht auch, meistens von Intellektuellen, Kritik am 'Pirism' auf: eine übertriebene
Verehrung des geistigen Führers bzw. seine absolute Herrschaft über Gefolgsleute (vgl. Sölle).
Auch in postmodernen Kontexten bleibt der spirituelle Mentor oder 'Guide' eine wichtige
Figur. „The spiritual Director or Shaykh, Murshid or Pir is credited with great piety and an
especially powerful sense of God's presence. (…) His own Tutelage under his master in a line
of spiritual teaching (Silsila) justify his role as a guide“ (Howell/van Bruinessen S. 6).
Die Kräfte der Globalisierung haben die Gestaltung von Sufi-Gemeinschaften beeinflusst.
Moderne Kommunikationsmitteln und die Entstehung von verschiedenen Diasporas haben die
transnationale Verbundenheit zwischen communities gefördert (vgl. Voll S. 289ff.). Die Idee
der globalen Familie gewinnt konkrete Züge, wenn Menschen mit einer ähnlichen spirituellen
Gesinnung über politische und nationale Grenzen hinweg sich zusammenfinden. Es entstehen
'glokale' communities: „Even for those whose participation remains local, membership of a
transnational spiritual organisation, with more or less common perspectives and practices
across space, creates a sense of global belonging or family“ (Genn, 2007 S. 275).
Die Innovationen der sozialen Formen verbinden sowohl defensive Tendenzen, die
'Particularism' verteidigen, als auch liberale und inclusive Neigungen. Werbner spricht hier
von „elective forms of modern association“. Beispiele hierfür sind: „Pilgrimage and regional
cults are social formations going beyond territorial community fostering relations of amity or
communitas among community of strangers“ (Werbner S. 196). Diese neuen und elektiven
Formen der 'Social Intimacy' trotzen manchmal sowohl säkularen als auch traditionellen
Denkweisen. So wird z.B in westlichen Kontexten die unterlegene Rolle der Frau in den
communities verändert, aber die Mentor-Schüler-Beziehungsstruktur beibehalten. Werbner
berichtet von einer Sufi-Gemeinschaft in England, die von einer Frau als spiritueller
Mentorin21 geleitet wird. Dort verabreden sich Mitglieder aus verschiedenen Generationen
und kulturellen Hintergründen zum Beten, Meditieren und zusammen Kochen. „There was a
good deal of gossip and joking during meetings. (…) The group was as much a social club as
a religious association“ (Werbner S. 201). Howell und Van Bruissen berichten von einem
neuen Sufi-Heiligen in Mali, der ziemlich heterodoxe Ansichten vertritt, „embracing a
syncretism that combines Islam, Christianity and african religious elements and appears to be
inspired by a pan-african nationalism“ (Howell/van Bruinessen S. 14). Weiterhin machen sie
21 Baji Saeda, in: Werbner S. 200ff.
27
aufmerksam auf Indonesien, wo „urbanites have formed new kinds of sufi networks linking
not only established sufi orders but also spiritual service providers (mosque based adult
education, alternative health groups, spiritual psychology groups) drawing on the global
spiritual networks“ (ebd. S. 16).
Allerdings sind diese neuen sozialen Formen nicht ganz immun gegenüber sozio-politischen
Konflikten. Immer wieder treten auch hier Spannungen zwischen orthodoxen und
heterodoxen Kräften auf. So wird auch von 'Neosufismus' gesprochen, bei dem manche
Gemeinschaften eine militante Ausrichtung haben, sich am Propheten und der Sharia
orientieren (vgl. ebd. S.10). Diese communities dienen manchmal als Plattform für die
Mobilisierung politischen Widerstands: „In Chechnya, for example the sufi orders have been
identified both with opposition to the Kremlin and as vehicles for pro-russian
rapproachment“. Howell und van Bruinessen machen auf die Widersprüche aufmerksam:
„The militancy of Sufi Orders in late colonial and contemporary contexts contrasts sharply
with their image of 'peaceloving, tolerant, and inclusivist' attitudes" (ebd.).
3.1.5. International Sufi Movement
Als Beispiel einer postmodernen Sufi-Bewegung möchte ich kurz das von Hazrat Inayat Khan
(1882-1927) gegründete International Sufi Movement skizzieren. Der aus Indien stammende
Inayat Khan spielte eine wichtige Rolle beim Export des Sufismus in den Westen zwischen
1910 und 1925. Er berief sich auf die Chistiya-Tradition, die aus Afghanistan im 12.
Jahrhundert nach Indien wanderte. In Indien entwickelte sich diese besondere Sufi-Tradition
in Zusammenhang mit anderen hinduistischen 'Bhakti'-Philosophien,22die zum Teil
pluralistische, aber auch universalistische Tendenzen hatten. Einerseits verkörperte Inayat
Khan traditionelle Attribute, andererseits wurde er auch im kolonialen Indien von westlichem
Gedankengut beeinflusst.
So schrieb er schon 1914, dass „women will lead humanity on to a higher evolution“ (Genn S.
262). Inayat Khan legte Wert auf die Entkopplung der Mystik von Dogmen und betrachtete
das Leben und die Menschen an sich als göttlich. Dieser persönliche Hintergrund des
Gründers findet sich in der liberale Philosophie sowie in der Praxis der Bewegung wieder. Er
legte viel Wert auf Praxen wie 'Sama' – das Hinhören von Dichtung mit Musik und Tanz –
und 'Universal Worship Service' – ein Gebetsritual, bei dem Texte aus verschiedenen
Konfessionen gelesen wurden (vgl. Genn S. 262). Diese Bewegung weist widersprüchliche
Entwicklungen auf. Einerseits gibt es die Überarbeitung traditioneller Glaubenselemente und
22 The term bhakti is defined as “devotion” or passionate love for the Divine. Moksha or liberation from rebirthfor the followers of the Bhakti tradition in Hinduism was not in the following of rules, regulations or societal ordering, it was through simple devotion to the Divine.
28
Organisationsstrukturen, um in neuen lokalen Kontexten anschlussfähiger zu sein.
Andererseits werden bestimmte Traditionen (z.B. die Mentor-Schüler.Beziehung), die
überholt erscheinen, weiter beibehalten (vgl. ebd. S. 260). Diese Entwicklungen sind sowohl
von pragmatischen als auch von idealistischen Motivationen geprägt. So bemerkt Genn: „The
combination in this Sufi order of a modern formal transnational voluntary organisation with a
charismatic monarchial model of spiritual authority creates a dualism of principle that has
never been entirely resolved“ (ebd. S. 267). Außerdem werden diese Widersprüche im
Kontext postmoderner Fragmentation interessant. „The model of the wise spiritual teacher
and loving guide retains great appeal (…) In that the relationship offers a contrast to the
emphasis in modern society on individualism and external achievement, and to the
fragmentation and transitoriness of many relationships, which may also be partly a response
to contemporary social conditions“ (ebd. S. 273). Besonders in westlichen Kontexten werden
die kulturellen Spannungen zwischen spiritueller Hierarchie und Anleitung durch moderne
Kommunikationsmittel schneller sichtbar. Um ihre Aufspaltung zu vermeiden, versucht diese
Bewegung die Balance zwischen der eigenen Werte-Integrität und der Orientierung an den
Marktbedingungen zu bewahren (vgl. ebd. S. 264).
3.1.6. Zusammenfassung
Die obengenannten Aspekte des Sufismus können im Hinblick auf die zuvor gestellten
theoretischen Kategorien folgendermaßen interpretiert bzw. zusammengefasst werden:
Die Enteignung von moralischer Empörung bei den Asketen als eine Internalisierung von
gesellschaftlichen Konflikten kann meines Erachtens nicht direkt auf die Askese-Praxis des
vor-modernen Sufismus übertragen werden, weil die Sufis sich bewusst als eine
Gegenbewegung zu materialistischem Denken und Lebensweisen verstanden haben und somit
eher dieses Paradigma in Frage stellten. Sie gingen Konflikte ein mit der Orthodoxie, aber
auch mit den politischen Mächten und verstörten und irritierten deren legalistischen Anspruch
auf Gehorsam. Leiden und Tod können im Sufismus nicht als Zeichen der Kapitulation vor
ungerechten Verhältnissen verstanden werden, sondern eher mit dem 'mystischen Trotz' (vgl.
Sölle) oder dem 'Stählen des Sinns' (vgl. Moore), wie das Beispiel von Al Hallaj zeigt. Sein
Spruch 'Ana'l Haqq' (Ich bin Gott bzw. die schöpferische Wahrheit) kann als ein Höhepunkt
moralischer Autonomie interpretiert werden. Die Wahrheit bzw. die Wahrhaftigkeit ist hier
nicht auf Eindeutigkeit beschränkt, sondern mit den schöpferischen bzw. kreativen
Möglichkeiten des 'Seins' freigegeben. Sie entsteht nicht aus einer moralischen Überhöhung
gegenüber anderen, sondern aus der Realisierung der eigenen Göttlichkeit, wenn das in den
gesellschaftlichen Verhältnissen verstrickte 'Ich' durch Fana ('Entwerden') aufgegeben wird.
29
Die Sufis zeigten moralische Erfindungsgabe, indem sie das Verhältnis zu Gott, die
Bedeutung von Liebe oder Erkenntnis neu definierten. Sie hatten moralischen Mut und
Autonomie, um dieses Liebesverhältnis durch ekstatische Erfahrungen und Ausdrucksformen
auszuleben und zu legitimieren. In seinen Grundlegungen kann Sufismus als eine
widerstandsfähige Mystik verstanden werden, die sich bewusst in Distanz zu den weltlichen
Verhältnissen positioniert und sie in Frage stellt.
Die Untersuchung über die Einbettung des Sufismus in moderne politische Kontexte gibt
Hinweise darauf, dass Sufismus sich häufig als Opposition zu den puritanischen und
orthodoxen Machtinstanzen positioniert hat. Allgemein kann gesagt werden, dass die
Entwicklung des Sufismus in politischen Kontexten nicht außerhalb von Machtinteressen des
Staates stattgefunden hat und die Sufis sich situativ ihren eigenen Interessen entsprechend
positioniert haben.
Im Hinblick auf die ökonomische Kontextualisierung kann Sufismus selten als 'Prosperity
Religion' gesehen werden, da es in seinen Grundsätzen die Akkumulation von Besitztümern
ablehnt. Allerdings ist es sehr wohl bedeutend in der Generierung von moralischem oder
spirituellem Kapital (Sinn des Lebens) sowie von sozialem Kapital (Generierung von sozialer
Intimität) (vgl. Berger, Ammermann, Greeley). Als spiritual service providers (z. B. in
Indonesien) können manche postmodernen Sufi-Gemeinschaften auch als Ausdruck des 'soft
capitalism' (vgl. Nigel Thrift) verstanden werden.
Die postmoderne Entwicklung des Sufismus ist geprägt von Diversität, Widersprüchen und
Koexistenz unterschiedlicher Entwicklungen. Als eine postmoderne soziale Form der Religion
ist Sufismus eher bei den 'Spiritualities of Life' zu verorten (vgl. Woodhead/Heelas).
Aufgrund der Globalisierung und der damit verbundenen Deterritorialisierung und
Dekulturalisierung sind sowohl partikulare (z. B. Pilgerkulte) als auch universale Elemente (z.
B. der Universal Worship Service) in den Netzwerken sichtbar. Die Sufis sind global vernetzt,
aber bilden auch sehr starke lokale communities. Diese communities haben moderne
Organisationsformen, verzichten aber nicht unbedingt auf traditionelle Elemente.
3.2. Die Bürgerrechtsbewegung
Douglas Rossinow untersucht in seinem Buch 'The Politics of Authenticity' die Entstehung,
Entwicklung und Verwandlung der neuen Linken (The new Left) in den USA im Kontext der
Bürgerrechtsbewegung. Diese Studie liefert interessante Hinweise über die Verbindungslinien
zwischen Religion und Protest, indem sie der Rolle der christlichen Existentialisten in der
30
Bürgerrechtsbewegung nachgeht. Ein paar wichtige Aspekte dieser Verbindungslinien möchte
ich im Folgenden darstellen.
3.2.1. Die alte und die neue Linke
Die neue Linke, die im Kontext der amerikanische Bürgerrechtsbewegung entstand, war ein
'melting pot' nicht nur von schwarzen und weißen Akteuren oder von Betroffenen und Nicht-
betroffenen im Hinblick auf Rassismus und Segregation.
„The new left cooperated with the christian liberals on the one hand and the 'hippies' of the counterculture with
their exploration of non western spirituality. Similarly they insisted on the irrelevance of communism and
anticommunism. They had ties to the old left (although they wanted to distance themselves from it) and to the
young people from the provinces“ (Rossinow,1998 S. 12).
Gegen Mitte der 50er sind die Klassen-Kategorien der alten Linke schwächer geworden und
es entstand die neue Linke, deren Wirkraum 'the universities and not the factories' waren (vgl.
ebd. S. 2). Unter den Akteuren der neuen Linken waren viele junge, weiße Studenten, die
selten materielle Armut gekannt hatten. Sie kritisierten die privilegierte Gesellschaft, aus der
sie stammten, für deren 'geistige Armut', die sie als eine Art Entfremdung von sich selbst
(Alienation) verstanden haben. Als ein politisches Pendant zu dieser eher psychologischen
Idee der 'Alienation' waren für sie nicht die 'Armen' wichtig, sondern die 'politically
alienated', also Menschen, die durch das politische System ausgeschlossen bzw. entfremdet
waren (ebd.). So waren die Schwarzen als Betroffene wichtiger geworden als die
Arbeiterklasse, „which had been bought off, given a seat at the table“ (ebd. S. 2). Der
politische Widerstand der Schwarzen in segregierten Universitäten und Hochschulen des
Südens war für die weißen Studenten eine Art spiritueller Auslöser. Die Affinität der Akteure
der neuen Linken zu den Schwarzen hat noch einen weiteren Hintergrund: „The young whites
grew up influenced by the subversive, transgressive romanticization of Black Americans in
mid-twentieth-century popular culture. The appeal of Jazz and Rhythm-and-blues,
jitterbugging, baseball and boxing encouraged among some whites the old idea that the
african american culture was a repository of authenticity“ (ebd. S. 15). Obwohl sie gegen
Rassismus kämpften, waren sie nicht ganz frei von rassistischem Denken im Sinne eines
positiven Rassismus.
3.2.2. Alienation and Authenticity: Das Vokabular der Existentialisten
Im Hinblick auf die Mobilisierung von Widerstand verkörperte die Idee der Alienation oder
Entfremdung einen 'Shift' von reinen materialistischen Betrachtungsweisen. Nicht nur
Menschen, die materiell betroffen waren, leisteten Widerstand, sondern Widerstand konnte
auch aufgrund eines geistigen bzw. psychologischen Entfremdungsgefühls entstehen. Da die
31
privilegierten weißen Akademiker der neuen Linken weder vom sozialen noch vom
konventionellen politischen System ausgeschlossen waren, ging es um einer Art Entfremdung
von sich selbst und von Gott, wie der Theologe Paul Tillich es formulierte. Arthur Schlesinger
stellte diese Entfremdung allgemein in den Kontext der Devitalisierung der Religion – zu der
es im Rahmen der Industrialisierung und der darauffolgenden Säkularisierungsprozesse
gekommen war – und genauer in den Kontext des Kalten Krieges (vgl. Rossinow S. 3). Seiner
Meinung nach lebten die Amerikaner im Kontext des Kalten Kriegs in einem 'Age of
Anxiety', in dem politische Konflikte kalt gelegt wurden. „Broad affulence, mass
consumption, the bureaucratization of many areas of social life, and increased disengagement
from formal political participation“ führte zu einem Gefühl der „weightlessness or numbness“
(ebd. S. 5). Diese Oberflächlichkeit führte zur Entfremdung. Kam die Entfremdung durch
gesellschaftliche Entwicklungsprozesse zu Stande, so sahen die Akteure der neuen Linken in
der radikalen Veränderung ungerechter gesellschaftlicher Bedingungen die größte
Möglichkeit, sich von ihrer Entfremdung zu befreien.
Das Wiederfinden des Göttlichen in sich 'as the very ground of being' (Paul Tillich) konnte
durch den Einsatz für die schwarzen Marginalisierten, zur 'inner wholeness' oder 'authenticity'
führen. So verbanden sich in der Bürgerrechtsbewegung die Suche nach persönlicher
Authentizität mit sozialem und politischem Einsatz (vgl. ebd. S. 4f.). Die SNCC (Student
Nonviolent Coordinating Committee) und die SDS (Students for a democratic Society)23
waren führende Organisationen, die Authenzität mit Aktivismus zusammenbrachten. Sie
haben Parallelen zwischen Entfremdung und 'the estrangement of the nation into racial parts
separating blacks and whites' gefunden und setzten sich für 'racial egalitarianism' ein (vgl.
ebd. S. 6f.). So wurde christlicher Existentialismus eine wichtige Ressource und
Mobilisierungskraft für die Bürgerrechtsbewegung.
3.2.3. Paul Tillich und 'The new Being'
Paul Tillich und Dietrich Bonhoeffer waren wichtige Impulsgeber für die theologische
Kontextualisierung der Proteste der Studenten, die versuchten ihre spirituellen und politischen
Hoffnungen für Veränderungen zusammenzubringen.
Tillich brachte in seinen Ansichten Elemente der Psychologie und Theologie zusammen. In
seiner Vision war die Trennung zwischen dem Transzendenten und dem Immanenten
aufgehoben. Gott war für ihn der 'ground of Being', Religion sah er als die 'depth dimension
to all things in this world'. Sich dem 'Sein' hinzugeben bezeichnete er als einen religiöse Akt
(vgl. Ronssinow S. 64). Martin Luther King Jr. berief sich auf Tillich, als er sagte, dass die
23 Vgl. Howard Zinn, in: The Zinn Reader, 2009.
32
Bewältigung der existentiellen Entfremdung eine „ union-in-love with the ground of our
Being“24 sein wird (ebd. S. 67). Tillich sprach von einer mutigen und mitfühlenden Liebe, die
nicht nur zur spirituellen Integrität führt, sondern die Basis für die Kritik der bestehenden
Verhältnisse ist. So schrieb er: “the social consequence of love as a guide to action is justice“
(ebd.). Tillich verwies auf die 'human boundry situation' (Krisensituationen), in der der
Mensch vulnerabel ist und mit dem eigenen 'Sein' (das 'göttlich' ist) konfrontiert wird. Also
müsste der Mensch sich bewusst solchen Situationen aussetzen (z. B. den soziopolitischen
Gegebenheiten widersprechen), um sich selbst zu spüren und als 'ganz' zu erfahren.
The new Being: „To Tillich the achievement of an integrated and forceful 'personality' would
flow from our reunion with God and would go hand in hand with the achievement of
community“ (Rossinow S. 66). Nach Tillich war der moderne Mensch im Zuge der
Entzauberung der Welt in seiner Autonomie unsicher und leer geworden. Um dieser 'anxiety'
und Taubheit zu entkommen sollte der 'neue' Mensch sich bewusst den Chancen und der Last
seiner Autonomie stellen und so seine Existenz spüren, seinem Leben Bedeutung geben (vgl.
ebd. S. 64). Dies bedeutet auch, die redundant gewordene sozialen Normen, Rollen und Werte
in Frage zu stellen. In der Bürgerrechtsbewegung berief sich A. L. Kernshaw, eine wichtige
studentische Führungspersönlichkeit, auf Tillich und forderte die Studenten auf, ihre
'intellektual drowsiness' aufzugeben und 'the new being' mit einem Herz für radikale soziale
Veränderungen zu verkörpern (vgl. Rossinow S. 94). So versuchten die Studenten der neuen
Linken durch eine dissidente und radikale Demokratie, das Spirituelle, Philosophische und
Ästhetische in ihrem Leben wieder einzuführen und wahrhaftig zu sein.
3.2.4. Dietrich Bonhoeffer und die 'community of resistance'
Wo Tillich einen eher psychologischen Ansatz vertrat, stand Bonhoeffer für eine deutlich
politischere Kontextualisierung der Theologie. Seine dissidente Haltung gegen die
Nazifizierung der Kirche in Deutschland beruhte auf einer 'religionless Christianity' (vgl.
Rossinow S. 54) die archaisch und zugleich modern war. Im Unterschied zu Tillich und
anderen Existentialisten feierte er das 'coming of Age' des modernen Menschen, der autonom
war und keine göttliche Legitimation brauchte. Für ihn war die 'Entzauberung' der Welt kein
Grund zur Angst, sondern gerade darin sah er die Freiheit des Menschen, sich für Gott zu
entscheiden. Er plädierte für einen radikalen Durchbruch zu Gott, der die menschliche
Autonomie nicht verneint (vgl. ebd. S. 63). In einer sehr radikalen, direkten und
unpretenziösen Art sprach er von einem 'spiritual rebirth', in dem der Mensch sich selbst die
24 Vgl. Unio Mystica oder Ishq im Sufismus.
33
kosmische Erlaubnis zu leben gibt (vgl. ebd. S. 71). Dieses Autonomie hatte auch politische
Konsequenzen. Er meinte, dass es nicht genug war, nur Mitleid mit Opfern von
Ungerechtigkeit zu haben oder Zeugen ungerechter Situationen zu sein. Der autonome
S. 73). Im Hinblick auf Widerstand war ihm der Gemeinschaftsgedanke wichtig. Bonhoeffer
visualisierte Beichte als die Möglichkeit, wo Menschen in ihrer Fehlerhaftigkeit
(Entfremdung als Sünde) zu einander finden und eine Gemeinschaft werden. Er sprach von
einer „conspiratorial community of resistance“, die in der Lage war, das eigene Verstricktsein
in den Verhältnissen zu erkennen (ebd. S. 69).
Beloved Community: Die Suche nach Gemeinschaft war eines der zentralen Motive der
'politics of authenticity' der neuen Linken. Die 'Beloved Community' war nicht nur einer der
bedeutendsten Slogans der Bürgerrechtsbewegung, sondern wurde als die aktive Umsetzung
von Solidarität gelebt. Für die Akteure der neuen Linken war die Bewältigung der
Entfremdung mit der Entdeckung einer gemeinsamen menschlichen Identität und das
Zusammenfinden in einer 'community of resistance' oder Beloved Community möglich, die
gemeinsame Ziele durch kollektive Handlungen umsetzte (vgl. Rossinow S. 7). Für sie war
die Gemeinschaft eine 'creative mode of corporate existence', um soziale Formen mit
Bedeutung und Intentionalität zu erfüllen, damit sie nicht leer oder herrschaftlich werden (vgl.
ebd. S. 57). In der Vision der Beloved Community vereinten sich „Bonhoeffers command to
go to the public place with Tillichs challenge to confront the boundry situation“ (ebd. S. 84).
The Faith and Life Community an der University of Texas war ein Beispiel einer Beloved
Community. Diese community unterstützte die Meinung, dass politischer Widerstand Teil der
Suche nach Authentizität war. Sie war eine sehr lebendige Gemeinschaft, in der Dialog und
Dissens zwischen Individuen nicht nur willkommen, sondern sehr zentral waren. So glaubten
die Mitglieder, dass
„authentic, self consciously disciplined community does not swollow the individual, it rather creates the very
possibility of personhood by pushing the individual against the necessity to decide for himself. (…) The capacity
to disagree was a mark of the really close relationships that bound a true community“ (ebd. S. 58).
Die community fungierte wie ein „incubator of truly strong and autonomous persons“ (ebd. S.
82). Diese versuchten weg von Abstraktionen, Lamentierung und Selbstgefälligkeit hin zu
einer radikalen und konkreten Menschlichkeit zu finden. Dies bedeutete, politische Risiken
einzugehen, auch wenn die Erfolgsaussichten sehr klein waren, weil es der Weg zur
Authentizität war (vgl. ebd. S. 77). So waren sie die ersten, die integrierte Wohnheime für
weiße und schwarze Frauen auf dem Campus durchsetzten. Sie setzten diese Entscheidung
durch, obwohl sie finanzielle Einbußen erleiden mussten (vgl. ebd. S. 59).
34
3.2.5. Der moralische Imperativ zur Radikalität
In ihrer Suche nach Authentizität haben die Akteure der neuen Linken den moralischen
Imperativ gesehen, für die Bürgerrechte der Schwarzen zu kämpfen (vgl. Rossinow S. 12).
Die Aktivistin Casey Hayden sprach im Hinblick auf den zivilen Ungehorsam gegen
Segregation von Protest als dem einzigen Weg menschlich zu bleiben:
„When an individual human being is not allowed by the legal system and the social mores of his community to
be a human being (…) Perhaps in this situation protest is the only way to maintain his humanity“ (ebd. S. 104).
So haben die Akteure der neuen Linken durch Sit-Ins, Stand-Ins und Picketing Proteste25 die
konfrontative Kraft der moralischen Idee der Würde des Menschen konkrete Gestalt gegeben
(vgl. ebd. S. 119). Dabei haben sie jegliche Form intellektuellen Konformismus abgelehnt und
riefen zu Radikalität im Denken und Handeln auf. Harvey Cox, ein Aktivist, schrieb:
“to be radical now means to refuse to accept at face value the standard interpretations of what is happening in the
world (...) without testing and applying it to life“ (ebd. S. 95).
Er kritisierte den Ideologismus der alten Linken und forderte mehr zum Experimentieren auf.
Dies beinhaltete „to view the situation of the non-western world from their perspectives“
(ebd. S. 120). So wurden z. B. gängige Vorurteile, wie der 'negro student as a trouble maker'
oder die Bezeichnung antirassistischer Proteste als kommunistisch, abgelehnt; den Russen,
Kubanern und anderen 'enemy Nations' wurde zugehört oder die Todesstrafe abgelehnt (vgl.
ebd. S. 108-110/120). Hierbei war die Betonung von konkreten Aktionen und Handlungen
sehr wichtig, weil „talk was cheap (...); something more was required if one was to act
responsibly“ (ebd. S. 127). Die Protestierenden warteten nicht auf die Erlaubnis der
Autoritäten, sondern ihre Handlungen waren selbst-legitimiert. Glenn Smiley nannte dies
'moral Judo' und zog eine Parallele zu Jesus: „Jesus meant to do the imaginative thing, the
unexpected thing, the thing that catches your enemy off balance“ (ebd. S. 125).
3.2.6. Von 'politics of authenticity' zu 'politics of identity'
Gegen Ende der 70er Jahre kam es zu einer Verwandlung von der 'politics of authenticity' zu
einer 'politics of identity'. Die neue Linke bewegte sich weg von der Idee der Revolution hin
zu Liberalismus und Reformismus. Viele Aktivisten der neuen Linken haben ihre Autonomie
und Selbst-Legitimation ausgelebt, indem sie ihre eigenen Institutionen und communities
gegründet haben. Dies führte eher zu einer Fragmentierung des Widerstandspotentials und
dessen Absorbierung in den sozialen Strukturen. „At best they nutured a small subculture
rather than bring about largescale social change“ (Rossinow S. 18). Die Ideen der Radikalität
sozialer Veränderung ließen nach, als die Aktivisten sich mehr und mehr lokaler 'issue-
25 Verschiedene Protestaktionen des zivilen Ungehorsam richteten sich gegen Segregation in Restaurants, Verkehrsmitteln, Theatern, Bibliotheken und anderen öffentlichen Orten.
35
specific politics' zuwandten. „They continued to preach revolution and practice reform“ (ebd.
S. 336). Rossinow macht diesbezüglich aufmerksam auf die dialektische Natur von Protest
und Gesellschaft bzw. Struktur und Dissens. Demnach protestieren politische Bewegungen
gegen die sozialen Strukturen, die die Proteste produzieren bzw. ohne welche die Proteste
nicht möglich wären (vgl. ebd. S. 20). Die universalistischen Kräfte der
Bürgerrechtsbewegung konnten den pluralistischen Kräften der Identitätspolitik nicht mehr
standhalten, bei der die Suche nach Authentizität in vorgegebenen relativ festen 'chanels of
fellowship' weiter ging. Auch die Einbettung in die Wissenschaften führte zu einer Diffusion
des Widerstandspotentials. So war das amerikanische Utopie der universale Nation mit einer
transnationalen Identität auf eine pluralistische 'workaday understanding of society' reduziert
(vgl. ebd. S. 342f.).
3.2.7. Zusammenfassung
Die vorangegangene Beschreibung einige Aspekte der Bürgerrechtsbewegung kann bezüglich
der theoretischen Kategorien folgendermaßen zusammengefasst werden: Die Entstehung und
Aneignung der moralischen Empörung war von zentraler Bedeutung hinsichtlich der
soziopolitischen Veränderung der Segregationspraxen. Zum einen war die Bewegung geprägt
von verschiedenen Bündnissen, die eine wichtige Bedingung waren für die Aneignung von
Widerstand (vgl. Moore). Die neue Linke war ein Zusammenkommen von Schwarzen und
Weißen, christlichen Existentialisten und auch Counterculture Hippies. Durch Bündnisse mit
den privilegierten Bevölkerungsanteilen wurde eine breite Basis für Widerstandsnetzwerke
geschaffen. Zum anderen waren es aber auch einzelne Leitfiguren, die mit ihrer Impulsgebung
und Leitvisionen die Bewegung bereicherten. Ideen wie Entfremdung und die Suche nach
Authentizität lieferten die moralische Legitimation für Widerstand gegen die ungerechten
Verhältnisse der Segregation. Aktionen wie Sit-ins oder Stand-ins und die Picketing Proteste
können als ein Ausdruck moralischen Muts und Autonomie der Akteure gesehen werden. Die
moralische Erfindungsgabe von theologischen Leitfiguren wie King, Bonhoeffer, Tillich und
Bultmann lieferten der Bewegung sowohl moralisches Kapital in Form von Ideen, wie z. B.
the New Being (vgl. Tillich), als auch soziales Kapital in Form von Visionen, wie Beloved
Community oder Communities of Resistance (vgl. Bonhoeffer). Bezüglich der sozialen Form
der Religion ist die Bewegung eher bei den 'Religion of Humanities' anzusiedeln, die das
'Humane' als verbindendes Element betonen. Die Kritik einer Kirche der Mächtigen kann als
eine Kritik gegen Christentum als 'Religion of Difference' verstanden werden. Die schwarzen
Kirchen dagegen lieferten materielle Ressourcen (Räumlichkeiten, Gelder), aber auch
moralische Unterstützung, z. B. Prayer Services und Gottesdienste, die zum politischen
36
Handeln aufriefen. Im Kontext des Kalten Kriegs schuf diese Bewegung für privilegierte
weiße Studenten eine Insel der Sinnhaftigkeit ihrer Existenz. Insofern kann es auch als ein
'Stählen des Sinns' gesehen werden, wie Moore es beschreibt. Bei dieser Bewegung mündete
die moralisch-psychologische 'Arbeit an sich Selbst' (Authentizität) in politisches Handeln
gegen unterdrückende Machtverhältnisse. Die Aneignung der Authentizität angesichts der
Entfremdung im Kontext der Prozesse der Säkularisierung weist auf eine Art 'Sakralisierung'
von public space hin (vgl. Woodhead/Heelas). Der intersubjektive Charakter dieser Bewegung
zeigt die verallgemeinerte Handlungsfähigkeit der Akteure (vgl. kritische Psychologie), die
ihre Lebenssituation durch die Veränderung der gesellschaftlichen Situation herbeizuführen.
Das Format des gewaltlosen zivilen Ungehorsams der Bewegung war nicht nur Widerstand
gegen den amerikanischen Staat, sondern gegen die Geschichte des Rassismus als ein
Herrschaftssystem. Hierbei diente die Religiosität der christlichen Existentialisten als auch der
pantheistischen Counterculture Hippies als eine Ressource (materiell sowie moralisch) für die
soziale Veränderung. Aber indem sie ihren sozialen Einsatz für die Schwarzen mit der
Aufhebung ihre eigenen 'Alienation' oder Entfremdung verknüpft haben, waren die Akteure
der neuen Linken nicht ganz frei von utilitaristischen Motiven. Dies war allerdings nicht mit
einem moralischen Überlegenheitsgefühl, sondern mit einer moralischen Vulnerabilität
verbunden und hatte so gesehen mehr mit Solidarität als 'Charity' zu tun. Die Diffusion der
neuen Linken gegen Ende der 70er in Richtung der Identitätspolitik koinzidiert mit den
neoliberalen Entwicklungen der achtziger Jahre, aber auch mit der Schwächung des
moralischen Imperativ zur Radikalität, der als verbindendes Element in den Hochzeiten der
Bewegung diente.
3.3. Die 'Occupy'-Bewegung
Die 'Occupy'-Bewegung begann im September 2011 im Zuccotti Park New York, mit 'Occupy
Wall Street' wurde sie bekannt, inzwischen hat sie sich zu einer der bedeutendsten
transnationalen Bewegungen gegen das kapitalistische Herrschaftssystemen entwickelt. Mit
dem berühmten Slogan 'We are the 99%' hat sie sich nicht nur den sozialen Raum für Protest
wieder angeeignet, sondern hat das 'Gewissen' Amerikas neu besetzt (vgl. Chomsky 2012 S.
9). Insofern bietet diese Bewegung ein interessantes Feld für die Betrachtung des
Verhältnisses zwischen Religion und Protest im Hinblick auf soziale Veränderung. In dem
Buch 'Occupy Spirituality' haben sich der junge Aktivist Adam Bucko und der radikale
37
Theologe Matthew Fox über dieses Verhältnis in der Occupy-Bewegung ausgetauscht. Im
Folgenden stelle ich ein paar Impulse aus diesem intergenerationellen Dialog dar, um diese
Verbindungslinien zu eruieren.
Die ursprüngliche Idee dieser Bewegung war es, 'public space' oder Orte öffentlichen Lebens,
die als kapitalistische Herrschaftsräume fungierten (z.B. die Wall Street) zu erobern und sie
als Räume des Protests, demokratischer und gewaltloser Aktionen des zivilen Ungehorsams
neu zu besetzen. Die Proteste des Arabischen Frühlings (z. B. auf dem Tahrir Platz in
Ägypten), bei denen viele Bürger ihre politischen Rechte wieder geltend zu machen
versuchten, inspirierten die Occupy-Bewegung. Diese Wiederaneignung des public space ging
mit einer Art materieller und ideeller Insolvenz einher. Nach langen Kriegsphasen (z. B. die
Kriege am Golf, in Afghanistan und der 'Krieg gegen den Terror'), stellte sich ein tiefes
Mißtrauen gegen die politischen Institutionen und Instrumente ein, deren Willen und
Fähigkeit, nötige Änderungen herbeizuführen, bezweifelt wurde. Die Occupy-Bewegung
versuchte, 'public space' als einen Raum der Veränderung zu politisieren:
„the occupy movement sent a worldwide signal that young people are sickened by the bankruptcy and terrible
inequality of the capitalist dream of endless growth“ (Harvey, in: Bucko/Fox S. XV). Greg Ruggiero beschreibt
die Leitvision von Occupy folgendermaßen: „In no rush to produce leaders or to issue a closed set of demands,
Occupy embodies a vision of democracy that is fundamentally antagonistic to the management of society as a
corporate-controlled space that funds a political system“ (Chomsky S. 15/16).
Bucko und Fox sehen diese Besetzung des public space vor allem als eine Erschaffung des
'sacred space' in den moralischen Vorstellungen der Akteure dieser Proteste, die sowohl auf
einer politischen als auch auf einer spirituellen Suche sind (vgl. Bucko/Fox S. XXVI). Bucko
beschrieb Zuccotti Park folgendermaßen: „This is our new holy ground, church, temple,
mosque, synagogue. God is where moral courage is!“ (Bucko/Fox, 2013 S. 180). Es wird von
einem 'Shift in consciousness' gesprochen. „Perhaps the movement's most radical message is
its incitement to change ourselves, individually, in the workplace and socially“ (Chomsky S.
16). So verkörpert die Occupy-Bewegung für Bucko und Fox das Zusammenkommen von
'radical spirituality' (eine Spiritualität, die politisch ist) und 'soul activism' (eine Politisierung,
die spirituell ist). Darauf möchte ich als nächstes eingehen.
3.3.1. Radical Spirituality
„The spirituality my generation is interested in is less compartmentalised than that of our parents generation. We
want our work and our families and our spiritual practice to be one and the same.“ V.H.K. Female
„I think we are hungry for something that encourages questioning, curiosity, depth and meaning. Our generation
has the opportunity to redefine spirituality as something that is truely healthy and inclusive of things like art,
38
science and having fun! E.B. Male 30
„We tend to use numerous methods to deepen spiritual experience, including nature, yoga, meditation, consious
community, art, and activism (....) Because it is sourced from our personal experience, we don't feel pressured or
compelled to conform to a specific teaching or institution.“ C.C. Female 35
„We are an intra-spiritual generation. I, for example, consider myself to be part of Christianity, Universalism,
earth-based traditions, Yoga and Sufism. I, like many of my generation, like to mix and match my spirituality.“
K.R. Female 27
„To me the spirituality of my generation is about following an instinct, an impulse, which arises from deep
inside. It requires a constant fidelity to the relationship aspect of the universe, or the friendship aspect of God.
(…) There is an openness to the movement of the spirit which leaves all of life exposed to its breath.“ R.M. Male
(Bucko/Fox S. 17-19)
Die oben zitierten Aussagen von Akteuren der Occupy-Proteste, die eher ihre 'Sprititualität'
als ihre konfessionelle Zugehörigkeit betonen, heben den postmodernen Charakter dieser
Bewegung hervor: „the first characteristic of this new spirituality is that it is deeply
ecumenical, interspiritual and post-traditional. (…) A second point is that this new spirituality
is contemplative and experienced based. It starts from life rather than concepts. Nonetheless,
concepts are celebrated as tools to connect the dots and deepen the experience“ (Bucko/Fox
S. 21/23). Außerdem wird die Sehnsucht oder die Suche nach einer gelebten Spiritualität
deutlich, die im Alltag eingebettet ist. So hat Kunst oder Essen oder Sexualität genau so mit
Spiritualität zu tun, wie politischer Widerstand. Es findet eher ein 'insourcing' als 'outsourcing'
der Spiritualität statt. Äußere Autoritäten werden in Frage gestellt und die eigene Erfahrung
als Quelle sowie als die relevanteste Legitimationsinstanz26 betont: „a beautiful shift from
relying on institutions to relying on your own inner teacher, and then living from there in a
way that is uniquely your own“ (ebd. S. 214). Die Occupy-Akteure versuchen, der
'Fragmentierung ihres Selbst' durch eine organische Spiritualität entgegen zu wirken. Dies
bedeutet auch den Beziehungsaspekt zu anderen in dieser Erfahrung mit einzubeziehen.
Außerdem werden pluralistische Tendenzen sichtbar, die durch Inklusivität und einen hohen
Grad an Autonomie gekennzeichnet sind.
Matthew Fox spricht von einer 'Creation Spirituality', in der das Göttliche durch vier Wege
zugänglich wird: durch 1) Via Positva: in the awe, wonder and mystery of nature and of all
beings; 2) Via Negativa: in darkness and nothingness, in the silence and emptying, in the
letting go and letting be; 3) Via Creativa: in cocreation with God, in our imaginative output;
4)Via transformativa: in the relief of suffering, in the combating of injustice, in the struggle
for homeostasis (vgl. ebd. S. 23f.). Die 'Creation Spirituality' kommt zu einem 'New
Monasticism', in dem die klassischen monastischen Gelübde neu definiert werden: So wird
26 Vgl. Sufismus.
39
die 'Armut' mit Nachhaltigkeit, der 'Gehorsam' mit der Versprechung demokratischer
Arbeitsweisen und die 'Enthaltsamkeit' mit verantwortlicher Sexualität und Respekt für
sexuelle Diversität gleichgesetzt (vgl. ebd. S. 201-203).
3.3.2. Soul Activism
Bucko und Fox sehen in Occupy eine leise und langfristige Revolution. „Revolutions will
come and go. Movements will change names and forms. But what is emerging in people's
hearts will continue. Most likely it will continue quietly, in small communities, among
friends, mostly unacknowledged by the dominant media“ (Bucko/Fox S. XXIII). Diese Art
politischer Einsatz oder Aktivismus beinhaltet eine spirituelle oder moralische
Untermauerung, die sich deutlich von Formen des Automatismus, heroischem 'Aktionismus'
und 'feel good activism' abgrenzt.
„One can become a cause junkie – one can make one's whole life social activism and leave no room for the soul,
no room for the mystical juice that, first of all, is the very goal of social justice. The goal of social justice is that
the whole community can live life fully“ (ebd. S. 25).
Auch politische Arbeit wird im Hinblick auf eine Definition gesehen, in der Arbeit nicht nur
instrumentell, sondern eher als eine Ausdrucksmöglichkeit des Seins begriffen wird. So
führen Bucko und Fox den interessanten Unterschied zwischen 'warrior' und 'soldier' ein: „a
warrior as distinct from a soldier, has an interior life and undergoes practices that feed one's
deepest level of being, not just the compulsion to act“ (ebd. S. 29). Diese Art Akteure oder
'spiritual warriors' haben nicht nur den Mut ins Gefängnis zu gehen, wenn es sein muss, um
einem ungerechten und gewalttätigen System zu widerstehen, sondern sie können die
spirituellen Vibrationen eines historischen Moments auffangen und die moralische
Imagination der Menschen aktivieren (vgl. ebd. S. XX).
3.3.3. Spiritual Democracy
Spiritual Democracy bezeichnet in der Occupy-Bewegung das Zusammenkommen von
'radical spirituality' und 'soul activism'. Es verkörpert die alte Verbindung zwischen Mystik
und Prophetie. Bucko und Fox berufen sich auf Walt Whitman, den berühmten
amerikanischen Dichter der Free Verse-Tradition27, der den Begriff 'Spiritual Democracy' als
eine Demokratisierung der Religion oder der spirituellen Erfahrung eingeführt hat (vgl.
Bucko/Fox S. XXVI). Im Gegensatz zur protestantischen Ethik der 'Auserwählten' betont
Spiritual Democracy, dass „grace itself is democratic (...), that grace is available to everybody
not just to those who are preening at the pinnacle of imperial success, whether financial or
27 Free verse: free verse is a way to achieve unification of body, soul, and spirit through writing. it does not follow a rigid form that restricts the imagination“ (Bucko/Fox S. 212/213).
40
political or military or religious. So it is definitely a deconstruction of hierarchy“ (Bucko/Fox
S. 218). „Spiritual democracy incorporates the wisdom (…) that is not just about a secular
political shift in power. It is a spiritual insight“ (ebd. S. 32). Pancho Ramos Stierle, einer der
Aktivisten, der in Occupy Oakland während eine Meditation festgenommen wurde, meinte:
„It is time for the spiritual people to get active and the activist people to get spiritual, so that
we can have a total revolution of the human spirit“ (ebd. S. XXVII). Sie beinhaltet einen
Prozess der 'Cocreation' in der Gemeinschaft. Ein paar wichtige Elemente der 'Spiritual
Democracy' sind:
Moral Outrage: „First you have to get mad. (…) Getting mad is what prophets do, Gandhi
was mad and King was mad and Jesus was mad; anger has its place. But it needs direction, it
needs contours. Moral outrage is and always has been a light that sets fire to social change.
But it takes discipline, such as the discipline the civil rights movement instilled in its
nonviolent practices. It takes spirituality“ (Bucko/Fox S. XXV). In Spiritual Democracy
verpufft die moralische Empörung nicht mehr, sondern wird durch kontemplative Praxen
gebündelt und in Handlung umgesetzt. Bucko und Fox beschreiben Aussprüche, die auf
Plakaten der Akteure der Occupy-Proteste gestanden haben:
„There is an elderly women who looks like she could be the grandmother of any of these kids. Her sign says, 'I'm
87 and mad as hell'“.
„There is one kid holding a sign that says, 'That we're young only means we have the most to lose by standing
idle'.“
„I won't believe corporations are people until the state of Texas executes one.“
„Sorry for the inconvenience. We are trying to change the world“
„If voting could change anything it would be illegal.“ Female protestor, Occupy Wall Street. (ebd. S. 4f./180)
Ein Ausdruck dieser moralischen Empörung mündete in der subversiven Idee, öffentliche
Beichtzeremonien vor Institutionen der Sozialen Arbeit zu halten.
„Others who are connected to the shelter system, are talking about organising homeless youths and holding
public ceremonies of forgiveness in front of some of the social service organisations and shelters that claim to be
solving homelessness, but instead are dehumannizing the people they serve. By publicly forgiving those who
dehumanize them on a daily basis, they hope to awaken the humanity of the people who run those organisations
and bring it to the forefront of social services and life at large“ (ebd. S. 181).
Moral authority: Die Frage der Legitimationsinstanzen für Spiritualität sowie Aktivismus
werden in der Occupy-Bewegung deutlich: „In the west, seminaries have sold their souls, I
think to the academic system, which is throughly polluted and which includes a distinct
resistance to mysticism, to experience, to spirituality. (…) And they have sold their soul to
41
these accrediting-body institutions, which are all about numbers. (…) Who accredits the
accrediting bodies?“ (Bucko/Fox S. 155/156). Im Gegensatz zu der wissenschaftlichen
Legitimation wird in der Occupy-Bewegung die moralische Autorität der Gerechtigkeit und
ihre Selbstvalidierung anerkannt. Bucko spricht von der moralischen Kraft:
„I felt there a certain kind of energy, a kind of spiritual and moral power.(...) I remember marching the streets
and looking around at the bankers and corporate executives standing there in their suits, watching us. I saw that
they too were feeling this energy. They could see that this was not just another dress-up game of angry and
frustrated college students. It was a manifestation of moral authority that was here to change things. (...) This
moral power that is felt in the movement is those kid's spiritual teacher. They are getting a direct transmission
from the entity of justice that is emerging in their midst“ (ebd. S. 9/14).
The concept of a Person: Die Occupy-Bewegung verkörpert Widerstand gegen die
kapitalistischen Konzeptionen von 'personhood'. Chomsky beschreibt, wie die Gesetzte der
Vereinigten Staaten auch historisch darüber verfügten, welchen Menschen der Status von
'Person' eingeräumt wurde. So waren die Afro-Amerikaner bis weit in die 60er Jahre keine
vollwertigen Personen. Nachdem Segregation mindestens gesetzlich verboten war, kamen
andere Strategien zum Einsatz, z. B. die Kriminalisierung von Schwarzen oder die
Ausbeutung von Hispanics (vgl. Chomsky S. 41). Im Kontext der Neoliberalisierung wurde
die Konzeption der Person wieder in zwei Weisen verändert: „one way was to broaden it to
include corporations, legal fictions established and sustained by the state. (...) It was also
narrowed to exclude undocumented immigrants. They had to be excluded from the category
of persons“ (ebd. S. 41/46). Also wurde einerseits realen Menschen der Status von Person
aberkannt und gleichzeitig nicht realen Firmen der Status von Person verliehen. Die Akteure
der Occupy-Bewegung versuchten, Widerstand gegen diese Konzeption der personhood zu
mobilisieren. So wurde die New York city council resolution 1172 ins Leben gerufen. Diese
Resolution ruft auf, 'corporate personhood' abzulehnen, zwischen Menschen und
Managements zu unterscheiden und diesbezüglich die amerikanische Verfassung in Richtung
eines permanenten Verbots zu verändern (vgl. ebd. S. 13).
Spiritual leadership: In der Occupy-Bewegung wird von 'mutual mentoring' gesprochen:
„the more I reach to my brothers and sisters, the more i realize that everyone is my mentor
and I theirs. We share a mutual mentorship with one another.“ R.P. Male 32 (Bucko/Fox S.
150). Dies symbolisiert eine Dehiarchisierung in den Konzepten der Führung. Fox spricht hier
von einem Shift von den „hierarchial and top-down dynamics to circle dynamics“, in der jeder
Führende und Geführte sein kann. „When leaders show up with ideas without paying attention
to what is trying to be born there, they simply miss the mark, they miss the evolutionary
42
possibility. (…) This is not the time for top down management. This is not the time for
monologue. It is the time for dialogue“ (ebd. S. 13). Die Führungskultur der Occupy-
Bewegung ist inter-generationell. „Elders are not so much recognised for their titles, résumés
or fame, but rather their ability to relate to the younger generation from their lived
experience“ (ebd. S. 31). Chomsky beschreibt diese Haltung folgendermaßen: „not just telling
people „here's what you should believe, but learning from them“ (Chomsky S. 51). Bucko und
Fox sprechen von 'servant leaders' in der Occupy-Bewegung: „Bouyant and uplifting,
relational and collective rather than insular and exclusive, these servant leaders are formenting
a consciousness movement and beloved community (...) working towards social justice“
(Bucko/Fox S. 228).
Bucko kritisiert auch die spirituelle Führung, die sich vor politischer Positionierung scheut:
„I decided to peek on Twitter to see what kind of messages our spiritual leaders were sending to the world. Were
they standing up in solidarity with the youth as the Egyptian secret police brutalised them in Tahrir Square? (…)
What I found disgusted me. They were pushing books on „spiritual weight loss“, „miracles of manifesting
wealth“ (...) It was capitalism at its worst.(...) How are these spiritual leaders any different from Wall Street
executives?“ (Bucko/Fox S. 12).
Global Community: „the most exciting aspect of the Occupy movement is the construction
of the associations, bonds, linkages and networks that are taking place all over“ (Chomsky S.
45). Die Einbettung des 'radical spiritualism' und 'soul activism' in der Gemeinschaft ist ein
wichtiger Aspekt der Occupy-Bewegung. Die Akteure der Bewegung betonen ihre
Interdependenz mit anderen Menschen sowie der Natur. Vertrauen und Solidarität mit
einander drücken sich aus in Slogans wie:
„Stop believing in authority, start believing in each other.“ Male Protester Occupy Wall Street (Bucko/Fox S.
180) oder „God is my vertical connection which asks me to connect horizontally.“ N.B. Male 33 (ebd. S. 1).
In der Occupy-Bewegung sieht Adam Bucko die Realisierung der Vision einer „global
movement of sacred community living“ (Bucko/Fox S. 32). Die Vision einer globalen oder
universalen Bürgerschaft, in der 'Keiner ist zuständig, aber alle sind verantwortlich' gilt, lässt
sich von den 'Base communities' in Lateinamerika, von den Beloved Communities der
Bürgerrechtsbewegung und von den Sufi-Communities inspirieren (vgl. ebd. S. 34). Bucko
erkennt die Bedeutung der Rituale, die zum Erleben von Gemeinschaft führen:
„It seems to me that a lot of youth scenes, such as the Rave scene, Hip hop scene, Deadhead scene, Punk scene,
Burning man scene, or Phish scene, are all about global experience of community and ritual“ (ebd. S. 140).
Der Occupy-Aktivist Pancho Ramos-Stierle geht weiter in seiner Betonung der Gemeinschaft
bildenden Idee: „I believe that nine out of ten actions must be creating the community that we
want to live in (…) I think one out of every ten actions should be obstructive – that is boycotts
and protests and marches and non violent civil disobedience“ (ebd. S. 174). In der Gestaltung
43
der Gemeinschaft bei der Occupy-Bewegung wird auf Diversität, Glokalität und
Dezentralisierung gesetzt.
3.3.4. Zusammenfassung
Die Occupy-Bewegung kann als eine Schirmbewegung für Widerstand gegen unterschiedliche
Herrschaftssysteme im Bereich des Sozialen, der Ökonomie und Ökologie verstanden werden.
In ihr kommen verschiedene Bewegungen zusammen: Bündnisse zwischen Gewerkschaften,
Feministinnen, Antirassisten, Ökoaktivisten, Tierrechtlern, Antinationalisten und viele andere
Protestbewegungen. Sie alle bieten hier eine breite Plattform für die Aneignung von
Widerstand und den Ausdruck moralischer Empörung, um soziale Veränderungen zu
bewirken. Auffällig ist, dass die Proteste eher durch Akteure mit einem akademischen
Hintergrund organisiert werden. Bei den Teilnehmenden finden sich sowohl Aktivisten als
auch Betroffene. Die Beschreibung von Zuccotti Park als ein 'Sakraler Ort' , wo moralischer
Mut entstanden ist, kann als Zeichen für die Sakralisierung von Widerstand an sich gesehen
werden. Wall Street, das Zentrum des Finanzkapitals Amerikas, wird mit 'moral bankruptcy'
gleichgesetzt. Der Slogan 'We are the 99%' hebt die Denkfigur der Zentrum-Peripherie-
Verteilung von sozialem Raum auf. Er ist ein Hinweis auf Widerstand gegen den 'corporate
controlled space' bzw. die Machtverhältnisse des Neoliberalismus. Die Protestslogans der
Akteure geben klare Indizien für moralische Empörung (moral outrage) und sprechen von
moralischer Kraft (moral power), die auch von den 1% zur Kenntnis genommen wird (vgl.
Bucko/Fox S. 9).
Die spirituelle Untermauerung von moralischer Empörung der Akteure erhebt den Anspruch,
'Aktionismus' zu verhindern. Die moralische Autonomie der Occupy-Akteure hat keinen
speziellen konfessionellen Hintergrund, sondern ist im Sinne der Postmoderne eher 'spirituell'
geprägt. So treten äußerliche Legitimationsinstanzen in den Hintergrund und der EigenSinn
der Akteure wird zur zentralen Figur der moralischen Autonomie dieser Bewegung. So finden
die Akteure die unterschiedlichsten Ausdrucksmöglichkeiten für Protest z. B. 'Raves', Demos,
Volksküchen, akademische Workshops etc., um den 'public space' mit EigenSinn zu besetzen.
Mit Ideen wie Spiritual Democracy, die 'radical spirituality' mit 'soul activism' verbinden, ist
diese Bewegung eher den 'Spiritualities of Life' zuzuordnen. Die Occupy-Bewegung liefert
sowohl moralisches Kapital für ihre Akteure, indem sie einen 'Shift in consciousness' anstrebt,
aber durch die Erschaffung von 'social intimacy' in den Netzwerken und Protestgruppen stellt
sie auch soziales Kapital zur Verfügung. Sie verbindet sowohl pluralistische (z. B. Creation
Spirituality) als auch universalistische Denkfiguren (z. B. global citizenship) im Sinne der
'unity in diversity'. Dezentrale, selbstorganisierte, gewaltlose Handlungsansätze, die
44
Herrschaftsverhältnisse des postmodernen Neoliberalismus kritisieren und Solidarität,
Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit fördern, kennzeichnen diese Bewegung. Sie ist sowohl in
globalen bzw. transnationalen als auch lokalen Verhältnissen eingebettet und nimmt Einfluss
auf diese. Die Akteure dieser Bewegung zeigen einen Sinn für Reflexivität, wenn sie sagen:
„We are totally interrelated, dependent upon powers of nature and society transcendent over
and beyond any one of us as well as immament in each and all of us“ (ebd. S. 227). Hierbei ist
auch der Bezug zur eigenen Handlungsfähigkeit als einer verallgemeinerten
Handlungsfähigkeit (vgl. kritische Psychologie) gegeben. Die Frage, ob Protest selbst zu
einem Produkt wird, das von Akteuren konsumiert wird, ohne Veränderung der
gesellschaftlichen oder individuellen Verhältnisse, ist offen und kann als Thema für weitere
Forschungen dienen.
3.4. Kohärenzen und Divergenzen der drei Bewegungen
Ein Vergleich der drei Bewegungen im Hinblick auf dichotome Unterscheidungsmerkmale
oder Gemeinsamkeiten würde meines Erachtens der Komplexität und Vielschichtigkeit des
Untersuchungsgegenstands nicht gerecht werden. Trotzdem möchte ich nicht ganz darauf
verzichten. Allerdings versuche ich, die drei Bewegungen in Bezug miteinander zu setzen, um
Kontinuitäten, Interdependenzen, Überkreuzungen, aber auch Diskontinuitäten, Widersprüche
und Divergenzen aufzuspüren, um den Vergleich zu ergänzen.
Wenn man die Differenzkategorien betrachtet, die für die drei Bewegungen relevant waren, so
fällt auf, dass beim Sufismus die Kategorie 'Religion' die wichtigste ist. Dabei geht es hier
nicht um die 'Konfession', sondern eher um die Religiosität ihrer Akteure. Bei der
Bürgerrechtsbewegung spielt die Kategorie 'Rasse' eine wichtige Rolle und die Occupy-
Bewegung als Kritik des kapitalistischen Herrschaftssystems macht die Kategorie 'Klasse'
wieder aktuell. Allerdings können in allen drei Bewegungen Überkreuzungen zu anderen
Kategorien, z. B. Gender, Alter oder Körper, sichtbar werden. An deutlichsten wird die
Intersektion und Interdependenz der Kategorien bei der Occupy-Bewegung deutlich, bei der
Kapitalismuskritik mit Kritik an Sexismus, Rassismus, Abelismus/Bodyismus und anderen
Herrschaftssystemen verbunden wird.
Allen drei Bewegungen gemeinsam ist, dass sie in unterschiedlichem Maße Kritik oder
Widerstand gegen Herrschaftssysteme verkörpern. Beim vormodernen Sufismus waren es
einzelne Mystiker mit kleinen Gefolgschaften, die gegen die herrschende Orthodoxie
45
protestierten. Bei den modernen und postmodernen Sufis waren es Bruderschaften und
Communities, die gegen verschiedene Formen von Puritanismus, Nationalismus oder
Imperialismus bzw. Kolonialismus Widerstand leisteten. Die Bürgerrechtsbewegung erhob
sich gegen rassistische Praxen wie Segregation. Die Occupy-Bewegung mobilisierte
Widerstand gegen alle kapitalistischen Herrschaftssysteme. Um es in einer theologischen
Metapher zu formulieren, haben alle drei Bewegungen Widerstand als eine Möglichkeit der
gelebten Transzendenz von Herrschaftssystemen begriffen und gestaltet. In der
Bürgerrechtsbewegung hat die Zivilgesellschaft durch direkten und gewaltfreien zivilen
Ungehorsam einem ungerechten Staat widerstanden und tatsächliche politische
Veränderungen herbeigeführt. Beim Sufismus ist der Widerstand nicht immer direkt gegen
den Staat gerichtet, sondern eher gegen die 'Norm' und Normiertheit von Religiosität. In der
Occupy-Bewegung sind es sowohl die zivile Gesellschaft, als auch einige politische Parteien,
die ein Bündnis gegen 'Formen des Regiertwerdens' bzw. 'Gouvernementalität' richten und
nicht gegen einen Staat als solchen. In allen drei Bewegungen spielten moralische Empörung
und moralische Imagination bei der Entstehung von Widerstand eine wichtige Rolle, wobei
dafür unterschiedliche Ausdrückformen gefunden wurden. So haben sie beim Sufismus die
Form von Gottesliebe28 und Ekstase (als Befreiung von sozialen Grenzen des Ichs)
angenommen. Bei der neuen Linken ging es um die Erfahrung der Entfremdung und die
entsprechende Suche nach Authentizität, die in zivilen Ungehorsam mündete. Auch bei der
Occupy-Bewegung sind 'moral outrage' und 'moral courage' wichtige Elemente der 'radical
spirituality' und 'soul activism', die in der Vision der 'Spiritual Democracy' aufgehen.
Allerdings unterscheidet sich der radikale und existenzielle Charakter der moralischen
Empörung bzw. Imagination der Bürgerrechtsbewegung von der eher integrativen und auf
Nachhaltigkeit setzenden moralischen Autonomie der Occupy-Bewegung und dem
moralischen Nonkonformismus der Sufi-Bewegung.
Alle drei Bewegungen haben mit neuen oder alternativen Selbst- oder Subjektkonzeptionen zu
tun. So ist im Sufismus der bekannte Ausspruch von Al Hallaj: Ana'l Haqq (Ich bin Gott bzw.
Ich bin die schöpferische Wahrheit) bis heute sehr bedeutend, genau so wie bei der
Bürgerrechtsbewegung die Idee von 'The new Being' von Paul Tillich eine wichtige Rolle für
das Selbstverständnis der Akteure gespielt hat. Auch in ihrer Ablehnung der 'Corporate
Personhood' stellt die Occupy-Bewegung die 'Personenkonzeptionen' des Neoliberalismus in
Frage. Dies könnte ein Hinweis auf die Relevanz von Selbstlegitimations- bzw.
Selbstvalidierungsprozessen bei der Aneignung von Widerstand sein.
28 Liebesverhältnis statt Herrschaftsverhältnis zu Gott.
46
Der Gemeinschaftsgedanke mit der Möglichkeit zu Bündnissen und Allianzen scheint auch
bei allen drei Bewegungen zur Mobilisierung von Widerstand zu führen. So ist die Einbettung
der Sufis in Bruderschaften sowie Communities bedeutend, die sowohl zur 'social intimacy'
führt, als auch als Plattform zum politischen Protest dient. Auch die Beloved Communities
der neuen Linken als ein Gemeinschaftswerk von Schwarzen und Weißen, Existentialisten
sowie Counterculture Hippies fungierten als 'communities of resistance'. Ideen, wie 'global
citizenship' oder 'sacred community living' kennzeichnen diese wichtige Voraussetzung für
Widerstand in der Occupy-Bewegung. Besonders wenn der postmoderne Kontext
berücksichtigt wird, sind sowohl beim Sufismus als auch bei der Occupy-Bewegung die
Koexistenz von globalen bzw. transnationalen und lokalen Bündnissen sichtbar.
Im Hinblick auf ihre Positionierung zum Wissen bzw. zur Wissenschaft sind Divergenzen
wahrzunehmen. Die vormodernen Sufis stellten ganz bewusst Wissenssysteme als
Ordnungssysteme in Frage. Ihre Akteure irritierten die Ordnungsgelehrten (Juristen,
Schriftgelehrten) eher durch ekstatische und ästhetische Praxen. So ersetzten sie die
Legitimation des 'Ilm' (Wissen) durch die Legitimation der 'Mari'fa' (Erkenntnis) und 'Ishq'
(Liebe). Auch in der Moderne und Postmoderne betonen die Sufis mehr die
'Erfahrungsdimension' als die evidenzbasierte 'Wissensdimension'.29 Die Akteure der
Bürgerrechtsbewegung benutzten theologische und soziopolitische wissenschaftliche
Erklärungen, um andere Wissenssysteme, in diesem Fall die der Justiz, zu relativieren. Bei der
Occupy-Bewegung geht es darum, die reflexive Praxis des 'Wissen-Macht'-Nexus als
Herrschaftsinstrument transparent zu machen. Dies kann nicht außerhalb von
Wissenssystemen und ohne Produktion von neuem Wissen geschehen. Neben
'Widerstandswissen' kann die Mystik als Praxis der Liebe oder Ekstase die Macht von
Wissenssysteme an sich relativieren. Trotz ihrer unterschiedlichen Positionierung zu
Wissenssystemen kann festgestellt werden, dass die meisten Akteure dieser Bewegungen
selbst einen Bildungshintergrund hatten: Die Sufi-Dichter oder die postmodernen Sufi
communities; die Akteure der neuen Linken; und die Organisatoren und Koordinatoren von
Occupy hatten gewiss Zugang zu Bildungsressourcen. Dies weist auf einer Sprecherposition
hin, von der aus Widerstand zu leisten eher möglich ist.
Hinsichtlich der Inszenierung des Widerstands fällt auf, dass in allen drei Bewegungen die
ästhetische Praxis ein wichtiges Element war. So war es die Gospelmusik, der Blues oder Jazz
mit den berühmten 'songs of the slaves', die zur Mobilisierung in der Bürgerrechtsbewegung
29 Dies bedeutet nicht, dass sie außerhalb von Wissenssystemen operieren.
47
zum Einsatz kamen. Auch das Anhören von Dichtung mit Musik und Tanz (Sama) bei den
Sufis oder die Raves bzw. andere Performances bei der Occupy-Bewegung sind wichtige
Katalysatoren und Ausdrucksformen der Bewegung.
Die postmoderne Kontextualisierung der Religion im Sinne des 'turn to the self' bringt
widersprüchliche Auswirkungen im Hinblick auf die Mobilisierung und Diffusion von
Widerstand zum Vorschein. Einerseits kann es zu einer 'Individualisierung' der spirituellen
Suche kommen, wobei Menschen das 'Spirituelle' als Flucht benutzen, um die
gesellschaftlichen Konflikte zu umgehen. Sölle spricht von Weltflucht, John Welwood von
'spiritual bypassing'. Hierbei handelt es sich um einer Art spirituellen Konsumerismus (vgl.
Woodhead/Heelas30). Auch das International Sufi Movement versucht zwischen
Werteintegrität und Marktorientierung zu balancieren. Andererseits kann genau dieser 'turn to
the self' sich im Hinblick auf die gesellschaftlichen Verhältnisse positionieren und genau darin
ein spirituelles Motiv finden, z. B. die Sufis in Chechnya.
Die postmoderne Entwicklung der Protestformen scheint vor allem durch Koexistenz und
Widersprüchlichkeit gekennzeichnet zu sein. Zum einen zeigt sich der 'turn to politics of
identity' in sehr partikularen Bewegungen, die lokale 'issue-based'-Kämpfe (z. B. Stuttgart 21)
ausfechten. Es gibt aber auch eine 'globalisation of dissent'31, was z. B. in der Occupy-
Bewegung sichtbar wird, wo Globalisierung als Möglichkeit einer global geteilten
Verantwortung für Fragen des Zusammenlebens und das Entstehen einer globalen
Öffentlichkeit betrachtet wird (vgl. Wagner S. 255). Vor einer Klassenkodierung der
postmodernen Akteure des Protests warnt Castro Varela mit ihrer Beobachtung, dass
„Mitglieder rechter Parteien zum Teil sehr wohl über hohe Bildungsabschlüsse verfügen und
insbesondere im globalen Süden auch Land- und Fabrikarbeiter eine wichtige Säule der
Antiglobalisierungsbewegung darstellen“ (Castro Varela S. 324). Im Hinblick auf die
Organisationsformen weisen sowohl die postmodernen Protest- als auch religiöse
Bewegungen auf Formen, die offene flexible Foren für unterschiedlichste Themen und
Interessen einen gemeinsamen Rahmen anbieten, ohne lähmende Strukturen oder einengende
Statuten (vgl. Wagner S.264/267). Dabei treten Menschen in Beziehungen zu anderen, so
lange und so weit ihre Anliegen sich treffen; sie brauchen sich nicht mehr ganz für eine Sache
hingeben, sondern machen überall dort mit, wo sie zur Zeit einen Sinn entdecken können. Die
persönliche Erfahrung verbindet viel umfassender als ausformulierte Thesen (ebd.). Dies kann
sowohl bei dem International Sufi Movement als auch bei Occupy-Protesten beobachtet
werden.
30 Spirituality as consumerised experience.31 Vgl. Tom Liacas, 2001.
48
4. Soziale Veränderung und Soziale Arbeit
Soziale Protestbewegungen, wie die Frauen-, Arbeiter- oder Jugendbewegung haben für die
Entstehung, Etablierung und Weiterentwicklung der Sozialen Arbeit wichtige Beiträge
geleistet. Gleichzeitig haben sie, vor allem die neuen sozialen Bewegungen, die Soziale Arbeit
immer wieder kritisiert. Häufig geschah das dann, wenn die Soziale Arbeit sich „mit den
Forderungen der Mächtigen verbündete“, sei es der Staat oder der Kirche, und sich
„unkritisch als Normen- und Gesetzesanwenderin“ verstand“ (vgl. Wagner, 2009 S. 13). Die
Soziale Arbeit hat aber auch selbst als Profession und Disziplin ihre Bewegungen angestoßen.
Ein Beispiel dafür sind die Arbeitskreise Kritische Soziale Arbeit (AKS), die gegen die
Verwirtschaftlichung, Verberuflichung und berufliche Missstände der Sozialen Arbeit
gekämpft haben und weiterhin kämpfen (vgl. Penke, 2009 S. 192ff.).
Religiöse Bewegungen haben die Soziale Arbeit in ihrem Mandat der Fürsorge und Wohlfahrt
auch stark beeinflusst. Sie haben durch ethische Leitvisionen und -werten sowie
Organisationsformen die Professionalisierung und Ausbildung unterstützt. Gleichzeitig waren
sie auch Gegenstand der Kritik in der Sozialen Arbeit. So wurde das Verhältnis der Sozialen
Arbeit zu Fragen der moralischen Ökonomie32 (z. B. im Kontext der Entwicklungs- oder
Behindertenhilfe) immer wieder kontrovers diskutiert. Angesichts der Überkreuzung von
Religion und Protest unter neoliberalen Bedingungen wird auch die Frage der
Ökonomisierung und Rationalisierung von moralischer Empörung durch die Soziale Arbeit
virulent. Die Frage, inwieweit Soziale Arbeit die Entwicklungen der religiösen Bewegungen
ungefragt im Sinne einer 'frommen Sozialwohlfahrt' übernommen hat oder sie als kritisch
revolutionäre oder subversive Sozialpolitik umgesetzt hat, kann aufschlussreich sein mit Blick
auf gesellschaftliche Transformationsprozesse.
In der vorangegangenen Untersuchung der religiösen und sozialen Bewegungen im Hinblick
auf soziale Veränderung, besonders durch die Enteignung und Aneignung von moralischer
Empörung, sind folgende Kategorien bzw. Thematisierungen sichtbar geworden, die für die
Soziale Arbeit von Relevanz sein könnten: Zum einen sind es die Subjektkonzeptionen, die
Veränderungsprozesse beeinflussen, zum anderen sind Gemeinschaftskonzeptionen im Sinne
kollektiver Prozesse wichtige Wirkmächte des sozialen Wandels. Außerdem ist die
Konstitution und Gestaltung des Alltags (die Lebensweise) hinsichtlich
Transformationsprozesse bedeutsam. Und letztlich ist die Frage zu stellen, wie
handlungsfähig die Akteure des sozialen Wandels sind. Ich möchte nun den Positionierungen
32 Vgl. Bill Huges zur moralischen Ökonomie, und Arundhati Roy zur 'Corporate Philantrophy'.
49
der Sozialen Arbeit im Verhältnis zu diesen Thematisierungen nachgehen, um
herauszuarbeiten, inwieweit Soziale Arbeit Prozesse sozialer Veränderung unterbindet oder
ermöglicht.
4.1. Fromme Subjekt-Konzeptionen
Das 'Sein', das an sich Unfassbare, Unmittelbare manifestiert oder konkretisiert sich in
Formen, in Namen, in Identitäten. Dies ist ein intersubjektiver Prozess und unterliegt auch
kontextuellen gesellschaftlichen Machtverhältnissen. Alex Demirovic spricht von der Kraft
oder Machtform, die „Individuen in Kategorien einteilt, ihnen ihre Individualität zuweist, sie
an ihre Identität bindet und ihnen das Gesetz einer Wahrheit auferlegt, die sie in sich selbst
und die anderen in ihnen zu erkennen haben. Diese Machtform verwandelt die Individuen in
Subjekte“ (Demirovic, 2010 S.162). Barrington Moore spricht von der Internalisierung von
Widerstand bei den 'Asketen', einer Rationalisierung bei den 'Unberührbaren' sowie subtiler
und offener Repression des Widerstands bei den 'Insassen' der Konzentrationslager. In dieser
Thematisierung werden sowohl Subjektivierungsprozesse als auch 'Identitäten', die sie
generieren, sichtbar, die zur Enteignung der moralischen Empörung führen. Die Soziale
Arbeit als ein Kraftfeld des Sozialen ist an diesen Subjektivierungsprozessen beteiligt. Als
nächstes skizziere ich einige Subjektfiguren und die damit verbundenen Institutionalisierungs-
und Diskursievierungsprozesse der Sozialen Arbeit, die meines Erachtens im Hinblick auf die
Enteignung von moralischer Empörung bzw. Widerstand angesichts konflikthafter
gesellschaftlicher Verhältnisse von Interesse sein können.
4.1.1. Der Arme/Der Bedürftige
Eine Figur, die oft in der Vor-Professionalisierung der Sozialen Arbeit in Institutionen der
Fürsorge und 'Charity' auftaucht: Der 'Bedürftige', dem geholfen wird, häufig aus Mitleid. An
ihm verdienen sich die generösen Spender, Samariter und Wohltäter ihre moralischen
'Creditpoints' oder, wie die Hindus es sagen, Karmapunkte. Diese Figur steht häufig in
Zusammenhang mit institutionellen Kontexten von Wohlfahrtsorganisationen oder
Nichtregierungsorganisationen, nicht selten mit kirchlichem Hintergrund, die im Arbeitsfeld
der 'Entwicklungshilfe', Behindertenhilfe oder auch Katastrophenhilfe tätig sind. In
Werbekampangen von 'Brot für die Welt' oder Miserior etc. tauchen sie auf in Gestalten als
arme, verletzte, hungrige Kinder oder Frauen. Die Enteignung von Widerstand gegen
ungerechte gesellschaftliche Verhältnisse passiert in diesem Fall durch moralische
Sentimentalisierung (Tränendrüsen-Syndrom) oder moralische Ökonomisierung. Der
Einzelne, das Objekt des Mitleids, kann klagen, hat aber keine Ansprüche, die er einklagen
50
kann. Das Ehrenamt-Konzept in der gegenwärtigen Sozialen Arbeit kann hier als Beispiel für
die subtile Ableitung oder Absorbierung vom potentiellen Widerstand gelten.
4.1.2. Der Klient
Eine Figur, die im Kontext der Modernisierung und Humanisierung der Sozialen Arbeit zu
verorten ist. Nicht so sehr ein Objekt des Mitleids, sondern ein Objekt der Techniken von
professioneller Empathie.33 Häufig ist diese Subjektfigur Empfänger von Hilfe in Form von
spezialisiertem Wissen und Können von Experten oder 'Professionellen', die seine Defizite
bearbeiten. Pädagogen, Berater, Coaches verdienen an ihm ihre moralischen aber auch
'Kompetenz'-Creditpoints (was ihre Berufsidentität angeht). Häufig in institutionellen
Kontexten von staatlichen, kirchlichen sowie privaten, gewerblichen oder/und
gemeinnützigen Beratungsstellen, Bildungseinrichtungen, Gesundheitseinrichtungen etc.
werden durch diagnostische Verfahren und Hilfepläne seine 'Probleme' bearbeitet. Seine
Person, Verhalten und Defizite werden als Erklärungen für seine Probleme thematisiert und
nicht die gegebenen gesellschaftlichen Verhältnisse. Hierbei handelt es sich häufig um
pädagogische und psychologische Prozesse der Internalisierung von potentieller Empörung,
bei der soziale Konflikte in den Einzelnen hineinprojiziert werden.
4.1.3. Der Täter/Das Opfer
Diese Figuren tauchen in modernen sozialstaatlichen 'Kontrollbestimmungen' der Sozialen
Arbeit auf. Sie sind entweder Täter oder Opfer von Handlungen, die als 'Verbrechen' gegen
die juristischen Gesetze gelten. Als Täter sind sie Objekte von Straf- und Kontrollmaßnahmen
und als Opfer sind sie Objekte von Schutzmaßnahmen. Die institutionellen Kontexte von
Justizvollzug, Jugendamt, Psychiatrie, Drogen- und Suchtarbeit, Sexuelle und häusliche
Gewalt etc. sind hierfür bezeichnend. Der Einzelne wird korrigiert, ermahnt, kontrolliert,
sanktioniert, eingesperrt, bestraft oder als Opfer geschützt, häufig auch durch
Kontrollmechanismen. Die Enteignung von Widerstandspotential geschieht durch die
Repression, die durch den Kriminalisierungsdiskurs und Präventionsdiskurs legitimiert wird.
Der Kontrolleur verdient an ihnen seine 'Ordungs'-Creditpoints. Nicht die gesellschaftlichen
Konstellationen sind problematisch, sondern die Aktionen und Reaktionen des Einzelnen
werden hier als Verstoße gegen den gesellschaftlichen Vertrag, als problematisch bezeichnet.
Das soziale Wächteramt als Funktionsbestimmung der Sozialen Arbeit wacht hier über ein
mögliches Entstehen von Widerstand und seine rechtzeitige Unterbindung.
33 Im Gegensatz zu radical Empathie die sich auf dem 'condito humana' beruft und ein sich verletzbar machen des 'Professionellen' beinhaltet, der seine expertokratische Rolle verlassen kann.
51
4.1.4. Der Kunde
Im Zuge der postmodernen Dienstleistungsorientierung der Sozialen Arbeit tritt diese Figur
als ein Vertragspartner auf. Ihm werden bestimmte Anrechte zugesprochen, wenn bestimmte
Vertragsbedingungen (normalerweise vom Staat festgelegt) erfüllt sind. Er ist ein Objekt des
sachlichen 'Service' der Sozialen Arbeit, der für die optimale Abwicklung von Kontrakten
seine 'Creditpoints' bekommt. In institutionellen Kontexten der staatliche Bürokratien, wie
dem Arbeitsamt, Wohnungsamt, Migrationsdiensten, werden materielle sowie personelle
Ressourcen verteilt. Aus individuellen Bedürfnissen werden institutionelle Bedarfe
festgestellt. Der Einzelne wird häufig zu einem 'Fall' mit einer 'Akte' und wird unter
bestimmten Zuständigkeiten verwaltet. Um Zugang zu den nötigen Ressourcen zu bekommen,
muss der Einzelne sein Verhalten nach dem 'Vertrag' maßregeln. Es kann in diesem Fall von
einer 'Verzettelung' von Widerstandspotential oder auch Enteignung von moralischer
Empörung durch Bürokratisierungsprozesse gesprochen werden.
4.1.5. Der Unternehmer seiner Selbst
Das ist eine Figur, die typisch für neoliberale Entwicklungen der Sozialen Arbeit ist. Diese
Figur durchdringt zunehmend alle institutionellen Kontexte der Sozialen Arbeit. Der
'autonom' handelnde Mensch, ist hier Objekt der 'Selbsthilfe'. Der Einzelne wird als Manager
seiner Selbst bezeichnet. Er ist aufgerufen, für sich selbst Verantwortung zu übernehmen,
autonom sein 'Selbst' für sein Überleben einzusetzen.
„Der neue Zugriff auf das Subjekt findet Ausdruck in Formeln wie Ich-AG, Selbst AG, Ich & Co oder
Arbeitskraftunternehmer. Die Subjektivität der Individuen rückt insbesondere als ökonomischer Faktor in den Blick. (…) Die
Subjektivität der Lohnabhängigen selbst wird in Betrieb genommen, indem mit neuen, marktnahen Steuerungsmechanismen
die Einzelnen dazu veranlasst werden, in ein neues wettbewerbsorientiertes Verhältnis zu sich selbst zu treten. Sie sollen
Unternehmer ihrer selbst werden und ihre Leistungserbringung selbst steuern“ (Demirovic S.151f.).
Konzepte wie 'Hilfe zur Selbsthilfe' oder Fördern und Fordern oder das Subsidiaritätsprinzip
bewirken auch in der Sozialen Arbeit die Vermarktung des Einzelnen. Dabei werden „die
eigenen Persönlichkeitsmerkmale als Porfolio betrachtet, die eigene Person als Standort, der
ein mehr oder weniger wettbewerbsfähiges Profil hat“ (ebd.). In der Umstellung von 'Welfare
to Workfare', wo soziale Ungleichheit das Ergebnis individuellen Versagen ist, aus dem kein
Anspruch mehr auf kollektive Solidarität abgeleitet werden kann, kommt der Sozialen Arbeit
die Rolle der Aktivierungsagentur zu (vgl. Wagner S. 257). Der schlanke Sozialstaat
instrumentalisiert hier, den Wunsch und Hoffnung des Einzelnen nach Autonomie für die
Enteignung seiner Selbstbestimmung, in der er unter Leistungsforderung und -zwang gestellt
wird (vgl. Demirovic S.148ff). Es findet ein Umgehung (bypassing) von moralischer
Empörung statt, in dem ihre Ökonomie in Frage gestellt wird.
52
4.2. Subversive Impulse zur Subjektivierung
Die obengenannten Subjektfiguren können als Beispiele einer frommen, funktionstüchtigen
oder gehorsamen Sozialen Arbeit verstanden werden. Aber da Soziale Arbeit auch ein Produkt
des Sozialen ist, das nicht eindimensional und eindeutig ist, lassen sich in der Sozialen Arbeit
auch widerständige und subversive Subjektkonzeptionen (im Sinne einer Liebesverhältnis
statt Herrschaftsverhältnis) finden. Im Folgenden stelle ich einige kritische Impulse aus den
theoretischen Konzeptionen und Handlungspraxen der Sozialen Arbeit dar.
4.2.1. Der Adressat
Die 'subjektive Wende' in den Sozialwissenschaften, die kritische soziale Bewegungen und
die Bedeutung der 'Lebensweltorientierung' in der Sozialen Arbeit, haben seit Ende der 90er
Jahre wichtige Auseinandersetzungen im Hinblick auf den 'Adressat'-Begriff eingeleitet (vgl.
Bitzan/Bolay, 2013 S. 35). Es standen sowohl in der Praxis als auch in den theoretischen
Konzeptionen die Verschränkungen von Akteur und Struktur im Fokus mit dem Ziel, der
Würde und Eigenart des Einzelnen Rechnung zu tragen. Maria Bitzan und Eberhard Bolay
haben die Konturen eines kritischen Adressaten-Begriffs präzisiert. Sie schlagen vor, dies als
eine relationale und nicht dualistische Kategorie im Sinne einer dialektischen Verwobenheit
von Struktur und Handeln, also von Individualisierungs- und Vergesellschaftungsprozessen zu
betrachten (ebd. S. 40). Wer also als Adressat der Sozialen Arbeit bezeichnet wird, bestimmt
sich weder nur aus der Definition eines 'autonomen' Subjekts, noch allein aus einem
sozialpolitisch-institutionellen Definitionsprozess. Vielmehr spannt sich zwischen diesen zwei
Polen ein Kraftfeld, in dem verschiedene Definitionen um Gültigkeit kämpfen. Hinter diesem
'Identitätskampf', also Definitionskampf, eröffnet sich auch ein 'Interessen-' bzw. ein
'Bedürfniskampf'. Es geht zunächst in diesen Kämpfen darum, den politischen Status
verschiedener Bedürfnisse zu etablieren oder zu verweigern, diese Bedürfnisse zu
interpretieren, also festzulegen, zu präzisieren. Und letztlich geht es um die Befriedigung
dieser Bedürfnisse, indem ihre Versorgung gesichert oder verweigert wird (vgl. ebd. S. 44).
Der kritische Adressat-Begriff weist darauf hin, dass die Identität eines Adressats zwar sozial
bedingt, aber nicht sozial determiniert ist. Die Soziale Arbeit ist hier aufgefordert, die
Machtstrukturiertheit dieses Feldes, also die sozialen Bedingungen der Konstruktion und
Performance von Identität von Akteuren zu erörtern, Sprecherpositionen auf dem Feld
aufzuzeigen, alternative Scripts der Identitätskonstruktionen zu erörtern bzw. sichtbar zu
machen und Artikulationsräume für die subversive Identitätsaneignung der Akteure zu
schaffen (ebd. S. 41). Die Frage der Handlungsfähigkeit der Akteure wird hierbei relevant, die
durch die Konzeption von 'Agency' aufgegriffen wird.
53
4.2.2. Agency
Die in der Handlungsfähigkeit immanente Spannung zwischen Struktur und Handeln,
zwischen gesellschaftlicher Bestimmtheit und subjektiver Selbstbestimmung, wird in der
'Agency'-Konzeption sichtbar. Nach Albert Scherr ist die Frage, ob menschliches Handeln
sozial determiniert oder autonom ist, demnach falsch gestellt (vgl. Scherr, 2013 S. 232). Es
wäre sinnvoller, Handeln als kreative 'Praxis', als Prozess der gemeinsamen Sinnkonstruktion
zu sehen. In diesem Prozess sind die Adressaten 'Co-Creators of Reality' (vgl. Bucko/Fox),
deren Handlungen nicht immer vorhersagbar und kontrollierbar sind. Allerdings ist zu
beachten, dass die Handlungsfähigkeit der Akteure nicht als gegebene Eigenschaft
vorausgesetzt werden muss. Sie ist in einem sozialen Prozess der Ermöglichung und
Begrenzung eingebettet (vgl. Scherr S. 233). Die Agency-Perspektive richtet sich auf die
Konstitution von „Subjektivität als kontextuell situierte Fähigkeit zu eigensinnigen und
kreativen Handlungen“(ebd.). Agency wird hier definiert als ein widersprüchlicher und
komplexer Prozess, in dem sozial konstituierte und eingebettete Akteure sich kulturelle
Kategorien und Handlungsbedingungen aneignen, reproduzieren und auch verändern können
(ebd.). Die Soziale Arbeit ist hier aufgefordert die Bedingungen zu untersuchen, wie
individuelle und kollektive Handlungsfähigkeit sozial ermöglicht, begrenzt oder
verunmöglicht wird. Dies ist sowohl in Bezug auf individuelle Interaktion als auch auf
institutionelle Arrangements notwendig, insbesondere angesichts der Gefahr der Verkürzung
und des Missbrauchs dieses Konzeptes durch die neoliberale Kolonialisierung der Sozialen
Arbeit als 'Aktivierungsagentur'. Die Handlungsfähigkeit der Sozialen Arbeit kann darin
bestehen, die soziale Praxis ihrer Adressaten in ihre jeweiligen spezifischen Kontexte zu
stellen, und dabei Widersprüche und Handlungsspielräume aufzuzeigen. Die Alltags- und
Bewältigungsperspektiven in der Sozialen Arbeit geben hier interessante Impulse.
4.2.3. Alltag und EigenSinn
„Das Ziel der 'gut integrierten Persönlichkeit' ist verwerflich, weil es dem Individuum jene Balance der Kräfte
zumutet, die in der bestehenden Gesellschaft nicht besteht und nicht bestehen sollte. (...) Man lehrt den einzelnen
die objektiven Konflikte zu vergessen, die in jedem notwendig sich wiederholen, anstatt ihm zu helfen, sie
auszutragen. (…) Es sind Brechungen in den Individuen, das was sich der Zwanghaftigkeit der
Subjektintegration entzieht, das auf die Widersprüche der Gesellschaft hinweist (Demirovic S. 168f.).
Demirovic bezieht sich auf Adorno, der die Normalisierungsprozesse der Moderne kritisiert,
in dem „das sperrige, das Fragwürdige am Individuum vernichtet würde durch eine Strategie
der gesunden Anpassung“ (ebd.). Die Soziale Arbeit hat für dieses Ziel der 'gesunden
Anpassung' des Individuums sowie von Gruppen eine wichtige Rolle gespielt. Johannes Stehr
weist auf die Gefahr der Kolonisierung des Alltags der Adressaten von Institutionen und
54
Experten durch Etikettierungsprozesse hin, die dem Ziel der sozialpolitischen 'Regulierung'
dienen (vgl. Stehr, 2013 S. 347ff). Castro Varela macht außerdem aufmerksam auf NGOs, die
die Interessen der 'Ärmsten der Armen' zu repräsentieren beanspruchen und damit verhindern,
dass die Subalternen ihre eigenen Bedürfnisse artikulieren können (vgl. Castro Varela, 2013 S.
320). Somit wird das, was 'einzigartig' ist, das was nur dem Subjekt gehört, in die
symbolischen Repräsentanten oder in das 'Regime der Selbstverständlichkeit' aufgesaugt.
Aber wie Helga Crämer-Schäfer betont, „Menschen gestalten ihr Leben selbst, aber nicht aus
eigenen Stücken, Menschen verhalten sich in Bezug auf Optionen und Zwänge gleichsam
kontrafaktisch wie 'Gestalter ihres Lebens'“ (vgl. Stehr S. 348). Sie verhalten sich zu den
Verhältnissen in einer 'eigensinnigen' Weise. Sie 'stählen ihren Sinn' (vgl. Moore) in
Praktiken, die mal widerständig, mal angepasst sind.
Hier kann die Alltagsperspektive in der Sozialen Arbeit interessant sein, die auf EigenSinn der
Akteure aufmerksam macht. Durch diesen EigenSinn setzen sie die 'non-logical' logics of
everday life' als Kontrapunkt gegen die Pseudo-Konkretheit34 bzw. die Selbstverständlichkeit
des Alltags (vgl. Stehr S. 351). Stehr versteht EigenSinn als „Moment und Potential einer
nicht-institutionellen Perspektive“. Er zitiert Negt und Kluge, die EigenSinn als „den auf
einen Punkt zusammengezogenen Protest gegen Enteignung, (als) Resultat der Enteignung der
eigenen Sinne, die zur Außenwelt führen“ verstehen. „Was gesellschaftlich an Motiven der
Rebellion enteignet wurde, lebt dort weiter, wo es am geschütztesten ist, im Subjekt“ (ebd. S.
348f.). Die kritische Alltags- und Eigensinns-Perspektive, in der Soziale Arbeit als
'subterranean counter traditions'35 begriffen wird, schaut nach Bedingungen, unter welchen
das Handeln der Adressaten als bornierte Anpassung geschieht oder als Subversion erscheint
(vgl. ebd. S. 351). Sie schauen nach Gesellschaftskonstellationen, die sich im
widersprüchlichen Handeln und Identitäten der Akteure im Alltag zeigt (ebd.). „Eine
Konturierung der Logik des Alltags will soziale Praktiken sichtbar machen, die nicht völlig in
den herrschaftlich durchdrungenen Kategorisierungen, normierten Identitäten und
Subjektivierungsregimen aufgehen, die aber auch nicht alle per se als widerständige oder
subversive Praktiken bezeichnet werden können“ (ebd. S. 348).
Der eigensinnigenAlltag der Adressaten ist voller Widersprüche, Konflikte, aber auch voller
Phantasie und Kreativität. Diese werden oft auch durch die Soziale Arbeit enteignet, indem
gesellschaftliche Konflikte und Widersprüche in den Einzelnen verlagert und dort 'bearbeitet'
werden. Beispiele dafür sind die institutionellen Kontexte, in dem durch psychologische,
pädagogische und kriminologische Diskurse und Praktiken die Adressaten 'fit für den Alltag'
bzw. die Gesellschaft gemacht werden. Eine kritische Alltags- und Eigensinnsperspektive
34 Stehr bezieht sich auf Kosik und Gardiner hier.35 Johannes Stehr bezieht sich auf Gardiner
55
dagegen versucht dem 'Raub der Konflikte und Raub der Utopie'36 der Einzelnen entgegen zu
wirken, indem die Perspektiven der Adressaten und ihre eigenen Deutungen, 'Scripts', zur
Geltung kommen. Gleichzeitig werden darin die gesellschaftlichen Widersprüche aufgedeckt,
die damit zusammenhängen. In dem widersprüchlichen und phantasievollen Alltag von
Adressaten könnte Soziale Arbeit Spielräume für die Aneignung von moralischer Empörung
bzw. Widerstand sowie sozialer Imagination erkennen und sichtbar machen. Wie Arundhati
Roy sagt: „Another world is not only possible, she is on her way. On a quiet day I can hear
her breathing“ (Bucko/Fox S. XXIV).
5. Fazit
Welche Anregungen würden Jellaluddin Rumi, Martin Luther King oder Panchos Ramos-
Stierle zur Sozialen Arbeit anbieten? Anders formuliert: Welche Impulse aus den sozialen und
religiösen Bewegungen kann die Soziale Arbeit für sich fruchtbar machen? Im Hinblick auf
die vorher thematisierten Bewegungen lassen sich folgende Andeutungen entwickeln:
Schöpferische Soziale Arbeit
Der radikale Spruch von Al Hallaj 'Ana'l Haqq' ('Ich bin die schöpferische Wahrheit') könnte
darauf hinweisen, dass die Soziale Arbeit das kreative Potential ihrer Adressaten, ihr 'Sein'
und 'Handeln' selbstbestimmt zu gestalten, ernst nimmt und unterstützt. Die Soziale Arbeit
kann aber auch sich selbst einen schöpferischen EigenSinn einräumen und eigene
wissenschaftliche und praxisbezogene Positionierungen entwickeln. Insbesondere was die
disziplinarische Forschung angeht, sind Wissenschaftler aufgefordert:
„to go beyond their current practices of armchair scholarship. Such a move engenders an epistemic pluralist
methodology that includes the firsthand subjective and inter-subjective data of lived experience rather than
relying solely on conceptual knowledge acquired through text-like verbal utterances“ (Bühler 2014 o. S.).
Interdisziplinarität kann hier gegen 'Monocultures of the mind'37 wichtig werden. Nach der
Sufi-Philosophie 'Stirb bevor du stirbst' könnten die Akteure der Sozialen Arbeit jegliche
Form von Dogmatismus, Automatismus und Faschismus im eigenen Denken und Handeln in
Frage stellen. Sie sind gefordert ihre Mythen und ihre Expertokratie aufzugeben und sich mit
den Adressaten auf 'radical participation' einzulassen.
36 Vgl. Rainer Treptow.37 Vgl. Vandana Shiva empfiehlt 'Bio-Diversity', sowohl in der Ökologie als auch im Sozialen.
56
Ekstatische Soziale Arbeit
Die Soziale Arbeit ist aufgerufen ihre Fixierung auf evidenzbasierte Wissenssysteme und
Handlungspraxen aufzugeben und erfahrungsbasiertes Wissen ihrer Akteure und Adressaten
ernst zu nehmen, die nicht in das gewöhnliche Raster von akademischer Glaubwürdigkeit
passen. Erfahrungen mystischer oder spiritueller Natur sind wichtige biographische und
alltägliche Wirkkräfte. Sie können vermeintlich logische Denkweisen durchbrechen und zu
einem veränderten sozialen Bewusstsein führen, und so gesehen auf ihr Potential, soziale
Veränderung herbei zu führen, geprüft werden.
Begeisterte Soziale Arbeit
In Bezug auf soziale Veränderung ist die Soziale Arbeit aufgefordert, ihre bürokratischen
Litaneien zu verkürzen, unterdessen Menschen im Gemeinwesen oder sozialen Raum
verwaltet und bearbeitet werden. Vielmehr sollen Möglichkeiten gesucht werden,
Gemeinschaft zu erschaffen, also Bindungen zwischen Menschen zu ermöglichen, die der
Bildung von sozialer Imagination und moralischer Empörung dienlich sind, so wie die
Beloved Community der Bürgerrechtsbewegung. Diese sollte nicht beschränkt sein auf
intellektuelle bzw. akademische Arbeitsgruppen (wie AKS), sondern auf die Partizipation von
Adressaten zielen. Hier kann Soziale Arbeit Anregungen holen von den bislang
anthropologisch erforschten Themen der 'Collective Effervescence und Communitas'38. Das
Potential dieser Ideen kann besonders in Bezug auf die Erschaffung von sozialen Räumen
ausgelotet werden. Hierbei können kollektive, kreative Rituale (z. B. Raves etc.) als wichtige
Handlungsmodi der Sozialen Arbeit dienen, um lebendige 'communities' zu kultivieren.
Neugierige Soziale Arbeit
Veränderung braucht Verstehenszugänge, so Chomsky, die nur durch gegenseitiges lernen
geschehen können. Im Sinne einer radikalen Partizipation bedeutet dies: „It means learning.
And you learn through participation. You learn from others. You learn from the people you are
trying to organize“ (Chomsky S. 44). Soziale Arbeit könnte sich auf die Idee einlassen, dass
sie von ihren Adressaten genau soviel lernen kann wie von den vermeintlich unverzichtbaren
'Supervisoren'. Lernen ist hier nicht nur mit einem technokratischen 'Mehrwert' des Wissens
38 Tim Olaveson beschreibt die beide Phänomene folgendermaßen: „Collective effervescence and communitasare events. They are the magical moments that give ritual its power. The individual arrives at this point because the ritual is representative of the social ideal. By participating, the individual is brought in on the ground floor of social creation; they get to return to the founding moments of their societies, and through representative acts of prescribed actions get to renew the covenant, so to speak. Normal social rules are typically suspended during such rituals, and there arrives an opportunity to continue the course of society or break from it. The social goals can be adapted and adjusted. The ritual becomes a renegotiation of terms between the outside world and society as well as the inside actions of individuals and the requirements of society.“ (Olaveson, o.S.)
57
verbunden. Vielmehr ist es als ein Prozess des 'mutual mentoring' (vgl. Bucko/Fox S.150) zu
verstehen, das Einsichten in widersprüchliche und kreative Lebenswirklichkeiten ermöglicht.
Eine andere Möglichkeit des demokratischen Lernens ist es, Gemeinschaftsräume zu
erschaffen, in dem Adressaten von einander lernen können. Forschungsmethoden aus der
Anthropologie wie Ethnobiography und Ethnoautobiography39 könnten interessante Impulse
für die Möglichkeit der partizipativen Forschung liefern.
Authentische Soziale Arbeit
Die Soziale Arbeit könnte prüfen, inwiefern ihre Legitimationsinstanzen im Sinne eines
'perception management' (vgl.Roy) ihre Auftragslage, Mandat, Funktion, und Arbeitskultur
beeinflussen und bedingen. Die Einbettung der Sozialen Arbeit in der 'NGOization of
resistance' (vgl. Roy o. S.) im Sinne der Entpolitisierung von sozialen Konflikten müsste
geprüft werden. Castro Varela macht hier aufmerksam auf das Potential der Wut: „Sie passt
nicht in so populär gewordene Managementkategorien wie etwa 'Teamworking' oder auch
'Empowerment'. Im Gegenteil, eben weil Wut nicht kontrollierbar ist, aber dennoch informiert
ausgelöst wird, kann es hier weder ein Qualitätsmanagement, noch eine organisierte
Ermächtigung geben. Wut ist im besten Sinne des Wortes 'Selbst-Ermächtigung'“ (Castro
Varela S. 325). Die Soziale Arbeit könnte sich verabschieden von einer Ethik, die sich
reduziert auf die sinnentleerten Worthülsen von Homepages ihrer Institutionen. Sie könnte
kreative Räume für moralische Empörung und Imagination eröffnen.
Ausblick
Ja, es ist möglich: „Hope is a verb with sleeves rolled up“ (David Orr).
39 „Part of such writing is the investigation of hybridity, categorical borderlands and transgressions, and the multiplicity of (hi)stories carried outside and inside the definitions and discourses of the dominant society of a particular place and time. As creative and evocative writing and storytelling, ethnoautobiography explores consciousness as the network of representations held by individuals from a subjective perspective and bringsthose representations into inquiring conversation with objective factors related to identity construction.“ (Vgl. Bühler S. 2014)
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[ ] = Veränderungen oder Erklärungen der Verfasserin