Projekt: Kollektives Arbeitsrecht Erster Teil: Grundlagen § 1 Begriff und System des kollektiven Arbeitsrechts I. Begriffsbestimmung Mit dem Begriff des kollektiven Arbeitsrechts bezeichnet man das Recht der Koalitionen, ihrer Verträge und Auseinandersetzungen sowie das Recht der Betriebsverfassung und der Beteiligung der Arbeitnehmer in den Unternehmensorganisationen. Der Begriff fasst zwei Rechtsbereiche zusammen, die auf einer unterschiedlichen Konzeption der Interessenvertretung für die Arbeitnehmer beruhen. Das gemeinsame Band ist ausschließlich, dass auf Seiten der Arbeitnehmer stets ein Kollektiv besteht, entweder eine auf freiwilliger Grundlage beruhende Vereinigung zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen oder ein durch die Betriebszugehörigkeit vermittelter Zusammenschluss. Die Grundsätze und Formen der Interessenvertretung sind dagegen völlig verschieden. Sie begründen eine Zweigleisigkeit des kollektiven Arbeitsrechts, die den „Dualismus zwischen der Gewerkschaftskonzeption und der Rätekonzeption, zwischen der freiwilligen (auf Mitgliedschaft beruhenden) und der allgemeinen gleichen (demokratischen) Interessenvertretung“ widerspiegelt. 1 Die Gründe der Zweigleisigkeit liegen in der Sozialgeschichte Deutschlands. Das Tarifvertragssystem und das Arbeitskampfrecht sind aus dem allgemeinen, privatrechtliche geordneten Organisations- und Verfahrenssystem hervorgegangen und deshalb auch heute noch 1 Ramm, JZ 1977, 1 ( 2). 1
51
Embed
Projekt: Kollektives Arbeitsrecht Erster Teil: Grundlagen ... · Das die Vertragsfreiheit beherrschende Prinzip paritätischer Verhandlung und Einigung konnte aber wegen der Massenarmut
This document is posted to help you gain knowledge. Please leave a comment to let me know what you think about it! Share it to your friends and learn new things together.
Transcript
Projekt: Kollektives Arbeitsrecht
Erster Teil: Grundlagen
§ 1 Begriff und System des kollektiven Arbeitsrechts I. Begriffsbestimmung
Mit dem Begriff des kollektiven Arbeitsrechts bezeichnet man das Recht
der Koalitionen, ihrer Verträge und Auseinandersetzungen sowie das
Recht der Betriebsverfassung und der Beteiligung der Arbeitnehmer in
den Unternehmensorganisationen. Der Begriff fasst zwei Rechtsbereiche
zusammen, die auf einer unterschiedlichen Konzeption der
Interessenvertretung für die Arbeitnehmer beruhen. Das gemeinsame
Band ist ausschließlich, dass auf Seiten der Arbeitnehmer stets ein
Kollektiv besteht, entweder eine auf freiwilliger Grundlage beruhende
Vereinigung zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und
Wirtschaftsbedingungen oder ein durch die Betriebszugehörigkeit
vermittelter Zusammenschluss. Die Grundsätze und Formen der
Interessenvertretung sind dagegen völlig verschieden. Sie begründen eine
Zweigleisigkeit des kollektiven Arbeitsrechts, die den „Dualismus zwischen
der Gewerkschaftskonzeption und der Rätekonzeption, zwischen der
freiwilligen (auf Mitgliedschaft beruhenden) und der allgemeinen gleichen
Seitdem sind aus einer Fusion die folgenden Gewerkschaften
hervorgegangen: Die IG Bergbau und Energie und die IG Leder wurden
mit der IG Chemie-Papier-Keramik zur IG Bergbau-Chemie-Energie
zusammengeschmolzen. Die IG Bau-Steine-Erden wurde durch
Verschmelzung mit der Gewerkschaft Gartenbau, Land- und
Forstwirtschaft zur IG Bau-Agrar-Umwelt, und die Gewerkschaft Textil-
Bekleidung und die Gewerkschaft Holz und Kunststoff sind in der IG Metall
aufgegangen. Am 18.5.2001 fand der bisher größte und bedeutendste
Zusammenschluss statt: Die Deutsche Angestelltengewerkschaft (DAG),
die Deutsche Postgewerkschaft (DPG), die Gewerkschaft Handel, Banken
und Versicherungen (HBV), die IG Medien und die ÖTV schlossen sich zu
der Vereinigten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) zusammen.
Die Gewerkschaften im Deutschen Gewerkschaftsbund hatten am
31.12.1994 9.768.373 (am 31.12.1991 sogar 11.800.412) Mitglieder. Am
31.12.2005 gehörten ihnen 6.778.429 Mitglieder an.
25
Die zweitgrößte Gewerkschaftsorganisation ist der Deutsche
Beamtenbund. Er ist die Spitzenorganisation von 40 Gewerkschaften des
öffentlichen Dienstes und des privatisierten Dienstleistungssektors und
vertritt die Interessen von 1,25 Millionen Mitgliedern.
Mit ca. 300.000 Mitgliedern ist der Christliche Gewerkschaftsbund
Deutschlands der drittgrößte Gewerkschaftsdachverband in der
Bundesrepublik Deutschland. Ihm gehören 16 Einzelgewerkschaften an,
unter ihnen die Christliche Gewerkschaft Metall (CGM), deren
Tariffähigkeit das BAG nach einem Jahre währenden Rechtsstreit mit der
IG Metall im Beschluss vom 28.3.2006 anerkannt hat.23
Keiner Spitzenorganisation gehört der Marburger Bund an, der als einzige
tariffähige Ärztegewerkschaft in Deutschland angestellte und beamtete
Ärzte vertritt. Mit rund 100.000 Mitgliedern ist er Europas größte Ärzte-
Organisation auf freiwilliger Grundlage. Bestritten ist die
Gewerkschaftseigenschaft der 2003 gegründeten Gewerkschaft der
Flugsicherung, die Fluglotsen und Flugsicherungstechniker organisiert.24
Ein Spitzenverband ist der Deutsche Führungskräfteverband (ULA). Unter
seinem Dach sind fünf Verbände zusammengeschlossen, die rund 50.000
Führungskräfte der privaten Wirtschaft vertreten. Zu diesen
Führungskräften zählt der Verband Leitende Angestellte im Rechtssinn,
also insbesondere die leitenden Angestellten, die nach § 5 Abs. 3 BetrVG 23 NZA 2006, 1112 ff. 24 Bejahend LAG Hessen 22.7.2004 AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 168;
verneinend LAG Rheinland-Pfalz 22.6.2004 AP GG Art. 9 Arbeitskampf
Nr. 169.
26
nicht zu der vom Betriebsrat repräsentierten Belegschaft gehören, und
außertariflich entlohnte Angestellte mit Leitungsverantwortung. Der größte
Führungskräfteverband ist der Verband angestellter Akademiker und
leitender Angestellter der chemischen Industrie (VAA), der die Interessen
von über 27.000 Mitgliedern aus der chemischen Industrie und den
angrenzenden Branchen vertritt.
3. Geschichtliche Entwicklung und Organisationsstruktur der Arbeitgeberverbände
Die Arbeitgeberverbände sind in Reaktion auf die Gewerkschaften
entstanden. Der erste Arbeitgeberverband, der im Januar 1869 gegründet
wurde, ist der Deutsche Buchdruckerverein gewesen. Ursprünglich
verstanden die Arbeitgeberverbände sich lediglich als Abwehrorganisation
gegenüber den Gewerkschaften. Die Idee des Tarifvertrages ist nicht von
ihnen, sondern von den Gewerkschaften durchgesetzt worden. Das
Verhältnis zu den Gewerkschaften änderte sich erst während des Ersten
Weltkrieges, vor allem erst durch das Stinnes-Legien-Abkommen vom
15.11.1918, in dem die Arbeitgeber die Gewerkschaften als berufene
Vertreter der Arbeitnehmer anerkannten.
Nachdem in der Zeit des Nationalsozialismus mit den Gewerkschaften
auch die Arbeitgeberverbände beseitigt waren, konnten sie nach 1945 nur
langsam und unter erheblichen Schwierigkeiten durch die
Besatzungsmächte gebildet werden. Unterstützt wurde ihr Entstehen vor
allem durch die Gewerkschaften, da ohne eine Verbandsorganisation der
Arbeitgeber auch eine Beteiligung der Gewerkschaften an der
27
Arbeitsverfassung nicht funktionieren kann. Spitzenorganisation der
Arbeitgeberverbände ist die Bundesvereinigung der Deutschen
Arbeitgeberverbände, die 1949 aus der Sozialpolitischen
Arbeitsgemeinschaft der Arbeitgeber des Vereinigten Wirtschaftsgebietes
hervorging.
Die Arbeitgebervereinigungen sind in erheblichem Maße zersplittert. Auf
unterster Ebene bestehen fachlich und gemischt gewerbliche Verbände.
Sie haben sich zumeist in einer Landesvereinigung
zusammengeschlossen, z.B. der Vereinigung der Arbeitgeberverbände in
Bayern. Daneben besteht aber teilweise auch ein überregionaler
Zusammenschluss der Fachverbände, z.B. der Gesamtverband der
Arbeitgeberverbände der Metall- und Elektroindustrie (GESAMTMETALL),
der Gesamtverband der deutschen Textil- und Modeindustrie und die
Vereinigung der Arbeitgeberverbände der Deutschen Papierindustrie
(VAP). Die Landesverbände und Fachverbände sind in der
Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
zusammengefasst.
Nicht zur Bundesvereinigung gehören namentlich folgende Verbände:
Tarifgemeinschaft Deutscher Länder, die Vereinigung der kommunalen
Arbeitgeberverbände, die Arbeitgeberverbände der Eisen- und
Stahlindustrie e.V. (weil in ihre Organe Personen berufen werden, die von
Arbeitnehmerorganisation abhängig sind - Prinzip der Unabhängigkeit von
der Gegenseite).
II. Begriffsmerkmale und Organisationsrecht
Für das Verbandsrecht der Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände gibt
28
es keine besondere Gesetzesregelung. Ihre Organisation richtet sich nach
dem Vereinsrecht des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Da mit ihnen vom
Grundrecht der Koalitionsfreiheit Gebrauch gemacht wird, müssen sie die
folgenden Voraussetzungen erfüllen:
• Die Vereinigung muss als freiwilliger Zusammenschluss mit
korporativer Organisation auf der Ebene des Privatrechts errichtet
sein. Sie kann als Verein mit nichtwirtschaftlicher Zielsetzung die
Rechtsfähigkeit durch Eintragung im Vereinsregister erlangen.
Doch ist sie – wie aus traditionellen Gründen für Gewerkschaften
im DGB – keine Voraussetzung, um den kollektivrechtlichen Status
der Koalition in der Arbeitsverfassung anzuerkennen.
• Die Vereinigung muss dem Gebot der Koalitionsreinheit
entsprechen. Es dürfen in einer Gewerkschaft keine Arbeitgeber
und in einem Arbeitgeberverband keine Arbeitnehmer organisiert
sein. Die Vereinigung muss außerdem in ihrer Willensbildung frei
und unbeeinflusst von der Gegenseite sein.
• Zweck der Vereinigung muss sein, die Arbeits- und
Wirtschaftsbedingungen ihrer Mitglieder durch den Einsatz
spezifisch koalitionsgemäßer Gestaltungsmittel wahrzunehmen. Für
Arbeitnehmer folgt daraus, dass sie nach ihrer Satzung tariffähig
ist. Keine notwendige Voraussetzung ist allerdings die Bereitschaft
zum Arbeitskampf. Das BAG macht aber die Tariffähigkeit und
damit die Anerkennung einer Arbeitnehmervereinigung als
Gewerkschaft im arbeitsrechtlichen Sinne davon abhängig, dass
der Verband durch die Zahl seiner Mitglieder oder deren Stellung
im Arbeitsleben einen wirkungsvollen Druck und Gegendruck auf
seinen sozialen Gegenspieler auszuüben vermag.25
25 BAG 9.7.1968 AP TVG § 2 Nr. 25; 15.3.1977 AP GG Art. 9 Nr. 24;
29
• Schließlich muss die institutionelle Selbständigkeit gegenüber den
politischen Parteien und Religionsgesellschaften gewahrt sein,
auch wenn eine Neutralität zu ihnen nach der Ausrichtung in der
Satzung nicht besteht. Notwendig ist aber in jedem Fall, dass die
Koalitionsleitung mitgliedschaftlich, also durch eine entsprechend
gestaltete Wahl legitimiert ist. Man spricht insoweit von einer
demokratischen Binnenorganisation. Sie ergibt sich aber nicht aus
einem Demokratisierungsgebot, wie es Art. 21 Abs. 1 Satz 3 GG für
die Parteien enthält, sondern beruht auf dem grundrechtlichen
Charakter der Koalitionsfreiheit, der auch die Organisation einer
Koalition zu beherrschen hat.
Beschränkungen, die sich aus einem Fehlen der Rechtsfähigkeit eines
Verbands ergeben, sind für die Koalitionen weitgehend weggefallen.
Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie
Zusammenschlüsse solcher Verbände sind kraft ausdrücklicher
Bestimmung ohne Rücksicht auf die Rechtsfähigkeit parteifähig im
arbeitsgerichtlichen Verfahren (§ 10 ArbGG). Ansonsten sind
nichtrechtsfähige Vereine grundsätzlich nur passiv parteifähig (§ 50 Abs. 2
ZPO). Gewerkschaften sind jedoch darüber hinaus im Zivilprozess
allgemein aktiv parteifähig; denn eine Beschränkung auf die passive
Parteifähigkeit widerspricht der Rechtsstellung, die die Gewerkschaften in
der Arbeitsverfassung erhalten haben.26 Eine weitere Angleichung an das
Recht des rechtsfähigen Vereins ergibt sich daraus, dass für die
Verbindlichkeiten einer Gewerkschaft nur das Gewerkschaftsvermögen
haftet, die Mitglieder also nicht persönlich in Anspruch genommen werden
zuletzt vor allem BAG 28.3.2006 NZA 2006, 1112 ff. Das gilt aber nicht
für einen Arbeitgeberverband, BAG 20.11.1990 AP TVG § 2 Nr. 40.
30
können. Rechtsträger des Vereinsvermögens ist zwar bei einem
nichtrechtsfähigen Verein nicht der Verein selbst, sondern es sind die
Mitglieder, die eine Gesamthand bilden (§ 54 Satz 1 i. V. mit § 718 BGB);
die Gesamthand ist aber, obwohl nicht juristische Person, eine rechtlich
verselbständigte Organisations- und Wirkungseinheit.
Die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft oder einem Arbeitgeberverband
richtet sich nach dem Vereinsrecht des bürgerlichen Rechts. Sie wird
durch den freiwilligen Beitritt zum Verband erworben, wobei ein
Aufnahmeanspruch sich daraus ergeben kann, dass der Verband im
wirtschaftlichen oder sozialen Bereich eine überragende Machtstellung
inne hat und ein schwerwiegendes Interesse am Erwerb der Mitgliedschaft
besteht. Bei den großen, repräsentativen Verbänden hat daher einen
Anspruch auf Aufnahme, wer die satzungsmäßigen Voraussetzungen
erfüllt.
Wie jeder Verband hat auch eine Gewerkschaft oder ein
Arbeitgeberverband nach allgemeinem Vereinsrecht die Möglichkeit, ein
Mitglied auszuschließen, wenn es seine Pflichten als Mitglied verletzt hat.
Die Rechtsgrundlage muss in der Satzung enthalten sein; jedoch ist auch
ohne besondere Satzungsbestimmung ein Ausschluss aus wichtigem
Grund zulässig. Probleme hat immer wieder die Praxis der
Gewerkschaften aufgeworfen, Mitglieder, die bei einer Betriebs- oder
Personalratswahl auf einer nicht von ihnen unterstützten Liste kandidiert
haben, wegen gewerkschaftsschädigenden Verhaltens auszuschließen.
Den Gewerkschaften ist zwar durch Art 9 Abs. 3 GG verfassungsrechtlich
garantiert, Einfluss auf die Wahl der Betriebs- und Personalräte zu
nehmen; sie haben aber die Freiheit der Wahl zu respektieren. Da der
26 Vgl. BGHZ 50, 325 ff.
31
Ausschluss aus der Gewerkschaft für den betroffenen Arbeitnehmer einen
sehr erheblichen Nachteil darstellt, kommt ein Ausschluss nur in Betracht,
wenn ein Mitglied sich durch sein Verhalten bei einer Betriebs- oder
Personalratswahl in einer für die Gewerkschaft unzumutbaren Weise
generell mit deren Zielsetzung in Widerspruch setzt. Das ist der Fall, wenn
ein Arbeitnehmer auf einem Wahlvorschlag kandidiert, der von einer
konkurrierenden Gewerkschaft unterstützt wird, oder sich auf einer Liste
nominieren lässt, die von dem Programm bestimmt wird, die
Gewerkschaften allgemein oder die Grundordnung, die ihre freie
Betätigung garantiert, zu bekämpfen.
32
Dritter Teil: Tarifvertragsrecht
§ 5 Begriff und Bedeutung des Tarifvertrags für die Ordnung des Arbeitslebens
I. Begriff Der Tarifvertrag ist ein schriftlicher Vertrag, der von einer Gewerkschaft
mit einem Arbeitgeberverband oder einem einzelnen Arbeitgeber
abgeschlossen wird. Er enthält, wie es in § 1 Abs. 1 TVG heißt,
Rechtsnormen, die den Inhalt, den Abschluss und die Beendigung von
Arbeitsverhältnissen sowie betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche
Fragen ordnen (normativer Teil) und regelt die Rechte und Pflichten der
Tarifvertragsparteien (schuldrechtlicher Teil).
Die Besonderheit des Tarifvertrags wird durch seinen normativen Teil
geprägt, der bei Tarifgebundenheit eine normative Wirkung auf die
Arbeitsverhältnisse entfaltet. Aber auch er verdankt seine
Rechtsverbindlichkeit dem Vertragsschluss, durch den zwischen den
Tarifvertragsparteien eine Bindungswirkung eintritt, wie sie auch sonst
jeden privatrechtlichen Schuldvertrag auszeichnet. Zu ihr gehört, ohne
dass es einer ausdrücklichen Vereinbarung bedarf, die sog.
Friedenspflicht, die den Tarifvertragsparteien gebietet, die von ihnen
vereinbarten Regelungen als rechtsverbindlich anzuerkennen, und ihnen
daher verbietet, sie während der Dauer des Vertrags durch
Kampfmaßnahmen zu ändern. Ergänzt wird diese Friedenspflicht vielfach
durch die sog. Durchführungspflicht, die es den Tarifvertragsparteien zur
Aufgabe macht, darauf einzuwirken, dass die von ihnen vereinbarten
Regelungen durchgeführt werden. Dieser Pflichtenkreis stellt nichts
33
anderes dar, als das Spiegelbild des Grundsatzes der Vertragstreue; er ist
deshalb jedem Tarifvertrag immanent.
Die Tarifvertragsparteien können darüber hinaus Rechte und Pflichten
zwischen ihnen vereinbaren (schuldrechtlicher Teil). Dazu gehört
insbesondere die Vereinbarung, dass einem Arbeitskampf ein
Schlichtungsverfahren vorgeschaltet wird. Möglich ist weiterhin, dass ein
Tarifvertrag während der Dauer des Tarifvertrags Kampfmaßnahmen auch
zur Durchsetzung von Regelung enthält, also die jedem Tarifvertrag
immanente relative Friedenspflicht zu einer absoluten Friedenspflicht
ausgebaut wird.
II. Geschichtliche Entwicklung
Nach 1890 entdeckten die Gewerkschaften den Tarifvertrag als Instrument
ihrer Lohnpolitik. Sie hatten damit Erfolg, so dass man vom Siegeszug der
Tarifvertragsidee sprach. Ende 1913 hat es, wie berichtet wird, 13.446
Tarifverträge für 170.000 Betriebe mit 2.072.456 Arbeitern gegeben. Eine
gesetzliche Regelung erhielt der Tarifvertrag erst durch die
Tarifvertragsverordnung vom 23.12.1918. Von Bedeutung war aber vor
allem, dass sich die durch Abkommen vom 15.11.1918 gegründete
Arbeitsgemeinschaft zwischen den Spitzenverbänden der
Unternehmerschaft und der Gewerkschaften sich zum Prinzip des
Tarifvertrags bekannt hatten, den das Reichsgerichts bereits zuvor als
rechtsverbindlichen Schuldvertrag anerkannt hatte. Von Tarifverträgen
wurden daher im Jahre 1922 nicht weniger als 890.000 Betriebe mit 14,2
Mio. Arbeitnehmern erfasst.
34
Nach der Beseitigung des kollektiven Arbeitsrechts in der
nationalsozialistischen Zeit traten an die Stelle der Tarifverträge
Tarifordnungen, die von Treuhändern der Arbeit auf Grund des Gesetzes
zur Ordnung der nationalen Arbeit vom 20.1.1934 erlassen wurden; sie
waren Rechtsverordnungen. Zunächst legten sie nur
Mindestarbeitsbedingungen rechtsverbindlich fest; aber sehr bald wurde
die Ermächtigung durch Rechtsverordnungen zunächst im öffentlichen
Dienst, dann aber auch im Bereich der Privatwirtschaft auf die Festlegung
von Höchstarbeitsbedingungen erweitert. Die Lohnstoppverordnung vom
12.10.1939 beseitigte sodann allgemein die vertragliche
Gestaltungsfreiheit für die Regelung des Arbeitsverdienstes.
Nach dem Kriegsende blieben die alten Tarifordnungen in Kraft. Neue
Tarifordnungen konnten aber nicht mehr erlassen werden, seitdem das
Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit und das Gesetz zur Ordnung
der Arbeit in öffentlichen Verwaltungen und Betrieben durch die
Kontrollratsgesetze Nr. 40 vom 30.11.1946 und Nr. 56 vom 30.7.1947
aufgehoben wurden. Mit dem Wiederaufbau der Gewerkschaften und
Arbeitgeberverbände war die Möglichkeit geschaffen, Tarifverträge
abzuschließen. Diese erlangten jedoch erst wirtschaftliche Bedeutung als
der Lohnstopp aufgehoben wurde.
Eine Gesetzesregelung erhielt das Tarifvertragsrecht durch das
Tarifvertragsgesetz vom 9.4.1949, das noch für die Amerikanische und
Britische Besatzungszone, das sog. Wirtschaftsgebiet, erging. Es wurde
nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland Bundesrecht und 1953
auf die Länder der Französischen Besatzungszone erstreckt. Seit der
Wiedervereinigung bildet es die Gesetzesgrundlage für das
Tarifvertragsrecht in Gesamtdeutschland.
35
III. Bedeutung für die wirtschaftliche Ordnung Die Gewerkschaften und die Arbeitgeberverbände legen durch den
Abschluss von Tarifverträgen den Ordnungsrahmen für den Inhalt der
Arbeitsverhältnisse, insbesondere für die Arbeitsentgelte und sonstigen
materiellen Arbeitsbedingungen fest. Sie erfüllen damit eine Aufgabe, die
im öffentlichen Interesse liegt, weil die Gestaltung der Arbeitsbedingungen
wegen der instrumentalen Schwäche des Einzelarbeitsvertrages für einen
gerechten Interessenausgleich nicht dem individuellen Wettbewerb
überlassen bleiben kann. Die Besonderheit der Tarifautonomie liegt aber
gerade darin, dass die Aufgabe verfassungsrechtlich den frei gebildeten
Koalitionen zugewiesen ist, die Arbeitsbedingungen "in einem von
staatlicher Rechtsetzung frei gelassenen Raum in eigener Verantwortung
und im wesentlichen ohne staatliche Einflussnahme durch unabdingbare
Gesamtvereinbarungen sinnvoll zu ordnen" .27
Die Koalitionen erfüllen damit eine Aufgabe, die für die Existenz einer
freiheitlichen Gesellschaftsordnung wesentlich ist; denn der
Funktionsverlust des Tarifvertragssystem hätte zur Folge, dass die
Tarifautonomie durch eine autoritäre oder korporative Gestaltung der
Arbeitsverhältnisse zu ersetzen wäre, um einen sozialen
Interessenausgleich zu gewährleisten. Dennoch nehmen sie kein
staatsbezogenes, sondern ein durch den Willen ihrer Mitglieder
legitimiertes Mandat wahr.
27 BVerfGE 44, 322 (340 f.); so bereits BVerfGE 18, 18 (28); weiterhin
BVerfGE 50, 290 (367); 58, 233 (246).
36
Der Tarifvertrag wird in seiner den Wettbewerb beschränkenden Wirkung
anerkannt und ist insoweit sogar durch Art. 9 Abs. 3 GG
verfassungsrechtlich gewährleistet. Er sichert dem Arbeitnehmer, dass er
Mindestbedingungen festlegt. Für den Arbeitgeber bietet er den Vorteil,
dass hinsichtlich der Löhne und Arbeitsbedingungen die
Kalkulationsgrundlage konstant bleibt. Der Grundsatz der Vertragstreue
gibt dem Tarifvertrag zugleich den Charakter eines Friedensvertrages.
Soweit eine Angelegenheit geregelt ist, kann um sie kein Arbeitskampf
geführt werden. Außerdem schafft der Tarifvertrag, sofern er mit einem
Arbeitgeberverband abgeschlossen wird, im Verhältnis zu anderen
Unternehmen eine gleichmäßige Wettbewerbsausgangslage.
§ 6 Tariffähigkeit und Tarifgebundenheit
I. Tariffähigkeit und Tarifzuständigkeit
1. Tariffähigkeit
Partei eines Tarifvertrags können auf der Arbeitnehmerseite nur
Gewerkschaften, auf der Arbeitgeberseite einzelne Arbeitgeber und
Vereinigungen von Arbeitgebern sein (§ 2 Abs. 1 TVG). Auch
Zusammenschlüsse von Gewerkschaften und entsprechend
Zusammenschlüsse von Arbeitgebern (Spitzenorganisationen) können
selbst Parteien eines Tarifvertrags sein; jedoch muss ausdrücklich in
der Satzung vorgesehen sein, dass der Abschluss von Tarifverträgen
zu ihren satzungsgemäßen Aufgaben gehört (§ 2 Abs. 3 TVG). Fehlt
diese Festlegung in der Satzung, so sind sie nicht tariffähig, sondern
37
können lediglich im Namen der ihnen abgeschlossenen Verbände
Tarifverträge abschließen, wenn sie eine entsprechende Vollmacht
haben (§ 2 Abs. 2 TVG). Der DGB und die Bundesvereinigung der
Deutschen Arbeitgeberverbände sind nicht tariffähig; denn der
Abschluss von Tarifverträgen gehört nicht zu ihren satzungsgemäßen
Aufgaben.
Ein Verband ist nur tariffähig, wenn er als Arbeitgeber- oder als
Arbeitnehmervereinigung sich selbst zur Aufgabe gesetzt hat,
Tarifverträge abzuschließen. Der Abschluss von Tarifverträgen muss
also zu seinen satzungsmäßigen Aufgaben gehören. Mit Ausnahme
der Spitzenorganisationen (§ 2 Abs. 3 TVG) braucht aber keine
ausdrückliche Satzungsbestimmung vorzuliegen, sondern es genügt,
dass der Verband die Interessen seiner Mitglieder bei der Gestaltung
der Löhne und sonstigen Arbeitsbedingungen durch den Abschluss
von Tarifverträgen wahrnimmt.
Nach geltendem Recht kann den Koalitionen keine tarifliche Regelung
gegen ihren Willen aufgezwungen werden. Wenn ein Verband nach
seiner Satzung zum Abschluss von Tarifverträgen nicht berechtigt ist,
kann er keinen Tarifvertrag wirksam abschließen.
2. Tarifzuständigkeit
Mit der Feststellung, dass eine Vereinigung tariffähig ist und daher
Tarifverträge abschließen kann, ist noch nicht die Frage beantwortet, ob
sie auch für den Abschluss eines bestimmten Tarifvertrags zuständig ist.
Diese Befugnis bezeichnet man als Tarifzuständigkeit. Sie darf nicht mit
dem Geltungsbereich eines bestimmten Tarifvertrags verwechselt werden,
sondern ist im Gegenteil die Fähigkeit, Tarifverträge mit dem in ihm
38
festgelegten Geltungsbereich abschließen zu können Welchen
räumlichen, betrieblichen, fachlichen und persönlichen Geltungsbereich
ein Tarifvertrag hat, wird in ihm festgelegt. Ob er aber den vorgesehenen
Geltungsbereich haben kann, beantwortet die Tarifzuständigkeit. Da den
Verbänden koalitionsrechtlich gewährleistet ist, ihren Organisationsbereich
selbst festzulegen, ist auch die Tarifzuständigkeit ihrer Selbstbestimmung
überlassen. Maßgeblich ist daher die Satzung einer Vereinigung.
Die Tarifzuständigkeit ist für den Tarifvertrag eine
Wirksamkeitsvoraussetzung. Wegen des Vertragscharakters müssen
beide Vertragsparteien tarifzuständig sein. Fehlt auch nur einer
Tarifvertragspartei die Tarifzuständigkeit, so ist der Tarifvertrag nicht
wirksam.
3. Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers
Nach § 2 Abs. 1 TVG sind tariffähig nicht nur die Gewerkschaften und
Vereinigungen von Arbeitgebern, sondern auch einzelne Arbeitgeber. Vom
Verbandstarifvertrag unterscheidet man daher den Firmentarifvertrag, der
mit einem Arbeitgeber abgeschlossen. Vielfach bezeichnet man ihn auch
als Haustarifvertrag.
Die Tariffähigkeit ist dem einzelnen Arbeitgeber um der Achtung seiner
negativen Koalitionsfreiheit willen beigelegt worden. Der Abschluss von
Tarifverträgen soll nicht dadurch unmöglich gemacht werden, dass ein
Arbeitgeber keinem Arbeitgeberverband beitritt. Aber auch der
Arbeitgeber, der sich einer Koalition anschließt, bleibt tariffähig. Der Große
Senat des BAG hat in seinem Beschluss zur Aussperrung vom 21.4.1971
zwar offen gelassen, ob die gesetzliche Regelung des § 2 Abs. 1 TVG in
jedem denkbaren Fall anwendbar sei, insbesondere bei den "kleinen"
39
Arbeitgebern, die nicht in der Lage seien, einen wirkungsvollen Druck oder
Gegendruck auszuüben.28 Bezweifelt wird jedoch nicht die Tariffähigkeit;
der Hinweis kann vielmehr nur dahin verstanden werden, dass ein
"kleiner" Arbeitgeber möglicherweise nicht durch einen Streik zum
Abschluss eines Firmentarifvertrages gezwungen werden kann.
Vom Firmentarifvertrag. ist der firmen-, betriebs- oder
unternehmensbezogene Verbandstarifvertrag zu unterscheiden, der mit
einem Arbeitgeberverband abgeschlossen wird, in seinem
Geltungsbereich aber auf einen bestimmten Betrieb oder ein bestimmtes
Unternehmen beschränkt wird. Durch diese Begrenzung im
Geltungsbereich unterscheidet er sich von dem sog. Flächentarifvertrag.
Ein derartiger Verbandstarifvertrag ist grundsätzlich zulässig. Allerdings
darf der Arbeitgeberverband durch seinen Abschluss nicht die gegenüber
dem Mitglied bestehende Pflicht zur Gleichbehandlung verletzen.
II. Tarifgebundenheit als Voraussetzung der unmittelbaren und zwingenden Geltung 1. Tarifgebundenheit und Satzungsautonomie
Während die Tariffähigkeit regelt, wer einen Tarifvertrag abschließen
kann, bestimmt die Tarifgebundenheit, wer den tarifvertraglichen
Rechtsnormen unterliegt. Sie ist vom persönlichen Geltungsbereich, den
die Tarifvertragsparteien für ihre Regelung vereinbaren, zu unterscheiden.
Sie setzt der tarifvertraglichen Regelungsbefugnis eine personelle
Schranke.
28 AP GG Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 43.
40
Tarifgebunden sind im gesetzlichen Regelfall der Arbeitgeber, der selbst
Partei des Tarifvertrags ist, und die Mitglieder der Tarifvertragsparteien (§
3 Abs. 1 TVG). Die Tarifgebundenheit ist insoweit das Spiegelbild der
Tariffähigkeit. Sofern der Tarifunterworfene nicht, wie nur dem Arbeitgeber
möglich, selbst Partei des Tarifvertrags ist, knüpft die Tarifgebundenheit
an die Verbandszugehörigkeit der Arbeitgeber und Arbeitnehmer, ohne
weitere Angaben zu machen. Wie bei der Tariffähigkeit stellt sich deshalb
auch hier die Frage, wer über die Tarifgebundenheit entscheidet. Da
tariffähig nur ein freiwilliger Zusammenschluss ist, kann auch die
Tarifbindung sich grundsätzlich nur auf Arbeitgeber und Arbeitnehmer
erstrecken, die dem Verband freiwillig beigetreten sind. Da die
Mitgliedschaft sich ausschließlich nach dem Vereinsrecht, insbesondere
also nach der Satzung, richtet, wird die Tarifgebundenheit der
organisierten Arbeitgeber und Arbeitnehmer erst durch deren
Unterwerfung unter die tarifvertragliche Gestaltungsmacht begründet. Die
Befugnis der Tarifvertragsparteien zu autonomer Rechtsetzung ist
mitgliedschaftlich legitimiert.
Tarifgebunden ist deshalb nur, wer durch seinen Beitritt zu dem
tarifschließenden Verband zugleich den Zweck der Vereinigung billigt,
Tarifverträge für seine Mitglieder abzuschließen, und sich auch insoweit
der Vereinsgewalt unterwirft. Das BAG hat deshalb die Tarifgebundenheit
verneint, wenn jemand lediglich "Gastmitglied" eines tariffähigen
Arbeitgeberverbandes ist; denn die Tarifbindung setze den Willen zum
Erwerb der Vollmitgliedschaft mit den sich aus ihr ergebenden
tarifrechtlichen Wirkungen voraus.29
29 BAG 16.2.1962 AP TVG § 3 Verbandszugehörigkeit Nr. 12.
41
Sieht ein Arbeitgeberverband nach seiner Satzung vor, dass er keine
Tarifverträge im eigenen Namen schließt, so z. B. der Bayerische
Unternehmensverband Metall und Elektro e. V. (BayME), so begründet die
Mitgliedschaft in diesem Verband keine Tarifgebundenheit.
Ausgeschlossen ist durch die Satzung bereits die Tariffähigkeit des
Verbands. Von diesem Fall zu unterscheiden ist, dass ein
Arbeitgeberverband neben der Mitgliedschaft, die eine Tarifgebundenheit
begründet, eine sog. OT-Mitgliedschaft (Ohne-Tarifbindung-Mitgliedschaft)
anbietet. Bei dieser verbandsinternen Lösung ist der Verband nach seiner
Satzung tariffähig und auch tarifzuständig.30 Die von ihm geschlossenen
Tarifverträge gelten aber nicht für die Arbeitgeber, die dem Verband auf
Grund einer OT-Mitgliedschaft angehören. Das gilt jedenfalls, wenn diese
Arbeitgeber nach der Satzung des Verbands keinen Einfluss auf dessen
Tarifpolitik nehmen.
2. Beginn und Ende der Tarifgebundenheit
Zum Verständnis der gesetzlichen Regelung muss man zwischen der
potentiellen und der aktuellen Tarifgebundenheit unterscheiden. Die
potentielle Tarifgebundenheit bedeutet, dass jemand der tariflichen
Rechtsetzungsgewalt unterworfen ist, während mit der aktuellen
Tarifgebundenheit die Bindung an einen bestimmten Tarifvertrag gemeint
ist. Die potentielle Tarifgebundenheit beginnt mit dem Beitritt zu einem
tarifschließenden Verband; sie endet mit dem Ausscheiden aus diesem
Verband. Wird während der Verbandszugehörigkeit ein Tarifvertrag
abgeschlossen, so tritt mit Inkrafttreten seiner Regelung die aktuelle
30 BAG 18.7.2006, NZA 2006, 1225 ff.
42
Tarifgebundenheit ein. Für bereits bestehende Tarifverträge beginnt sie
mit dem Verbandsbeitritt. Eröffnet die Satzung die Möglichkeit, dem
Verband rückwirkend beizutreten, führt dies nicht zu einem rückwirkenden
Beginn der Tarifgebundenheit.
Wenn das Mitglied aus dem tarifschließenden Verband ausscheidet, endet
die potentielle, nicht aber die aktuelle Tarifgebundenheit, also die Bindung
an einen bestimmten Tarifvertrag. Diese bleibt vielmehr, wie sich aus § 3
Abs. 3 TVG ergibt, bestehen, bis der Tarifvertrag endet. Die aktuelle
Tarifgebundenheit kann also nicht durch Austritt aus dem
tarifschließenden Verband beseitigt werden (sog. Nachbindung). Sie
endet, wenn der Tarifvertrag geändert wird). Keine Nachbindung tritt ein,
wenn eine Tarifvertragspartei aufgelöst wird.
III. Bezugnahme auf einen Tarifvertrag im Arbeitsvertrag Sind die Arbeitsvertragsparteien nicht tarifgebunden, so haben die
Tarifnormen, wenn wie im Regelfall der Tarifvertrag nicht für
allgemeinverbindlich erklärt ist oder auf Grund einer Rechtsverordnung
Anwendung findet, für den Inhalt des Arbeitsverhältnisses keine
Tarifgeltung. Da die Vielzahl der Arbeitsverhältnisse aber heute in ihrer
Eigenart und Besonderheit nicht durch Gesetz, sondern durch Tarifvertrag
geregelt ist, werden Tarifverträge, die innerhalb eines Wirtschaftszweiges
die maßgebliche Ordnung für die Gestaltung der Arbeitsbeziehungen
festlegen, im allgemeinen auch den Arbeitsverhältnissen mit nicht
tarifgebundenen Arbeitnehmern zugrunde gelegt. Die Tarifnormen gelten
in diesem Fall aber nicht normativ, sondern entweder als Bestandteil des
Einzelarbeitsvertrags oder auf Grund betrieblicher Übung. Sie haben
deshalb auch keinen Vorrang vor einer abweichenden Vertragsgestaltung,
43
sondern gelten im Gegenteil nur nach Maßgabe des Arbeitsvertrags für
den Vertragsinhalt.
Die Gestaltung der Bezugnahme kann sehr verschieden sein. Möglich ist,
dass eine Tarifvertragsregelung nur inhaltsgleich in den
Einzelarbeitsvertrag übernommen wird. Sonderregelungen für den
Tarifvertrag im Gesetzesrecht wie die Öffnungsklauseln finden auf diesen
Fall allerdings keine Anwendung. Sie kommen nur in Betracht, wenn auf
den Tarifvertrag durch Einbeziehungsabrede Bezug genommen wird.
Die Arbeitsvertragsparteien können frei darüber bestimmen, ob ein bereits
bestehender Tarifvertrag einbezogen werden soll (statische Verweisung)
oder ob die jeweils gültige Fassung eines bestimmten Tarifvertrags
maßgebend sein soll (dynamische Verweisung). Die dynamische
Verweisung kann darin bestehen, dass auf den Tarifvertrag in seiner
jeweils gültigen Fassung Bezug genommen wird, in dessen
Geltungsbereich der Arbeitnehmer bei Begründung des
Arbeitsverhältnisses fällt (kleine dynamische Bezugnahmeklausel), oder
es wird der für den Betrieb jeweils einschlägigen Tarifvertrag für
anwendbar erklärt (große dynamische Bezugnahmeklausel). Bei
Betriebsinhaberwechsel ist dieser Unterschied von Bedeutung, weil nur im
letzteren Fall bei einem Wechsel des Betriebs in einen anderen
Geltungsbereich ein Tarifwechsel eintritt.
Das BAG hat die Bezugnahmeklausel, wenn der Arbeitgeber
tarifgebunden ist, als Gleichstellungsabrede interpretiert, d. h. der
Arbeitnehmer wird so gestellt, als wäre er tarifgebunden.31 Bei
dynamischer Verweisung auf einen Verbandstarifvertrag sollte daher bei
44
einem Verbandsaustritt des Arbeitgebers wegen der dadurch
eingetretenen Beendigung der Tarifgebundenheit die Bezugnahmeklausel
ihre Dynamik verlieren. Wenn dagegen der Arbeitgeber bei Vereinbarung
der Bezugnahmeklausel nicht tarifgebunden ist, entfällt die Möglichkeit
einer Interpretation als Gleichstellungsabrede. Bei dynamischer
Verweisung richtet sich deshalb ausschließlich nach dem Wortlaut der
Bezugnahmeklausel, ob die Dynamik bei einer Änderung des Tarifvertrags
bestehen bleibt. Nichts anderes kann aber auch bei Tarifgebundenheit des
Arbeitgebers gelten, so dass durch dessen Verbandsaustritt allein keine
Änderung der Rechtslage eintritt.32
§ 7 Abschluss und Beendigung von Tarifverträgen I. Abschluss Der Tarifvertrag ist, auch soweit er Rechtsnormen enthält, ein
rechtsgeschäftlicher Tatbestand. Er kommt durch Vertrag zustande
(§§ 145 ff). Partner des Tarifvertrages kann aber nur eine tariffähige
Person oder Vereinigung sein.
Eine weitere Besonderheit ergibt sich daraus, dass der Tarifvertrag
Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Beziehungen gestaltet. Wird er zwischen
mehreren Personen oder Vereinigungen abgeschlossen, so kann es sich
stets nur darum handeln, dass der Vertrag auf der einen oder der anderen
Seite mehrere Parteien aufweist (mehrgliedriger Tarifvertrag).
Beispielsweise ist der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst´(TVöD) auf
der Arbeitgeberseite mit der Bundesrepublik Deutschland und der
31 Vgl. BAG 26.9.2001, 27.11.2002 und 19.3.2003 AP TVG § 1
Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 21, 28 und 33. 32 So nunmehr auch BAG 14.12.2005 NZA 2006, 607.
45
Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände abgeschlossen. Bei
mehreren Parteien auf der einen, der anderen oder beiden Seiten besteht
zwischen den Vertragspartnern keine rechtliche Gemeinschaft,
insbesondere keine Gesamthand. Die Rechtslage ist vielmehr im
Allgemeinen so, als handelte es sich um mehrere selbständig
abgeschlossene Tarifverträge.
Der Tarifvertrag bedarf der Schriftform (§ 1 Abs. 2 TVG). Lediglich
mündlich geschlossene Tarifverträge sind nichtig (§ 125 BGB).
II. Geltungsbereich eines Tarifvertrags Die Tarifvertragsparteien legen den Geltungsbereich ihrer Regelung selbst
fest, dürfen dabei aber nicht ihre Tarifzuständigkeit überschreiten.
Voraussetzung der normativen Wirkung ist weiterhin, dass die Personen,
auf die der normative Teil des Tarifvertrags sich erstrecken soll,
tarifgebunden sind.
Man unterscheidet den räumlichen, betrieblichen, fachlichen, persönlichen
und zeitlichen Geltungsbereich. Mit dem räumlichen Geltungsbereich ist
die Unterscheidung nach dem Tarifgebiet gemeint. Beim betrieblichen
Geltungsbereich geht es um die Art des Betriebs. Er ist von besonderer
Bedeutung, weil die Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände
überwiegend nach dem Industrieverbandsprinzip organisiert sind. Mit dem
fachlichen Geltungsbereich wird der betriebliche Geltungsbereich
eingeschränkt. Bei ihm geht es um die Art und Tätigkeit, also darum, ob
der Tarifvertrag für technische oder kaufmännische Angestellte gilt. Mit
dem persönlichen Geltungsbereich wird festgelegt, welche Merkmale
persönlicher Art ein Arbeitnehmer erfüllen muss. Hierher gehört, dass ein
46
Tarifvertrag nur für Arbeiter oder Angestellte gelten soll. Schließlich wird
mit dem zeitlichen Geltungsbereich festgelegt, wann der Tarifvertrag in
Kraft tritt und wann er sein Ende finden soll.
III. Beendigung des Tarifvertrags Für die Beendigung gelten die allgemeinen Grundsätze, die für vertraglich
begründete Dauerrechtsbeziehungen entwickelt sind. Grundsätzlich
werden die Tarifverträge auf bestimmte Zeit abgeschlossen. Sie sollen
aber regelmäßig mit Ablauf dieser Frist nicht ihr Ende finden, sondern es
wird im Allgemeinen nur ein Termin bestimmt, zu dem frühestens
gekündigt werden kann. Der Tarifvertrag kann auch durch einen
Aufhebungsvertrag beendet werden. Ebenso wie die Kündigung bedarf
der Aufhebungsvertrag keiner besonderen Form.
Nach Beendigung des Tarifvertrags gelten die Rechtsnormen weiter, bis
sie durch eine andere Abmachung ersetzt werden (§ 4 Abs. 5 TVG).
IV. Publikation der Tarifverträge Gemäß § 6 TVG wird beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales ein
Tarifregister geführt, in das der Abschluss, die Änderung und die
Aufhebung der Tarifverträge sowie Beginn und Beendigung einer
Allgemeinverbindlicherklärung eingetragen werden (vgl. zu den
Übersendungs- und Mitteilungspflichten der Tarifvertragsparteien § 7
TVG). Auf die Wirksamkeit des Tarifvertrages hat die Beachtung dieser
Bestimmung keinen Einfluss; es genügt die Einhaltung der Schriftform (§ 1
47
Abs. 2 TVG).
Nach § 8 TVG sind die Arbeitgeber verpflichtet, die für ihren Betrieb
maßgebenden Tarifverträge an geeigneter Stelle im Betrieb auszulegen.
Die Bekanntgabe im Betrieb ist aber keine Wirksamkeitsvoraussetzung.
§ 8 TVG ist eine reine Ordnungsvorschrift, aus deren Verletzung keine
Schadensersatzansprüche hergeleitet werden können.
§ 8 Rechtsnormen des Tarifvertrags (Tarifvertrag als Normenvertrag) Während die Tarifvertragsverordnung vom 23.12.1918 es nur ermöglicht
hatte, Arbeitsbedingungen mit normativer Kraft festzusetzen, hat das
Tarifvertragsgesetz den Bereich des normativen Teils erheblich erweitert:
Zu ihnen gehören Rechtsnormen, die den Inhalt, den Abschluss und die
Beendigung von Arbeitsverhältnissen sowie betriebliche und
betriebsverfassungsrechtliche Fragen ordnen können (§ 1 Abs. 1 TVG),
und außerdem Rechtsnormen, die gemeinsame Einrichtungen der
Tarifvertragsparteien regeln (§ 4 Abs. 2 TVG).
I. Verhältnis des Tarifvertrags zu höherrangigem Recht 1. Grundrechtsbindung der Tarifvertragsparteien
Bereits in dem grundlegenden Urteil vom 15.1.1955 zum Grundsatz der
48
Lohngleichheit von Mann und Frau begründete das BAG seine
Entscheidung mit der Grundrechtsbindung der Tarifvertragsparteien.33 Zu
diesem Ergebnis gelangte es unter Rückgriff auf Art. 1 Abs. 3 GG, nach
dem die Grundrechte auch die Gesetzgebung als unmittelbar geltendes
Recht binden. Zur Gesetzgebung in diesem Sinne zählte es die
Tarifverträge, weil sie objektives Recht für die Arbeitsverhältnisse der
Beteiligten setzten. Diese Begründung wird nicht mehr aufrechterhalten.34
Das BAG sieht nunmehr als entscheidend an, dass die Tarifnormen auf
kollektiv ausgeübter Privatautonomie beruhen. Die Tarifvertragsparteien,
die im Rahmen des durch das Grundrecht der Koalitionsfreiheit
gewährleisteten Bereichs tätig werden, greifen nicht hoheitlich in
Grundrechte ein. Die Grundrechte setzen nur mittelbar Grenzen, weil den
Staat die Schutzpflicht trifft, Arbeitgeber und Arbeitnehmer vor einer
unverhältnismäßigen Beschränkung ihrer Grundrechte durch
tarifvertragliche Regelungen zu bewahren.
Das Grundrecht der freien Arbeitsplatzwahl (Art. 12 Abs. 1 GG) ist daher
auch gegenüber den Tarifvertragsparteien gewährleistet. Die Begründung
des Arbeitsverhältnisses sowie die Art der zugesagten Tätigkeit und deren
Umfang sind der tarifvertraglichen Regelungsbefugnis vorgegeben. Sie
festzulegen, ist Sache der Arbeitsvertragsparteien.
2. Verhältnis zum Gesetz
Soweit eine Gesetzesregelung zwingend ist, sind auch die
Tarifvertragsparteien an sie gebunden. Eine Besonderheit ergibt sich
allerdings daraus, dass bei einer Vielzahl zwingender 33 AP GG Art. 3 Nr. 4.
49
Gesetzesbestimmungen eine Abweichung nicht nur zugunsten, sondern
auch zu Lasten der Arbeitnehmer durch Tarifvertrag gestattet wird
(tarifdispositives Gesetzesrecht; so in § 622 Abs. 4 Satz 1 BGB, § 13