Dr. med. Ursula Steiner-König, … Balint 2018; 19: 31–32
ThiemeNachruf
Dr. med. Ursula Steiner-König, … Balint 2018; 00: 00–00
Dr. med. Ursula Steiner-König, 4. Juli 1939 – 29. August
2017
Es liegt nahe, dass mir als ehemaligem Mit-glied des Leiterteams
und während ein paar Jahren Organisator der Silser
Balint-Studi-enwoche und Gründungspräsident der Schweizerischen
Balint-Gesellschaft die Ehre zufällt, den Nachruf für unsere
Kolle-gin Ursula Steiner-König zu schreiben. Ich kann aber Ursula
nicht so gerecht werden wie Samuel Wiener-Barraud anlässlich der
Verabschiedung von Ursula aus dem Leiter-team von Sils 2010. Ursula
hat seine Wür-digung so geschätzt, dass sie den Text bei ihren
persönlichen Unterlagen aufbewahrt hat, und ich möchte deshalb auch
für den Nachruf daraus zitieren.
Samuel Wiener-Barraud hat uns auf eine Zeitreise über mehrere
Stationen mitge-nommen.
1. Station, ca. 1950 Wer von meinem Heimat-städtchen Aarberg in
die Welt fahren will, kommt am benachbarten Verkehrsknoten-punkt
Lyss vorbei. Dort steht ein behäbiges Doktorhaus in einem
zauberhaften Garten. Man sagte mir damals, dort wohne der be-rühmte
Dr. König mit seiner Familie. Für mich wurde das Doktorhaus ein
prächtiges weisses Schloss, und selbstverständlich trugen die
Kö-nigs Kronen, die Eltern grosse, die Kinder kleine.
Der Dr. König war ein Patriarch in einer pa-triarchalischen
Gesellschaft, dem bei der Geburt seines ersten Kindes, einem
Mäd-chen, nur trotzdem gratuliert worden war. Ursula blieb im Dorf
„ds Dokter Ursula“. Später wurde ein Bruder geboren. Noch in der
Schulzeit von Ursula erkrankte die Mut-ter und starb als Ursula 23
war.
2. Station, ca. 1960 Ich fahre nun täglich über Lyss nach Biel
ans Gymnasium. Dort höre ich von der legendären Ursula König in den
oberen Klassen. Ein Krönchen stellte ich mir damals nicht mehr vor,
aber es war mir klar, dass es Ursula König war, welche der Schule
eine Einladung in ein internationales Jugend-rotkreuz-Lager
vermittelt hatte. Ursula sagt mir zwar, dass sie nie was mit dem
JRK zu tun hatte, aber meine erste Teilnahme an einem
internationalen Treffen blieb für mich mit dem Namen von Ursula
König verbunden.
Ursula König studierte nach der Matura zu-nächst in Genf, u. a.
Philosophie bei Jeanne Hersch, dann Medizin in Basel, Staatsexa-men
1965. In Basel machte sie eine psycho-analytische Ausbildung,
Analyse bei Gaeta-no Benedetti und war Assistenzärztin an der
Psychiatrischen Universitätsklinik, spä-ter Konsiliarärztin für
psychosomatische Medizin am Kantonsspital und schliesslich als
Psychiaterin und Psychotherapeutin tätig. In Basel lernte sie 1968
ihren Ehe-mann kennen, Thoma Steiner, einen Ma-thematiker, den sie
dann auch unterstützte bei einer Weiterbildung in
Musikinstrumen-tenbau. In der Familie scheint er „halt nur als
Schwiegersohn akzeptiert“ gewesen zu sein. Nach dem Tod des Vaters
praktizierte sie ab 1980 im Doktorhaus in Lyss.
3. Station, ca. 1974 Ich komme erstmals nach Sils. Für mich ist
klar, dass ich da Ursula leibhaftig begegnet bin. Ich sehe sie als
strah-lende charmante Frau. Ursula sagt mir zwar, das könne nicht
stimmen, sie sei erst 1977 erstmals da gewesen.
4. Station, ca. 1980 Ich bin als Coleiter wie-der da. Die
Spannungen zwischen dem Fuss-volk und dem Leiterteam waren damals
be-trächtlich. Als Coleiter zählte ich mich zum Fussvolk. In den
Abenddiskussionen wurde gegen das Leiterteam als dem „Olymp“
gewet-tert. Aber der Olymp hatte eine Botin, die ro-senfingrige
Eos. Charmant schwebte sie ver-mittelnd hin und her zwischen
Fussvolk und Olymp, zwischen Deutschsprachigen und Frankophonen und
machte den Dialog mög-lich. In stagnierenden Grossgruppen stiess
sie Türen zu neuen Fantasieräumen auf, indem sie uns teilhaben
liess an ihren Schätzen aus Erfahrungen und unerschöpflichen
Einfällen aus Kunst und Literatur. Von da an war Ursu-la
Steiner-König, wie sie nun hiess, für mich die Fee von Sils. Sie
wirkte nun im Doktorhaus in Lyss und sie leitete als Präsidentin
der Schwei-zerischen Gesellschaft für Psychiatrie chaoti-sche
Mitgliederversammlungen (welche öfter wie nach-68-Vollversammlungen
imponier-ten) mit königlicher Souveränität.
Ursula engagierte sich also in der Balintar-beit, war im
Leiterteam der Silser Balint-
Studienwoche und im Leiterteam der Jour-nées Balint d'Annecy.
Sie organisierte die Teilnahme der Schweizer Leiter von Anne-cy,
die sich jährlich trafen und über einige Jahre leitete sie in
Annecy mit einem fran-zösischen Kollegen alle
Grossgruppen-Sit-zungen. Jean-Pierre Bachmann aus Genf, mit dem sie
wegen Annecy viele Kontakte hatte, erinnert sich, dass das immer
ange-nehm gewesen sei mit Gesprächen meist über gemeinsame
Interessen, die Musik, und weniger über die Funktion als
Balint-Leiter.
Ursula engagierte sich auch berufspolitisch, zuerst in der
bernischen, dann in der Schweizerischen Gesellschaft für
Psychiat-rie und Psychotherapie, die sie 1991 bis 1996 präsidierte.
1994 wurde sie als erste Frau in den Zentralvorstand der FMH, der
Schweizerischen Ärztegesellschaft, ge-wählt, deren Vizepräsidentin
sie wurde.
5. Station, 2002 Ich stosse auch zum Leiter-team und lerne
Ursula Steiner erst jetzt als en-gagierte zuverlässige Kollegin
wirklich kennen, auf die man sich verlassen kann. Sie ist
inzwi-schen im Zentralvorstand der Schweiz. Ärzte-gesellschaft
tätig, in einer schwierigen stan-despolitischen Situation. Sie ist
auch in dieser Funktion eine begnadete Networkerin, und von ihrem
schweizweiten und internationalen Beziehungsnetz profitieren auch
die Balint-Gesellschaft und Sils. Ihr Zauberwort am Te-lefon öffnet
oft einen Sesam, und auch der kleine Goldregen der Ärztekasse ist
ihrem Wir-ken zu verdanken. Wie gesagt: Die Balint-Fee von
Sils.
Im Leiterteam von Sils war Ursula immer ein sehr geschätztes
Mitglied, vernünftig, nicht in die ideologischen Rivalitätskämpfe
ver-strickt, ein ruhiger Pol, mit Verständnis für gegensätzliche
Standpunkte. Spürbar war auch ihr grosses Engagement für die
Balint-arbeit, das durch ihr Vernetzt-Sein große Wirkung hatte, bei
der Platzierung von Ar-tikeln über die Balintarbeit, bei der
Grün-dung der Schweizerischen Balint-Gesell-schaft, bei der
Anerkennung der Balint-Ar-beit, beim Vermitteln von Sponsoring für
die Silser-Balint-Studienwoche. Eindrück-
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Nachruf Thieme
lich war immer wieder ihre verbindende Funktion, z. B. indem sie
für die Balintge-sellschaft den Kontakt zu den französischen und
welschen Kolleginnen und Kollegen vermittelte.
Ursula war aktiv in der Schweizerischen Akademie für
medizinische Wissenschaften mit Publikationen v. a. über ethische
Fra-gen, zu ethischen Aspekten in der medizi-nischen Behandlung im
Strafvollzug, zur Verwahrung gefährlicher Straftäter, sowie zur
Auseinandersetzung mit Krankheit und Tod mit Artikeln zum Tag der
Kranken oder zum Recht auf einen würdigen Tod.
Ursula war bis 2006 im ZV der FMH und schrieb im Rückblick auch
auf diese Tätig-keit, wie ihr der Satz „Unbegreifliches ver-stehen
lernen“ am ersten Tag im ZV begeg-net sei und sie über all die
Jahre nicht losge-lassen habe, sie immer wieder angespornt habe,
auch wenn sie Kopf – oder Flügel – hätte hängen lassen wollen. Und
bei allem berufspolitischen Engagement immer wie-der daran denkend,
dass wir Ärztinnen und Ärzte ja eigentlich v. a. für unsere Kranken
da sein wollen.
2007 kehrte sie nach Basel zurück. Ihre Ehe war schon länger
geschieden worden, aber die letzten Jahre, wieder in Basel, war ihr
Thomas Steiner ein nächster Freund. An-lässlich ihres 70.
Geburtstages konnte sie offenbar eine grosse Zahl von Freunden
begrüssen. Sie hatte auch engen Kontakt zu Nichten, über viele
Jahre telefonierte sie täglich mit einer im Ausland lebenden früh
verwitweten Nichte.
Ursula hatte über viele Jahre mehr oder minder dauernd eine
7-Arbeitstage-Wo-che. In privatem Gesangsunterricht hatte sie einen
Ausgleich zu all den beruflichen Beanspruchungen gefunden. Sie
freute sich deshalb – allem Abschiednehmen-Müssen zum Trotz – auf
mehr Freiraum, auch auf das Singen in einem Chor. Das war im
vor-gerückten Alter dann zwar schwierig, aber sie fand ,,ihren
Chor“, den INCANTO-Chor in Basel. Und in einem Schreiben über den
Chor, in dem sie auch die Funktion der Vi-zepräsidentin übernommen
hatte, zitierte sie aus einem Lied: „… und habe wieder ge-sungen,
und alles war wieder gut“.
Ursula realisierte beim Schwimmen, dass sie plötzlich kurzatmig
geworden war, was dann zur Entdeckung eines malignen
Pleu-raergusses führte. Sie hatte wiederholte Therapien, die zu
Remissionen führten. Sie konnte offen über ihre Krankheit und die
Mühsal der Behandlungen sprechen, blieb aber zuversichtlich,
fröhlich, und erwähnte z. T. auch gegenüber guten Kollegen nur,
dass es ihr trotz Krankheit gut gehe.
6. Station, 2010 (Verabschiedung von Ursu-la aus dem Silser
Leiterteam): Ursula, Du wirst uns allen fehlen. Ein Trost kann
sein, dass Du der Balintarbeit verbunden bleibst, und dass Du, weil
auch in der Feenwelt die Katzen das Mausen nicht lassen können, in
Deiner alt-neuen Heimat Basel, wohin Du aus dem Lysser Doktorhaus
zurückgekehrt bist, bald eine neue Balintgruppe eröffnen wirst.
Danke Ur-sula, im Namen von uns allen für alles. Samu-el
Wiener-Barraud.
Soviel ich weiss, hat Ursula in Basel nicht mehr so viele
berufliche Aufgaben überneh-men können, wie sie es sich gewünscht
hat. Aber sie blieb der Balintarbeit verbunden, nahm teil an den
Generalversammlungen der Balintgesellschaft, besuchte einmal die
Silser-Balint-Studienwoche.
Am 29. August 2017 ist sie ihrer Krebs-krankheit erlegen und ist
im Kreise ihrer Fa-milie eingeschlafen. Auch die Familie schrieb:
wir werden ihre Fröhlichkeit, ihre Hilfsbereitschaft und ihr
Engagement für diejenigen Menschen, die auf der Schatten-seite des
Lebens stehen, vermissen.
Im Rückblick bleibt mir der Eindruck, dass Ursula Steiner-König
nicht wie viele von uns den Balint-Gedanken gepredigt und sich
damit auch sichtbar gemacht haben, aber dass sie im Pflegen und
Sich-Einlassen auf Beziehungen, im Reflektieren und
Verste-hen-Wollen die Grundgedanken Balints be-wundernswert gelebt
hat. Wie sehr es ihr um diese uneigennützige Haltung gegan-gen ist,
zeigt auch der Wahlspruch der mit-telalterlichen Stadtvögte, mit
dem sie sich aus dem ZV der FMH verabschiedet hat: „Servir et
disparaître“. Und ich schließe auch französisch, indem ich mich den
Wor-ten von Jean-Pierre Bachmann anschließe: „Je pense que beaucoup
de nos collègues perdent une collègue aimée et appréciée, et si
engagée dans le travail Balint“.
Dr. med. Heinrich Egli, St. Gallen
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Autoren: Heinrich EgliTitel: Dr. med. Ursula Steiner-König, 4.
Juli 1939 – 29. August 2017DOI/Literaturangabe: DOI
10.1055/s-0044-102307Balint 2018; 19: 31–32ISSN:
1439-5142Copyright: © 2018 by