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ARCHAEONAUT Hefte zu archäologischen Kulturdenkmälern in Sachsen 1 Burg- und Klosteranlage Oybin 2 Leipzig, Thomaskirchhof – Klerus, Bürger und Beamte 3 Der Burgberg Meißen – Archäologie und frühe Geschichte 4 Adonis von Zschernitz – Die Kunst der ersten Bauern 5 Wüstes Schloss Osterlant – Archäologie und Perspektiven für seine Erschließung 6 Das alte Rathaus in Bischofswerda – Neues über die Anfänge einer alten Stadt 7 Stadt und Kloster Riesa – Archäologie und frühe Geschichte 8 Zwischen Schloss und Neumarkt – Archäologie eines Stadtquartiers in Dresden 9 Der Burgberg Zschaitz in der Lommatzscher Pflege – Landschaft, Natur und Archäologie 10 Schloss und Stadt Rötha – Landschaft, Archäologie und Geschichte 11 Pirna – Stadt und Burg im Mittelalter Landesamt für Archäologie, Dresden ISBN 978-3-943770-07-0 · ISSN 1611-2628 Pirna Stadt und Burg im Mittelalter ARCHAEONAUT 11
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Pirna. Stadt und Burg im Mittelalter (Teil: Stadt)

Apr 30, 2023

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Page 1: Pirna. Stadt und Burg im Mittelalter (Teil: Stadt)

ARCHAEONAUT

Hefte zu archäologischen Kulturdenkmälern in Sachsen

1 Burg- und Klosteranlage Oybin 2 Leipzig, Thomaskirchhof – Klerus, Bürger und Beamte 3 Der Burgberg Meißen – Archäologie und frühe Geschichte 4 Adonis von Zschernitz – Die Kunst der ersten Bauern 5 Wüstes Schloss Osterlant – Archäologie und Perspektiven für seine Erschließung 6 Das alte Rathaus in Bischofswerda – Neues über die Anfänge einer alten Stadt 7 Stadt und Kloster Riesa – Archäologie und frühe Geschichte 8 Zwischen Schloss und Neumarkt – Archäologie eines Stadtquartiers in Dresden9 Der Burgberg Zschaitz in der Lommatzscher Pflege – Landschaft, Natur und Archäologie10 Schloss und Stadt Rötha – Landschaft, Archäologie und Geschichte11 Pirna – Stadt und Burg im Mittelalter

Landesamt für Archäologie, DresdenISBN 978-3-943770-07-0 · ISSN 1611-2628

PirnaStadt und Burg im Mittelalter

ARCHAEONAUT 11

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ARCHAEONAUT 11

Pirna – Stadt und Burg im MittelalterRalf Kluttig-Altmann und Karsten Lehmann

In Zusammenarbeit mit dem Stadtmuseum Pirna

· Dresden 2013

Ringmauer

Neue Kaserne

Ehem. Äußerer Graben

Kommandantenhaus

KH

V

E

G G

F

J

ULuntenturm

EQ

Ehem. Innerer Graben

Pulverturm

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Rundflügel

Eckturm

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Hohes Werk

A

H

Niederes Werk

Alte Kemenate

D B

LN

OM

G

BC

Mittleres Werk

Bronzezeit

Störung 17. Jahrhundert

spätes 10. Jahrhundertbis 11. Jahrhundert

15. Jahrhundert

13. Jahrhundertvermutlich 13. Jahrhundert

um 1200

N

0 10 20 30 40 m

15. JahrhundertLehmfußboden

N

Elbe

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0 m

Übersichtsplan Stadt PirnaZeittafel

5500–4500 v. Chr. Jungsteinzeitliche Besiedlung im Raum Pirna

1350–750 v. Chr. Siedlungsreste der Jüngeren Bronzezeit (Lausitzer Kultur) imStadtbereich sowie Urnengräber auf dem Sonnenstein

750–250 v. Chr. Besiedlungsnachweise der frühen und mittleren Vorrömischen Eisenzeitam Westhang des Sonnensteins und im Klosterbereich

nach 900 Slawische Siedlung am Westhang des Sonnensteins und einBefestigungswall (etwa 960/970) auf dem Sonnenstein

1100–1250 Spätslawische und hochmittelalterliche Bebauung im heutigenStadtgebiet und auf dem Sonnenstein

1233 Erste schriftliche Erwähnung des Ortsnamens „prne“

1239 Markgraf Heinrich der Erlauchte urkundet in Pirna

1269 Erste urkundliche Erwähnung der Burg Pirna (castrum)

1293 Verkauf von Stadt und Burg durch den Bischof von Meißenan König Wenzel II. von Böhmen

vor 1300 Ansiedlung von Dominikanermönchen aus Leipzig in Pirna

nach 1350 Abriss und Verlegung der Stadtmauer zur Schaffung des Klosterarealsim Nordwesten der Stadt

1351 Karl IV. hält in Pirna einen Fürstentag ab

1405 Burg gelangte wieder in den Besitz der Wettiner durch denMarkgraf von Meißen, Wilhelm den Einäugigen

um 1465 Geburt des späteren Ablasshändlers Johannes Tetzel in der heutigen Schmiedestraße 19

1539–1548 Aufl ösung des Dominikanerklosters

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„… weil auch die Logiamenter wohlfeil seyn; Als wohnen gern

Adelich Familien, sonderlich Adeliche Wittwen allhier und genie-

ßen die lustige Revier gar wohl“, so lobte bereits der Lockwit­

zer Pfarrer Christian Gerber in seinem 1717 erschienenen

Werk Die Unerkannten Wohlthaten Gottes, In dem Chur-Fürs-

tenthum Sachsen Und desselben vornehmsten Städten. Dresden

und Leipzig, die besondere Lage Pirnas mit den vom Adel

bevorzugten Wohnsitzen.

Naturraum

Die Stadt Pirna liegt an einer geographisch markanten

Stelle, genau dort, wo die Elbe das Elbsandsteingebirge

verlässt und ihr Tal sich zur fruchtbaren Dresdner Elbtal­

weitung öffnet. Südwestlich enden die Ausläufer des Ost­

erzgebirges und nördlich liegt die Westlausitzer Platte.

Daraus ergibt sich eine außerordentlich günstige Verkehrs­

lage: Nicht nur die Elbe war seit alters her ein bequemer

Verkehrsweg, ebenso trafen sich wegen der Querungsmög­

lichkeiten des Flusses bereits in urgeschichtlicher Zeit

wichtige Handelsrouten bei Pirna. Im Mittelalter sind dies

die Fernstraße von Prag über den Kulmer Steig nach Dohna

und weiter nach Bautzen sowie diejenige von Meißen und

Dresden über Königstein nach Tetschen (Děčín).Durch die zahlreichen Ausgrabungen im Stadtbereich

von Pirna, die in den vergangenen 20 Jahren durchgeführt

worden waren, ergab sich die Möglichkeit, durch viele

„Fenster“ nicht nur in die Geschichte der Stadt, sondern

auch in den geologischen Untergrund zu schauen. Ein

Nord­Süd­Querschnitt entlang der Breiten Straße/Doh na­

ischen Straße zeigt Flussschotter im Süden und Auelehm

bzw. Flusssand in Elbnähe. Eine zweite Nord­Süd­Linie im

Osten der Stadt über die Obere und Niedere Burgstraße

weist größere Höhenunterschiede auf. Der anstehende Bo­

den fällt zur Elbe hin ab. Die Obere Burgstraße und der

Kirchplatz liegen dagegen noch leicht erhöht zu Füßen

des Sonnensteins. Die Niedere Burgstraße wie auch die

restliche Innenstadt befinden sich deutlich tiefer und da­

mit im Einzugsbereich größerer Hochwasser, auch wenn

man schon seit dem Mittelalter versuchte, durch großflä­

chige Aufschüttungen diese Situation zu verbessern. Noch

Die Elbe bei Pirna im Luftbild mit Elbsandsteingebirge im Hintergrund.

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heute ist nahezu die gesamte Altstadt hochwassergefähr­

det, wie die Flut von 2002 dramatisch vor Augen führte.

Die Bausubstanz Pirnas war bereits in den letzten Jahren

der DDR in einem stark maroden Zustand. Einige historisch

wertvolle Häuser konnten nicht mehr gerettet werden und

fielen dem Abriss zum Opfer. Die nach der politischen

Wende in Pirna langsam anlaufende Sanierungs­ und Neu­

bauwelle eröffnete – zunächst der damaligen Stadtarchäo­

logie Pirna und dann nachfolgend dem Landesamt für Ar­

chäologie in Dresden – die Möglichkeit, auf zahlreichen

Parzellen baubegleitende Untersuchungen durchzuführen.

Urgeschichtliche bis bronzezeitliche Besiedlung

Nachweise menschlicher Siedlungstätigkeiten finden sich

im Raum Pirna mindestens seit dem Beginn der Jungstein­

zeit (5500–4500 v. Chr.), wie Streufunde von wenigen

bearbeiteten Feuersteinen und Scherben mit Linien­ und

Stichbandverzierung aus dem Stadtgebiet belegen. Für den

Zeitabschnitt der Bronzezeit (2200–750 v. Chr.) werden

die kulturellen Hinterlassenschaften schon häufiger. So

sind im Umland der Stadt seit längerem Gräberfelder be­

kannt und auch bei den Ausgrabungen im Stadtgebiet tau­

chen regelmäßig Scherben aus bronzezeitlichen Perio den

auf. Die Fundverteilung verrät eine Vorliebe für hochwas­

Pirna

Freital

Bischofswerda

Teplice

Ústí nad Labem

Dresden

Elbe

Labe

Děčín

Die Stadt Pirna und der Sonnenstein von der Elbseite aus der Vogelschau.

Digitales Höhenmodell vom Osterz-gebirge bis zum Lausitzer Hügelland.

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Pirna

Freital

Bischofswerda

Teplice

Ústí nad Labem

Dresden

Elbe

Labe

Děčín

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sergeschützte Siedlungslagen, wie es die Reste einer bron­

zezeitlichen Siedlung auf einem Geländesporn verdeutli­

chen; dieser reicht vom Hang des Sonnensteins bis auf

den Markt. Ein bemerkenswerter bronzezeitlicher Fund

ist der Gefäßkomplex von der Schloßstraße 14. Im Zusam­

menhang mit mindestens einem kleinen, in den Boden

eingetieften Gebäude, einem sogenannten Grubenhaus,

und einer als Nahrungsmittelspeicher dienenden Vorrats­

grube fanden sich unter anderem fünf Gefäße, die uns ei­

nen guten Eindruck vom vergleichsweise hohen Stand der

Keramikherstellung geben. Zeitlich können diese Gefäße

der sogenannten Lausitzer Kultur zugerechnet werden,

die bei uns die Jüngere Bronzezeit (1350–750 v. Chr.)

umschreibt. In der Vorratsgrube, die vielfältige Spuren

von Feuer zeigte, hatte man vermutlich Nahrungsmittel

konserviert. Bei der geborgenen Keramik von der Schloß­

straße 14 handelt es sich also nicht um Grabbeigaben,

sondern um Gefäße des täglichen Gebrauchs.

Auf etwa dem gleichen Höhenniveau südlich des Stadt­

kerns, am Fuße eines kleinen Hügels inmitten der Talaue,

dem „Weiten Friedhof“, fanden sich keramische Nach­

weise unterschiedlicher Zeitstufen, die an das Ende der

Elbe

Markt

Grabungsflächen

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Dr.-W.-Külz-Str.

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rg.

Barbierg.

Steinpl.

Archäologisch unter-suchte Parzellen in derInnenstadt von Pirna.

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Jüngeren Bronzezeit bzw. bis in die frühe Vorrömische

Eisenzeit reichen und mit der Billendorfer Kultur (etwa

um 700 v. Chr.) in Verbindung gebracht werden können.

Die Keramik vom „Weiten Friedhof“ zeigt einen deutlichen

böhmischen Einfl uss und lässt auf eine Besiedlung schlie­

ßen, die in Zusammenhang mit der aus dem Erzgebirge

kommenden Handelsroute des „Kulmer Steiges“ steht.

Eisenzeitliche Besiedlung

Auch während der Vorrömischen Eisenzeit war die Gegend

um Pirna besiedelt, jedoch sind die Hinweise spärlich oder

kaum zu erkennen. An der Treppe von der Oberen Burg­

straße zum Kirchplatz wurde eine mit verziegeltem Lehm

ausgekleidete Grube angeschnitten, deren beiliegende Kera­

mik vermutlich aus der Zeit zwischen 600–400 v. Chr.

stammt. Keramik der mittleren Vorrömischen Eisenzeit

(500–250 v. Chr.) kam ebenfalls auf dem Gelände des spä­

teren Dominikanerklosters zutage. Den umfangreichsten

Besiedlungsnachweis der Vorrömischen Eisenzeit gab es

auf der Oberen Burgstraße 2 in Form einer ehemals über­

Eisenzeit

Bronzezeit

Elbe

Markt

Vorgeschichtliche Fundstellen der Bronzezeit und Eisenzeit in der Innenstadt von Pirna.

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dachten Feuergrube und einem daran vorbeiführenden

Zaun. Die wenigen Siedlungsbelege dieser Zeitspanne

konzentrieren sich damit ebenfalls auf den Geländesporn

des Sonnensteins, können aber auch in Elbnähe (im heu­

tigen Klosterbereich) mit einer erst seit dem Spätmittel­

alter beglaubigten, aber sicher schon früher genutzten

Furt über die Elbe in Zusammenhang stehen.

Früh- bis hochmittelalterliche Besiedlung

In den folgenden rund 1500 Jahren können wir in oder

unmittelbar um Pirna bislang keine Belege für mensch­

liche Anwesenheit feststellen. Erst ab dem 10. Jahrhun­

dert beziehungsweise aus dem Hochmittelalter (1100–

1250 n. Chr.) ist Siedlungstätigkeit wieder fassbar. Die

meisten dieser Nachweise konzentrieren sich auffällig am

Westhang des Sonnensteins. Ausgrabungen lassen hier

eine slawische Siedlung erkennen, die möglicherweise

noch über den heutigen Markt nach Westen ausgriff. Spät­

slawische Streuscherben sind auch aus dem nordwestlich

gelegenen Klosterbereich belegt. Wie der Prozess der As­

similation mit den deutschen Einwanderern im Hochmit­

telalter im Einzelnen verlaufen ist, verraten die Funde

jedoch nicht.

Mehrfach ließen sich in Pirna slawische bzw. hochmit­

telalterliche Bauten oder Gebäudeteile erfassen. Durch

großflächige Ausgrabungen auf der Oberen Burgstraße 2

konnte eine Besiedlungsabfolge seit dem 10. Jahrhundert

nachgewiesen werden. Hier zeigte sich ein großer Pfos­

tenbau, der etwa ost­west­orientiert und mindestens 10 m

lang war. Mit einer Steinunterfütterung und Pfosten, die

am unteren Ende angekohlt waren, konnten konkrete

Baudetails dieses Wohn(?)­Hauses beobachtet werden.

Vor dem zum Schlossberghang ausgerichteten Ende des

Hauses befand sich zeitgleich eine etwa 3 x 1,5 m große

Zisterne, die aus dem Hang austretendes Schichtenwas­

ser speicherte. Ihr Boden war mit Reisig ausgelegt, um

beim Wasserentnehmen keinen Schlamm aufzuwirbeln,

und ihr abgestufter Rand ermöglicht es, bei unterschiedli­

chen Füllständen den Wasserspiegel bequem zu erreichen.

Später befand sich an der hangzugewandten Seite der

Gefäßkomplex der Lausitzer Kultur, ein Zeitabschnitt der Jüngeren Bronzezeit, von der Schloßstraße 14.

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Parzelle ein Ständerbau, von welchem eine Ständerunter­

fütterung, vertikale Wandbohlen, der Fußboden und eine

Feuerstelle überdauerten. Dieses mindestens 5 m breite

und nord­süd­ausgerichtete Haus ist im späten 12. Jahr­

hundert errichtet worden. Es bestand bis ins 13. Jahrhun­

dert, wie eine spätere Abfallgrube an der gleichen Stelle

belegt, die neben anderem, meist organischem Fundma­

terial auch einen fast vollständigen Lederschuh enthielt.

Bauliche Strukturen aus dem 10. Jahrhundert gibt es

ebenfalls von der Schloßstraße 6. Fast vollständig wur­

de hier ein 4 × 2,5 m großes, in den Boden eingetieftes

Grubenhaus erfasst, dessen vermutlich zeltartige Überda­

chung auf mittigen Firstpfosten ruhte. Es könnte sich um

eine Werkstatt gehandelt haben, die – wie Feuerspuren

suggerieren – durch Brand zerstört worden war. Ein direk­

ter Zusammenhang mit dem gleich alten Wohngebäude

auf der heute gegenüberliegenden Straßenseite ist wahr­

scheinlich. Ein späteres, aber noch dem 10. Jahrhundert

zuzuordnendes Haus an Stelle der „Werkstatt“ ist nur

durch eine Feuerstelle und wenige Pfostenlöcher belegt.

Für ein drittes Haus, das aus dem 12. Jahrhundert stammen

dürfte, wurde eine andere Bautechnik verwendet. Die

10. Jahrhundert11.–12. Jahrhundert

Elbe

Markt

Früh- und hochmittelalterliche Fund-stellen in der Innenstadt von Pirna.

Keramik vom 10./11. bis zum frühen

13. Jahrhundert aus der Umgebung von Pirna: Birkwitz (h. l.), Heidenau OT

Mügeln (v. l.) und Niederrathen (v. r.).

Vollständiger Topf, ergänzt, von der Schloßstraße 14, um 1200.

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Wände bestanden aus senkrechten Bohlen und einer paral­

lelen Pfostenreihe, die das Dach getragen haben. Der etwa

5 m lange Bau war vermutlich halbseitig offen und dien­

te als Schuppen oder Unterstand. Neben dem mit einer

Feuerstelle versehenen Bau deutet ein halbkugel förmiger

Stein auf eine drehbare Konstruktion. Eine Fundstelle mit

Resten der Eisenbearbeitung (der Standort eines Ambos­

ses?) lässt in diesem Bau eine mögliche Schmiede vermu­

ten. Sie ist als erstes Gebäude der Parzelle traufseitig zum

Nachbargrundstück orientiert – eine Lage, die von späte­

ren Häusern an dieser Stelle übernommen wird.

Weiter östlich, in der Schloßstraße 14, wurde die

Südost ecke eines slawischen Grubenhauses erfasst, das

etwa 2,4 m breit gewesen sein kann. Auch von der Nord­

seite der Schloßstraße stammen Baustrukturen aus dem

10./11. Jahrhundert. In Begleitung reicher Keramikfunde

lässt sich hier anhand von Pfostenstellungen ein eben­

erdiges, etwa 7 × 9 m großes Haus rekonstruieren. Bei

einer kleinen Grabung südlich vor der Marienkirche wur­

de eine ost­west­orientierte Bestattung erkannt, welche

aus dem Kontext des 10.–12. Jahrhunderts stammt. Si­

cher markiert diese Bestattung einen frühen Friedhof, der

möglicherweise mit der ältesten Kirche von Pirna in Ver­

bindung gebracht werden kann. Es ist anzunehmen, dass

bereits einige Zeit vor der ersten Erwähnung der Pfarrei

1233 hier eine Kirche bestand. Die heutige spätgotische

Knochenwerkzeuge, vermutlich für die Lederverarbeitung, von der

Schloßstraße 6 und Langzinkenkamm von der Langen Straße 33/34.

Topffragmente von den Aus-grabungen Schloßstraße 6 und Schloßstraße 4/Kirchplatz 9a.

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dreischiffi ge Hallenkirche St. Marien ist das Resultat eines

tiefgreifenden Umbaus des 16. Jahrhunderts.

Die angeführten Siedlungsnachweise an mehreren Stel­

len der Stadt lassen am Fuße des Sonnensteins eine ur­

sprünglich slawische Besiedlung seit dem 10. Jahrhundert

erkennen und damit auf einen Siedlungskern schließen,

der lange vor der eigentlichen Stadtgründung Bestand

hatte. Zur heutigen Stadt­ und Parzellenstruktur gibt es

ab dem 12. Jahrhundert erste Bezüge. Die wenigen er­

fassten Spuren verraten in Ansätzen, wie die Bevölkerung

wohnte und arbeitete und wie ihre Wasserversorgung

funktionierte. Funde aus dieser Epoche vor der Verleihung

des Stadtrechts sind, neben typischer wellenverzierter,

meist grober Gefäßkeramik, unter anderem Spinnwir­

tel aus Keramik, Schleifsteine und für die Keramik­ oder

Lederbearbeitung genutzte Knochenwerkzeuge.

Spätmittelalter

Ab dem 13. Jahrhundert werden die archäologischen Funde

zahlreicher und erlauben weitreichende Einblicke in un­

terschiedliche Lebensbereiche der Menschen. Sowohl die

Aussagen zur Bebauung der einzelnen Parzellen als auch

der frühen Stadt als Ganzes lassen sich detaillierter und

umfassender treffen; verschiedene Handwerke haben ihre

Spuren hinterlassen und historisch belegte Ereignisse wie

Stadtbrände fanden einen Niederschlag.

Sechs Spinnwirtel aus Keramik von der Ausgrabung Lange Straße 33/34.

Spinnwirtel auf hölzernen Spindel-stab montiert; Fundstück von der Schloßstraße 4/Kirchplatz 9a.

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Parzellen- und Stadtstruktur

Die heutige Stadtstruktur von Pirna spiegelt eine plan­

mäßige Anlage wider, wie sie typisch ist für Städte, die

während des hochmittelalterlichen Landesausbaus durch

deutschsprachige Siedler in slawischem Gebiet geprägt

wurden. Sucht man nach Kontinuität in der Parzellenge­

staltung und Ausrichtung der Häuser, wird man bereits

vom 12. bis 14. Jahrhundert fündig. Einzelne Holzhäuser

und Steinbauten geben Parzellengrenzen, Orientierungen

und Traufgassen zu Nachbargrundstücken vor, die bis in

die jüngste Vergangenheit tradieren und eine hohe Par­

zellenkontinuität belegen. Im 12./13. Jahrhundert wer­

den auch die bisher gemiedenen hochwassergefährdeten

Bereiche der Stadt zwischen Schlossbergsporn und Elbe

sowie im späteren Klosterbereich erschlossen. Im ältes­

ten Siedlungskern der Stadt am Hang des Sonnensteins

(Obere Burgstraße 2) zeigt sich noch im 13. Jahrhundert

eine deutlich andere Struktur, die erst gegen Ende des

Jahrhunderts und damit deutlich nach der Verleihung des

Stadtrechtes (um 1239–1245) in das Parzellengefüge der

Stadt integriert wird. Die dann übliche Gliederung weist

eine straßenseitige Wohn­ und rückwärtige Wirtschafts­

bebauung auf. Im 14. Jahrhundert wird die festgelegte

Struktur der aufstrebenden Handelsstadt mehr und mehr

in Stein ausgeführt. Nur in den Vorstädten ist man noch

nicht an eine feste Struktur gebunden – Holzhäuser des

14. Jahrhunderts in der Grohmannstraße 3 zeigen eine

von der heutigen Achse abweichende, exakt nord­süd­ver­

laufende Ausrichtung. Im Umfeld des Klosters hat eine

endgültige Parzellierung anscheinend erst im 14. Jahrhun­

dert stattgefunden, was mit dem Neubau des Klosters und

der Verlegung der Stadtmauer erklärt werden kann.

Wege­ oder Straßenverläufe lassen sich in Pirna an­

hand von Hausfluchten erschließen. Bei Ausgrabungen

konnten Wege oder Straßen des Spätmittelalters nur

sehr ausschnitthaft erfasst werden. Ein Bohlenweg kam

in der Fleischergasse zum Vorschein. Er war sehr gut er­

halten, zeigte deutliche Fahrspuren und lag vermutlich

auf einem noch älteren, mit Reisig befestigten Weg. Bei

einer rekonstruierten Breite von 4 m ist das Befahren mit

großen Fuhrwerken denkbar. Der Bohlenweg konnte nur

Das ehemalige Dominikanerkloster mit mehrfach umgebautem Sommerrefekto-rium und Kapitelsaalgebäude beherbergt heute das Stadtmuseum Pirna.

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unvollständig untersucht werden; er steht aber sicher im

Zusammenhang mit den Holzbauten aus der ersten Hälfte

des 13. Jahrhunderts im Quartier der Holdergasse. Die

nordost­südwestliche Ausrichtung des ausgegrabenen Boh­

len weges berechtigt zu der Vermutung, dass er zur Stra­

ßen verbindung nach Berggießhübel gehörte und zur

Schiff torvorstadt an der Elbe reichte.

Vorstädte

Im Spätmittelalter spielte sich nicht die gesamte Sied­

lungstätigkeit innerhalb der ummauerten Stadt ab – es

entstanden Vorstädte. Diese konnten im Gegensatz zum

fest umrissenen Stadtkern ungehindert wachsen. In den

Vorstädten, die kriegerischen Ereignissen verhältnismä­

ßig schutzlos preisgegeben waren, wurden meist feuer­

gefährliche oder geruchsbelästigende Gewerbe angesie­

delt. Vorstädte entstanden typischerweise direkt vor den

Stadttoren und trugen meist deren Namen. Neben his­

torischen Nachrichten, die im 15. Jahrhundert von den

elbseitigen Schifftor­ und Elbtorvorstädten sprechen, ließ

13. Jahrhundert

14. Jahrhundert

15. Jahrhundert

Elbe

Markt

SB

H

SB

H

SM

SB

L/A

L/A

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H

SB

SW

H

B

A

SW L/A

H

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SB

BrunnenHolzbauLatrine/AbfallgrubeSteinbauStadtmauerSteinwerke

HB

L/ASBSMSW

Stadtbrände 1488Stadtbrände 1514

SW

SM

?

H

H

Evangelisch-LutherischeStadtkirche St. Marien zu Pirna,

Blick zum Altar (2005).

Spätmittelalterliche Baubefunde auf archäologisch untersuchten

Parzellen der Innenstadt von Pirna.

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17

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18

sich archäologisch die sogenannte „Dresdnische Gasse“ so­

wie die südlich gelegene Nicolaivorstadt bzw. Dohnaische

Vorstadt nachweisen. In der Nicolaivorstadt stand auf

der Breiten Straße 11/13 bereits im 14. Jahrhundert ein

Schwellbohlenhaus. Die Nikolaikirche ist namentlich seit

1338 belegt, der dazugehörige städtische Friedhof exis­

tiert seit 1484. An der heutigen Ecke Grohmann straße/

Bahnhofstraße standen ebenfalls im 14. Jahrhundert die

ersten Holzhäuser. Im Grabungsfoto sind nur die Auflage­

steine für die hölzernen Schwellbohlen zu erkennen. Äl­

tere Forschungen vermuteten in der Schifftorvorstadt,

der Dresdnischen Gasse und der heutigen Breiten Straße

bereits im 12. Jahrhundert alte Siedlungskeime der späte­

ren Stadt; diese Annahmen konnten archäologisch nicht

bestätigt werden.

Architektonische Details

Holzbauten waren im Spätmittelalter sehr verbreitet. Sie

begünstigen großflächige Stadtbrände, die es auch in

Pirna gab. Eine übliche Art des Hausbaus zwischen dem

13. und 15. Jahrhundert war der sogenannte Schwellboh­

lenbau. Das waagerechte Grundgerüst besteht dabei aus

verzapften Bohlen, die auf Schwellsteinen ruhen. Darauf

stehen senkrechte Ständer, welche die aufgehende Kons­

truktion tragen. Ihre Zwischenräume können mit Fach­

Grabungsfoto von der Grohmann-straße 3. Der Hausgrundriss lässt

sich anhand von Auflagesteinen für die Schwellbohlen ermitteln.

Page 21: Pirna. Stadt und Burg im Mittelalter (Teil: Stadt)

19

werk ausgefüllt sein. Ein Schwellbohlenbau mit Vordach

ist von der Niederen Burgstraße 5/Ecke Fleischergasse

überliefert. An verschiedenen Stellen der Stadt finden sich

Überreste ehemaliger Häuser, die zum Teil noch Fußbo­

dendielen aufweisen. Nicht selten zeigen die Hausreste

deutliche Brandspuren.

Steinbauten sind im spätmittelalterlichen Pirna selten

nachzuweisen. Wie in anderen Städten auch zählen die so­

genannten Steinwerke dazu. Es sind im Allgemeinen keine

an Straßen grenzende Wohnbauten, sondern rückwärtige

Speicher von überschaubaren Ausmaßen. Zumindest im

Untergeschoss sind sie solide aus Naturstein oder Ziegeln

gemauert, worauf sich dann ein Fachwerkgeschoss befun­

den haben kann. Zum Teil waren diese Bauten unterkellert

(Niedere Burgstraße 5/Fleischergasse, Obere Burgstraße 2);

N

Grabungsplan mit Hausresten von der Langen Straße 27 in der Aufsicht (vgl. Foto unten).

Grabungsfoto Lange Straße 27. Die hölzernen Reste der Schwell-bohlen eines ehemaligen Hauses sind erhalten geblieben.

Page 22: Pirna. Stadt und Burg im Mittelalter (Teil: Stadt)

20

manchmal war das Erdgeschoss leicht eingetieft (Kirch­

gasse 2/3, Dohnaische Straße 76). Zusammen mit der

Steinbauweise war so eine (feuer­)sichere und kühle Vor­

ratshaltung gewährleistet. Meist stammen die Steinwerke

aus dem 13./14. Jahrhundert, jenes aus der Oberen Burg­

straße 2 konnte bauhistorisch um 1300 datiert werden.

Steinerne Wohnbauten sind überwiegend jünger. Auf­

grund wiederholter Feuersbrünste erließen die Stadtob­

rigkeiten zunehmend strenge Anordnungen: So mussten

Neubauten in (Ziegel­)Stein ausgeführt und Brandmauern

errichtet werden, Dächer waren mit Dachziegeln statt

Holzschindeln oder Stroh zu decken. Archäologisch lassen

sich wenige Fundament­ oder Kellerreste nachweisen. An

der Breiten Straße 11/13 fand sich ein massives, in Lehm

gesetztes Sandsteinfundament, dem ein Lehmestrich und

eine mit Flusskieseln ausgelegte Feuerstelle zugeordnet

werden konnten. Ebenfalls im 15. Jahrhundert ist auf der

Schloßstraße 6 erstmals eine Steinbebauung nachzuwei­

sen, und auf der Barbiergasse 10 gab es in dieser Zeit eine

steinerne Fundamentierung, die rechtwinklig zur Barbier­

gasse steht und einen schmalen Gang zum Nachbargrund­

stück Barbiergasse 11 freilässt.

N

1 m1 m

1 m

Quadratischer, in Lehm

gesetzter Sandsteinbrunnen von der Schloßstraße 14.

Rekonstruktion der Mauerbefunde vom Steinwerk im Hinterhof der Dohnaischen Straße 76.

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Erste archäologische Zeugen steinerner Keller sind für das

ausgehende Spätmittelalter ebenfalls nachweisbar. Auf der

Schmiedestraße 16/17 war ein Keller mit großen Flusskie­

seln gepflastert. Auch auf der großen Grabungsfläche der

Langen Straße 27 besaßen die zahlreichen zutage kom­

menden Keller spätmittelalterliche Bestandteile; die Kel­

lermauern waren zum Teil in Lehm gesetzt, zum Teil auch

schon gemörtelt.

Neben den Resten hölzerner oder steinerner Baustruk­

turen finden wir auch andere Teile nicht mehr existenter

Häuser, wie Hüttenlehm und Ziegelsteine, Dachziegel

und Schieferplatten. Diese Funde sind keine Seltenheit,

sondern auf städtischen Grundstücken fast immer anzu­

treffen. Eine Besonderheit stellen vollständig erhaltene

Dachziegel dar, die im Hof der Langen Straße 27 in Zweit­

verwendung als Abflussrinne dienten. Mit dem stattlichen

Gewicht von 4,3 kg gibt ein besonders großes Exemplar

eine Vorstellung davon, welche Last ein vollgedeckter

Dachstuhl zu tragen hatte.

Schluckbrunnen

Eine Besonderheit in den hochwassergefährdeten Stadtbe­

reichen sind sogenannte Schluckbrunnen. Diese etwa 1 m

breiten und mehrere Meter tiefen Schächte sollen nach

dem Rückgang von eingedrungenem Hochwasser das Rest­Mündung eines sogenannten Schluck-

brunnens von der Langen Straße 27.

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wasser aus den Hauskellern in das Erdreich ableiten. Ne­

ben einem frühen, nur mit Lehm ausgekleideten Vorläufer

eines Schluckbrunnens aus dem 13. Jahrhundert von der

Niederen Burgstraße 5 sind die anderen, aus Sandstein ge­

setzten Röhren jünger. Ein besonders gut erhaltenes Bei­

spiel konnte auf der Langen Straße 27 aufgedeckt werden.

Trinkwasserbrunnen

Die Wasserversorgung der Pirnaer Bürger ist im Spätmit­

telalter an diversen Brunnenbauten ablesbar. Seit dem

13. Jahrhundert sind dies gemauerte Brunnenschächte,

welche im Freien neben den Wohnhäusern lagen. Diverse

bauliche Details konnten an den Brunnenschächten beob­

achtet werden und geben Auskunft über den Zugang zum

Wasser, die Schöpftechnik oder die Filterung des zulau­

fenden Wassers. Frühe Formen aus dem 13. Jahrhundert,

wie in der Schloßstraße 14, besitzen einen quadratischen

Querschnitt und sind in Lehm gesetzt. An einem davon

ließ sich sogar der Ansatz einer kuppelförmigen Über­

wölbung zum Schutz vor Verunreinigung erkennen. Eine

runde Zisterne mit Lehmwänden ergänzte hier die Was­

serversorgung.

Entsorgung

Nicht selten wurden Brunnen, die ausgedient hatten

oder baufällig wurden, zu Latrinen umfunktioniert. Für

diese Nutzungsänderung mussten die durchlässigen Brun­

nenwände mit Ton abgedichtet werden. In den Latrinen

landete neben den Fäkalien auch der Hausmüll, wie ein

Vollständig erhaltener Hohlziegel(Gratendziegel) von der Langen Straße 27; Länge 58 cm.

Stadtansicht von Pirna mitSchloss Sonnenstein vom Burg-lehnpfad der gegenüberliegendenElbseite aus gesehen.

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Beispiel von der Schloßstraße 14 zeigt. Volle Latrinen,

die nicht mehr geleert, sondern endgültig geschlossen

wurden, bedeckte man mit geruchsdämmenden Sand­,

Kalk­ oder Holzspanschichten. Die oft mächtigen Abfall­

verfüllungen in den Latrinen sind ein guter Spiegel des

täglichen Lebens. Neben organischen Abfällen aus Holz,

Knochen oder Leder enthalten sie vor allem Reste von Ke­

ramik­ und Glasgefäßen sowie Bauschutt.

Bei bauhistorischen Untersuchungen im Rathaus ent­

deckte man eine mit Flechtwerk ausgekleidete Abfallgrube

des 13. Jahrhunderts. Durch ihr Flechtwerk konnten flüs­

sige Bestandteile versickern, sodass eine längere Füllzeit

möglich war. An der Fleischergasse 5 wurde eine ähnliche

Flechtwerkgrube untersucht, der später eine jüngere, aus

Sandsteinen gesetzte, ovale Grube folgte. Abwasser leite­

te man in dieser Zeit über einfache Gräben ab, die eine

Flechtwerk­Auskleidung besitzen konnten, wie Belege von

der Badergasse 2 zeigen.

Handwerk

Verschiedene Gewerbe lassen sich im Fundbild der spät­

mittelalterlichen Stadt erkennen. Selten ist der Nach­

weis eines Feldbrandofens für die Ziegelherstellung, der

in Klosternähe (Dohnaische Straße 76) möglicherweise

Das Grabungsfoto von der Dohna ischen Straße 76

zeigt die teilweise erfasste Tenne eines Feldbrandofens.

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den Klosterbau mit Ziegeln versorgte, oder eine Pech­

grube von der Kirchgasse 2/3. Letztere diente vermutlich

einem Böttcher zum Abdichten der Fässer. Auch von der

Barbiergasse 10 gibt es Funde von Teer bzw. Pech. Meist

weisen besondere Funde – Halbfabrikate, Abfälle oder

Ausschuss – auf das jeweilige Handwerk hin. So deuten

Konzentrationen von Lederverschnittresten in der Dohna­

ischen Straße 76, der Fleischergasse 5, besonders aber in

der Langen Straße 27/Holdergasse 2 darauf, dass hier ver­

stärkt mit Leder gearbeitet wurde. Ein Knochenschnitzer,

der uns neben fertigen Spielwürfeln auch das Ende eines

Würfelstabes hinterließ, arbeitete in der Schloßstraße 14.

Die meisten Häuser innerhalb der Stadtmauer besaßen

das Braurecht. So diente vermutlich eine größere gemau­

erte Feuerstelle des frühen 16. Jahrhunderts im Hof der

Schloßstraße 14 als Herd für den Sudkessel.

Töpfereibetriebe ließen sich durch archäologische Un­

tersuchungen nicht lokalisieren. Von mehreren Parzellen

gibt es allerdings Fragmente von Ausschusskeramik oder

minderwertiger Keramik, die – als verworfen interpre­

tiert – die Keramikproduktion vor Ort nahelegen würde.

Da sich der Großteil dieser Keramik in elbnahen Grundstü­

cken fand, besonders entlang der Langen Straße/Plangasse,

ist nicht auszuschließen, dass mithilfe von Töpfereiabfäl­

len planmäßige Geländeerhöhungen betrieben wurden.

Spielwürfel und Würfelstab (Halbfabrikat) aus Knochen von der Schloßstraße 14.

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Unglasierte Ofenkacheln, die zum Teil Bildplatten mit

Reliefverzierungen tragen, fi nden sich ebenfalls in spät­

mittelalterlichen Fundkomplexen. Sie ähneln Funden aus

Dresden, Ostsachsen und Böhmen. Ob sie nach Pirna im­

portiert oder bereits hier hergestellt wurden, bleibt fraglich.

Besonders deutliche Spuren hat in Pirna ein anderes

Handwerk hinterlassen: die Eisenverarbeitung bzw. Eisen­

verhüttung. So konnte kaum eine Ausgrabung in Pirna

durchgeführt werden, ohne auf Spuren dieser Tätigkeiten

zu stoßen. Auf der Grohmannstraße 3 stand ein spätmit­

telalterlicher Schwellbohlenbau, in dem möglicherweise

Metallverarbeitung stattfand, wie Eisenschlacke belegt. In

vielen Bereichen der Kernstadt, besonders den elbnahen

Parzellen, wurden Schlacken zur Geländebefestigung und

­erhöhung verwendet, womit man gleichzeitig auch ein

Entsorgungsproblem löste. Manchmal, wie in der Langen

Straße 33/34, erreichten diese rostroten Aufschüttungen

die Mächtigkeit von einem Meter oder mehr. Die Herkunft

der Schlacke ließ sich durch Grabungen im Bereich Lange

Straße zwischen Niedere Burgstraße, Fleischergasse und

Holdergasse eingrenzen. Dort konnte bei Ausgrabungen

vermutlich ein Arbeitsgelände des eisenproduzierenden

oder eisenverarbeitenden Handwerks vom Beginn des

13. Jahrhunderts aufgedeckt werden. Dabei mag es sich

um die schon länger hier vermutete Burglehnhütte Pirna

handeln. Diese soll im Schutz der Burg Sonnenstein Ei­

senerz verhüttet haben, das über die alte Handelsroute

Kulmer Steig aus Berggießhübel geliefert wurde. Zu dem

möglichen Hüttengelände gehören zwei Holzbauten, von

denen einer dendrochronologisch um 1218 datiert ist. Es

handelt sich um einen offenen „Schuppen“ mit verziegel­

ter Lehmtenne und benachbarten massiven, bis meterho­

hen Lagen aus Lehm und Schlacke sowie um ein Schwell­

bohlenhaus, unter dessen Vordach verschiedene Schichten

mit Holzkohle­ und Schlackenkonzentrationen lagen. In

unmittelbarer Nähe befanden sich sowohl eine Feuerstelle

als auch die Reste von drei zerstörten Öfen, von denen nur

die Unterkonstruktionen erhalten sind. Neben zahlreichen

Eisenschlacken sprechen besonders die Bruchstücke der

Ofenauskleidungen für technische Anlagen. Naturwissen­

schaftliche Untersuchungen der Eisenschlacke legen den

Schluss nahe, dass kein reines Eisen gewonnen wurde und

die Pirnaer Hütte über eine Versuchsphase nicht hinaus

gekommen ist. Weder Eisenerz noch produziertes Eisen

konnten bei den Ausgrabungen nachgewiesen werden. Die

Spätmittelalterliche Keramik ausunterschiedlichen Ausgrabungen in Pirna (Lange Str. 27; Grohmannstr. 3;Schloßstr. 4/Kirchplatz 9a).

Unglasierte Nischen- und Blattkacheln von Kachelöfen, Schmiedestraße 16/17.

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hier abgelaufenen Prozesse stellten vermutlich einen Ver­

such dar, der nicht zum Erfolg führte: Die Pirnaer Hütte

wurde abgebrochen bzw. der Produktionsort verlegt. Die­

ser Umstand ermöglicht uns die seltene Beobachtung ei­

nes Arbeitsplatzes in seinem Anfangsstadium, der sonst

durch die nachfolgende Produktion überformt wird.

Schmelzversuche der Burglehnhütte Pirna stehen im

Kontext mit anderen montanen Ereignissen des frühen

13. Jahrhunderts, welche das Gebiet zwischen Gottleuba

und Königstein erschlossen: der Anlage von Eisenhäm­

mern im Bielatal und die Einrichtung der Bergvogtei bei

den Erzlagern. Der Betrieb von Verhüttungsöfen in Pirna

ist aufgrund des Abstandes zu den Erzlagern und abseits

von Wasserkraft als ungewöhnlich zu nennen; die Anlage

einer möglichen Burglehnhütte war wohl in erster Linie

am Schutz der Burg Sonnenstein orientiert. Auch der Sitz

der Sächsischen Eisenkammer, vergleichbar der Silber­

kammer in Freiberg, lag von 1472 bis 1686 in Pirna. Eine

Brüderschaft der Schmiede wird in Pirna 1479 erstmals

genannt.

Technische Anlage Lange Straße 33/34. Die über 5 m lange und über 2,50 m

tiefe Grube 444 war mit Erde, Steinen und zahlreichen Eisenschlacken gefüllt.

Kugelzonengewichte miteingeschlagenen Kreismarkierungen

von der Schloßstraße 14.

Einzelne Halbbrakteaten aus dem Schatzfund von Pirna-Copitz.

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Handel

Aus einem als Latrine und Abfallgrube genutzten Sand­

steinschacht der Schloßstraße 14 stammen zwei äußerst

bemerkenswerte Funde. Es handelt sich um Kugelzonen­

gewichte aus einem kupferhaltigen Buntmetall, von dem

das eine etwa doppelt so groß ist wie das andere. Die

scheibenförmigen Objekte von 900 g bzw. 1820 g Gewicht

besitzen auf einer fl achen Seite runde, eingeschlagene

Markierungen (das kleinere vier, das größere acht), die

mit dem Masseverhältnis korrespondieren. Die Anzahl der

Marken bezieht sich möglicherweise auf die „Kölnische

Mark“, ein im Spätmittelalter verbreitetes Gewichtsmaß

von 233 Gramm, deren Vielfaches sich mit den Gewichten

aus Pirna und ihren Markierungen ungefähr bilden lässt.

Die aus dem 12./13. Jahrhundert stammenden Gewichte

sind ein eindrucksvoller Beleg für entsprechende Han­

dels­ bzw. Verkaufstätigkeit auf dem Grundstück Schloß­

straße 14.

Ein anderer Fund von der gegenüberliegenden Elbseite

soll in diesem Zusammenhang kurz erwähnt werden. Im

Sommer 1972 konnte bei Schachtarbeiten in Pirna­Copitz

ein Tongefäß mit Münzen geborgen werden, das in der

Nähe eines bereits 1896 entdeckten Schatzfundes lag.

Der zweite Münzschatz von Pirna­Copitz besteht heute

noch aus 642 sogenannten Halbbrakteaten und einzelnen

Stücken von zerhackten Silberbarren. Der überwiegende

Teil der Brakteaten zeigt den thronenden Markgrafen von

Meißen, vermutlich Markgraf Dietrich den Bedrängten

(1198–1221). Anhand weiterer unterschiedlicher Münzen

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darf als Niederlegungszeitpunkt des Münzschatzes die

Spanne um 1225/1230 angenommen werden. Der Fund­

ort liegt an einem alten Furt­ oder Brückenübergang. Mit

einem Silbergewicht von über 780 g gehört der Copitzer

Schatz zu den größeren mittelalterlichen Silberdepots

Sachsens. Vermutlich ist er mit dem Fernweg von Dohna

nach Bautzen (über Burg Sonnenstein und Pirna­Copitz)

in Verbindung zu bringen.

Brandschichten

Historisch belegte Brandkatastrophen sind in Pirna ver­

einzelt auch archäologisch zu fassen. Stammen die Funde

aus einem Zeitraum, für den ein Stadtbrand oder Kriegs­

zerstörungen berichtet werden, kann ein Zusammenhang

angenommen werden. „1488 brannte die Breite Straße vor dem

Dohnaischen Tore gänzlich nieder“, schreibt der Historiker und

Volkskundler Alfred Louis Meiche, der im frühen 20. Jahr­

hundert sämtliche verfügbaren schriftlichen Quellen über

Pirna auswertete. Dieser Stadt(teil)brand wurde bei den

Ausgrabungen auf den Parzellen Breite Straße 11/13, 46

und Grohmannstraße 3, aber auch etwas entfernter in der

Schmiedestraße 16/17, Schloßstraße 14, Schloßstraße 4/

Kirchplatz 9a und Barbiergasse 10 nachgewiesen. Eine Lat­

rine der Schloßstraße 4/Kirchplatz 9a war mit Keramik des

15. Jahrhunderts und verschiedenem Brandschutt gefüllt.

Auf der Grohmannstraße wird ein Holzhaus auf dieser

Brandschicht errichtet – und endet später wieder durch

einen Brand, vielleicht jenem von 1514.

Zweiter Münzschatzfund von Pirna-Copitz mit Aufbewahrungsgefäß.

Hacksilber aus dem Schatzfund von Pirna-Copitz.

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Spätmittelalterliche Funde

Durch die Erhaltungsbedingungen im Boden besteht der

Großteil der spätmittelalterlichen Funde aus Keramik. Un­

ter der großen Menge einfacher Gebrauchskeramik fi nden

sich auch besondere Stücke wie bemalte Gefäße, Leuchter

oder Miniaturgefäße aus feiner weißer Irdenware. Es gibt

auch einzelne Funde aus anderen Materialien, zum Bei­

spiel Kämme aus Knochen oder Holz, eiserne Nägel, Waf­

fen­ und Werkzeugteile, eine Bügelschere und Schlüssel,

Schnallen aus Buntmetall oder markierte Spielsteine. Von

einer Pilgerfahrt kündet der in Sachsen seltene Fund einer

Jakobsmuschel mit Löchern zum Befestigen an der Klei­

dung und roten Bemalungsresten.

In den Funden und Befundstrukturen der Grabungen

aus dem Stadtgebiet von Pirna, die hier in groben Um­

rissen bis zum Ende des Mittelalters vorgestellt werden

konnten, scheint die bewegte Vergangenheit dieser Stadt

plastisch und vielfältig auf – an manchen Stellen erstaun­

lich detailliert, an anderen noch lückenhaft. Künftige Un­

tersuchungen werden dazu beitragen, dieses Bild weiter

zu ergänzen und die Geschichte der Stadt um neue Er­

kenntnisse zu bereichern.

Spielstein oder Zählmarkefür Rechenbrett aus der

Langen Straße 33/34.

Jakobsmuschel mitResten von roter Bemalungaus der Grohmannstraße 3.

Eiserne Fundstücke von unter-schiedlichen Ausgrabungen in Pirna: Bügelschere, Messer und Schlüssel.

Schnallen und sternförmige Broscheaus unterschiedlichen Ausgrabungen

in Pirna (Schloßstr. 14; Niedere Burg-str. 5/Fleischergasse; Lange Str. 27).

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