Nr 7 / September 2013 Zeitschrift für die Mitarbeitenden der Zürcher Landeskirche Seite 10 Gekündigt und gedemütigt Immer mehr Menschen suchen Hilfe bei der Kirchlichen Fachstelle bei Arbeitslosigkeit Frauen im Pfarramt Wie Pfarrerinnen Amt und Kirche prägen Seite 14 Kopfüber im Kirchturm Zu Besuch bei den Fledermäusen von Eglisau nota bene
This document is posted to help you gain knowledge. Please leave a comment to let me know what you think about it! Share it to your friends and learn new things together.
Transcript
Nr 7 / September 2013Zeitschrift für die Mitarbeitenden der Zürcher Landeskirche
Seite 10
Gekündigt und gedemütigtImmer mehr Menschen suchen Hilfe bei der Kirchlichen Fachstelle bei Arbeitslosigkeit
Frauen im Pfarramt Wie Pfarrerinnen Amt und Kirche prägen
Seite 14
Kopfüber im KirchturmZu Besuch bei den Fledermäusen von Eglisau
notabene
notabene 7 / 20132
Liebe Leserin, lieber Leser
Vor 50 Jahren wurden in Zürich die ers-
ten Frauen ordiniert. Der Schritt war
damals schon überfällig. Die ersten
Theologinnen hatten ja bereits kurz
nach der Jahrhundertwende ihre Stu-
dien erfolgreich abgeschlossen. Ins
Pfarramt liess man sie nicht, oder nur als
Hilfskraft. Nicht kirchliche Institutio-
nen, sondern der Kanton und das Bun-
desgericht verweigerten den Theologin-
nen noch einmal Jahrzehnte den Zutritt
zum prestigeträchtigen Amt. 1963 – im-
merhin noch sieben Jahre, bevor die
Schweizerinnen das Stimmrecht beka-
men – stiegen die ersten Zürcher Pfarre-
rinnen auf die Kanzel.
Heute sind Frauen im Pfarramt eine
Selbstverständlichkeit: Fast 200 Frauen
arbeiten als Pfarrerinnen in Gemeinden
oder als Seelsorgerinnen in Institutionen
im Dienst der Landeskirche. In anderen
Berufen und Ämtern der Kirche enga-
gieren sich Frauen schon länger Seite an
Seite mit ihren männlichen Kollegen. In
Bereichen wie der Katechetik tragen sie
fast die ganze Verantwortung.
Frauen prägen die Kirche. Sie geben
ihr ein Gesicht und verleihen den Rol-
len, die sie einnehmen, ihr eigenes Ge-
präge (lesen Sie dazu den Artikel von
Kirchenrätin Irene Gysel ab Seite 8).
Dass es damit nicht getan ist, dass die
Geschichte der Gleichberechtigung der
Geschlechter in der Kirche nicht schon
vor 50 Jahren ihr Happy End gefunden
hat, geht manchmal vergessen. In den
Leitungsfunktionen der Kirche sind die
Frauen beispielsweise immer noch deut-
lich untervertreten. Darauf weist Pfarre-
rin Sabine Scheuter in der Kolumne (auf
Seite 5) hin. Das Sagen haben an vielen
Schaltstellen der Kirche immer noch die
Männer. Umgekehrt konstatiert
man, dass sich Männer immer
mehr von Ehrenämtern und frei-
willigem Engagement in den
Kirchgemeinden verabschieden
und im kirchlichen Unterricht das
Feld fast gänzlich den Frauen
überlassen.
Die Geschlechterfrage bleibt der Kir-
che auf verschiedenen Ebenen erhalten.
Wir können sie – mit Blick auf das Er-
reichte – sicher mit etwas mehr Gelas-
senheit angehen als die Generationen,
die sich erkämpfen mussten, was heute
selbstverständlich ist. Wenn Frauen
oder Männer aber in einzelnen Berei-
chen und Funktionen fehlen, ist das eine
Fehlermeldung, auf die man besser re-
agiert. Nicht, um der politischen Kor-
rektheit Genüge zu tun, sondern weil es
nicht gut kommt, wenn all das Know-
how, das Engagement und die Erfahrun-
gen der Ausgesperrten auf der Strecke
bleiben.
Christian Schenk
Redaktor «notabene»
Aktuell
Nachrichten3 – 6
Kolumne «Frauensache–
Männersache»5
Leserbriefe7
Schwerpunkte
Wie Frauen das Pfarramt
und die Kirche prägen
8 – 9
DFA: Bevor im Job alle
Stricke reissen10 – 11
Rubriken
Themen und Termine12 – 14
Stellenmarkt14
kreuz & quer:
Abhängen in Eglisau15
Impressum / Cartoon16
Editorial / Inhaltsverzeichnis
«Happy End in der Geschichte der Gleichberechtigung?»
notabene 7 / 2013 3
Aussprachesynode / Wie die Kirche ist, und wie sie sein sollte
sch. Unter dem Titel «Perspektive Kir-
che» hat sich das Kirchenparlament am
25. Juni ausserhalb des üblichen Ratsbe-
triebes zu einer Aussprachesynode ge-
troffen. Jenseits des kirchenpolitischen
Tagesgeschäfts widmeten sich die Syno-
dalen an der ganztägigen Veranstaltung
den grossen Fragen nach dem Auftrag
und Dienst der Kirche. Nach einer
Phase der Strukturfindung der Landes-
kirche und im Hinblick auf das Refor-
mationsjubiläum 2019 sollte mit der
Ausspracheversammlung das Augen-
merk auf die theologische Verantwor-
tung der Kirchensynode gelenkt werden.
Die in Gruppenarbeiten erarbeiteten
Leitsätze zum «Wohin» der reformierten
Kirche wurden am Nachmittag ins Ple-
num im Kirchgemeindehaus Neumüns-
ter getragen. «Wir wollen als Kirche eine
sichtbare, selbstbewusste, begeisternde
Gemeinschaft sein» oder «Die Kirche
der Zukunft ist lokal haftbar, inhaltlich
fassbar und medial präsent», waren Im-
pulse, die eine Mehrheit der Synodalen
begrüssten. Auf der weitgefächerten
Prioritätenliste des Kirchenparlaments
fand sich ausserdem der Wunsch nach
«mehr Profil», nach einem «Minimum
an Verwaltung» und einem «Maximum
an Begeisterung».
Konkretere Ziele wurden ebenfalls
formuliert: Stärkere Anstrengungen für
die Einbindung der Jugendlichen nach
der Konfirmation oder die Stärkung
und persönlichere Gestaltung von Taufe,
Hochzeit und Abdankung. Auch selbst-
kritische Töne begleiteten die Diskussio-
nen: Zu hoch gegriffen seien die von den
Synodalen vorgebrachten Ziele und die
Leitsätze zu wenig konkret und kaum
handlungsleitend.
Die Aussprachesynode fand ihren Ab-
schluss in einer Abendmahlsvesper in
der Kirche Neumünster. Am 17. Sep-
tember kehrt die Kirchensynode zum
politischen Alltagsgeschäft zurück.
Die nächsten Traktanden• Jahresbericht 2012
• Die Kirchliche Fachstelle bei Ar-
beitslosigkeit (Postulat von Ros-
marie Egli) – Antrag und Bericht
Kirchenrat
• Interpellation von Peter Schmid
betreffend fresh expressions of
church – Antwort des Kirchenrates
• Bildungskonzept – Antrag und
Bericht Kirchenrat (siehe unten)
• Postulat von Hannes Aeppli,
Nachhaltige Kapitalsicherung
17. September, 8.15 Uhr. Rathaus
Kirchensynode / Neuer Anlauf für das Bildungskonzept
sch. An ihrer nächsten Sitzung vom 17.
September befasst sich die Kirchensyn-
ode mit dem Bildungskonzept, das für
die Landeskirche in den nächsten Jahren
handlungsleitend sein soll. Die Synode
hat ein solches Bildungskonzept mit ei-
ner Motion im März 2012 eingefordert.
Das Kirchenparlament wollte damit
Auskunft erhalten «über künftige Bil-
dungsstrategien, Bildungsinhalte, Um-
setzung und Terminierung sowie den
langfristigen Finanzierungsbedarf».
Der Kirchenrat hatte seinen Bericht be-
reits für die Juni-Sitzung traktandiert,
ihn dann aber noch einmal zurückge-
stellt und überarbeitet. Jetzt liegt er in
kompletter Fassung vor und beschreibt
auf 33 Seiten «so knapp wie möglich
und so umfassend wie nötig, wie, von
wem und womit Bildungsarbeit landes-
kirchlich und kirchgemeindlich ge-
schieht». Und er benennt Strategien
dort, wo der Kirchenrat und die Ge-
samtkirchlichen Dienste die Verantwor-
tung tragen. Unter anderem formuliert
der Kirchenrat hier die strategischen
Schwerpunkte zum Religionspädagogi-
schen Gesamtkonzept und der Erwach-
senenbildung, zum Kloster Kappel und
zur geplanten Stadtakademie als Pro-
filort in urbaner Region.
www.zh.ref.ch/kirchensynode
Fo
to: sch
notabene 7 / 20134
Staatsarchiv / Musteraktenplan für Kirchgemeinden online
Wie Frauen Pfarramt und Kirche prägen Seit 50 Jahren können in der Zürcher Landeskirche Frauen als Pfarrerinnen gewählt werden. Grund zum Feiern – und um über Visionen von Frauen im Pfarramt und die weibliche Seite der Kirche nachzudenken. Von Irene Gysel, Kirchenrätin
Vor bald 30 Jahren formulierte eine
Gruppe von Pfarrern an der Disputa-
tion 84 den Antrag, die Ordination in
eine Bestätigungsfeier umzuwandeln.
Damit wäre sie faktisch abgeschafft wor-
den. Das Plenum diskutierte intensiv
und tendierte dazu, dem Antrag zuzu-
stimmen. Auch in unserer reformierten
Kirche gebe es – allen gegenteiligen Be-
teuerungen zum Trotz – einen wesenhaf-
ten Unterschied zwischen Pfarrer und
Laien, was dem Gedanken des allgemei-
nen Priestertums widerspreche. Da mel-
dete sich der katholische Beobachter der
Versammlung und riet in bewegenden
Worten zur Ablehnung. Es würde sonst
noch die letzte offene Tür zur katholi-
schen Kirche zugeschlagen. Der Antrag
wurde knapp abgelehnt.
Die damalige Diskussion zeigt, wie ra-
dikal wir, ich inklusive, dachten. Und dies
nur 20 Jahre nachdem endlich, nach lan-
gen Kämpfen, auch die Frauen ordiniert
werden konnten. Vielleicht gibt es da ei-
nen hin und wieder zu beobachtenden
Zusammenhang: Wenn etwas den Frauen
zugestanden wird, verliert es an Wert. Al-
lerdings könnten die Frauen dies als
Chance wahrnehmen und neue Werte set-
zen.
Unterdessen bin ich froh, dass es die
Ordination noch gibt, ich habe umge-
lernt. Es sind nicht nur die Persönlich-
keiten, die einen Beruf prägen. Ich be-
tone: Nicht nur! Denn sie prägen ihn
stark. Es ist zuerst die Funktion, die
Rolle, die prägend wirkt. Die Rolle ent-
steht durch die Erwartungshaltung der
Gemeinde, der Menschen. Im Fall des
Pfarrberufs hat die Rolle besonderes
Gewicht, sie ist so stark wie ein Arche-
typ. Es gibt sie seit tausenden von Jahren
und, wenn auch unterschiedlich ausge-
prägt, in jeder Kultur. Der Inhaber oder
die Inhaberin wird dazu berufen, «Mitt-
ler zwischen Himmel und Erde» zu sein,
wird ausgewählt, ausgebildet, vom Kol-
lektiv beauftragt und damit in eine be-
sondere Position gehoben.
Nun betont jedoch die reformierte Kir-
che explizit, ihre Pfarrpersonen seien
nicht Mittler zwischen Himmel und Erde,
sondern Dienerinnen und Diener am
göttlichen Wort. Man erwartet von ihnen
nicht, dass sie im Himmel etwas bewirken
und auf Erden im Namen Gottes Ent-
scheide fällen. Aber, und das wird in die-
sem Zusammenhang zu wenig gesehen,
sie bleiben die Personen, die sich mit den
letzten Fragen beschäftigen, die zum Ge-
heimnis Gott beten, die mit vielen Men-
schen Leid und Freude teilen, viele durch
ihr ganzes Leben und beim Sterben be-
gleiten und die eben gerade für die Begeg-
nung mit der anderen, uns unbekannten
Dimension ordiniert und eingesetzt wer-
den. Besonders in der Notfallseelsorge ist
zu beobachten: Wenn jemand ausdrück-
lich einen Pfarrer oder eine Pfarrerin
wünscht, dann hat er oder sie mehr oder
weniger bewusst dieses priesterliche Bild
vor Augen.
«Wie sehen sich die Pfarrerinnen selber? Entdecken sie neue Seiten ihres Amtes?»
Ordiniert zur Pfarrerin: Dieser Weg
steht Frauen in der Landeskirche seit
50 Jahren offen.
«Hat etwas an Wert verloren, wenn es den Frauen zugestanden wird?»
notabene 7 / 2013 9
Nun werden bei uns seit 50 Jahren, das
sind zwei Generationen, auch Frauen ins
Pfarramt eingesetzt. Hat sich seither der
Archetyp verändert? Hat sich das Bild
des Pfarrherrn von damals gewandelt?
Hat der Archetyp etwas Mütterliches er-
halten? Hat er etwas vom Priesterinnen-
bild aufgenommen, das auch eine eroti-
sche Komponente hat? Oder etwas von
den starken Revolutionärinnen oder Pro-
phetinnen, die alle unbestechlich, kämp-
ferisch und unbeirrbar ihre Ziele verfolg-
ten? Es könnte auch sein, dass es zwei
Archetypen gibt, den des Pfarrers und
den der Pfarrerin. Wie sehen sich die
Pfarrerinnen selber?
Man betont heute gerne, wie wichtig es
sei, seine Rolle zu kennen und zu bejahen.
Ende August befassen sich einige Pfarre-
rinnen an einer Tagung mit vielleicht neu
zu entdeckenden Seiten des weiblichen
Pfarramtes.
50 Jahre Frauen im Pfarramt – Die FeierMit Beiträgen von Ständerätin
Verena Diener und Regierungsrätin
Regine Aeppli. 17. November,
19 Uhr. Grossmünster, Zürich.
Hürdenlauf zum Frauenpfarramtsch. Bereits 1918 räumte die Zür-
cher Kirche den Frauen den Weg
zum Pfarramt frei: Sie ordinierte
mit Rosa Gutknecht und Elise Pfis-
ter zwei Frauen, die das Theologie-
studium in Zürich 1913 begonnen
und erfolgreich abgeschlossen
hatten. Drei Jahre später be-
schloss die Kirchensynode die Ein-
führung des Pfarramts für Frauen.
Doch das Bundesgericht versagte
seine Zustimmung: Da die Wahl
von Pfarrerinnen und Pfarrern dem
staatlichen Stimm- und Wahlrecht
entsprechend geregelt war, galten
Frauen als nicht wahlfähig. Erst
das neue Kirchengesetz von 1963
räumte diese Hürde weg: Am 17.
November wurden im Grossmüns-
ter zwölf Frauen ordiniert. Auf das
volle politische Mitbestimmungs-
recht mussten die Zürcherinnen
übrigens noch bis 1970, auf eidge-
nössischer Ebene bis 1971 warten.
Buchtipp: Pierre Aerne: Frauen auf
der Kanzel. Frauenordination und
Frauenpfarramt in den reformier-
ten Kirchen der Schweiz. Ca. 520
Seiten. Erscheint Ende 2013.
Wo Kirche in Frauenhand ist – und wo nichtkom. In der Zürcher Landeskirche
arbeiten heute 136 Frauen im Ge-
meindepfarramt, 51 sind als Pfar-
rerinnen in Institutionen (z. B. Spi-
tal- oder Gefängnisseelsorge)
tätig. Ihnen stehen 233 männliche
Amtskollegen im Gemeindepfarr-
amt gegenüber, 46 in Institutionen.
In der Sozialdiakonie arbeiten 149
Frauen und 89 Männer. Die Kate-
chetik (mit über 300 Mitarbeiterin-
nen) ist zu 99 Prozent in Frauen-
hand. Im Bereich Administration
arbeiten in den Kirchgemeinden
insgesamt 180 Personen; der Frau-
enanteil liegt in diesem Bereich bei
über 90 Prozent.
Anders sieht das Verhältnis in den
Leitungsfunktionen aus: Da sind
die Frauen deutlich in Unterzahl:
Im Kirchenrat steht eine Frau
sechs Amtskollegen gegenüber.
Von den 11 Dekanaten wird eines
von einer Pfarrerin geleitet. In den
Kirchenpflegen engagieren sich
713 Frauen und 527 Männer, das
Präsidium haben 70 Frauen und
109 Männer inne.
Pfarrerinnen fordern mehr Frauen in LeitungspositionenIn einem Positionspapier anläss-
lich des 50-Jahr-Jubiläums «Frau-
en im Pfarramt» fordert eine Ar-
beitsgruppe des Pfarrvereins des
Kantons Zürich mehr Frauen in
kirchlichen Leitungspositionen.
Als Zielvorgabe sieht sie einen An-
teil von 40 Prozent. Die Pfarrerin-
nen fordern zudem eine Stärkung
der Teilzeit- und Ergänzungspfarr-
stellen, die überproportional oft
von Frauen besetzt sind. Fusionen
und Stellenkürzungen dürften
nicht zulasten von Teilzeitstellen
gehen. Es gelte vielmehr, ordentli-
che Teilzeitstellen zu ermöglichen.
Dies würde eine Änderung der Kir-
chenordnung bedeuten.
www.pfarrverein.ch/dok/1338
Beauftragt zum katechetischen Dienst:
Im Unterrichtswesen prägen Frauen
die Kirche schon lange.
Fo
tos: G
ion
Pfa
nd
er
notabene 7 / 201310
Die Kirchliche Fachstelle bei Arbeitslosigkeit /
Bevor alle Stricke reissenDie Kirchliche Fachstelle bei Arbeitslosigkeit (DFA) ist eines der letzten Auffangnetze für Menschen, die im Arbeitsmarkt schwer mithalten oder sich für ihre Rechte kaum wehren können. Der Andrang ist gross. Von Christian Schenk
Frau N. ahnte an diesem Morgen an der
Kasse eines Detailhandelsgeschäfts
nichts Böses. Wie an jedem Arbeitstag
zog sie auch heute die Milchtüten, Pe-
lati-Dosen und Pommechips-Packungen
über den Scanner und kassierte die Be-
träge für die Einkäufe ein. Die Kassiere-
rin hatte eben eine Kundin verabschie-
det, als man sie ins Personalbüro
beorderte. Dort eröffneten ihr der Per-
sonalchef und der Filialleiter die Kündi-
gung und die sofortige Freistellung. Sie
arbeite zu wenig schnell und mache zu
viele Fehler. Für die Firma sei sie nicht
mehr tragbar. Flankiert von einem Secu-
ritas-Mann wurde Frau N. danach wie
eine Verbrecherin aus dem Laden ge-
führt. Für einen Abschied von den Ar-
beitskolleginnen liess man ihr keine Zeit.
Für Regula Dick, Fürsprecherin und
Leiterin der Kirchlichen Fachstelle bei
Arbeitslosigkeit, war der Fall klar: miss-
bräuchliche Kündigung und darüber hi-
naus eine Demütigung der gröbsten Art.
Als Frau N. ihr in der Sprechstunde ihr
Herz ausschüttete, war sie immer noch
schwer gezeichnet von der Freistellung,
die sie wie aus heiterem Himmel getrof-
fen hatte. Die Kündigung hatte zu einer
psychischen Erkrankung geführt. Re-
gula Dick übernahm das Mandat von
Frau N. und erreichte schliesslich in ei-
ner aussergerichtlichen Einigung eine
finanzielle Abfindung. Frau N. nahm sie
an. Sie brauchte das Geld. «Den Fall
hätte ich gerne vor Gericht gebracht, um
dieses entscheiden zu lassen, wie weit
Arbeitgeber bei der Kündigung gehen
dürfen», sagt die Fürsprecherin. Weil
der Prozessweg aber lang und mühselig
werden könne, hätte sich die Klientin
mit der angebotenen Abfindung zufrie-
den geben wollen.
Wenn der Lohn ausbleibt
Der Fall ist einer von hunderten, die je-
des Jahr der DFA Zürich gemeldet wer-
den. In den Büros am Stauffacher klop-
fen täglich Menschen an, weil deren
Rechte am Arbeitsplatz missachtet wer-
den. Die Hilfesuchenden loten Möglich-
keiten aus, wenn ihnen der Arbeitgeber
die Überstunden nicht bezahlt oder die
Löhne wochenlang vorenthält. Drei bis
vier Rechtsberaterinnen arbeiten an den
Fällen. Sie entscheiden nach einer Kurz-
beratung, ob sie ein Mandat erfolgver-
sprechend übernehmen können.
Bisweilen reicht ein Ratschlag, nicht sel-
ten sind die Fälle komplizierter und be-
dürfen weiterer Abklärungen.
Neben rechtlichen Auskünften sind
auch Sozialberatungen oder die Unter-
stützung bei Stellensuche und Bewer-
bung nötig. «Bei der DFA melden sich
Menschen, die unter Bedingungen ar-
beiten, von denen man dachte, sie seien
in der Schweiz nicht mehr denkbar»,
sagt Regula Dick. Und es klopfen Men-
schen an, denen es nicht oder nur müh-
sam gelingt, ihr Leben auf einen tragen-
den Boden zu stellen. Die Unterstützung
und Begleitung dieser Menschen, die
nur mehr schwierig in einen Arbeitspro-
zess zu integrieren sind
und bisweilen in prekä-
ren Verhältnissen le-
ben, nehmen fünf Sozi-
alberater wahr. «Die
Menschen haben mit
riesigen Enttäuschun-
gen, mit Wut und
Ängsten zu kämpfen»,
sagt Francesco Marti-
nelli, Sozialarbeiter bei
der DFA. Dieser Emo-
Regula Dick: «Menschen arbeiten unter Bedingungen, die man in der Schweiz so nicht mehr für möglich hält.»
notabene 7 / 2013 11
tionalität gebe man Raum, beginne
dann aber zusammen mit dem Klienten
mit der Suche nach neuen Wegen. Das
kann ganz konkret sein: die Bewer-
bungsunterlagen an den dafür bereitge-
stellten Computern in die korrekte Form
bringen oder Vorstellungsgespräche
üben. «Es geht auch darum, die Men-
schen in der Krise oder Umbruchsitua-
tion zu begleiten und sie zu stärken: z. B.
indem wir auf ihre Ressourcen und Fä-
higkeiten hinweisen.» Anders als beim
RAV geht es bei der Beratung in der
DFA nicht um Leistungsvereinbarun-
gen, sondern um psychosoziale und an-
waltliche Unterstützung. «Das schafft
ein ganz anderes Klima», sagt Francesco
Martinelli.
Schlange stehen für Hilfe
Trotz der relativ guten wirtschaftlichen
Lage ist der Andrang der Ratsuchenden
seit Jahren hoch und kann von der Fach-
stelle nicht bewältigt werden. 2012 wur-
den allein in Zürich fast tausend Perso-
nen neu aufgenommen und insgesamt
2169 Beratungsgespräche geführt. Dazu
kommen die Beratungen, die die DFA-
Büros in Winterthur und Uster leisten.
Bis zu 2000 Hilfesuchende mussten 2012
in Zürich wegen Überlastung abgewie-
sen werden. Das DFA-Team, getragen
von der katholischen und reformierten
Kirche, ist gefordert. Regula Dick ver-
sucht, mit kürzeren In-Take-Beratun-
gen, mehr Ratsuchende in kürzerer Zeit
zu bedienen und damit die Ressourcen
noch effektiver zu nutzen. Derzeit ist
auch ein Organisationsprozess im Gang,
der die Abläufe und die Zusammenar-
beit der Büros optimieren soll. Es ist ab-
sehbar, dass dies allein nicht genügen
wird. Um die hohen Abweisungszahlen
der letzten Jahre effektiv zu reduzieren,
müssten die Beratungskapazitäten mas-
siv erhöht werden.
Kirche allein am Anschlag
Bereits 2009 haben die Kirchen den Etat
um 200 Stellenprozente erhöht. Ob sie in
der Lage sind, noch mehr zu investieren,
ist fraglich. Ein Postulat, überwiesen
von der reformierten Kirchensynode im
Dezember 2011, forderte den Kirchen-
rat auf, weitere Massnahmen zu prüfen,
damit weniger Ratsuchende abgewiesen
werden müssen. Die Antwort, die der
Kirchenrat der Kirchensynode in der
Herbstsession vorlegen wird, liefert eine
umfassende Analyse und lotet Massnah-
men aus. Der Kirchenrat stellt sich hin-
ter den diakonischen Auftrag, den die
DFA im Kanton Zürich leistet, und will
«mit den vorhandenen Ressourcen das
Mögliche leisten». Er kommt aber auch
zum Schluss, dass diese gesellschaftliche
Aufgabe letztlich grösser sei, als dass sie
allein durch die Kirchen erfüllt werden
könnte.
Postulatsantwort unter «Aktuell» auf:
www.zh.ref.ch/kirchensynode
DFADie Kirchliche Fachstelle bei Ar-
beitslosigkeit Zürich (DFA) hilft
Menschen, die von Erwerbslosig-
keit oder drohendem Arbeitsplatz-
verlust betroffen sind. Die Fach-
stelle wurde 1976 gegründet. Bis
heute tragen die reformierte und
katholische Kirche im Kanton die
Institution gemeinsam und unter-
stützen Erwerbslose oder Arbeit-
nehmende in schwierigen Situatio-
nen. Die DFA ist an zwei weiteren
Standorten aktiv, in Winterthur und
Uster. Der Stellenetat für die Sozi-
alarbeiter, Rechtsberaterinnen und
administrativen Mitarbeitenden
liegt bei insgesamt 1000 Stellen-
prozenten. www.dfa.ch
Prekäre Lage trotz tiefer Arbeitslosigkeitsch. In Sachen Arbeitslosigkeit ist
die Schweiz, verglichen mit den
europäischen Nachbarn, in einer
guten Lage. Die Arbeitslosenquote
liegt bei rund 3 Prozent. Im Kanton
Zürich waren im Mai 2013 rund
24 000 Menschen arbeitslos ge-
meldet. Monatlich werden rund
500 Personen ausgesteuert.
Schwierig ist die Situation beson-
ders für Menschen, die dem ge-
stiegenen Leistungsdruck in der
Wirtschaft nicht gewachsen sind,
die ungenügend ausgebildet oder
gesundheitlich angeschlagen sind.
Sie sind schwer in den Arbeitspro-
zess zu integrieren, oder sie leiden
unter teilweise prekären Arbeits-
verhältnissen und arbeiten für Löh-
ne, die ihre Existenz nicht sichern
können. Diese gesellschaftlichen
Entwicklungen widerspiegeln sich
in der Beratungstätigkeit der DFA.
Die Ratsuchenden, zu rund zwei
Drittel ausländischer Herkunft, ha-
ben zunehmend komplexere Anlie-
gen. Der Verlust der Arbeitsstelle
stellt nicht nur die wirtschaftliche
Existenz in Frage, sondern gefähr-
det auch das Selbstwertgefühl. Die
Ratsuchenden brauchen Hilfe im
Umgang mit Arbeitgebern, Sozial-
versicherungen und Behörden und
bei der Durchsetzung ihrer Rechte.
Fo
to: S
hutt
ers
tock
12 notabene 7 / 201312
Verkündigung &
Gottesdienst
Hochschulgottesdienste im Herbstsemester 2013
Studierende stellen den von
ihnen ausgewählten Bibeltext
und ihren Predigtwunsch vor.
Predigt: Friederike Osthof;
Musik: Studierende der ZHdK.
Nach jedem Gottesdienst findet
ein Nachgespräch zu Wunsch
und Predigt statt. Wer will:
10.30 Uhr Einsingen und Üben
der Lieder, 11 Uhr Gottesdienst.
29. September, 20. Oktober,
10. November, 1. Dezember,
jeweils 11 Uhr. Predigerkirche
Zürich. www.hochschulforum.ch
Braucht Glaube Kirche?
Fragen, die es in sich haben.
Vortrag und Diskussion: Das
Interesse der Menschen an
Sinnfragen und ethischer Orien-
tierung ist ungebrochen.
Gleichzeitig nimmt die Bindung
an Institutionen wie die Kirche
ab. Leitung: Béatrice Acklin
Zimmermann, Paulus-Akade-
mie Zürich, Pfrn. Brigitte
Becker, Fachstelle Spiritualität
& Lebensstil. Referierende:
Johanna Rahner, Professorin
für systematische Theologie.
25. September, 18.30 bis 20 Uhr.
Wasserkirche, Limmatquai 31,
Zürich
Diakonie &
Seelsorge
Mission Gesundheit
Die Herbstkampagne von mis-
sion 21 trägt den Titel «Mission
Gesundheit – Wir stärken Men-
schen ganzheitlich» und dauert
von Mitte September bis zum 1.
Dezember 2013. «Mission
Gesundheit» stellt drei Projekte
der Gesundheitsvorsorge in
Afrika vor und fokussiert das
Thema Aids in Afrika. Die
Herbstkampagne wird begleitet
durch Veranstaltungen und
Aktionen in Basel, Bern und
Horgen. Das Missionswerk
stellt Ideen zur Veranschauli-
chung des Gesundheitsthemas
in der Gemeinde oder Gruppe
zur Verfügung. Mit «Mission
Gesundheit» ruft mission 21,
zur Solidarität mit der weltwei-
ten Kirche auf, die sich mit
ganzheitlichem Ansatz für das
Grundrecht auf Gesundheit ein-
setzt. – Infoveranstaltung in
Horgen: Vortrag und Diskus-
sion, u. a. mit Claudia Bandi-
xen, Direktorin mission 21 und
Johannes Klemm, Programm-
verantwortlicher Tansania.
23. September, 17 Uhr, Kirchstr.
11, Horgen. Infos zur Kampagne:
www.mission-21.org/gesundheit
«Land haben heisst Mensch sein»: HEKS-Herbsttagung
Abhängen in EglisauÜber 200 Fledermäuse leben im Dachstuhl des Eglisauer Kirchturms. Die Kolonie gehört seit Jahrzehnten zur Kirch-gemeinde – auch wenn sie die Gottesdienste prinzipiell verschläft.Von Christian Schenk
Fo
to: sch
Übertragung mit Infrarotkameras, die
die Vorbereitungen auf nächtliche Beu-
tezüge zeigte. Ein Publikum von gegen
100 Personen wurde so Zeuge, wie die
Mausohrmütter sich behutsam der
Säuglinge (es sind meist Einzelkinder)
entledigten, wie sie ihre Flügel aufwärm-
ten und schliesslich hinaus in die Nacht
flogen. Dass sie dort im Umkreis von 15
Kilometer Jagd auf Laufkäfer, Wiesen-
schnaken und Maulwurfssgrillen ma-
chen, kann man nicht beobachten. Man
findet es heraus, wenn man die Kotbäll-
chen mit dem Mikroskop untersucht.
Was man nicht weiss
Vieles im Leben der Eglisauer Fleder-
mauskolonie bleibt ein Geheimnis: wo
die Männchen ihre Zeit bis zur Paarung
im September verbringen; oder wo ge-
nau die Weibchen ein Winterquartier
finden, das sie nicht erfrieren lässt. Und
auch nicht, wie es sich anfühlt, im tiefen
Winterschlaf nur noch alle Stunden ein-
mal Luft zu holen und den Puls von
1200 Schlägen pro Minute (während ei-
nes sommerlichen Jagdflugs) auf unter
20 hinunterzuschrauben.
Was man weiss und hofft, ist aber dies:
Dass die treuen Kirchenbewohner im
nächsten Frühling wieder da sind, kopf-
über dösend im Kirchturm von Eglisau.
www.fledermausschutz.ch
Gemütliches Gewusel: Die Fledermausmütter kuscheln auch noch bei über 30 Grad.
P. P.
80
01
Zü
rich
Ab
send
er:
Ev.-re
f. Land
eskirc
he d
es K
anto
ns Z
üric
h
Bla
ufa
hnenstra
sse 1
0, 8
00
1 Z
üric
h
Ad
ressb
eric
htig
ung
meld
en a
n:
Ev.-re
f. Land
eskirc
he, Z
entra
le D
ienste
Bla
ufa
hnenstra
sse 1
0, 8
00
1 Z
üric
h
Impressum «notabene» ist die Zeitschrift aller, die beruflich, ehrenamtlich oder regelmässig freiwillig als Mit-glieder in der Zürcher Landeskirche mitarbeiten.Redaktion und GestaltungChristian Schenk (sch), Blaufahnenstrasse 10, 8001 Zürich, Tel. 044 258 92 97www.zh.ref.ch / notabene, [email protected] Helena Klöti, [email protected]. 044 258 92 13
HerausgeberinEvang.-ref. Landeskirche des Kantons ZürichKommunikationDruck Robert Hürlimann AG, ZürichAuflage 7000 ExemplareErscheint monatlich mit Doppelnummern im Juli / August und Dezember / Januar.Nächste AusgabenNr. 8 / 2013 (Oktober, Woche 41)Nr. 9 / 2013 (November, Woche 44) Redaktionsschluss: Am 15. des Vormonats
Titelbild: Ordinationsfeier vom 18. August 2013. Frauen konnten in Zürich vor 50 Jahren erstmals zu Pfarrerinnen ordiniert werden. Foto: Gion Pfander
Frauen auf der Kanzel. In Zürich seit 50 Jahren. Lesen Sie mehr dazu ab Seite 8.