Filmheft Das Fräulein F&E Migration im Film
Simone Güntensperger, Fabian Nüesch, Fiora Pedrina
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Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung zum Thema “Filme mit dem Thema Migration“ ............................................. 3 2 Filmfakten im Überblick ................................................................................................... 3 2.1 Schauspieler/innen .................................................................................................... 3 2.1. Regisseurin: Andrea Štaka ............................................................................................. 5 2.1.1 Lebenslauf .......................................................................................................... 5 2.1.2 Auswahl ihrer Filme ........................................................................................... 5 2.1.3 Ihre Auszeichnungen .......................................................................................... 6
3 Kurzzusammenfassung des Films “Das Fräulein“ ............................................................. 6 4 Beziehungen zwischen den Hauptpersonen im Film “Das Fräulein“ ............................... 6 5 Hauptpersonen des Films ................................................................................................ 7 5.1 Ruža ........................................................................................................................... 7 5.2 Ana ............................................................................................................................ 7 5.3 Mila ........................................................................................................................... 8
6 Fokus der Filmanalyse und Forschungsfragen ................................................................. 9 6.1.1 Begriffe zur Forschungsfrage ............................................................................. 9
6.2 Der Umgang mit Migration der Hauptdarstellerinnen im Film ............................... 10 6.2.1 Ruža .................................................................................................................. 10 6.2.2 Ana ................................................................................................................... 10 6.2.3 Mila .................................................................................................................. 10
7 Bezug zur Migration ....................................................................................................... 11 8 Dramaturgie -‐ Aufbau des Films .................................................................................... 11 9 Filminterpretationen ...................................................................................................... 12 10 Filmbildung im Unterricht – didaktische Hinweise ........................................................ 12 10.1 Konkretes Konzept für konkrete Zielgruppe ........................................................ 12 10.2 Wen soll der Film ansprechen? .................................................................................. 12
11 Filmische Mittel und ihre möglichen Wirkungen ........................................................... 13 11.1 Filmmusik ............................................................................................................. 13 11.2 Alltagsgeräusche .................................................................................................. 13 11.3 Bedeutung der Sprache ....................................................................................... 13
12 Intertextuelle Bezüge ..................................................................................................... 13 12.1 Yugo Divas (2000) – Filmbeschrieb ...................................................................... 13 12.2 Vergleich zwischen “Das Fräulein“ und “Yugodivas“ ........................................... 14
13 Hintergrundinformationen und Aktualitätsbezug: Jugoslawien von 1945 – 1989 und der Zerfall ..................................................................................................................................... 15 14 Literaturliste ................................................................................................................... 17 Anhang ................................................................................................................................... 18
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1 Einleitung zum Thema “Filme mit dem Thema Migration“ Im Rahmen des Forschung und Entwicklung – Moduls der Pädagogischen Hochschule Zürich wurden in Gruppen verschiednen Filme analysiert, die mit dem Thema Migration in Verbindung stehen. Zum einen werden filmsprachliche Mittel unter die Lupe genommen und deren Bedeutung herauskristallisiert. Zum anderen betrachten wir die Art und Weise der Thematisierung von Migration im Film. Was für ein Bild von Menschen mit Migrationshintergrund wird geschaffen? Bedient sich der Film mit Klischees und wenn ja, welche Wirkung erzeugt das beim Zuschauer oder der Zuschauerin? Solche und ähnliche Fragen bildeten den Ausgangspunkt für die thematische Analyse des Films. Aus dem Modul „Filme mit dem Thema Migration“ sind nun eine Handvoll Filmhefte mit diesem Hintergrund entstanden. Zusätzlich erarbeitete sich jede Gruppe eine individuelle Forschungsfrage. Das vorliegende Heft ist eine Analyse des Schweizer Films „Das Fräulein“ (2006).
2 Filmfakten im Überblick
Name des Films Das Fräulein Jahr 2006 Land Schweiz
2.1 Schauspieler/innen
Rolle Schauspieler/in Ruža Mirjana Karanović
Mirjana Karanović als “Ruža“ ist eine berühmte serbische Schauspielerin. Sie hat in über 40 Filmen mitgewirkt und mit grossen jugoslawischen Filmregisseuren wie Emir Kusturica, Goran Paskaljević oder Lordan Zafranović gearbeitet. Sie spielte eine Hauptrolle im Film “Papa ist auf Dienstreise“ von Kusturica, der in Cannes die Palme d'Or gewann. Mit über 100 Theaterrollen im Ensemble des renommierten Theaters “Jugoslovensko Dramsko Pozoriste – Belgrad“ ist sie in ihrer Heimat ein Star. Zudem war Mirjna Karanović in Jasmila Zbanić's “Grbavica“ in der Hauptrolle zu sehen, der den goldenen Bären an der Berlinale gewann.
Ana Marija Škaričić Marija Škaričić gehört zu den talentiertesten Nachwuchsschauspielerinnen Kroatiens. 1977 in Split geboren, hat sie in Zagreb die Schauspielschule absolviert und seitdem in verschiedenen Filmen und Theaterstücken mitgewirkt. Einerseits ist Marija an den grossen Bühnen Kroatiens in Zagreb, Split und Rijeka engagiert, andererseits auch in jungen, experimentellen Filmen wie “It`s not a
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Shame“ zu sehen. Ihr jüngster Erfolg ist die Auszeichnung zur besten Schauspielerin am Sarajevo Film Festival. Sie erhielt diesen Preis für die Rolle der drogensüchtigen Maja in “Wonderful Night in Split“ von Arsen Ostojić.
Mila
Ljubica Jović Ljubica Jović wurde 1936 in Bosnien Herzegowina geboren und gehört zu den bekanntesten Schauspielerinnen Kroatiens. Sie hat in unzähligen Spiel-‐ und Fernsehfilmen mitgewirkt und war 50 Jahre lang eine der führenden Bühnenschauspielerinnen des Landes. Vor einigen Jahren setzte sie sich zur Ruhe, doch nachdem sie für den Film “Das Fräulein“ angefragt wurde, bemerkte sie, wie sehr ihr die Schauspielerei fehlt und dass sie ohne sie gar nicht leben kann.
Franz, Geliebter von Ruža
Andrea Zogg Andrea Zogg wurde 1957 in Chur geboren. Er ist heute als Schauspieler, Regisseur, Sänger und Kabarettist in der Schweiz, in Deutschland und Österreich tätig. Seit 1981 ist er freischaffend und arbeitet mit verschiednen Regisseuren zusammen. Er spielte unter anderem in Stücken von Shakespeare, Goethe, Kleist und Jasmina Reza an der Landesbühne Hannover, am Neumarkt-‐Theater Zürich, am Schauspielhaus Frankfurt und am Maxim Gorki Theater. Er besetzt ausserdem diverse Rollen in Kino-‐ und Fernsehfilmen und arbeitet selber als Theater-‐Regisseur.
Ante, Ehemann von Mila
Zdenko Jelčić Zdenko Jelčić spielte in über dreissig Spielfilmen bekannter Jugoslawischer Regisseure wie Veljko Bulajić, Vinko Brešan, Rajko Grlić und Lordan Zafranović, sowie in TV-‐Serien und Dramen im In-‐ und Ausland. Im Theater spielte er in sechzig Stücken klassischen und zeitgenössischen Repertoires. Im Schauspielhaus Zürich war er in Christoph Marthalers “Kasimir und Karoline“, Meret Matters “Der gute Mensch von Sezuan“ und Falk Richters «Die Klinik» zu sehen. Zdenko lebt in Zürich.
(Dschoint Ventscher Filmproduktion, 2006 – 2007)
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2.2 Regisseurin: Andrea Štaka
2.2.1 Lebenslauf
Andrea Štaka wurde 1973 in Luzern geboren und ist in Zürich aufgewachsen. In einem Interview sagt sie über die Stadt Zürich: „Ich habe eine gewisse Hassliebe zu meiner Heimat Zürich. Sie ist schön, aber auch aggressiv; kalt aber auch idyllisch. Ich bin selber ein Stadtmensch und kann das Klischee der Immigranten im Film, die aus dem Niemandsland im Ghetto landen, nicht ausstehen. Ich merkte schon beim Verfassen des Drehbuchs, dass ich über sehr persönliche Orte in Zürich schreibe. Beim Location-‐Scouting suchte ich Orte, welche die vielen Facetten Zürichs, die ich kenne und schätze, repräsentieren. Auf eine gewisse Arte ist es mein Zürich. Es war mir wichtig, nicht nur die Immigrantinnen, sondern auch Zürich in einem moderneren Kontext zu zeigen“ (Dschoint Ventscher Filmproduktion, 2006 – 2007).
Ihre Mutter stammt aus Bosnien (Sarajevo), ihr Vater aus Kroatien (Dubrovnik) und ihr Stiefvater sowie ihr Stiefbruder aus Serbien. Ihr Leben wurde geprägt von diesen Menschen und diesen Ländern. Andrea Štaka interessierte sich schon immer für die Themen Entwurzelung und Einsamkeit. Gemäss ihren eigenen Aussagen, lassen sich diese Aspekte in Filmen mit dem Thema Migration besonders gut zeigen. Alle von ihr stammenden Filme befassen sich mit dem Thema Migration. Die Regisseurin begann ihre Karriere bereits im Gymnasium, allerdings damals noch als Fotografin. 1992 wurde sie am London College of Printing aufgenommen. Während dieser Ausbildungszeit in England verlagerte sich ihr Interesse von der Fotografie zum Film und der Regie. 1993 nahm sie das Studium an der Hochschule für Gestaltung und Kunst Zürich auf und schloss es 1998 mit dem Kurzfilm “Hotel Belgrad“ als Abschlussarbeit ab. Heute lebt sie in Zürich und New York (Dschoint Ventscher Filmproduktion, 2006 – 2007).
2.2.2 Auswahl ihrer Filme
2006 Das Fräulein, 81 Min., Fiktion (Kinospielfilm) 2000 Yugodivas, 60 Min., Dokumentarfilm 1999 Daleko, Fiktion (Kurzfilm) 1998 Hotel Belgrad, 13 Min., Fiktion (Kurzfilm, HGKZ) 1995 Ruža, 2 Min., Experimentalfilm
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2.2.3 Ihre Auszeichnungen
Ø Für “Das Fräulein“ wurde sie 2006 mit dem goldenen Leoparden am Internationalen Filmfestival von Locarno ausgezeichnet. Es ist ihr erster langer Kinospielfilm.
Ø “Hotel Belgrad“ gewinnt mehrere Preise, u.a. wurde er 2000 als bester Kurzfilm für den
Schweizer Filmpreis nominiert.
Ø Yugo Divas wurde als bester Dokumentarfilm für den Schweizer Filmpreis nominiert.
3 Kurzzusammenfassung des Films “Das Fräulein“ In ihrem Film „Das Fräulein“ zeigt Andrea Štaka drei Frauen die aus Ex-‐Jugoslawien kommen und in der Schweiz leben. Es ist eine Geschichte von drei unterschiedlichen und eigenwilligen Frauen, die gleichsam Portraits verschiedener Generationen darstellen. Der jeweilige Umgang mit der Migration, ihre verschiedenen Migrationsmuster, Aussichten und Träume der Frauen bilden dabei die Basis für individuelle, tiefgreifende Persönlichkeitsentwicklungen der Protagonistinnen. Darüber hinaus erzählt handelt der Film „Das Fräulein“ von Zwischenmenschlichkeit, Identität, „Entwurzelung und Sehnsucht in einer Zeit, in der sich immer mehr Menschen zwischen verschiedenen Kulturen, Religionen und Ländern bewegen, sei es als Reisende, Vertriebene oder einfach Heimatlose (Dschoint Ventscher Filmproduktion, 2006 – 2007).
4 Beziehungen zwischen den Hauptpersonen im Film “Das Fräulein“
Franz
Mila
Ante
Bruder
Ana
Ruza
verheiratet
verliebt
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5 Hauptpersonen des Films
5.1 Ruža Ruža, 50 Jahre alt, kam in den 70er Jahren aus Jugoslawien voller Hoffnung auf ein neues und besseres Leben in die Schweiz. Heute ist sie Leiterin einer Betriebskantine in Zürich. Sie führt diese mit strenger Hand und finanziellem Erfolg. Ihr Leben verläuft in geordneten Bahnen. Ružas Lebensinhalt ist Arbeiten und Geld-‐Sparen. Sie wohnt in einer kleinen Zürcher Wohnung. Sie lebt allein und hat weder politische noch religiöse Ideale, der Kontakt zu Heimat und Familie ist verloren gegangen. Im Gegensatz zu anderen Gastarbeitern will Ruža nicht in ihre Heimat Serbien zurück. Sie ist assimiliert, unabhängig, und hat sich in der Schweiz eine materielle Sicherheit aufgebaut. “Ich habe es geschafft.“, sagt sie an einer Stelle im Film. Ruža unterdrückt jedoch ihre wirklichen Bedürfnisse. Sie ist eine Heimatlose und strahlt eine Mischung aus Härte und Sinnlichkeit, Eigenwillen und Sehnsucht aus. Ihr weichere Seite zeigt sie selten, doch wer genau hinblickt, erkennt die Leidenschaft, die sich in ihren Augen verbirgt. Ruža fühlt sich von Anas Impulsivität und Direktheit in ihrer Ruhe bedroht, gleichzeitig von der Lebensfreude der jungen Frau angezogen. Nicht zuletzt erinnert Ana sie daran, wie sie selbst einmal war. Im Verlaufe des Films öffnet sich Ruža, ihr Blick auf das eigene Leben verändert sich. Zwischen ihr und Anna entsteht langsam eine Freundschaft.
5.2 Ana Die 22 jährige Ana aus Sarajevo taucht eines Tages unvermittelt in einer Betriebskantine in Zürich auf. Sie hilft einer Küchenarbeiterin, die sich an der Hand verletzt hat, und springt kurzfristig für sie ein. Als Zuschauer hat man keinen Anhaltspunkt darüber, weshalb sie in Zürich ist. Man schaut der schönen und eigenwilligen Ana zu, wie sie ziellos in der urbanen Umwelt umherstreift und sich treiben lässt. Dabei gibt sie sich kontaktfreudig, leidenschaftlich und lebenshungrig. Allerdings merkt man durch die Art, wie sie vom Krieg in Bosnien erzählt, dass er tiefen Spuren in ihr hinterlassen hat und sie auf der Flucht vor ihrer Vergangenheit ist.
Diese versucht sie mit ihrer lauten und frohen Art zu überspielen. Ana muss den Job in der Kantine aus Geldnot annehmen. Sie arbeitet gut, stellt jedoch Ružas strikte Ordnung in Frage. Nachts streift Ana, die ihre Obdachlosigkeit in der Kantine verheimlicht, allein durch die Stadt und sucht Unterschlupf sowie Nähe bei wechselnden Männerbekanntschaften.
Die Überraschungsparty in der Kantine, die Ana für Ružas Geburtstag organisiert, gibt den Anstoss zu einer Reihe von Veränderungen: Anas Art und die Überraschungsparty verändern Ruza zusehends, ihr Appetit auf ein farbigeres, reicheres Leben jenseits der Routinen ihres Alltags ist geweckt.
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Ana gehört einer Generation junger Menschen aus dem ehemaligen Jugoslawien an, deren Kindheit direkt vom Krieg überschattet wurde und die bisher keine grossen Chancen auf ein normales Leben hatte. Sie hat gelernt, an das Heute und nicht an das Morgen zu denken. Ana lacht viel, weint schnell, kann nicht mit Geld umgehen. Ihr ist wichtig, dass es den Menschen um sie herum gut geht, sie selber rennt aber vor ihrem eigenen Schmerz davon.
5.3 Mila Mila ist Mitte 50 und ist aus Kroatien in die Schweiz emigriert. Sie lebt mit ihrem Mann in einer Wohnung in Zürich. Ihre Kinder sind hier aufgewachsen und zur Schule gegangen. Sie arbeitet seit längerem in Ružas Kantine.
Ihre Heimatdefinition verändert sich im Verlaufe des Films, wobei sie jedoch nach aussen eine andere Position bezieht, als sie dies gegenüber ihrem Mann zu Hause tut.
Im Folgenden wird näher darauf eingegangen und an Hand von Szenen aus dem Film versucht dies ersichtlich zu machen.
Zu Beginn des Films sagt sie in einem Gespräch mit Ana: „Wir kehren zurück nach Kroatien.“ Innerhalb ihrer vier Wände wird oft über den Bau des Hauses in ihrer „Heimat Kroatien“ diskutiert. An der Wand hängt ein Plakat der Küste Kroatiens. Eine Szene zeigt das Essen mit kroatischen Freunden. Sie sprechen über die „Heimat“ und das Häuserbauen. Mila fühlt sich etwas abseits und ihr steht noch undefinierbarer Zweifel ins Gesicht geschrieben. Gegenüber ihrem Mann wehrt sie sich nicht direkt. Besorgnisse werden geäussert.
Etwas später im Film drückt sie sich bereits anders gegenüber Ana aus: „Weißt du, es wird schwierig. Meine Kinder sind doch hier. Die werden nicht nach unten kommen.“
Wir sehen zwei Schlüsselszenen, die ihr persönliches Gefühl von Zugehörigkeit zur Schweiz beschreiben:
Als der Geburtstag von Ruža gefeiert wird, sitzt Mila daneben und schaut mit einem Lächeln zu. Ein Bekannter (Schweizer) fordert sie zum Tanz auf. Sie lehnt zurückhaltend ab. Wir glauben, in dem Moment realisiert sie: „Ich bin hier zu Hause.“
Ein weiterer Moment spielt sich in ihrem Wohnzimmer ab. Ihr Mann schaut eine Quiz-‐Show auf dem lokalen Fernsehkanal. Mila steht im Hintergrund und bügelt. Es kommt eine Frage zu einem westeuropäischen Komponisten. Bevor die Antwort im Fernsehen gegeben wird, nennt Milas Mann einen Namen. Sie schüttelt viel sagend den Kopf und sagt die Lösung. Sie stimmt.
Es gibt weitere Sequenzen, die ihren Heimatkonflikt versinnbildlichen. Letzten Endes scheint sie sich für das Leben in der Schweiz zu entscheiden.
Auch ihr Verhältnis zu Ruža verändert sich durch die Ankunft von Ana. Sie zeigt Anfangs keine Hoffnung, dass sich die Geschäftsführerin (Ruža) jemals ändern könnte. Mila ist vielleicht nicht völlig damit zufrieden, sie nimmt aber hin, wie es ist. Auch sprechen die beiden Deutsch miteinander.
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Durch die Veränderungen, die Ana in den Kantinenalltag bringt, fasst auch Mila mehr Mut. Gegen Ende des Films mischt sie sich in Geschäftsangelegenheiten ein und ist dabei überzeigt, dass sie das Richtige macht. Dies obwohl Ruža ihr oberflächlich hart begegnet. Vor Anas Ankunft wäre das undenkbar gewesen. Als Zeichen der Annäherung dient auch hier wieder der Gebrauch des Serbokroatischen.
6 Fokus der Filmanalyse und Forschungsfragen Aus persönlichem Interesse an der Balkanregion und deren Eigenheiten war es uns ein Anliegen einen Film auszuwählen, der sich dort abspielt oder sich mit der Geschichte Südosteuropas auseinandersetzt. Zusätzlich sehen wir eine gewisse Relevanz für die hiesige Gesellschaft und somit auch für die Schule. In der Schweiz leben über 300'000 Menschen, die ihre Wurzeln im ehemaligen Jugoslawien haben (BFS, 2008).
Wir möchten im Folgenden Fragen fokussieren und versuchen sie zu beantworten:
Ø Welche Integrationsmuster eines Individuums (beziehungsweise Aufnahmestrategien eines Landes) werden in Fachkreisen unterschieden?
Ø Inwiefern zeigen sich diese bei den Protagonistinnen des Films?
Die theoretischen Ausführungen zu unterschiedlichen Integrationsmustern werden anhand geeigneter Literatur herausgesucht und kurz umschrieben.
Dadurch dass die Filmcharakteren durch mehrmaliges Schauen des Filmes genau betrachtet werden, kristallisiert sich ihr jeweiliger Umgang mit der Migration heraus. Sie werden im Kontext ihres Umfelds betrachtet, denn nur so gibt es Hinweise auf ihre Verhaltensmuster.
6.1.1 Begriffe zur Forschungsfrage
Segregation: Bei dieser Aufnahmestrategie werden die Migrantinnen und Migranten nur für einen bestimmten Teil des gesellschaftlichen Lebens zugelassen. Sie werden als „temporäre Aufenthalter“ (Saisonniers) angesehen. Ihre Gruppe wird isoliert. (Nigg, 1999, S. 265)
Assimilation: Werte, Traditionen, Verhaltensmuster des Aufnahmelandes werden angenommen. Dabei werden diejenigen des Herkunftslandes aufgegeben und die Distanz zur eigenen Ethnie wird herausgestrichen. Laut Jäger (2005) zeigt sich dieses Verhalten frühestens bei der 2. Generation.
Ein Staat mit einer solchen Aufnahmestrategie möchte kulturelle Unterschiedlichkeiten beseitigen und bietet dafür (Sprach-‐)Kurse an, um die Anpassung zu realisieren. Das Ziel ist eine „kulturell homogene Gesellschaft“ (Nigg, 1999, S.266 und Jäger, 2005, S.4).
Integration: Geschieht von beiden Seiten. Das Aufnahmeland akzeptiert die kulturelle Vielfalt. Es versucht die Migrantinnen und Migranten gleichwertig wie alle anderen zu behandeln. Es ist bereit AusländerInnen am wirtschaftlichen, sozialen sowie kulturellen Leben teilhaben zu lassen (Jäger, 2005, S.5). Strukturen dafür sollen vorhanden sein. „Die Aufnahmegesellschaft bleibt Mehrheitskultur, sie akzeptiert
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aber die Existenz von eigenständigen ethnischen Gruppen und deren Teilnahme am gesellschaftlichen Leben“ (Nigg, 1999, S.266).
Heimat: Der Begriff kann unterschiedliche Bedeutungen annehmen und wird auch dementsprechend verwendet. Hier ist er als „Gefühl der Zugehörigkeit“ (Gerster, 2005, S.1) verstanden. Er bezeichnet das Bedürfnis ‚vertraut und zu Hause sein’ und sich zugehörig zu fühlen. Es ist möglich, mehrere Orte als Heimat zu empfinden.
(Gerster, 2005, S.1)
6.2 Der Umgang mit Migration der Hauptdarstellerinnen im Film Zunächst ist zu bemerken, dass keine endgültigen Zuschreibungen gefasst werden dürfen. Die dargestellten Personen sowie auch echte Menschen mit Migrationshintergrund sind vielschichtig und sind nicht in ein Muster hereinzupressen. Es wird an dieser Stelle zur Beantwortung der Forschungsfrage eine Tendenz der beschriebenen Person aufgezeigt, die aber keinesfalls das Gesamtbild der Individuen abdeckt.
6.2.1 Ruža
Ruža weist Zeichen von Assimilation auf. Vor allem, was die Werte der Pünktlichkeit und der Korrektheit betrifft, hat sich Ruža der Schweiz angepasst. Sie besitzt auch eine gewisse Distanz zu ihrem Herkunftsland Serbien. Sie spricht, vor allem am Anfang, selbst mit Menschen aus dem ehemaligen Jugoslawien praktisch nur Deutsch und kein Serbokroatisch. Sie hat sich in der Schweiz eine Existenz aufgebaut und denkt nicht daran, nach Serbien zurückzureisen. Neben der Assimilation ist Ruža in der Schweiz gut integriert. Sie spricht fliessend Deutsch und fühlt sich in der Schweiz wohl.
6.2.2 Ana
Für Ana scheint es nicht von besonderer Bedeutung zu sein in welchem Land sie sich befindet. Sie denkt kaum an morgen, lebt intensiv und für den Moment. Da sie weder gesellschaftliche noch soziale Verpflichtungen hat, lebt sie ihr Leben ganz ungezwungen. Weil sie aber gut deutsch spricht, findet sich in der neuen Umwelt zurecht und da sie jung und offen ist, hat sie auch vielfältigen sozialen Kontakt. Die Figur Ana zeigt kein eindeutiges Migrationsmuster, steht aber stellvertretend für eine ganze Generation junger Migrantinnen die keine richtige Heimat mehr haben und eine verzettelte Identität aufweisen.
6.2.3 Mila
Obwohl Mila sich bereits seit den 1970er Jahren in der Schweiz befindet, hält sie sich in ihrer Freizeit nur mit Menschen aus ihrem Herkunftsland auf. Dieses Verhalten der Isolierung kann als Segregation bezeichnet werden, wobei Segregation an sich auch vom Umfeld her (beziehungsweise vom Aufnahmeland) gemacht wird. Das Phänomen der Isolierung innerhalb einer ethnischen Gruppe ist bei MigrantInnen häufig zu beobachten. Die Gründe dafür sind vielschichtig.
Gleichzeitig fühlt sich Mila in dieser Rolle sichtlich unsicher. Einen Teil ihrer Identität findet sie auch in der hiesigen Gesellschaft. Diese Mischung zeigt die integrativen Aspekte ihrer Migration.
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7 Bezug zur Migration “Das Fräulein“ stellt die Thematik der Migration auf vielschichtige, unklischierte Weise dar. Das Publikum kriegt einen Einblick in drei unterschiedliche Migrationsbiographien, in denen jede Akteurin einen eigenen Umgang damit findet. So deuten die Frauen auf verschiedene Einlebungsmuster hin (vgl. Kapitel 6.1.1). Ruža zum Beispiel zeigt ein assimiliertes Verhalten. Dies wird durch die Ablehnung des Serbokroatischen, die Verbannung ihrer Erinnerungen an das Leben in Jugoslawien und anderem ersichtlich.
Dadurch dass wir sehr differenten Persönlichkeiten begegnen, wird auch deutlich, wie Begebenheiten, die vermeintlich mit der Migration zu tun haben, auch andere Hintergründe haben können und aus vielseitigen Perspektiven betrachtet werden müssen. So kann Ružas Umgang mit ihrem Leben in der Schweiz auch Ausdruck einer tragischen Liebesgeschichte sein. Oder zumindest nimmt dieser Umstand, den wir nur am Rande erfahren (sie erwähnt sie, im Gespräch mit Ana in den Bergen), bestimmt ebenfalls Einfluss.
Eine zentrale Frage, die der Film durch die Thematisierung der Migration aufwirft, ist die Suche nach der Heimat und der damit verbundenen Identitätsfrage. Wiederum verhalten sich die drei Frauen ungleich. Mila pflegt einen starken Bezug zu ihrem Herkunftsland Kroatien und merkt gleichzeitig, dass auch die Schweiz einen Teil ihrer Heimat darstellt. Ruža negiert ihren Ursprung aus Serbien beinahe und Ana befindet sich in einem rastlosen Zustand, der aber keinesfalls nur mit dem „leben an einem fremden Ort“ zu tun hat.
An einer Stelle sehen wir eine Männergruppe in der Kantine beim fernsehen (vgl. Anhang DVD). Sie alle stammen aus dem Balkan. Ihre Sprache Serbokroatisch und ihr Verhalten weist auf ihre Herkunft hin. Die Regisseurin schildert dadurch die Lebenssituation mancher Migranten, wie sie sich oftmals nur unter ihresgleichen bewegen, obwohl sie sich seit langem in der Schweiz aufhalten. Auf diesen Umstand weist auch das Essen mit Freunden bei Mila zu Hause hin.
Anas Charakter erweitert einerseits dem Zuschauer / der Zuschauerin den Horizont auf Menschen mit Migrationshintergrund, ebenso aber den Akteurinnen des Films.
Zusätzlich zu den generellen Auseinandersetzungen, die eine Migrantin / ein Migrant führen muss, vertieft “Das Fräulein“ die Thematik für Menschen aus Ex-‐Jugoslawien. Nicht zufällig stammen die Protagonistinnen aus den Konfliktparteien des Balkankrieges der 1990er Jahre Serbien (Ruža), Bosnien-‐Herzegowina (Ana) und Kroatien (Mila). Die Identitätsfrage kam nach dem Zerfall Jugoslawien besonders zum tragen. Im Kapitel 13 wird aus diesem Grund grob auf die Geschichte Jugoslawiens eingegangen.
„Das Fräulein“ zeigt Menschen mit Migrationshintergrund auf sehr realitätsnahe und vielschichtige Weise. Das macht ihn sehenswert.
8 Dramaturgie -‐ Aufbau des Films Als Zuschauer erhält man keine Informationen über den Ort, die Zeit des Geschehens. Der Film beginnt unvermittelt mit dem Eintreffen von Ana. Menschen, denen die Stadt Zürich bekannt ist, entdecken mit Spannung die Ästhetik der normalen Alltagsumgebung in der sich die junge Ana bewegt. Ana, die sich in der kleinen Grossstadt Zürich ziellos umher treiben lässt, findet schliesslich in Ru�as Kantine Geborgenheit und eine Aufgabe. Hier beginnt sich der Konflikt langsam heraus zu schälen.
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Ana steckt aufgrund ihrer Leukämieerkrankung voller Lebenswillen und Impulsivität. Sie erträgt es nicht, dass Menschen wie Ru�a kein Leben leben sondern nur funktionieren. Als Zuschauer hegt man nicht die Erwartung, dass Ana die seit fast zwei duzend Jahren fest gefrorene Welt Ru�as aufbrechen wird. Ru�as innerer Kampf, ihre Entwicklung und schliesslich ihre Rückkehr in ein selbst bestimmtes Leben bilden den Hauptprozess, der zur Lösung hinführt. Daneben wird gezeigt, wie Mila sich auf ihre Weise emanzipiert und Ana sich den eigenen Problemen stellt. Nachdem Ana die Welt für sich und die beiden anderen Frauen massgeblich verändert hat, verschwindet sie wieder. Wohin, weiss man nicht.
9 Filminterpretationen Unschärfe symbolisiert Unklarheit, Wechsel und Bedeutungslosigkeit. Diese unscharfe Kameraeinstellung kommt in Situationen vor, in denen die Protagonistinnen im Wandel sind. Ausserdem ist der Film von Stimmungsbildern geprägt, die durch ihre Farbgebung und Ton die Gefühlswelt ansprechen. So werden einem im Kontext der Geschichte die Bedeutung von ganz alltäglichen Gegenständen und Situationen vor Augen geführt, aus denen letztlich die (Gefühls-‐)Welt der Protagonistinnen besteht (vgl. Anhang DVD). Aufgrund der Filmthematik liegt dabei der Fokus auf der Migration besonders nahe. Der Film sagt viel über die Situation der Immigranten aus Ex-‐ Jugoslawien aus, die in der Schweiz leben.
10 Filmbildung im Unterricht – didaktische Hinweise Der Film ist für Kinder ab 12 Jahren zugelassen. Er ist unserer Meinung nach pädagogisch sehr wertvoll, doch um die Tragweite des Themas zu erfassen scheint der Film eher für Jugendliche ab 14 Jahren bedeutsam zu sein.
10.1 Konkretes Konzept für konkrete Zielgruppe Man könnte mit 14 Jährigen die drei Hauptdarstellerinnen analysieren. Dabei bietet es sich an, ihre jeweilige Rolle in der Gesell-‐ und Gemeinschaft, ihre Persönlichkeit und die Entwicklung dieser, innerhalb des Filmes unter die Lupe zu nehmen. Diese Ergebnisse würden wir unter verschiedenen Gesichtspunkten diskutieren und interpretieren. Die Fragen könnten folgendermassen lauten: Wieso ist Ru�a so geworden? Wie ist sie mit ihrer Auswanderung umgegangen? Welche anderen Möglichkeiten hätte sie gehabt? Was bewegt Menschen dazu ihre Heimat zu verlassen? Was für Möglichkeiten haben Menschen, die in die Schweiz kommen? Dabei kann gut auf gesellschaftliche Gegebenheiten die Identitätsfrage und auf verschiedene Migrationsmuster eingegangen werden.
10.2 Wen soll der Film ansprechen? Der Film zeigt viele Seiten der Migration ohne diese zu werten. Die vielen schönen Seiten und die ausgeprägte Menschlichkeit sind ein sehr wertvoller Bestandteil des Filmes. Vor allem deshalb weil
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Migranten und Migrantinnen in Filmen tendenziell eher ungünstige Rollen übernehmen. Im Gegensatz zu den vielen Filmen, in denen Migranten kriminell, gewalttätig, als Kripo-‐ Experten oder urkomisch dargestellt werden, wirkt dieser Film, der ein ruhiges Bild und authentisches Bild zeichnet, verlässlich und ehrlich. Es geht in erster Linie nicht darum, als ZuschauerIn bloss unterhalten zu werden, sondern der Film transportiert eine Botschaft. Man hat trotz der Fiktionalität das Gefühl, dass dieselben Muster und Züge in der Gesellschaft zu finden wären.
11 Filmische Mittel und ihre möglichen Wirkungen
11.1 Filmmusik Generell wird im Film wenig Musik verwendet. Wenn er aber mit Musik untermalt wird, hat sie eine grosse Bedeutung. Die schnellen, sehr rhythmischen Bewegungen der typischen Balkanmusik (Volksmusik aus Jugoslawien) unterstreichen die Tanzszene und die Unbeschwertheit von Ana. Auffällig sind die abrupten, harten Schnitte von der schnellen, lauten Musik zur völligen Stille. Diese Schnitte sollen die Entwurzelung der Hauptpersonen von ihrem Herkunftsland betonen, wie Andrea Štaka in einem Interview erklärt. Wenn leise Musik verwendet wird, wird sie mit verschwommenen Bildern verbunden. Es fällt auf, dass sie Szenen untermalt, in denen die Personen im Film ihre Umwelt nicht mehr richtig wahrnehmen und auch nicht mehr für wichtig halten. Laute, elektronische Discomusik während einer Szene im Nachtklub symbolisiert wiederum die Unbeschwertheit Anas.
11.2 Alltagsgeräusche
Alltagsgeräusche sind sehr laut, oft gleich laut wie die Sprechlautstärke. Die Regisseurin misst ihnen eine grosse Bedeutung zu. Beispiele dafür sind: Haare trocknen, Broccoli schneiden oder Kochen. Schritte, mit Geschirr hantieren, Ausziehen des Mantels, Strassenverkehr, eine Fahrt mit dem Sessellift. Bei Szenen, in denen die Figuren ihre Umwelt nicht mehr wahrnehmen und die leise Filmmusik einsetzt, verschwinden auch
die Alltagsgeräusche (vgl. Anhang DVD).
11.3 Bedeutung der Sprache Im Film wird ein bewusster Umgang mit der Sprache gepflegt. Diesbezüglich gibt es eine Entwicklung. Während die Hauptfiguren zu Beginn vor allem Deutsch sprechen, reden sie später auch Serbokroatisch. Er ist in Originalsprache (mit Untertitel) gesprochen.
12 Intertextuelle Bezüge
12.1 Yugo Divas (2000) – Filmbeschrieb „Yugo Divas“ ist ein Dokumentarfilm über fünf Künstlerinnen, die in New York leben. Ihnen allen gemein ist die Herkunft aus dem ehemaligen Jugoslawien. Die drei Musikerinnen, die Malerin und die Schauspielerin erzählen der Regisseurin welche Gründe sie bewegten, ihr Ursprungsland zu verlassen, wie sie sich mit dem Zerfall Jugoslawiens und dem Krieg in den 1990er Jahren
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auseinandersetzen und was sie heute verbindet. Ihre Arbeit und die Kunst stehen im Mittelpunkt des Films.
Die Regisseurin Andrea Štaka richtet einerseits Fragen an die gesamte Gruppe der Freundinnen und setzt so eine Diskussion in Gang. Andererseits zeigt sie Gespräche mit den einzelnen Personen.
Štaka nennt verschiedene Gründe für die Entstehung und die Thematik des Films. 1999 kam sie selbst nach New York und war gezwungen mit dem Geschehen in dieser Stadt zurechtzukommen. Sie, die selbst Eltern aus Ex-‐Jugoslawien hat, meint, dass sich alle Menschen mit solchem Hintergrund irgendwann einmal mit dem Thema der Identität auseinandersetzen müssen. Hinzu kam die Bombardierung Belgrads im selben Jahr (1999).
Der Film ist geprägt von der Musik und den Stimmungsbildern, die die Protagonistinnen selbst schaffen. So ist der Film eine Dokumentation über das Leben als Jugoslawin anderswo, ebenso aber auch über die Kunst in einer Grossstadt.
12.2 Vergleich zwischen “Das Fräulein“ und “Yugodivas“ Wir wollten diesen Film als Vergleich zu „Das Fräulein“ beiziehen, weil er von derselben Regisseurin ist und in beiden die Thematik der Identität als (Ex-‐)Jugoslawin im Ausland aufgreifen. Zusätzlich suchten wir nach Gemeinsamkeiten bezüglich der verwendeten filmischen Mittel.
Obwohl es sich bei “ Yugodivas“ um einen Dokumentarfilm handelt, verwendet Andrea Štaka teilweise gleiche oder ähnliche filmische Mittel wie im Spielfilm “Das Fräulein“. Ein bezeichnendes Element ihrer Filme ist der häufige Einsatz von Stimmungsbildern. In beiden Filmen erkennt der Betrachter / die Betrachterin ihre Vorliebe diesbezüglich. In “Yugodivas“ wird an einer Stelle mit beinah befremdender Genauigkeit die Malerin beim Mischen von zwei Farben gezeigt. Wir sehen, wie sie zwei Farben zusammenmischt und sie sich langsam zu einer vereinen. “Das Fräulein“ beinhaltet unzählige solcher handlungslosen, jedoch durchaus stimmungsvollen und notwendigen Bilder. In einem Moment blicken wir durch ein Fernrohr und in der Weite sind verschwommen Möwen ersichtlich. Sie kreisen und krächzen und mit einem radikalen Schnitt ist alles weg (vgl. Anhang DVD).
Auffällig ist auch, wie oft in beiden Filmen Hände in Nahaufnahme gezeigt werden. Diese fungieren wohl einerseits als Stimmungsbilder und anderseits wirken sie mit symbolischer Kraft.
Thematisch sind ebenfalls Parallelen zwischen den beiden Filmen zu erkennen. Beide Male stammen die Protagonistinnen aus Ex-‐Jugoslawien, die sich auf der Suche nach ihrer Identität sind oder sich früher mit ihr auseinandergesetzt haben. In beiden Fällen sind es Frauen, die fern von ihrem Ursprungsland eine neue Heimat gefunden haben. Anas offener Geist lässt sich ebenfalls in den Künstlerinnen aus New York wiederfinden. So scheint die Themenwahl für die Regisseurin nicht zufällig. Sie selbst hat Wurzeln in dieser Region und wurde mit den Auseinandersetzungen konfrontiert, die dieser Umstand mit sich bringt.
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13 Hintergrundinformationen und Aktualitätsbezug: Jugoslawien von 1945 – 1989 und der Zerfall
Nach dem Sieg der Partisanen im 2. Weltkrieg wurde die ‚Föderative Volksrepublik Jugoslawien’ ausgerufen und damit die Monarchie offiziell abgeschafft. Die drei zentralsten Elemente der neuen Verfassung waren erstens, die Gleichberechtigung aller Völker Jugoslawiens, zweitens, die Einführung des Einparteiensystems und drittens, ein föderatives politisches System. Die Grenzen zwischen den Teilrepubliken (Serbien mit zwei autonomen Regionen Vojvodina und Kosovo, Kroatien, Bosnien und Herzegowina, Montenegro, Slowenien, Mazedonien) wurden von der kommunistischen Partei neu definiert. In den meisten Fällen richtete sich dies nach den historischen und nicht nach den ethnischen Grenzen (Plešnik, 2007, S.78-‐85).
Als Begründer der neuen Republik wurde Josip Broz Tito von vielen Seiten her als Versöhner der jugoslawischen Völker angesehen. Sein Ziel war es, „die nationalen Gegensätze zu überwinden und eine jugoslawische Nation zu etablieren“ (Plešnik, 2007, S. 79). Die ärmeren Republiken des Vielvölkerstaates bekamen von den reicheren Staaten Ausgleichszahlungen.
1948 kam es zu einem Bruch zwischen Jugoslawien und der Sowjetunion. Die so genannten Blockfreien wurden gegründet. Diese wollten sich als unabhängig von den beiden vorherrschenden Blöcken, Westen und Sowjetunion, sehen.
In Bosnien-‐Herzegowina zeigte sich die Situation besonders schwierig. Durch die Durchmischung von Muslimen, Serben und Kroaten entstand ein Problem der nationalen Identität. Serben und Kroaten in Bosnien stritten sich darüber, welcher ethnischen Gruppe die Muslime nun angehören. Erst in den 60er Jahren wurden die Muslime offiziell als eigenständige Volksgruppe anerkannt.
Bis zu diesem Zeitpunkt war der grösste Teil der (politischen) Ämter durch Serben besetzt. Belgrad nahm bis in die 60er Jahre eine einflussreiche Position ein.
Jugoslawien genoss zu diesem Zeitpunkt Anerkennung in der (westlichen) Welt. Dies nicht zuletzt durch die Abgrenzung gegenüber dem Ostblock. Der Westen gewährte der Föderation grosszügig Kredite. Auch jugoslawische Gastarbeiter waren im Ausland beliebt.
Doch als der wirtschaftliche Aufschwung nachliess, zeigte sich, dass die nationalen Konflikte nach wie vor nicht überwunden waren. Vor allem Kroatien stellte Forderungen nach mehr Unabhängigkeit. Sie meinten die Kroaten und Kroatinnen in Bosnien-‐Herzegowina seien unterdrückt und sie wollten einen Teil Bosniens in Kroatien eingliedern (Plešnik, 2007, S.80). Demonstrationen in Kroatien wurden von der Zentralregierung brutal niedergeschlagen. Gleichzeitig verlangte Serbien Teile Bosniens abzutrennen und ihrem Staat anzufügen.
Unter anderem diese Bewegungen führten 1974 zu einer weiteren Dezentralisierung. Den einzelnen Republiken wurde mehr Autonomie gewährt. Neu wurde das Staatspräsidium durch je einen Vertreter jeder Republik zusammengesetzt. In Kroatien und Serbien rief diese Entwicklung Besorgnis um ihre Landsleute in Bosnien hervor (Plešnik, 2007, S. 85).
Im Mai 1980 starb Josip Broz Tito. Er hinterliess Jugoslawien mit einer hohen Auslandverschuldung (Malcolm, 1996, S. 242). Die zunehmenden wirtschaftlichen Probleme in den 80er Jahren liessen die Bevölkerung immer missmutiger werden.
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Nach Titos Tod übernahm ein kollektives Staatspräsidium mit jährlich wechselndem Vorsitz von Serbien, Kroatien und Bosnien-‐Herzegowina die Regierung. Die Wirtschaft befand sich nach wie vor in einer Krise ohne Aussicht auf Besserung. Im Verlaufe der 80er Jahre wurde die nationalistische Stimmung zunehmend aufgeheizt. 1988 übernahm Solobodan Milošević das Präsidium der Serbischen Teilrepublik. Er verfolgte eine Politik der nationalen Einheit, die den einzelnen Teilrepubliken wieder Autonomie wegnehmen wollte (Gollob, 2007) (Anm.: grosse Teile Bosnien-‐Herzegowinas sind von Serben besiedelt, sowie auch der Kosovo und die Vojvodina. Milošević wollte diese Teile unter Serbiens Obhut nehmen).
Im April 1990 wurden in Slowenien und Kroatien demokratische Wahlen abgehalten, wo die nationalen Bestrebungen wiederum bestärkt wurden. Nach Slowenien erklärte sich auch Kroatien für unabhängig (1991), was zu heftigen Protesten in Belgrad führte. Es wurde befürchtet, die serbische Minderheit in den jeweiligen Teilrepubliken würde benachteiligt oder gar angegriffen. Die jugoslawische Armee griff darauf in Slowenien und Kroatien ein, um eine Abspaltung zu verhindern (Wenzel, 2003). Es folgte die Unabhängigkeitserklärung Bosnien-‐Herzegowinas. Diese wurde jedoch nur von der bosniakischen Bevölkerung unterstützt. Die bosnischen Serben wehrten sich mit Unterstützung der jugoslawischen Armee gegen die Bestrebungen. Es folgte ein blutiger, unschöner Bürgerkrieg. 1995 wurden die Kampfhandlungen nach dem Friedensabkommen von Dayton eingestellt.
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14 Literaturliste
Ø Bundesamt für Statistik BFS (2008). Ausländerinnen und Ausländer in der Schweiz – Bericht 2008. Historische Darstellung. Verfügbar unter: http://www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/themen/01/22/publ/ausl/presentation.Document.116845.pdf [Datum des Zugriffs: 25.10.09]
Ø Dschoint Ventscher Filmproduktion (2006-‐2007). Das Fräulein. Ein Film von Andrea Štaka. Verfügbar unter: www.dasfaeulein.ch [Datum des Zugriffs: 25.11.09]
Ø Gerster, Franziska (2005). Der Begriff „Heimat“ wird unterschiedlich verwendet. Modulskript der Pädagogischen Hochschule Zürich BE 331, Sommerzwischensemester 2007, S.1
Ø Gollob, Rolf (2007). Zur Geschichte des Balkan (Südosteuropa). „Nur die Vergangenheit kann
die Gegenwart erklären“. Modulskript der Pädagogischen Hochschule Zürich BE 332, Sommerzwischensemester 2007.
Ø Jäger, Marianna (2005). Der Integrationsprozess bei Migranten und Migrantinnen in der
Schweiz. Urbanisierung – Akkulturation – Assimilation. Modulskript der Pädagogischen Hochschule Zürich BE 331, Sommerzwischensemester 2007, S. 4-‐5.
Ø Malcolm, Noel (1996). Geschichte Bosniens. Frankfurt am Main: S. Fischer Verlag GmbH.
Ø Nigg, Heinz (Hrsg.). (1999). Da und fort. Leben in zwei Welten. Interviews, Berichte und
Dokumente zur Immigration und Binnenwanderung in der Schweiz. Zürich: Limmat Verlag.
Ø Plešnik, Marko (2007). Bosnien –Herzegowina entdecken. Unterwegs zwischen Save und Adria (2., aktualisierte Auflage). Berlin: Trescher Verlag.
Ø Wenzel, Christine (2002). Was ist aus Jugoslawien geworden? Geographie heute 216/2002,
S.8,9.
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