Phonologie zwischen den Zeilen: Was altspanische Schriften über die Prosodie verraten Imme Kuchenbrandt, Frankfurt am Main Noch nicht ganz endgültige Fassung (Stand: 2013-Nov-05); Comments welcome! Abstract In meinem Beitrag werde ich zeigen, dass die Getrennt- und Zusammenschreibungen in den unter Alfons X erstellten Texten keinesfalls zufällig sind. Das Vorkommen ‘graphischer Klise’ lässt Rückschlüsse auf die Prosodifizierung der Funktionswörter und auch auf die phonologische Phrasierung der altspanischen Sätze zu, denn Zusammenschreibungen geschehen nur innerhalb der phonologischen Phrasen, nicht aber über ihre Grenzen hinaus. 1 Einleitung Mittelalterliche spanische Texte weisen Schwankungen auf, die nicht nur die Schreibung einzelner Wörter betreffen (z. B. asi / assi ‘so’), sondern auch die Zusammen- und Getrenntschreibung von Wortgruppen (z. B. menguala / mengua la ‘vermindere sie’). Wanner (1996: 565) äußert sich hierzu sehr pessimistisch: “[...] medieval scribal practice [...] does not respect word separation to any degree of regularity”. Meisenburg (1996: 67) schränkt dagegen ein, dies betreffe vor allem “Klitika oder, weiter gefasst, grammatische Morpheme, deren Status als ‘Wörter’ generell weniger klar ist”. Dieser unklare Wortstatus entsteht dadurch, dass die grammatischen Morpheme zwar aufgrund ihrer morphosyntaktischen Distribution als freie Morpheme einzuordnen sind, jedoch oft keine unabhängigen prosodischen Wörter bilden. In Abwesenheit von verbindlichen Normen ließen sich
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Phonologie zwischen den Zeilen:
Was altspanische Schriften über die Prosodie verraten
Imme Kuchenbrandt, Frankfurt am Main
Noch nicht ganz endgültige Fassung (Stand: 2013-Nov-05); Comments welcome!
Abstract
In meinem Beitrag werde ich zeigen, dass die Getrennt- und Zusammenschreibungen in den unter
Alfons X erstellten Texten keinesfalls zufällig sind. Das Vorkommen ‘graphischer Klise’ lässt
Rückschlüsse auf die Prosodifizierung der Funktionswörter und auch auf die phonologische
Phrasierung der altspanischen Sätze zu, denn Zusammenschreibungen geschehen nur innerhalb der
phonologischen Phrasen, nicht aber über ihre Grenzen hinaus.
1 Einleitung
Mittelalterliche spanische Texte weisen Schwankungen auf, die nicht nur die Schreibung einzelner
Wörter betreffen (z. B. asi / assi ‘so’), sondern auch die Zusammen- und Getrenntschreibung von
Wortgruppen (z. B. menguala / mengua la ‘vermindere sie’). Wanner (1996: 565) äußert sich hierzu
sehr pessimistisch: “[...] medieval scribal practice [...] does not respect word separation to any
degree of regularity”. Meisenburg (1996: 67) schränkt dagegen ein, dies betreffe vor allem “Klitika
oder, weiter gefasst, grammatische Morpheme, deren Status als ‘Wörter’ generell weniger klar ist”.
Dieser unklare Wortstatus entsteht dadurch, dass die grammatischen Morpheme zwar aufgrund ihrer
morphosyntaktischen Distribution als freie Morpheme einzuordnen sind, jedoch oft keine
unabhängigen prosodischen Wörter bilden. In Abwesenheit von verbindlichen Normen ließen sich
die mittelalterlichen Schreiber offenbar überwiegend von der morphologischen Analyse leiten,
gelegentlich jedoch auch von der phonologischen Gruppierung.
In diesem Beitrag werde ich zeigen, dass die Schwankungen in der Getrennt- und
Zusammenschreibung nicht nur Rückschlüsse auf die prosodischen Eigenschaften der Morpheme
selbst zulassen. Klitische Pronomina und Artikel müssen mit ihrem phonologischen Stützwort
entweder bereits in ein gemeinsames prosodisches Wort (PWd), aber spätestens in eine gemeinsame
phonologische Phrase (PPh) integriert werden (vgl. Nespor & Vogel 2007 [1986], Hayes 1989,
Selkirk 1996 u. a.). Das bedeutet, dass es keine graphischen Einheiten über die Grenzen der
phonologischen Phrase hinweg geben darf. Nun werden die Grenzen der phonologischen Phrase
nicht nur durch die Grenzen der entsprechenden syntaktischen Projektion bedingt, sondern
unterliegen auch Euphonie-Bedingungen. Hierdurch ergibt sich eine verhältnismäßig große
Variabilität (vgl. Selkirk 2000 zum Englischen, Delais-Roussarie 2000 zum Französischen und
Prieto 2006 zum Spanischen). Die Analyse der altspanischen Texte zeigt jedoch, dass es selbst unter
Annahme der restriktivsten Phrasierung nur wenige Fälle gibt, an denen eine Zusammenschreibung
über eine angenommene PPh-Grenze hinaus geschieht. Diese Abweichungen lassen sich fast
ausschließlich durch Restrukturierungen motivieren, die in der einschlägigen Literatur belegt sind.
Die Tatsache, dass an manchen Stellen Wörter zusammen oder getrennt geschrieben werden
können, an anderen jedoch nur getrennt, lässt sich also so interpretieren, dass die phonologische
Phrasierung durch die Graphie durchschimmert.
1.1 Theoretischer Hintergrund
Ebenso, wie syntaktische Einheiten zu größeren Konstituenten zusammengesetzt werden, bilden
phonologische Segmente größere Strukturen. Diese prosodischen Konstituenten bilden die sog.
prosodische Hierarchie und sind jeweils der Geltungsbereich spezifischer phonologischer Prozesse
(vgl. Selkirk 1984, Nespor & Vogel 2007 [1986], Hayes 1989 u. a.). Über die genaue Anzahl
prosodischer Konstituenten herrscht keine Einigkeit; weitestgehend als Konsens betrachtet werden
jedoch die Silbe, der Fuß, das phonologische oder prosodische Wort, die phonologische Phrase, die
Intonationsphrase und die phonologische Äußerung (vgl. Hall 2011: 307). Für die vorliegende
Untersuchung sind vor allem das prosodische Wort (PWd) und die phonologische Phrase (PPh)1
wichtig. Diese beiden Konstituenten orientieren sich an morphologischen bzw. syntaktischen
Einheiten, ohne mit ihnen zwingend isomorph zu sein (vgl. Nespor & Vogel 2007 [1986]).
1.1.1 Prosodisches Wort (PWd)
Das prosodische Wort (phonologisches Wort [ω] bei Nespor & Vogel 2007 [1986]) ist die kleinste
prosodische Konstituente, die wesentlich von nicht-phonologischen Faktoren bestimmt wird (vgl.
Nespor & Vogel 2007 [1986]: 109). Als Anker für das prosodische Wort dienen grammatische
Wörter. Der nicht-phonologische Faktor besteht darin, dass das grammatische Wort einer
lexikalischen Kategorie angehören muss (Nomen, Verb, Adjektiv; vgl. Chomsky 1970, Selkirk 1974
und Aronoff 1976) oder die Fähigkeit besitzen muss, auf eine nicht-sprachliche Entität referieren zu
können. Deshalb bilden neben regulären Nomina, Verben und Adjektiven auch Demonstrativa und
starke Pronomina selbstständige prosodische Wörter, auch wenn sie phonologisch gesehen
eigentlich zu leicht wären (vgl. Kuchenbrandt 2009: 74ff.).
Prosodische Wörter sind oft, aber nicht zwingend mit grammatischen Wörtern oder syntaktischen
terminalen Knoten deckungsgleich (vgl. Nespor & Vogel 2007 [1986]: 110, Hall 2011: 310). In (1)
sind die beiden terminalen Knoten jeweils monomorphemische lexikalische Kategorien, deshalb
stimmen hier morphosyntaktische und phonologische Konstituenten überein.
(1) DEU lies Bücher
[V° ] [N° ]
( )PWd ( )PWd
1 Ich verwende etwas anderere Abkürzungen als diejenigen, die Nespor & Vogel (2007 [1986]) vorschlagen und Hall(2011: 307) verwendet, um leichte Lesbarkeit zu ermöglichen und gleichzeitig die Verwechslungsgefahr mit denBezeichnungen der syntaktischen Einheiten zu vermeiden.
Dass prosodische Wörter kleiner als terminale Knoten sein können, sieht man in agglutinierenden
Sprachen mit Vokalharmonie wie dem Ungarischen. Native Stämme enthalten i.d.R. nur vordere
(kép [keːp] ‘Bild’) oder nur hintere Vokale (arc [ɒrʦ] ‘Gesicht’); Suffixe treten entsprechend der
Stammvokale ebenfalls in einer vorderen oder hinteren Variante auf (vgl. képek [ˈkeːpɛk] ‘Bilder’,
arcok [ˈɒrʦok] ‘Gesichter’). Bei monomorphemischen Stämmen, die sowohl vordere als auch
hintere Vokale enthalten, schwankt der Gebrauch zwischen vorderen und hinteren Suffixvarianten
(z. B. hotelek [ˈhotɛlɛk] / hotelok [ˈhotɛlok] ‘Hotels’; eine detaillierte statistische Analyse findet
sich bei Hayes & Cziráky Londe 2006). Die Pluralbildung beim NN-Kompositum arckép ‘Portrait’
in (2) verrät uns jedoch, dass hier zwei prosodische Wörter vorliegen, denn sie ist nur mit der
vorderen Suffixvariante -ek möglich, nicht aber mit der hinteren Suffixvariante -ok. Die erste
Konstituente befindet sich außerhalb der Domäne für die Vokalharmonie, dem prosodischen Wort,
ist daher für die Wahl der Suffixform irrelevant (vgl. auch Nespor & Vogel 2007 [1986]: 122–124).
(2) HUN arc kép -ek (*-ok) ‘Portraits’
[[N N ]N AffPL]N°
( )PWd ( )PWd
Für Hayes muss ein PWd mindestens so groß wie ein grammatisches Wort sein: “[…] the
phonological Word is the lowest level on the Prosodic Hierarchy and is always at least as large as
the grammatical word.” (Hayes 1989: 207). Die ungarischen Daten sind mit seinem Modell nur
kompatibel, wenn sich grammatisches Wort als Wortstamm interpretieren lässt.
Ob ein prosodisches Wort tatsächlich größer als ein terminaler Knoten sein darf, ist umstritten.
Nespor & Vogel (2007 [1986]: 110) schließen diese Möglichkeit für ihren Ansatz aus2, Booij
(1983: 267, 270) nimmt sie an, und auch für Selkirk (1996) muss diese Option grundsätzlich offen
stehen (in § 1.1.3. wird ihr Vorschlag zur Prosodifizierung von Funktionswörtern vorgestellt). Gute
2 Nespor & Vogel (2007 [1986]) sehen für die kritischen Fälle Funktionswort + lexikalische Kategorie die CliticGroup vor und müssen dann im Gegenzug davon ausgehen, dass auch Funktionswörter prosodische Wörter bilden,die dann jedoch durch das Diakritikon [-W] als ungeeignet für den Kopf einer phonologischen Phrase markiertwerden.
Kandidaten für diesen Fall sind Klitikon-Host-Verbindungen wie in (3). Da das Klitikon als
Funktionswort i.d.R. kein eigenes prosodisches Wort bildet, wird es gemeinsam mit seinem
lexikalischen Host prosodifiziert. Dabei bilden sie möglicherweise ein gemeinsames prosodisches
Wort.
(3) SPA lo veo ‘ich sehe es/ihn’
[X° V° ]XP
( ? )PWd
1.1.2 Phonologische Phrase (PPh)
Prosodische Wörter werden in phonologische Phrasen zusammengefasst. Diese umfassen
lexikalische Köpfe und ihre Projektionen (vgl. Nespor & Vogel 2007 [1986], Post 2000) bzw.
lexikalische Köpfe und ihre erweiterten Projektionen (vgl. Werle 2009). Das bedeutet, dass
Adjektive (A), Nomina (N) und Verben (V) zunächst einmal phonologische Wörter bilden. Diese
PWds sind dann die Köpfe der phonologischen Phrasen, die durch die Grenzen der AP, NP/DP bzw.
PP3 und VP/TP/CP eingeschränkt werden.
Nespor & Vogel (2007 [1986]: 168) schlagen einen Algorithmus vor, der von Post (2000: 34)
aufgenommen wird und sich wie folgt paraphrasieren lässt:
Die phonologische Phrase beinhaltet das prosodische Wort, das durch den lexikalischen Kopf der
maximalen Projektion gebildet wird, sowie alle weiteren Elemente innerhalb der maximalen
Projektion auf der nicht-rekursiven Seite (links im Spanischen) und alle weiteren funktionalen
Elemente auf derselben Seite. PWds auf der rekursiven Seite (rechts im Spanischen) bilden eine
neue PPh.
3 Für manche Autoren (z.B. Chomsky & Halle 1968: 8, Aronoff 1976) gehören Präpositionen nicht in die Reihe derlexikalischen Kategorien, für andere schon (###Lieber?). Prosodisch gesehen verhalten sich Präpositionen in vielenSprachen nicht wie lexikalische Kategorien (vgl. Nespor & Vogel 2007 [1986]: 168), weshalb sie hier ebenfalls alsnicht-lexikalisch angesehen werden.
Bereits Nespor & Vogel (2007 [1986]: 173) sehen vor, dass die phonologischen Phrasengrenzen
grundsätzlich verschoben werden können. In ihrem Ansatz ist es möglich, dass ein unverzweigtes
erstes Komplement “restrukturiert”, d. h. mit der PPh des lexikalischen Kopfes gemeinsam
prosodifiziert wird, statt eine eigene PPh zu bilden. Diese Restrukturierungsregel steht laut Nespor
& Vogel (2007 [1986]: 179) manchen Sprachen wie dem Italienischen offen, anderen wie dem
Französischen nicht (Post 1999 sieht dagegen klare Evidenz für Restrukturierung im
Französischen). Auch auf der nicht-rekursiven Seite gibt es eine Besonderheit zu beachten.
Eigentlich ist davon auszugehen, dass lexikalische XPn innerhalb einer größeren XP eigene
phonologische Phrasen bilden, z. B. sollten Subjekt-XPn innerhalb der erweiterten verbalen
Projektion eigene PPhs bilden. Pränominale Adjektive bilden eine Ausnahme, denn sie bilden keine
eigenständigen PPhs innerhalb der (erweiterten) Nominalphrase (vgl. Post 2000: 35; siehe auch
Verluyten 1982 und Nespor & Vogel 2007 [1986]).
Für eine Phrase wie un gran elefante gris ‘ein großer grauer Elefant’ ergäben sich demnach
folgende Phrasierungsmöglichkeiten: elefante ist der Kopf der Nominalphrase und begrenzt die
phonologische Phrase nach rechts. Das pränominale Adjektiv und der Artikel werden in die durch
elefante projizierte PPh integriert, das postnominale Adjektiv gris bildet als XP auf der rekursiven
Seite eine eigene PPh (vgl. 4a). Gris ist jedoch ein unverzweigtes “erstes Komplement” und
ermöglicht dadurch eine Restrukturierung. Die Phrasengrenze zwischen dem Kopf elefante und dem
Komplement gris darf daher gelöscht werden, so dass die gesamte Nominalphrase in eine einzige
phonologische Phrase integriert wird.
(4) a. (un granPWd elefantePWd)PPh (grisPWd)PPh
b. (un granPWd elefantePWd grisPWd)PPh
Phonologische Phrasen scheinen flexibler zu sein, als es der Algorithmus und die
Restrukturierungsregel von Nespor & Vogel (2007 [1986]) erfassen können. Ghini (1993: 48ff.)
weist darauf hin, dass Verzweigung allein keine hinreichende Erklärung für die beobachtbare
Variabilität im Italienischen ist. Phonologisches Gewicht spielt eine wichtige Rolle, und insgesamt
tendiert die Sprache dazu, phonologische Wörter möglichst gleichmäßig oder in größer werdende
Einheiten zu verteilen (vgl. Ghini 1993: 68; dies wirkt wie ein Anklang an das Gesetz der
wachsenden Glieder, vgl. Behaghel 1932: 234). Delais-Roussarie (2000) schlägt für das
Französische ebenfalls Gewichtsbeschränkungen und präferierte Phrasenlängen von 3-6 Silben vor.
Im Rahmen der Optimalitätstheorie (Prince & Smolensky 2002 [1993]) wird diese Variabilität durch
Selkirk 2000) verankert phonologische Phrasen an den Grenzen syntaktischer Phrasen. Wrap-XP
(Truckenbrodt 1999) verhindert, dass PPh-Grenzen durch syntaktische Phrasen hindurch verlaufen.
Euphonie-Beschränkungen wie Max-Bin oder Min-Bin (vgl. Selkirk 2000; Sandalo & Truckenbrodt
2002; Prieto 2006) präferieren PPhs, die minimal bzw. maximal zwei prosodische Wörter enthalten.
Da diese Beschränkungen sprachspezifisch hierarchisiert sind und weitere Faktoren wie das
Sprechtempo einen Einfluss auf die präferierte Phrasenlänge haben, ergeben sich je nach Sprache
und Stil unterschiedliche bevorzugte Phrasierungsmuster. Dies kann man schön beobachten, wenn
man mündliche Sprachdaten untersucht, wie es z. B. Delais-Roussarie (2000) und Prieto (2006) tun.
Wenn man die sprachspezifische Hierarchisierung nicht kennt, ist es jedoch schwierig, potenzielle
phonologische Phrasengrenzen für ein Sprachkorpus vorherzusagen. In diesem Fall ist der simplere
Algorithmus mit seinen überschaubaren Ausnahmen geeigneter.
1.1.3 Prosodifizierung von Funktionswörtern
Nespor & Vogel (1986) und Hayes (1989) setzen eine Clitic Group (“Composite Group” in Nespor
& Vogel 2007 [1986]: xvii–xix) zwischen phonologischen Wörtern und phonologischen Phrasen an,
da sich Sequenzen aus Funktions- und Inhaltswörtern oft weder wie PWds noch wie PPhs verhalten.
Selkirk (1996) verzichtet auf klitische Gruppen und schlägt stattdessen eine Lockerung der Strict
Layer Hypothesis (###Selkirk 1984b in N&V) vor, indem sie Rekursionen und Adjunktionen
innerhalb der prosodischen Hierarchie zulässt. In ihrem Modell bestehen verschiedene Optionen,
Klitika zu prosodifizieren. Dies erscheint realistischer als eine einheitliche klitische Gruppe, da sich
selbst innerhalb einer Sprache die Funktionswörter prosodisch unterschiedlich verhalten.
Es kann durchaus sein, dass Funktionswörter unabhängige prosodische Wörter bilden. Dies ist der
Fall, wenn sie so ‘schwer’ sind, dass sie mindestens einen metrischen Fuß bilden können (Prosodic
Minimality, McCarthy & Prince 1990; vgl. Monachesi 1996 und die dort zitierten Quellen).
Mehrsilbige Hilfsverben tragen im Spanischen einen eigenen Wortakzent, was ein Indiz für ihren
Status als PWd ist. Auch für klitische Sequenzen ist vorgeschlagen worden, dass sie unabhängige
PWds bilden können, denen mindestens ein sekundärer Wortakzent zugewiesen wird (vgl. Alcina
Franch & Blecua Teijeiro 1979: 444 für das Spanische und Monachesi 1996 für das Italienische).
Die entstehende prosodische Struktur ist (5i) bzw. das Spiegelbild hierzu (vgl. Selkirk 1996: 185;
fnc steht für den phonologischen Gehalt funktionaler, lex für den lexikalischer Kategorien).
Als prosodische Klitika bezeichnet Selkirk (1996: 185) diejenigen Funktionswörter, die keine PWds
bilden. Für ihre Prosodifizierungen gibt es drei Möglichkeiten, nämlich als free clitic, außerhalb des
PWds des Hosts direkt in die PPh integriert (5ii), als internal clitic innerhalb des PWds des Hosts
(5iii), oder als affixal clitic, d. h. außerhalb des PWds des Hosts, aber mit ihm gemeinsam in einem
zweiten, rekursiven PWd (5iv).
(5) i. Prosodic Word ( ( fnc )PWd ( lex )PWd )PPh
ii. free clitic ( fnc ( lex )PWd
)PPh
iii. internal clitic ( ( fnc lex )PWd
)PPh
iv. affixal clitic ( ( fnc ( lex )PWd
)PWd
)PPh
Die Getrennt- und Zusammenschreibungen in den altspanischen Texten lassen vermuten, dass auch
dort die Klitika bzw. Klitiksequenzen je nach Kontext unterschiedlich prosodifiziert werden.
Sequenzen aus Funktionswörtern wie pronominale Klitika, Negationspartikeln und einsilbigen
Hilfsverben bilden oft eine graphische Einheit. Dies lässt sich in (6) beobachten, wo die beiden
Klitika te und lo gemeinsam mit dem Hilfsverb e zusammengeschrieben werden und mutmaßlich
ein gemeinsames prosodisches Wort bilden (vgl. 5i)4.
(6) commo ((teloe ) (dicho )). (alb 03r-21)
wie CLI=CLI=AUX gesagt
‘wie ich es dir gesagt habe.’
In (7) bildet ein einsilbiges Klitikon gemeinsam mit seinem verbalen Host eine graphische Einheit.
Die naheliegenden Prosodifizierungen wären entweder als freies Klitikon, also außerhalb des vom
Verb gebildeten PWd, aber in einer gemeinsamen PPh (vgl. 5ii); oder als affigiertes Klitikon, d. h.
mit dem verbalen PWd in einem gemeinsamen rekursiven PWd (vgl. 5iv). Diese rekursive Struktur
ist die Analyse, die Monachesi (1996) für das Italienische annimmt.
(7) ((dexo)sse) prender (ley 3r-87)
ließ=CLI fassen
‘ließ sich gefangennehmen’
Ich gehe davon aus, dass die phonologische Bindung zwischen Klitikon und Host (oder generell
zwischen Funktionswort und lexikalischer Kategorie) unterschiedlich stark sein kann. Allen
Prosodifizierungsmöglichkeiten ist jedoch gemein, dass funktionale und lexikalische Kategorien in
dieselbe phonologische Phrase integriert werden, wenn sie derselben (erweiterten) syntaktischen
Projektion angehören.
1.2 Annahmen und Hypothesen
Schwankungen in den Wortgrenzenmarkierungen altspanischer Texte entstehen aus mangelnder
Übereinstimmung zwischen morphosyntaktischer und prosodischer Konstituenz. Eine Schreibung
wie dexosse in (7) deutet darauf hin, dass das Klitikon sse mit seinem Host dexo mindestens in einer
4 Monachesi (1996) nimmt jedoch an, dass die beiden durch Verb und klitische Sequenz gebildeten prosodischenWörter wiederum ein gemeinsames PWd und keine PPh bilden. Übertragen auf dieses Beispiel ergäbe sich((teloe)PWd (dicho)PWd )PWd.
gemeinsamen phonologischen Phrase, möglicherweise sogar in einem prosodischen Wort steht. Die
Getrenntschreibung deutet dagegen nicht notwendigerweise auf prosodische Unabhängigkeit hin,
sondern ist ein Reflex der morphosyntaktischen Segmentierung, die üblicherweise der Schreibung
zugrunde liegt.
Schwankungen in der Schreibung sind nur in bestimmten Kontexten zu erwarten, in anderen nicht.
Innerhalb der angenommenen phonologischen Phrase sollten wir sowohl Getrennt- als auch
Zusammenschreibung beobachten können, über PPh-Grenzen hinaus jedoch nur
Getrenntschreibung. Da die tatsächliche phonologische Phrasierung anhand schriftlicher Daten
schwierig zu ermitteln ist, werde ich zunächst vom in § 1.1.2 skizzierten restriktiveren Modell
ausgehen.
Das Spanische hat sich prosodisch nicht so tiefgreifend gewandelt, wie es z. B. im Französischen
der Fall war. Betonungsmuster und sogar die prosodischen Muster ganzer Wortgruppen haben sich
seit dem Mittelalter nicht signifikant verändert (vgl. Kuchenbrandt, eingereicht). Daher gehe ich
davon aus, dass sich die Erkenntnisse zur modernen spanischen Phrasierung weitestgehend auf die
altspanischen Daten übertragen lassen.
Aus den Vorüberlegungen lassen sich folgende Hypothesen ableiten:
H1 Zusammenschreibungen sind nur innerhalb angenommener phonologischer Phrasen zu
beobachten; über die Grenzen phonologischer Phrasen hinaus findet sich nur
Getrenntschreibung.
H2 Abweichungen sind nur begrenzt möglich und lassen sich durch in der Literatur motivierten
Restrukturierungen erklären.
Mit der Zusammenschreibung von Klitikon und Host geht oft auch eine Schwankung in der
Schreibung der klitischen Form selbst einher. So tritt das Reflexivpronomen in Isolation als se auf,
bei graphischer Klise neben se auch als sse oder s. Besonders die auf e auslautenden Formen neigen
dazu, den Vokal zu verlieren (eine detaillierte Analyse findet sich in Kuchenbrandt 2009). Dass der
Vokalausfall nur bei graphischen Klitika auftritt, nicht aber bei isoliert geschriebenen Formen,
verdeutlicht, dass der prosodische Kontext die Voraussetzung für den Vokalausfall schafft, aber
keinesfalls der ausgelassene Vokal die Klise erzwingt.
1.3 Daten und Methode
Die Daten stammen aus drei Texten der königlichen Schreibstube von Alfons X ‘der Weise’,
nämlich den Canones de Albateni (alb), der Estoria de Espanna (est) und dem Libro de las Leyes
(ley). Ich habe die Ausgabe von Kasten & Nitti (1978) verwendet, weil sie einerseits den Anspruch
erhebt, die Originalmanuskripte zeichengetreu wiederzugeben, und andererseits technisch
notwendige Änderungen in der Darstellung präzise dokumentiert.
Grundlage der Analyse bilden je 1.000 Artikel (definit und indefinit) und klitische Pronomina, die
gleichmäßig verteilt aus den drei Texten extrahiert wurden5. Kodiert wurde ihre Schreibung
(isoliert, proklitisch, mesoklitisch, enklitisch) sowie ihre Position innerhalb der phonologischen
Phrase (isoliert, initial, medial, final). Für die Ermittlung der phonologischen Phrasengrenzen wurde
die restriktivste Version (vgl. Nespor & Vogel 2007 [1986], Post 2000) verwendet, d. h. die PPh
umfasst alle funktionalen Elemente auf der nicht-rekursiven Seite und den lexikalischen Kopf. Für
Komplemente nehme ich die Bildung eigener PPhs an; mögliche Restrukturierungen werden
zunächst nicht berücksichtigt. Pränominale Adjektive bilden keine eigene PPh, sonstige
lexikalischen Phrasen schon. Bei der Kodierung habe ich nicht zwischen lexikalischen und
pronominalen DPn unterschieden oder zwischen syntaktisch produktiven PPn und lexikalisierten
Ausdrücken, um die Kodierungen möglichst simpel und automatisierbar zu halten. Die genaue
Betrachtung möglicher Abweichungen wird auf diese Unterschiede eingehen.
5 Zur Analyse der Stellung und Prosodifizierung der Klitika siehe Kuchenbrandt (2009).
2 Ergebnisse
2.1 Determinanten
Determinanten können isoliert stehen wie in (8), PPh-initial wie in (9), PPh-medial wie in (10) oder
PPh-final wie in (11).
(8) a. . las (que amuestran) (alb 02r-89)
. DET die zeigen
‘die zeigen’
b. & las (de los pueblos) (est 02r-80)
& DET von DET Völker
‘und die der Völker’
(9) a. (Los sabios antigos) (est 02r-08)
DET Weisen früher
‘Die früheren Weisen’
b. ueyendo) (los grandes males) (ley 1r-46)
sehend DET große Übel
‘die großen Übel sehend’
(10) a. & a danno ) (delos pueblos). (ley 1r-55)
& hat Schaden von=DET Völker.
‘und verursacht den Völkern Schaden.’
b. entonçe) (sobrell orizon ). (alb 02r-04)
dann über=DET Horizont.
‘dann über den Horizont.’
(11) a. (a los) (que auien de uenir (alb 02v-04)
zu DET die hätten zu kommen
‘denen, die nach ihnen kommen müssten’
b. (ala ) (que llaman agora theuthonia (est 03v-46)
zu=DET die nennen jetzt Theuthonia
‘die sie jetzt Teutonien nennen’
Isoliert stehende Determinanten sollten auch graphisch isoliert stehen. Für initiale Determinanten ist
allenfalls eine proklitische Schreibung zu erwarten, für finale nur eine enklitische Schreibung.
Mediale Determinanten könnten proklitisch und/oder enklitisch geschrieben werden.
In den untersuchten Daten treten ausschließlich isoliert geschriebene (0) und enklitisch
geschriebene Determinanten (X=Det) auf. Die graphischen Enklitika sind bis auf eine Ausnahme
nur in PPh-medialer und -finaler Position zu finden (vgl. Abb. 1).
Abbildung 1: Graphische Klise bei Determinanten
isoliert PPh-initial PPh-medial PPh-final0%
20%
40%
60%
80%
100%
47 394
283
19
0 1
252
4
X=Det
0
Bei den Determinanten treten Zusammenschreibungen tatsächlich fast ausschließlich innerhalb der
vorhergesagten phonologischen Phrasen auf. Graphische Klise ist vor allem mit den Präpositionen a
‘nach, an’, contra ‘gegen’, de ‘von’, desde ‘seit’, en ‘in’, entre ‘zwischen’, fasta ‘bis’, por ‘für’,
sobre ‘über’ und definitem Artikel zu beobachten. Amalgame aus a bzw. de und maskulinem
definiten Artikel sind im modernen Spanischen als al und del grammatikalisiert.
Präpositionen treten auch mit Demonstrativa (12a) und Nomina (12b) als graphische Einheit auf,
was die Vermutung nahelegt, dass eher die Präposition als der Artikel die Klise auslöst. Für die
grundlegende Argumentation ist dies jedoch nicht entscheidend.
(12) a. … del prologo deste libro ( alb 01r-11)
… von=DET Prolog von=diesem Buch
‘[erstes Kapitel] vom Prolog dieses Buches’
b. … contasse de los fechos despanna. (est 02v-35).
… erzählt von den Ereignissen von=Spanien
‘ … berichtet von den Geschicken Spaniens’
2.2 Klitika
Klitische Pronomina treten PPh-initial (13), PPh-medial (14) oder PPh-final (15) auf. Auch hier ist
zu erwarten, dass initiale Klitika nur proklitisch und finale nur enklitisch auftreten, während für
mediale Klitika die Bindung in beide Richtungen möglich ist.
(13) a. (& dios) (nos meta) (en la cierta carrera). (alb 02v-28)
& Gott CLI setze in DET sichereBahn.
‘und Gott setze uns auf die rechte Bahn.’
b. (los saberes) (se perderien) (est 02r-19)
DET Wissen CLI verlören
‘das Wissen ginge verloren’
(14) a. (& quel preciaron) (est 02r-34)
& dass=CLI schätzten
‘und dass sie es wertschätzten’
b. (& saluar sie ) (el bateado ). (ley 5r-67)
& retten CLI=AUX DET Getaufte
‘und der Getaufte wäre gerettet.’
(15) a. (guardando se) (de nol fazer ). (ley 2r-18)
hütend CLI von NEG=CLI machen
‘sich hütend, es nicht zu tun’
b. (& dizenles ) (los sobimientos) (alb 01r-65)
& sagen=CLI DET Aufgänge
‘und nennen sie Aufgänge’
Wie Abb. 2 zeigt, lassen sich neben graphischer Selbständigkeit (0) auch enklitische (X=Cli),
proklitische (Cli=Y) und mesoklitische Schreibungen (X=Cli=Y) beobachten. Die große Mehrheit
der Klitika zeigt Zusammenschreibung nur innerhalb der angenommenen phonologischen Phrasen.
Lediglich unter den initialen Klitika finden sich zwölf Fälle, in denen die Funktionswörter über die
Phrasengrenze hinaus mit einem vorangehenden Wort zusammengeschrieben werden.
Klitische Pronomina werden überwiegend mit Konjunktionen, Negationspartikeln, Auxiliaren und –
besonders bei postverbaler Stellung – mit Vollverben zusammengeschrieben.
2.3 Abweichungen
Die tatsächliche Phrasierung dürfte auch im Altspanischen variabler gewesen sein, als es das
zugrunde gelegte Modell ansetzt. Deshalb soll nun untersucht werden, ob sich die abweichenden
Fälle durch in der Literatur berichtete Restrukturierungs- und Euphonie-Beschränkungen begründen
lassen.
Unter den Determinanten findet sich ein Fall, in dem eine Schreibung über die angenommene PPh-
Grenze hinaus geschieht, und zwar zwischen dem Verb und seinem direktem Objekt in (16).
(16) E fizieron le leuarla cruz a cuestas. (ley 3r-89)
Und machten CLI tragen=DET Kreuz auf Rücken
‘Und ließen ihn das Kreuz auf dem Rücken tragen.’
Abbildung 2: Graphische Klise bei klitischen Pronomina
PPh-initial PPh-medial PPh-final0%
20%
40%
60%
80%
100%
109381
247
12
96139
1 12 00 3 0
X=Cli=Y
Cli=Y
X=Cli
0
Sowohl die Verbform leuar als auch die Objekt-DP la cruz sind syntaktisch und phonologisch nicht
komplex oder besonders schwer. Beide sind nur zwei Silben lang, während die vorangehende und
die folgende phonologische Phrase fünf bzw. drei Silben lang sind. Eine Restrukturierung von Verb
und direktem Objekt ist grundsätzlich möglich und in einem solchen Fall im modernen Spanischen
durchaus üblich (vgl. Prieto 2006).
Man könnte sich fragen, welche Rolle Binarität in diesem Fall spielt. Alle Konstituenten bestehen
aus nur einem prosodischen Wort; die Phrasierung ( E fizieron le leuar ) ( la cruz a cuestas ) würde
zwei Phrasen mit je zwei PWds erzeugen. Allerdings bildet das direkte Objekt la cruz mit dem
Adjunkt a cuestas keine syntaktische Konstituente, daher erzwingen die Alignment-
Beschränkungen eine Phrasengrenze zwischen diesen beiden XPn. Wenn die beiden Verben
gemeinsam phrasiert werden, wird vermutlich aus Gründen der Ausgewogenheit das direkte Objekt
nicht als isolierte PPh stehen bleiben, womit sich wiederum eine gemeinsame Phrasierung mit dem
vorausgehenden Verb ergibt. Diese Abweichung lässt sich also in jedem Fall durch eine
Restrukturierung der phonologischen Phrasen motivieren.
Unter den Klitika finden sich zwölf Fälle von Schreibungen über angenommene PPh-Grenzen
hinweg. Diese zwölf Fälle lassen sich in Untergruppen einteilen. Die erste Gruppe betrifft die
Zusammenschreibung mit einem vorangehenden Pronomen (ein Indefinitpronomen in 17a, jeweils
ein Personalpronomen in 17b und c).
(17) a. & despues desto algunol bateasse (ley 5v-79)
& nach von.diesem jemand=CLI taufe
‘und danach taufe ihn jemand’
b. aquello que ellal mandasse. (est 4v-51)
jener den sie=CLI schickte
‘der, den sie ihm schickte’
c. ca ella allimpia & la tuelle. (ley 4r-81)
denn er=CLI reinigt & CLI läutert
‘denn er reinigt und läutert sie’
Diese Pronomina sind zwar ‘starke’ Formen, d. h. sie bilden anders als klitische Pronomina stets
eigene prosodische Wörter. Als funktionale Elemente sind sie jedoch nicht automatisch Kopf einer
eigenen phonologischen Phrase. Wir dürfen annehmen, dass sie gemeinsam mit dem Verb
prosodifiziert werden und die Zusammenschreibung mit dem Klitikon tatsächlich innerhalb der
gemeinsamen PPh geschieht. Diese Abweichung sind nicht einer Diskrepanz zwischen Theorie und
Daten geschuldet, sondern den einfach gehaltenen Kodierungen.
In einem Fall liegt eine Zusammenschreibung zwischen präverbalem Klitikon und Subjekt-DP vor:
(18) segund su sentidol abonda. (ley 2r-87)
wie sein Sinn=CLI eingibt
‘wie es sein Sinn ihm eingibt’
Eine gemeinsame Phrasierung von Subjekt und Verb berichtet Prieto (2006) für ‘leichte’ Subjekte
und Verben im modernen Spanischen. Beide Konstituenten sind in unserem Beispiel abgesehen
vom Possessiv-Adjektiv su nicht modifiziert und bestehen jeweils aus nur einem PWd. Eine
Restrukturierung ist in diesem Fall möglich und würde eine binäre PPh erzeugen; das Klitikon steht
dann gemeinsam mit dem Subjekt und dem Verb in der gemeinsamen phonologischen Phrase.
Die größte abweichende Gruppe betrifft die Zusammenschreibung von Klitika mit vorangehenden
PPn. Ein Fall betrifft en que guisa (19a), weitere sechs sind Zusammenschreibungen mit por esso
wie in (19b).
(19) a. en que guisal deuen seer obedientes (ley 2r-14)
in welch Weise=CLI müssen sein gehorsam
‘in welcher Weise sie ihm gehorchen müssen’
b. e por essol pusieron nombre francia. (est 3v-61)
und wegen das=CLI setzten Name Frankreich
‘und deshalb gaben sie ihm den Namen Frankreich.’
Por esso beinhaltet eindeutig keinen lexikalischen Kopf. Inwiefern guisa noch wie eine lexikalische
Kategorie zu interpretieren wäre, müsste eine sorgfältige semantische Analyse klären. Beide
Ausdrücke lassen sich in diesem Kontext jedoch als Adverbien interpretieren. Ich nehme daher an,
dass sie tatsächlich funktional sind und keine eigenen phonologischen Phrasen bilden. Auch diese
Fälle wären damit erklärt, dass die restriktive Kodierung aufgrund rein formaler Kriterien
Abweichungen erzeugt, die bei näherer Betrachtung keine echten Abweichungen darstellen.
Ein letzter Fall bleibt, der tatsächlich problematisch ist. In (20) liegt eine graphische Einheit
zwischen Klitikon und dem vorangehendem Kopf-Nomen einer rekursiven PP vor.
(20) E la de somo de la cabeçal fazen
Und DET von Scheitel von DET Kopf=CLI machen
por que sea apareiado de dar razon dela fe
damit sei gerüstet zu geben Auskunft von=DET Glauben
a todo omne que gela demande. (ley 6v-84)
zu jedem Mensch der CLI=CLI frage
‘Und das [= das Kreuz] auf der Stirn machen sie, damit er gerüstet ist, jedem
Menschen, der es von ihm verlangt, ein Zeugnis des Glaubens abzulegen.’
Ungewöhnlich ist nicht nur, dass das Klitikon mit einer lexikalischen PP zusammengeschrieben
wird, sondern dass diese PP zudem noch disloziert ist. Dislozierte Konstituenten werden im
modernen Spanischen von den folgenden Satzkonstituenten stets durch Phrasengrenzen abgesetzt
(vgl. Feldhausen, eingereicht); an dieser Stelle sollte auch im Altspanischen keine Restrukturierung
möglich sein. Dieses Beispiel stellt damit den einzigen Fall dar, in dem eine graphische Einheit über
die phonologische Phrasengrenze hinaus gebildet wird.
2.4 Clusterbildungen
Auffällig ist die Neigung adjazenter Funktionswörter zur Clusterbildung. Gut zu beobachten ist dies
bei pronominalen Klitika, die sich untereinander (21), mit Negationspartikeln (22), mit
Konjunktionen (23) und mit Auxiliaren (24) zu Sequenzen zusammenschließen.
(21) a. . ni gela sabrien mostrar. (ley 5r-63)
auch.nicht CLI=CLI wissen zeigen
‘noch wissen sie, sie ihm zu zeigen’
b. tierra de que sel pagaua. (est 4v-48)
Land von welch CLI=CLI zahlte
‘Land, mit dem man ihn bezahlte’
(22) a. que nola casasse (est 06v-034)
dass NEG=CLI heirate
‘dass er sie nicht heirate’
b. por que nol obedeciera. (ley 3r-43)
weil NEG=CLI gehorchte
‘weil sie ihm nicht gehorchte’
(23) a. fata ques allegue (alb 7v-33)
bis dass=CLI ausdehnt
‘bis es sich ausdehnt’
b. lo quel dixieren. (ley 2r-06)
DET dass=CLI sagen.werden
‘was sie ihm sagen werden’
(24) a. que maguer te perdudo (est 27v-091)
dass obwohl CLI=AUX verloren
‘dass, obwohl ich dich verloren habe’
b. assi commo teloe amostrado ante. (alb 04v-71)
so wie CLI=CLI=AUX gezeigt vorher
‘so, wie ich es dir vorher gezeigt habe’
Auch Determinanten schließen sich mit anderen Funktionswörtern zusammen, nämlich mit
Präpositionen.
(25) a. çerco del çielo (alb 01r-12)
Kreis von=DET Himmel
‘Kreis des Himmels’
b. & faz alos omnes (est 02r-32)
& macht an=DET Menschen
‘und tut den Menschen’
c. auie contral linnage (ley 3r-76)
hätte gegen=DET Abstammung
‘hätte gegen die Abstammung’
Bezeichnenderweise finden sich auch Fälle, in denen klitische Pronomina und Artikel linear
adjazent sind (26), in denen jedoch keine Clusterbildung auftritt. Hypothetische Fälle wie in (27)
sind nicht belegt.
(26) a. & dizenles los sobimientos (alb 1r-65)
& sagen=CLI DET Aufgänge
‘und nennen sie Aufgänge’
b. toller se las tierras (est 03r-62)
wegnehmen CLI DET Länder
‘ihm die Ländereien wegnehmen’
c. & començo lo el quarto anno (ley 1r-08)
& begann CLI DET viertes Jahr
‘und begann es im vierten Jahr’
(27) a. & dizen *gelos sobimientos (alb 1r-65)
& sagen CLI=DET Aufgänge
‘und nennen sie Aufgänge’
b. toller *gelas tierras (est 03r-62)
wegnehmen CLI=DET Länder
‘ihm die Ländereien wegnehmen’
c. & començo *lol quarto anno (ley 1r-08)
& begann CLI=DET viertes Jahr
‘und begann es im vierten Jahr’
Grundsätzlich könnte man erwarten, dass solche Cluster möglich sind, falls Verb+Klitikon mit der
folgenden Determinanten+Nomen-Sequenz restrukturieren. Ein möglicher Grund, weshalb dies
nicht geschieht, könnte der folgende sein:
Eine Zusammenschreibung signalisiert einerseits eine wortähnliche Einheit, sei es ein reguläres
Lexem oder ein prosodisches Wort. Andererseits signalisiert sie auch die gemeinsame
Prosodifizierung von funktionalen Elementen mit ihrem Host innerhalb der phonologischen Phrase,
auch wenn das funktionale Element außerhalb des PWds seines Hosts steht. Graphische Klise ist
damit nicht eindeutig einer prosodischen Ebene zuzuordnen. In den Fällen, in den ausschließlich
funktionale Elemente involviert sind, scheint stets die kleinere Ebene ausschlaggebend zu sein.
Manche Zusammenschreibungen sind recht stark konventionalisiert; einige von ihnen (del, al,
*le la > gela > se la) werden noch im modernen Spanischen als Sonderformen gebraucht. Eine
Beschränkung der Zusammenschreibung auf diejenigen Kontexte, die frequent und eindeutig sind,
da sie nicht durch Restrukturierungen entstehen, hilft, Wörter und Konstituenten eindeutig zu
unterscheiden und unterstützt dadurch die Lesbarkeit der Texte.
3 Schluss
In dieser Untersuchung bin ich von der Hypothese ausgegangen, dass die schwankenden
Wortgrenzenmarkierungen Rückschlüsse auf die Prosodifizierung von Funktionswörtern und
dadurch auch auf die phonologischen Phrasierungsmöglichkeiten im Altspanischen erlauben. Eine
Zusammenschreibung von Artikeln bzw. klitischen Pronomina und adjazenten Wörtern geschieht
nur innerhalb der PPh, aber nicht über ihre Grenzen hinweg. Die Analyse bestätigt die Hypothese,
denn die überwältigende Mehrheit der Zusammenschreibungen (1.987 von 2.000 Fällen = 99,35%)
geschieht tatsächlich nur innerhalb der angenommenen phonologischen Phrasen. Von den
verbleibenden Fällen sind zwölf gut zu motivieren. Einerseits wurden die PPh-Grenzen aufgrund
eines sehr restriktiven Algorithmus vorhergesagt, der die für das moderne Spanische gut belegte
Restrukturierungsmöglichkeiten unberücksichtigt lässt. Da sich die spanische Prosodie seit dem
Mittelalter nicht radikal gewandelt hat, sollten die Befunde zum modernen Spanischen
grundsätzlich auf das Altspanische übertragbar sein. Ein Teil der abweichenden
Zusammenschreibungen lassen sich folglich als Hinweis auf Restrukturierungen im Altspanischen
werden. Andererseits wurden manche Konstituenten aufgrund ihrer formalen Eigenschaften anders
kodiert, als sie aufgrund ihrer Funktion einzuordnen wären (PPn mit Adverb-Funktion). Dadurch
sind an manchen Stellen PPh-Grenzen angesetzt worden, die wahrscheinlich von vornherein nicht
vorhanden sind. Diese Abweichungen falsifizieren daher nicht die Hypothese, dass eine
Zusammenschreibung nur innerhalb der PPh stattfindet, denn an den fraglichen Stellen befindet sich
nach genauerer Betrachtung keine PPh-Grenze.
Ein Beispiel bleibt, das sich nicht mit den bisherigen Annahmen und Erkenntnissen in Einklang
bringen lässt. Dieses Beispiel besteht aus einer rekursiven, dislozierten PP und dem folgenden Satz.
Zwischen den beiden sollte eine PPh-Grenze vorhanden sein, trotzdem wird hier ein Klitikon mit
dem letzten Wort der Dislokation zusammengeschrieben. Dieser Fall könnte auf einem Schreib-
oder Wiedergabefehler beruhen, er eröffnet jedoch auch eine Forschungsfrage. Auch wenn die
bisherigen Untersuchungen zur Linksdislokation in den romanischen Sprachen eine
Restrukturierung zwischen Dislokation und folgendem Satz ausschließen, ist meines Wissens noch
nicht systematisch untersucht worden, was im Fall extrem unausgewogener Längenverhältnisse
zwischen dislozierter Konstituente und Satz geschieht, wie er im fraglichen Beispiel (20) vorliegt.
Hinzu kommt, dass in (20) der eigentliche Satz aus einem einzigen Wort (fazen) besteht, dem ein
ebenfalls sehr komplexer Nebensatz folgt (por que sea apareiado de dar razon … ). Wir dürften
zunächst zwei lange phonologische Phrasen erwarten, die eine extrem kurze PPh umschließen. Ob
dieses eklatante Ungleichgewicht eventuell doch zu einer Restrukturierung führen kann, und wie
diese im konkreten Fall aussieht, muss für das moderne Spanische experimentell geklärt werden.
Hieraus ließe sich mit aller gebotener Vorsicht ableiten, ob die Zusammenschreibung im
abweichenden altspanischen Beispiel (20) ein phonologisches Indiz oder ein Fehler ist. Bis zur
empirischen Klärung der Frage muss dieser Punkt offen bleiben.
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