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ARCHAEONAUT
Hefte zu archäologischen Kulturdenkmälern in Sachsen
1 Burg- und Klosteranlage Oybin 2 Leipzig, Thomaskirchhof – Klerus, Bürger und Beamte 3 Der Burgberg Meißen – Archäologie und frühe Geschichte 4 Adonis von Zschernitz – Die Kunst der ersten Bauern 5 Wüstes Schloss Osterlant – Archäologie und Perspektiven für seine Erschließung 6 Das alte Rathaus in Bischofswerda – Neues über die Anfänge einer alten Stadt 7 Stadt und Kloster Riesa – Archäologie und frühe Geschichte 8 Zwischen Schloss und Neumarkt – Archäologie eines Stadtquartiers in Dresden9 Der Burgberg Zschaitz in der Lommatzscher Pflege – Landschaft, Natur und Archäologie10 Schloss und Stadt Rötha – Landschaft, Archäologie und Geschichte11 Pirna – Stadt und Burg im Mittelalter
Landesamt für Archäologie, DresdenISBN 978-3-943770-07-0 · ISSN 1611-2628
PirnaStadt und Burg im Mittelalter
ARCHAEONAUT 11
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ARCHAEONAUT 11
Pirna – Stadt und Burg im MittelalterRalf Kluttig-Altmann und Karsten Lehmann
In Zusammenarbeit mit dem Stadtmuseum Pirna
· Dresden 2013
Ringmauer
Neue Kaserne
Ehem. Äußerer Graben
Kommandantenhaus
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ULuntenturm
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Ehem. Innerer Graben
Pulverturm
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Rundflügel
Eckturm
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Hohes Werk
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Niederes Werk
Alte Kemenate
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Mittleres Werk
Bronzezeit
Störung 17. Jahrhundert
spätes 10. Jahrhundertbis 11. Jahrhundert
15. Jahrhundert
13. Jahrhundertvermutlich 13. Jahrhundert
um 1200
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15. JahrhundertLehmfußboden
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Übersichtsplan Stadt PirnaZeittafel
5500–4500 v. Chr. Jungsteinzeitliche Besiedlung im Raum Pirna
1350–750 v. Chr. Siedlungsreste der Jüngeren Bronzezeit (Lausitzer Kultur) imStadtbereich sowie Urnengräber auf dem Sonnenstein
750–250 v. Chr. Besiedlungsnachweise der frühen und mittleren Vorrömischen Eisenzeitam Westhang des Sonnensteins und im Klosterbereich
nach 900 Slawische Siedlung am Westhang des Sonnensteins und einBefestigungswall (etwa 960/970) auf dem Sonnenstein
1100–1250 Spätslawische und hochmittelalterliche Bebauung im heutigenStadtgebiet und auf dem Sonnenstein
1233 Erste schriftliche Erwähnung des Ortsnamens „prne“
1239 Markgraf Heinrich der Erlauchte urkundet in Pirna
1269 Erste urkundliche Erwähnung der Burg Pirna (castrum)
1293 Verkauf von Stadt und Burg durch den Bischof von Meißenan König Wenzel II. von Böhmen
vor 1300 Ansiedlung von Dominikanermönchen aus Leipzig in Pirna
nach 1350 Abriss und Verlegung der Stadtmauer zur Schaffung des Klosterarealsim Nordwesten der Stadt
1351 Karl IV. hält in Pirna einen Fürstentag ab
1405 Burg gelangte wieder in den Besitz der Wettiner durch denMarkgraf von Meißen, Wilhelm den Einäugigen
um 1465 Geburt des späteren Ablasshändlers Johannes Tetzel in der heutigen Schmiedestraße 19
1539–1548 Aufl ösung des Dominikanerklosters
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„… weil auch die Logiamenter wohlfeil seyn; Als wohnen gern
Adelich Familien, sonderlich Adeliche Wittwen allhier und genie-
ßen die lustige Revier gar wohl“, so lobte bereits der Lockwit
zer Pfarrer Christian Gerber in seinem 1717 erschienenen
Werk Die Unerkannten Wohlthaten Gottes, In dem Chur-Fürs-
tenthum Sachsen Und desselben vornehmsten Städten. Dresden
und Leipzig, die besondere Lage Pirnas mit den vom Adel
bevorzugten Wohnsitzen.
Naturraum
Die Stadt Pirna liegt an einer geographisch markanten
Stelle, genau dort, wo die Elbe das Elbsandsteingebirge
verlässt und ihr Tal sich zur fruchtbaren Dresdner Elbtal
weitung öffnet. Südwestlich enden die Ausläufer des Ost
erzgebirges und nördlich liegt die Westlausitzer Platte.
Daraus ergibt sich eine außerordentlich günstige Verkehrs
lage: Nicht nur die Elbe war seit alters her ein bequemer
Verkehrsweg, ebenso trafen sich wegen der Querungsmög
lichkeiten des Flusses bereits in urgeschichtlicher Zeit
wichtige Handelsrouten bei Pirna. Im Mittelalter sind dies
die Fernstraße von Prag über den Kulmer Steig nach Dohna
und weiter nach Bautzen sowie diejenige von Meißen und
Dresden über Königstein nach Tetschen (Děčín).Durch die zahlreichen Ausgrabungen im Stadtbereich
von Pirna, die in den vergangenen 20 Jahren durchgeführt
worden waren, ergab sich die Möglichkeit, durch viele
„Fenster“ nicht nur in die Geschichte der Stadt, sondern
auch in den geologischen Untergrund zu schauen. Ein
NordSüdQuerschnitt entlang der Breiten Straße/Doh na
ischen Straße zeigt Flussschotter im Süden und Auelehm
bzw. Flusssand in Elbnähe. Eine zweite NordSüdLinie im
Osten der Stadt über die Obere und Niedere Burgstraße
weist größere Höhenunterschiede auf. Der anstehende Bo
den fällt zur Elbe hin ab. Die Obere Burgstraße und der
Kirchplatz liegen dagegen noch leicht erhöht zu Füßen
des Sonnensteins. Die Niedere Burgstraße wie auch die
restliche Innenstadt befinden sich deutlich tiefer und da
mit im Einzugsbereich größerer Hochwasser, auch wenn
man schon seit dem Mittelalter versuchte, durch großflä
chige Aufschüttungen diese Situation zu verbessern. Noch
Die Elbe bei Pirna im Luftbild mit Elbsandsteingebirge im Hintergrund.
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heute ist nahezu die gesamte Altstadt hochwassergefähr
det, wie die Flut von 2002 dramatisch vor Augen führte.
Die Bausubstanz Pirnas war bereits in den letzten Jahren
der DDR in einem stark maroden Zustand. Einige historisch
wertvolle Häuser konnten nicht mehr gerettet werden und
fielen dem Abriss zum Opfer. Die nach der politischen
Wende in Pirna langsam anlaufende Sanierungs und Neu
bauwelle eröffnete – zunächst der damaligen Stadtarchäo
logie Pirna und dann nachfolgend dem Landesamt für Ar
chäologie in Dresden – die Möglichkeit, auf zahlreichen
Parzellen baubegleitende Untersuchungen durchzuführen.
Urgeschichtliche bis bronzezeitliche Besiedlung
Nachweise menschlicher Siedlungstätigkeiten finden sich
im Raum Pirna mindestens seit dem Beginn der Jungstein
zeit (5500–4500 v. Chr.), wie Streufunde von wenigen
bearbeiteten Feuersteinen und Scherben mit Linien und
Stichbandverzierung aus dem Stadtgebiet belegen. Für den
Zeitabschnitt der Bronzezeit (2200–750 v. Chr.) werden
die kulturellen Hinterlassenschaften schon häufiger. So
sind im Umland der Stadt seit längerem Gräberfelder be
kannt und auch bei den Ausgrabungen im Stadtgebiet tau
chen regelmäßig Scherben aus bronzezeitlichen Perio den
auf. Die Fundverteilung verrät eine Vorliebe für hochwas
Pirna
Freital
Bischofswerda
Teplice
Ústí nad Labem
Dresden
Elbe
Labe
Děčín
Die Stadt Pirna und der Sonnenstein von der Elbseite aus der Vogelschau.
Digitales Höhenmodell vom Osterz-gebirge bis zum Lausitzer Hügelland.
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Pirna
Freital
Bischofswerda
Teplice
Ústí nad Labem
Dresden
Elbe
Labe
Děčín
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sergeschützte Siedlungslagen, wie es die Reste einer bron
zezeitlichen Siedlung auf einem Geländesporn verdeutli
chen; dieser reicht vom Hang des Sonnensteins bis auf
den Markt. Ein bemerkenswerter bronzezeitlicher Fund
ist der Gefäßkomplex von der Schloßstraße 14. Im Zusam
menhang mit mindestens einem kleinen, in den Boden
eingetieften Gebäude, einem sogenannten Grubenhaus,
und einer als Nahrungsmittelspeicher dienenden Vorrats
grube fanden sich unter anderem fünf Gefäße, die uns ei
nen guten Eindruck vom vergleichsweise hohen Stand der
Keramikherstellung geben. Zeitlich können diese Gefäße
der sogenannten Lausitzer Kultur zugerechnet werden,
die bei uns die Jüngere Bronzezeit (1350–750 v. Chr.)
umschreibt. In der Vorratsgrube, die vielfältige Spuren
von Feuer zeigte, hatte man vermutlich Nahrungsmittel
konserviert. Bei der geborgenen Keramik von der Schloß
straße 14 handelt es sich also nicht um Grabbeigaben,
sondern um Gefäße des täglichen Gebrauchs.
Auf etwa dem gleichen Höhenniveau südlich des Stadt
kerns, am Fuße eines kleinen Hügels inmitten der Talaue,
dem „Weiten Friedhof“, fanden sich keramische Nach
weise unterschiedlicher Zeitstufen, die an das Ende der
Elbe
Markt
Grabungsflächen
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Archäologisch unter-suchte Parzellen in derInnenstadt von Pirna.
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Jüngeren Bronzezeit bzw. bis in die frühe Vorrömische
Eisenzeit reichen und mit der Billendorfer Kultur (etwa
um 700 v. Chr.) in Verbindung gebracht werden können.
Die Keramik vom „Weiten Friedhof“ zeigt einen deutlichen
böhmischen Einfl uss und lässt auf eine Besiedlung schlie
ßen, die in Zusammenhang mit der aus dem Erzgebirge
kommenden Handelsroute des „Kulmer Steiges“ steht.
Eisenzeitliche Besiedlung
Auch während der Vorrömischen Eisenzeit war die Gegend
um Pirna besiedelt, jedoch sind die Hinweise spärlich oder
kaum zu erkennen. An der Treppe von der Oberen Burg
straße zum Kirchplatz wurde eine mit verziegeltem Lehm
ausgekleidete Grube angeschnitten, deren beiliegende Kera
mik vermutlich aus der Zeit zwischen 600–400 v. Chr.
stammt. Keramik der mittleren Vorrömischen Eisenzeit
(500–250 v. Chr.) kam ebenfalls auf dem Gelände des spä
teren Dominikanerklosters zutage. Den umfangreichsten
Besiedlungsnachweis der Vorrömischen Eisenzeit gab es
auf der Oberen Burgstraße 2 in Form einer ehemals über
Eisenzeit
Bronzezeit
Elbe
Markt
Vorgeschichtliche Fundstellen der Bronzezeit und Eisenzeit in der Innenstadt von Pirna.
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dachten Feuergrube und einem daran vorbeiführenden
Zaun. Die wenigen Siedlungsbelege dieser Zeitspanne
konzentrieren sich damit ebenfalls auf den Geländesporn
des Sonnensteins, können aber auch in Elbnähe (im heu
tigen Klosterbereich) mit einer erst seit dem Spätmittel
alter beglaubigten, aber sicher schon früher genutzten
Furt über die Elbe in Zusammenhang stehen.
Früh- bis hochmittelalterliche Besiedlung
In den folgenden rund 1500 Jahren können wir in oder
unmittelbar um Pirna bislang keine Belege für mensch
liche Anwesenheit feststellen. Erst ab dem 10. Jahrhun
dert beziehungsweise aus dem Hochmittelalter (1100–
1250 n. Chr.) ist Siedlungstätigkeit wieder fassbar. Die
meisten dieser Nachweise konzentrieren sich auffällig am
Westhang des Sonnensteins. Ausgrabungen lassen hier
eine slawische Siedlung erkennen, die möglicherweise
noch über den heutigen Markt nach Westen ausgriff. Spät
slawische Streuscherben sind auch aus dem nordwestlich
gelegenen Klosterbereich belegt. Wie der Prozess der As
similation mit den deutschen Einwanderern im Hochmit
telalter im Einzelnen verlaufen ist, verraten die Funde
jedoch nicht.
Mehrfach ließen sich in Pirna slawische bzw. hochmit
telalterliche Bauten oder Gebäudeteile erfassen. Durch
großflächige Ausgrabungen auf der Oberen Burgstraße 2
konnte eine Besiedlungsabfolge seit dem 10. Jahrhundert
nachgewiesen werden. Hier zeigte sich ein großer Pfos
tenbau, der etwa ostwestorientiert und mindestens 10 m
lang war. Mit einer Steinunterfütterung und Pfosten, die
am unteren Ende angekohlt waren, konnten konkrete
Baudetails dieses Wohn(?)Hauses beobachtet werden.
Vor dem zum Schlossberghang ausgerichteten Ende des
Hauses befand sich zeitgleich eine etwa 3 x 1,5 m große
Zisterne, die aus dem Hang austretendes Schichtenwas
ser speicherte. Ihr Boden war mit Reisig ausgelegt, um
beim Wasserentnehmen keinen Schlamm aufzuwirbeln,
und ihr abgestufter Rand ermöglicht es, bei unterschiedli
chen Füllständen den Wasserspiegel bequem zu erreichen.
Später befand sich an der hangzugewandten Seite der
Gefäßkomplex der Lausitzer Kultur, ein Zeitabschnitt der Jüngeren Bronzezeit, von der Schloßstraße 14.
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Parzelle ein Ständerbau, von welchem eine Ständerunter
fütterung, vertikale Wandbohlen, der Fußboden und eine
Feuerstelle überdauerten. Dieses mindestens 5 m breite
und nordsüdausgerichtete Haus ist im späten 12. Jahr
hundert errichtet worden. Es bestand bis ins 13. Jahrhun
dert, wie eine spätere Abfallgrube an der gleichen Stelle
belegt, die neben anderem, meist organischem Fundma
terial auch einen fast vollständigen Lederschuh enthielt.
Bauliche Strukturen aus dem 10. Jahrhundert gibt es
ebenfalls von der Schloßstraße 6. Fast vollständig wur
de hier ein 4 × 2,5 m großes, in den Boden eingetieftes
Grubenhaus erfasst, dessen vermutlich zeltartige Überda
chung auf mittigen Firstpfosten ruhte. Es könnte sich um
eine Werkstatt gehandelt haben, die – wie Feuerspuren
suggerieren – durch Brand zerstört worden war. Ein direk
ter Zusammenhang mit dem gleich alten Wohngebäude
auf der heute gegenüberliegenden Straßenseite ist wahr
scheinlich. Ein späteres, aber noch dem 10. Jahrhundert
zuzuordnendes Haus an Stelle der „Werkstatt“ ist nur
durch eine Feuerstelle und wenige Pfostenlöcher belegt.
Für ein drittes Haus, das aus dem 12. Jahrhundert stammen
dürfte, wurde eine andere Bautechnik verwendet. Die
10. Jahrhundert11.–12. Jahrhundert
Elbe
Markt
Früh- und hochmittelalterliche Fund-stellen in der Innenstadt von Pirna.
Keramik vom 10./11. bis zum frühen
13. Jahrhundert aus der Umgebung von Pirna: Birkwitz (h. l.), Heidenau OT
Mügeln (v. l.) und Niederrathen (v. r.).
Vollständiger Topf, ergänzt, von der Schloßstraße 14, um 1200.
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Wände bestanden aus senkrechten Bohlen und einer paral
lelen Pfostenreihe, die das Dach getragen haben. Der etwa
5 m lange Bau war vermutlich halbseitig offen und dien
te als Schuppen oder Unterstand. Neben dem mit einer
Feuerstelle versehenen Bau deutet ein halbkugel förmiger
Stein auf eine drehbare Konstruktion. Eine Fundstelle mit
Resten der Eisenbearbeitung (der Standort eines Ambos
ses?) lässt in diesem Bau eine mögliche Schmiede vermu
ten. Sie ist als erstes Gebäude der Parzelle traufseitig zum
Nachbargrundstück orientiert – eine Lage, die von späte
ren Häusern an dieser Stelle übernommen wird.
Weiter östlich, in der Schloßstraße 14, wurde die
Südost ecke eines slawischen Grubenhauses erfasst, das
etwa 2,4 m breit gewesen sein kann. Auch von der Nord
seite der Schloßstraße stammen Baustrukturen aus dem
10./11. Jahrhundert. In Begleitung reicher Keramikfunde
lässt sich hier anhand von Pfostenstellungen ein eben
erdiges, etwa 7 × 9 m großes Haus rekonstruieren. Bei
einer kleinen Grabung südlich vor der Marienkirche wur
de eine ostwestorientierte Bestattung erkannt, welche
aus dem Kontext des 10.–12. Jahrhunderts stammt. Si
cher markiert diese Bestattung einen frühen Friedhof, der
möglicherweise mit der ältesten Kirche von Pirna in Ver
bindung gebracht werden kann. Es ist anzunehmen, dass
bereits einige Zeit vor der ersten Erwähnung der Pfarrei
1233 hier eine Kirche bestand. Die heutige spätgotische
Knochenwerkzeuge, vermutlich für die Lederverarbeitung, von der
Schloßstraße 6 und Langzinkenkamm von der Langen Straße 33/34.
Topffragmente von den Aus-grabungen Schloßstraße 6 und Schloßstraße 4/Kirchplatz 9a.
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dreischiffi ge Hallenkirche St. Marien ist das Resultat eines
tiefgreifenden Umbaus des 16. Jahrhunderts.
Die angeführten Siedlungsnachweise an mehreren Stel
len der Stadt lassen am Fuße des Sonnensteins eine ur
sprünglich slawische Besiedlung seit dem 10. Jahrhundert
erkennen und damit auf einen Siedlungskern schließen,
der lange vor der eigentlichen Stadtgründung Bestand
hatte. Zur heutigen Stadt und Parzellenstruktur gibt es
ab dem 12. Jahrhundert erste Bezüge. Die wenigen er
fassten Spuren verraten in Ansätzen, wie die Bevölkerung
wohnte und arbeitete und wie ihre Wasserversorgung
funktionierte. Funde aus dieser Epoche vor der Verleihung
des Stadtrechts sind, neben typischer wellenverzierter,
meist grober Gefäßkeramik, unter anderem Spinnwir
tel aus Keramik, Schleifsteine und für die Keramik oder
Lederbearbeitung genutzte Knochenwerkzeuge.
Spätmittelalter
Ab dem 13. Jahrhundert werden die archäologischen Funde
zahlreicher und erlauben weitreichende Einblicke in un
terschiedliche Lebensbereiche der Menschen. Sowohl die
Aussagen zur Bebauung der einzelnen Parzellen als auch
der frühen Stadt als Ganzes lassen sich detaillierter und
umfassender treffen; verschiedene Handwerke haben ihre
Spuren hinterlassen und historisch belegte Ereignisse wie
Stadtbrände fanden einen Niederschlag.
Sechs Spinnwirtel aus Keramik von der Ausgrabung Lange Straße 33/34.
Spinnwirtel auf hölzernen Spindel-stab montiert; Fundstück von der Schloßstraße 4/Kirchplatz 9a.
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Parzellen- und Stadtstruktur
Die heutige Stadtstruktur von Pirna spiegelt eine plan
mäßige Anlage wider, wie sie typisch ist für Städte, die
während des hochmittelalterlichen Landesausbaus durch
deutschsprachige Siedler in slawischem Gebiet geprägt
wurden. Sucht man nach Kontinuität in der Parzellenge
staltung und Ausrichtung der Häuser, wird man bereits
vom 12. bis 14. Jahrhundert fündig. Einzelne Holzhäuser
und Steinbauten geben Parzellengrenzen, Orientierungen
und Traufgassen zu Nachbargrundstücken vor, die bis in
die jüngste Vergangenheit tradieren und eine hohe Par
zellenkontinuität belegen. Im 12./13. Jahrhundert wer
den auch die bisher gemiedenen hochwassergefährdeten
Bereiche der Stadt zwischen Schlossbergsporn und Elbe
sowie im späteren Klosterbereich erschlossen. Im ältes
ten Siedlungskern der Stadt am Hang des Sonnensteins
(Obere Burgstraße 2) zeigt sich noch im 13. Jahrhundert
eine deutlich andere Struktur, die erst gegen Ende des
Jahrhunderts und damit deutlich nach der Verleihung des
Stadtrechtes (um 1239–1245) in das Parzellengefüge der
Stadt integriert wird. Die dann übliche Gliederung weist
eine straßenseitige Wohn und rückwärtige Wirtschafts
bebauung auf. Im 14. Jahrhundert wird die festgelegte
Struktur der aufstrebenden Handelsstadt mehr und mehr
in Stein ausgeführt. Nur in den Vorstädten ist man noch
nicht an eine feste Struktur gebunden – Holzhäuser des
14. Jahrhunderts in der Grohmannstraße 3 zeigen eine
von der heutigen Achse abweichende, exakt nordsüdver
laufende Ausrichtung. Im Umfeld des Klosters hat eine
endgültige Parzellierung anscheinend erst im 14. Jahrhun
dert stattgefunden, was mit dem Neubau des Klosters und
der Verlegung der Stadtmauer erklärt werden kann.
Wege oder Straßenverläufe lassen sich in Pirna an
hand von Hausfluchten erschließen. Bei Ausgrabungen
konnten Wege oder Straßen des Spätmittelalters nur
sehr ausschnitthaft erfasst werden. Ein Bohlenweg kam
in der Fleischergasse zum Vorschein. Er war sehr gut er
halten, zeigte deutliche Fahrspuren und lag vermutlich
auf einem noch älteren, mit Reisig befestigten Weg. Bei
einer rekonstruierten Breite von 4 m ist das Befahren mit
großen Fuhrwerken denkbar. Der Bohlenweg konnte nur
Das ehemalige Dominikanerkloster mit mehrfach umgebautem Sommerrefekto-rium und Kapitelsaalgebäude beherbergt heute das Stadtmuseum Pirna.
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unvollständig untersucht werden; er steht aber sicher im
Zusammenhang mit den Holzbauten aus der ersten Hälfte
des 13. Jahrhunderts im Quartier der Holdergasse. Die
nordostsüdwestliche Ausrichtung des ausgegrabenen Boh
len weges berechtigt zu der Vermutung, dass er zur Stra
ßen verbindung nach Berggießhübel gehörte und zur
Schiff torvorstadt an der Elbe reichte.
Vorstädte
Im Spätmittelalter spielte sich nicht die gesamte Sied
lungstätigkeit innerhalb der ummauerten Stadt ab – es
entstanden Vorstädte. Diese konnten im Gegensatz zum
fest umrissenen Stadtkern ungehindert wachsen. In den
Vorstädten, die kriegerischen Ereignissen verhältnismä
ßig schutzlos preisgegeben waren, wurden meist feuer
gefährliche oder geruchsbelästigende Gewerbe angesie
delt. Vorstädte entstanden typischerweise direkt vor den
Stadttoren und trugen meist deren Namen. Neben his
torischen Nachrichten, die im 15. Jahrhundert von den
elbseitigen Schifftor und Elbtorvorstädten sprechen, ließ
13. Jahrhundert
14. Jahrhundert
15. Jahrhundert
Elbe
Markt
SB
H
SB
H
SM
SB
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BrunnenHolzbauLatrine/AbfallgrubeSteinbauStadtmauerSteinwerke
HB
L/ASBSMSW
Stadtbrände 1488Stadtbrände 1514
SW
SM
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H
H
Evangelisch-LutherischeStadtkirche St. Marien zu Pirna,
Blick zum Altar (2005).
Spätmittelalterliche Baubefunde auf archäologisch untersuchten
Parzellen der Innenstadt von Pirna.
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sich archäologisch die sogenannte „Dresdnische Gasse“ so
wie die südlich gelegene Nicolaivorstadt bzw. Dohnaische
Vorstadt nachweisen. In der Nicolaivorstadt stand auf
der Breiten Straße 11/13 bereits im 14. Jahrhundert ein
Schwellbohlenhaus. Die Nikolaikirche ist namentlich seit
1338 belegt, der dazugehörige städtische Friedhof exis
tiert seit 1484. An der heutigen Ecke Grohmann straße/
Bahnhofstraße standen ebenfalls im 14. Jahrhundert die
ersten Holzhäuser. Im Grabungsfoto sind nur die Auflage
steine für die hölzernen Schwellbohlen zu erkennen. Äl
tere Forschungen vermuteten in der Schifftorvorstadt,
der Dresdnischen Gasse und der heutigen Breiten Straße
bereits im 12. Jahrhundert alte Siedlungskeime der späte
ren Stadt; diese Annahmen konnten archäologisch nicht
bestätigt werden.
Architektonische Details
Holzbauten waren im Spätmittelalter sehr verbreitet. Sie
begünstigen großflächige Stadtbrände, die es auch in
Pirna gab. Eine übliche Art des Hausbaus zwischen dem
13. und 15. Jahrhundert war der sogenannte Schwellboh
lenbau. Das waagerechte Grundgerüst besteht dabei aus
verzapften Bohlen, die auf Schwellsteinen ruhen. Darauf
stehen senkrechte Ständer, welche die aufgehende Kons
truktion tragen. Ihre Zwischenräume können mit Fach
Grabungsfoto von der Grohmann-straße 3. Der Hausgrundriss lässt
sich anhand von Auflagesteinen für die Schwellbohlen ermitteln.
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werk ausgefüllt sein. Ein Schwellbohlenbau mit Vordach
ist von der Niederen Burgstraße 5/Ecke Fleischergasse
überliefert. An verschiedenen Stellen der Stadt finden sich
Überreste ehemaliger Häuser, die zum Teil noch Fußbo
dendielen aufweisen. Nicht selten zeigen die Hausreste
deutliche Brandspuren.
Steinbauten sind im spätmittelalterlichen Pirna selten
nachzuweisen. Wie in anderen Städten auch zählen die so
genannten Steinwerke dazu. Es sind im Allgemeinen keine
an Straßen grenzende Wohnbauten, sondern rückwärtige
Speicher von überschaubaren Ausmaßen. Zumindest im
Untergeschoss sind sie solide aus Naturstein oder Ziegeln
gemauert, worauf sich dann ein Fachwerkgeschoss befun
den haben kann. Zum Teil waren diese Bauten unterkellert
(Niedere Burgstraße 5/Fleischergasse, Obere Burgstraße 2);
N
Grabungsplan mit Hausresten von der Langen Straße 27 in der Aufsicht (vgl. Foto unten).
Grabungsfoto Lange Straße 27. Die hölzernen Reste der Schwell-bohlen eines ehemaligen Hauses sind erhalten geblieben.
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20
manchmal war das Erdgeschoss leicht eingetieft (Kirch
gasse 2/3, Dohnaische Straße 76). Zusammen mit der
Steinbauweise war so eine (feuer)sichere und kühle Vor
ratshaltung gewährleistet. Meist stammen die Steinwerke
aus dem 13./14. Jahrhundert, jenes aus der Oberen Burg
straße 2 konnte bauhistorisch um 1300 datiert werden.
Steinerne Wohnbauten sind überwiegend jünger. Auf
grund wiederholter Feuersbrünste erließen die Stadtob
rigkeiten zunehmend strenge Anordnungen: So mussten
Neubauten in (Ziegel)Stein ausgeführt und Brandmauern
errichtet werden, Dächer waren mit Dachziegeln statt
Holzschindeln oder Stroh zu decken. Archäologisch lassen
sich wenige Fundament oder Kellerreste nachweisen. An
der Breiten Straße 11/13 fand sich ein massives, in Lehm
gesetztes Sandsteinfundament, dem ein Lehmestrich und
eine mit Flusskieseln ausgelegte Feuerstelle zugeordnet
werden konnten. Ebenfalls im 15. Jahrhundert ist auf der
Schloßstraße 6 erstmals eine Steinbebauung nachzuwei
sen, und auf der Barbiergasse 10 gab es in dieser Zeit eine
steinerne Fundamentierung, die rechtwinklig zur Barbier
gasse steht und einen schmalen Gang zum Nachbargrund
stück Barbiergasse 11 freilässt.
N
1 m1 m
1 m
Quadratischer, in Lehm
gesetzter Sandsteinbrunnen von der Schloßstraße 14.
Rekonstruktion der Mauerbefunde vom Steinwerk im Hinterhof der Dohnaischen Straße 76.
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22
Erste archäologische Zeugen steinerner Keller sind für das
ausgehende Spätmittelalter ebenfalls nachweisbar. Auf der
Schmiedestraße 16/17 war ein Keller mit großen Flusskie
seln gepflastert. Auch auf der großen Grabungsfläche der
Langen Straße 27 besaßen die zahlreichen zutage kom
menden Keller spätmittelalterliche Bestandteile; die Kel
lermauern waren zum Teil in Lehm gesetzt, zum Teil auch
schon gemörtelt.
Neben den Resten hölzerner oder steinerner Baustruk
turen finden wir auch andere Teile nicht mehr existenter
Häuser, wie Hüttenlehm und Ziegelsteine, Dachziegel
und Schieferplatten. Diese Funde sind keine Seltenheit,
sondern auf städtischen Grundstücken fast immer anzu
treffen. Eine Besonderheit stellen vollständig erhaltene
Dachziegel dar, die im Hof der Langen Straße 27 in Zweit
verwendung als Abflussrinne dienten. Mit dem stattlichen
Gewicht von 4,3 kg gibt ein besonders großes Exemplar
eine Vorstellung davon, welche Last ein vollgedeckter
Dachstuhl zu tragen hatte.
Schluckbrunnen
Eine Besonderheit in den hochwassergefährdeten Stadtbe
reichen sind sogenannte Schluckbrunnen. Diese etwa 1 m
breiten und mehrere Meter tiefen Schächte sollen nach
dem Rückgang von eingedrungenem Hochwasser das RestMündung eines sogenannten Schluck-
brunnens von der Langen Straße 27.
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wasser aus den Hauskellern in das Erdreich ableiten. Ne
ben einem frühen, nur mit Lehm ausgekleideten Vorläufer
eines Schluckbrunnens aus dem 13. Jahrhundert von der
Niederen Burgstraße 5 sind die anderen, aus Sandstein ge
setzten Röhren jünger. Ein besonders gut erhaltenes Bei
spiel konnte auf der Langen Straße 27 aufgedeckt werden.
Trinkwasserbrunnen
Die Wasserversorgung der Pirnaer Bürger ist im Spätmit
telalter an diversen Brunnenbauten ablesbar. Seit dem
13. Jahrhundert sind dies gemauerte Brunnenschächte,
welche im Freien neben den Wohnhäusern lagen. Diverse
bauliche Details konnten an den Brunnenschächten beob
achtet werden und geben Auskunft über den Zugang zum
Wasser, die Schöpftechnik oder die Filterung des zulau
fenden Wassers. Frühe Formen aus dem 13. Jahrhundert,
wie in der Schloßstraße 14, besitzen einen quadratischen
Querschnitt und sind in Lehm gesetzt. An einem davon
ließ sich sogar der Ansatz einer kuppelförmigen Über
wölbung zum Schutz vor Verunreinigung erkennen. Eine
runde Zisterne mit Lehmwänden ergänzte hier die Was
serversorgung.
Entsorgung
Nicht selten wurden Brunnen, die ausgedient hatten
oder baufällig wurden, zu Latrinen umfunktioniert. Für
diese Nutzungsänderung mussten die durchlässigen Brun
nenwände mit Ton abgedichtet werden. In den Latrinen
landete neben den Fäkalien auch der Hausmüll, wie ein
Vollständig erhaltener Hohlziegel(Gratendziegel) von der Langen Straße 27; Länge 58 cm.
Stadtansicht von Pirna mitSchloss Sonnenstein vom Burg-lehnpfad der gegenüberliegendenElbseite aus gesehen.
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Beispiel von der Schloßstraße 14 zeigt. Volle Latrinen,
die nicht mehr geleert, sondern endgültig geschlossen
wurden, bedeckte man mit geruchsdämmenden Sand,
Kalk oder Holzspanschichten. Die oft mächtigen Abfall
verfüllungen in den Latrinen sind ein guter Spiegel des
täglichen Lebens. Neben organischen Abfällen aus Holz,
Knochen oder Leder enthalten sie vor allem Reste von Ke
ramik und Glasgefäßen sowie Bauschutt.
Bei bauhistorischen Untersuchungen im Rathaus ent
deckte man eine mit Flechtwerk ausgekleidete Abfallgrube
des 13. Jahrhunderts. Durch ihr Flechtwerk konnten flüs
sige Bestandteile versickern, sodass eine längere Füllzeit
möglich war. An der Fleischergasse 5 wurde eine ähnliche
Flechtwerkgrube untersucht, der später eine jüngere, aus
Sandsteinen gesetzte, ovale Grube folgte. Abwasser leite
te man in dieser Zeit über einfache Gräben ab, die eine
FlechtwerkAuskleidung besitzen konnten, wie Belege von
der Badergasse 2 zeigen.
Handwerk
Verschiedene Gewerbe lassen sich im Fundbild der spät
mittelalterlichen Stadt erkennen. Selten ist der Nach
weis eines Feldbrandofens für die Ziegelherstellung, der
in Klosternähe (Dohnaische Straße 76) möglicherweise
Das Grabungsfoto von der Dohna ischen Straße 76
zeigt die teilweise erfasste Tenne eines Feldbrandofens.
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den Klosterbau mit Ziegeln versorgte, oder eine Pech
grube von der Kirchgasse 2/3. Letztere diente vermutlich
einem Böttcher zum Abdichten der Fässer. Auch von der
Barbiergasse 10 gibt es Funde von Teer bzw. Pech. Meist
weisen besondere Funde – Halbfabrikate, Abfälle oder
Ausschuss – auf das jeweilige Handwerk hin. So deuten
Konzentrationen von Lederverschnittresten in der Dohna
ischen Straße 76, der Fleischergasse 5, besonders aber in
der Langen Straße 27/Holdergasse 2 darauf, dass hier ver
stärkt mit Leder gearbeitet wurde. Ein Knochenschnitzer,
der uns neben fertigen Spielwürfeln auch das Ende eines
Würfelstabes hinterließ, arbeitete in der Schloßstraße 14.
Die meisten Häuser innerhalb der Stadtmauer besaßen
das Braurecht. So diente vermutlich eine größere gemau
erte Feuerstelle des frühen 16. Jahrhunderts im Hof der
Schloßstraße 14 als Herd für den Sudkessel.
Töpfereibetriebe ließen sich durch archäologische Un
tersuchungen nicht lokalisieren. Von mehreren Parzellen
gibt es allerdings Fragmente von Ausschusskeramik oder
minderwertiger Keramik, die – als verworfen interpre
tiert – die Keramikproduktion vor Ort nahelegen würde.
Da sich der Großteil dieser Keramik in elbnahen Grundstü
cken fand, besonders entlang der Langen Straße/Plangasse,
ist nicht auszuschließen, dass mithilfe von Töpfereiabfäl
len planmäßige Geländeerhöhungen betrieben wurden.
Spielwürfel und Würfelstab (Halbfabrikat) aus Knochen von der Schloßstraße 14.
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Unglasierte Ofenkacheln, die zum Teil Bildplatten mit
Reliefverzierungen tragen, fi nden sich ebenfalls in spät
mittelalterlichen Fundkomplexen. Sie ähneln Funden aus
Dresden, Ostsachsen und Böhmen. Ob sie nach Pirna im
portiert oder bereits hier hergestellt wurden, bleibt fraglich.
Besonders deutliche Spuren hat in Pirna ein anderes
Handwerk hinterlassen: die Eisenverarbeitung bzw. Eisen
verhüttung. So konnte kaum eine Ausgrabung in Pirna
durchgeführt werden, ohne auf Spuren dieser Tätigkeiten
zu stoßen. Auf der Grohmannstraße 3 stand ein spätmit
telalterlicher Schwellbohlenbau, in dem möglicherweise
Metallverarbeitung stattfand, wie Eisenschlacke belegt. In
vielen Bereichen der Kernstadt, besonders den elbnahen
Parzellen, wurden Schlacken zur Geländebefestigung und
erhöhung verwendet, womit man gleichzeitig auch ein
Entsorgungsproblem löste. Manchmal, wie in der Langen
Straße 33/34, erreichten diese rostroten Aufschüttungen
die Mächtigkeit von einem Meter oder mehr. Die Herkunft
der Schlacke ließ sich durch Grabungen im Bereich Lange
Straße zwischen Niedere Burgstraße, Fleischergasse und
Holdergasse eingrenzen. Dort konnte bei Ausgrabungen
vermutlich ein Arbeitsgelände des eisenproduzierenden
oder eisenverarbeitenden Handwerks vom Beginn des
13. Jahrhunderts aufgedeckt werden. Dabei mag es sich
um die schon länger hier vermutete Burglehnhütte Pirna
handeln. Diese soll im Schutz der Burg Sonnenstein Ei
senerz verhüttet haben, das über die alte Handelsroute
Kulmer Steig aus Berggießhübel geliefert wurde. Zu dem
möglichen Hüttengelände gehören zwei Holzbauten, von
denen einer dendrochronologisch um 1218 datiert ist. Es
handelt sich um einen offenen „Schuppen“ mit verziegel
ter Lehmtenne und benachbarten massiven, bis meterho
hen Lagen aus Lehm und Schlacke sowie um ein Schwell
bohlenhaus, unter dessen Vordach verschiedene Schichten
mit Holzkohle und Schlackenkonzentrationen lagen. In
unmittelbarer Nähe befanden sich sowohl eine Feuerstelle
als auch die Reste von drei zerstörten Öfen, von denen nur
die Unterkonstruktionen erhalten sind. Neben zahlreichen
Eisenschlacken sprechen besonders die Bruchstücke der
Ofenauskleidungen für technische Anlagen. Naturwissen
schaftliche Untersuchungen der Eisenschlacke legen den
Schluss nahe, dass kein reines Eisen gewonnen wurde und
die Pirnaer Hütte über eine Versuchsphase nicht hinaus
gekommen ist. Weder Eisenerz noch produziertes Eisen
konnten bei den Ausgrabungen nachgewiesen werden. Die
Spätmittelalterliche Keramik ausunterschiedlichen Ausgrabungen in Pirna (Lange Str. 27; Grohmannstr. 3;Schloßstr. 4/Kirchplatz 9a).
Unglasierte Nischen- und Blattkacheln von Kachelöfen, Schmiedestraße 16/17.
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hier abgelaufenen Prozesse stellten vermutlich einen Ver
such dar, der nicht zum Erfolg führte: Die Pirnaer Hütte
wurde abgebrochen bzw. der Produktionsort verlegt. Die
ser Umstand ermöglicht uns die seltene Beobachtung ei
nes Arbeitsplatzes in seinem Anfangsstadium, der sonst
durch die nachfolgende Produktion überformt wird.
Schmelzversuche der Burglehnhütte Pirna stehen im
Kontext mit anderen montanen Ereignissen des frühen
13. Jahrhunderts, welche das Gebiet zwischen Gottleuba
und Königstein erschlossen: der Anlage von Eisenhäm
mern im Bielatal und die Einrichtung der Bergvogtei bei
den Erzlagern. Der Betrieb von Verhüttungsöfen in Pirna
ist aufgrund des Abstandes zu den Erzlagern und abseits
von Wasserkraft als ungewöhnlich zu nennen; die Anlage
einer möglichen Burglehnhütte war wohl in erster Linie
am Schutz der Burg Sonnenstein orientiert. Auch der Sitz
der Sächsischen Eisenkammer, vergleichbar der Silber
kammer in Freiberg, lag von 1472 bis 1686 in Pirna. Eine
Brüderschaft der Schmiede wird in Pirna 1479 erstmals
genannt.
Technische Anlage Lange Straße 33/34. Die über 5 m lange und über 2,50 m
tiefe Grube 444 war mit Erde, Steinen und zahlreichen Eisenschlacken gefüllt.
Kugelzonengewichte miteingeschlagenen Kreismarkierungen
von der Schloßstraße 14.
Einzelne Halbbrakteaten aus dem Schatzfund von Pirna-Copitz.
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Handel
Aus einem als Latrine und Abfallgrube genutzten Sand
steinschacht der Schloßstraße 14 stammen zwei äußerst
bemerkenswerte Funde. Es handelt sich um Kugelzonen
gewichte aus einem kupferhaltigen Buntmetall, von dem
das eine etwa doppelt so groß ist wie das andere. Die
scheibenförmigen Objekte von 900 g bzw. 1820 g Gewicht
besitzen auf einer fl achen Seite runde, eingeschlagene
Markierungen (das kleinere vier, das größere acht), die
mit dem Masseverhältnis korrespondieren. Die Anzahl der
Marken bezieht sich möglicherweise auf die „Kölnische
Mark“, ein im Spätmittelalter verbreitetes Gewichtsmaß
von 233 Gramm, deren Vielfaches sich mit den Gewichten
aus Pirna und ihren Markierungen ungefähr bilden lässt.
Die aus dem 12./13. Jahrhundert stammenden Gewichte
sind ein eindrucksvoller Beleg für entsprechende Han
dels bzw. Verkaufstätigkeit auf dem Grundstück Schloß
straße 14.
Ein anderer Fund von der gegenüberliegenden Elbseite
soll in diesem Zusammenhang kurz erwähnt werden. Im
Sommer 1972 konnte bei Schachtarbeiten in PirnaCopitz
ein Tongefäß mit Münzen geborgen werden, das in der
Nähe eines bereits 1896 entdeckten Schatzfundes lag.
Der zweite Münzschatz von PirnaCopitz besteht heute
noch aus 642 sogenannten Halbbrakteaten und einzelnen
Stücken von zerhackten Silberbarren. Der überwiegende
Teil der Brakteaten zeigt den thronenden Markgrafen von
Meißen, vermutlich Markgraf Dietrich den Bedrängten
(1198–1221). Anhand weiterer unterschiedlicher Münzen
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darf als Niederlegungszeitpunkt des Münzschatzes die
Spanne um 1225/1230 angenommen werden. Der Fund
ort liegt an einem alten Furt oder Brückenübergang. Mit
einem Silbergewicht von über 780 g gehört der Copitzer
Schatz zu den größeren mittelalterlichen Silberdepots
Sachsens. Vermutlich ist er mit dem Fernweg von Dohna
nach Bautzen (über Burg Sonnenstein und PirnaCopitz)
in Verbindung zu bringen.
Brandschichten
Historisch belegte Brandkatastrophen sind in Pirna ver
einzelt auch archäologisch zu fassen. Stammen die Funde
aus einem Zeitraum, für den ein Stadtbrand oder Kriegs
zerstörungen berichtet werden, kann ein Zusammenhang
angenommen werden. „1488 brannte die Breite Straße vor dem
Dohnaischen Tore gänzlich nieder“, schreibt der Historiker und
Volkskundler Alfred Louis Meiche, der im frühen 20. Jahr
hundert sämtliche verfügbaren schriftlichen Quellen über
Pirna auswertete. Dieser Stadt(teil)brand wurde bei den
Ausgrabungen auf den Parzellen Breite Straße 11/13, 46
und Grohmannstraße 3, aber auch etwas entfernter in der
Schmiedestraße 16/17, Schloßstraße 14, Schloßstraße 4/
Kirchplatz 9a und Barbiergasse 10 nachgewiesen. Eine Lat
rine der Schloßstraße 4/Kirchplatz 9a war mit Keramik des
15. Jahrhunderts und verschiedenem Brandschutt gefüllt.
Auf der Grohmannstraße wird ein Holzhaus auf dieser
Brandschicht errichtet – und endet später wieder durch
einen Brand, vielleicht jenem von 1514.
Zweiter Münzschatzfund von Pirna-Copitz mit Aufbewahrungsgefäß.
Hacksilber aus dem Schatzfund von Pirna-Copitz.
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Spätmittelalterliche Funde
Durch die Erhaltungsbedingungen im Boden besteht der
Großteil der spätmittelalterlichen Funde aus Keramik. Un
ter der großen Menge einfacher Gebrauchskeramik fi nden
sich auch besondere Stücke wie bemalte Gefäße, Leuchter
oder Miniaturgefäße aus feiner weißer Irdenware. Es gibt
auch einzelne Funde aus anderen Materialien, zum Bei
spiel Kämme aus Knochen oder Holz, eiserne Nägel, Waf
fen und Werkzeugteile, eine Bügelschere und Schlüssel,
Schnallen aus Buntmetall oder markierte Spielsteine. Von
einer Pilgerfahrt kündet der in Sachsen seltene Fund einer
Jakobsmuschel mit Löchern zum Befestigen an der Klei
dung und roten Bemalungsresten.
In den Funden und Befundstrukturen der Grabungen
aus dem Stadtgebiet von Pirna, die hier in groben Um
rissen bis zum Ende des Mittelalters vorgestellt werden
konnten, scheint die bewegte Vergangenheit dieser Stadt
plastisch und vielfältig auf – an manchen Stellen erstaun
lich detailliert, an anderen noch lückenhaft. Künftige Un
tersuchungen werden dazu beitragen, dieses Bild weiter
zu ergänzen und die Geschichte der Stadt um neue Er
kenntnisse zu bereichern.
Spielstein oder Zählmarkefür Rechenbrett aus der
Langen Straße 33/34.
Jakobsmuschel mitResten von roter Bemalungaus der Grohmannstraße 3.
Eiserne Fundstücke von unter-schiedlichen Ausgrabungen in Pirna: Bügelschere, Messer und Schlüssel.
Schnallen und sternförmige Broscheaus unterschiedlichen Ausgrabungen
in Pirna (Schloßstr. 14; Niedere Burg-str. 5/Fleischergasse; Lange Str. 27).