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Pädagogische Handlungsmöglichkeiten im Umgang mit Trauma · Traumatische Zange Trauma: Dynamik kommt in Gang, die das Gehirn buchstäblich in die Klemme bringt. Diese "traumatische

Sep 08, 2019

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Pädagogische

Handlungsmöglichkeiten

im Umgang mit Trauma

Dipl. Soz.Päd. Dorothea Hüsson

PH Schwäbisch Gmünd

Studiengang Kindheitspädagogik

Abteilung Pädagogische Psychologie, Beratung und Intervention

[email protected]

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Traumatische Erlebnisse:

• Verletzung der Seele durch ein Ereignis außergewöhnlicher Bedrohung

• Plötzlich, heftig und intensiv oder lang anhaltend/permanent ansteigend

• Das Ereignis passt nicht zur bisherigen Selbst - und Welterfahrung der Person. Es ist nicht erklärbar und erscheint völlig sinnlos (Fischer und Riedesser, 1998)

• Angst - Schock- bzw. Verwirrungszustand

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Traumatische Zange

Trauma: Dynamik kommt in Gang, die das Gehirn

buchstäblich in die Klemme bringt.

Diese "traumatische Zange" (Huber, 2005) besteht für

das Traumaopfer aus

• überflutender Angst (Schock, Kollaps, Kurzschluss

mit "Es-ist-aus-Gefühl" = Todesnäheerleben)

• Ausgeliefertsein (nicht entfliehen können)

• Ohnmacht (nicht dagegen ankämpfen können).

Die genetisch verankerten Reaktionsmöglichkeiten auf

Angst: Kampf oder Flucht – sind blockiert!

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Situation ist beendet:

Schockreaktion

(ca. 2 Wochen)

Einwirkphase Erholungsphase

Verarbeitung eines Traumas in drei Phasen

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Trigger • Triggerreize lösen Wiedererleben aus

• Flashback-Erleben, als ob Trauma hier und jetzt wieder passiert –

• Im getriggerten Zustand sind Menschen kaum erreichbar und ansprechbar

• Triggerreize werden unbedingt gemieden

Intrusionen / Flashbacks • Innere Bilder der Traumaszene

• werden als unkontrollierbar und stark ängstigend erlebt

• Flashbacks: Wiedererleben der Gefühle der Traumaszene

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Adäquater Umgang mit traumatisierten Kindern im pädagogischen Alltag

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• Das grundsätzliche Problem mit traumatisierten Kindern besteht nicht so sehr in einer fundamental anderen Pädagogik, sondern in den gravierenden Folgen, die durch vermeidbare Fehler ausgelöst werden.

• Es braucht eine traumasensibel ausgerichtete Pädagogik, die einen bewussten und reflektierten Umgang mit traumatisierten Kindern und Jugendlichen pflegt. Volkmar Baulig

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Haltung gegenüber dem Kind

• Verstehen der Überlebensstrategien nach einem Trauma

• Respekt vor der (Über-)Lebensleistung der Kinder

• Ihre Verhaltensweisen sind normale Reaktionen auf eine extreme Stressbelastung

• Sie haben für ihre Reaktionen und Verhaltensweisen einen guten Grund

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• Erfahren von Sicherheit • Soziale und emotionale Stabilisierung der

Kinder • Aufbau von Vertrauen zu sich selbst und zu

anderen

Zielsetzung in der pädagogischen Arbeit

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Unterstützung der Kinder

1. Sichere Beziehungen anbieten

2. Das Verhalten zu verstehen versuchen

3. Regulation von Affekten und Impulsen

4. Aufmerksamkeit und Bewusstsein

5. Umgang mit Grenzen

6. Stärkung der Selbstwahrnehmung

7. Somatisierung

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1. Sichere Beziehungen anbieten • Traumatisierte Kinder leben intensive, aber instabile

Beziehungen

• Bedürfnis nach Schutz und Sicherheit einerseits und große Angst, erneut verlassen, ausgenutzt zu werden

• Schwierigkeiten, einfache zwischenmenschliche Konflikte zu lösen. Selbst geringfügige Gegebenheiten können Erinnerungen an früher erlittene Gewalt hervorrufen.

• Reinszenierung der Traumaerfahrung im pädagogischen Alltag

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Das Kind kann seine traumatischen Beziehungserfahrungen verändern, wenn es gelingt, eine vertrauensvolle dialogische Beziehung aufzubauen, die es dem Kind ermöglicht, neue und positive Entwicklungen zu erschließen (Kühn, M. 2011).

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Je tragfähiger der emotionale Kontakt zu Bezugspersonen und pädagogischen Fachkräften,

desto sicherer/gelassener kann das Kind neue Erfahrungen zulassen.

Empathie und Wertschätzung

Zuverlässigkeit, Präsenz und Authentizität

Transparenz Klarheit im Umgang mit Grenzen

Sichere Beziehungsangebote

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• Herausfordernde Verhaltensweisen des traumatisierten Kindes verstehen lernen

• Es teilt sich mit durch Verhalten und nicht durch Sprache

• Konzept „des guten Grundes“: Alles, was du tust, hat eine innere Logik, kann verstanden werden (was nicht heißt, dass alles erlaubt ist)

• Würdigung der bisher überstandener Lebenserfahrungen

2. Das Verhalten verstehen lernen

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3. Regulation von Affekten und Impulsen

• Schneller Wechsel in unterschiedliche emotionale Zustände

DESHALB:

• Unterstützung im Umgang mit und in der Regulierung von Gefühlen und Affektausbrüchen

• Keine Bestrafung, keine Isolierung (time intensive statt time out)

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• Verhalten erklären und Kindern verständlich machen

• Entspannungsübungen (Imaginationen)

• Schulung der Eigenwahrnehmung:

• Gefühle-Uhr (Dino), Gefühle - Quartett

• Bilderbuch (z.B. Gefühle sind wie Farben)

• Stressbewältigung: Knetball, Schwimmnudeln, Kuscheltier/Puppe besorgen und MIT dem Kind Beruhigungsmöglichkeiten erarbeiten

• Rückzugsorte oder Nähe anbieten

• Toberaum

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Praktische Unterstützung:

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• Abwesenheit, Dissoziationen beeinträchtigen Lernprozesse: der Schutz vor erneuter Traumatisierung steht für das Kind oft im Vordergrund.

• Gefahr von Ungeduld auf Seiten der Pädagogischen Fachkräfte und Überforderung/ Entmutigung auf Seiten der Kinder.

DAHER: • Positive Lernerfahrungen mit positiven

Rückmeldungen, Ermutigung, Erfolgserlebnisse • Fehlerfreundliche Grundhaltung • Klare Strukturen Zeit – Raum - Beziehung

4. Aufmerksamkeit

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5. Umgang mit Grenzen

• Vermehrt grenzüberschreitendes Verhalten bei Kindern durch Traumatisierung = Grenzüberschreitung

• Pädagogische Fachkräfte geraten dadurch selbst an ihre eigenen Grenzen

• Risiko, der massiven Begrenzung des Kindes

• Strenge Disziplin und harte Strafen können Kontrollverlust, Ängsten und Rückzug beim Kind auslösen

DAHER:

• Verständnis gegenüber den Verhaltensweisens

• Wertschätzung der Person, nicht des Verhaltens

• Interesse und Handlung umlenken

• Grenzverletzung konkret aufzeigen und Alternativen anbieten

• Wahrnehmungsfähigkeit fördern

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Bisherige Erfahrungen:

• Anpassung und Unterordnung

• Geringe Selbstwirksamkeitserfahrungen, mangelndes Selbstverstehen und niedriges Selbstwertgefühl, Selbstvertrauen

DAHER:

• Selbstwertbedrohungen minimieren - Positive Ich-Überzeugungen entdecken und sichtbar machen

• Entscheidungen im Alltag ermöglichen

• Selbstverstehen erhöhen

6. Selbstwahrnehmung

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7. Somatisierung

• Traumatisierungen als Körpererinnerung • Innerer Starre erzeugt häufig eine mangelnde Selbst- und

Fremdwahrnehmung • Innere Starre führt zu mangelnder Beweglichkeit und

Verringerung, Verlangsamung von Entwicklungsfortschritten

DAHER: • Körpererfahrungen vielseitig stärken und positive

Körpererfahrungen anbieten – wenn Kind das will • Achtsamkeit gegenüber Körperteilen, an denen das Kind

nicht berührt werden möchte. • Auf Distanz- und Nähebedürfnisse des Kindes achten

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Fröhlich-Gildhoff, K., Kerscher-Becker, J., Hüsson, D., Steinhauser, H., Fischer, S. (2016). Stärkung von Kita-Teams in der Begegnung mit Kindern und Familien mit Fluchterfahrung. FEL-Freiburg Zu beziehen über: http://www.fel-verlag.de/node/98

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Literatur

• Baierl, M. (2014). Zusammen auf der Seite des Kindes stehen: Eltern- und Familienarbeit. In F. Baierl (Hrsg.), Praxishandbuch Traumapädagogik (S. 108–115). Lebensfreude, Sicherheit und Geborgenheit für Kinder und Jugendliche. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

• Baulig, V. (2003). Traumatisierung. Vom pädagogischen Umgang mit traumatisierten Kindern. Förderschulmagazin, 5-10.

• Bausum, J. Besser, L., Kühn, M. & Weiß, W. (2011). Traumapädagogik. Grundlagen, Arbeitsfelder und Methoden für die pädagogische Praxis. Weinheim: Juventa.

• Besser, L.. (2007). Präsentation Traumatherapie. Hannover-Isernhagen: Zentrum für Psychotraumatologie und Traumatherapie Niedersachsen.

• Bialek, J. (2015). Ein sicherer Ort. Meine Kita – Das didacta Magazin für den Elementarbereich, 2 , 9-11.

• Fischer, G. & Riedesser, P. (2009). Lehrbuch der Psychotraumatologie. Stuttgart: UTB.

• Huber, M. (2005). Trauma und die Folgen. Paderborn: Junfermann Verlag.

• Kühn, M. (2011). Trauma als Destruktion des Dialogs mit dem Selbst, der Umwelt und dem Leben an sich. In: Sozial Extra 11-12/2011, 12-15.

• Schmid, M. (Hrsg.). (2014). Traumapädagogik und ihre Bedeutung für pädagogische Einrichtungen. Ein Projekt des Universitätsklinikums Ulm mit dem CJD. Hannover: (Beiträge zu Theorie und Praxis der Jugendhilfe, 6).

• Schmidt, M., Fegert, J. & Petermann, F. (2010). Traumentwicklungsstörung. Pro und Contra. Kindheit und Entwicklung, 19 (1), 47-63.

• Weiß, W. (2009). Philipp sucht sein Ich. Zum pädagogischen Umgang mit Traumata in den Erziehungshilfen. Weinheim: Juventa.

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