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1 Minderheitsvotum der NPD- Fraktion zum Abschlußbericht des 3. Untersuchungsausschusses der 5. Wahlperiode des Sächsischen Landtags NSU EIN STAATSKONSTRUKT?
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NSU - Ein Staatskonstrukt?

Mar 31, 2016

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NPD

Eine Informationsbroschüre der NPD-Fraktion im Sächsischen Landtag. Autor: Arne Schimmer, MdL
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Minderheitsvotum der NPD-Fraktion zum Abschlußbericht des 3. Untersuchungsausschusses der 5. Wahlperiode desSächsischen Landtags

NSU EIN STAATSKONSTRUKT?

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Der NSU-Komplex

Herausgeber:

NPD-Fraktion im Sächsischen LandtagBernhard-von-Lindenau-Platz 101067 Dresden

0351 - 493 49 00FAX 0351 - 493 49 30

[email protected]/NPDFraktionSachsen

VerfasserArne Schimmer

Diplom-Ökonom, geboren 1973, ledig. 2000-2001 Prüfungsassistent, 2001–2003 Redakteur der „Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen“. Mitglied des NPD-Parteivor-

standes.

Mitglied im Haushalts- und Finanzausschuß.Mitglied im 3. Untersuchungsausschuß

der 5. Wahlperiode („Zwickauer Terrorzelle“).

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Vorwort

Mehr als zweieinhalb Jahre ist es jetzt her, daß in einem ausgebrannten Wohnmobil im Eisenacher Stadtteil Stregda die Leichen von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt ge-funden wurden und damit der sogenannte „Nationalsozialistische Untergrund“ (NSU) aufflog. Seit einem guten Jahr steht mit Beate Zschäpe die letzte Überlebende der mutmaßlichen Zwickauer Terrorzelle in einem Mammutprozeß vor dem OLG München vor Gericht. Immer mehr Beobachter fragen sich aber, wozu dieser Prozeß am Ende führen soll und ob mit ihm tatsächlich das Ziel erreicht werden kann, Rechtsfrieden zu schaffen. Da zweifeln Waffenexperten fundiert die These an, daß Mundlos und Böhn-hard Selbstmord begangen haben können, da wird gegen einen früheren Mitarbeiter des hessischen Landesamtes für Verfassungsschutz, der sich am Tatort eines dem NSU zugeschriebenen Mordes in einem Kasseler Internetcafé aufgehalten hat nicht nur nicht ernsthaft ermittelt, sondern die Ermittlungen gegen ihn sogar noch vom hessischen Innenministerium behindert, und da werden dutzendweise V-Leute der Inlandsgeheimdienste im unmittelbaren Umfeld des NSU enttarnt, aber die von weiten Teilen der Öffentlichkeit, der politischen Klasse und der Medien ständig wiederholte Behauptung, daß es sich beim sogenannten „Nationalsozialistischen Untergrund“ um eine hermetisch abgeschirmte und autonom handelnde Zelle von genau drei Rechts-terroristen gehandelt haben soll, ist nach wie vor das Leitmotiv der Ermittlungen und der medialen Berichterstattung.

Schon die Grundthese von der Alleintäterschaft Böhnhardts, Mundlos‘ und Zschäpes klingt angesichts von zehn Morden, mindestens 16 Raubüberfällen und zwei Spreng-stoffattentaten, die der mutmaßlichen Zwickauer Terrorzelle angelastet werden und die an über 20 über das ganze Land verstreuten Tatorten begangen wurden, geradezu phantastisch; insbesondere dann, wenn man sich die hohen polizeilichen Aufklärungs-quoten bei solchen Kapitalverbrechen vor Augen führt. Eine solche Verbrechensserie soll von drei relativ unbedarften Personen, die zum Zeitpunkt ihres Untertauchens gerade einmal Anfang zwanzig waren, ohne eine entsprechende Führung und Ausbil-dung und ohne professionelle Hilfe begangen worden sein?

24 V-Leute im NSU-Umfeld

Das alles ist ja schon völlig unglaubwürdig, die offiziell verbreitete NSU-Story dreht aber endgültig in den Bereich der Phantastik ab, wenn man sich vergegenwärtigt, daß

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Der NSU-Komplex

Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe von geradezu einer Flut von V-Leuten diverser Inlandsgeheimdienste und Landeskriminalämter umgeben waren. Schon im April des vergangenen Jahres enthüllte die „Berliner Zeitung“, daß sich allein in den Ermittlungsunterlagen zum NSU-Komplex die Namen von sage und schreibe 24 V-Leuten befinden. Dabei sind in dieser Aufstellung natürlich nur diejenigen V-Leute erfaßt, die bislang aufgeflogen sind und deren Akten nicht den zahlreichen Schred-deraktionen der Bundes- und Landesämter für Verfassungsschutz zum Opfer gefallen sind.

Angesichts dieser Umstände muß sich eigentlich jeder noch selbständig denkende Bürger folgende Fragen stellen: Sind Teile der deutschen Geheimdienste aus dem Ruder gelaufen und hatten sie Kontakte zu oder doch mindestens ein Wissen um die Protagonisten des sogenannten „Nationalsozialistischen Untergrundes“? Hatten ausländische Geheimdienste Wissen um die Existenz von Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos im Untergrund? Und natürlich: Wie nahe sind sogenannte V-Leute der Geheimdienste dem mutmaßlichen Zwickauer Terrortrio wirklich gekommen? Klar ist auf jeden Fall schon zum jetzigen Zeitpunkt, daß es im personellen Umfeld des sogenannten NSU gleich eine ganze Reihe von V-Leuten gab.

Staatliche Aufklärungshindernisse

Die Klärung dieser Fragen sollte eigentlich im Mittelpunkt der Arbeit der parlamen-tarischen Untersuchungsausschüsse stehen, die im Bund und in den Ländern eingerichtet wurden. Dies ist leider bislang aber nur im Ansatz geschehen. Das war teilweise durchaus erwartbar: Die hohen Erwartungen, die sich regelmäßig an die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses knüpfen, wurden schließlich schon oft enttäuscht. Dies liegt daran, daß auch Untersuchungsausschüsse das Objekt von manipulierten Informationen und Akten, parteipolitischem Gezänk und einer oft beinharten Verschleppungs- und Vertuschungstaktik der die Regierung stützenden Fraktionen sind. Im Falle des NSU-Komplexes kommt hinzu, daß die Exekutive, insbesondere die diversen „Verfassungsschutzämter“, jedwede Informationen über ihre Beziehung zur mutmaßlichen Zwickauer Terrorzelle hermetisch abschirmen, und wohl alle Akten, die darüber Auskunft geben könnten, mittlerweile vernichtet sind. Von der weithin maßlos überschätzten Institution der Bundesanwaltschaft ist keine Aufklärung zu erwarten, die ist im Grunde genommen – wie die Autoren Stefan Aust und Dirk Laabs in ihrer bahnbrechenden Arbeit „Heimatschutz – Der Staat und die

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Mordserie des NSU“ lakonisch feststellen, ein „politisches Instrument“, die Bundes-anwälte eher die „Ausputzer der Nation“ als echte Aufklärer, da sie vor allem „mit dem Innenministerium und dessen Behörden zu tun (haben), eben mit dem Bundes-kriminalamt (BKA), aber auch mit dem Bundesnachrichtendienst (BND) oder dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV)“. Die parlamentarischen Untersuchungsaus-schüsse sind wiederum vor allem mit Abgeordneten derjenigen Parteien bestückt, die seit Jahrzehnten das Regierungshandeln in Deutschland bestimmen und die vor allem davor Angst haben, daß einer Regierung, der ihre Vertreter angehört haben, ein etwaiges Fehlverhalten nachgewiesen wird. Unter diesen Umständen mutieren selbst „Die Grünen“ von einer früheren Bürgerrechtspartei zu glühenden Vertretern einer hermetisch vor Kontrolle und Transparenz abgeschirmten Exe-kutive, wie der bislang erfolgreiche Versuch der „Grünen“ in Baden-Württemberg zeigt, einen dortigen parlamentarischen Untersuchungsausschuß zum NSU-Kom-plex zu verhindern.

Der „Corelli“-Komplex

Eines der ersten Worte zum NSU-Komplex könnte deshalb auch sein letztes bleiben: Thorsten Hinz hatte schon am 18. November 2011 in der Wochenzeitung „Junge Freiheit“ festgestellt: „Es verdichtet sich das Gefühl, vor einem Abgrund, vor einem Arkan-Bereich der Politik zu stehen! Die Medien, die im Einheitstakt das Lied von der ‚Braunen Armee Fraktion‘ skandieren, verstärken die Schwindelgefühle noch.“ Die NPD-Fraktion im Sächsischen Landtag hat jedenfalls ihr Bestes getan, um aufzuklä-ren und dabei wohl auch ein gutes Näschen gehabt. Schon im Februar 2013 brachte die NPD einen Beweisantrag in den Geschäftsgang des Landtag ein, alle Akten des sächsischen Landesamtes für Verfassungsschutz und der Staatsschutzdezernate der sächsischen Polizei, welche ganz oder teilweise die Person Thomas R. oder den V-Mann „Corelli“ (ohne Klarnamen) betreffen, für die Arbeit des Untersuchungsausschus-ses herbeizuziehen. Thomas Richter alias „Corelli“, dessen Wirkungsgebiet vor allem der Großraum Halle/Leipzig war, galt als einer der wichtigsten Zeugen im NSU-Kom-plex. Er war schon vor deren Untertauchen gut mit Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe bekannt, später war er in der Redaktion der Zeitschrift „Weißer Wolf“ tätig, in der sich schon im Jahr 2002 ein Hinweis auf den NSU befand. Darüber hinaus war er maßgeblich an der Gründung einer deutschen Sektion des Ku-Klux-Klan beteiligt und besaß in diesem Zusammenhang möglicherweise Informationen über den Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter im Jahr 2007.

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Der NSU-Komplex

Im April 2014 kam „Corelli“ im Alter von 39 Jahren unter derartig dubiosen Um-ständen zu Tode (angeblich an einer nicht rechtzeitig diagnostizierten Diabetes-Erkrankung), daß selbst etablierte Medien über einen Auftragsmord spekulierten. „Corelli“ stand vor einer wichtigen Befragung über eine ominöse DVD, die er schon im Jahr 2006 bezeichnenderweise an einen weiteren V-Mann weitergab und die im Begleittext als „die erste umfangreiche Bilddaten-CD des Nationalsozialistischen Untergrunds der NSDAP (NSU)“ bezeichnet wurde. In einem weiteren Beweisantrag forderte die NPD-Fraktion, endlich dem Untersuchungsausschuß die Festnetz- und Mobilfunk-Protokolle der Telefonanschlüsse von Beate Zschäpe für den 4. Novem-ber 2011 vorzulegen, um die eminent wichtige Frage zu klären, mit wem Zschäpe an diesem Tag in den Stunden zwischen dem Ableben von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos in Eisenach und dem Inbrandsetzen ihres Wohnhauses in der Zwickauer Frühlingsstraße telefoniert hat. Es erübrigt sich festzustellen, daß alle Beweisanträge der NPD-Fraktion diskussionslos abgelehnt wurden, meist mit dem obligatorischen Hinweis darauf, daß der Generalbundesanwalt als Herr des Verfahrens wichtige Do-kumente nicht herausgibt, womit der Zirkel der Abschottung geschlossen wäre.

Dennoch haben die, die ehrlich aufklären wollen – einige unbestechliche Autoren, Journalisten und Beamten und die Minderheit derjenigen Parlamentsabgeordne-ten in den Untersuchungsausschüssen, die sich nicht nur als Lautsprecher der Exekutive verstehen – in den letzten knapp drei Jahren viel erreicht. Es gibt kaum mehr einen ernstzunehmenden Beobachter der Entwicklungen rund um den NSU-Komplex, der es sich noch leisten kann, die überragende Rolle des Staates im Gesamtkomplex des sogenannten „Nationalsozialistischen Untergrunds“ zu leugnen. Dies ist – angesichts der ausgefeilten Abschottungsstrategien der Geheimdienste und Behörden – fast schon mehr, als man im November 2011 hoffen durfte. Weitere, hoffentlich erfolgreiche Aufklärungsbemühungen werden folgen, und sie hängen wie immer an Einzelnen, die das Aufklärungsinteresse über eine völlig pervertierte und mißbrauchte Form von „Staatsräson“ stellen.

Dresden, den 11. Juni 2014

Arne Schimmer, MdL Obmann der NPD-Fraktion im sogenannten NSU-Untersuchungsausschuß des Sächsischen Landtages

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Zu den Arbeitsgrundlagen des Ausschusses

Untersuchungsthema

Der Sachbericht des Abschlußberichtes des 3. Untersuchungsausschusses des Sächsischen Landtags zitiert zunächst in einem kurzen Vorspann das Untersu-chungsthema und enthält dann unter dem Punkt „A. Vorbemerkung“ einige Aus-führungen zu den Schwerpunkten des Berichts selbst. Daraus kann man auf die Ausrichtung und die Strukturierung der Untersuchungsarbeit schließen, zumal die Ausschußmehrheit sich die Aussagen im Sachbericht ausdrücklich zueigen gemacht hat1. Deswegen sind diese konzeptionellen Grundlagen auch der richtige Ausgangs-punkt für eine kritische Auseinandersetzung mit dem Untersuchungsausschuß.

Ausgangspunkte für die Arbeit eines jeden Untersuchungsausschusses sind natürlich das Untersuchungsthema und die einzelnen Untersuchungsgegenstände. Eigentlich müßte das Thema des NSU-Untersuchungsausschusses das in der Bevölkerung stark verbreitete Gefühl reflektieren, hinter dem sogenannten NSU stecke in erster Linie eine Vielzahl an staatlichen, und das heißt in diesem Fall geheimdienstlichen, Einflüssen, so daß es sich in Wirklichkeit um einen „NSU-Geheimdienst-Komplex“ handle2. Dieses Bild hat sich heute außerhalb der politischen Klasse beinahe auf der ganzen Linie durchgesetzt, was eine Folge der im Fall der mutmaßlichen Zwickauer Terrorzelle inzwischen ins Unermeßliche gestiegenen Zahl nicht mehr darstellbarer spektakulärer Ungereimtheiten ist. Aber auch zum Zeitpunkt der Einsetzung des Ausschusses – März 2012 – waren große Teile der Öffentlichkeit von einem signi-fikanten Anteil des Verfassungsschutzes sowie weiterer Geheimdienste sowohl an der Entstehung als auch an der weiteren Entwicklung des NSU überzeugt. Dafür sprach von Anfang an der Umstand, daß das Trio Mundlos, Böhnhardt, Zschäpe trotz dilettantischen „Untergrund“-Daseins und trotz eines Umfeldes von mehreren Dutzend V-Leuten verschiedener Geheimdienste3 so viele Jahre ungestraft spektaku-

1 Siehe „Zusammenfassung der Stellungnahme der CDU- und der FDP-Fraktion zum Abschlußbericht für den 3. Untersuchungsausschuss der 5. Wahlperiode“.2 Der Begriff stammt aus dem Buch „Der NSU-VS-Komplex. Wo beginnt der Nationalsozialistische Un-tergrund – Wo hört der Staat auf?“ von Wolf Wetzel (Unrast-Verlag 2013).3 So zählte der Journalist Andreas Förster schon Anfang April 2013 insgesamt 24 V-Leute diverser Geheimdienste, die allein in den Ermittlungsakten zum NSU-Komplex vorkommen; vgl. hierzu: Andreas Förster: „Mindestens 24 Spitzel im NSU-Umfeld“ in „Berliner Zeitung“ vom 03.04.2013.

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läre Schwerverbrechen begangen haben soll wie kaum ein anderer Serienverbrecher oder eine andere Terrorgruppe in der neueren Kriminalgeschichte. Hinzu kam, daß gleich nach der von offizieller Seite weiterhin hartnäckig behaupteten, jedoch wenig glaubwürdigen „Selbstmord-Theorie“, nach der sich die abgebrühten mutmaßlichen Serienmörder Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt in Eisenach am 4. November 2011 beim Herannahen einer Polizeistreife selbst erschossen haben sollen, eine ganze Rei-he von weiteren Verdachtsmomenten und dubiosen Ereignissen bekannt wurden, wie das offenbar vom Verfassungsschutz und vom Landeskriminalamt Thüringen gedul-dete „Untertauchen“ des Trios im Januar 1998, die Hinweise auf eine V-Frau-Tätigkeit Beate Zschäpes4, die seltsame, offenbar vom thüringischen Verfassungsschutz mit Rückendeckung der Erfurter Regierung hintertriebene „Zielfahndung“ in Chemnitz, die vielen V-Leute im Umfeld des Trios, die fantastisch anmutenden Besonderheiten bei den Morden in Heilbronn und Kassel5 u.s.w. Diese Dinge waren schon wenige Wo-chen nach Bekanntwerden des NSU in aller Munde. Kurzum, schon bald nach dem 4. November 2011 nahmen viele Menschen einen „tiefen Staat“, das heißt ein System mehr oder weniger selbständig agierender, an Recht und Gesetz nicht mehr gebun-dener staatlicher „Dienste“, vor allem der Verfassungsschutzämter, als notwendige

Voraussetzung zur Erklärung und zur Genese der Verbre-chensserie an. Linke und rechte investigative Jour-nalisten, wie etwa der linke Journalist Wolf Wetzel („Der NSU-VS-Komplex“) und der rechte (ehemals linke) Publi-zist Jürgen Elsässer (COM-PACT-Magazin, Spezial Nr. 1, „Operation NSU“) be-fassen sich mit dem Thema und kommen, was die Kritik an den offiziellen Darstellun-

4 Siehe z.B. „FOCUS Online“: „Beate Zschäpe soll doch V-Frau gewesen sein“, „Leipziger Volkszeitung“/„LVZ-Online“: „Rätselraten über mögliche Informanten-Tätigkeit von Beate Zschäpe“, „Welt.de“: „Wurde Beate Zschäpe als V-Frau vom Staat gedeckt?“, alle vom 29.11.2011.5 Siehe z.B. „stern“: „Mord unter den Augen des Gesetzes?“, 01.12.2011; „stern.de“: „Zwickauer Neonazi-Zelle. Neues von ‚Klein Adolf’, 14.04.2012, oder – eine detailliertere Darstellung – : Thomas Mo-ser: „Der Schattenmann“, in: Andreas Förster (Hrsg.): „Geheimsache NSU – Zehn Morde, von Aufklärung keine Spur“, Klöpfer & Meyer, Tübingen, 2014, S. 119-131.

Publizist Jürgen Elsässer - Früher Aufklärer im NSU-Komplex

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gen der politischen Klasse betrifft, zu weitgehend gleichen Ergebnissen. Eine Zäsur in der Aufarbeitung des NSU-Komplexes stellten zwei Neuerscheinungen aus dem Mai 2014 zum NSU-Komplex dar, die nicht vom linken oder rechten politi-schen Rand der Gesellschaft kamen, sondern einerseits von den zwei Geheimdienst-Kennern Stefan Aust und Dirk Laabs mit ihrer Arbeit „Heimatschutz – Der Staat

und die Mordserie des NSU“ und andererseits dem investigativen Journalisten An-dreas Förster, der als Herausgeber den Sammelband „Geheimsache NSU – Zehn Morde, von Aufklärung keine Spur“ edierte und mehrere renommierte Wissenschaftler als Autoren gewinnen konnte.6 Stefan Aust, der wohl profundeste deutsche Geheim-dienstkenner, der mit seinem Buch „Der Baader-Meinhof-Komplex“ das Standardwerk zur Entstehung der RAF („Rote Armee Fraktion“) verfaßte, kommt beispielsweise in einem Interview mit dem „Deutschlandfunk“ zu dem Schluß, „daß diese V-Leute so dicht dran gewesen sind, dass man sich eigentlich gar nicht vorstellen kann, warum man nicht zu irgendeinem Zugriff gekommen ist“.7 Mit diesen Neuerscheinungen, die direkt aus der bürgerlichen Mitte heraus kommen und akribisch Hunderte von Belegen für eine an Massivität kaum zu überbietende Geheimdienstverstrickung in den NSU-Komplex auflisten, ist aber die Staatskrise eingetreten, die staatliche Behörden mit ihrer Abschottungs- und Geheimhaltungsstrategie unbedingt verhindern wollten.

Die meisten Menschen interessieren sich aber nicht für das Motiv, sondern su-chen einfach nach Antworten auf die vielen Fragen, die sich stellen. Dabei kom-

6 Vgl. hierzu: Stefan Aust, Dirk Laabs: „Heimatschutz – Der Staat und die Mordserie des NSU“, Mün-chen, Pantheon, 2014, sowie: Andreas Förster (Hrsg.): „Geheimsache NSU – Zehn Morde, von Aufklä-rung keine Spur“, Tübingen, Klöpfer & Meyer, 2014.7 Vgl. hierzu: „Verfassungsschutz war zu nah dran – Stefan Aust im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann“, Interview, ausgestrahlt im Deutschlandfunk am 21.05.2014 (http://www.deutschlandfunk.de/nsu-mordse-rie-verfassungsschutz-war-zu-nah-dran.694.de.html?dram:article_id=286920).

Geheimdienstkenner Stefan AustFoto: Raimond Spekking, cc by-sa 4.0

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men viele – inzwischen vermutlich die Mehrheit der ernsthaft interessierten Men-schen außerhalb der politischen Klasse – zum gleichen Ergebnis wie die Linken und die Rechten: Es erscheint kaum möglich, die vielen seltsamen Zufälle und rätselhaften (Schein-)Paradoxe im Zusammenhang mit dem sog. NSU-Komplex auch nur halbwegs plausibel zu erklären, ohne die Existenz eines geheimdienstli-chen Terrornetzwerkes anzunehmen.

Unter diesen Umständen hätte nach Auffassung der NPD-Fraktion die Arbeit des 3. Untersuchungsausschusses der 5. Wahlperiode des Sächsischen Landtages weniger „neonazistischen Terrornetzwerken“ (siehe Wortlaut des Untersuchungs-themas, unten) als eben staatlichen oder geheimdienstlichen Netzwerken gelten müssen.

Trotzdem lautet das für den Ausschuß gewählte Untersuchungsthema wie folgt: „Untersuchung möglicher Versäumnisse und etwaigen Fehlverhaltens der Staatsre-gierung und der ihrer Fach-, Rechts- und Dienstaufsicht unterliegenden Sicherheits-, Justiz-, Kommunal- und sonstigen Behörden im Freistaat Sachsen beim Umgang mit der als ‚Terrorzelle Nationalsozialistischer Untergrund’ (NSU) bezeichneten neo-nazistischen Terrorgruppe, deren personellorganisatorischem Umfeld und etwaigen Unterstützungsnetzwerken, insbesondere im Hinblick auf ihre Entstehung, Entwick-lung und ihr Agieren in bzw. von Sachsen aus, sowie bei der Aufklärung, Verfolgung und Verhinderung der der Terrorgruppe ‚NSU‘ und ggf. den mit ihr verbundenen Netzwerken zurechenbaren Straftaten und der Schlußfolgerungen hieraus (neonazis-tische Terrornetzwerke in Sachsen).“

Zur besseren Verständlichkeit wird dieser Textblock hier etwas gekürzt und struktu-riert, ohne daß wesentliche Inhalte verloren gehen:

Untersuchung möglicher Versäumnisse und etwaigen Fehlverhaltens der Staatsregierung und ihrer Behörden

a) beim Umgang mit dem „NSU“ und seinem Umfeld, insbesondere im Hinblick auf deren Entstehung und Entwicklung sowie auf deren Agieren in bzw. von Sachsen aus,

b) bei der Aufklärung, Verfolgung und Verhinderung der dem „NSU“ und ggf. den mit ihm verbundenen Netzwerken zurechenbaren Straftaten und

c) beim Ziehen von Schlußfolgerungen hieraus in bezug auf neonazistische Terror-netzwerke in Sachsen.

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Man erkennt leicht, zumin-dest bei dieser strukturier-ten Darstellung, daß die Untersuchung hinsichtlich der Täterschaft ausschließ-lich auf den NSU und sein Umfeld (Punkt a, oben) und die diesen Kreisen „zurechenbaren“ Straftaten (Punkt b) beschränkt ist. Nach Maßgabe der vorlie-genden Themenstellung durfte der Ausschuß gar nicht die der Staatsregie-rung und/oder den Behör-den selbst zurechenbaren

Straftaten bzw. das Fehl-verhalten der Staatsregierung im Umgang damit untersuchen. Da es sich in diesem Fall eben um eigene Straftaten der Staatsregierung und/oder der Behörden handeln würde, würde es außerdem keinen Sinn ergeben, zu untersuchen, wie diese damit „umgehen“. Dies unterstreicht nochmal, daß die Untersuchung staatlicher Terror-netzwerke im Rahmen des gewählten Untersuchungsthemas in formeller Hinsicht nicht sinnvoll möglich wäre. Ein weiterer Hinweis, daß dies von den Antragstellern gar nicht gewollt war! Genau aus diesem einen Grund haben sich die Abgeordneten der NPD-Fraktion bei der Abstimmung über die Einsetzung des Untersuchungsaus-schusses auch der Stimme enthalten, weil ihnen nämlich der Aufklärungsfokus des Einsetzungsbeschlusses nicht weit genug gefaßt war.

Da es aber, wie schon erwähnt, für die Existenz dieser staatlichen Netzwerke bereits zum Einsetzungszeitpunkt des Untersuchungsausschusses starke Indizien gab, hält die NPD-Fraktion das im Einsetzungsbeschluß angegebene Untersuchungsthema für eindeutig falsch gewählt, zumindest wenn man bestrebt ist, das immer noch, nach mehreren Untersuchungsausschüssen und monatelangen Verhandlungen am Oberlandesgericht in München, völlig im Dunkeln liegende NSU-Rätsel zu lösen. Die einseitige, jegliche Beteiligung staatlicher Dienste am Terror ausschließende Formulierung des Untersuchungsthemas wird insbesondere durch den letzten Teil deutlich – in der obigen, strukturierten Darstellung: Punkt c. Denn diesem zufolge durften hinsichtlich der von der Staatsregierung gezogenen Schlußfolgerungen nur

Die Brandruine in der Zwickauer FrühlingsstraßeFoto: André Karwath, cc-by-sa-2.5

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Versäumnisse in bezug auf neonazistische Terrornetzwerke in Sachsen untersucht werden. Das einschränkende Attribut „neonazistische“ wird im Antragstext (und auch im Sachbericht) durch Fettschrift sogar noch betont. Die Befassung mit dem sogenannten „tiefen Staat“ war insofern von vornherein ausgeschlossen.

Sofern die im Antrag aufgeführten einzelnen Untersuchungsgegenstände etwas anderes besagen, stehen sie im Gegensatz zum Untersuchungsthema. Daß sie, unabhängig davon, nicht zum Tragen kommen konnten, hat schon die Praxis im Untersuchungsausschuß gezeigt. Außerdem wird durch diese Einzelgegenstände die Untersuchung vorsätzlich kriminellen Handelns der Exekutive, insbesondere krimineller Geheimdienstnetzwerke, ohnehin nicht abgedeckt. Gerade die Existenz solcher Netz-werke versuchen Staatsregierung und Regierungsfraktionen offenbar auch um den Preis ihrer eigenen Glaubwürdigkeit zu leugnen. Das geht sowohl aus dem „Vorläufi-gen Abschlußbericht des Sächsischen Staatsministeriums des Innern zum Fallkom-plex ‚Nationalsozialistischer Untergrund’“ vom 25.06.2012 als auch aus der „Zusam-menfassung der Stellungnahme der CDU- und der FDP-Fraktion zum Abschlußbericht für den 3. Untersuchungsausschuss der 5. Wahlperiode“ sehr deutlich hervor.

Neben diesen einschränkenden Elementen enthält das Untersuchungsthema allerdings auch eine wichtige Kompetenzerweiterung für den Ausschuß, und zwar in geographischer Hinsicht. Gegenstand der Untersuchung sollten demnach nicht nur die Entstehung, die Entwicklung und das Agieren des NSU-Trios in Sachsen, sondern „in bzw. von Sachsen aus“ sein. Da nach dem Untertauchen des Trios im Januar 1998 sämtliche Aktivitäten des Trios eben von Sachsen ausgingen, bedeutet diese Erweiterung, daß zumindest in bezug auf den Zeitraum nach diesem Zeitpunkt praktisch sämtliche Aktivitäten bzw. die entsprechenden Fehlleistungen der Staats-regierung und ihrer Behörden Gegenstand der Untersuchung sein sollten. Von dieser vernünftigen Festlegung waren allerdings in der Ausschußarbeit ebenso wenig wie im jetzt vorliegenden Sachbericht irgendwelche Folgerungen zu erkennen.

Angaben zur inhaltlichen Abgrenzung unter Punkt „A. Vorbemerkung“ des Sachberichts

Energische Aussagen zum angeblichen Kommunikationsdefizit des LfV Thüringen: Das LfV Sachsen schiebt die Schuld für seine Passivität in Sa-chen NSU auf Thüringen und leugnet damit auch jedes Wissen über etwaige illegale Operationen des LfV Thüringen.

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Unter dem Inhaltspunkt „A. Vorbemerkung“ des Sachberichts werden in relativ unpräziser und unvollständiger – also mehrdeutiger – Weise Untersuchungsgegen-stände und Informationsquellen genannt, die nicht im Bericht aufgeführt und damit auch nicht im Ausschuß behandelt worden sind. Ganz allgemein wird zunächst festgestellt, daß nur das Verhalten sächsischer Behörden bei der Suche nach dem untergetauchten Trio im Sachbericht behandelt werde, wobei allerdings die Zusam-menarbeit mit dem Landeskriminalamt (LKA) Thüringen und dem Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) Thüringen eine herausragende Rolle gespielt habe. Daß die Beschränkung auf das Verhalten sächsischer Behörden nicht ganz ernst gemeint ist und es wohl auch nicht sein kann, wird dadurch deutlich, daß an anderer Stelle im Bericht – wie übrigens auch in den Berichten der Staatsregierung und der Regie-rungsfraktionen im Untersuchungsausschuß – sehr energisch ein Fehlverhalten des LfV Thüringen betont wird, und zwar ein mangelhaftes Kommunikationsverhalten, das sich angeblich daran zeigte, daß das LfV Thüringen wichtige, den NSU betref-fende Geheimdienstakten an das LfV Sachsen zu zögerlich oder gar nicht übermit-telte. Das habe das LfV Sachsen daran gehindert, in Sachen NSU tätig zu werden. Durch das wiederholte Anzeigen dieses Fehlverhaltens in verschiedenen sächsi-schen Stellungnahmen wird vordergründig versucht, die Verantwortung auf Thü-ringen zu schieben, wie es zum Beispiel die „Ostthüringer Zeitung“ am 28.06.2012 formulierte. Gleichzeitig wird aber auch vor dem Hintergrund des ziemlich offensicht-lichen illegalen Verhaltens des LfV Thüringen im Zusammenhang mit der von diesem Amt selbst aufgebauten „rechten Szene“ („Thüringer Heimatschutz“8 etc.) versucht, jeden Eindruck einer Mitwisserschaft des LfV Sachsen und eines gemeinsamen illegalen Verhaltens der beiden Landesämter (im Sinne eines Netzwerks) zu vermei-den. Deswegen wäre es eine wichtige Aufgabe des Untersuchungsausschusses gewesen, die angebliche Ahnungslosigkeit des LfV Sachsen sehr genau zu prüfen. Dies ist aber leider nicht geschehen, ganz im Gegenteil: die schlechte Informations-übermittlung Thüringens wird äußerst penetrant betont, das LfV Sachsen wird als gleichsam am langen Arm informationell ausgehungert und dementsprechend hand-lungsunfähig hingestellt. Es wird sogar betont, daß die sächsischen Verfassungs-schützer nicht einmal ahnen konnten, daß ihnen Informationen vorenthalten wurden.

8 Auch diese Organisation, in der Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe vor ihrem Untertau-chen agierten, war in einem beinahe unfaßbaren Ausmaß von V-Leuten diverser Geheimdienste durch-setzt und durch diese kontrolliert und geführt worden. So sollen von den 120 Mitgliedern 40 als V-Leute für verschiedene Geheimdienste gearbeitet haben, so auch unter anderem Tino Brandt, der Anführer des „Thüringer Heimatschutzes“. Vgl. hierzu: Clemens Wergin: „Thüringer Heimatschutz – 40 von 140 wohl V-Leute“ in: „Die Welt“ vom 04.09.2014.

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Aus der Sicht der NPD-Fraktion ist dies nicht glaubwürdig. An diesem Verhalten der Ausschußmehrheit zeigt sich nach Auffassung der NPD-Fraktion exemplarisch, wie der Ausschuß entsprechend der Formulierung des Untersuchungsthemas im Einset-zungsbeschluß tatsächlich vermieden hat, irgendwelche Untersuchungen anzustel-len, die zur Aufdeckung eines gemeinsamen illegalen Verhaltens von LfV Sachsen und LfV Thüringen hätten führen können.

Weitere Aussagen zur Abgrenzung von Sachverhalten und Informationsquellen

Der Abschnitt „A. Vorbemerkung“ im Sachbericht enthält zwei scheinbar willkürlich ausgewählte Beispiele für im Bericht nicht berücksichtigte Themen. Dadurch wird keineswegs eine klare Trennlinie zwischen berücksichtigten und nicht berücksich-tigten Themen gezogen, sondern vielmehr offengelassen, was sonst noch alles an

brisanten, der Öffentlich-keit durch Presseberichte bruchstückhaft mitgeteilten Vorgängen im Bericht nicht berücksichtigt oder gar im Ausschuß überhaupt nicht behandelt worden ist.

Zum einen handelt es sich um die Aussage des Zielfahnders Sven Wunder-lich vom Thüringer LKA, es habe ein Versuch statt-gefunden, die ehemalige Lebensgefährtin von Ralf Wohlleben, Juliane W., als V-Frau anzuwerben. Daß dieser Vorfall als Beispiel

für im Sachbericht nicht behandelte Themen genannt wird, erscheint an und für sich plausibel (was natürlich auch beabsichtigt ist), denn es handelt sich ja um eine rein thüringische Angelegenheit. Als zweites Beispiel wird festgestellt, daß das Gutach-ten der sogenannten Schäfer-Kommission ebenfalls weitgehend aus dem Bericht

Eine Ceska aus der Serie 83 – eine solche wurde auch bei der Mordserie verwendet

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ausgeklammert sei, und zwar insofern, als es sächsische Behörden angeblich nicht betreffe und in den Anhörungen der Zeugen vor dem Untersuchungsausschuß keine Rolle gespielt habe. Auch das klingt an und für sich vernünftig, denn das Schäfer-Gutachten behandelt ja zum Teil Vorgänge um das spätere NSU-Trio, die sich vor dessen Absetzen und Untertauchen in Sachsen ereignet haben.

Allerdings sind die beiden Beispiele nach Auffassung der NPD-Fraktion auch geeig-net, die Bemühungen der Ausschußmehrheit deutlich zu machen, sich die wirklich brisanten Fragen vom Leib zu halten. Denn die vordergründige Erwähnung der Nicht-Berichtsgegenständlichkeit der Wunderlich-Aussage zum angeblichen bloßen Versuch einer Anwerbung der Wohlleben-Freundin Juliane W. als V-Frau erscheint eigenartig deplaziert vor dem Hintergrund, daß Sven Wunderlich wiederholt schwere Verdachtsmomente gegen das LfV Thüringen geäußert hat, so unter anderem Vor-würfe an das LfV, das NSU-Trio gedeckt, die Fahndung des LKA sabotiert und Beate Zschäpe als V-Frau geführt zu haben, und daß im Sachbericht darüber kein einziges Wort zu lesen ist, trotz wiederholter Erwähnung des KHK Wunderlich in anderen, weniger verfänglichen Zusammenhängen. Und niemand wird ernsthaft behaupten können, daß eine in Chemnitz/Zwickau wohnende Beate Zschäpe, die an terroris-tischen Aktivitäten beteiligt ist und gleichzeitig möglicherweise vom Geheimdienst gedeckt wird, mit dem Verhalten sächsischer Behörden, insbesondere sächsischer Sicherheitsbehörden, nichts zu tun habe, zumal Verfassungsschutz und Polizei in Sachsen nachweislich mit dem Trio intensiv befaßt gewesen sind und die terroristi-sche Bedrohung vordergründig Sachsen betraf.

Das zweite Beispiel für nicht berichtsgegenständliche Themen, die Ausklamme-rung verschiedener Aspekte des Schäfer-Gutachtens, ist insofern auffällig, als zwar auf die im Gutachten detailliert beschriebenen gemeinsamen Fahndungsmaßnah-men sächsischer und thüringischer Behörden in Chemnitz im Jahr 2000 in rein fahndungstechnischer Hinsicht sehr wohl eingegangen wird, und teilweise auch Nachlässigkeiten zugegeben werden, jedoch jede Bezugnahme auf die vom KHK Sven Wunderlich nicht zuletzt gegenüber der Schäfer-Kommission geäußerten Erkenntnisse fehlt, nach denen seitens des LfV Thüringen das Auffinden des unter-getauchten Trios nicht erwünscht gewesen sei und das LfV die Zielfahndung der Polizei behinderte und Beate Zschäpe als V-Frau führte9. Dabei sind diese spektaku-

9 „Bundestag: ‚Chaos bei Thüringens Sicherheitsbehörden’“. Prof. Dr. Hajo Funke, 31.01.2013, http://hajofunke.wordpress.com/2013/01/31/bundestag-chaos-bei-thuringens-sicherheitsbehorden.

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lären Aussagen des im „Fall NSU“ wichtigsten thüringischen Zielfahnders gerade im Zusammenhang mit der Arbeit der Schäfer-Kommission gefallen10, und die Kom-mission, insbesondere ihr Vorsitzender Dr. Gerhard Schäfer, ist ihnen in auffälliger Weise entgegengetreten, bis hin zu persönlichen Angriffen auf KHK Wunderlich11. Hätten die Initiatoren des Untersuchungsausschusses bzw. die Vertreter der Aus-schußmehrheit im Ausschuß wirklich die Absicht gehabt, auch um den Preis einer Staatskrise vorsätzliches staatliches Fehlverhalten aufzuklären, hätten sie erstens das Untersuchungsthema anders formuliert, und zwar ohne Beschränkung auf „neonazistische Terrornetzwerke“, siehe oben, und zweitens, unbeschadet des Un-tersuchungsthemas, im Ausschuß versucht, unter Hinzuziehung Sven Wunderlichs, der Mitglieder der Schäfer-Kommission und anderer Zeugen und Sachverständiger diesen Aspekt auszuleuchten.

Den Ausschußmitgliedern und auch dem Verfasser des Sachberichts, Bundesan-walt a.D. Volkhard Wache in seiner Eigenschaft als früheres Mitglied der Schäfer-Kommission und Mitverfasser des Schäfer-Gutachtens, muß dies durchaus bewußt gewesen sein. Ebenfalls muß ihnen klar gewesen sein, daß ein etwaiges fahndungs- und observationstechnisches Fehlverhalten sächsischer Behörden im Zusammenhang mit den im Schäfer-Gutachten beschriebenen Maßnahmen in Chemnitz im Jahr 2000 in einem ganz anderen Licht zu sehen ist, wenn man von einem bewußten Hintertreiben der Fahndung durch das LfV Thüringen auszuge-hen hat. Unter dieser Voraussetzung hätte der Untersuchungsausschuß zunächst zu prüfen gehabt, inwiefern die Behauptungen über unzulässige Intentionen und entsprechende negative Maßnahmen des LfV Thüringen zutreffen und das mit dem LfV Thüringen eng zusammenarbeitende LfV Sachsen diese gekannt und unterstützt haben. Denn die im Schäfer-Gutachten dokumentierte und im Sach-bericht bestätigte Passivität der sächsischen Behörden bei der NSU-Fahndung ist sonst kaum zu erklären, insbesondere der Umstand, daß die sächsischen NSU-Fahndungen praktisch eingestellt wurden, nachdem ab Ende 2000 keine Unter-

10 Vgl. hierzu: Thomas Moser: „Hilfe beim Abtauchen“, in: „Kontext: Wochenzeitung“ vom 23.01.2013, Ausgabe 95. In diesem Artikel findet sich auch folgende Feststellung: „Sven Wunderlich, dem der Ruf vorauseilte, er kriege jeden, hatte unter anderem vor der Schäfer-Kommission den Verdacht geäußert, daß vor allem Beate Zschäpe für das LfV arbeitete.“11 „Wer hat gelogen: der Verfassungsschutz oder die Zielfahnder?“, „Thüringer Allgemeine“, 01.02.2013,http://www.thueringer-allgemeine.de/web/zgt/leben/detail/-/specific/Wer-hat-gelogen-der-Verfassungs-schutz-oder-die-Zielfahnder-1799174534.

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stützungsbitten aus Thüringen mehr kamen12, und auf die Chemnitzer Maßnahmen vom Jahr 2000 bezogene Observationsberichte, Einsatzunterlagen und personen-bezogene Daten sowie Arbeitsanalysen und Angaben für Erfahrungsberichte des MEK Sachsen im Februar 2006 ausgesondert und vernichtet wurden13, obwohl das mutmaßlich terroristische Trio noch nicht festgenommen worden war und sich nach allen verfügbaren Informationen noch in Sachsen befand.

Statt die konkreten Verdachtsmomente hinsichtlich einer regelrechten Unterstützung des NSU durch das LfV Thüringen und der naheliegenden abgestimmten Vorgehens-weise der Verfassungsschutzämter Sachsens und Thüringens zu prüfen, hat sich der Untersuchungsausschuß bemüht, die Rolle des LfV Sachsen zu verharmlosen, indem das Amt als Opfer der informationellen Abschottung durch das LfV Thüringen be-zeichnet wird. Dies spiegelt sich exemplarisch im Sachbericht vom Bundesanwalt a.D. Volkhard Wache14 und entspricht den völlig abwegigen impliziten Vorgaben im Unter-suchungsauftrag, etwaige staatsterroristische Netzwerke nicht zu untersuchen.

Abblocken von Aufklärungsinitiativen durch den Ausschuß selbst

Auch in der Arbeit des Ausschusses war teilweise eine Art freiwillige Selbstgleich-schaltung zumindest einer Mehrheit der Ausschußmitglieder mit den regierungs-amtlichen Positionen der Exekutive feststellbar. Ein exemplarisches Beispiel dafür ist die diskussionslose Ablehnung des von der NPD-Fraktion im Februar 2013 in den Geschäftsgang des Sächsischen Landtages eingebrachten Beweisantrages, alle Akten des sächsischen Landesamtes für Verfassungsschutz und der Staatsschutz-dezernate der sächsischen Polizei, welche ganz oder teilweise die Person Thomas R. oder den V-Mann „Corelli“ (ohne Klarnamen) betreffen, für die Arbeit des Untersu-chungsausschusses herbeizuziehen. Thomas Richter, dessen Wirkungsgebiet vor allem

12 „Sachbericht des Abschlußberichtes des 3. Untersuchungsausschusses des Sächsischen Landtags“:„Als das LKA Thüringen die Zielfahndungsmaßnahmen beendet hatte und auch keine neuen Einzelwün-sche an das LfV Sachsen hatte, wurden keine eigenen Maßnahmen mehr vom LfV Sachsen durchge-führt“, Seite 59. „Unterstützungsbitten aus Thüringen habe es ab Ende 2000 nicht mehr gegeben.“, Seite 60.13 Schäfer-Gutachten, Randnummer 215.14 „Sachbericht des Abschlußberichtes des 3. Untersuchungsausschusses des Sächsischen Landtags“, Seite 59-60.

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der Großraum Halle/Leipzig war, galt als einer der wichtigsten Zeugen im NSU-Komplex. Er war schon vor deren Untertauchen gut mit Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe bekannt, später war er in der Redaktion der Zeitschrift „Weißer Wolf“ tätig, in der sich schon im Jahr 2002 ein Hinweis auf den NSU befand, und darüber hinaus war er maßgeblich an der Gründung einer deutschen Sektion des Ku-Klux-Klan beteiligt und besaß in diesem Zusammenhang möglicherweise Informationen über den Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter im Jahr 2007.

Thomas Richters Position als zu wenig beachteter Schlüs-selzeuge im gesamten NSU-Komplex wurde insbesondere nach seinem rätselhaften Tod im April 2014 breit in den Medien diskutiert und dabei auch über einen Mord spekuliert, dem Richter zum Opfer gefallen sein könnte, um ihn zum Schweigen zu bringen.15 Es wurde mehrfach angemerkt, daß Richter nun nicht mehr zu dem Umstand befragt werden könne, daß er schon im Jahr 2006 eine DVD

weitergab (bezeichnenderweise an eine Person, die ebenfalls als V-Mann in der „rechten Szene“ eingesetzt war), die im Begleittext als „die erste umfangreiche Bilddaten-CD des Nationalsozialistischen Untergrunds der NSDAP (NSU)“ bezeichnet wird.

Die diskussionslose Weigerung des Ausschusses, das Wirken des Schlüsselzeu-gen Thomas Richter alias „Corelli“ näher zu untersuchen, ist ein weiterer Beleg für die Unwilligkeit einer Mehrheit der Ausschußmitglieder, mögliche staatsterroristi-sche Ausläufer des NSU-Netzwerks aufzuklären und zu untersuchen und damit die eigentliche essentielle Aufgabe eines jeden parlamentarischen Untersuchungsaus-schusses wahrzunehmen und ein mögliches Staats- bzw. Behördenversagen zu untersuchen.

Gedenktafel für Michèle Kiesewetter auf der Heilbronner TheresienwieseFoto: P. Schmelzle, cc by-sa 3.0

15 Vgl. hierzu: Micha Brumlik, Hajo Funke: „Der deutsche Staat und der NSU: Land im Ausnahmezu-stand“, in: „taz“ vom 25.04.2014.

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Resümee

Die aus heutiger Sicht offensichtliche Verstrickung der staatlichen Sicherheitsdienste in die NSU-Verbrechen war bereits zum Zeitpunkt der Einsetzung des Untersu-chungsausschusses (März 2012) in Ansätzen erkennbar.

Trotzdem wurde das Untersuchungsthema bewußt so formuliert, daß zwar die Untersuchung von Fahndungspannen, Kommunikationsfehlern und sonstigem nicht vorsätzlichen Fehlverhalten der Behörden zum gewählten Thema paßte, jedoch nicht der Bereich vorsätzlich rechtswidriger Vorgehensweisen auf Behörden- oder Regierungsebene, bis hin zu Terror-Operationen der Verfassungsschutzämter oder anderer Geheimdienste.

Der Ausschuß hätte sicherlich trotzdem im Rahmen der Untersuchungsgegenstän-de (Aufzählung im Einsetzungsbeschluß) auch vorsätzlich rechtswidriges Verhalten behandeln können. Die Formulierung des Untersuchungsthemas zeigt aber, daß dies nicht gewollt war. Den einreichenden Fraktionen/Abgeordneten war es wichtiger, ihre These der „neonazistischen Terrornetzwerke“ zu propagieren, obwohl alle bisher bekannten Fakten zeigen, daß in Wirklichkeit die Inlandsgeheimdienste „Herr des Verfahrens“ waren.

Die Regierungsfraktionen haben sich im Untersuchungsausschuß hauptsächlich bemüht, Informationsübermittlungsdefizite beim Landesamt für Verfassungsschutz in Thüringen aufzuzeigen. Die Diktion ist dabei exakt die gleiche wie die des SMI im „Vorläufigen Abschlußbericht des Sächsischen Staatsministeriums des Innern zum Fallkomplex ‚Nationalsozialistischer Untergrund’“ vom 25. Juni 2012, was die Fraktionen in ihrer Stellungnahme sogar ganz offen hervorheben. Sie verfolgen nach Auffassung der NPD-Fraktion damit nicht nur den Zweck, „die Schuld für das Versagen der sächsischen Sicherheitsdienste auf Thüringen zu schieben“, sondern auch zu dokumentieren, daß es keine netzwerkähnliche Zusammenarbeit zwischen Sachsen und Thüringen bei den offenbar rechtswidrigen Operationen des LfV Thü-ringen gegeben habe.

Eine solche Zusammenarbeit hätte nach Auffassung der NPD-Fraktion den Charak-ter eines staatlichen Terrornetzwerks. Es wäre die Aufgabe des Untersuchungsaus-schusses gewesen, die Existenz eines solchen nachzuweisen oder zu widerlegen. Genau das war aber offenbar nicht gewollt und ist deswegen auch nicht geschehen.

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Die Stellungnahme der sächsischen Regierungsfraktionen

Zum Zeitpunkt des Verfassens dieser Stellungnahme liegt der NPD-Fraktion die „Zusammenfassung der Stellungnahme der CDU- und der FDP-Fraktion zum Ab-schlußbericht für den 3. Untersuchungsausschuss der 5. Wahlperiode“, also eine Stellungnahme der Ausschußmehrheit, vor. Auch diese Stellungnahme ist geeig-net, die mangelnde Ernsthaftigkeit der Ausschußarbeit zu dokumentieren, insbe-sondere im Hinblick auf jene Frage, die heute, der öffentlichen Debatte nach zu urteilen, im Zusammenhang mit dem NSU-VS-Komplex die Mehrheit der interes-sierten Deutschen besonders umtreibt, nämlich die Frage nach dem „tiefen Staat“.

Charakteristisch für die Stellungnahme ist die naive Feststellung, der Sachbericht von Bundesanwalt a.D. Volkhard Wache stimme „weitgehend überein mit dem ‚Vorläufigen Abschlußbericht des Sächsischen Staatsministeriums des Innern zum Fallkomplex Nationalsozialistischer Untergrund vom 25. Juli 2012’“. Nachdem an anderer Stelle in der Stellungnahme festgestellt wird, daß das Regierungslager im Ausschuß – und damit die Ausschußmehrheit – „sich die in dem Bericht von Herrn Wache enthaltenen Ergebnisse sowie deren Schlussfolgerungen und Bewertun-gen zueigen“ mache, kann man also mit Fug und Recht behaupten, daß durch die Ausschußarbeit nichts anderes herausgekommen ist als das, was schon vor zwei Jahren vom Sächsischen Innenministerium (SMI), also von der Aufsichts- und Lenkungsbehörde des LfV Sachsen, regierungsamtlich erklärt, allerdings von Op-position und Presse als bloße Ansammlung von Schutzbehauptungen in der Luft zerrissen worden war16. – Ein erschreckendes Beispiel für schlecht funktionieren-den Parlamentarismus, insbesondere für den mißbräuchlichen Umgang mit dem Instrument „Untersuchungsausschuß“!

An anderer Stelle in der Stellungnahme ist von einem „Umdenken bei dem Lan-desamt für Verfassungsschutz Sachsen und auch bei den übrigen Polizeibehörden des Freistaates Sachsen“ die Rede. Auch diese Formulierung ist nicht gera-

16 Siehe z.B. die „Ostthüringer Zeitung“ vom 28.06.2012: „NSU-Ermittlungen: Sachsen schiebt Verant-wortung auf Thüringen“; „ZEIT-Online“ vom 05.07.2012: „Der Terror der NSU hat alte Ansichten erschüt-tert – nur Sachsens Regierung hat das nicht verstanden.“

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de schmeichelhaft für die Verfasser, denn sie scheinen nicht zu wissen, daß in Deutschland die Trennung zwischen Verfassungsschutz und Polizei als Prinzip mit Verfassungsrang gilt.

Derartige Patzer in einer Stellungnahme der Regierungsmehrheit eines parlamenta-rischen Gremiums, das zumindest nach der Erwartungshaltung eines großen Teils der Bevölkerung und der Öffentlichkeit mögliche Staatsverbrechen zu untersuchen hat, sind keine Bagatellsachen. Ganz im Gegenteil, sie zeugen von einer „Wursch-tigkeit“, die im krassen Gegensatz zu jeglichem ernsthaften Aufklärungswillen steht.

Die Kritik an Thüringen nimmt breiten Raum in der Stellungnahme der Regierungs-fraktionen ein. Die NPD-Fraktion ist der Meinung, daß damit nicht nur eine Schuld-zuweisung bezweckt wird, sondern daß die mangelhafte Kommunikation – gerade im „Fall NSU“! – gewissermaßen als Alibi dafür dienen soll, daß es im Zusam-menhang mit den illegalen Praktiken des Thüringer Verfassungsschutzes keine Netzwerkstruktur zwischen Thüringen und Sachsen gegeben habe, sondern daß Sachsen bei der ganzen Angelegenheit stets ahnungslos gewesen sei.

Bemerkenswert ist, daß Bundesanwalt a.D. Volkhard Wache im Sachbericht feststellt, die Informationsübermittlungen des Thüringer Verfassungsschutzes gegenüber den um Hilfe ersuchenden Behörden des Freistaates seien unzuläng-lich gewesen. Auch der Schäfer-Bericht habe die nur partielle Übermittlung von Informationen durch die federführenden Thüringer Sicherheitsbehörden an das LfV Sachsen gerügt. Diese Unterstützung für die Argumentation des SMI wird in der U-Ausschuß-Stellungnahme der Regierungsfraktionen natürlich gern zitiert. – Die Äußerungen sind insofern bemerkenswert, als der Leiter der Schäfer-Kommission, Gerhard Schäfer, die Beschwerden des Thüringer Zielfahnders Sven Wunderlich wegen Behinderung durch den Thüringer Verfassungsschutz als „erbärmlich“ bezeichnete. Da ging es im Prinzip um den gleichen Sachverhalt wie im Falle der mangelnden Informationsübermittlung nach Sachsen. Bei Herrn Wunderlich ging es aber darüber hinaus um – auch von anderen Thüringer LKA-Beamten vorge-brachte – ernste Vorwürfe gegen den Verfassungsschutz wegen Abschirmung des NSU-Trios. Wenn auch Herr Wache als ehemaliges Mitglied der Schäfer-Kommissi-on seinerzeit diese auch politisch brisante Kritik Thüringer Kriminalbeamter am LfV Thüringen verurteilt hat und nun im Falle der angeblich mangelnden Informations-

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übermittlung nach Sachsen das LfV Thüringen selbst kritisiert, ist dies bemer-kenswert.

Die mangelnde Bereitschaft sowohl der sächsischen Exekutive auch von Teilen des sächsischen Unter-suchungsausschusses, den NSU-Komplex wirk-lich unvoreingenommen und ergebnisoffen zu untersuchen, ist nicht nur bedauerlich, sondern dazu geeignet, das Vertrauen in die Gültigkeit rechtsstaatli-cher Prinzipien im Freistaat

Sachsen und darüber hinaus zu untergraben und zu erschüttern. Es ist äußerst bedenklich, wenn selbst zwei Autoren wie der emeritierte Politikwissenschaftler und früher an der Freien Universität in Berlin lehrende Hajo Funke und der früher in Frankfurt lehrende emeritierte Erziehungswissenschaftler Micha Brumlik die mangelnde Aufklärungsbereitschaft bundesdeutscher Behörden im NSU-Komplex mittlerweile mit den Abschottungsstrategien staatlicher Organe in der früheren DDR vergleichen und dazu in der „taz“ feststellen: „Die nicht anders als kriminell zu bezeichnende Energie aber, mit der die Sicherheitsexekutive und ihre parlamentari-schen Wasserträger die Aufklärung des NSU-Skandals verhindern wollen, gefähr-det die bundesrepublikanische Verfassung, unterhöhlt das Vertrauen der Bürger in die Demokratie und schafft eine Sphäre jenseits des Rechtsstaates. Beim Nato-Partnerland Türkei ist treffend von einem ‚tiefen Staat‘ die Rede, einer jenseits der oberflächlich funktionierenden modernen Verwaltung wirkenden Koalition aus Militär, Geheimdienst und Polizei. Die deutsche Situation stellt sich noch dramatischer dar, führen doch hier nicht nur Dienste und Behörden ein politisch unkontrolliertes Eigenleben, sondern die gewählten demokratischen Institutionen selbst schirmen dieses Eigenleben vor der

Der Neubau der Zentrale des Bundesamtes für Verfassungsschutz in BerlinFoto: Wo st 01, cc by-sa 3.0

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Öffentlichkeit ab. Es war der nationalsozialistische Staatstheoretiker Carl Schmitt, der feststellte: ‚Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet.‘ Der NSU-Skandal, dieser noch nicht deutlich genug als Ausnahmezustand erkannte Fall von bewusstem und gewolltem Staatsversagen, beweist, daß Teile der Institu-tionen aktiv daran beteiligt sind, an die Stelle des demokratischen Souveräns die Souveränität vermeintlicher Staatsschützer zu setzen. Die DDR, die freilich nicht über die Camouflage einer liberalen Alltagskultur verfügte, folgte derselben Lo-gik.“17

Zu einem ähnlichen Resümee kommen Stefan Aust und Dirk Laabs in ihrem Buch „Heimatschutz – Der Staat und die Mordserie des NSU“, in dem es heißt:

„Mit jeder weiteren vernichteten Akte, mit jeder nicht beantworteten Frage, mit jeder neuen Lüge verstrickt sich das Bundesamt für Verfassungsschutz nun weiter in einen Kampf, den es vor über 20 Jahren begonnen hatte – und der Satz des Geheimdienstkoordinators und ehemaligen Vizepräsidenten des BfV Klaus-Dieter Fritsche vor dem NSU-Ausschuß, hallt mit jedem Tag lauter, schriller, aber auch klarer nach: ‚Es dürfen keine Staatsgeheimnisse bekannt werden, die ein Regie-rungshandeln unterminieren‘.“18

Es bleibt zu hoffen, daß solche zutiefst pessimistischen Stellungnahmen nicht das Ende der Ermittlungen im NSU-Komplex bilden, sondern Deutschland wieder den Weg zurück zu einer funktionstüchtigen und rechtsstaatlichen Prinzipien gehor-chenden Demokratie findet, in der die Geheimdienste nicht, wie gegenwärtig, ein hermetisch von der sonstigen Öffentlichkeit abgeschirmtes und jedweder Kontrolle entzogenes Eigenleben führen, in dem jede noch so scheußliche Straftat unge-sühnt und unaufgeklärt bleibt.

17 Vgl. hierzu: Micha Brumlik, Hajo Funke: „Der deutsche Staat und der NSU: Land im Ausnahmezu-

stand“, in: „taz“ vom 25.04.2014.18 Stefan Aust, Dirk Laabs: „Heimatschutz – Der Staat und die Mordserie des NSU“, München, Panthe-on, 2014, S. 822.

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