Liebe Mitglieder, liebe Leserinnen und Leser, ist die europäische Sozialpolitik die richtige Antwort auf die Globalisierung? Diese Frage stand im Mittelpunkt der 5. Wiesbadener Gespräche der Hessen- Chemie. Diskutiert wurde mit hochka- rätigen Gästen aus Politik und Wirtschaft – einige Positionen dazu lesen Sie auf diesen Seiten. Gleich- zeitig stellen wir Ihnen mit diesem Newsletter auch ein neues Medium der HessenChemie vor. Die „Pluspunkte“ berichten künftig sechs Mal jährlich über ausgewählte Veran- staltungen der HessenChemie. Erreichen möchten wir auf diesem Weg neben unseren Mitgliedern auch Multiplika- toren sowie Unternehmen, die sich für eine Mitgliedschaft interessieren. Die nächsten „Pluspunkte“ erhalten Sie Mitte Juni. Dann geht es um das Thema AZUBI-Wettbewerb 2009. Am 28. Mai findet die Preisverleihung in Sulzbach am Taunus statt. In diesem Jahr haben sich 31 Teams aus unseren Mitglieds- unternehmen angemeldet. Dr. Axel Schack und das Team der HessenChemie editorial Um die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu meistern, müssen die Staaten der Europäischen Union gemeinsam handeln – gerade auch in der Sozial- und Beschäftigungspolitik. Diese Ansicht vertrat EU-Kommissar Vladimír Špidla in seinem Impulsvortrag bei den 5. Wiesbadener Gesprächen zur Sozialpolitik. Mit mehr als 200 Teilnehmern war die Tagung im Wiesbadener Kurhaus nicht nur ausgebucht, sondern übertraf auch die Besucherzahl der vier Vorgängerveranstal- tungen. Das mag am überaus aktuellen Thema im Europawahljahr gelegen haben, aber sicher auch daran, dass besonders prominente Experten als Referenten auftra- ten. Einer von ihnen, Vladimír Špidla, ist ein zentraler Akteur europäischer Sozial- politik – was unter anderem daran deutlich wird, dass er noch bis fünf Uhr in der Früh in Brüssel über die neue Arbeitszeitrichtlinie verhandelt hatte. Doch die lange Nacht sah man ihm nicht an: Frisch und voller Überzeugungskraft trug der Kommis- sar für Beschäftigung, soziale Angelegenheiten und Chancengleichheit seine Thesen 5. Wiesbadener Gespräche zur Sozialpolitik Ein soziales Europa? EU-Kommissar zu Gast bei Chemiearbeitgebern Der Newsletter der HessenChemie / 01.2009 Pluspunkte Was heißt das in der Praxis? Ein hochkarätig besetztes Podium diskutierte das Für und Wider sozialpolitischer Regelungen auf EU-Ebene Seite 4 Der Vielfalt gerecht werden Impulsreferat von Prof. Dr. Michael Hüther bei den Wiesbadener Gesprächen Seite 3 Fortsetzung Seite 2 EU-Kommissar Vladimír Špidla sprach vor über 200 Zuhörern.
5. Wiesbadener Gespräche zur Sozialpolitik, 2009 Europäische Sozialpolitik: richtige Antwort auf die Globalisierung?
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Liebe Mitglieder, liebe Leserinnen und Leser,
ist die europäische Sozialpolitik die
richtige Antwort auf die Globalisierung?
Diese Frage stand im Mittelpunkt der
5. Wiesbadener Gespräche der Hessen-
Chemie. Diskutiert wurde mit hochka-
rätigen Gästen aus Politik
und Wirtschaft – einige
Positionen dazu lesen Sie
auf diesen Seiten. Gleich-
zeitig stellen wir Ihnen
mit diesem Newsletter
auch ein neues Medium
der HessenChemie vor. Die
„Pluspunkte“ berichten
künftig sechs Mal jährlich
über ausgewählte Veran-
staltungen der HessenChemie. Erreichen
möchten wir auf diesem Weg neben
unseren Mitgliedern auch Multiplika-
toren sowie Unternehmen, die sich für
eine Mitgliedschaft interessieren.
Die nächsten „Pluspunkte“ erhalten Sie
Mitte Juni. Dann geht es um das Thema
AZUBI-Wettbewerb 2009. Am 28. Mai
findet die Preisverleihung in Sulzbach
am Taunus statt. In diesem Jahr haben
sich 31 Teams aus unseren Mitglieds-
unternehmen angemeldet.
Dr. Axel Schack und das Team der HessenChemie
editorial
Um die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu meistern, müssen die
Staaten der Europäischen Union gemeinsam handeln – gerade auch in der Sozial-
und Beschäftigungspolitik. Diese Ansicht vertrat EU-Kommissar Vladimír Špidla in
seinem Impulsvortrag bei den 5. Wiesbadener Gesprächen zur Sozialpolitik.
Mit mehr als 200 Teilnehmern war die Tagung im Wiesbadener Kurhaus nicht nur
ausgebucht, sondern übertraf auch die Besucherzahl der vier Vorgängerveranstal-
tungen. Das mag am überaus aktuellen Thema im Europawahljahr gelegen haben,
aber sicher auch daran, dass besonders prominente Experten als Referenten auftra-
ten. Einer von ihnen, Vladimír Špidla, ist ein zentraler Akteur europäischer Sozial-
politik – was unter anderem daran deutlich wird, dass er noch bis fünf Uhr in der
Früh in Brüssel über die neue Arbeitszeitrichtlinie verhandelt hatte. Doch die lange
Nacht sah man ihm nicht an: Frisch und voller Überzeugungskraft trug der Kommis-
sar für Beschäftigung, soziale Angelegenheiten und Chancengleichheit seine Thesen
5. Wiesbadener Gespräche zur Sozialpolitik
Ein soziales Europa? EU-Kommissar zu Gast bei Chemiearbeitgebern
Der Newsletter der HessenChemie / 01.2009
PluspunkteWas heißt das in der Praxis?Ein hochkarätig besetztes Podium diskutierte
das Für und Wider sozialpolitischer Regelungen
auf EU-Ebene Seite 4
Der Vielfalt gerecht werdenImpulsreferat von Prof. Dr. Michael
Hüther bei den Wiesbadener
Gesprä chen Seite 3
Fortsetzung Seite 2
EU-Kommissar Vladimír Špidla sprach vor über 200 Zuhörern.
Drei Fragen an Karl-Hans Caprano Vorsitzender des AGV HessenChemie und mittelständischer Unternehmer
HessenChemie warnt vor zu viel Regulierung aus
Brüssel. Was schlagen Sie vor?
Die deutschen Chemiearbeitgeber haben dem Projekt
Europa immer positiv gegenübergestanden. Gerade aus
Sicht einer stark exportorientierten Branche wie der un-
seren ist Europa wichtig – nur gemeinsam sind wir stark.
Jedoch: Sozial- und Beschäftigungspolitik darf nicht von
oben nach unten, sondern muss vielmehr von unten nach
oben entwickelt werden.
Wie kann das konkret aussehen?
Wir plädieren für einen subsidiären Ansatz:
Lösungen sollten immer zuerst in den Betrieben,
vor. Um die europäischen Bürgerinnen
und Bürger für das 21. Jahrhundert fit zu
machen, sei gemeinschaftliches Han-
deln gefragt, so seine feste Überzeu-
gung. Die Ebene der Mitgliedsstaaten
sei dafür zu eng geworden, es gebe
kaum wichtige Fragen, die man heute
noch ausschließlich auf nationalstaatli-
chem Niveau lösen könne – egal ob es
um die Verbesserung von Arbeitsbedin-
gungen, die Schaffung von mehr und
hochwertigen Arbeitsplätzen, Nichtdis-
kriminierung oder die Integration armer
und benachteiligter Bevölkerungsgrup-
pen gehe.
Durch eine neue, moderne Sozialpolitik
auf der Basis gemeinsamer Werte rea giere
die EU-Kommission auf die veränderten
Lebensumstände. Diese seien unter an-
derem geprägt von zunehmendem in-
ternationalem Wettbewerbsdruck, tech-
nologischem Fortschritt und einer sich
wandelnden Bevölkerungsstruktur. „Wir
wollen den Menschen helfen, ihr Po-
tenzial voll auszuschöpfen“, so Špidla.
„Zugleich wollen wir denjenigen unter
die Arme greifen, die hierzu nicht in der
Lage sind.“
Einen etwas anderen Ansatz hatte zuvor
Dr. Axel Schack vertreten: „Das Vorha-
ben ist grundsätzlich richtig, so manche
Regelung schießt aber über ihr Ziel hi-
naus“, so der Hauptgeschäftsführer des
Arbeitgeberverbandes HessenChemie in
seiner Eröffnungsrede. „Das gefährdet
in unseren Augen nicht nur den wirt-
schaftlichen Erfolg unserer Unterneh-
men, sondern damit auch die Grundla-
ge unserer sozialen Errungenschaften.“
nachgehakt:
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Fortsetzung von Seite 1
Der EU-Kommissar im Gespräch mit dem Wiesbadener Kurier
Dr. Axel Schack begrüßt die Teilnehmer
dann zwischen den Sozialpartnern gesucht werden. Erst
wo sozialpartnerschaftliche Lösungen nachhaltig nicht
ausreichen oder dauerhaft nicht zustande kommen,
sollte an politische Regulierung in Berlin oder Brüssel
gedacht werden. Das ist gelebte Subsidiarität.
Ist die EU-Ebene nicht nah genug dran an den Unter-
nehmen vor Ort?
Es ist wichtig, dass bei allen politischen Entschei-
dungen stets auch die konkreten Auswirkungen
auf die Unternehmen und die Beschäftigten
berücksichtigt werden. Das scheint uns von Seiten der EU
nicht immer der Fall zu sein. Nehmen Sie zum Beispiel
die Arbeitszeitrichtlinie: Sie ist aus unserer Sicht nicht nur
realitätsfremd, sondern geradezu schädlich für die ge-
samte Chemiebranche. HessenChemie macht sich daher
für Ausnahmeregelungen stark. Wir verstehen uns hier
auch als Vermittler zwischen den Betrieben und unseren
hessischen Vertretern in Brüssel. Dabei arbeiten wir eng
mit unserem Bundesverband und der Vereinigung der
hessischen Unternehmerverbände zusammen.
3
Der Vielfalt gerecht werdenIm Spannungsfeld zwischen den libe-
ralen Anhängern der sozialen Marktwirt-
schaft im Sinne Ludwig Erhards und den Ver-
fechtern regulativer staatlicher Eingriffe sieht
Professor Michael Hüther die europäische
Sozialpolitik.
Was ist eigentlich der Auftrag von Sozialpoli-
tik? Diese Frage warf der Direktor des Instituts
der deutschen Wirtschaft Köln zu Beginn sei-
nes Impulsreferates auf. Sie wolle, so führte
er aus, mehr Teilnahmegerechtigkeit in einem
marktwirtschaftlichen System schaffen. Denn
schließlich lasse sich ein Risiko wie Arbeitslo-
sigkeit nicht durch die Versicherungswirtschaft
absichern. Solidarität müsse aber stets im Zuge von Subsidia-
rität organisiert werden: Neben der Unterstützung sei immer
auch die Eigenleistung gefragt. Andernfalls drohe ein „Moral-
Hazard-Verhalten“, wenn beispielsweise durch den Bezug
von Transferleistungen die Bewältigung des ursprünglichen
Problems weniger dringlich erscheine.
Hüther schloss die Frage an, ob Sozialpolitik auf die euro-
päische Ebene gehöre. Neben sinnvollen Instrumenten wie
beispielsweise dem Europäischen Sozialfonds (ESF), so seine
Auffassung, sei in anderen Fällen genau abzuwägen, ob nicht
nationale Regelungen vorzuziehen seien. Denn Sozialpolitik
müsse schließlich ganz unterschiedlichen Realitäten in den
Ländern gerecht werden. Wie groß solche Verschiedenheiten
sind, belegte er nicht nur mit Zahlen aus den Mitgliedslän-
dern, sondern veranschaulichte er auch mit Beispielen: Allein
in Deutschland bestünden schon immense regionale Unter-
schiede in puncto Arbeitsmarkt und Arbeitslosigkeit.
Nicht immer also sei Europa gefragt. Nationale Politik, so
Hüthers Schlussfolgerung, lasse sich deutlich leichter auf ent-